Gemeinsamer Ministerrat, 6. 10. 1915
I. Vorsorge für die gemeinsamen Erfordernisse des laufenden Budgetjahres. Beschaffung von U-Booten. Zukunft des Königreiches Polen
Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_VII/pdf/oe_hu_mrp_VII_z13.pdf.
13. Wien, 6. Oktober 1915 Der Ministerrat beschäftigt sich mit der Frage der Ausrüstung der Kriegsmarine, hauptsächlich mit Unterseeboten und mit anderen Kriegsausrüstungsproblemen, danach werden die Vorstellungen über Polens Zukunft eingehend besprochen, im Zusammenhang damit die Frage, wie die eroberten Gebiete unter Österreich und Ungarn aufgeteilt werden sollen. Da die Delegationen nicht tagten, konnten die gemeinsamen Ausgaben nicht auf dem im Gesetz vorgeschriebenen parlamentarischen Wege votiert werden. Das als provisorisch gedachte Verfahren, das hierfür im gemeinsamen Ministerrat vom 18. Juni 1915 festgelegt worden war, wurde von diesem Ministerrat gutgeheißen. (Im übrigen siehe zu den gemeinsamen Finanzproblemen Teleszky: a. a. O. S. 85. ff.) Das Flauptthema des gemeinsamen Ministerrates vom 6. Oktober bildete die polnische Frage, mit der sich -- wenn auch teilweise in anderer Beziehung -- bereits die gemeinsamen Ministerkonferenzen vom 31. Oktober 1914 und 8. März 1915 beschäftigt hatten. Aktuell wurde die Frage durch das, auf den im Mai erfolgten Durchbruch bei Gorlice--Tarnow folgende Vordringen der Armeen der Mittelmächte. Durch diese Offensive, die von den Russen im September zum Stehen gebracht worden war, gelangten Polen, Litauen und Kurland in die Hände der Mittelmächte. Der nördliche Teil des nach dem Wiener Kongreß Rußland zugesprochenen polnischen Gebietes, des sog. Kongreßpolens gelangte (mit Ausnahme der Gegend um Suwalki) unter deutsche, der südliche unter österreichisch-ungarische Militärverwaltung (Mili- tärgouvemement Lublin). Die Militärverwaltung war natürlich als Übergangslösung gedacht. Der gemeinsame Ministerrat befaßte sich in dieser Sitzung zum erstenmal umfassend, auf breiterer prinzipieller Grundlage mit der als endgültig gedachten Lösung der polnischen Frage. Vor dem Weltkrieg, doch auch während des Weltkrieges tauchten mehrere Versuche zur Lösung des polnischen Problems auf. Davon waren jedoch nur zwei so geartet, daß sich die deutschen und österreich-ungarischen Politiker mit ihnen aussichtsreich befassen konnten. Die eine Variante war die sog. »deutsch¬ polnische Lösung«, durch die Polen im wesentlichen unter deutsche politische und wirtschaftliche Suprematie gelangen sollte; die andere war die sog. »austropolnische Lösung«, nach der Polen mit der Österreichisch-Ungarischen Monarchie vereint werden sollte. Hierüber und über sonstige, in irgendeiner Form aufgetauchte Lösungsversuche, ihren Zusammenhang und ihre geschichtlichen Antezedenzien usw. siehe bei G. Gratz-- R. Schüller: Die äußere Wirtschaftspolitik Österreich-Ungarns. Mitteleuropäische Pläne. Wirtschafts- und Sozialgeschichte des Weltkrieges. Österreichische und Ungari¬ sche Serie. Wien 1925, S. 261 f. Protokoll des zu Wien am 6. Oktober 1915 abgehaltenen Ministerrates für gemein¬ same Angelegenheiten, unter dem Vorsitze des Ministers des k.u.k. Hauses und des Äußern Baron Buriän. Gegenwärtige: Der k.k. Ministerpräsident Graf Stürgkh, der kgl. ung. Ministerpräsident Graf T i s z a, der k.u.k. gemeinsame Finanzminister Dr. von K o e r b e r, der k.u.k. Kriegsminister FZM. Ritter von K r o b a t i n, der Stellvertreter des Chefs der Marinesektion Vizeadmiral von K a i 1 e r. Schriftführer: Legationssekretär Graf Walterskirchen. Gegenstand: Vorsorge für die gemeinsamen Erfordernisse des laufenden Budgetjahres. Beschaffung von U-Booten. Zukunft des Königreiches Polen. 285 <pb/> Der Vorsitzende eröffnet die Besprechung und erinnert daran, dass in der gemeinsamen Ministerkonferenz vom 18. Juni 1. J. ein Beschluss, in welcher Form für die Bedeckung der gemeinsamen Erfordernisse für das II. Halbjahr des laufenden Budgetjahres vorgesorgt werden sollte, nicht gefasst worden sei. Nun sei der Moment gekommen, für die Bedeckung dieser Ausgaben zu sorgen, und ersuche er daher die beiden Herren Ministerpräsidenten um Präzisierung ihres Standpunktes. Der kgl. ung. Ministerpräsident erklärt, dass einer glatten Erledigung dieser Frage von seiner Seite nichts im Wege stehe. Er habe getrachtet, eine Lösung herbeizuführen, ohne staatsrechtliche Fragen aufzuwerfen, und sei ihm dies auch gelungen. Infolge des Umstandes, dass es in diesem Falle nicht genügt, die Stel¬ lungnahme der Majorität zu sichern, sondern die Vermeidung langer und heftiger staatsrechtlicher Debatten angestrebt werden musste, sei ihm dies nur durch die loyale und patriotische Haltung der Führer der Opposition ermöglicht worden, mit welchen er Fühlung genommen hätte, und die sich damit einverstanden erklärt hätten, dass derselbe Vorgang beobachtet werde wie im ersten Halbjahr des lau¬ fenden Budgetjahres, also ohne Einberufung der Delegationen. Hiemit sei die Frage erledigt. Natürlich sei dieses Vorgehen kein Präjudiz und nur mit Rücksicht aufdie durch den Krieg geschaffenen ausserordenthchen Verhältnisse ermöglicht. Der k.k. Ministerpräsident dankt dem königlich ungarischen Mini¬ sterpräsidenten für seine Bemühungen und drückt seine Befriedigung darüber aus, dass es demselben gelungen ist, eine Frage zu lösen, welche sonst grosse Schwierig¬ keiten bereitet hätte. Graf Tisza bemerkt: es sei immerhin möglich, dass einige Mitglieder der Opposition gegen die ins Auge gefasste Lösung Widerspruch erheben würden. Sollte dies geschehen, so würde er erklären, dass die ungarische Regierung mit Rücksicht auf die ausserordentlichen Verhältnisse die gemeinsame Regierung mit Ihrer Verantwortung decke. Der Vorsitzende drückt seine hohe Befriedigung über die glückliche Lösung aus und dankt auch seinerseits dem königlich ungarischen Ministerpräsi¬ denten für seine Bemühungen und das bewiesene Entgegenkommen. Er geht nunmehr auf den zweiten Punkt der Tagesordnung über, auf die Frage der Beschaffung von U-Booten. Er will es dem anwesenden Herrn Vertreter des Chefs der Marinesektion über¬ lassen, die marinetechnischen und strategischen Gründe auseinanderzusetzen, die diese Frage zu einer sehr dringlichen machen. Er wolle hier nur den Antrag, den die Marine-Sektion in einer an die beiden Regierungen gerichteten Note gemacht habe, der wohlwollenden Berücksichtigung anempfehlen. Die im modernen See¬ kriege so hochbedeutsame Waffe der U-Boote sei bei uhs bedauerlicherweise noch sehr zurück. Eine sofortige Ergänzung dieser Lücke sei leider nicht möglich. Es müsse aber die Zuversicht der Marine haben, wenn sie wüsste, dass man daran sei, das Versäumte nachzuholen, und dass an neuen U-Booten gearbeitet werde. Wenn dieselben vielleicht auch nicht mehr für diesen Krieg in Betracht kämen, so sei die Sicherheit der Neubeschaffung eine Beruhigung für die Marine und würde vielleicht auch unsere Gegner impressionieren. 286 <pb/> Der Stellvertreter des Chefs der Marinesektion ver¬ weist auf seine Zuschriften, welche die Anträge der Marine-Sektion enthielten. Er glaube, dass die Anforderungen minimale seien und die Marine berechtigt sei, sie zu stellen. Er wolle nun in Kürze auf den Zustand unserer U-Boote verweisen. Bei Ausbruch des Krieges hatten wir bekanntlich 6 U-Boote gehabt, von welchen zwei neun Jahre, zwei achteinhalb Jahre und zwei siebeneinhalb Jahre alt seien. Da diese Boote auch als Schulboote benützt werden mussten, waren sie bereits vor einem Jahre stark abgenützt. Trotzdem hatten sie Grosses geleistet, wenn auch als drohendes Gespenst bei jeder Ausfahrt die Gefahr bestand, dass das U-Boot infolge seines Alters und der eventuell eintretenden Materialschäden nicht mehr wieder¬ kehren würde. U 1 und U 2 seien von einer amerikanischen Firma gebaut und nicht verwendbar. Bei einer Fahrt, die U 1 vor einem Monat von Cattaro nach Sebenico gemacht hat¬ te, sei es in zusammengebrochenem Zustande dortselbst eingelaufen. U 3 und U 4 seien gute Boote gewesen. U 3 sei gesunken, U 4 befinde sich in Generalreparatur. Bei U 5 und U 6 bestünde immer die Gefahr einer Gasolinvergiftung. Nach Ausbruch des Krieges sei ein bei der Firma Whitehead liegendes U-Boot rasch angekauft und als U 12 in die Marine eingereiht worden. Es habe viel gelei¬ stet, liegt aber leider mit seinem heldenmütigen Führer und seiner tapferen Beman¬ nung auf dem Grunde des Meeres. U 14 (die frühere Madame Curie") habe leider den gehegten Erwartungen nicht entsprochen. Dann seien 5 U-Boote der B-Klasse erworben worden. Mit ihrer geringen Was¬ serverdrängung, 120 Tonnen ausser Wasser und 140 Tonnen im eingetauchten Zustande, und ihrer geringen Geschwindigkeit, 6.6 Meilen ober Wasser und 4 Mei¬ len unter Wasser, könne man sich mit ihnen nicht aufs offene Meer hinauswagen. Sie seien gewissermassen nur zum Schutze der Küsten, müssten stille liegen und warten, ob ihnen der Gegner über den Weg komme. So sei es auch einem derselben gelungen die »Amalfi« zu torpedieren. Das Bewusstsein, nicht ein einziges wirklich verlässliches U-Boot zu haben, wirke lähmend auf die ganze Marine. Er habe in seiner Zuschrift das Ersuchen gestellt um Bewilligung von 6 U-Boo¬ ten der vergrösserten B-Klasse und 6 Germania-Booten. Die Boote der vergrö- sserten B-Klasse liefen 9 Meilen und könnten im Frühjahr fertiggestellt sein. Aber nur mit den Germania-Booten sei es möglich den Krieg in fernere Meere zu tragen. Er weist auf die Wirkung hin, die in ganz Italien fühlbar würde, wenn ein öster¬ reichisch-ungarisches U-Boot an der Westküste der appeninischen Halbinsel er¬ scheinen würde. Heute aber könnten wir nicht einmal nach Tarent. Kein Staat habe solche U-Boote wie wir. Die deutsche Regierung habe soeben 36 Germania-Boote in Bau gegeben. Über Ersuchen habe uns Deutschland die Pläne für die U-Boote der vergrösserten B-Klasse und der Germania-Boote über- a) Das Wort »Madame« nachträglich gestrichen. 287 <pb/>lassen. Es könnten daher die angesprochenen Boote, falls sie bewilligt würden' auf den heimischen Werften, der Danubius-Werfte und dem Cantiere Navale gebaut werden. Der Vollständigkeit halber wolle er hier nur noch erwähnen, dass der Cantiere Navale zur Zeit in Budapest auf den Werften der Donau-Dampf- schilfahrtsgesellschaft arbeite. Im abgelaufenen Budgetjahr, welches fast zur Gänze ein Kriegsjahr war, habe die Marine 190 Millionen verbraucht. Das Friedensbudget hätte 177.8 Millionen aus¬ gemacht. Es ergebe sich daher für den Krieg ein Mehraufwand von 12 Millionen. Er sei der Ansicht, die Marine habe ein Anrecht auf eine Zuwendung. Was mög¬ lich gewesen sei, wurde geleistet, ein grosser Erfolg sei mit den vorhandenen Mitteln aber nicht möglich. Trotzdem sei die Marine gefürchtet. Seinen Nachrichten zufolge sei kein feindlicher Kreuzer mehr in der Adria. Von jener oben angegebenen Summe von 12 Millionen seien aber auch die Kosten für U 12, für den für China in Bau gelegten und dann von uns übernommenen Zer¬ störer »Warasdiner«, für die Donau-Monitore »Temes« und »Sava«, für 4 Patrouil¬ lenboote und 3 Weserboote, im Gesamtbeträge von 11 Millionen beglichen wor¬ den. Es bleibe daher als effektive Mehrausgabe die Summe von einer Million übrig. Diesmal verlange die Marine 40 Millionen und glaube er, dass seine vorstehen¬ den Ausführungen genügen, um die Berechtigung dieses Verlangens zu beweisen. Er wolle aber nur noch erwähnen, dass Seine k.u.k. Apostolische Majestät einer Meldung über das Resultat der Verhandlungen entgegenzusehen geruhen. Der Vorsitzende empfiehlt die Anträge des Vorredners der Berücksichti¬ gung durch die beiden Regierungen und knüpft daran die Frage, ob hierüber sofort in meritorische Verhandlung eingetreten werden solle oder ob man die Entschei¬ dung auf später verschieben wolle, bis auch die Frage der Bedeckung erwogen wor¬ den sei. Graf S t ü r g k h spricht zunächst zur formellen Seite der Frage. Er habe die Note der Marinesektion vor wenigen Tagen erhalten und habe, sich sofort an den Finanzminister gewendet, dessen