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Gemeinsamer Ministerrat, 12. 1. 1905

I. Schlußfassung über die anläßlich der jüngsten Ergebnisse der Handelsvertragsverhandlungen mit dem Deutschen Reiche erforderlich erscheinenden Instruktionen für die österreichisch-ungarischen Deligierten

Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_V/pdf/oe_hu_mrp_V_z60.pdf.

430 Nr. 60 Gemeinsamer Ministerrat, Budapest, 12.1.1905

               Nr. 60 Gemeinsamer Ministerrat, Budapest, 12. Jänner 1905

    RS. (undRK)
     Gegenwärtige: der k. k. Ministerpräsident Freiherr v. Gautsch (31.1.), der kgl. ung. Ministerpräsident
GrafTisza,derkgl.ung.Finanzministerv.Lukäcs, der k.k. Handelsminister Freiherr v.VCall (3.2.), der
k. k. Minister des Inneren Graf Bylandt-Rheidt (31.1.), der kgl. ung. Ackerbauminister v. Talliän, der k. k.
Ackerbauminister Graf Longueval-Buquoy (7.2.), der k. k. Finanzminister Kosel (4.2.), der Staatssekretär
im kgl. ung. Finanzministerium Freiherr v. Andreänszky, der Sektionschef im k. k. Ackerbauministerium
Freiherr v. Beck, der Sektionschef im k. k. Ministerium des Inneren Graf Auersperg, der Staatssekretär im
kgl. ung. Handelsministerium Graf Serdnyi, der Ministerialrat im kgl. ung. Handelsministerium v. Bi'rö, der
Ministerialrat im kgl. ung. Ackerbauministerium v. Lestyänszky, der Ministerialrat im k. k. Finanzministe¬
rium v. Scheuchenstuel, der Ministerialrat im kgl. ung. Ackerbauministerium v. Ottlik, der Oberingenieur
l. Klasse im k. u. k. Reichskriegsministerium Ritter v. Schlesinger, der Ministerialsekretär im k. k. Handels¬
ministerium Glück.
    Protokollführer k. u. k. Konsul Ritter v. Princig.

S Gegenstand: SchluBfassung über die anläßlich derjüngsten Ergebnisse der Handeisvertragsverhandlun-
   n mit dem Deutschen Reiche erforderlich erscheinenden Instruktionen für die österreichisch-ungarischen
  elegierten.

   KZ. [fehlt]-GMCZ. 449
   Protokoll des zu Budapest am 12. Jänner 1905 abgehaltenen Ministerrates für
gemeinsame Angelegenheiten unter dem Vorsitze des k. u. k. gemeinsamen Ministers
des Äußern Graf Goluchowski.

   Der Versitzende eröffnet um 10Uhr abends die Sitzung mit dem Hinweise
darauf, daß in den Vertragsverhandlungen mit dem Deutschen Reiche im allgemeinen
eine Verständigung zu erhoffen sei und nur auf dem Gebiete des Veterinärwesens
gewisse Schwierigkeiten zu bestehen scheinen, welche den Zusammentritt des heutigen
gemeinsamen Ministerrates erforderlich gemacht hätten, damit ein Ausweg gefunden
werden könne.1

   Der kgl. ung. Ministerialrat v. Ottlik, zur Darstellung des Sachver¬
haltes aufgefordert, bringt vorerst die aus zwei Abschnitten bestehenden, in Berlin
verfaßten und verwahrten Vorschläge zur Verlesung, die deutscherseits vorbehaltlich
der Fassung und der Entschließung darüber, ob diese Bestimmungen in die Konvention,
das Schlußprotokoll oder das Sitzungsprotokoll aufzunehmen sind; akzeptiert sind.2
Hierauf gibt Redner die folgende Erklärung ab: Die vorliegenden Propositionen seien
zwar nicht das Ideal dessen, was wir uns unter einer unseren Interessen entsprechenden
Regelung des Viehverkehres vorstellen könnten, und würden gewiß andere Bestimmun¬
gen vereinbart werden, wenn wir das alleinige Entscheidungsrecht besitzen würden. Da
aber auch der Wille des anderen Kompaziszenten in die Waagschale falle, könne mit
Berücksichtigung der gegebenen Verhältnisse entschieden behauptet werden, daß der
vorliegende Entwurf tatsächlich weitgehende Garantien biete und den heutigen, nahezu
rechtlosen Zustand in überwiegendem Maße zu unseren Gunsten modifiziere.3 Die in

1 Den Handelsvertrag mit Deutschland behandelt bereits vorher GMR. v. 28. 2.1904, GMCZ. 440; GMR. v.
    30.10.1904, GMCZ 447.

2 Siehe Beilage Nr. 60a zu diesem Protokoll.  s

3 Die Ablauffrist des mit Deutschland geschlossenen Zoll- und Handelsvertrages des Jahres 1891 ließ man

verstreichen. Siehe GMRProt. v. 28.2.1904, GMCZ 440, Anm. 3. Der Vertragwurdezwarnichtaufgekündigt,

doch diese Gefahr schien ständig zu drohen. Siehe das vorliegende GMRProt. sowie Grunzel, Die

handelspolitischen Beziehungen Deutschlands und Österreich-Ungams 80-89.
<pb/>Nr. 60 Gemeinsamer Ministerrat, Budapest, 12.1.1905  431

