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Gemeinsamer Ministerrat, 31. 10. 1914

I. Vorschläge des Armee-Oberkommandos über die Verwaltung Galiziens. Repatrierung unserer Staatsangehörigen aus Russland, Frankreich England und Belgien. Kriegsrüstungen. Frage der Friedensbedingungen

Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_VII/pdf/oe_hu_mrp_VII_z8.pdf.

Er könne nur konstatieren, dass keiner der verantwortungsvollen Berater der
Krone in der Monarchie über die militärische Lage entsprechende Informationen
erhalte. Bisher sei sogar immer gerade das Gegenteil auf dem Kriegsschauplätze
geschehen, als im gemeinsamen Ministerrate besprochen worden war. Dies gelte
insbesondere in Serbien, wo man nunmehr wieder zur Offensive übergegangen sei,
obwohl stärkere serbische Truppen auf Sarajevo im Anzuge seien.

   Es wird hierauf die militärische Lage in Serbien und Bosnien vom Vorsit¬
zenden auf Grund der ihm von der Militärkanzlei Seiner k.u.k. Apostolischen
Majestät zugekommenen Nachrichten und vom k.u.k. Kriegsminister eingehend
erläutert.

   Nachdem alle Anwesenden diese Erklärungen zur Kenntnis genommen haben,
hebt der Vorsitzende die Sitzung auf.

            Original-Reinschrift. -- Die Einsichtnahme wurde auf dem Mantelbogen des
        Protokolls von sämtlichen Teilnehmern des Ministerrates bestätigt. In der rechten
        oberen Ecke dieses Bogens mit Bleistift geschrieben: »f(ertig)«. Auf dem letzten Blatt
        die Kenntnisnahme durch den Herrscher: »Wien, am 11. Oktober 1914.« Rechts
        unten die Unterschrift Berchtolds, links die des Protokollführers A. Hoyos. -- Ebd.
        das handschriftliche Konzept des Protokolls mit vielen Korrekturen des Protokoll¬
        führers und des Ministers des Äußern Berchtold. Am Rubrum mit Bleistift ge¬
        schrieben: »gesehen Berchtold«.

                                                                                             8.

                                                                                Wien, 31. Oktober 1914

        Der Minister des Äußern berichtet über den Kriegseintritt der Türkei an der Seite der
         Mittelmächte und über die zu erwartenden Folgen. Nachher behandelt der Ministerrat
         die Fragen der Verwaltung Galiziens, das teilweise zum Kriegsgebiet geworden war.
         Tisza wirft das Problem der Zuständigkeit des gemeinsamen Ministerrates auf. Er
         beantragt, auf Grund eines vom Minister des Äußern anzufertigenden Memorandums
         über die Friedensbedingungen zu verhandeln.

            Seit der gemeinsamen Ministerkonferenz vom 20. September hatte sich die mili¬
         tärische Lage der Mittelmächte aus zwei Gesichtspunkten gebessert. Die Türkei
         war an ihrer Seite in den Krieg eingetreten. Türkische Kriegsschiffe haben am 28--29.
         Oktober Odessa, Sewastopol und andere russische Hafenstädte angegriffen, worauf
         in der Zeit vom 2--5. November erst Rußland, dann Großbritannien und schließlich
         Frankreich der Türkei den Krieg erklärten. In Galizien hat die österreichisch-ungari¬
         sche Armee, von einem erfolgreichen Gegenangriff der Deutschen unterstützt, den
         Vormarsch der Russen zum Stehen gebracht, Przemysl entsetzt und den Großteil
         Galiziens zurückerobert. In Galizien konnte nicht sofort die Zivilverwaltung wieder¬
         hergestellt werden. Nicht nur, weil durch die Kriegsereignisse die inneren Verhältnisse
         zerrüttet worden waren, sondern auch, weil ein Teil des Gebietes weiterhin Kriegs¬
         gebiet, ein anderer Etappe blieb.

            Zur Debatte, ob die Probleme der inneren Verwaltung Galiziens vor den gemeinsa¬
         men Ministerrat gehören, verweise ich auf den entsprechenden Teil der einleitenden
         Studie.