Rückäusserung er entgegensehe. Er werde dieselbe beschleunigen und möchte bitten, dass im Momente kein definitives Votum ver¬ langt werde. Er wolle sich nun damit beschäftigen, wie diese Ausgabe in das finanzielle System hineinzubringen sei. Es handle sich hier um eine Aufwendung, die zum mindesten nicht in ihrer Gesamtheit zu den Mobilisierungsauslagen zu rechnen sei. Vielleicht könnten noch die 6 U-Boote der vergrösserten B-Klasse, die im Frühjahr fertiggestellt sein könnten, unter diesen Begriff fallen, die 6 Ger¬ mania-Boote aber wohl kaum. Er erinnert an die Beschlüsse der gemeinsamen Ministerkonferenz vom 3. Februar und vom 18. Juni 1. J., in welchen unterschie¬ den wurde zwischen Auslagen, die sicher unter die Mobilitätskredite fielen, und solche, die sich auf die Heeresausrüstung beziehungsweise Wiederaufbau nach dem Kriege bezögen. Ein Beschluss der gemeinsamen Ministerkonferenz könnte dadurch erleichtert werden, dass man an eine Umwidmung bereits votierter Beträge schreite. Die Er¬ fahrungen des Seekrieges hätten Zweifel erweckt an der Nützlichkeit des weiteren Ausbaues von Dreadnoughts und hätten gelehrt, dass die U-Boote die wichtigste Waffe seien. Es könnte ein Umwidmungsbeschluss gefasst werden, der den Ent- 288 <pb/>Schliessungen der Delegationen vorgreift. Wenn diese Körperschaft wieder einmal versammelt sei, könne man darauf verweisen, dass während der Pause in ihrer Tagung bereits bewilligte Beträge einem anderen dringlicheren Zwecke zugeführt worden seien, als jenen für den sie ursprünglich votiert worden waren, und die nachträgliche Umwidmung eines Teiles der bewilligten Marine-Kredite genehmi¬ gen lassen. Was die materielle Dringlichkeit der Frage betreffe, so könne darüber wohl bei niemandem ein Zweifel bestehen. Graf T i s z a führt aus: was das Wesen der Sache betreffe, sei er eines Sinnes mit seinem Vorredner und könne gegen die Beschaffung der 6 kleinen Boote kein Hindernis bestehen. Schwieriger erscheine die Frage mit den grossen Booten. Aber auch da glaube er, einen Zusammenhang zwischen Kriegsziel und Bau dieser Boote konstatieren zu können. Die Tatsache, dass die Marine an dem Ausbau unserer Unterseeboot-Flotille arbeite, könne jedenfalls dazu beitragen, den Willen zur Fortsetzung des Krieges beim Feinde zu mindern. Die Ausgabe erscheine ihm daher auch aus diesem Ge¬ sichtspunkte nicht verloren. Was die formelle Seite der Frage betreffe, so glaube er, man könne sich dafür aussprechen, schleunigst die Zustimmung der Regierungen zu erlangen und das Resultat der Marine-Verwaltung in kurzem Wege mitzuteilen. Er seinerseits werde diesbezüglich sofort das Nötige veranlassen. Graf S t ü r g k h schhesst sich für seine Person den Ausführungen des ungari¬ schen Ministerpräsidenten an und wird bei der k.k. Regierung die nötige Bewilli¬ gung zu erlangen trachten. Übrigens sei ja auch ein bereits bewilligter und nicht aufgebrauchter Marine-Kredit von 20 1/2 Millionen Kronen vorhanden. Graf T i s z a knüpft an eine Bemerkung des Grafen Stürgkh an, wornach zwischen Ausgaben für die Zeit des Krieges und für die Zeit nach dem Kriege zu unterscheiden wäre und führt aus: Es kommen vom Kriegsministeriumverschiedene Anregungen und Pläne über Umgestaltung und Neuorganisierung der Armee, die weit über den jetzigen Krieg hinaus reichen. Es erscheine ihm nicht tunlich, ein¬ zelne Fragen herauszureissen und zu denselben gesondert Stellung zunehmen, bevor das Ganze überblickt werden könnte. Es müsse nach dem Krieg bei Wiederaufbau der Armee ja nicht nur mit den Bedürfnissen des Heeres, sondern auch mit der wirtschaftlichen Kraft der beiden Staaten der Monarchie gerechnet werden. Es er¬ scheine ihm zweckmässig, den Kriegsminister zu ersuchen, den ganzen Komplex der grossen Fragen, die mit der Neu-Organisation und Neu-Ausrüstung der Armee Zu¬ sammenhängen, den beiden Regierungen mitzuteilen, welche erst hiedurch in die Lage kommen werden, sich meritorisch mit solchen Fragen zu befassen, welche über das unmittelbare jetzige Kriegsziel hinausgehen. Der k.u.k. Kriegsminister erwähnt, die österreichische Regierung habe von ihm eine Ziffern- und zahlenmässige Zusammenstellung all dieser Fragen verlangt. An diesem Elaborate werde nun gearbeitet und werde er es seinerzeit den beiden Regierungen vorlegen. Graf Stürgkh frägt sich, ob es sich nicht empfehlen würde, ungeachtet der von Graf Tisza angeregten Zusammenfassung, gewisse Punkte abgesondert zu 19 Komjäthy: Protokolle 289 <pb/>behandeln. Es schwebe ihm hiebei besonders die nach dem Kriege notwendig werdende Neu-Ausrüstung mit Infanterie-Gewehren vor. Diesbezüglich müssten ja doch in den Fabriken rechtzeitig Vorbereitungen getroffen werden, damit sie bereit wären die Arbeit sofort zu beginnen, wenn ihnen die Bestellungen einmal wirklich übertragen würden. FZM. von Krobatin teilt mit, er hätte eine diesbezügliche Note des Grafen Tisza erhalten. Prinzipiell hätte die ungarische Regierung nichts dagegen, dass er durch Verhandlungen mit den beiden Fabriken eine Basis für die späteren Bestel¬ lungen schaffe. Er habe daher auch solche Verhandlungen eingeleitet. Gegen das Ergebnis derselben hätte die ungarische Regierung Bedenken gehabt und mussten die Verhandlungen daher neu aufgenommen werden. Der Standpunkt der öster¬ reichischen Regierung sei ihm noch unbekannt. Wenn er denselben einmal kenne, werde er ihn mit dem ungarischen Standpunkt vergleichen, auf Grund dieses Studiums abermals Verhandlungen mit den Fabriken einleiten und deren Ergeb¬ nis den beiden Regierungen bekannt geben. Graf Tisza meint, dass diese Frage ja insoferne erleichtert sei, als die beiden Gewehrfabriken ja heute keine fixen Bestellungen brauchen, sondern nur die fixe Zusicherung, dass sie mit allen Gewehrbestellungen im Frieden auf eine Reihe von Jahren betraut werden würden. Graf S t ü r g k h verspricht, die seitens des Herrn Kriegsministers erwartete Äusserung der österreichischen Regierung ehestens erstatten zu wollen. Nun ergreift der Vorsitzende das Wort. Es sei nunmehr an der Zeit, sich mit der Frage der Zukunft des Königreiches Polen zu befassen. Die Erwerbung Polens sei nicht Kriegsziel gewesen, die Sorge um sein Schicksal dürfe daher auch nicht die Erwägung in den Hintergrund drängen, dass der Zweck dieses Krieges vor allem darin gelegen sei, die Monarchie vor einer Wiederholung solcher Angriffe von aussen zu sichern, deren Opfer sie gegenwärtig sei. Die Frage der Zukunft des Königreiches Polen ist aber von selbst in den Vor¬ dergrund getreten. Der polnische Boden war Kriegsschauplatz und ist nunmehr als erobertes Gebiet in den Besitz der verbündeten Zentralmächte gelangt. Es sei daher notwendig, sich mit dieser Frage eingehend zu beschäftigen und dieselbe auch mit der deutschen Regierung zu besprechen, um eine prinzipielle Einigung zu erzielen. Solange die Erwägung im Vordergründe stand, dass Kriegszufälle nicht ausgeschlossen, und solange Polen gewissermassen nur die Rolle eines Pfandes oder einer Kompensation bei den künftigen Friedensverhandlungen zugedacht war, solange konnte man die Besprechung der Frage hinaussehieben. Heute sei dies anders. Es bestünde wenig Wahrscheinlichkeit, dass Russland das polnische Königreich zurückerobern könnte. Die Tatsache, dass nach Beginn des Positionskrieges gegen Russland weite Gebiete des Königreiches in unsere Verwal¬ tung übergangen seien, erheische eine Stabilisierung und Ausgestaltung der Ver¬ hältnisse. Auch sei es nicht möglich, der Bevölkerung noch länger jeden Einblick in unsere Absichten zu verwehren. In Übereinstimmung mit der deutschen Regierung sei es beabsichtigt, Polen in den Interessenkreis der Zentralmächte zu ziehen, und zwar sei seine Angliederung an die Monarchie in Aussicht genommen. Viele Einwendungen seien gegen diese 290 <pb/>Absicht laut geworden, und habe man gewarnt vor den grundlegenden Verände¬ rungen, die diese Angliederung im Gefüge der Monarchie haben würde. Auch von Berlin aus seien Bedenken erhoben worden und entstünden dieselben einesteils aus der Sorge, dass die Lage der Deutschen in Österreich durch Zuwachs einer grossen slavischen Majorität gefährdet werden könnte, andererseits aus der Be¬ fürchtung, dass die bevorzugte Stellung Russisch Polens eine unerwünschte Rück¬ wirkung auf die Polen in Preussen haben könnte. In der letzten Unterredung, die er mit dem Reichskanzler gehabt hätte, habe ihm Herr von Bethmann-Hollweg die Sorge um die Zukunft der Deutschen in Österreich olfen eingestanden, wobei er aber ausdrücklich betonte, er wolle sich nicht in innere Angelegenheiten Öster¬ reichs mischen, er müsse aber seiner Besorgnis Ausdruck geben, denn die öffentli¬ che Meinung Deutschlands würde es nicht gestatten, das die Deutschen Österreichs preisgegeben würden. Eine gedeihliche Lösung der polnischen Frage könne aber nur im Einvernehmen mit Deutschland gefunden werden und müsse sie daher auch im Einklang mit der öffentlichen Meinung Deutschlands gesucht werden. Von der Besorgnis der etwaigen unerwünschten Rückwirkung auf die Polen Preussens habe ihm Herr von Bethmann-Hollweg allerdings nicht gesprochen und doch bestünde diese Besorgnis. Man fürchte an manchen Stellen, dass durch die Vereinigung Galiziens mit Polen die preussische Polenpolitik sehr erschwert würde. Diese Besorgnisse seien der Nährboden für die in Deutschland immer wieder auftauchenden Ideen einer abermaligen Teilung Polens. Zur Zeit sei die ins Auge gefasste Lösung der polnischen Frage die Angliederung des Königreiches Polen an die Monarchie. Er übersehe keine der Schwierigkeiten, die sich dieser Lösung entgegenstellen und unterschätze deren Bedeutung nicht. Die eiserne Notwendigkeit zwinge uns aber, einen Weg zur Beseitigung dieser Schwierigkeiten zu finden. Sollten wir Polen nicht an uns heranziehen, so bliebe für die polnische Nation und auch für uns ein Ausblick auf Erschwerungen. Was immer dann mit Polen geschehe, werde sich in der polnischen Nation, die bisher durch russischen Druck nullifiziert war, ein Irredentismus entwickeln, ärger als der in Serbien, Rumänien und Italien bestehende und endlich stünden wir vor der Gefahr des Verlustes von Galizien. Was die Frage betrifft, was mit Polen innerhalb der Monarchie zu geschehen hätte, so könnte -die Lösung nur in der Angliederung an Österreich erfolgen. In vorhergegangenen formlosen Besprechungen habe er feststellen können, dass die Möglichkeit eines Trialismus von allen kompetenten Faktoren abgewiesen werde. Ein solcher wäre auch speziell für Ungarn ganz ausgeschlossen, da er mit den Bestimmungen der pragmatischen Sanktion und den Gesetzen des Jahres 1867 in Widerspruch stünde. Aber auch für Österreich könnte ein solcher sehr bedenklich werden. Wie diese Angliederung Polens an Österreich zu erfolgen hätte, sei aller¬ dings eine interne Frage Österreichs. Die grossen prinzipiellen Vorfragen aber, die das Gefüge der Monarchie berühren, müssten gemeinsam besprochen und erledigt werden. Dies erheische das allgemeine Interesse, da die Einfügung Polens ohne Störung vor sich gehen und eine Stärkung der Monarchie bedeuten solle. Diese Erwägung schwebe auch der kaiserlich deutschen Regierung vor. Man habe sich 19« 291 <pb/> ihm gegenüber auch in Berlin dahin ausgesprochen, dass man eine starke gegen Russland gesicherte Monarchie wünsche. Damit aber die Vereinigung Polens mit der Monarchie eine Stärkung und keine Schwächung für dieselbe bedeute, sei es notwendig, dass sie sich freiwillig vollziehe und sich die Polen bei uns wohl fühlten. Der Reichskanzler habe ihm auch den Wunsch ausgesprochen, über die beabsichtigte Art der Angliederung orientiert zu werden. Er konnte ihm diesen Wunsch nicht abschlagen, sei demselben aber bis zur Stunde nicht nachgekommen. Nun habe er sich vor einiger Zeit an den Herrn k.k. Ministerpräsidenten mit dem Ersuchen gewendet, ihm die Grundlinien zu skizzieren, nach welchen er sich die Angliederung Polens an Österreich denke und ihn zu ermächtigen, dieses Elaborat Herrn von Bethmann-Hollweg zur