Antrag gebrachte Vereinbarung enthalte eine ansehnliche Reihe von Vorteilen und
Verbesserungen. So präzisiere sie, soweit als dies in ähnlichen Fragen möglich sei, die
gegenseitigen Rechte und verhindere prinzipiell und praktisch, daß der wichtigste Teil
unseres Viehexportes, nämlich jener der Schlachttiere, anderen als nur veterinärpoli¬
zeilich begründeten, räumlich und zeitlich entsprechend begrenzten Verkehrsbe¬
schränkungen unterworfen werde. Für den Fall des Auftauchens von Meinungsver¬
schiedenheiten über die Durchführung und Handhabung der tunlichst präzis
festgelegten Regeln sei ein einwandfrei funktionierendes Sachverständigenforum ge¬
schaffen, dessen Äußerung für die Austragung solcher Differenzen als Grundlage

diene.
   Durch die Zusicherung eines Schweineimportquantumsvon jährlich 80 000 Stück im

Werte von zirka 25 Millionen Kronen habe Deutschland uns ein bisher mit größter
Entschiedenheit abgelehntes Zugeständnis gemacht, wodurch uns aller Wahrschein¬
lichkeit nach mehr geboten erscheine, alswir in den nächsten Jahren tatsächlich würden
in Anspruch nehmen können. Die Ablehnung der vorliegenden Anträge könnte nur in
dem Falle motiviert erscheinen, wenn wir begründete Hoffnung hätten, später vorteil¬
haftere Bedingungen für unser wirtschaftliches Verhältnis zum Deutschen Reiche zu
erlangen. Die Situation sei jedoch eine derartige, daß ein günstigerer Moment, um jede
im aiigpmp.inp.n zugängliche Konzession aufwirtschaftlichem Gebiete zu erlangen, nicht
gedacht werden könne. Gegenwärtig sei nämlich die deutsche Regierung in der Lage,
unseren Vertrag ohne vorherige Kündigung trotz des mächtigen agrarischen Wider¬
standes gemeinsam mit den anderen bereits negozüerten Tarifverträgen durchzukämp¬
fen, denn sie besitze die mächtige Waffe des neuen Zolltarifes, dessen Aktivierung nur
gleichzeitig mit dem Inslebentreten der neuen Verträge erfolgen soll, andernfalls die
bestehenden und nicht gekündigten Verträge und damit auch der heutige Tarif in Kraft
bleibe. Würde jedoch die deutsche Regierung durch weiteren Widerstand unsererseits
genötigt werden, von ihrem Kündigungsrechte Gebrauch zu machen, so würden wir ihr
die Waffe gegen die Agrarier entziehen und ihr die Möglichkeit benehmen, später die
uns heute angebotenen Zugeständnisse im Parlamente durchzuzwingen. Das wäre
gleichbedeutend mit dem Scheitern der Verhandlungen und mit dem Verzichte auf
 einen deutsch-österreichisch-ungarischen Handelsvertrag, daher in weiterer Konse¬
 quenz mit unserer wirtschaftlichen Isolierung und unserer Ausschaltung aus dem
 Komplexe der europäischen Vertragsstaaten. Die unabsehbaren, unseren Export schä¬
 digenden Folgen davon würden zweifelsohne eine weitaus ungünstigere Situation schaf-
 fen als der Abschluß des in klaren Umrissen sich abhebenden neuen Handelsvertrages
 mit dem Deutschen Reiche, welcher allerdings durch eine erhöhte Zollbelastung
 unseres Exportes eine Verschlechterung des Status quo bedeute; man könne jedoch mit
 Zuversicht behaupten, daß die fraglichen Zollerhöhungen, abgesehen von denen der
 Malzgerste, für welche jedoch die durch die stark verminderte Spannung zwischen
 Gersten- und Malzzoll günstigeren Aussichten unseres Malzexportes einen Ersatz
 bieten würden, zum überwiegenden Teüe auf den Konsumenten des Importlandes
 überwälzt werden dürften. Redner kommt nach dem Vorausgeschickten zu dem Schlüs¬
 se, daß die in Aussicht genommenen Vereinbarungen befriedigende zu nexmen seien,
 weü sie die Sicherung unserer Ausfuhr garantieren und der zu schaffende Zustand
<pb/>432  Nr. 60 Gemeinsamer Ministerrat, Budapest, 12.1.1905

weitaus günstiger sein werde ab ein vertragsloses Regime, welches wir durch Ablehnung
dieser Anträge heraufbeschwören würden. Er gebe daher pflichtgetreu nur seiner
aufrichtigen Überzeugung Ausdruck, wenn er wiederholt bitte, die deutschen Anträge
nach eingehender Erwägung all der dafür und dagegen sprechenden Argumente anzu¬
nehmen und die österreichisch-ungarische Delegation zu ermächtigen, auf dieser
Grundlage zum Vertragsabschlüsse zu schreiten.

   Auf eine Frage des kgl. ung. Ministerpräsidenten Grafen Tisza,
ob die sämtlichen Posten desVertragstarifes bereite bereinigt seien, erwidert der Vor¬
redner, daß man vorläufig bestrebt war, die einschlägigen Fragen der Veterinärkon¬
vention, deren Zustandekommen österreichisch-ungarischerseits als Voraussetzung für
die Anbahnung eines neuen Vertragsverhältnisses zum Deutschen Reiche betrachtet
werde, auszutragen und erst dann zur Bereinigung der noch offenen Zollpositionen zu
schreiten beabsichtige, daß jedoch bereite auch in dieser Hinsicht schon wesentliche
Fortschritte im technischen Komitee und im Kommissionsplenum gemacht wurden.4

