Gemeinsamer Ministerrat, 19. 8. 1914
I. Die Befestigung von Wien, Budapest und der Donauübergänge, die Kriegsberichterstattung
Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_VII/pdf/oe_hu_mrp_VII_z5.pdf.
Rand des Blattes rechts die Unterschrift von Berchtold, links die von Hoyos. -- Ebd. das handschriftliche Konzept des Protokolls mit Korrekturen und einer von unbekann¬ ter Hand stammenden, nachträglichen Eintragung. Am Rubrum mit Handzeichen: »Exp. A. H.« 5. Wien, 19. August 1914 Der Ministerrat beschließt, wegen der drohenden Gefahr eines eventuellen italieni¬ schen Angriffs, Wien, Budapest und die Übergangsstellen an der Donau zu befestigen. Der ungarische und der österreichische Ministerpräsident wünschen eine ausführlichere und freiere Informierung der Öffentlichkeit über die Kriegsereignisse. Mit Italien wurden die Verhandlungen in ruhigerem Ton geführt. Wie auch aus dem Text des Protokolls des Kronrates hervorgeht, war der Anlaß seiner Einberufung ein Vortrag des Armeeoberkommandanten Erzherzog Friedrich beim Monarchen. Der Generalstab war nämlich der Meinung, wegen der schweren Kämpfe an der russischen Front wäre es nicht möglich, genügend Truppen zur Abwehr eines eventuellen italienischen Angriffs an die italienische Grenze abzuziehen. Wegen der augenblicklichen militärischen Lage wäre die Monarchie gezwungen -- so beurteilt der Generalstab die Lage --, die eventuell angreifenden italienischen Truppen ohne ernsteren Widerstand ins Landesinnere zu lassen. Die Befestigung der Hauptstädte Österreichs und Ungarns sollte es ermöglichen, die schwerste Katastrophe zu vermei¬ den. Die Frage des Ausbaus von Wien zu einem Brückenkopf ist übrigens bereits im Jahre 1904 aufgetaucht. Auf Grund dieser wiederholt umgearbeiteten Pläne wurden die Arbeiten kurz vor Kriegsausbruch begonnen (über das weitere Schicksal der Befestigungsarbeiten wie überhaupt über die ganze Frage siehe: E. Hilbrand: Der Brückenkopf Wien im Ersten Weltkrieg. Mitteilungen des Österreichischen Staats¬ archivs. 14. Bd. Wien 1961, S. 138-144). Die Chefs der österreichischen und der ungarischen Regierung haben in diesem gemeinsamen Ministerrat zu erstenmal gegen die ihrer Ansicht nach übertriebenen und die Zivilverwaltung in den Hintergrund drängenden Verfügungen der Militär¬ verwaltung protestiert. Protokoll des zu Wien am 19. August 1914 abgehaltenen Ministerrates für gemein¬ same Angelegenheiten, unter dem Allerhöchsten Vorsitze Seiner Majestät des Kaisers und Königs. K.Z. 67. - G.M.K.P.Z. 516. Gegenwärtige: Der k.u.k. Minister des kaiserlichen und königlichen Hauses und des Aeussern Leopold Graf Berchtold, der k.k. Ministerpräsident Karl Graf S t ü r g k h, der kgl. ung. Ministerpräsident Stephan Graf T i s z a, der k.u.k. gemeinsame Finanzminister Dr. Leon Ritter von Bilihski, der k.u.k. Kriegsminister F.Z.M. Alexander Ritter von Krobatin. Protokollführer: Legationsrat Graf Hoyos. 168 <pb/> Gegenstand: Die Befestigung von Wien, Budapest und der Donauübergänge, die Kriegsberichterstattung. Seine k. und k. Apostolische Majestät geruhen den Ministerrat mit der Bemer¬ kung zu eröffnen, die Versammlung sei einberufen worden, um den anwesenden Ministern Gelegenheit zu geben, ihre Ansicht über die sehr wichtige Frage der Befestigung der beiden Hauptstädte Wien und Budapest, sowie der Donaubrücken auszusprechen. Seine Majestät verweisen darauf, dass diese Befestigung schon seit Jahrzehnten für den Fall eines grossen Krieges von den militärischen Autoritäten in Aussicht genommen worden sei, was schon durch den Umstand erwiesen sei, dass die Geniedirektion in Budapest keinen anderen Zweck habe, als fortifikatori- sche Arbeiten an der Donau durchzuführen. Nunmehr werde die Befestigung Wiens und Budapests sowie der Donaulinien von dem Armeeoberkommando als dringend notwendig bezeichnet. Seine Majestät bringen hierauf einen telegraphischen`al¬ leruntertänigsten Vortrag des Armeeoberkommandanten