Gemeinsamer Ministerrat, 8. 8. 1914
I. Die Kompensationsforderung Italiens
Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_VII/pdf/oe_hu_mrp_VII_z4.pdf.
4. Wien, 8. August 1914 Diskussion über weitere Sicherung der Neutralität Italiens. Der Ministerrat verwirft Stürgkhs irreführenden Entwurf eines italienisch-deutschen Vertrags. Der Minister des Äußern, Berchtold, berief sich in seinen einleitenden Worten auf die im Ministerrat vom 31. Juli erfolgte Ermächtigung, die übrigens durch die Neutra¬ litätserklärung Italiens vom 3. August überholt war, und die besagte, der Minister des Äußern könne Italien im Sinne des Artikels VII des Dreibundvertrages Kompensationen für den Fall in Aussicht stellen, daß Österreich-Ungarn serbische Gebiete andauernder besetzen würde. Darüber hinaus könne er -- im Sinne der nunmehr überholt geworde¬ nen Ermächtigung -- Italien Valona versprechen, falls es -- nach österreichisch¬ ungarischer Auffassung -- seinen Bündnisverpflichtungen nachkommt, das heißt an der Seite der Monarchie in den Krieg eintritt. Im Falle der Besetzung Valonas durch die Italiener hätte Österreich-Ungarn entscheidenden Einfluß in Nordalbanien bean¬ sprucht. (Der fragliche Artikel des Dreibundes besagte, wenn es einer der vertrag¬ schließenden Parteien trotz ihrer Absichten nicht gelingt, den Status quo auf dem Balkan aufrechtzuerhalten und sie genötigt ist, einen Teil der Halbinsel vorübergehend oder dauernd zu besetzen, könne die andere Partei auf im vorhinein festzulegende Kompensation Anspruch erheben. Der italienische Standpunkt war von Anfang an, daß der Begriff »vorübergehende Okkupation« im Laufe der Kriegshandlungen schon durch das Betreten serbischen Bodens erschöpft sei.) -- Über die italienische Frage wurde auch am 19. August, 7. und 20. September, 31. Oktober 1914 und am 3. Februar und 8. März 1915 im Ministerrat verhandelt. Protokoll des zu Wien am 8. August 1914 abgehaltenen Ministerrates für gemein¬ same Angelegenheiten, unter dem Vorsitze des Ministers des k.u.k. Hauses und des Äußern Grafen Berchtold. K.Z. 62. - G.M.K.P.Z. 515. Gegenwärtige: der k.k. Ministerpräsident Graf S t ü r g k h, der kgl. ung. Ministerpräsident Graf T i s z a, der k.u.k. gemeinsame Finanzminister Dr. Ritter von B i 1 i n s k i, der k.u.k. Kriegsminister FZM. Ritter von K r o b a t i n, der k.u.k. Chef des Generalstabes G.d.I. Freiherr Conrad von Hötzendorf, der kgl. ung. Minister am Allerhöchsten Hoflager Freiherr von B u r i ä n, der Stellvertreter des k.u.k. Marinekommandanten Konteradmiral von K a i 1 e r. Schriftführer: Legationsrat Graf H o y o s. Gegenstand: Die Kompensationsforderungen Italiens. Der Vorsitzende eröffnet die Konferenz, indem er darauf hinweist, der letzte Ministerrat habe den Beschluss gefasst, dass der Versuch gemacht werden solle, Italien zu befriedigen. Er sei ermächtigt worden, Italien eine Kompensation in Aussicht zu stellen, falls wir Gebiete am Balkan dauernd besetzten und falls Italien seinen Bundespflichten nachkomme. Dieser Beschluss sei durch die Ereig¬ nisse überholt, Italien habe sich, trotzdem offenbar der casus foederis vorliege, 159 <pb/>neutral erklärt und der italienische Minister des Äussern habe unserem Botschaf¬ ter einen langen Brief geschrieben, worin er die Enthaltung Italiens von der Erfül¬ lung seiner Bundespflichten wie folgt motiviere. Der Vorsitzende verliest hierauf den beiliegenden Brief San Giulianos an Herrn von Merey." Seither hat eine weitere Konversation zwischen unserem Botschafter und dem italienischen Minister des Äussern stattgefunden, in deren Verlaufe letzterer deutlich wurde, alle Kompensa¬ tionen, welche Italien in Afrika, in Albanien oder in Frankreich erhalten könnte, als unannehmbar bezeichnete und das Wort Trentino direkt aussprach, indem er beifügte, die Situation würde eine andere werden, wenn wir uns dazu verständen, in dieser Beziehung Konzessionen zu machen. Der k.u.k. Botschafter habe eine solche Zumutung