   Der k.k. Sektionschef Freiherr v. Beck fügt dem hinzu, daß insbe¬
sondere schon bezüglich einer strengen Abfertigung der Futtergerste im Gegensätze
zur Malzgerste befriedigende Erklärungen vorliegen und deutscherseits zugesichert
worden sei, das Restitutionsverfahren in diesem Belange nur auf Basis des stringenten
Identitätsnachweises durchzuführen, wobei die deutsche Regierung sich bereit erklärt
habe, die Mälzereien unter Kontrolle zu stellen und dies erforderlichenfalls auch im
Gesetzeswege festzusetzen. Den Malzzoll anlangend, hätten die Deutschen einen
solchenvon 5,95-5,85 Markzugesichert, was Rednerjedoch ab inakzeptabel bezeichnet
habe, worauf deutscherseits ein Malzzoll von Mark 5,75 in Aussicht gestellt wurde. Die
deutschen Delegierten hätten auch zugesichert, unseren Forderungen bezüglich des
Pferde-, Obst- und anderer Zölle nach Tunlichkeit zu entsprechen; eine Festlegung
bindender Natur in diesen Belangen habe jedoch aus dem bereite früher erwähnten
Grunde, daß die einzelnen Zollpositionen, insoweit sie strittig sind, vorerst nicht
definitiv durchbesprochen wurden, noch nicht stattgefunden. Dagegen seien im tech¬
nischen Komitee ganz befriedigende Resultate erzielt worden, so daß nach Ansicht des
Redners eine unseren Postulaten sehr entsprechende Lösung in Aussicht stehe. Im
großen und ganzen sei überhaupt in der letzten Zeit ein ganz auffallendes Entgegen¬
kommen deutscherseits wahrnehmbar. Dies beweise, daß Deutschland unbedingt das
Zustandekommen des Vertrages wolle, daß es jedoch über eine gewisse, ganz bestimmt
gezogene Linie aus naheliegenden Gründen nicht hinausgehen könne.

   Der Ick. Sektionschef Graf Auersperg schfldert die durch die
gegenwärtige Viehseuchenkonvention für Österreich-Ungarn recht ungünstige Situa¬
tion und stellt einen Vergleich an der bbherigen Sachlage mit den Ergebnissen der
abgeführten Verhandlungen über das neue Veterinärabkommen mit Deutschland. In
dieser Beziehung webt Redner darauf hin, daß bisher schon die Zulassung der Schafe
und die Gewährung eines bedeutenden Exportkontingentes von Schweinen erreicht

4 Protokolle der Verhandlungen betreffend die Erneuerung des Handels- und Zollvertrages zwischen
    Österreich-Ungarn und dem Deutschen Reiche v. 12.11.1904-24.11.1904, HHStA., AR., F. 37, Karton
    47, Deutschland 10, Nr. 251.
<pb/>Nr. 60 Gemeinsamer Ministerrat, Budapest, 12.1.1905  433

wurde. Es sei ferner gelungen, den Grenzverkehr, welcher insbesondere Ungarn auch
zugutekomme, zu sichern. Überdies sei die Befristung aller Sperren bewilligt worden,
und habe Deutschland auch zugesagt, daß der freie Viehverkehr nur in bestimmten
Bezirken untersagt werden solle. Schließlich sei es gelungen festzusetzen, daß in
strittigen Fällen das Gutachten einer Fachkommission zur Grundlage der Entscheidung
gemacht werde, wobei besonders die Einsetzung eines fünften Fachmannes als Schieds¬
richter von unschätzbarem Werte sei. Der größte Erfolg sei jedoch die Sicherung der
Ausfuhr des Schlachtviehes sowie das Zugeständnis kleinerer Sperrgebiete im Falle der
Regressivsperre. Der springende Punkt sei allerdings, daß bei besonders drohender
Gefahr und in Fällen bösartigen Seuchenausbruches die Möglichkeit der Sperrung von
Bezirken und Nachbarbezirken gegeben sei. Da deutscherseits aber die Zusicherung
erteüt wurde, daß von diesem Rechte nur äußersten Falles Gebrauch gemacht würde,
und diese Befugnis von dem Gutachten des Schiedsgerichtes abhängig sein werde, so
sei keine Gefahr eines ernsten Mißbrauches dieses Zugeständnisses zu befürchten.
Dagegen sei als ein großer Erfolg zu bezeichnen, daß uns gestattet werde, aus nicht
verseuchten Gemeinden und Nachbargemeinden gesperrter Gebiete gegen spezielle
Bewilligung Schlachttiere zur Ausfuhr zu bringen, was dem jetzigen tatsächlichen
Zustande entspreche. Bei Überprüfung all&#39; dieser Errungenschaften sei der Schluß
gerechtfertigt, daß es gelungen sei, den Vertrag in vielen Belangen zu verbessern, wozu
noch komme, daß wir die positive Zusicherung für eine loyale Durchführung der
Konventionsbestimmungen erlangen werden. Es sei nunmehr der psychologische
Moment eingetreten, die uns gemachten Angebote, welche unbestritten das äußerste
Maß des Erreichbaren darstellen, anzunehmen und, obgleich die obigen Zusicherungen
noch nicht in protokollarischer Form erfolgt seien, so stehe es doch über allem Zweifel,
daß diesbezüglich ganz bestimmte Erklärungen würden abgegeben werden.

   Der kgl. ung. Ministerialrat v. Ottlik erwähnt, daß die österreichisch-
ungarische Delegation bei den Deutschen sondiert habe, ob sie, um gewissen Bedenken
österreichisch-ungarischerseits Rechnung zu tragen, eventuell zugestehen würden, daß
die zu verhängenden Sperrmaßregeln nicht deutscherseits angeordnet, sondern von
Österreich-Ungarn selbst verhängt werden, was den Vorteil bieten würde, daß wir
gegebenenfalls nicht von der Willkür der deutschen Organe abhängen. Eine Erwide¬
rung auf diese Anregung sei deutscherseits bisher noch nicht erfolgt.