Erzherzogs Friedrich zur Verlesung, worin ausgeführt wird, dass wir möglicherweise durch das Eingrei¬ fen Italiens in kurzer Zeit genötigt sein würden, den Krieg gegen drei Fronten zu führen und, nachdem man Italien keine namhaften mobilen Kräfte entgegensetzen könne, es unbedingt notwendig erscheine, Massnahmen zu ergreifen, um den italienischen Vormarsch zu verzögern. Seine Majestät geruhen hierauf den k.u.k. Kriegsminister aufzufordern, der Versammlung die militärische Situation vorzutragen und die Notwendigkeit der Befestigungen darzulegen. Der k.u.k. Kriegsminister verweist auf die Zwangslage, in welcher wir uns befinden und auf das zweideutige Verhalten Italiens, welches uns das Ergreifen von Gegenmassregeln zur Pflicht mache. Es handle sich jetzt darum, die beiden Hauptstädte in einer Weise zu schützen, dass sie einem Angriffe mit den mobilen Mitteln einer Feldarmee standhalten können. Gegen eine regelrechte Belagerung mit schwerer Artillerie könnten sie natürlich nicht geschützt werden, man müsse aber den Feind am sofortigen Einmarsch verhindern. An der Hand der Karte erklärt Feldzeugmister Ritter von Krobatin den Anwesenden, dass die Befestigung von Wien und Budapest, welche beide weitausgedehnte Städte sind, 8 Wochen brau¬ chen wird. Man könne damit rechnen, dass eine itaüenische Armee etwa 4 Wochen brauchen würde um von der Grenze bis nach Wien vorzudringen. Wir könnten den Italienern momentan fast nichts entgegenstellen. Der Kriegsministef erteilt hierauf vertrauliche Auskünfte über die Vorkehrungen die zum Schutze unserer italieni¬ schen Grenze getroffen wurden. Der k.k. Ministerpräsident verweist darauf, dass der k.u.k. Rriegs- minister die pohtische Lage gegenüber Italien sehr pessimistisch beurteilt und beantragt, dass der Minister des Äussern hierüber vom Standpunkte seines Ressorts Aufklärungen erteile. Graf Berchtold rekapituliert die verschiedenen Phasen der italienischen Krise. Nach Ansicht aller massgebenden Faktoren in der Monarchie könne von einer Abtretung österreichisch-ungarischen Gebietes an Itahen nicht die Rede sein. Italien habe das Wort Trentino schon ausgesprochen, seither sehr weit gehende 169 <pb/>militärische Massnahmen ergriffen und könne sich, wenn dies im italienischen Interesse liege, jeden Augenblick gegen uns wenden. Wir müssten seiner Ansicht nach jedenfalls trachten, den Bruch mit Italien möglichst lange hinauszuschieben, deshalb setze er die Konversation fort und erhalte die italienische Regierung noch in dem Glauben, dass die Kompensationsfrage im Sinne der italienischen Aspira¬ tionen gelöst werden könnte. Auch beabsichtige er, eine intensive Aktion zur Beein¬ flussung der italienischen Presse einzuleiten. Der k.u.k. Kriegsminister erteilt hierauf auf Wunsch des königl. Ungar. Ministerpräsidenten weitere vertrauhche Auskünfte über die Notwendigkeit der Befestigung der Hauptstädte sowie über die Truppen, welche gegen Italien dispo¬ nibel wären, aus denen hervorgeht, dass die 5. Armee nach einem entscheidenden Sieg gegen Serbien eventuell gegen Italien verwendet werden könnte. Der kgl. ung. Ministerpräsident erklärt, er finde das Verlangen der Kriegsverwaltung nach Befestigung der beiden Hauptstädte und der Donaulinie gerechtfertigt. Er hege die feste Ueberzeugung, dass wir den Kampf, welcher uns aufgezwungen worden sei, mit dem Aufwande unserer ganzen Kraft durchkämpfen müssen. Die Monarchie habe Gott sei Dank in den letzten Wochen solche Beweise für ihre Vitalität und innere Kraft erbracht, sie sei in einer so guten Verfassung, dass sie auch einen Schicksalschlag ertragen könnte, ohne zu verfallen. Es wäre jetzt seiner Ansicht nach ein geringeres Unglück, den Krieg zu verlieren, als den Kampf gleich aufzugeben. Wir müssen dieselbe Zähigkeit zeigen, welche uns in früheren grossen Tagen rettete, als die Lage Österreich-Ungarns weit mehr gefährdet war. Daher wäre er auch dafür, dass man mit dem ärgsten Fall