auf das allerenergischeste zurückgewiesen, seither seien aber von deutscher Seite in diesem Belange neuerlich Anwürfe gemacht worden, wir hatten aus Berlin und noch deutlicher aus Bukarest erfahren, dass Italien mit uns kooperie¬ ren würde, wenn es die Zusicherung des Trentino erhalten könnte und endlich habe auch der deutsche Kaiser dem Grafen Berchtold durch Herrn von Tschirschky dringend ans Herz legen lassen, wir möchten weiteren Konversationen mit Italien über eine Kompensation nicht ausweichen. Der Vorsitzende fügt diesen seinen Mitteilungen hinzu, er persönlich sei der Ansicht, dass Italien wegen der Bedrohung durch England und Frankreich auf keinen Fall mit uns kooperieren würde und dass daher die Zusage des Trentino äussersten Falles Italien in seiner Absicht, neutral zu bleiben, bestärken könnte, dies aber auch nur für so lange, als wir und Deutschland nicht durch einen immer¬ hin möglichen Echec geschwächt werden und Italien nicht einen grösseren Vorteil darin sieht, gegen uns vorzugehen und sich dann noch etwa Triest zu nehmen. Daher würde er es für einen grossen Fehler halten, wenn wir dem Drängen Deutsch¬ lands nachgeben und Italien Zusicherungen machen würden; er aber sei der Ansicht, dass diese Angelengenheit eine so wichtige sei, dass nur der Ministerrat hierüber Beschlüsse fassen könne und daher bitte er die Anwesenden, zu der Frage Stellung zu nehmen. Der kgl. ung. Ministerpräsident erklärt, bevor er auf das Meritum dieser Frage übergehe, erscheine es ihm sehr wichtig, dass der Ministerrat durch den Chef des Generalstabes über die militärische Situation und soweit als möglich auch üb r die Pläne des Armee-Oberkommandos in grossen Zügen informiert werde. Früher möchte er aber schon hervorheben, dass die deutsche Regierung kein Recht habe, uns zu Kompensationen an Italien zu verhalten, wo in erster Linie der deutsche Neutralitätsbruch gegen Belgien daran schuld sei, dass Italien die vereinte englisch-französische Flotte im Mittelmeer vor sich sehe und daher einen Grund habe, um die Bundespflichten nicht zu erfüllen. Dies sollte der deutschen Regierung gegenüber releviert werden. Der Chef des Generalstabes erteilt hierauf geheime Auskünfte über die mihtärische Lage und über die Disposition unserer Streitkräfte. Aus den¬ selben geht hervor, dass wir Italien keinen Widerstand entgegensetzen können, falls es Triest und Istrien angreift und auch in Süd-Tirol gar keine Feldtruppen zurück- a) Eine Kopie des Schreibens San Giulianos s. im Anschluß an das Protokoll. 160 <pb/>lassen, so dass dort nur auf die Verteidigung der Sperrforts gerechnet werden könne. Auf dem Balkan sei es unbedingt notwendig, dass Bulgarien sobald als möglich gegen Serbien losschlage und mobihsiere. Wir könnten uns schon heute verpflichten, an dem Tage in Serbien einzufallen, wo die bulgarische Armee die serbische Grenze überschreite. Bulgarien brauche hiezu nicht mehr als vier Divi¬ sionen zu verwenden, so dass es noch über die Hälfte seiner Wehrmacht zum Schutz gegen Griechenland und die Türkei verwenden könnte. Resümierend müsse er betonen, dass wir mit allen Mitteln trachten müssen, die Balkanstaaten, Rumänien, Bulgarien und die Türkei für uns zu gewinnen und Italien neutral zu erhalten, wenn dessen Kooperation nicht erreichbar sei. Vom mihtärischen Standpunkt sei letzteres so wichtig, dass er sich als Soldat sage, dass hiefür kein Preis gross genug wäre. Er wolle aber in keiner Weise hierin den Entschlüssen des Ministerrates vorgreifen, sondern nur die militärische Lage dar¬ legen, wie sie sei. Auch er sei dafür, dass man nichts voreilig aus der Hand geben dürfe, aber wenn die Gefahr eines Neutralitätsbruches Italiens vorliege, müsse man diesen auf alle Fälle hintanzuhalten trachten. Der kgl. ung. Ministerpräsident betont, dass es aus diplomatischen Gründen sehr erwünscht wäre, wenn sofort ein kräftiger Schlag gegen Serbien geführt werden könnte. Unsere Politik am Balkan sei dem Gelingen