   Demfügtder k.k. Sektionschef Freiherr v. Beck hinzu, daß Deutsch¬
land anscheinend keine Lust haben dürfte, auf diese Proposition einzugehen. Der
Grund liege wohl darin, daß Deutschland befürchten müsse, daß wir selbstverständlich
in loyaler Weise immer sperren würden, wenn die Bedingungen dazu gegeben seien,
was den Deutschen gewiß oft recht unangenehm sein würde. Dies beweise aber, daß
die Deutschen selbst nicht die Absicht hätten, die Sperren mit aller Strenge durchzu¬
führen. Die von uns bisher erreichten Konzessionen auf veterinärem Gebiete seien ganz
erstaunlich weitgehende, und sei Redner überzeugt, daß wir bei vertauschten Rollen
nicht den Mut haben würden, bis an diese Grenze der Zugeständnisse zu gehen. Redner
gibt seiner vollen Überzeugung Ausdruck, daß nicht mehr zu erreichen sei und daß die
Deutschen bis an die äußerste Grenze ihrer Leistungsfähigkeit und ihres Entgegenkom¬
mens gelangt seien. Es wickle sich ein schwerer Kampf zwischen den für und gegen uns
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gestimmten Parteien der deutschen Landesregierung ab, und sei zu befürchten, daß
durch Unnachgiebigkeit unsererseits die für uns günstig gestimmte Partei arg geschä¬

digt und kompromittiert würde.
   Das Einbringen der Verträge im Reichstage sei nur mit Aufgebot aller zur Verfügung

stehenden Mittel aufgeschoben worden, und wenn der Vertrag in diesem so vorteilhaf¬
ten Momente nicht zustande komme, so würde er, wenn überhaupt, nie wieder unter so
günstigen Verhältnissen abgeschlossen werden können.

   Der kgl. ung. Ministerpräsident GrafTisza erklärt, auch er sei
überzeugt, daß, wenn unser Vertrag mit Deutschland nicht gleichzeitig mit den übrigen
Verträgen im deutschen Reichstage zur Annahme gelangen würde, keine Chance
vorhanden sei, eine Veterinärkonvention mit dem Deutschen Reiche zustande zu
bringen. Es scheine ihm jedoch noch nicht gefährlich, daß die übrigen Verträge ohne
den unsrigen parlamentarisch eingebracht würden, denn ein Junktim noch in einem
späteren Zeitpunkte, etwa in einigen Wochen herzustellen, liege in der Hand der
deutschen Regierung. Redner meint daher, man solle sich nicht an die Wand drücken
lassen, denn er könne es nicht als eine gegebene Tatsache betrachten, daß wir vor einem
Ultimatum stehen; es sei daher noch eine offene Frage, ob wir nicht doch vielleicht
durch zähes Festhalten mehr erreichen könnten. Auf das Meritum der Angelegenheit
übergehend, erklärt der Redner, daß, sobald ein gewisses Gebiet unter Sperre gelegt
werde, die Erfahrung lehre, daß die Spemnaßregel aus veterinären Rücksichten sehr
schwer wieder aufgehoben werden könne. Je größer nun die Sperrgebiete sind, umso
geringer sei daher die Chance für die Wiederfreimachung derselben. Wenn daher die
Komitate als territoriale Sperrbezirke in Aussicht genommen würden, so liege die
Gefahr nahp., daß ein sehr großer Teü des Landes beständig unter Sperre sein würde,
was gleichbedeutend mit einer totalen Niederlage für den Viehverkehr Ungarns sei.
Diese Niederlage werde allerdings etwas dadurch gemüdert, daß Deutschland die
Zusicherung erteile, von Fall zu Fall die Ausfuhr von Schlachtvieh aus gesperrten,
jedoch nicht verseuchten Gebieten zuzulassen. Redner erklärt, er müsse sich unter den
geschilderten Umständen die Frage vorlegen, ob es nicht am Platze wäre, noch einen
Versuch zu machen, um günstigere Bedingungen zu erreichen, und er erblicke die
Grundlage eines Kompromisses nur darin, daß als Sperrbezirke die Verwaltungsbezir¬
ke erster Instanz festgelegt würden. Diese Lösung liege mitten zwischen der ursprüng¬
 lichen deutschen Forderung der Annahme bisheriger Lungenseuchensperrgebiete und
 dem österreichisch-ungarischerseits aufgestellten Prinzipe der Sperrmöglichkevt von
 Gemeinden und Nachbargemeinden. Die gegenwärtig in Diskussion stehende Lösung
 bedeute jedoch, so wiederholte Redner, eine völlige Niederlage Österreich-Ungarns.