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<pb/>             Zur italienischen Frage siehe den Kommentar zum Protokoll vom 8. August.
             Über die Griechen und die Rumänen war noch in den Konferenzen vom 7. und
         20. September die Rede.
             Über die polnische Frage spreche ich zusammenfassend im Kommentar zur Mini¬
         sterkonferenz vom 6. Oktober 1915.
             Auf Tiszas Antrag, der Minister des Äußern solle über die Kriegsziele der Monarchie
         und die beanspruchte Kriegsentschädigung ein Memorandum ausarbeiten, kam der
         gemeinsame Ministerrat in dieser Form nie mehr zurück. Über die Kriegsziele und
         Friedensbedingungen war dann noch in den Ministerkonferenzen vom 12. und 22.
         Januar 1917, 27. September, 2. und 22. Oktober 1918 die Rede, wobei sich der Ton
         stets änderte.

Protokoll des zu Wien am 31. Oktober 1914 abgehaltenen Ministerratesflir gemein¬
same Angelegenheiten, unter dem Vorsitze des Ministers des k.u. k. Hauses und des
Äußern Grafen Berchtold.

   K.Z. 86. - G.M.K.P.Z. 519.

   Gegenwärtige: der k.k. Ministerpräsident Graf Stürgkh, der kgl. ung.
Ministerpräsident Graf T i s z a, der k.u.k. gemeinsame Finanzminister Dr. Ritter
von B i 1 i n s k i, der k.u.k. Kriegsminister FZM. von Krobatin, der
kgl. ung. Minister am Allerhöchsten Hoflager Freiherr von B u r i ä n.

   Schriftführer: Legationsrat Graf H o y o s.

   Gegenstand: Vorschläge des Armee-Oberkommandos über die Verwaltung
Gahziens. Repatrierung unserer Staatsangehörigen aus Russland, Frankreich,
England und Belgien. Kriegsrüstungen. Frage der Friedensbedingungen.

   Der Vorsitzende eröffnet die Sitzung mit der Bemerkung, er wolle vor
dem Eingehen in den eigentlichen Verhandlungsgegenstand einige Worte über die
aussenpolitische Situation sprechen, die durch das Eingreifen der Türkei in den
Weltkrieg eine günstigere Wendung für die europäischen Zentralmächte annehmen
dürfte. Hinsichtlich der Aufnahme, welche die türkische Flottenaktion bei den
Neutralen gefunden, liegen bisher zwei Kundgebungen vor: einerseits habe die
italienische Regierung die amtliche Erklärung abgegeben, dass sie trotz der Über¬
nahme des Schutzes der russischen Staatsangehörigen im Ottomanischen Reiche
nicht die Absicht habe, aus ihrer Neutrahtät hervorzutreten und zweitens berichte
Graf Tarnowski aus Sofia, dass die türkische Aktion dort laut Äusserung des
bulgarischen Ministerpräsidenten wahrscheinlich die Mobihsierung der bulgari¬
schen Armee zur Folge haben dürfte.

   Was die weiteren Konsequenzen des Eingreifens der Türkei für die Kriegslage
im allgemeinen sein würden, könne man heute noch nicht voraussehen. Vieles
werde von der Haltung Griechenlandes und Rumäniens abhängen. Griechenland
sei entschieden ententefreundhch und auch in Rumänien hätten die russophilen
Elemente in der letzten Zeit sehr grossen Einfluss gewonnen. Demgegen¬
über könne man mit Genugtuung feststellen, dass die erste Aussprache König

                                                                                                               185
<pb/> Ferdinands von Rumänien mit unserem Gesandten eine durchaus befriedigende
war und das aus den Äusserungen des Königs hervorging, er habe nicht die
Absicht, eine neue politische Richtung einzuschlagen und den von seinem Onkel,
dem verstorbenen König Karl, eingehaltenen Kurs zu ändern. Der König habe
sich sehr scharf gegen die Professoren und Studenten ausgesprochen, welche
die Politik beeinflussen wollen und die Absicht kundgegeben, ihnen entgegen¬
zutreten. Für die Zukunft könne man allerdings keine Garantien übernehmen
und bei der sehr bedenklichen Situation in Rumänien sei auch nicht zu übersehen,
ob der König sie auf die Dauer beherrschen werde.

   Die italienische Regierung hat uns davon in Kenntnis gesetzt, dass sie eine
Expedition nach Yalona plane und dort eine sanitäre Mission landen wolle, um
ohne den Rahmen der Londoner Beschlüsse1 zu verlassen, für die Unterstützung
der epirotischen Flüchtlinge und für die Hintanhaltung der Verbreitung von Epi¬
demien unter denselben zu wirken. Wir haben diese Mitteilung zur Kenntnis
genommen. Eine ähnliche Erklärung hat die griechische Regierung hier abgege¬
ben, als griechische Truppen im autonomen Epirus einrückten.