sehr nahe gewesen, da seien als störendes Element die Neutralitätserklärung und die Intrigen Italiens dazwischen gekommen, unsere Freunde am Balkan hätten sich besonnen und warteten nun ab, um zu sehen, ob wir Erfolge haben würden. Wir laufen Gefahr, die diplomatische Partie im nahen Orient noch vor dem Kriegsbeginne zu verlieren. Die Situation würde sich mit einem Male ganz zu unseren Gunsten ver¬ ändern, wenn ein kräftiger Schlag gegen Serbien geführt werden könnte. Sei dies jetzt aus militärischen Gründen unmöglich, so sollte man seiner Ansicht nach unseren Freunden am Balkan eine Aufklärung darüber erteilen, warum unsere Aktion gegen Serbien nicht sofort beginnt. Der Chef des Generalstabes erteilt weitere geheime Auskünfte, aus denen hervorgeht, dass derzeit noch nicht gegen Serbien offensiv vorgegangen werden kann. Am Schlüsse dieser Ausführungen ergreift Graf T i s z a wieder das Wort und erklärt, es sei nunmehr weniger schwer, unsere komplizierte Situation zu überse¬ hen, nachdem General Conrad die militärische Lage dargelegt und Aussicht auf eine gegen Russland gerichtete energische Offensive eröffnet" habe. Nach dem Gesagten müsse er sich fragen, was wir erreichen würden, wenn wir das Trentino sogleich hergeben sollten. Wenn eine Grossmacht einmal auf der schiefen Ebene des Verrates so weit vorgeschritten sei wie Italien in dem gegenwärtigen Augenblick, so besteht gar keine Gewähr dafür, dass es in der nächsten Zeit nicht noch mit ganz anderen Forderungen hervortritt. Wie Italien seine Zusagen halte, könne man jetzt beurteilen; selbst wenn es sich jetzt wieder verpflichtet mit Deutschland und uns zu kooperieren, so hiesse dies nicht, dass es seine Verpflichtung einhalten werde. a) Der Teil von »und Aussicht« bis »eröffnet« wurde von Tisza eigenhändig in die Rein¬ schrift des Protokolls eingefügt. 11 Komjäthy: Protokolle löl <pb/> Man müsse auch an den Eindruck denken, welchen ein Nachgeben unsererseits in der ganzen Monarchie und im Auslande hervorrufen würde. Ein Staat, welcher, um einen zum Verrate hinneigenden Nachbarn vor dem vollständigen Verrate abzuhalten, aus seinem eigenen Leibe Gebietsteile hergebe, degradiere sich vor der ganzen Welt. Man denke nur daran, eine wie schwere diplomatische Campagne Bismarck seinerzeit bestehen musste, um die französische Intervention hintanzu¬ halten und wie standhaft er sich trotzdem weigerte, preussische Gebietsteile an Frankreich abzutreten. Das Standhalten gegen entehrende Zumutungen trage in der Politik auch in praktischer Hinsicht gute Früchte und man komme dabei viel eher auf seine Rechnung, als wenn man Schwäche zeige. Gerade jetzt, wo die Pre¬ stigefrage für unsere auswärtige Politik eine so grosse Rolle spiele, müssten wir stark auftreten und Rumänien und Bulgarien keine Gelegenheit geben, auch ihrerseits Erpresserpolitik zu treiben. In Italien würden wir durch unsere Nachgiebigkeit sehr wenig erreichen, bei den anderen aber einen Prestigeverlust erleiden, was für den weiteren Fortgang unserer Aktion ernste Folgen hätte. Er habe sich bemüht, diese Frage ohne Gemütsbewegung und ohne seinem Temperamente nachzugeben, vom reinen Vernunft Standpunkte durchzudenken und habe die Überzeugung gewon¬ nen, dass wir ganz entschieden verlieren würden wenn wir aufItaliens Wünschen eingingen. Unser hauptsächliches Bestreben sollte jetzt dahin gehen, Zeit zu gewin¬ nen, bis die Entscheidung in Frankreich und Russland gefallen ist und Italien die Lust verhert, feindsehge Schritte gegen uns zu unternehmen. Deshalb sei er dafür, dass die Konversation mit dem römischen Kabinette in freundschaftlicher Weise fortgesetzt werde. Das Schreiben San Giulianos biete genügend Punkte, welche einer eingehenden Kritik unterzogen werden könnten, so würde er, wenn er dem italienischen Minister antworten müsste, darauf hinweisen, dass, wenn Italien seine Interpretation des Artikels VII. anerkannt wissen wolle, wir ein ebensolches Recht hätten, unsererseits