Kenntnis zu bringen. Diesem Ersuchen sei Graf Stürgkh nachgekommen und habe die den Mitgliedern der gemeinsamen Ministerkonferenz vorliegende Skizze ausgearbeitet (Hier beige¬ schlossen sub Beilage A)a. Er wolle dieselbe nun hier besprechen, da ihm einige Punkte derselben, speziell mit Rücksicht auf die beabsichtigte Mitteilung an Herrn von Bethmann-Hollweg ergänzungsbedürftig erscheinen. Das Elaborat gehe von derselben Voraussetzung aus, die auch ihn bei seinen Ausführungen geleitet hätte. Es sei der Beruf und die Pflicht Österreichs Polen eventuell aufzunehmen und zu prüfen, wie dies geschehen könnte, ohne den Bestand und die Struktur Österreichs zu gefährden und ohne andererseits die berechtigten Interessen Polens zu schädigen. Auf diese zwei Erwägungen gründen sich auch die folgenden Bemerkungen. Es ist klar, dass jeder Plan einer Einfügung mit der Notwendigkeit einer Auto¬ nomie und Sonderstellung rechnen müsse. Andererseits sei die Einheitlichkeit des Kaiserreiches Österreich, ein Festhalten an einer Zentralgewalt notwendig. Daraus entstünden nun die Schwierigkeiten. Dass die Polen eine Sonderstellung erhalten müssen, ergibt sich nicht nur aus ihrer grossen Anzahl, sondern auch aus der Erwägung, dass wir zufriedene Polen brauchen. Wir könnten das eroberte Gebiet einfach nach Kriegsrecht behandeln und damit nach Beheben Vorgehen. Damit wäre aber nichts gewonnen. Im Gegen¬ teile. Eine grosse auch kulturell hochstehende Nation lasse sich nicht ohne schwe¬ re Kämpfe unterdrücken. Diese Kämpfe würden einen Teil der Kräfte der Monar¬ chie absorbieren und so würde die gegen den Willen der Polen erfolgte Vereinigung eine Schwächung der Monarchie bedeuten. Es muss den Polen daher eine Sonder¬ stellung gewährt werden. Hier wolle er einige Worte über die Wünsche der Polen sagen. Bis vor kurzem waren dieselben vollkommen unergründlich. Heute, wo unsere Truppen im Königreiche stehen, unsere Verwaltung dort funktioniert, die Berüh¬ rungspunkte sich mehren, kommt auch allmählich grössere Klarheit. Durch den Druck der russischen Herrschaft erscheint das nationale Selbstbewusstsein sehr eingeschläfert und war nur der Wunsch massgebend, sich mit den gegebenen Ver¬ hältnissen so gut als eben möglich abzufinden. Heute, wo wie durch einen Zauber- ot) Den Text des Elaborates s. im Anschluß an das Protokoll. 292 <pb/>schlag ihre Ketten gefallen sind, ergeht es den Polen, wie einem, der lange in finsterem Kerker geschmachtet hat und plötzlich ans Sonnenlicht hinaustritt. Er steht geblendet da. So auch bei den Polen. Angst, Verschüchterung, Scheu sich zu manifestieren, oder gar zu kompromittieren, mangelndes Vertrauen in die Zukunft. Dies waren die Empfindungen, die den Polen anfänglich beherrschten. Man konnte daher auch im Anfänge auf keinerlei Mitwirkung von ihrer Seite rechnen. Später wurden sie etwas wärmer, vermieden es aber doch noch ängstlich, sich irgendwie zu kompromittieren. Auch wir konnten den Polen noch nichts sagen, konnten kein Programm aufstellen. Jetzt aber ist der Moment gekommen, dass wir die Polen entweder von uns wei¬ sen, oder aber sie an uns ziehen, ihnen sagen müssen, dass die Zentralmächte sich ihrer Geschicke annehmen und ihren nationalen Bedürfnissen entgegenkommen werden. Das Minimum dieser Bedürfnisse sei nationales Ausleben. Man könne versichert sein, dass mit Ausnahme einiger nicht ernst zu nehmender politischer Hitzköpfe kein massgebender polnischer Pohtiker ernstlich an die Wiederherstellung des selbständigen polnischen Reiches denke. Sie erblicken darin die grösste Gefahr für ihre Selbständigkeit und befürchten eine Wieder¬ holung des historischen Konfliktes mit Russland, der schliesslich am Ende des 18. Jahrhundertes zum Untergange Polens führte. Daher besteht das Bedürfnis der Anlehnung an die Zentralmächte. Voraussetzung hiefür ist aber, dass Polen bei den Zentralmächten sein nationales Ausleben findet. Das Studium der Verhältnisse in Galizien hat die Polen gelehrt, dass ihre Wünsche in einer Angliederung an Österreich in Erfüllung gehen könnten. Die Grundzüge der Einghederung müssten nach den Kräfteverhältnissen beur¬ teilt werden. Den Erwägungen, die in der Skizze des k.k. Ministerpräsidenten niedergelegt seien, schliesse er sich im ganzen an, möchte sich aber nur erlauben, zu drei Punkten Bemerkungen zu machen und zwar: a) Parlamentarische Vertretung, b) finanzielle Autonomie, c) Autonomie Polens im Hinblick auf die Wehrverfassung. Die Stellung Polens wird durch die Art seiner parlamentarischen Vertretung in Österreich charakteri¬ siert werden. Die Art seiner Vertretung in der Österreichischen Delegation wird im Schosse derselben zu regeln sein. Vertretung Polens im österreichischen Reichsrate. Hier schhesst sich das Elabo¬ rat dem Muster an, welches durch die Art der Vertretung Kroatiens im ungarischen Reichstage gegeben ist. Er wolle hier nur auf die grossen numerischen Unterschiede hinweisen. Während sich die Verhältniszahl Kroatiens zu Ungarn wie 1 :8 stelle, stehe das Verhältnis Polens (mit Einschluss von West- und Mittelgalizien) zu dem übrigen Österreich wie 1 : 1 1/2. Es ginge nicht an, dass eine numerisch so starke Nation nur durch eine kleine Delegation an den wichtigsten Arbeiten des Reichs¬ rates Teil nehme und würden sich die Polen mit einer Stellung nicht begnügen, durch welche sie den anderen Nationen Österreichs so offensichtlich nachgestellt würden. 203 <pb/> Auch dem Reichskanzler würde die durch diese Art der Vertretung hervorge¬ rufene Benachteilung nicht entgehen. Er glaube daher, das Elaborat in seiner jetzigen Form nicht zur Kenntnis desselben bringen zu sollen und ersuche den k.k. Ministerpräsidenten, es ad usum delphini durch einen zweiten Eventualvorschlag ergänzen zu wollen. Als solcher erscheine ihm folgender erwägenswert: Polen erhalte eine weite Autonomie und wäre auch in den gemeinsamen Delegationen vertreten. Zwischen Inner-Österreich und Polen bestünde auch eine aus dem Reichsrate und dem pol¬ nischen Landtage hervorgegangene Delegation. Auf diese Weise sei in legislativer Hinsicht die Parität gewahrt. Er würde wünschen, dass die Modalität in das Elabo¬ rat aufgenommen würde und hoffe, dass damit den deutschen Einwendungen begegnet werden könnte. Er richte diese Bitte an den k.k. Ministerpräsidenten nur zwecks glatter Erledigung seiner Verhandlungen mit Berlin. Behandlung der finanziellen Angelegenheiten. Die Finanzpolitik Österreichs muss einheitlich sein und die finanzielle Autono¬ mie Polens muss sich darin fügen. Hier sieht das Elaborat zwei Modalitäten vor. Die erste in Anlehnung an den kroatischen Ausgleich weist Polen einen aliquoten Teil der staatlichen Einkünfte des Landes zu, die zweite überlässt Polen eine gewisse Kategorie von Einnahmsquellen. Was die erstere Modalität betrifft, so wollte er abermals auf den Unterschied hinweisen, der zwischen Polen und Kroatien liege, nicht allein an Bevölkerungs¬ zahl, sondern auch an wirtschaftlicher Kraft und Entwicklung bestehe. Auch glaube er, dass Polen schon aus Prestigegründen eine solche Kontingentierung nicht gerne sehen würde. Die zweite Modahtät, die Überlassung gewisser Einnahmsquellen erscheine ihm sehr schwierig. Er wolle hier nicht näher darauf eingehen, wolle aber nur bemerken, dass ihm hier das Weniger das Mehr zu sein scheine. Er möchte zur Erwägung stel¬ len, ob den voraussichtlichen Aspirationen der Polen nicht besser dadurch gedient wäre, wenn diese Frage einfach analog wie in den anderen Kronländern geregelt würde. Die Landesfinanzen in Polen würden durch Landesumlagen ausgiebig ausgestaltet werden können und die Interessen der Staatsfinanzen gewahrt bleiben. Seine Bitte gehe dahin, auch in diesem Punkte das Elaborat ad usum delphini zu ergänzen und eine Anregung betreffs Ausgestaltung der Landesfinanzen zum Gegenstand der Prüfung zu machen. Der dritte Punkt, zu welchem er sprechen wolle, fehle im Elaborate und das sei die Wehrverfassung. Aus vertraulichen Mitteilungen angesehener Polen kenne er deren Wunsch. Sie seien für die einheitliche Armee, wünschten aber eine eigene Landwehr, welche zur österreichischen Landwehr in demselben Verhältnisse stünde, wie die kroatische Landwehr zur ungarischen. Er ersuche, dass dieser Punkt nicht in das Elaborat aufgenommen werde, bitte aber um die Ermächtigung auf eine etwaige deutscherseits gestellte Anfrage andeuten zu können, dass die polnische Landwehr dieselbe Stellung haben würde, wie die kroatische (Sprache, Fahne). Graf S t ü r g k h. Wenn auch die Angliederung Polens an die Monarchie eine Sache der gemeinsamen Interessen sei, so müsse er als österreichischer Minister- 294 <pb/>Präsident sich schon darum in erster Linie mit ihrer Rückwirkung befassen, weil bei Aufrechterhaltung des Dualismus die Durchführung dieser Anghederung eine Aufgabe Österreichs zu bilden haben werde; er gestehe offen, dass er nur mit grössten Bedenken auf diese die vitalsten Nerven des Staates berührende Frage eingehe. Es werde sich vielleicht herausstellen, dass diese Angliederung eine historische und aussenpolitische Notwendigkeit für die Monarchie sein werde. Man dürfe sich aber die Bedenken und Gefahren nicht verhehlen, die mit jederunter obiger Voraus¬ setzung möglichen Lösung verbunden seien. Österreichs Charakter müsse vor allem gewahrt werden. Wenn die den Polen zufallenden Rechte an der Monarchie und an Österreich nach der Verhältniszahl der polnischen zu der übrigen Bevölkerung bemessen wer¬ den sollten, dann sei Österreich verloren, dann wäre dieses alte Reich, das so manche schwere Stürme siegreich überstanden, nichts wie ein Annex eines Körpers, in dem zur Zeit politisch chaotische Zustände herrschen und noch lange herrschen würden. Nicht Abneigung gegen die Polen ist es, die ihn so sprechen lasse, sondern die lang¬ jährige Erfahrung, die er mit ihnen gemacht. Der Pole ist und bleibt nur Pole und nach ISOjähriger Vereinigung Galiziens mit Österreich ist er noch kein Österrei¬ cher. Unberührt von der Tradition dieses Reiches, fremd den anderen Nationali¬ täten desselben gegenüber und auch von ihnen unverstanden, lebt er sein Leben für sich. Wenn dies heute schon von den Polen in Österreich gelte, was werde erst dann sein, wenn ihre Zahl durch die 12 Millionen von Polen aus dem Königreiche ver¬ mehrt ist? Heute sind ihre Sympathien vielleicht nach Österreich gerichtet, weil die in Gahzien herrschenden Verhältnisse pohtisch freier Betätigung ihren Wünschen entsprechen. Wenn ihnen eine weitgehende Autonomie gewährt würde und die Zentralgewalt wenig Ingerenz hätte, so würde der Wunsch nach dem selbständigen Königreiche, der in jedem Polen schlummert, vorherrschen und schliesslich auch sein Ziel erreichen. Wenn aber dies Äusserste auch nicht erfolge, so würden wir einen grossen selbständigen Körper schaffen, der ziemlich unabhängig von der Zentralgewalt, dabei mit grossen Rechten in der parlamentarischen Vertretung nach seiner numerischen Zahl einen solchen Druck ausüben würde, dass Öster¬ reichs Charakter verloren ginge. Immer stärker treten auch diese Befürchtungen in den politischen Kreisen namentlich innerhalb der Deutschen in Österreich hervor. Er möchte noch kurz darauf hinweisen, dass eine weitgehende Autonomie der Polen staatsrechtliche Wünsche bei anderen Nationen auslösen und Vereinigungs¬ bestrebungen wecken könnte, die sowohl für Österreich als für Ungarn gleich gefährlich seien. Dass Polen eine gewisse Sonderstellung gegenüber den anderen österreichischen Kronländern bekommen müsse, sei klar, aber noch notwendiger sei es, dass sich auch in diesen Gebieten die Zentralgewalt fühlbar mache und vor allem, dass Österreichs Charakter, Österreichs Bestand gewahrt bleibe. Eine befriedigende Lösung im Rahmen der jetzigen Verhältnisse gebe es seiner Ansicht nach über¬ haupt nicht, er habe in seinem Elaborate nur darnach gestrebt, die mit der versuch¬ ten Lösung verbundenen Gefahren möglichst einzudämmen. Alles müsse erwogen werden, sowohl der Einfluss, der den Polen auf innerpolitische, als