rechnet und die Befestigung der Donauhnie in Angriff nimmt. Nur könnte man vielleicht mit einer Verlautbarung hierüber warten, bis ein entscheidender Schlag in Serbien gefallen sei, damit hier keine allzu grosse Beunruhigung hervorgerufen werde. Seine k. und k. Apostohsche Majestät geruhen zu bemerken, dass ein entschei¬ dender Schlag in Serbien in den nächsten Tagen nicht zu erwarten sei. Die Aktionen von Schabatz und Losniza seien bedauerlicherweise in der Presse stark überschätzt worden, es sei noch nichts geschehen, was man als einen entscheidenden Schlag ansehen könne. Im Gegenteil die Serben hätten Verstärkungen erhalten, unsere Truppen befänden sich in der Defensive gegen serbische Angriffe und hätten einen recht schweren Stand. Die Truppen hätten sehr tapfer gekämpft und ihre volle Schuldigkeit getan und man könne den kommenden Ereignissen mit Vertrauen entgegensehen, dürfe aber nicht vergessen, dass unsere relativ schwachen Kräfte jetzt fast die ganze serbische Armee vor sich haben. Es entspinnt sich hierauf eine längere Debatte über die Möglichkeit, die Kriegs¬ vorbereitungen gegen Italien in einer tunlichst unauffälligen und Italien nicht provozierenden Weise durchzuführen. Als Ergebnis dieses Gedankenaustausches kann festgestellt werden, dass alle Teilnehmer die Notwendigkeit der Befestigung Wiens und Budapests sowie der Donauübergänge einsehen, jedoch Wert darauf legen, dass die Veröffentlichung dieser Massregel um ein bis zwei Tage hinaus¬ geschoben und wenn möglich zu einem Zeitpunkt erfolge, wo diese auf die öffent- liche Meinung nicht allzusehr Eindruck machen würde. 170 <pb/> Der kgl. ung. Ministerpräsident weist darauf hin, dass es sehr not¬ wendig wäre, die Presse im weiteren Masse mit Nachrichten vom Kriegsschauplätze zu versorgen, insbesondere mit Details über die einzelnen Kämpfe, wodurch die mihtärischen Geheimnisse in keiner Weise preisgegeben und die gute Stimmung im In- und Auslande doch erhalten würde. Er bittet Seine k. und k. Apostolische Majestät, anzubefehlen, dass alle Nachrichten vom Kriegsschauplatz auch ungün¬ stige, insoferne die militärischen Operationspläne dadurch nicht verraten werden, publiziert werden sollen. Es sei gerade jetzt vom politischen Standpunkte für das Ausland ungemein wichtig, dass nicht nur die lügenhaften Siegesberichte der Triple-Ententemächte in den ausländischen Blättern publiziert werden. Die Hal¬ tung der Balkanstaaten hänge sehr wesentlich davon ab, dass man dort hinsicht¬ lich unseres Erfolges zuversichtlich bleibe. Wenn Bulgarien zum aktiven Eingreifen vermocht werden könnte, würden die österreichisch-ungarischen Truppen zum grossen Teil anderswo verwendbar sein und dann hätten wir einen viel besseren Stand gegenüber Italien. Und dann hätte er noch eine Bitte vorzubringen, dass nämlich der Minister des Äussern in erster Linie aber auch die beiden verant¬ wortlichen Regierungschefs, vom Armeeoberkommando über den Fortgang der militärischen Operationen eingehender instruiert werden mögen. Es sei im allge¬ meinen Staatsinteresse und insbesonders für den Grafen Berchtold, der seine Agenten im Auslande instruieren müsse, sehr notwendig, dass die Mitteilungen des Armeeoberkommandos ausführlicher werden. Der Minister des Äussern stimmt hierin vollkommen überein und verweist auf die Schwierigkeiten der Beeinflussung der ausländischen Presse, wenn man nicht in der Lage sei, den lügenhaften Berichten unserer Gegner durch eine entsprechende ausführliche Klarstellung der Tatsachen entgegenzutreten. Seine Majestät der Kaiser und König geruhen diesen Ausführungen prinzipiell beizupflichten, aber darauf hinzuweisen, dass man bisher mit Rücksicht auf die militärische Situation nicht in der Lage sei, viel mitzuteilen, da die Armee im Nor¬ den sich noch im Aufmarsch befinde und in Serbien auch nur einleitende Gefechte stattgefunden hätten. Der Kriegsminister resümiert die militärischen Ereignisse der letzten