dafür einzutreten, dass Itahen unsere Interpretation des Casus foederis anerkenne, der unserer Ansicht nach dem klaren Wortlaut des Ver¬ trages entsprechend jetzt für Italien eingetreten sei. Ferner müsste man die Be¬ hauptung San Giulianos als hätten wir den Krieg gewollt, wiederlegen und end¬ lich halte er es für sehr wichtig, dass wir von dem Passus in dem Schreiben des itahenischen Ministers Akt nehmen, worin er sagt, der Ministerrat habe gestern die Neutrahtät beschlossen und sich Vorbehalten, vielleicht zu einem späteren Zeitpunkte den Wünschen seiner Alliierten konforme Entschlüsse zu fassen; hiemit sei ausgesprochen, dass man auch italienischerseits die nunmehr beschlossene Neutrahtät als die denkbar6 ungünstigste Haltung gegenüber den Verbündeten ansehe. Auf diese Weise Hesse sich die Konversation mit der italienischen Regierung in unverbindlicher Weise fortspinnen. Endlich halte er es noch für dringend not¬ wendig, dass die in den ersten Tagen der Krise mit so günstigem Erfolge begon¬ nene diplomatische Aktion am Balkan mit aller Energie forgeführt werde. In Sofia liege der Schwerpunkt und da sei es unbedingt nötig, dass unser Gesandter ange¬ wiesen werde, den Vertrag unter allen Umständen sobald als möglich zu unter- b) In der Reinschrift des Protokolls wurde das Wort »ungünstigere« durch »ungünstigste« ersetzt und -- davor »denkbar« eingefügt. Beide Korrekturen stammen von Tisza. 162 <pb/>schreiben. Es sollte seiner Ansicht nach auch die Tatsache durch unsere Diplomatie verwertet werden, dass wir vor der Absendung der Note an Serbien gar keine militärischen Vorkehrungen getroffen haben, dass die Mobilisierung jetzt voll¬ kommen glattc und programmässig fortschreite, dass der Enthusiasmus und die Opferwilligkeit der Bevölkerung in der Monarchie alle Hoffnungen überschritten habe und dass wir die Operationen mit aller Energie aufnehmen werden, sobald unsere Truppenkonzentrierung beendet sein wird. Die italienische Gefahr könne durch voreiliges Nachgeben nicht beseitigt werden, man müsse sich ihr gegenüber zuwartend verhalten und jede bindende Verabredung vermeiden. Der Kriegsminister sowie der Chef des Generalstabes erklären sich mit dieser Auffassung vollkommen einverstanden. Der Vorsitzende weist daraufhin, dass man in Sofia noch zögere, weil man einer¬ seits einen Vorstoss unserseits gegen Serbien wünsche, bevor man selbst losschlage, dann weil man der Türkei nicht traue und fürchte, dass sie Westthrazien besetzen werde und endlich weil die russische Regierung in Sofia sehr stark intrigiere. Der k.u.k. Gesandte in Sofia sei schon ermächtigt worden, den Wünschen Bulgariens beim Abschluss des Vertrages in der weitesten Weise entgegenzukommen und es werde hoffentlich in den nächsten Tagen der Vertrag unterschrieben werden. Der k.k. Ministerpräsident bemerkt, er wolle als Chef der österrei¬ chischen Regierung vor allem zur Kompensationsfrage Stellung nehmen und müsse voraussenden, dass er ebenso wie der königl. Ungar. Ministerpräsident der Ansicht sei, dass wir den Italienern der Monarchie gehörige Gebietsteile weder versprechen, noch geben dürfen. Es sei klar, dass Italien uns gegenüber eine zuwartende Stellung einnehmen wolle, seine Neutralität werde aber keine wohl¬ wollende sein und es werde jede Gelegenheit benützen, um uns zu Konzessionen zu bewegen und uns sogar nötigenfalls angreifen. Wir könnten an der italienischen Grenze keine ernste Verteidigung organisieren und unsere Situation wäre verloren, wenn die Italiener bis Laibach und Graz vorrücken sollten. (Der Chef des General¬ stabes bemerkt hiezu, die Situation wäre dann eine sehr unangenehme, nicht aber verloren.) Er müsse dem königl. ungar. Ministerpräsidenten vollkommen bei¬ pflichten, dass einerseits die Neutrahtät Englands durch ein weniger aggressives Vorgehen Deutschlands hätte erhalten werden können und dass die Zumuthung zur Abtretung altösterreichischen Gebietes, wie sie jetzt von Berlin aus