auch der, der 295 <pb/>ihnen auf gemeinsame Angelegenheiten eingeräumt werde. Er sei sich bewusst, dass sein Entwurf durchaus unvollkommen sei und dass so mancher Punkt ver¬ besserungsfähig und -bedürftig sei. Der Vorsitzende habe mit Recht die in dem Elaborate vorgesehene Art der parlamentarischen Vertretung Polens bemängelt und habe eine andere Eventuali¬ tät zur Erwägung vorgeschlagen dahin gehend, dass über die nach dem Entwurf dem Reichsrate vorbehaltenen Angelegenheiten Abordnungen aus dem Landtage und dem Reichsrate zu beraten hätten. Auch ihm sei bei Verfassung seines Elaborates diese Möglichkeit vorgeschwebt, doch habe er sich gescheut, dieselbe niederzuschreiben in Anbetracht der vielen schweren Bedenken, die dagegen bestünden. Gewisse Vorzüge dieser Idee springen einerseits in die Augen. Der Reichsrat und der polnische Landtag entsenden aus ihrer Mitte Abordnungen, die ein mittel¬ bares Mandat hätten. Die Stärke der polnischen Abordnung könnte in ein ange¬ messenes Verhältnis zur Abordnung des Reichsrates gebracht werden. Verlockend wäre auch die Idee, dass die wichtigsten Staatsangelegenheiten von einem desi¬ gnierten Ausschuss beraten würden, wodurch die Verhandlungen rascher und sicherer vor sich gehen würden. Bedenklich wäre aber die andere Seite der Frage. Aus dem Kompetenzkreise des Plenums des Reichsrates würde ein Komplex von Fragen und gerade der wichtig¬ sten ausgeschieden und einem Ausschuss übertragen. Es würde gewissermassen Abgeordnete I. und II. Klasse geben. Ob sich das Abgeordnetenhaus diese capitis diminutio ruhig gefallen lassen würde, sei eine grosse Frage. Er fürchte, dass gerade der Anlass dieser capitis diminutio -- Polen -- bei der Abneigung, die gegen dieselben hier bestünde, heftigen Widerspruch gegen die beabsichtigte Mass- regel hervorrufen würde. Jedenfalls wäre diese sachlich gewiss wünschenswerte Einengung der Kompetenz des Reichsrates politisch ein nicht unbeträchtliches Wagnis. Er könne diese Möglichkeit immerhin in seinem Entwürfe ergänzend als Alter¬ native skizzieren, frage sich aber, ob sie durchführbar sei. Eine dritte Eventualität könne er sich überhaupt nicht denken. Einfacher sei die Frage bei den pragmatisch gemeinsam zu behandelnden Ange¬ legenheiten. Die Institution der Delegation bleibe im wesentlichen unverändert, nur die Zahl der Mandate müsste entsprechend vermehrt werden. Aber auch hier dürfte für die Heranziehung der Polen nicht der mathematische Schlüssel ange¬ wendet werden. Aber selbst wenn einmal vollkommene Klarheit über die Art der Angliederung Polens herrsche, werde es seiner Ansicht nach notwendig sein, eine absolutistische Übergangsetappe einzuschieben. Der zweite Punkt, der vom Herrn Vorsitzenden besprochen worden sei, sei die finanzielle Frage gewesen. Diesbezüglich habe er in seinem Elaborate bekanntlich zwei Modalitäten vor¬ geschlagen : 1. Vorgehen nach kroatischem Vorbild, 2. Reservierung gewisser Einnahmsquellen für das Land, 296 <pb/> Der Herr Minister des Äussern habe nun eine dritte Eventualität angeregt, nämlich die Ausdehnung des bestehenden Systems der Staats- und Landessteuern auf Polen. Er habe das kroatische Muster an erste Stelle gestellt mit Rücksicht auf die gro¬ ssen Schäden, die der Krieg in Polen verursacht habe und die namhaften Investi¬ tionen, die dort insbesondere für eine nähere Epoche in Aussicht stehen. Die Ver¬ treter aller anderen Volksstämme in Österreich, die eine Unterdrückung durch das Polentum befürchten, werden überhaupt nicht gerne zahlen, in der Erwägung, dass die Ansprüche Polens ins Uferlose steigen könnten. Die Kontingentierung sei eine Kautel dagegen, dass sich das Reich nicht für Polen verblute. Organisatorisch sei gegen die Idee, die Baron Buriän entwickelt hätte, nichts eihzuwenden. Es stünden nur die oben skizzierten Bedenken dagegen. Er sei aber bereit, auch diese Eventualität in seinem Elaborat aufzunehmen. Der dritte Punkt endlich, der hier zur Sprache gekommen sei, sei die Wehrver¬ fassung. Es erscheine ihm selbstverständlich, dass hier die Reichsgesetzgebung massge¬ bend sei. Uber die Frage etwaiger Sonderbestimmungen für Landwehr und Land¬ sturm im künftigen Polen sei durch die formale Kompetenzbestimmung materiell garnicht abgesprochen. Politisch werde es vielleicht nicht zu vermeiden sein, dass man der Landwehr und dem Landsturm gewisse Sonderrechte wie in Kroatien bewillige. Da es notwendig sei zu wissen, wie in Polen verwaltet werde und wie dort die Dinge lägen, müsste in allen Fragen die oberste Instanz bei den Wiener Zentral¬ stellen sein. Man würde in allen Zentralstellen polnische Abteilungen schaffen müssen, wodurch allerdings die Beamtenschaft der Zentralstellen einen stark ver¬ mehrten polnischen Einschlag erhalten würde. Der für Polen vorgesehene Minister ohne Portefeuille finde sein Analog in dem schon zur Zeit funktionierenden Minister ohne Portefeuille für Galizien. Er würde Sitz und Stimme im Ministerrate haben, dem Reichsrate verantwortlich sein und eine durch bestehende Normen festgelegte Ingerenz in allen die Interessen Polens tangierenden Fragen haben. An der Art der Bildung der österreichischen Ministe¬ rien würde dadurch nichts geändert und der Berufung von auch noch anderen Polen in das Kabinett nicht präjudiziert. Doch erwarte er, dass sich nach den Ereignissen dieses Kriegsjahres gegen Berufungen von Polen in das Kabinett politische Schwierigkeiten ernstester Art ergeben werden. Eine weitere mit der Sprachenfrage zusammenhängende Angelegenheit sei die Behandlung der zahlreichen und grossen deutschen Ansiedlungen in Polen, denen innerhalb der Sprachenregelung durch gewisse Spezialbestimmungen Rechnung zu tragen wäre. Seine Ausführungen resümierend, wolle er seiner Ansicht dahin Ausdruck geben, dass das Problem auf diesem Wege in völlig befriedigender Weise überhaupt nicht lösbar sei, man könne nur Mittel und Wege suchen, um die drohenden Gefahren einzuschränken und die bestehenden Bedenken zu mildern. Das Ziel der polnisch nationalen Bestrebungen, auch der gemässigten, sei auf dem hier vorgezeichneten Wege nicht zu erreichen. Es werde Unzufriedenheit erzeugt werden und hinter derselben werde der Gedanke und der Wunsch nach staatlicher Selbständigkeit immer stärker sich entwickeln. 297 <pb/> Graf T i s z a will kurz noch die allgemeine Seite der Frage erörtern, da er es an der Zeit hält, sich mit derselben eingehend zu befassen und sie auch mit Berlin zu besprechen. Die Freiheit unserer Entschlüsse müsse aber dabei gewahrt bleiben und wir dürften uns nach keiner Richtung hin die Hände binden. Wir könnten uns eventuell vor die Alternative gestellt sehen, dass wir auf der einen Seite auf Basis des territorialen Status quo mit Russland einen mit der Lösung des Balkanproblems in unserem Sinne, also mit dem Erreichen unseres eigentlichen Kriegszieles ver¬ bundenen befriedigenden Frieden schliessen könnten, während wir auf der anderen Seite bei Festhaltung Polens bis zum völligen Siege oder bis zur völligen Erschöp¬ fung kämpfen müssten, wobei nicht ausser Acht gelassen werden darf, dass das Erschöpfungsmoment früher bei uns als bei unseren Feinden eintreten muss. Man dürfe daher keinen Standpunkt einnehmen, der uns irgendwie binden könnte. Obwohl er also auf das entschiedenste gegen eine jede den Polen gemachte bindende Zusage Stellung nehmen müsste, stimmt er der Ansicht des Vorsitzenden zu, dass man es ihnen zu wissen geben könne, dass wir gegebenenfalls geneigt sind, Kongress-Polen an die Monarchie anzugliedern. Eine gewisse Orientierung der Polen über unsere Absichten ist nicht so sehr deswegen notwendig, um sie zu ermun¬ tern, als um sie von nicht realisierbaren Erwartungen und Forderungen zurück¬ zuhalten. Das eigentliche Ziel eines jeden Polen ist das ganz unabhängige Königreich und selbst eine trialistische Ausgestaltung der Monarchie, bei welcher der polnische Staat dieselben Rechte, wie Österreich und Ungarn erhalten würde, wird von ihnen gewissermassen als pis-aller betrachtet und geduldet. Dem gegenüber ist es höchste Zeit ihnen zu wissen zu geben, dass die dualistische Struktur der Monarchie ein noli me tangere bildet und ein jedes neu erworbene Territorium in den Rahmen des einen oder des anderen Staates eingefügt werden müsse. Es ist dies nicht nur ein Postulat des ungarischen Nationälstaates. Wie in allen grossen Fragen, so befinden sich auch hier die Rechte und Interessen Ungarns mit den Erfordernissen der Grossmachtstellung der Monarchie in vollständigem Ein¬ klänge. Weder die Dynastie, noch überhaupt kein Faktor, welcher sein Wohl in der Macht und Sicherheit der Donaumonarchie erblickt, könnte es ruhig zugeben, dass dieses neue Element, welches mit der Monarchie erst in Zukunft wirklich ver¬ wachsen und sein Schicksal mit demjenigen der Monarchie in Gutem und Bösem verknüpfen soll, einen solchen Einfluss auf die Orientierung unserer Politik erhal¬ ten wie es die Verwirklichung dieser trialistischen Idee mit sich brächte. Es wäre dies in höchstem Grade bedenklich auch vom Standpunkte unseres deutschen Verbündeten, da die jetzige Richtung unserer auswärtigen Politik die sichere Bürgschaft verlieren würde, welche sie in der paritätischen Stellung Ungarns besitzt und mit der Errichtung des polnischen Staates ein entschieden deutsch¬ feindliches Element hervorragenden Einfluss auf die auswärtige Politik erhalten würde. Es ist also vom Standpunkte aller einschlägigen Interessen die einzig zulässige Lösung in einer Einverleibung Polens in den österreichischen Staat zu erblicken, wobei die Hauptschwierigkeit in der Bemessung der den Polen zu gewährenden 298 <pb/>Autonomie und in der Sicherung einer möglichst zufriedenstellenden Situation für die Deutschen Österreichs gelegen ist. Bei diesem zweiten, auch das verbündete Deutsche Reich in so hohem Grade interessierenden Problem scheinen Manche die vorhandenen Miseren der jetzigen Lage der Deutschen aus den Augen zu verlieren. Nichts wäre misslicher, als von der ganz falschen Voraussetzung auszugehen, als ob ein befriedigender Besitzstand der Deutschen durch die Anghederung Polens gefährdet würde, und ausser Acht zu lassen, dass die Zukunft des deutschen Elementes in Österreich schon durch den heutigen Status quo schwer gefährdet erscheint. Wenn man also durch die zu er¬ richtende neue Ordnung die Lage der Deutschen in einigen wichtigen Zweigen des Staatslebens wesentlich bessert, ohne sie in den andern ganz preiszugeben, so hat man das Meiste erreicht, was überhaupt möglich erscheinen könnte. Er will ein Eingehen in die Details der Fragen vermeiden, da diese ja in erster Reihe Probleme der inneren österreichischen Politik seien. Anderseits haben sie einen solchen Einfluss auf die ganze Struktur und spätere Orientierung der Mon¬ archie, dass bei der Bestimmung der Hauptprinzipien eine gewisse Einflussnahme aller Faktoren stattzufinden habe und die Verantwortung Aller engagiert sei. Er wolle demnach die führende Rolle der k.k. österreichischen Regierung in dieser Frage ganz überlassen und sich auf einige Bemerkungen beschränken. Nach Angliederung Polens an Österreich werde es verschiedene Klassen von Agenden geben 1. die pragmatisch gemeinsamen Agenden, 2. die Agenden Inner-Österreichs, 3. die Inner-Österreich und Polen gemeinsamen Agenden. Wie schon Graf Stürgkh hervorgehoben habe, werde die Behandlung derpragma¬ tisch gemeinsamen Agenden keine Schwierigkeiten bereiten. Bei Behandlung der Agenden Inner-Österreichs werde die Stellung der Deutschen nach Lostrennung Galiziens eine sehr wesentlich bessere sein als früher. Nur bei den Polen und Inner-Österreich gemeinsamen Agenden bestünde eine wirkliche Schwierigkeit, um die Deutschen vor Überflutung zu retten. Sollte es bei der Anregung des Grafen Stürgkh verbleiben, dass zur Behandlung der Polen und Inner-Österreich gemeinsamen Angelegenheiten eine Anzahl von Abgeordneten des polnischen Landtages in den Reichsrat entsendet werden, so würde er glauben, dass die Interessen der Deutschen besser