    Schließlich vertritt Redner die Ansicht, daß wir nicht darauf eingehen sollten, selbst
 die Sperrmaßregeln zu verfügen, denn wir wären unter diesen Umständen loyalerweise
 verpflichtet, die Sperren vorzunehmen, während im entgegengesetzten Falle wir nur mit
 der Möglichkeit der Sperrmaßnahmen zu rechnen hätten. Es sei daher viel vorteilhafter,

 wenn wir auf dieses Recht verzichten würden.
    Der kgl. ung. Ministerialrat v. O 111 i k gibt zu, daß das Junktim der

 Durchbringung unseres Vertrages mit den übrigen Verträgen möglicherweise später
 hergestellt werden könnte, dies jedoch nur in dem Falle, wenn keine Kündigung unseres
<pb/>Nr. 60 Gemeinsamer Ministerrat, Budapest, 12.1.1905  435

Vertrages erfolgen würde. Wenn aber, wofür die höchste Wahrscheinlichkeit bestehe,
eine Kündigung erfolgen würde, dann stehe es den Agrariern frei, den Vertrag mit uns
abzulehnen und dagegen sei die deutsche Regierung wehrlos. Was die vom Redner zur
Sprache gebrachte Anregung anbelange, bezüglich des uns einzuräumenden Rechtes,
die Sperrmaßregeln selbst zu verfügen, so biete dies den VorteU, dieselben auch
selbständig und rechtzeitig wieder aufzuheben.

   Der k.k. Ministerpräsident Freiherr v. Gautsch erwähnt, er
entnehme der ihm erst zur Kenntnis gebrachten Tatsache, daß das preußische Staats¬
ministerium dem zur heutigen Diskussion gebrachten Kompromißantrage zugestimmt
habe, wie heftig der Kampf unter den deutschen Parteien in dieser Frage woge.
Außerdem möchte er sich auch dafür aussprechen, daß es vorteilhafter erscheine, wenn
den Deutschen das Recht gewährt bleibe, die Sperrmaßregeln selbst zu verfügen und
uns nicht die Pflicht treffe, dieselben in Wirksamkeit zu setzen.

   Der Vorsitzende weist daraufhin, daß Deutschland ein Interesse daran habe,
alle Verträge en bloc vorzulegen; es sei daher seiner Ansicht nach der psychologische
Moment eingetreten, in welchem wir uns entscheiden müßten, ob wir die uns angebo¬
tenen Zugeständnisse, die, wie aus den Darlegungen der anwesenden Fachdelegierten
hervorgehe, das äußerste Maß dessen darstellen, was Deutschland gewähren könne,
annehmen oder ablehnen sollen. Redner ist der Ansicht, man solle die Saite nicht zu
stark anspannen, weü sie leicht reißen könnte, wir würden dann der Gefahr einer
immittelbaren Kündigung entgegengehen und, da die deutsche Regierung augenschein¬
lich die Verträge am 1. Februar durchsetzen wolle, so würden dieselben rasch durch¬
gepeitscht werden. Würden die Verhandlungen jetzt in die Brüche gehen, so sei ein
Zollkrieg unabweislich in Aussicht, denn wie Redner von kompetenter Seite erfahren
habe, würde der deutsche Reichstag dann auch ein Meistbegünstigungsabkommen mit
uns ablehnen. Es sei daher ernstlich in Erwägung zu ziehen, ob wir den Zollkrieg mit
Deutschland riskieren können oder nicht.

   Der k.k. Handelsminister Freiherr v. Call erinnert daran, daß
anläßlich der jüngsten Ministerberatung die im Schoße derselben bestehenden Beden¬
ken bezüglich der Zweckmäßigkeit der Fortsetzung der mündlichen Verhandlungen
mit dem Deutschen Reiche durch die auf persönlicher Wahrnehmung beruhenden
Meinungsäußerungen der damals anwesenden österreichisch-ungarischen Kommissä¬
re zerstreut wurden, welch letztere in der Lage waren, die Situation aufgrund der
unmittelbar an Ort und Stelle gewonnenen Eindrücke darzulegen. Nachdem nun die
gegenwärtig anwesenden Fachdelegierten einstimmig sich für die Annahme der deut¬
schen Propositionen einsetzen, weil sie dieselben überzeugungsgemäß für das äußerste
Maß des Erreichbaren bezeichneten, so sei es ungemein riskiert, angesichts dessen die
heute zur Diskussion stehenden Anbote abzulehnen, umso mehr als dieselben eine
gewisse Garantie für die Abwicklung unseres Viehverkehres mit dem Deutschen Reiche
bieten, was bisher nicht der Fall gewesen sei.

   Der k.k. Acker bauminister Graf Buquoy äußert sich in ähnlichem
Sinne, weist darauf hin, daß durch die gegenwärtigen deutschen Anbote der Zustand
der Willkür durch ein sichere Garantien bietendes Verhältnis ersetzt erscheine, und
befürwortet daher die Annahme der gewährten Zugeständnisse.
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   Der k.k. Sektionschef Freiherr v. Beck spricht aufgrund der ihm
noch kurz vor seiner Abreise aus Berlin vertraulich gemachten Äußerungen des Staats¬
sekretärs Baron Richthofen5 seine volle Überzeugung aus, daß die vorliegenden Anbote
Deutschlands dessen äußerste Konzessionen darstellen, und daß dieselben zwar nicht
der Form nach, doch in ihrem Inhalte ein Ultimatum seien. Redner schildert in
eingehender Weise, wie deutscherseits in allen Phasen der bisherigen Verhandlungen
das Prinzip der freien Hand auf dem Gebiete des Veterinärwesens mit äußerster
Hartnäckigkeit festgehalten würde und wie erst ganz zuletzt, als österreichisch-ungari-
scherseits kategorisch erklärt worden war, daß auf dieser Basis eine Verständigung
vollständig ausgeschlossen sei, deutscherseits die nunmehrigen, das Prinzip der freien
Hand opfernden weitgehenden Konzessionen gemacht würden. Dies sei ein durch¬
schlagender Erfolg, mehr zu erreichen, sei jedoch ganz positiv ausgeschlossen.