an uns gerichtet werde, eine sehr harte Anforderung an unser Selbstgefühl sei und abgewiesen wer¬ den müsse. Er frage sich nur, ob es nicht gefährlich sei, einfach zuzuwarten, bis Italien sich zu einem aggressiven Vorgehen gegen uns entscheide und ob nicht der Versuch gemacht werden sollte, es durch eine Art von Geheimvertrag zu täuschen und so über die Gefahrzone der nächsten Wochen hinwegzukommen. Gegen Bri¬ ganten, wie es die Italiener jetzt seien, sei keindiplomatischerWinkelzugzu schlecht. Er hätte daher auch gar keine moralischen Bedenken, die Italiener jetzt zu hinter¬ gehen. Er denke dahei .etwa an den nachstehenden Aktionsplan. Deutschland cj In der maschingeschriebenen Reinschrift wurde das Wort »ruhig« vbn Tisza auf »glatt« korrigiert. 11* 163 <pb/>würde hinter unserem Rücken aber mit unserer geheimen Konnivenz einen Ge¬ heimvertrag mit der itahenischen Regierung abschliessen, worin es sich 1. verpflichten würde, die laut Artikels VII des Dreibundvertrages geltend gemachten Ansprüche Italiens gegenüber Österreich-Ungarn zur Anerkennung zu bringen; 2. Deutschland würde sich ferner verpflichten, die Gewährung der von Italien angesprochenen Kompensation, deren Gegenstand und Inhalt vorerst zwischen den beiden Kabinetten besprochen werden sollte, gegenüber Österreich-Ungarn nach Beendigung des Krieges mit seinem vollen Gewichte zur Annahme zu bringen; 3. Deutschland würde diese Zusicherung an die Bedingung knüpfen, dass, falls die von Italien angesprochene Kompensation den dermaligen Besitzstand Öster¬ reich-Ungarns tangieren sollte, das Gebiet der Stadt Triest samt Umgebung, die anderen von Itahenern bewohnten Gebiete des österreichischen Küstenlandes und des ungarisch-kroatischen Litorales an der Adria von einer solchen Kompen¬ sation ausgeschlossen bleiben müsste. Hiemit wäre das Trentino implicite als Kompensationsobjekt genannt. Hingegen würde sich Italien verpflichten: 1. Unter Anerkennung des casus foederis die ihm aus dem Dreibundvertrag erwachsenden Verpflichtungen ganz durchzuführen und mit den beiden verbünde¬ ten Kaiserstaaten zu Wasser und zu Lande zu kooperieren. 2. Würde sich Italien verpflichten, während des Krieges Österreich-Ungarns mit Serbien, in welchem Österreich-Ungarn nach seinen Erklärungen keine territoria¬ len Eroberungen beabsichtigt, eine dem Bundesverhältnisse entsprechende Hal¬ tung gegenüber Österreich-Ungarn einzunehmen und die am Schlüsse des Krieges durch das letztere zur Sicherung einer dauerhaften Ordnung auf dem Balkan getroffenen Massnahmen anzunehmen und Österreich-Ungarn nicht zu behin¬ dern. Hiedurch würde Itahen von der deutschen Regierung Zusicherung hinsichtlich des Trentinos erhalten. Gleichzeitig würde aber die deutsche Regierung mit uns einen zweiten Geheimvertrag abschhessen, der etwa folgenden Wortlaut haben könnte: 1. Deutschland anerkennt die Notwendigkeit, zum Schutze und zur Sicherung der Stellung der österreichisch-ungarischen Monarchie gegen Südosten eine dauerhafte Ordnung am Balkan herzustellen. In Übereinstimmung mit Österreich-Ungarn erblickt Deutschland als wesent¬ liche Voraussetzungen zur Erreichung dieses Zieles die politische Schwächung der verbündeten Königreiche Serbien und Montenegro, die vor allem durch Minde¬ rung des Territorialbesitzes dieser Länder herbeizuführen ist. Als ein zweites wichtiges Sicherungsmittel wird einvernehmlich die Entfernung der dort regieren¬ den Herrscherfamilien und die Einsetzung einer westländischen Dynastie aner¬ kannt. Deutschland und Österreich-Ungarn werden zu letzterem Behufe nach Beendi¬ gung des Krieges am Balkan im engen Einvernehmen Vorgehen. 