   Eine sehr wichtige Frage für uns sei die Ausfuhr von Kriegsmaterial nach Bul¬
garien und der Türkei. Die rumänische Regierung wolle in letzter Zeit kein Kriegs¬
material mehr durchlassen, daher müsse ein anderer Weg auf der Donau gefunden
werden. Das Kriegsministerium verhandle hierüber mit der bulgarischen Regierung
und dürfte Seine Excellenz der Herr Kriegsminister in der Lage sein, Auskunft
über den gegenwärtigen Stand dieser Verhandlungen zu erteilen.

   Der k.u.k. Kriegsminister erteilt hierauf vertrauliche Auskünfte über
seine Verhandlungen mit Rumänien, Bulgarien und der Türkei wegen Kriegsma¬
terialtransporten. Der Ministerrat nimmt diese Aufklärungen zur Kenntnis mit den
Beifügen, dass die Frage der Approvisionierung Bulgariens und der Türkei mit
Munition und sonstigem Kriegsmaterial seit dem Ausbruche der Feindseligkeiten
zwischen Russland und der Türkei besonders dringend erscheint und dass auch
materielle Opfer seitens des Kriegsministeriums nicht gescheut werden sollten, um
diese Frage in einer befriedigenden Weise, eventuell durch Ankauf eines Donau¬
dampfers für Bulgarien zu lösen.

   Hierauf bringt der Vorsitzende den eigentlichen Verhandlungsgegenstand
des Ministerrates vor, indem er daraufhinweist, Seine k.u.k. Hoheit der Armeeober¬
kommandant Erzherzog Friedrich habe sich veranlasst gesehen. Seiner k.u.k.
Apostolischen Majestät einen alleruntertänigsten Vortrag zu unterbreiten, worin
die Ernennung eines Militärgouverneurs für Galizien und die Bukowina angeregt
wurde, dem die Aufgabe zufallen würde, in politischer und administrativer Hin¬
sicht in den durch die kriegerischen Ereignisse sehr zerrütteten Verhältnissen dieser
Provinzen Ordnung zu schaffen. Im Laufe der militärischen Aktion habe die Armee
wahrnehmen können, wie sehr die von Russland betriebene Propaganda in den
letzten Jahren an Ausdehnung gewonnen habe, die bisherige, fast ausschliesslich
polnische Verwaltung sei dieser Wühlarbeit Russlands nicht mit Energie entgegen¬
getreten und das Armee-Oberkommando glaube nicht, dass es möglich sein werde,

    1 Über die Londoner Beschlüsse s. Anm. 1 zum Protokoll v. 7. September 1914.

186
<pb/>jetzt für den Fall der Wiedereroberung Ostgaliziens daselbst Ordnung zu schaffen,
wenn nicht ein Militär an die Spitze der Verwaltung trete.

   Der Vorsitzende verliest hierauf aus dem vorerwähnten allerunter¬
tänigsten Vortrage die Vorschläge des Armee-Oberkommandos, wonach ein Ver¬
treter der bewaffneten Macht zum Militärgouverneur für Galizien und die Buko¬
wina ernannt werden soll. Diese Proposition betrifft, wie Graf Berchtold bemerkt,
in erster Linie den Wirkungskreis des k.k. Ministerpräsidenten. Er habe aber diese
Angelegenheit doch dem gemeinsamen Ministerrate vortragen zu sollen geglaubt,
weil einerseits die Wiederherstellung geordneter Verhältnisse in Galizien für die
ganze Monarchie und insbesonders für unsere militärischen Operationen von emi¬
nenter Bedeutung sei und weil diese Frage und ihre Lösung auch auf die aussenpo-
litische Situation zurückwirken müsse. Seine k.u.k. Apostolische Majestät habe ihn
aus diesem Grunde in den Vortrag des Herrn Erzherzogs-Oberkommandanten
Einsicht nehmen lassen und würde gewiss Wert darauf legen, dass der Ministerrat
in prinzipieller Hinsicht zu diesen Proportionen Stellung nehme, wobei selbstver¬
ständlich die Regelung der konkreten Fragen, welche mit der Verwaltung Galiziens
Zusammenhängen, der k.k. Regierung Vorbehalten bleiben müsste.