   Der k.k. Minister des Inneren Graf Bylandt-Rheidt teütvoll¬
kommen die Ansicht des kgl. ung. Ministerpräsidenten, daß es erwünscht wäre, ledig¬
lich politische Bezirke erster Instanz als Sperrgebiete zu erlangen. Nachdem jedoch die
Fachdelegierten einmütig der Ansicht seien, daß mehr nicht zu erreichen sei, als was
bisher konzediert wurde, so empfehle er dies anzunehmen, weü dadurch ein ganz
erträglicher und gesicherter Zustand geschaffen sei.

   Der kgl. ung. Ackerbauminister v. Talliän führt aus, daß Ungarn
angestrebt habe, die Gemeinden und Nachbargemeinden als Sperrgebiete festzusetzen,
während deutscherseits diesbezüglich die Komitate in Antrag gebracht wurden. Außer¬
dem hätten wir, abgesehen von einigen kleinen, von Konzessionen und der Zulassung
eines gegenwärtig fast wertlosen Kontingentes von Schweinen und der Schafe, in den
Hauptpunkten gar nichts erreicht, daher im großen und ganzen eine Schlappe erlitten.
Redner ist zwar auch davon überzeugt, daß mehr kaum zu erreichen sein werde, es sei
jedoch mit Gewißheit vorauszusagen, daß, wenn wir die 10%ige Verseuchung der
Komitate, wie dies deutscherseits in Antrag gebracht ist, akzeptieren, Ungarn vom
Viehverkehre auch für Schlachttiere fast gänzlich ausgesperrt sein werde. Redner
erklärt daher, vom Standpunkte seines Ressorts nur dann zu dem deutschen Vorschläge
seine Zustimmung erteüen zu können, wenn ein Mittelweg gefunden werden könne,
wonach die 15%ige Verseuchung aller Gemeinden eines politischen Bezirkes erster
Instanz als Basis für die Sperrmaßregeln angenommen werde.

    Der kgl. ung. Ministerpräsident Graf Tisza gibt zu, daß durch
Festsetzung der gemischten Kommission ein nicht unwesentlicher Vorteil erreicht
worden sei; derselbe habe jedoch nur in geringem Umfange Wichtigkeit, weü die
gedachte Kommission nur in wenigen Ausnahmsfällen berufen sei, ihr Gutachten
abzugeben. Es sei außerdem auch anzunehmen, daß uns Deutschland bezüglich der
Sperrbefugnis manche wesentliche Zugeständnisse gemacht habe, daß ferner die Sperr¬
termine bedeutend reduziert wurden, und daß anstelle des ,,gefahrdrohenden Auftre¬
tens der Seuche&quot; die Festsetzung einer perzentuellen Verseuchung der Anzahl der
Gemeinden eines Gebietes respektive das Gutachten der Kommission in Aussicht
gestellt wurde. Dies seien jedoch nur Bruchteüe dessen, was wir zu erreichen beabsich-

s Oswald Baron Richthofen (1847 -1906).
<pb/>Nr. 60 Gemeinsamer Ministerrat, Budapest, 12.1.1905  437

tigen. Insbesondere sei zu befürchten, daß zufolge der beantragten Modifikationen
Deutschland zumeist viele größere Sperrgebiete kontumazieren könne, was eine
schwere Schädigung für unseren Viehverkehr bedeute, weü große Sperrgebiete schwer
seuchenfrei erklärt werden können. Es sei daher klar, daß in dem Kampfe der in
Deutschland bestehenden zwei Parteien die uns ungünstige Posadowskysche Partei6
noch immer die Oberhand behalten habe. Wenn wir daher noch eine mäßige Verbes¬
serung der uns angebotenen Bedingungen anstreben würden, glaube Redner, daß
deshalb das Zustandekommen des Vertrages kaum ernstlich in Frage gestellt sein
könnte.

   Der Versitzende glaubt, daß Deutschland von den ihm zustehenden Sperr¬
befugnissen äußerst selten Gebrauch machen werde, weü es, wie bekannt, unser Vieh
brauche. Die nunmehr vorliegenden Anträge seien sehr weitgehend und verbesserten
den heutigen Zustand ganz wesentlich; insbesondere sei es nicht zu unterschätzen, daß
Deutschland das Prinzip der freien Hand aufgegeben habe. Dies beweise aber, daß in
dem vom Vorredner erwähnten Parteikampfe das uns günstig gestimmte Auswärtige
Amt die Oberhand gewonnen und Posadowsky eine Schlappe erlitten habe. Redner ist
weit entfernt davon, auf die Entschließungen der kgl. ung. Regierung Einfluß nehmen
zu wollen, er stelle jedoch zur Erwägung, was geschehen werde, wenn unsere Delegier¬
ten die Instruktion erhalten würden, in Berlin die vom kgl. ung. Ackerbauminister
präzisierten Wünsche durchzusetzen und mit denselben nicht durchzudringen ver¬
möchten? Für diesen Fall müßten den Delegierten Eventualinstruktionen erteflt
werden, und wenn wir dann gezwungen sein würden nachzugeben, so wäre das noch
eher eine entschiedene Niederlage für uns.

   Der k.k. Ministerpräsident Freiherr v. Gautsch sieht sich im
Zusammenhänge mit der früher von dem kgl. ung. Ministerpräsidenten aufgeworfenen,
von besonderer Wichtigkeit erscheinenden Frage, ob sämtliche Posten des Vertrages
schon bereinigt seien, veranlaßt, im Namen der k. k. österreichischen Regierung zu
erklären, daß dieselbe mit Rücksicht auf das einstimmige Votum der Kommissäre sowie
in Erwägung der politischen Situation der vorliegenden Proposition zustimme, aller¬
dings jedoch unter der bestimmten Voraussetzung, daß bezüglich der noch nicht
bereinigten Posten wie beispielsweise Gerste, Malz, Obst, Vieh, Pferde usw. deutscher¬
seits ein entsprechendes Entgegenkommen bewiesen werde. Dadurch sei den Delegier¬
ten eine Instruktion für die weiteren Verhandlungen und eine wirksame Waffe zur
Erreichung gewisser wertvoüer Zugeständnisse gegeben.