2. Sollte während der Dauer des Krieges auf dem Balkan oder bei Abschluss desselben von Seiten Italiens eine Haltung eingenommen werden, die der Ver¬ wirklichung der oben bezeichneten Interessen Österreich-Ungarns hindernd in 164 <pb/>den Weg tritt, so verpflichtet sich Deutschland, in solchem Falle Österreich-Ungarn bei Durchsetzung dieser Interessen mit voller Kraft auf Verlangen Österreich- Ungarns wenn nötig auch mit Waffengewalt gegen Italien zu unterstützen. Nach Ansicht des k.k. Ministerpräsidenten würde Italien niemals in der Lage sein, die von Österreich-Ungarn beabsichtigte Neuordnung der Verhältnisse am Balkan anzuerkennen und insbesondere niemals der Entfernung des montenegri¬ nischen Königshauses zustimmen. Hiedurch würde der mit Deutschland geschlos¬ sene Vertrag Itahens hinfällig und auch die auf Grund desselben von Deutschland zugesicherte Abtretung des Trentino würde niemals durchgeführt werden. Diese Vorgangsweise hätte den Vorteil, dass Italien durch die deutschen Zu¬ sicherungen dazu veranlasst werden würde, seine Bundespflicht zu erfüllen und dabei wir nicht tatsächüch genötigt wären, eine Gebietsabtretung vorzunehmen. Er wisse, dass ein solcher Aktionsplan nicht sehr ehrlich0 wäre, angesichts der Hinterhältigkeit Italiens sei er aber der Ansicht, dass wir jeder moralischen Ver¬ pflichtung entbunden seien. Der kgl. ung. Ministerpräsident und Baron B u r i ä n verweisen darauf, dass Itahen sich durch einen solchen Vertrag, in dem ihm zwar deutscher¬ seits Zusicherungen gemacht werden, wohl kaum täuschen lassen würde und jedenfalls nicht daran glaube, dass eine solche Zusicherung ohne unsere Mitwir¬ kung erfolge. Wenn es aber vermute, dass wir den Plan angeregt haben, so würde es dies nur als neuerlichen Beweis unseres Schwächebewusstseins aufiassen und uns jedenfalls auch in Rumänien diskreditieren. Aus diesem Grunde sprechen sich beide Minister gegen den Vorschlag des Grafen Stürgkh aus. Der kgl. ung. Ministerpräsident kommt wieder auf das Kalenda¬ rium der in Aussicht genommenen kriegerischen Operationen zu sprechen und verweist darauf, dass auf dem französischen Kriegsschauplatz schon in der näch¬ sten Woche voraussichtlich grosse Entscheidungen fallen dürften, in 14 Tagen auch in Russland, in der Zwischenzeit müssten wir seiner Ansicht nach bemüht sein, die Verhältnisse am Balkan im Sinne unserer Interessen zu beeinflussen. Die Haupt¬ sache sei, dass die Balkanstaaten in entsprechender Weise darüber orientiert werden, dass wir zielbewusst auf die grosse Entscheidung hinarbeiten und dass die Voraussetzungen zu unserem Erfolge günstige seien. Er müsse hier konstatieren, dass die Monarchie in allen ihren Teilen jetzt einen Beweis von Entschlossenheit und moralischer Kraft erbracht habe, dass man allen Grund habe nicht zaghaft zu sein und das Selbstbewusstsein nicht zu verheren. Die Frage unserer Aktions¬ fähigkeit sei durch das tadellose Funktionieren des militärischen Apparates erwie¬ sen, es handle sich jetzt nur mehr darum, das Vertrauen in uns auch bei unseren Nachbaren im Südosten der Monarchie zu befestigen. Der gemeinsame Finanzminister schliesst sich den Ausfüh¬ rungen des Grafen Tisza an und verweist darauf, wie notwendig es sei, durch entsprechende Aufklärung über den Fortgang der Mobilisierung und der militäri¬ schen Operationen die begeisterte Stimmung der öffentlichen Meinung in der d) Über dem Wort »ehrlich« steht, von unbekannter Hand mit Blaustift geschrieben »blöd«. 165 <pb/>ganzen Monarchie zu erhalten. Was Italien betreffe, so sei auch er der Ansicht, dass man an die Abtretung österreichischen Gebietes nicht denken könne. Der Ministerrat beschhesst hierauf, dass im Sinne des Vorschlages des Vorsit¬ zenden und der Ausführungen des Grafen Tisza die Konversation mit Itahen in unverbindlicher Weise fortzusetzen ist, um die italienische Regierung in ihrer Neutralität zu erhalten, solange keine Entscheidung in Frankreich und Russland gefallen ist und dass, falls Italien vorher einen Einfall in das Trentino unternimmt, dies hingenommen werden muss, wobei man zu einem späteren Zeitpunkte darüber beschliessen wird, in welcher Weise einem italienischen Einmarsch Widerstand geleistet werden könnte. Nachdem der gemeinsame Finanzminister noch die Bewilli¬ gung der beiden Ministerpräsidenten zur Affiliation des bosnischen Hilfsvereines für Verwundetenpflege an das österreichische und ungarische Rote Kreuz für die Dauer der Krieges eingeholt hat, wird der Ministerrat geschlossen. a) Ad Gern. Ministerrats-Protok. v. 8. 