   Der k.k. Ministerpräsident pflichtet der Auffassung bei, dass es
nützlich ist, eine Stellungnahme des gemeinsamen Ministerrates zu den Anträgen
des Armee-Oberkommandos zu provozieren, da die äussere Politik und der Fort¬
gang der militärischen Operationen von der Lösung dieser Verwaltungsfragen sehr
stark beeinflusst werden müssten. Man dürfte nicht vergessen, dass man die
Probleme, welche in der Zukunft auch in administrativer Hinsicht in Galizien zu
lösen sein werden, derzeit noch nicht übersehen könne und dass deren Umfang in
erster Linie vom Kriegserfolge abhängen würde. Deshalb erscheine es auch un¬
möglich, in positiver Hinsicht konkrete Vorschläge für die dauernde Gestaltung
Galiziens in der Zukunft zu diskutieren, dafür könne man aber schon jetzt gewisse
Restriktionen angeben, welche bei der Behandlung dieser Frage immer würden
berücksichtigt werden müssen. Vor allem dürfte man das Problem nicht in der
Weise in Diskussion stellen, dass man sich vornehme, sich in abstracto die best¬
mögliche Verwaltungsreform für Gahzien auszudenken, diese Frage müsse viel¬
mehr mit Rücksicht auf die historische Entwicklung und die derzeitigen politischen
Verhältnisse beurteilt und könne wie alle politischen Fragen nur innerhalb der
Grenzen des Erreichbaren diskutiert werden. Da müsse er vor allem feststellen,
dass die Bukowina mit Galizien in historischer und politischer Hinsicht nur das
eine gemeinsam habe, dass während dieses Krieges in beiden Ländern gekämpft
worden sei. Sonst seien aber die beiden Provinzen grundverschieden und es würde
zu grossen Miständen führen, wenn man versuchen wollte, beide unter eine
Militärgewalt zu stellen. Die politischen Verhältnisse in Galizien hätten sich an der
Hand der Vereinbarungen entwickelt, welche im Jahre 1868 und 1869 mit den
politischen Führern in Galizien getroffen worden seien. Es sei damals eine Art von
stillschweigendem Pakt zwischen ihnen und der damaligen deutsch-liberalen
österreichischen Regierung getroffen worden, laut dem sie sich verpflichteten, der
Krone stets jene Forderungen zu bewilligen, welche im Interesse der Wehrfähig¬
keit und des Prestiges der Monarchie notwendig wären, wogegen man ihnen in

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<pb/>Galizien in administrativer und besonders sprachlicher Hinsicht sehr weitgehende
Konzessionen machte, welche dazu geführt hätten, dass Galizien seither de facto
eine fast rein polnische Verwaltung habe und auch viel grössere Unabhängigkeit
den Zentralbehörden gegenüber geniesse, als dies bei den anderen Kronländern der
Fall sei. Er wolle nicht untersuchen, ob die Angeschlossenheit eine Wohltat für
Galizien war oder nicht, man müsse jetzt mit der Tatsache rechnen, dass die weit¬
gehende Autonomie und insbesondere die Sprachenrechte von allen Polen in
Galizien als nationale Errungenschaft sehr hoch bewertet werden und dass sehr
bedenkliche Folgen eintreten würden, wenn man diese Tatsache bei einer allfälli¬
gen Reformierung der Verwaltung ausser Acht lassen würde.

   Dies vorausgesetzt, würde man untersuchen müssen, was in wirtschaftlicher und
politischer Hinsicht geschehen könnte, um dem Lande nach den schweren Prüfun¬
gen der letzten Wochen zu helfen. In wirtschaftlicher Hinsicht erscheine die sofor¬
tige Inangriffnahme einer grösseren Notstandsaktion dringlich. Diesbezüglich sei
schon einiges eingeleitet worden, es müsste Geld verteilt, Holz für den Aufbau der
Häuser geliefert und die Strassen und Brücken wieder hergestellt werden. In letzte¬
rer Beziehung seien auch die Militärbehörden tätig. Ferner müsse die Frage der
Entschädigung für die Kriegsschäden gelöst werden.