Tage und glaubt dass ernstere Operationen in kurzer Zeit in Russland beginnen werden, worauf das Armeeoberkommando mehr werde mitteilen können. Der k.k. Ministerpräsident schliesst sich den Ausführungen des königl. ungar. Ministerpräsidenten und des Ministers des Äussern an und bean¬ tragt, ob es nicht möglich wäre, dass das Armeeoberkommando, wie dies in Deutschland geschehen sei, eine allgemeine Darstellung der jüngsten militärischen Operationen gebe. Diese Darstellung wäre eine rein retrospektive, so dass die Gefahr des Verrates militärischer Geheimnisse nicht bestehen würde. Hieran anschliessend könnte man nach Massgabe der militärischen Ereignisse in den nächsten Tagen unter Zugrundelegung des Prinzipes, dass nur absolut wahre Nachrichten veröffentlicht werden dürften, weitere Darstellungen erscheinen las¬ sen. Dabei sollte man besonders auch an die Veröffentlichung von Details über ein¬ zelne Ruhmestaten denken, es handle sich darum, die Phantasie des Volkes zu befriedigen und so die gute Stimmung zu erhalten. Es wäre seiner Ansicht nach sehr <pb/>erwünscht, dass ein mit den Bedürfnissen des Pressedienstes vertrauter Beamter dem Kriegsüberwachungsamt zugeteilt und bei der Konzipierung dieser Berichte zu Rate gezogen werde. Hierauf wird von beiden Ministerpräsidenten darauf hinge¬ wiesen, dass die Militärbehörde seit der Mobilisierung die Tätigkeit der Zivilver¬ waltung fast ganz ausgeschaltet und insbesondere für die Erhaltung und Kräfti¬ gung der Volkswirtschaft durch entsprechende Fürsorge für Bahntransporte mili- tärischerseits in keiner Weise Vorsorge getroffen wird. Graf S t ü r g k h führt aus, dass unsere Bahnen durch die Militärtransporte keineswegs vollauf in Anspruch genommen sind, sondern auch einen grossen Teil des normalen Personen- und Lastverkehres bewältigen könnten, wenn die Mili¬ tärsbehörde dies zulassen würde. Insbesondere müsse man dafür sorgen, dass die Industrie Kohle erhalte. Der kgl. ung. Ministerpräsident schliesst sich dieser Auffassung an und betont die Notwendigkeit, für den Transport des Getreides zu den grossen Mühlen im Interesse der Ernährung der Monarchie Vorkehrungen zu treffen. Seine k. und Apostolische Majestät geruhen hierauf festzustellen, dass bezüglich der Befestigungen die einmütige Anschauung aller Beteiligten vorliege und diese Massregel nunmehr sogleich in Angriff genommen werden kann. Gleichzeitig haben Seine Majestät Allergnädigst zu verfügen geruht, dass die weiteren von den Ministern vorgebrachten Fragen eingehend studiert und mit dem Ar¬ meeoberkommando diesbezüglich von den betreffenden Ressorts in Fühlung getreten werde. Bezüglich Italiens geruhen Seine Majestät zu bemerken, dass man sich im gegen¬ wärtigen Augenblick bei den Verhandlungen mit der itahenischen Regierung eines ruhigen Tones befleissigen müsse. Seine Majestät sind der Ansicht, dass in militäri¬ scher Hinsicht ohne provokatorische Absicht das Erforderliche geschehen muss, um unsere Grenzen gegen Italien zu schützen, soweit dies möglich ist. Hierauf geruhen Seine Majestät den Ministerrat aufzuheben. Original-Reinschrift. -- Die Einsichtnahme wurde auf dem Mantelbogen des Protokolls von sämtlichen Teilnehmern des Ministerrates bestätigt. In der rechten oberen Ecke dieses Bogens mit Bleistift geschrieben: »ffertig)«. Auf dem letzten Blatt die Kenntnisnahme durch den Herrscher: »Wien, 3. September 1914.« Auf demselben Blatt links unten die Unterschrift des Protokollführers Hoyos. Die Unterschrift Berchtolds fehlt. -- Ebd. das handschriftliche Konzept des Protokolls mit Korrekturen des Protokollführers und Berchtolds. Am Rubrum mit Handzeichen: »Exp. B.« 6. Wien, 7. September 1914 Der Minister des Äußern orientiert den Ministerrat über das Verhalten der türkischen, der griechischen, der rumänischen, der bulgarischen und der italienischen Regierung in Fragen des Krieges. Der Kriegsminister berichtet über seine Verfügungen zur 172 <pb/>