8.14, Nr. 515. Herr von Merey an Grafen Berchtold Telegramm Rom, am 2. August 1914. Nr. 580. Geheim! Im Verfolge meines Telegrammes von heute No 579. Text der itahenischen Antwort: «Nous avons examine hier au soir, Salandra et moi la reponse du Comte Berch¬ told au sujet de l'article VII et je m'empresse de Vous communiquer le resultat de notre conversation. Le Comte Berchtold subordonne l'acceptation de notre Interpretation de l'ar- ticle VII ä l'attitude que ITtalie prendrait dans la crise actuelle. Or, on peut subor- donner ä cette condition ou ä une autre condition quelconque, toute modification d'un traite, mais on ne peut subordonner ä aucune condition son interpretation car il ne s'agit pas d'exprimer la volonte actuelle des Parties contractantes; mais de constater leur intention au moment oü eiles ont contracte le pacte. En effet, l'Allemagne ne subordonne ä aucune condition son interpretation conforme ä la notre et c'est logique. En second lieu, il faut considerer que la crise actuelle est transitoire tandis que la Triple Alliance est destinee ä durer 12 ans et peut etre renouvelee, et il est desirable, je puis meme dire qu'il est necessaire, que pendant cette longue periode la poli- tique de ITtalie et celle de PAutriche-Hongrie soit identique dans les questions balkaniques: il est desirable et meme necessaire que leur activite diplomatique puisse se developper dans le plus parfait accord et avec la plus entiere confiance et cordiale reciprocite. Pour atteindre ce but, il est indispensable que nous soyons 166 <pb/>parfaitement rassures sur l'interpretation de l'article VII. Cette necessite est en- core plus evidente dans la crise actuelle, meme si nous ne prenons pas part ä la guerre, car c'est surtout dans les moments plus difficiles et dans lesquels les occa- sions d'appliquer l'article VII semblent plus probables, que pour pouvoir appuyer d'une maniere constante, claire et resolue par notre attitude diplomatique l'action militaire de nos allies, nous avons besoin d'etre entierement rassures sur l'inter¬ pretation par l'Autriche-Hongrie de l'article VII. D'autre part, son acceptation de notre interpretation de l'article VII qui est d'une grande importance pour notre attitude diplomatique, ne peut pas suffire ä eile seule pour eliminer toutes les raisons tres graves qui nous empechent au moins en ce moment de prendre part ä la guerre. En effet, cette formule generale n'etablit pas un accord clair et precis sur la nature et la valeur des compensations eventuelles, et sur leur proposition avec les dangers et les sacrifices immenses auxquels cette guerre pourrait nos exposer, dangers et sacrifices enormes, superieurs ä ceux auxquels s'exposent nos allies. Cette difference immense entre les dangers et les sacrifices d'une part et les avanta- ges d'autre part est justement la raison qui explique pourquoi l'Autriche-Hongrie a voulu une guerre qu'elle aurait pu facilement eviter, tandis que nous avons fait tout ce qui etait en notre pouvoir pour epargner ä l'Europe cette terrible calamite. Nous esperons toutefois que, meme, sans prendre part ä la guerre, des occasions se presenteront pour prouver ä nos allies nos sentiments sincerement amicaux et nous comptons par consequent sur un accord de nature äconcilier nos interets respectifs. Toutes ces considerations, si graves q'elles soient, ne nous empecheraient pas de remplir notre devoir, si ce devoir existait, mais comme le «Casus foederis» n'est pas applicable ä la guerre actuelle, le conseil des ministres a, hier au soir, decide la neutralite, sauf ä prendre plus tard des decisions plus conformes aux desirs de nos allies, si tel sera notre devoir ou si nos interets le