   In politischer Hinsicht müsse vor allem eine Aktion eingeleitet werden, um jene
Elemente in Galizien zu unterdrücken, welche sich während dieses Krieges als
Feinde der Monarchie gezeigt hatten. Es seien dies in erster Linie die Russophilen
unter den Ruthenen, dann aber auch ein Teil der allpolnischen Bevölkerung,
nähmlich die Allpolen, welche jetzt in Lemberg und bei den Vorgängen in der
ostgalizischen Legion bewiesen hätten, dass sie in sehr bedenklicher Weise mit den
Russen sympathisierten. Hier werde man mit grosser Energie vergehen müssen und
es werde nötig sein, die lokale Autonomie in gewissen Gemeinden und Kreisen zu
sistieren, bis geregelte Verhältnisse hergestellt sein würden. Der Landesausschuss
könnte bestehen bleiben, solange er sich korrekt verhalte und auch um den Land¬
tag würde man sich nicht zu kümmern brauchen, da er ohnedies aufgelöst sei.

   Die Grenze, die aber allen Verfügungen der Regierung gezogen bleiben müsse,
sei aber jene, dass der nationalpolitische Charakter der Verwaltung erhalten blei¬
ben müsse. Jede Ausserachtlassung dieses Grundsatzes wäre gesetzwidrig und
könnte sehr ernste Folgen nach sich ziehen, für die Graf Stürgkh nicht die Verant¬
wortung übernehmen könnte. Eine solche gesetzwidrige Massregel würde aber
auch nach aussen hin in Russisch-Polen sehr schädlich wirken und die Polen,
welche wir im Falle eines glücklichen Ausganges des Krieges an die Monarchie
angliedern wollen, geradezu abstossen. Dagegen gebe er gerne zu, dass es eventuell
angezeigt wäre, an Stelle des jetzigen Statthalters eine energischere Persönlichkeit
zu setzen, aber auch wenn hiezu ein höherer Militär ausersehen werden sollte,
so dürfte derselbe nicht mit der Mission betraut werden, eine Militärdiktatur in
 Gahzien einzuführen, sondern er müsste einfach zum Statthalter mit dem ver¬
fassungsmässigen Wirkungskreise dieses Funktionärs ernannt werden. Wenn man
 einen neuen Zivilstatthalter ernennen wolle, so käme hiefür seiner Ansicht nach nur
 ein Pole in Betracht, aber auch ein General müsse die polnische und wenn möglich
 die ruthenische Sprache vollkommen beherrschen und mit den Landesverhält-

 188
<pb/>nissen vollkommen vertraut sein, so dass auch für diese Eventualität eigentlich
nur ein polnischer General ernannt werden könnte. Für beide Eventualitäten Hes¬
sen sich gewisse Argumente anführen, die für einen Zivilstatthalter sprechen, wobei
man unter den gegebenen Verhältnissen wohl nur mit einer Persönlichkeit
rechnen würde, -- dass man genau wissen würde, was man von seiner Tätigkeit
erwarten könnte, wogegen ein General doch mehr oder weniger eine unbekannte
Grösse darstellen würde, der möglicherweise kein grosses Verwaltungstalent hätte
auf seine Untergebenen allzusehr angewiesen wäre.

   Dagegen dürfe man nicht vergessen, dass die Ruthenen in ihrer jetzigen Stim¬
mung jeden polnischen Zivilstatthalter als Feind ansehen, wogegen sie die Ernen¬
nung eines Generals als nationale Errungenschaft begrüssen und für letzteren Fall
auch ohne grossen Widerstand zugeben würden, dass die ganze Verwaltungsma¬
schine mit den zum grössten Teil polnischen Beamten vorerst wieder eingesetzt
werde.

   Für einen Militär sprechen ferner auch der Wunsch des Armee-Oberkommandos
und dann noch die Tatsache, dass es allgemein in der Monarchie wie auch in
Deutschland besonders in beiden Armeen einen sehr guten Eindruck machen
würde, wenn ein General zum Statthalter von GaHzien ernannt würde. Deshalb
wäre er auch bereit, zu dieser Ernennung seine Zustimmung zu geben, jedoch nur
unter der Bedingung, dass der betreffende General ledigUch die Funktionen eines
Statthalters erhalte und keine weitergehenden, ferner, dass GaHzien nicht mit der
Bukowina vereint werde, drittens, dass der nationale Charakter der Verwaltung
Galiziens nicht geschmälert werde und dass den Polen ihre sprachHche Vorrechts¬
stellung erhalten bleibe. EndHch müsste dieser General die polnische Sprache in
Wort und Schrift beherrschen und mit den lokalen Verhältnissen in GaHzien
vertraut sein.