gewahrt würden, wenn die Abgeordneten, die der polnische Landtag zu entsenden hätte, direkt von den Wahlkörpern und nicht vom Landtag gewählt werden würden. Denn durch Wahlen aus dem Landtag käme ein kompakter Block zustande, der auch als solcher im Reichsrate auftre- ten würde. Bei Wahlen durch die Wahlkörper würden Abgeordnete entsendet, die nicht alle einer politischen und nationalen Richtung angehören dürften und sich daher auch vielfach bei den Verhandlungen im Reichsrate an die Deutschen an- schliessen würden. Er selbst halte es für die Zukunft der Deutschen günstiger, wenn die zweite hier gemachte Anregung befolgt würde und die Inner-Österreich und Polen gemeinsa¬ men Angelegenheiten einem zahlreichen Ausschüsse übertragen würden und sehe er hier zwei Mittel, den Deutschen hilfreich beizuspringen: 299 <pb/> Es könnte die vom österreichischen Reichsrate entsendete Abordnung aus dem Plenum des Reichsrates gewählt werden, wodurch vielleicht eine deutsche Majorität gesichert werden könnte oder es könnte den von beiden Volksvertretungskörpern gewählten Mitgliedern eine dritte Gruppe aus dem Herrenhause gewählter Mitglie¬ der beigegeben werden. Es wäre dies nicht nur ein erheblicher Kräftezuwachs für die Deutschen, sondern es würden die Mitglieder des Herrenhauses einen Kern mit politischer Einsicht, staatlicher Gesinnung und österreichischem Patriotismus bil¬ den. Ein Präzedenz finde sich ja bei den Delegationen, wo auch Mitglieder beider Häuser in einer Körperschaft Zusammenarbeiten. Es sei hier viel von Bevölkerungszahl gesprochen worden und sei die Zahl der Polen des Königreiches mit 12 Millionen angegeben worden. Vor ihm liege die letzte russische Statistik, nach welcher im Königreiche 7 Millionen Polen leben, alles andere seien Deutsche, Ruthenen, Juden. Gewiss sei diese Statistik etwas gefärbt. Sicher sei jedoch, dass es dort starke Minoritäten gebe. Nach Anschluss von West- und Mittelgalizien an Polen dürfte dort die Gesamtbevölkerung die Zahl von 15 -- 16 Millionen erreichen, von welchen ungefähr 4 Millionen Nicht- Polen wären. Für dieselben müssten Minderheitsrechte festgesetzt werden. Sehr begrüssen würde er es, wenn aus Ost-Galizien eine eigene Provinz mit polnischer Minderheit geschaffen würde. Was die Frage betrifft, dass die eroberten Gebiete unter ein absolutistisches Über¬ gangsregime gestellt werden sollen, so spräche sehr viel dafür. Er wolle sich aber hier nicht damit befassen, da dies seiner Ansicht nach eine rein österreichische Frage sei. Jedenfalls müsste vermieden werden, ein zweites Bosnien und Herzegowi¬ na zu schaffen. Die eroberten Provinzen müssten sofort an Österreich übergeben werden und sei es dann Sache des Letzteren, ob und für wie lange Zeit ein Über¬ gangsregime dort zu bestehen hätte. Noch eine Frage müsse er hier berühren, welche eigentlich ausserhalb seiner Kompetenz liege, jetzt aber Dimensionen angenommen habe, welche die Auf¬ merksamkeit aller für das Schicksal der Monarchie verantwortlichen Faktoren erwecke. Dies seien die Verhältnisse in Böhmen und Mähren, die sich nachgerade zu einer Lebensgefahr für die Monarchie ausgewachsen hätten. Allen seien die bedauerlichen Vorkommnisse bekannt, die sich bei tschechischen Truppen an der Front ereignet hätten. Da jetzt viele tschechische Ersatzkörper in Ungarn lägen, sei er in der Lage gewesen, deren Stimmung kennen zu lernen und müsse zu seinem Bedauern konstatieren, dass sie ärger sei, als er erwartet hätte. In Böhmen und Mähren sei ein brennendes Problem, dessen Vernachlässigung die Zukunft der Monarchie in Frage stellen und eine schwere Schuld auf die Schulter der verant¬ wortlichen Ratgeber Seiner Majestät wälzen würde. Mit halben Massregeln wäre es nicht möglich die Gefahr zu bannen. Es müssen die Mittel gefunden werden, mit welchen eine verlässliche Verwaltung in Böhmen und Mähren eingerichtet und der Kampf gegen alle staatsfeindlichen Strömungen mit Konsequenz durchgeführt werden könne. Er erblicke die einzige Möglichkeit, dies auf konstitutionellem Wege zu erreichen wenn es gelänge, einen Ausgleich zwischen den patriotisch denkenden Tschechen und den Deutschen in den genannten Ländern zustande zu bringen und hiedurch eine verlässliche Majorität zu bilden. Gelingt dies nicht, so bleibt nichts 300 <pb/>Anderes übrig, als die Autonomie dieser Länder zu suspendieren und alle Befug¬ nisse des Staatslebens auf die Zentralgewalt zu übernehmen, wobei wenn irgend¬ wie möglich, die Mitwirkung des Reichsrates heranzuziehen wäre. Übrigens stehe auch bei Lösung dieser Frage die Wahl der Mittel und Wege in erster Reihe der k.k. österreichischen Regierung zu. Er wolle nur das Eine betonen, dass er ganz von der Überzeugung durchdrungen ist, dass unbedingt durchgrei¬ fende Massregeln angewendet werden müssen, um eine drohende grosse Gefahr zu bekämpfen und dass, falls bei dieser rettenden Tat die Verletzung der verfas¬ sungsmässigen Formen unbedingt notwendig erscheinen würde, diesem Vorgänge gegenüber die königlich ungarische Regierung nicht nur keine Schwierigkeiten machen, sondern im Gegenteile, so weit ihre Kompetenz berührt wird, eine hilf¬ reiche Hand bieten werde. Da nun bereits die Frage des Territorialzuwachses durch den Erwerb Polens behandelt werde, wolle er auch andere damit im Zusammenhänge stehende terri¬ toriale und finanzielle Fragen besprechen. Die territorialen Fragen die er besprechen wolle, bezögen sich zunächst auf Bosnien und die Herzegowina. Bei den jetzigen Zuständen könne es dort nicht blei¬ ben. Er hoffe, die Zustimmung der massgebenden Stellen zu finden, dass nach der zu erwartenden Vergrösserung Österreichs durch Polen, Bosnien und die Her¬ zegowina an Ungarn falle. Abgesehen von unverjährbaren historischen Rechten und Ansprüchen spreche auch die geographische Lage für diese Vereinigung. Er würde dann in Bosnien und der Herzegowina eine Übergangsperiode einführen, eine von Lokaleinflüssen unabhängige Verwaltung organisieren, die Verhältnisse reformieren und konsolidieren und dann allmählich der Frage der Einschaltung Bosniens und der Herzegowina in das Verfassungsleben Ungarns bei Beibehaltung seiner Autonomie näher treten. Bosnien und Herzegowina würden dann an allen Staatsgeschäften teilnehmen und auch im Reichsrat und den Delegatio¬ nen vertreten sein. Wie dieser Anschluss vor sich zu gehen hätte, sei eine spätere Sorge. Die zweite territoriale Frage sei die Dalmatiens. Er hätte diese Frage nie ange¬ schnitten, wenn nicht die Angliederung Polens bevorstehend schiene. Heute, wo Österreich die Anwartschaft auf ein grosses und reiches Land habe, glaube er, an den Herrn k.k. Ministerpräsidenten mit der Bitte herantreten zu dürfen, die histo¬ rischen Ansprüche der heiligen ungarischen Krone auf dieses Land zu honorieren. Wirtschaftlich sei der Zusammenschluss dieses Landes mit Bosnien und der Herzegowina wertvoll und politisch wichtig, weil in Kroatien und Slavonien der Wunsch nach Vereinigung mit Dalmatien sehr lebhaft sei. Sollte diese Gelegenheit nicht benützt werden, so würde dort eine grosse Mißstimmung hervorgerufen wer¬ den, die auch die ganze südslavische Frage unangenehm beeinflussen und ver- grösserte Schwierigkeiten auch für den österreichischen Staat bedeuten würde. Geographisch sei Dalmatien ja ohnehin von Österreich getrennt und finanziell bedeute es nur ein Passivum. Er wolle hier gleich auch betonen, dass die Anglie¬ derung von Dalmatien, Bosnien, und der Herzegowina an Ungarn keinen Einfluss auf die jetzige Quote ausüben könnte, da dieselbe vom Standpunkte der gemein¬ samen Ausgaben keinesfalls eine aktive Post bedeute. 30T <pb/> Die Bedingungen, an welche die ungarische Regierung in territorialer Beziehung ihre Zustimmung zur Anghederung Polens an Österreich knüpfe, seien nachstehende: Vereinigung Bosniens und der Herzegowina mit Ungarn. Abtretung eines schmalen Territoriums an der Meeresküste westlich von Fiume. Bezüglich Dalmatiens wäre es Ungarn freizustellen, dieses Land sich anzugliedern. Ob diese Angliederung tatsächlich vollzogen werde, hänge natürlich auch von den Wünschen Dalmatiens und Kroatiens ab. Er wolle nunmehr auf die mit der Angliederung Polens zusammenhängenden wirtschaftlichen Fragen übergehen. Während er betont habe, dass eine Angliederung Dalmatiens, Bosniens und der Herzegowina an Ungarn die jetzige Quote nicht erhöhen könne, stehe die Sache bezüglich Polens anders. Polen sei ein reiches Land mit grosser wirtschaftlicher Kraft und sei es nur billig dass dieses Land sowohl zur Deckung der Kriegsla¬ sten als auch für die Zukunft bei Festsetzung der Quote entsprechend herangezogen werde. Vor allem sei es notwendig, dass Russland uns Polen schuldenfrei über¬ gebe. Auf dieses schuldenfreie Polen würde dann eine Schuldenlast überwälzt, entsprechend der Schuldenlast, die bei Zusammenlegung der Staatsschulden Österreichs und Ungarns auf jeden Einwohner der Monarchie am 1. Juli 1914 gekommen wäre. Das heisst 407 Kronen per Kopf der Bevölkerung. Auf diesem Wege würde eine Schuldenlast von zirka 5 Milliarden von Polen übernommen werden. Diese 5 Milliarden wären von den Kriegskosten abzuziehen und die verbleibenden Rriegskosten im Verhältnis der nach Angliederung Russisch- Polens resultierenden Quote auf das vergrösserte Österreich und auf Ungarn zu verteilen. Es müssten also ganz neue Verrechnungen aufgestellt werden. Was die Festsetzung der neuen Quote betreffe, so stelle er sich den Vorgang folgenderma- ssen vor. Es würde zunächst die Quote nach der jetzigen territorialen Basis fest¬ gesetzt. Dann würde daran geschritten werden die Verhältniszahl zu konstatieren, in welcher sich die wirtschaftliche Kraft Polens zu der wirtschaftlichen Kraft beider Staaten der Monarchie befindet. Die so gefundene Ziffer würde dann zur österreichischen Quote hinzugeschlagen. Wenn die heutige Quote als 100 angenom¬ men wird, so zahle hievon Österreich 63.6 und Ungarn 36.4. Nach Angliederung Polens hätte Österreich 63.6 +X (Verhältniszahl der wirtschaftlichen Kraft Polens zu der wirtschaftlichen Kraft beider Staaten der Monarchie) zu zahlen. Er wolle diese Berechnung auch an der Hand von Ziffern illustrieren. Nimmt man an, dass Polen ungefähr 30 % der wirtschaftlichen Kraft der Monarchie hat so würde die Quotenrechnung folgendermassen stehen: Alte Quote 100 Verhältniszahlen: 63.6 + 30:34.4. Neue Quote 100 + 30 Verhältniszahlen 63.6 + 30 : 34.4. Aus dieser Berechnung würde sich eine Quote von 72 : 28 ergeben. Er habe den Standpunkt der ungarischen Regierung auch schriftlich niederge¬ legt und erlaube sich, dieses Elaborat der Konferenz vorzulegen. (Hier beigeschlos¬ sen unter Beilage B)/ ß) Den Text der Stellungnahme der ungarischen Regierung s. im Anschluß an den Text des österreichischen Elaborates. 