   Der k.k. Sektionschef Graf Auersperg trachtet zu untersuchen, ob
es noch möglich sei, auf gewissen Gebieten des Veterinärwesens ohne wesentliche
Gefährdung des Zustandekommens des Vertrages weitere Zugeständnisse zu errei¬
chen. In diesem Belange gibt Redner der Ansicht Ausdruck, daß es noch möglich sein
werde, die UnterteUung größerer Komitate in kleinere Sperrgebiete zu erwirken, was
eine wesentliche Erleichterung sein würde. Ferner könnte auch noch mit Erfolg ange¬
strebt werden, daß deutscherseits eine ganz bestimmte Erklärung dahingehend abge-

« Siehe GMRProt. v. 30.10.1904, GMCZ. 447, Anm. 1.
<pb/>438                                           Nr. 60 Gemeinsamer Ministerrat, Budapest, 12.1.1905

geben werde, daß die Konvention in, unseren wirtschaftlichen Verhältnissen entspre¬
chend, loyaler Weise eingehalten werde. Redner bemerkt ferner, daß die Deutschen
selbst ganz ähnlich große Sperrgebiete besitzen, wie sie deutscherseits bisher bei uns in
Aussicht genommen worden waren, und daß sie ganze Provinzen für den Schlachtvieh-
verkehr gesperrt haben. Es sei daher geradezu als erstaunlich zu bezeichnen, daß sie
sich erbötig gemacht hätten, uns günstigere Bedingungen anzubieten, als sie in ihrem
eigenen Lande bestehen.

   Der k.k. SektionschefFreiherrv. Beck äußert sich m gleichem Sinne
und weist insbesondere darauf hin, daß die in Aussicht gestellte Loyalitätserklärung
insofeme wertvoll sei, als man gegebenenfalls dieselbe urbi et orbi zeigen und dadurch
Deutschland moralisch zum strikten Einhalten der Konventionsabmachungen zwingen
könne.

   Der kgl. ung. Ministerpräsident GrafTisza ist der Ansicht, daß
trotz alledem noch immer ein Versuch gemacht werden sollte, mehr zu erreichen, da
er überzeugt sei, die deutsche Regierung habe noch nicht ihr letztes Wort gesprochen.
Wenn schlimmsten Falles nichts erreicht werde, so verliere man nichts. Dies könne er
nicht als Niederlage bezeichnen. Redner proponiert daher, die österreichisch-ungari¬
schen Delegation anzuweisen, allen Ernstes noch einen Versuch zu machen, um die
Lungenseuchensperrgebiete zu eliminieren und für die Maul- und Klauenseuche die
Kontumazierung der politischen Bezirke erster Instanz in Antrag zu bringen. Sollte
dieser Versuch mißlingen, so wäre die Delegation zu beauftragen, ein Ultimatum zu
stellen, dahingehend, daß eine weitere Teüung der größeren Sperrgebiete sowie die
Loyalitätserklärung verlangt und gefordert werde, daß in der deutscherseits im Prinzipe
akzeptierten .Feststellung zum Sitzungsprotokolle&quot; im zweiten Satze des Punktes 2 die
Worte: ,,Solche fallweise Bewilligungen werden insbesondere dann erteüt werden&quot;...
zu ersetzen seien durch: ,,Solche fallweise Bewilligungen können nicht verweigert
werden&quot;...7

   Der k.k. Sektionschef Freiherr v. Beck macht darauf aufmerksam,
daß gerade diese Wortfassung das Ergebnis eines längeren Kampfes gewesen sei, und
daß es daher kaum möglich sein dürfte, die beantragte Formulierung durchzusetzen.
Redner hält jedoch die gegenwärtige Fassung für ganz einwandfrei. Sollte trotzdem die
eben beantragte Fassung gefordert werden müssen, so sollte das bezügliche Verlangen
nicht ex commissione gestellt werden, sondern der k. u. k. Botschafter in Berlin möge
angewiesen werden, ernstliche Sondienmgsversuche zu unternehmen, ohne jedoch die
Forderung als conditio sine qua non zu stellen, da Gefahr sei, daß dies verstimmen und
auf den Abschluß des Vertrages nachteüig wirken könnte.

   Der Vorsitzende glaubt, daß die ungarischerseits beantragte Wortfassung an
dem geschaffenen tatsächlichen Zustande kaum etwas ändern dürfte. Nachdem aber
der Wunsch der ungarischen Regierung vorliege, stehe dem nichts im Wege, daß der
Botschafter beauftragt werde, nachdrücklichst diese Forderung bei der deutschen
Regierung zu vertreten. Für den Fall, als deutscherseits dem diesfalls gestellten Anlan-

7 Siehe Beilage Nr. 60a zu diesem Protokoll.
<pb/>Nr. 6Q Gemeinsamer Ministerrat, Budapest, 12.1.1905  439

gen ernste Schwierigkeiten entgegengestellt werden sollten, beantragt Redner einen
Zusatz zum Protokolle, welcher etwa dahingehend lauten sollte, daß derartige Bewilli¬
gungen von Fall zu Fall und wenn veterinärpolizeiliche Rücksichten zwingender Natur
dem nicht entgegenstehen, nicht verweigert werden können.8

   In der hierauf sich entwickelnden Diskussion über diese Frage gibt der k g 1. u n g.
Ministerpräsident GrafTisza die Erklärung ab, daß das deutscherseits
in Aussicht gestellte Zugeständnis von der ungarischen Regierung nur mit der ungari-
scherseits in Antrag gebrachten Wortänderung angenommen werden könnte. Sollte es
nicht gelingen, die erwähnte Fassung in den Vertrag selbst aufzunehmen, so müßte
jedenfalls eine entsprechende Feststellung in protokollarischer Form erfolgen.