   Der kgl. ung. Ministerpräsident erklärt, er werde sich sehr kurz
fassen und sich lediglich mit der Kompetenzfrage befassen. Er denke nicht daran,
die Berechtigung Seiner k.u.k. Hoheit des Herrn Armee-Oberkommandanten
Erzherzog Friedrich in Frage zu stellen, seine persönHche Ansicht über die wichtige
Frage der Verwaltung Galiziens in Form eines alleruntertänigsten Vortrages, an
die Stufen des Allerhöchsten Thrones gelangen zu lassen, noch wolle er in Frage
stellen, dass die Ansichten des Herrn Erzherzogs jederzeit ein sehr grosses Gewicht
haben würden. Trotzdem müsse er betonen, dass der alleruntertänigste Vortrag
des Armee-Oberkommandos rein politischen Inhaltes sei und dass daher die darin
berührten Fragen nicht in den miHtärischen Kompetenzkreis des Herrn Erzherzogs
als Armee-Oberkommandanten&quot; fallen. Was ihn selbst als kgl. ung. Ministerpräsi¬
denten anbelange, würde er sich nur für berechtigt halten, über diese Frage zu
diskutieren, wenn die Absicht vorHegen würde, bei der Lösung des Problemes
die verfassungsmässige Struktur der Monarchie beziehungsweise die Parität zwi¬
 schen Österreich und Ungarn zu tangieren. Aus alledem, was der k.k. Minister¬
 präsident gesagt habe, gehe klar hervor, dass es sich reinjim eine Personalfrage

    a) Nachträgliche Eintragung Tiszas in die Reinschrift des Protokolls: »als Oberkomman-
 danten«.
<pb/>handle. Mit Rücksicht auf diesen Umstand sei er der Ansicht, dass die gemeinsame
Ministerkonferenz nicht kompetent sei, über diese Angelegenheit zu beraten und
er beantrage daher, dass die Diskussion hierüber nicht fortgesetzt werde.

   Der k.u.k. gemeinsame Finanzminister kann dieser Auffassung
nicht beipflichten und erinnert daran, dass der Vorsitzende bei Eröffnung der
Sitzung die Gründe angeführt hat, weswegen die Frage im gemeinsamen Minister¬
rate vorgebracht worden sei. Daher müsse er auch für sich die Nachsicht der An¬
wesenden erbitten, wenn er auf die Ausführungen des k.k. Ministerpräsidenten,
denen er im grossen und ganzen beistimme, zurückkomme.

   Vor allem sei auch er der Ansicht, dass man gegen die Russophilen in Galizien
mit äusserster Energie vergehen müsse. Er habe immer vor den Allpolen gewarnt,
welche die polnische Jugend und die Beamten demoralisiert hätten. Der Statthalter
Bobrzyhski sei durch sie gestürzt worden und sein Nachfolger Korytowsky habe
aus innerpohtischen parlamentarischen Gründen mit den Allpolen verhandeln
müssen. Welche Gefahren die allpolnische Bewegung in sich berge, bewiesen die
Vorgänge bei den durch die ostgahzische Sektion des Nationalkomitees gebildeten
Legionen. Die Legionäre seien durch allpolnische Politiker direkt demoralisiert
und zur Fahnenflucht getrieben worden, so dass aus einer Brigade von 7000 Mann
nur 1000 von der westgalizischen Legion übernommen wurden. Darin stimme er
vollkommen mit dem Grafen Stürgkh überein, dass die allpolnische Bewegung in
Galizien ebenso wie die Russophilie bei den Ruthenen unterdrückt werden müsse.

   Ebenso sei er dem k.k. Ministerpräsidenten dankbar für die Beschränkung, wel¬
che er jeden pohtischen Neuerungen in Galizien gezogen habe.