302 <pb/> Graf S t ü r g k h hebt zur formalen Geschäftsbehandlung hervor, dass wäh¬ rend die anderen Teilnehmer eine Skizze besprochen hätten, die er über die Anglie¬ derung von Polen verfasst hatte, hätte Graf Tisza eine ganze Reihe der schwer¬ wiegendsten und einschneidensten Fragen aufgerollt. Er bittet den Vorsitzenden darüber schlüssig werden zu wollen, ob auf die von Graf Tisza berührten Fragen in diesem Zusammenhänge schon jetzt eingegangen werden solle und plaidiert für eine gesonderte Behandlung beider Fragenkomplexe. Der Vorsitzende erklärt, er habe die beiden Herren Ministerpräsidenten und die beiden Herren gemeinsamen Minister um Darlegung ihrer Ansichten über das Schicksal Polens und über die Frage, ob dasselbe an die Monarchie beziehungsweise Österreich angegliedert werden sollte, gebeten. Er habe diese Bitte ausgesprochen wegen der Notwendigkeit einer Stellungnahme nach aussen, und Besprechung mit Berlin, dazu wollte er eine Basis schaffen. Diese sei ihm in der Skizze des Herrn k.k. Ministerpräsidenten geboten worden und danke er demselben für seine Bemühungen und für die Aufnahme die seine Bemerkungen bei ihm ge¬ funden hätten. Damit sei dieses Kapitel für ihn erledigt. Die Ausführungen des Grafen Tisza und die Bedingungen, an welche er die Angliederung Polens an Österreich knüpfe, gehören ebenfalls zur Materie, da deren Annahme ja die Bedingung der Zustimmung Ungarns zur Angliederung Polens ist. Er bittet die Herrn Konferenzteilnehmer, ihre Bemerkungen zu den Ausführungen des Grafen Tisza vorzubringen, doch könne eine definitive Stellung¬ nahme heute selbstverständlich nicht erfolgen. Graf Tisza meint, die Bereinigung der von ihm aufgeworfenen Fragen bilde zwar die Voraussetzung einer meritorischen Stellungnahme hinsichtlich des Erwer¬ bes von Russisch-Polen, sie müsste aber einer vertraulichen Fühlungnahme mit den führenden Staatsmännern des Deutschen Reiches nicht unbedingt vorausgehen. Es sei demzufolge vielleicht besser, sich heute auf die Besprechung des Elaborates des k.k. Ministerpräsidenten zu beschränken und zu einem späteren Termine die von ihm aufgeworfenen Fragen zu erledigen. Erwünscht wäre es allerdings, die Fragen je eher zu bereinigen und er ist überzeugt, dass sich keine Schwierigkeiten ergeben werden. Er bittet, dass die Sache auf einer nächsten Ministerkonferenz ihrer Erledigung zugeführt werde. Der Vorsitzende stimmt dem Anträge des Grafen Tisza zu, dass die aufgeworfenen Fragen auf einer nächsten Konferenz besprochen wür¬ den. Der k.u.k. gemeinsame Finanzminister will einige allgemeine Bemerkungen zu der Frage der Anghederung Polens machen und deren Folgen, darlegen, da schon die bisherigen Ausführungen der Herren Vorredner deutlich erkennen lassen, welche Schwierigkeiten das Problem darbietet, vor welches Österreich-Ungarn im Falle dieser Einverleibung gestellt wird. Er begreife es vollkommen, dass das Deutsche Reich, welches nur wenige fremdländische Volks¬ elemente umfasst, vor dieser Aufgabe zurückscheut und dieselbe uns überlassen will. Er könne mit seiner Meinung nicht zurückhalten, dass Österreich-Ungarn vermöge seiner nationalen Struktur und seiner staatsrechtlichen Einrichtungen nur schwer aufnahmsfähig sei. Jeder neue Staatsbürger, der uns zuwächst, ist für 303- <pb/>uns eine Verlegenheit und gibt zur Aufwerfung von Fragen Anlass, die eine be¬ friedigende Lösung kaum finden können. Die Annexion Bosniens und der Herzego¬ wina habe uns dies klar vor Augen geführt und die Unklarheit der staatsrechtli¬ chen Stellung dieser Länder dort einen Zustand geschaffen, der für uns von den ernstesten Folgen begleitet war. Der Herr Vorsitzende habe mit Recht darauf hingewiesen, dass beim Kriegsausbrüche die Erwerbung Polens nicht eines unserer Kriegsziele gewesen war. Wir wollten uns im Süden und Südosten Ruhe und Ordnung schaffen und unser wirtschaftliches Operationsgebiet dort erweitern. Der Verlauf der Ereignisse des Krieges habe es mit sich gebracht, dass wir die eventuelle Angliederung Polens nicht zurückweisen können, sondern uns damit abfinden müs¬ sen, wenn es auch nach seinem Erachten keinem Zweifel unterliege, dass hiedurch der Charakter der Monarchie und die Bestimmung, welche sie seit Jahrhunderten erfüllt habe -- ein Bindeglied zwischen Westen und Osten zu sein -- eine entscheiden¬ de Änderung erfahren werden, die zugleich das Gleichgewicht innerhalb der Monarchie alterieren werde. Er zähle zu den erfreulichsten Ereignissen des Krieges die Tatsache, dass die beiden Staaten der Monarchie einander näher gebracht wor¬ den seien und die Erkenntnis ausgereift sei, dass sie aufeinander angewiesen seien. Diese Stimmung müsse gepflegt und ausgestaltet werden, wenn wir unsern Fort¬ bestand sichern wollen. Andererseits sei nicht zu verkennen, dass durch die An- gliederüng Polens an Österreich der Dualismus auf eine harte Probe gestellt werden wird. Denn es wird gewiss nicht an Strömungen fehlen, deren Führer darauf hin- weisen werden, dass ein Staat mit einer Bevölkerung von 42 Millionen einem Staate mit einer solchen von 22 Millionen gegenüberstehe und gleichwohl nur einen paritä¬ tischen Einfluss habe. Um solchen Strömungen entgegentreten zu können, wird es vor allem darauf ankommen, dass die Beziehungen des anzugliedernden Polen mit den innerösterreichischen Ländern in befriedigender Weise geregelt würden, wobei allerdings mit grosser Vorsicht und Behutsamkeit vorgegangen werden muss, da sowohl in Polen als in Österreich an die Regelung dieser Verhältnisse Erwar¬ tungen und Hoffnungen geknüpft werden, die sich in vollem Umfange nicht wer¬ den verwirklichen lassen. Auch sei zu gewärtigen, dass die Gewährung einer grösseren Autonomie in Polen bei andern Völkern Österreichs und Ungarns gleiche Bestrebungen hervorrufen werde und wir mit Bewegungen zu rechnen haben werden, die für die beiden Staaten der Monarchie leicht zu argen Ver¬ wicklungen führen könnten. Deshalb erachte er es von der grössten Bedeutung für die Zukunft der Monarchie, dass die nach dem Kriege bedingten Änderungen und Umformungen innerhalb der beiden Staaten nicht den Anlass zu neuen poli¬ tischen Kämpfen geben. Von diesem Gesichtspunkte müsse auch bei der Regelung der Verhältnisse in Polen ausgegangen werden. Auf das Elaborat des Herrn k.k. Ministerpräsidenten übergehend halte er es für bedenklich, dass die gesamte Justizgesetzgebung und Rechtspflege dem pol¬ nischen Landtage überlassen bleiben solle, und würde er wünschen, dass auch diese Materie dem Reichsrate Vorbehalten werde. Dass für den polnischen Landtag das Prinzip der Interessenvertretung aufgestellt wird, finde er mit Rücksicht auf die stark ständische Schichtung der polnischen Bevölkerung für richtig, wenn bei der Bemessung des Anteiles der Arbeiterschaft 304 <pb/>an der gesamten Mandatszahl mit Rücksicht auf die dort ausgebreitete Industrie entsprechend weitherzig vorgegangen werde. In welcher Weise sich der polnische Landtag an den Arbeiten des Abgeordneten¬ hauses des Reichsrates zu beteiligen hätte, wurde bereits eingehend besprochen. Er wolle nur hervorheben, dass nach seiner Ansicht es sich empfehlen würde, sich die Möglichkeit, die polnischen Abgeordneten zum Reichsrate aus Urwahlen her¬ vorgehen zu lassen, unter allen Umständen offen zu halten. Es wäre daher wün¬ schenswert, wenn ausdrücklich ausgesprochen würde, dass der polnische Landtag eine Anzahl von Abgeordneten in das Abgeordnetenhaus des Reichsrates ent¬ sende, insoferne nicht die direkte Wahl dieser Abgeordneten durch ein Gesetz ange¬ ordnet wird. Die andere Eventualität die Bildung von Ausschüssen, denen die Be¬ handlung der Inner-Österreich und Polen gemeinsamen Angelegenheiten übertra¬ gen würde, habe eine grosse Bedeutung und würde er dieselbe freudig begrüssen, da hiedurch ein verlässliches, ruhig funktionierendes Organ geschaffen werden könnte. Er halte diese Anregung für sehr beachtenswert und sehe in ihr den Weg zu einer möglichen Besserung der parlamentarischen Verhältnisse. Doch verhehle er sich nicht, dass dies eine tief eingreifende Änderung der Verfassung bilden würde und man sie daher nach allen Richtungen noch eingehend prüfen müsse. Was die Landesfinanzen betrifft, so basiert der Entwurf das Finanzwesen Polens im wesentlichen auf Überweisungen. Dagegen müsse er das Bedenken geltend machen, dass Polen hiedurch in diesem Belange vom Reichsrate abhängig würde, in welchem es nach der Sachlage doch nur schwach vertreten wäre. Auch würde die Festsetzung der Höhe dieser Überweisungen stets arge Streitigkeiten hervor- rufen und es müsste wenigstens ein fixer Schlüssel dauernd festgesetzt werden, der sich gerechter Weise aus der Kombination der Bevölkerungszahl mit den Erträg¬ nissen der direkten und indirekten Steuern ergeben würde. Schliesslich regt er an, ob es sich nicht empfehlen würde auch Bestimmungen über Staatsanleihen und Staatsschulden in den Entwurf aufzunehmen. Die Stellung des im Entwürfe vorgesehenen Ministers für Polen müsste klar bestimmt und dessen Wirkungskreis prezisiert werden. Nicht ganz klar scheine ihm auch die Stellung des Generalstatthalters, der an¬ scheinend eine »besondere« Verantwortlichkeit gegenüber der Staatsregierung tragen soll. Die Sprachenfrage halte er für vollkommen entsprechend und nach den bestehenden Gesetzen gelöst. Nur fragt es sich, ob eine solche Formulierung expressis verbis nicht bei den Polen überflüssige Widerstände und Abwehr¬ bewegungen veranlassen würde, während der gleiche Zweck mit wesentlich geringerer Reibung dadurch erreicht werden könnte, dass man die bekannte Ministerialverordnung vom 5. Juni 1869 als für die Sprachenfrage geltend hinstellt. Sehr erwägenswert würde es ihm scheinen, für die Beratung der zwischen Inner- Österreich und Polen gemeinsam zu regelnden Wirtschaftsfragen ein gemeinsames Organ, einen Wirtschaftsrat, zu schaffen, der eine rein konsultative Rolle hätte und in dessen Schosse viele wichtige wirtschaftliche Angelegenheiten einver- 20 Komjdthy: Protokolle 305 <pb/>ständlich geregelt werden könnten, ehe sie in Form von Gesetzentwürfen vor die gesetzgebenden Körperschaften gelangen. Die im Entwürfe vorgesehene Abtrennung von Ost-Galizien und Umwandlung desselben in eine eigene Provinz wird unter den Polen, namentlich den in dieser Gegend reich begüterten Grossgrundbesitzern einen Sturm der Entrüstung her- vorrufen und auch sonst manche Schwierigkeiten herbeiführen, so insbesondere in Bezug auf die Stellung und die Behandlung der Stadt Lemberg. Was die zuletzt vorgebrachten Erklärungen des Herrn königlich ungarischen Ministerpräsidenten über die Bedingungen der Angliederung Polens an Öster¬ reich betreffe, so könne er sich nach der Verlesung nicht sofort ein abschliessendes Urteil bilden, da dieselben zu wichtig und folgenschwer seien. Der k.u.k. Kriegs- minister führt aus, seiner Ansicht nach sei die Angliederung Polens kein Glück für die Monarchie. Auf seiner Inspektionsreise durch die besetzten Gebiete habe er Gelegenheit gehabt, sich über die dort herrschende Stimmung zu orien¬ tieren. Die industriellen Kreise seien russophil, sie hatten unter der russischen Herrschaft das ganze weite Russland als Absatzgebiet und machten dabei die be¬ sten Geschäfte, das Volk selbst sei indolent und verlange nur nach Ruhe. Ja nicht einmal die Juden seien wirklich für uns, da sie bei der leichten Bestechlichkeit der russischen Behörden die drückenden Gesetzbestimmungen umgehen konnten. Deutschland wolle Russland für möglichst lange Zeit schwächen, werde voraus¬ sichtlich für sich Livland, Kurland und das Gouvernement Suwalki beanspruchen und biete das schwer oder gar nicht assimilierbare Polen der Monarchie an. Er sei der Ansicht, dass zur Angliederung Polens an die Monarchie nur geschritten werden sollte, wenn es eben durchaus nicht anders ginge. Übrigens halte er vom militärischen Standpunkt die Frage für eine theoretische. Bei etwas Energie seitens Russlands und bei dem drohenden Gespenst der Erschöp¬ fung der Zentralmächte könnte dieses Reich mit seinen ungeheuren Hilfsquellen nicht so niedergerungen werden, dass es Polen abtreten würde. Und wenn dies schon geschehen sollte, so würde im Hintergründe immer der Gedanke eines Revanchekrieges lauern. Graf S t ü r g k h will auf verschiedene Bemerkungen reagieren, die im Schosse der Konferenz zu seinem Entwürfe gemacht worden seien, und seien es vor Allen zwei Punkte, die er als die wichtigsten hervorheben wolle. Graf Tisza hätte angeregt, dass der mit den Inner-Österreich und Polen gemein¬ samen Angelegenheiten zu betrauende Ausschuss aus Mitgliedern des Herren¬ hauses, des Abgeordnetenhauses und des polnischen Landtages zusammenge¬ setzt würde. Dies hätte die Schattenseite, dass nun auch das Herrenhaus eine capitis diminutio erleiden und gewissermassen aus Herrenhausmitgliedern I. und II. Klasse bestehen würde. Wenn er schon starke Zweifel darüber geäussert hätte, ob sich das Abgeordnetenhaus eine solche Behandlung gefallen lassen würde, so sei er überzeugt, dass das Herrenhaus eine solche Beschränkung seiner Tätigkeit und Bedeutung schwerlich hinnehmen werde. Um den Einfluss der Deutschen zu stärken, hätte Graf Tisza die Anregung gemacht, die Abordnung aus dem Plenum des Abgeordnetenhauses wählen zu