conseilleront. L'equilibre de l'Europe, de la Peninsule des Balkans et de la mer qui entoure ITtalie est pour notre pays un interet vital, et il ne recule devant aucun des sacri¬ fices, devant aucune des decisions que la sauvegarde de sona... et de son existence meme pourrait lui imposer. Des le jour oü j'ai pris la direction de la politique etrangere de mon pays, un des buts principaux de mon activite a ete de resserrer de plus en plus les liens d'amitie reciproque entre ITtalie et l'Autriche-Hongrie. C'est dans ce but que je continuerai ä diriger tous mes efforts, car je le crois essentiel dans l'interet de nos deux pays; pour l'atteindre il faut que leurs interets soient mis en harmonie et que ceux de l'un puissent trouver satisfaction sans que ceux de l'autre soient leses. Je compte sur le Comte Berchtold et sur vous mon eher Ambassadeur, pour m'aider ä remplir cette täche.» Original-Reinschrift. -- Die Einsichtnahme wurde auf dem Mantelbogen des Protokolls von sämtlichen Teilnehmern des Ministerrates bestätigt. In der rechten oberen Ecke dieses Bogens mit Bleistift geschrieben: »fertig«. Auf dem letzten Blatt die Kenntnisnahme durch den Herrscher: »Wien, 28. August 1914.« Am unteren a) Ein Wort fehlt in der Copie. <pb/> Rand des Blattes rechts die Unterschrift von Berchtold, links die von Hoyos. -- Ebd. das handschriftliche Konzept des Protokolls mit Korrekturen und einer von unbekann¬ ter Hand stammenden, nachträglichen Eintragung. Am Rubrum mit Handzeichen: »Exp. A. H.« 5. Wien, 19. August 1914 Der Ministerrat beschließt, wegen der drohenden Gefahr eines eventuellen italieni¬ schen Angriffs, Wien, Budapest und die Übergangsstellen an der Donau zu befestigen. Der ungarische und der österreichische Ministerpräsident wünschen eine ausführlichere und freiere Informierung der Öffentlichkeit über die Kriegsereignisse. Mit Italien wurden die Verhandlungen in ruhigerem Ton geführt. Wie auch aus dem Text des Protokolls des Kronrates hervorgeht, war der Anlaß seiner Einberufung ein Vortrag des Armeeoberkommandanten Erzherzog Friedrich beim Monarchen. Der Generalstab war nämlich der Meinung, wegen der schweren Kämpfe an der russischen Front wäre es nicht möglich, genügend Truppen zur Abwehr eines eventuellen italienischen Angriffs an die italienische Grenze abzuziehen. Wegen der augenblicklichen militärischen Lage wäre die Monarchie gezwungen -- so beurteilt der Generalstab die Lage --, die eventuell angreifenden italienischen Truppen ohne ernsteren Widerstand ins Landesinnere zu lassen. Die Befestigung der Hauptstädte Österreichs und Ungarns sollte es ermöglichen, die schwerste Katastrophe zu vermei¬ den. Die Frage des Ausbaus von Wien zu einem Brückenkopf ist übrigens bereits im Jahre 1904 aufgetaucht. Auf Grund dieser wiederholt umgearbeiteten Pläne wurden die Arbeiten kurz vor Kriegsausbruch begonnen (über das weitere Schicksal der Befestigungsarbeiten wie überhaupt über die ganze Frage siehe: E. Hilbrand: Der Brückenkopf Wien im Ersten Weltkrieg. Mitteilungen des Österreichischen Staats¬ archivs. 14. Bd. Wien 1961, S. 138-144). Die Chefs der österreichischen und der ungarischen Regierung haben in diesem gemeinsamen Ministerrat zu erstenmal gegen die ihrer Ansicht nach übertriebenen und die Zivilverwaltung in den Hintergrund drängenden Verfügungen der Militär¬ verwaltung protestiert. Protokoll des zu Wien am 19. August 1914 abgehaltenen Ministerrates für gemein¬ same Angelegenheiten, unter dem Allerhöchsten Vorsitze Seiner Majestät des Kaisers und Königs. K.Z. 67. - G.M.K.P.Z. 516. Gegenwärtige: Der k.u.k. Minister des kaiserlichen und königlichen Hauses und des Aeussern Leopold Graf Berchtold, der k.k. Ministerpräsident Karl Graf S t ü r g k h, der kgl. ung. Ministerpräsident Stephan Graf T i s z a, der k.u.k. gemeinsame Finanzminister Dr. Leon Ritter von B i 1 i h s k i, der k.u.k. Kriegsminister F.Z.M. Alexander Ritter von Krobatin. Protokollführer: Legationsrat Graf Hoyos. 168 <pb/>