   Herr von Bihnski verweist hierauf auf die grossen Schwierigkeiten, eine passende
mit all den erforderlichen Eigenschaften ausgestattete Persönlichkeit unter den
höheren Generalen zu finden. Er könne sich nicht denken, dass man einen nicht¬
polnischen General ernennen könnte. Aber auch ein General polnischer Nationali¬
tät würde ganz auf die ihm unterstellten Beamten angewiesen sein und letztere
würden die eigentliche Macht in Händen haben. Bei aller Liebe welche man in
polnischen Kreisen der Armee entgegenbringe, würde die Ernennung eines Generals
die Polen sehr verstimmen. Jetzt bemühe man sich ruthenischerseits, den polnischen
Adel und die polnischen Verwaltungsbeamten für den von den ruthenischen Bauern
begangenen Verrat verantwortlich zu machen. Dies sei ganz ungerecht. Tatsache
sei, dass die verarmte ruthenische Bauernbevölkerung der russischen Propaganda
und insbesondere der Bestechungstätigkeit der russischen Agitatoren nicht wider¬
standen habe und Verrat geübt hätte. Die Vorwürfe, die man den Beamten mache,
seien zum grossen Teile übertrieben und man habe kein Recht dazu, wegen einzel¬
ner Schuldigen über das ganze System den Stab zu brechen. Wenn jetzt ein General
ernannt werde, so würde dies polnischerseits als Systemwechsel und Vorbereitung
für die Rückkehr zu einem deutschen Regime angesehen werden und sehr verstim¬
men. Aber auch in Russisch-Polen würde eine solche Massnahme gerade jetzt, wo
wir für den Fall unseres Sieges an die Angliederung Polens an die Monarchie den¬
ken sollten, den schlechtesten Eindruck hervorrufen. Unsere Stellung in der polni¬
schen Frage sei ohnehin dadurch beschwert, dass es uns nicht möglich gewesen ist,
durch klare Kundgebung über die zukünftige Gestaltung des Königreiches daselbst
<pb/>Anhänger zu gewinnen. Wenn wir schon keine Versprechungen machen könnten,
so sollten wir wenigstens jede Verstimmung der polnischen Bevölkerung vermeiden.

   Er habe alles dies auch an allerhöchster Stelle vorgebracht und habe für sich den
Entschluss gefasst, Seine Majestät zu bitten, ihn von seiner Stelle als gemeinsa¬
men Finanzminister in Gnaden zu entheben, falls der Plan, einen General zum
Statthalter von Galizien zu ernennen, ausgeführt werde.

   Der kgl. ung. Ministerpräsident betont neuerlich, dass . er den
gemeinsamen Ministerrat in dieser Angelegenheit nicht für kompetent halte und
schlägt vor, die weitere Verhandlung abzubrechen.

   Der k.k. Ministerpräsident betont, dass er die Bedenken des Grafen
Tisza zwar annehme, aber doch der Ansicht sei, dass der Ministerrat in negativer
Hinsicht einen Beschluss fassen könnte, indem gesagt würde, der Ministerrat habe
sich gegen jede Neuerung in Galizien ausgesprochen, durch welche die bisherigen
verfassungsmässigen Zustände in Galizien eine Änderung erfahren würden.

   Graf Tisza wäre dafür, dass man sich auf die Feststellung beschränken solle,
dass nicht die Absicht besteht die paritätische Stellung der beiden6 Staaten der
Monarchie noch die konstitutionellen Rechte durch Neuerungen bei derVerwaltung
Galiziens anzutasten.

   Nachdem alle Anwesenden diesem Vorschläge zugestimmt haben, ergreift der
Vorsitzende das Wort, um dem gemeinsamen Ministerrate mitzuteilen, dass er die
Absicht habe, von den Finanzministerien je nach Bedarf einen Betrag von 1 bis 2
Millionen Kronen zur Unterstützung und teilweisen Repatrierung unserer in
Russland, Frankreich, Belgien und England befindlichen Staatsangehörigen anzu¬
sprechen. Dieser Betrag könne sich später, wenn die Repatrierungsaktion grössere
Dimensionen annehme, auch auf 3 bis 4 Millionen erhöhen.

   Die Anforderung des Ministers des Äussern wird von beiden Ministerpräsiden¬
ten zustimmend zur Kenntnis genommen und Graf Berchtold wird ermächtigt, die
von ihm zu dem vorerwähnten Zwecke angesprochenen Beträge zu beheben.

   Hierauf ersucht der Vorsitzende den k.u.k. Kriegsminister um ver¬
trauliche Aufklärungen über den gegenwärtigen Stand der Rüstungen, indem er
darauf hinweist, dass es aus politischen Gründen sehr erwünscht wäre, bis zum
nächsten Frühjahre in der Monarchie eine neue Reservemacht aufstellen zu können,
die man im Notfälle gegen Italien oder Rumänien verwenden könnte.

   Feldzeugmeister Ritter von K r o b a t i n erteilt hierauf streng geheime Auf¬
klärungen über diesen Gegenstand und ersucht, dass seine Mitteilungen nicht in
das Protokoll aufgenommen werden mögen.