lassen. Diesbezüglich möchte er bemerken, dass sowohl der Aufbau des Hauses als <pb/>auch der Delegation auf dem Nationalitäten- und Länder-Prinzipe beruhe. Es gebe keine Majorität, die stark genug wäre, in Österreich gegen eine Vergewalti¬ gung irgendeiner Nation aufzukommen. Jede parlamentarische Körperschaft könnte in Österreich nur dann wirksam werden wenn die Vertreter aller Nationen nach ihrem Stärkeverhältnis daran teilnehmen. Sie muss notwendig das verklei¬ nerte Spiegelbild Österreichs sein. Der gemeinsame Finanzminister habe die Frage von Ost-Galizien gestreift. Es hätten sich die dortigen ungesunden Verhältnisse sehr fühlbar gemacht. Auf der einen Seite stünden die Grossgrundbesitzer und die Juden in Stadt und Land, auf der anderen Seite die ruthenische Landbevölkerung, die seit Jahren von der Zentralregierung preisgegeben und den Polen ausgeliefert worden sei. Dieses Gefühl der Hilflosigkeit habe sie auch dem Einfluss des russischen Rubels und der Einwirkung der russischen Liturgie so zugänglich gemacht. Dieser Zustand müsse ein Ende finden. In der Bukowina herrschten unter einer unpartheiischen Verwal¬ tung in nationaler Beziehung ruhige und nicht unbefriedigende Verhältnisse und Ähnliches müsste man auch für Ost-Galizien anstreben, sonst würden wir uns die Ruthenen ganz abwendig machen. Bei den Polen in Osten würde sich gewiss ein heftiger Widerstand bemerkbar machen, aber der einzige Moment wo diese Trennung überhaupt möglich, sei der, wo Polen auf anderer Seite im Rahmen der Monarchie eine grosszügige Erneuerung auf Grundlage nationaler Einigung er¬ fahren würde. Sehr schwierig seien zwei Fragen, die Frage der Abgrenzung des Gebietes und die Frage von Lemberg, der polnischen Stadt im ruthenischen Lande. Graf T i s z a bedauert, dass seine Anregung auch Mitglieder des Herrenhauses in den Ausschuss zu entsenden, der sich mit den Ihner-Österreich und Polen ge¬ meinsamen Angelegenheiten zu befassen hätte, wenig Anklang gefunden zu haben scheine, da er hierin eine sehr wesentliche Besserung der sich mit der Angliederung Polens ergebenden politischen Situation erblicke. Formell hätte seine Anregung wohl eine capitis diminutio des Herrenhauses bedeutet, materiell hätte es aber einen bedeutenden Zuwachs der Macht gewonnen. Der Vorsitzende möchte noch einmal zu der so wichtigen Frage der parlamentarischen Vertretung Stellung nehmen. Graf Stürgkh habe die Schwie¬ rigkeiten geschildert, die die angeregten Lösungen begegnen würden. Er möchte Vorschlägen die Sache nicht auf sich beruhen zu lassen, sondern noch über andere Lösungsmodalitäten nachzudenken. Hier komme ihm die Idee, ob die Bedenken, die gegen eine capitis diminutio der beiden Häuser des Reichsrates geltend gemacht wurden, nicht dadurch beseitigt werden könnten, dass die Delegierung nach einem gewissen Turnus erfolge, so dass alle einmal daran kämen. Graf Tisza habe hier die Bedingungen bekanntgegeben, an welche die königlich ungarische Regierung ihre Zustimmung zur Angliederung Polens an die Monarchie knüpfe, man müsse jetzt die Bedingungen Deutschlands abwarten. Herr von Bethmann-Hollweg habe ihm dieselben bereits angedeutet. Bei dem nächsten Gedankenaustausch mit demselben werde er Gelegenheit nehmen sich näher zu erkundigen. Soviel er wisse, lägen dieselben auf wirtschaftlichem und national¬ politischem Gebiete. Andeutungen habe er entnommen, dass die deutsche Regie- 20* 307 <pb/>rung die Absicht hätte, die Polen aus ihren Grenzhezirken abzusiedeln, sich gewissermassen einen limes zu schaffen. Auf wirtschaftlichem Ge¬ biete wünsche die deutsche Regierung, dass sich die Deutschen in dem neuen Polen nicht in einer ungünstigeren Lage befänden, als früher. Die Vorteile die die Deutschen in Russisch-Polen genossen, beruh¬ ten teils auf gesetzlicher Basis, teils auf Missbräuchen, die Deutschen hätten eine grosse Kolonie in Polen, es gebe in den Grenzbezirken eine grosse am¬ bulante Arbeiterbevölkerung, die in Deutschland schlafe und in Russland ar¬ beite, und welche von der russischen Regierung sehr begünstigt werde, und der¬ gleichen mehr. Seitens des Herrn k.u.k. gemeinsamen Finanzministers sei darauf hingewiesen worden, dass durch das Missverhältnis in der Grösse der beiden Staaten der Monarchie der Dualismus gefährdet werden könne. Demgegenüber erinnere er nur an die Geschichte Ungarns, das sich an das grosse deutsche Reich an¬ geschlossen hätte und doch seine Selbständigkeit vollkommen zu wahren ge wusst habe. Graf S t ü r g k h will auf die Anträge und Bedingungen, die Graf Tisza vor¬ gebracht hat, heute nicht meritorisch eingehen. Da Graf Tisza sie jedoch dem heutigen Protokolle einzuverleiben wünscht, so müsse er in dem Sinne Stellung nehmen, damit schweigend seinerseits nicht als präalable grundsätzliche Zustim¬ mung gedeutet werden könne. Im allgemeinen könne er sagen, dass der ohnehin geringe Enthusiasmus, mit welchem die Frage der Angliederung Polens aufgenom¬ men werde, dadurch nicht grösser werde, wenn das Kompensationsprinzip in so ^prägnanter Form ausgesprochen werde, wie dies hier geschehen sei. Die Lage sei eigentlich die folgende: Die Monarchie könne in die Notwendigkeit kommen, Polen an sich zu ziehen, der ganzen Struktur und geographischen Situation nach könne es nur an Österreich kommen und letzteres sei gewissermassen gezwungen, die dornige Mission auf sich zu nehmen. Es schiene ihm daher nicht angebracht, dem österreichischen Staatsgebiete diese Mission durch Aufbürdung schwerwie¬ gender Zugeständnisse noch wesentlich oneroser zu gestalten. Eines müsse er gleich heute sagen: die bezüglich Dalmatiens erhobene Forderung hätte ihn peinlichst überrascht. Graf Tisza will das entstandene Missverständnis zerstreuen als ob er Kom¬ pensationsforderungen in der Art aufstelle, wie dies leider in vergangenen Jahren so oft geschehen. Österreich bekomme ein grosses, reiches Gebiet, mit dessen Erwerb zwar politische Nachteile, aber wirtschaftliche Vorteile verbunden seien. Wirt¬ schaftlich seien Dalmatien, Bosnien und die Herzegowina arme Länder und poli¬ tisch stünde Ungarn zu denselben in einem ähnlichen Verhältnisse, wie Österreich zu Polen. Auch für Ungarn bedeute deren Angliederung eine Erschwerung des Ver¬ fassungslebens. Ungarn erweise Österreich einen Dienst damit, dass es sich bereit erklärt auf diese Weise den grössten Teil der Last der südslavischen Frage auf seine Schultern zu nehmen. Mit der Bemerkung, dass die von Grafen Tisza aufgeworfenen Fragen in einer nächsten Konferenz meritorisch besprochen werden würden, schliesst der Vor¬ sitzende um 9 Uhr abends die Sitzung. 308 <pb/> aA) Grundzüge der verfassungs- und verwaltungspolitischen Einrichtung des künftigen Königreiches Polen.6 Die Angliederung Polens an die Monarchie und dessen Einverleibung in den österreichischen Staatskörper stellt insoferne ein schwieriges Problem dar, als es gilt, zwei Gesichtspunkten Rechnung zu tragen, die sich schwer vollständig vereini¬ gen lassen. Der eine Gesichtspunkt verlangt eine solche Form der Regelung, durch welche eine wesentliche Verschiebung der bestehenden nationalen Kräfteverhältnisse im Staate vermieden wird. Diesem Gesichtspunkte kann nur durch Gewährung einer gewissen autonomen Stellung Polens Rechnung getragen werden. Auf der anderen Seite -- und dies ist der zweite Gesichtspunkt -- kann aber diese autonome Stellung nur bis zu jener Grenze gehen, bei welcher noch ein Festhal¬ ten bei der Zentralgewalt gesichert erscheint. Diesen Gesichtspunkten sucht die in der Beilage skizzierte Lösung des Problems in der Weise zu entsprechen, dass zwar nach der Seite der Legislation der Autonomie ein grösserer Spielraum gewährt, dagegen aber, was die Executive betrifft, für eine möglichst feste Verbindung mit der Zentralgewalt gesorgt wird. I. Allgemeine Rechtstellung innerhalb der Monarchie Die im Friedensvertrage an die Österreichisch-Ungarische Monarchie abgetre¬ tenen ehemals russisch-polnischen Gebiete werden mit dem dazu bestimmtenTeile des Königreiches Gahzien zum Königreiche Polen vereinigt. Das Königreich Polen bildet einen integrierenden Bestandteil des österreichi¬ schen Staatskörpers und unterhegt demzufolge, insoweit nichts anderes bestimmt ist, den für die österreichischen Länder geltenden Grund- und allgemeinen Ge_ setzen. II. Gesetzgebung 1. Landtag und Landesgesetzgebung. In den Wirkungskreis des Landtages gehören alle Angelegenheiten der Gesetz¬ gebung, welche nicht ausdrücklich dem Wirkungskreise des Reichsrates und der Delegation des Reichsrates Vorbehalten sind. Der aus einer Kammer bestehende Landtag erhält eine Zusammensetzung, die eine allgemein konservative Struktur des Landtages zu gewährleisten bestimmt ist und auf einer den Landesverhältnissen angepassten Interessenvertretung beruht, wobei auch die Interessen der kleinsten Steuerträger sowie derjenigen, welche eine direkte Steuer nicht entrichten, durch Anerkennung einer besonderen Interessen¬ kurie Berücksichtung finden sollen. Die aus Wahlen hervorgehenden Mitglieder des Landtages werden nach Massgabe der Wahlordnung in direkter Wahl und geheimer Abstimmung gewählt. b) In der oberen, rechten Ecke der Reinschrift nachträglich: »ad Gern. Min. R. Prot. 6. 10. 15., 524.« Im Konzept auch nachträglich über den Titel des Elaborats geschrieben: »a) Skizze des k.k. Ministerpräsidenten, (u. p. 34 etc.)« 3°5> <pb/> 2. Reichsgesetzgebung. Zu den Angelegenheiten der Gesetzgebung, welche dem Wirkungskreise des Reichsrates und der Delegation des Reichsrates Vorbehalten sind gehören: a) die allen Ländern des Österreichisch-Ungarischen Monarchie gemeinsa¬ men sowie jene Angelegenheiten, welche auf Grund der von Zeit zu Zeit mit den Ländern der ungarischen Krone getroffenen Vereinbarungen im gemeinsamen Einverständnisse zu behandeln sind; b) Genehmigung der Staatsverträge; c) Wehrgesetzgebung; d) Staatshaushalt; Steuern, Abgaben und Gefälle; Staatsschulden, Veräusserung und Belastung des unbeweglichen Staatsvermögens, Monopole, überhaupt alle Finanzangelegenheiten, welche allen österreichischen Ländern gemeinsam sind; eJ Geld-, Bank- und Kreditwesen; f) Zoll- und Handelsangelegenheiten; Masse und Gewichte; Patent-,Marken- und Musterschutz; Post, Telegraph, Eisenbahnen, Schiffahrt und sonstigen Reichs¬ kommunikationswesen ; g) Epidemien und Viehseuchen; h) Handels- und Wechselrecht; See-, Berg- und Lehenrecht; i) Grundzüge der Organisierung der Verwaltungsbehörden; k) Abänderung der Staatsgrundgesetze; l) Gesetzgebung überjene Gegenstände, welche sich auf die Pflichten und Ver¬ hältnisse des Königreiches Polen zu den anderen österreichischen Ländern bezie¬ hen; m) Gesetzgebung, betreffend die Form der Behandlung der mit den Ländern der ungarischen Krone gemeinsamen Angelegenheiten. An der Gesetzgebung über die dem Reichsrate vorbehaltenen Angelegenheiten wird das Königreich Polen mit den Vertretern der übrigen österreichischen Länder in der Weise mitwirken, dass der Landtag aus seiner Mitte eine entsprechende An¬ zahl von Abgeordneten in das Abgeordnetenhaus des Reichsrates entsendet, wobei sich diese Mitwirkung auf die im vorstehenden Absätze bezeichneten Angelegen¬ heiten zu beschränken hat. Die Vertretung des Königreiches Polen in der Delegation des Reichsrates erfolgt durch die Mitglieder, welche die vom polnischen Landtage in das Haus der Ab¬ geordneten des Reichsrates entsendeten Abgeordneten aus ihrer Mitte in der zu bestimmenden Anzahl in die Delegation entsenden. III. Landesfinanzen In den Wirkungskreis des Landtages gehören auch die Finanzangelegenheiten, welche sich auf die Angelegenheiten beziehen, deren gesetzliche Regelung dem Landtage Vorbehalten ist. Insbesondere bilden die gesamten Kosten der Justiz und der Schulverwaltung einen Bestandteil des durch den Landtag festzustellenden Landesbudgets. Behufs Deckung des Landeserfordernisses wird dem Lande entweder ein von Zeit zu Zeit durch Reichsgesetz fesfzustellender aliquoter Teil der direkten und indi¬ rekten Steuern und sonstigen staatlichen Einkünfte Polens zugewiesen, oder es 310 <pb/>werden dem Königreiche Polen gewisse Einnahmsquellen überlassen, aus denen das Landeserfordernis zu bestreiten ist. IV. Regierungs- und Vollzugsgewalt Die oberste Regierungs- und Vollzugsgewalt im Königreiche Polen wird von dem in Wien residierenden und dem Reichsrate verantwortlichen Ministerium ausgeübt. Behufs Wahrnehmung der speziellen Interessen des Königreiches Polen wird dieses im Ministerrate durch einen besonderen dem Reichsrate verantwortlichen Minister vertreten sein. Das Vollzugsorgan der Zentralregierung im Lande ist der kaiserliche General¬ statthalter, der an der Spitze der gesamten staatlichen Verwaltung im Lande steht, seinen Sitz in Warschau hat und für seine gesamte Geschäftsführung dem Mini¬ sterium verantwortlich ist. Dem Generalstatthalter steht der Vizestatthalter und die Statthalterei zur Seite. Die politische Verwaltung erster Instanz wird von den Kreisbehörden, an deren Spitze die Kreispräsidenten stehen, besorgt. Für die Führung der politischen Verwaltung und den Geschäftsgang der politi¬ schen Behörden sind im allgemeinen die Gesetze und Verwaltungsvorschriftenmass¬ gebend die für die übrigen Länder in Geltung sind. V. Autonome Verwaltung Die autonome Verwaltung wird von den Gemeindevertretungen und von den Kreisvertretungen besorgt, an deren Spitze die Kreispräsidenten stehen. VI. Richterliche Gewalt Für das Königreich Polen besteht in Warschau ein oberster Gerichts- und Kassationshof. VII. Amtssprache Die Amtssprache der Behörden, Ämter und Gerichte im inneren Dienste und im Verkehre mit den landesfürstlichen nichtmilitärischen Behörden, Ämtern und Gerichten im Lande ist die polnische. Der Verkehr mit den militärischen Behörden, Ämtern und Gerichten ausser dem Lande und mit den Zentralstellen erfolgt in deutscher Sprache. Desgleichen ist für näher zu bestimmende Belange des Post-Telegraphen- und Eisenbahndienstes, ferner der Finanz und Rechnungskontrolle der Gebrauch der deutschen Sprache Vorbehalten. Im Verkehre mit den Parteien sind Eingaben in deutscher Sprache überall anzunehmen und, wo es sich um Parteien aus geschlossenen deutschen Ansiede¬ lungen handelt, auch in deutscher Sprache zu erledigen. Öffentliche Kundmachungen und Aufschriften haben nach Erfordernis auch in deutscher Sprache zu geschehen. Anmerkung. Jener vorwiegend von Ruthenen bewohnte Teil Galiziens, welcher nach dem Vorstehenden nicht mit dem Königreiche Polen vereinigt wird, ist als eigene <pb/>Provinz zu konstituieren und für deren Verwaltung durch besondere Einrichtungen vorzusorgen. ^B) Stellungnahme der kgl. ung. Regierung zur Frage der Angliederung Russisch- Polens an die Monarchie. Die königlich ungarische Regierung kann sich der Einsicht nicht verschliessen, dass sich eventuelle die Trennung Kongress-Polens vom russischen Reiche als ein natürliches Produkt dieses Krieges ergeben wird, in welchem Falle eine Angliede¬ rung desselben an die Monarchie trotz der damit verbundenen zahlreichen Kom¬ plikationen und Schwierigkeiten als die zweckmässigste Lösung des Problemes erscheint. Sie muss jedoch betonen, dass dieses Ergebnis bei der jetzigen Kriegslage noch keineswegs mit Gewissheit angenommen werden kann, und die Möglichkeit, den Krieg mit Russland auf Basis der Zurückerstattung des ganzen besetzten russi¬ schen Gebietes oder eines grossen Teiles desselben zu beenden, unbedingt gewahrt werden müsse. Selbst bei der günstigsten Kriegslage darf nicht ausser Acht gelassen werden, nicht nur, dass das Kriegsglück Schwankungen ausgesetzt ist, sondern auch dass die Zeit einer Erschöpfung unserer Reserven an Menschenmaterial und den für den Krieg unbedingt notwendigen wirtschaftlichen Gütern in einem näheren Zeitpunkte eintreten müsse, als dies bei den Gegnern der Fall ist. Wir müssen die ganze Reihe von mihtärischen Aufgaben, welche es uns ermög¬ lichen würden, wenigstens einen Teil unserer Gegner zum Frieden zu zwingen, in relativ kurzer Zeit lösen oder uns mit einem bescheideneren Ergebnis abfinden und Frieden schliessen, bevor das Erschöpfungsmoment eintritt oder dessen Herannahen vom Feinde bemerkt wird. Es wäre also mit der grössten Vorsicht alles zu vermeiden, was als eine dem Polnischen Volke gemachte bindende Zusage gelten und die Monarchie in die Zwangslage versetzen würde, den Krieg um Polens Willen mit Gefährdung der eigenen Lebensinteressen weiterzuführen oder beim Abschluss eines Polen zurück¬ erstattenden Friedens schwere Einbusse an Prestige zu erleiden und bittere Ent¬ täuschung und Entfremdung beim ganzen Polnischen Volke hervorzurufen. Die Frage wäre daher mit der grössten Vorsicht zu behandeln, solange die mili¬ tärische Situation nicht in einer Weise herangereift ist, welche zur sicheren Hoff¬ nung auf die Erwerbung Polens berechtigt. Freilich steht diese notwendige Rücksicht auf eventuelle spätere Wendungen der militärischen und diplomatischen Lage einer Vorbereitung der Frage sowohl im Schosse der verantwortlichen Organe in der Monarchie, wie auch mit dem deut¬ schen Verbündeten keinesfalls im Wege. Im Gegenteil scheint es ratsam, dieser Eventualität gegenüber schon jetzt Stellung zu nehmen. Die ungarische Regierung erklärt der Angliederung des nicht von Deutschland zu annektierenden Teiles Russisch-Polens an die Monarchie im Prinzipe unter fol¬ genden Bedingungen zuzustimmen: 1. Diese Angliederung kann der dualistischen Struktur der Monarchie und der paritätischen Stellung Ungarns keineswegs Einbusse tun. Nicht nur das historische Recht Ungarns, sondern die Lebensinteressen der Monarchie, als Grossmacht, 312 <pb/>fordern gebieterisch, dass der neu angegliederte Teil der Monarchie nicht als drittes Staatswesen mit derselben selbständigen staatsrechtlichen Stellung und mit den gleichen Befugnissen bezüglich der gemeinsamen Angelegenheiten, wie die jetzigen zwei Staaten der Monarchie in dieselbe eingefügt werde, sondern in ein unmittelbares Verhältnis zum österreichischen Kaiserstaate gelange und sowohl hiedurch, wie durch die Aufrechterhaltung der paritätischen Stellung Ungarns der ausschlaggebende Einfluss solcher Elemente auf das Heerwesen und die äussere Politik gesichert werde, welche sich für alle Zeiten auf Leben und Tod mit der Dynastie und der Grossmachtstellung der Monarchie verwachsen fühlen. Es müsste freilich das aus dem ganzen Galizien oder einem grossen Teile dessel¬ ben und den neu angeworbenen polnischen Gebieten zu bildende Königreich Polen mit einer möglichst weitgehenden Autonomie betraut werden; eine Frage, welche in erster Reihe in die Kompetenz der k.k. österreichischen staatlichen Organe fällt, in ihren die Grundlage der Monarchie berührenden Grundzügen jedoch auch die Verantwortung der königlich ungarischen Regierung tangiert Mit Rücksicht darauf, dass es sich um eine in erster Reihe österreichische Frage handelt, will die königlich ungarische Regierung der Stellungnahme der k.k. öster¬ reichischen nicht vorgreifen, glaubt jedoch im Einverständnis mit derselben in der Auffassung zu sein, dass diese Autonomie sowohl vom Standpunkte einer Zufrie¬ denstellung der Polen, wie auch mit Rücksicht auf die Stellung der Deutschen Österreichs eine möglichst weitgehende sein sollte, damit diese letzteren in Bezug auf wichtige und die ethnischen Gesichtspunkte in erster Reihe berührende Zweige des Staatslebens in ein wesentlich besseres Kräfteverhältnis mit den slavischen Ele¬ menten treten können, als es jetzt der Fall ist. 2. In Anbetracht des grossen Zuwachses, welchen Österreich durch die Angliede¬ rung Polens erhält, wäre die Frage Bosniens und der Herzegowina auf Basis der historischen Rechte Ungarns zu regeln und es wären diese Länder an die ungarische heilige Krone anzugliedern. Ebenso wäre ein schmales Territorium an der Meeresküste westlich von Fiume an Ungarn abzutreten um die Entwicklung der genannten Hafenstadt zu ermögli¬ chen. Schliesslich wäre es Ungarn anheimzustellen, das Königreich Dalmatien an die ungarische heilige Krone anzugliedern. Die königlich ungarische Regierung bittet um die diesbezügliche Einwilligung der k.k. österreichischen Regierung und würde sich Vorbehalten diese Frage noch einem näheren Studium zu unterziehen und sich diesbezüglich während der Kriegsdauer endgiltig zu äussern. 3. Bezüglich der materiellen Folgen der erwähnten territorialen Veränderungen wäre vorerst festzusetzen, dass die Angliederung Bosniens und der Herzegowina sowie Dalmatiens bei der Bestimmung der nächsten Quote nicht in Anbetracht kommen könnte, da es ja allgemein bekannt ist, dass diese Länder nicht nur keinen Beitrag zu den gemeinsamen Kosten leisten können, sondern in Bezug auf ihre eigene Verwaltungs- und Investitionsbedürfnisse passive Länder sind, so dass ihr Erwerb nicht eine Stärkung, sondern eine Schwächung der ungarischen Staats¬ finanzen bedeutet. 313 <pb/> Das Königreich Polen hingegen wäre ein ganz eminenter Zuwachs an wirtschaft¬ licher Kraft für Österreich, welches sowohl beim Tragen der Lasten des jetzigen Krieges, wie bei Festsetzung der Quote für die Zukunft vollauf gewürdigt werden müsste. Bezüglich der Kriegslasten müsste aus der gesamten Summe des Mobilisierungs¬ kredites eine Summe ausgeschaltet werden, welche dieselbe Kapitalslast auf die Kopfzahl der Bevölkerung Polens bedeutet, als die am 1. Juli 1914 bestehende Schuldenlast für die Bevölkerung beider Staaten der Monarchie. Der zurückblei¬ bende Teil des Mobilisierungskredites müsste nach Abzug der Kriegsentschädi¬ gung im Verhältnis der nach Anghederung Russisch-Polens resultierenden Quote auf das vergrösserte Österreich und auf Ungarn verteilt werden. Es hätte folglich eine neue Abrechnung zwischen den beiden Staaten, der Monar¬ chie über die bisher im jetzigen Quotenverhältnis getragenen Kriegskosten zu erfolgen. Die infolge der Anghederung Kongress-Polens an der Quote zu erfolgende Verschiebung wäre ganz unabhängig von der Festsetzung der auf das jetzige Gebiet der beiden Staaten zu entfallenden Quote zu bestimmen. Die Quote Österreichs und Ungarns wäre auf Basis des jetzigen Territorialzu¬ standes für die nächste Periode ohne Rücksicht auf die Anwerbung Polens fest¬ zusetzen, und ganz unabhängig von dieser Arbeit diejenige Perzentualziffer zu berechnen, welche das Verhältnis der wirtschaftlichen Kräfte Polens zur gesamten wirtschaftlichen Kraft beider Staaten der Monarchie zum Ausdrucke bringt. Diese Ziffer wäre dann als Zusatz der österreichischen Quote zuzuschlagen. Diese Kal¬ kül wäre auf Basis der für die Beurteilung des Volksreichtums und der wirtschaft¬ lichen Hilfsquellen eines Landes ausschlaggebenden Momente durchzuführen, wobei schon jetzt als eine natürliche Folge des grösseren Reichtums des Landes vereinbart werden müsste, dass die Verhältniszahl der wirtschaftlichen Kraft und folglich der Beitragsleistung Polens zu den gemeinsamen Auslagen eine wesentlich höhere sei, als das Verhältnis der Bevölkerungszahl. Als Ergebnis dieser Berechnung bekäme man eine Gesamtzahl von 100 + X, wovon bei der jetzigen Quote 36.4 auf Ungarn, 63.6 + X auf Österreich entfallen würde, während im Falle einer Veränderung der alten Quotenzahl der für die jetzigen Gebiete der beiden Staaten zu vereinbarende neue Perzentsatz auf die Stelle der jetzigen Sätze von 36.4 und 63.6 zu kommen hätte. Eine Umrechnung der Gesamtziffer von 100 + X auf 100 würde dann den Perzentualsatz der Beteiligung des mit Polen vergrösserten Österreichs und Ungarns an den gemeinsamen Lasten ergeben. Original-Reinschrift. -- Die Einsichtnahme wurde auf dem Mantelbogen des Protokolls von sämtlichen Teilnehmern des Ministerrates bestätigt. In der rechten oberen Ecke dieses Bogens mit Bleistift geschrieben: »fertig«. Auf dem letzten Blatt die Kenntnisnahme durch den Herrscher: »Wien, 14. November 1915.« Rechts unten die Unterschrift Buriäns, links die des Protokollführers Walterskirchen. -- Ebd. das mit Maschinenschrift angefertigte Konzept des Protokolls mit unzähligen, meist vom Protokollführer stammenden Korrekturen. 314 <pb/>