   Der kgl. ung. Ministerpräsident verweist hierauf auf die Notwen¬
digkeit, dass gewisse prinzipielle Fragen über die Fortsetzung des Krieges, die
Friedensbedingungen und die Frage der Kriegsentschädigung zuerst pro foro in-
terno unter den massgebenden Faktoren in der Monarchie durchberaten und dann
mit der deutschen Regierung eingehend besprochen werden sollten. Er bittet den
Minister des Äussern, vorerst ein Memorandum ausarbeiten zu lassen und denkt

   b) Nachträgliche Eintragung Tiszas in die Reinschrift des Protokolls: »paritätische Stellung
der beiden«.
<pb/>sich dessen Inhalt etwa so, dass in erster Linie das Minimum dessen, was wir in
diesem Kriege erreichen müssen, erörtert werde, dann aber die Grenzen, bis zu
welchen wir einen erfolgreichen Krieg fortsetzen sollten, endlich die Frage der
Gebietserwerbungen und der Kriegsentschädigung. Auf Grund einer solchen Arbeit
würde man dann in einer gemeinsamen Ministerkonferenz die weiteren Beratungen
fortsetzen können.

   Graf Berchtold nimmt diese Anregung zustimmend entgegen und wird ein
Memorandum im Sinne der Anträge des Grafen Tisza ausarbeiten lassen.

   Der Vorsitzende hebt hierauf den Ministerrat auf.

            Original-Reinschrift. -- Die Einsichtnahme wurde auf dem Mantelbogen des
         Protokolls von sämtlichen&#39; Teilnehmern des Ministerrats bestätigt. In der rechten
         oberen Ecke dieses Bogens mit Bleistift geschrieben: »fertig«. Auf dem letzten Blatt
         die Kenntnisnahme durch den Herrscher: »Wien, am 20. November 1914.« Rechts
         unten die Unterschrift Berchtolds, links die des Protokollführers A. Hoyos. -- Ebd.
         das handschriftliche Konzept des Protokolls mit mehreren Korrekturen Berchtolds
         und des Protokollführers. Am Rubrum mit Handzeichen: »gesehen B.«

                                                                                                                  9.

                                                                                   Wien, 3. Februar 1915

         Buriän, der als Außenminister zum erstenmal am gemeinsamen Ministerrat teilnimmt,
         skizziert die außenpolitische Lage und seine Vorstellungen über deren Entwicklung
         unter besonderer Berücksichtigung des Verhaltens Italiens, Rumäniens und der
         übrigen neutralen Staaten. Sonderstellungnahme Tiszas in der rumänischen Frage.
         Debatte über die finanzielle Deckung der stets zunehmenden Bedürfnisse an Kriegs¬
         material und über andere, mit dem Kriege zusammenhängende wirtschaftliche Fragen.

             Baron Istvän Buriän, der bis dahin im Kabinett Tisza Minister am allerhöchsten
          Hoflager war, wurde von Franz Joseph am 13. Januar 1915 an Stelle des scheidenden
          Berchtold zum Minister des Äußern ernannt. Buriän übernahm die Leitung des
          Ministeriums am 14. Januar. In der gemeinsamen Ministerkonferenz vom 3. Februar
          präsidierte er zum erstenmal als Vorsitzender des gemeinsamen Ministerrates. Sein
          weitschweifiges außenpolitisches Expose erstreckte sich auf alle Probleme der außen¬
          politischen Lage der Monarchie, die schon auf der Tagesordnung der von Berchtold
          geleiteten Ministerratssitzungen gestanden hatten. Als er über Bulgarien sprach, wo er
          einige Zeit die Monarchie vertreten hatte, berief er sich auf die Gegebenheiten, die er
          bei seinem Amtsantritt vorgefunden hatte.

             Die in seinem Bericht erwähnte Antrittsvisite bei den Deutschen fand am 23. Januar
          im deutschen Hauptquartier in Mezieres-Charleville statt. Dort hatte er Gelegenheit,
          sämtliche bedeutenderen Kriegsprobleme der Mittelmächte mit Reichskanzler Beth-
          mann-Hollweg, mit dem Staatssekretär im Außenamt, Jagow, dem Chef des General¬
          stabs Falkenhayn, ja mit Kaiser Wilhelm selbst zu besprechen. Im Gegensatz zu dem,
          was er in seinem Bericht laut Protokoll über diesen Besuch über die Italienpolitik der
          Deutschen gesagt hatte, behauptet er in seinen Memorien (Drei Jahre. Berlin 1923,
          S. 32), daß sie sich in der Frage der Gebietsabtretung nicht einigen konnten. -- Unter

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