   Der Vorsitzende reassümiert dahin, daß der k.u.k. Botschafter in Berlin
ehestens telegraphisch anzuweisen sei, die kaiserlich deutsche Regierung zu verständi¬
gen, daß unsere beiden Regierungen nach langen und sehr schwierigen Beratungen sich
geeinigt hätten, dem Vorschläge betreffend die Viehseuchenkonvention zuzustimmen,
daß hierin jedoch ein umso größeres Entgegenkommen unsererseits liege, als unseren
ursprünglichen diesbezüglichen Forderungen nur in sehr beschränktem Maße Rech¬
nung getragen sei. Diese Zustimmung sei jedoch an die bestimmte Voraussetzung
geknüpft, daß Deutschland bei den noch offenen Tariffragen uns entsprechend entge¬
genkomme. Ferner erwarte man, daß deutscherseits eine protokollarische Erklärung
abgegeben werden würde, wonach die Veterinärkonvention in loyaler, unsere vitalen
Interessen in weitestem Maße schonender Art gehandhabt werden würde. Auch erwar¬
teten unsere beiden Regierungen, daß die Frage der Sperrgebiete in befriedigender
Weise würde gelöst werden. Schließlich möge der Botschafter die beantragte Wortän¬
derung der Ziffer 2, zweiter Satz, der ,,Feststellung zum Sitzungsprotokolle&quot; in nach¬
drücklicher Weise zur Sprache bringen und auf deren Aufnahme besonders Gewicht
legen. Abgesehen von dieser telegraphischen Weisung seien die Delegierten dahin zu
instruieren, daß sie ex commissione auf die protokollarische Abgabe der Loyalitätser-
klänmg zu dringen und die TeUung der größeren Sperrgebiete nachdrücklichst zu
fordern hätten.9

   Nachdem das an den k. u. k. Botschafter abzusendende Telegramm genehmigend
zur Kenntnis genommen worden war, wurde den anwesenden Delegierten über deren
Anlangen Vollmacht erteüt, die UnterteUung der größeren Sperrgebiete dem Maßstabe
der bestehenden Bedürfnisse soweit als möglich anzupassen. Ferner werden die Fach¬
referenten über Wunsch des kgl. ung. Ministerpräsidenten ermächtigt, mit Rücksicht
darauf, daß Österreich und Ungarn zwei getrennte Steuergebiete darstellen,&#39; in dem

* Bezüglich derfallweisen Bewilligungfür die Zulassung von Schlachtvieh aus gesperrten, aber seuchenfreien
     Bezirken wurde als eine den Wünschen der ungarischen Regierung entgegenkommende Fassung von Posa-
    dowsky als äußerstes Zugeständnis die folgende Textierung aufgestellt: Solche Bewilligungen von Fall zu
    Fall werden abgesehen von außergewöhnlichen, besondere Vorsicht erheischenden veterinärpolizeili¬
    chen Verhältnissen nicht verweigert werden... SzögySny an Goluchows/dv. 19.1.1905, HHStA., AR., F.
    37, Karton 47, Deutschland 10, Nr. 294.

9 Zu den Verhandlungen über die Angelegenheit in Berlin und der auch ungarischen Gesichtspunkten
    Rechnung tragenden Modifizierung des Entwurfes siehe Szögyiny an Goluchowski v. 19.1.1905, ebd.
<pb/>440  Nr. 60 Gemeinsamer Ministerrat, Budapest, 12.1.1905

betreffenden Vertragstexte über die Bierbesteuerung die Worte ,,österreichische und
ungarische&quot; einzuschalten.

   Es gelangt nunmehr die bei den Vertragsverhandlungen zur Sprache gebrachte
Frage der Durchfuhr von Munition und Sprengstoffen zur Beratung, deren gegenwär¬
tiger Stand aus der von den Delegierten überreichten und anruhend anverwahrten
Darstellung ersichtlich ist, welche am Schlüsse jene Fassung für den Vertragstext
enthält, welcher deutscherseits möglicherweise akzeptiert werden dürfte.

   Der k.u.k. Oberingenieur Ritter v. Schlesinger, welchem nach
Darlegung der Sachlage durch den k.k. Sektionschef Grafen Auers¬
perg das Wort erteflt wird, weist darauf hin, daß die bei der Durchfuhr von Spreng¬
stoffen und Munition deutscherseits erhobenen Beschwerden größtenteils auf das
Verschulden der Parteien zurückzuführen seien, welche sehr oft die wesentlichen
Angaben zur Ausstellung der Dokumente unterlassen. Außerdem habe es sich aber
auch oft ergeben, daß die durchzuführenden Präparate, was ihre Stabüität anbelange,
nicht immer einwandfrei seien, so daß nicht für die Durchfuhr selbst, wie üblich, Proben
entnommen wurden, sondern im Sinne einer Vereinbarung mit dem k.k. Eisenbahnmi¬
nisterium sogar während der Durchfuhr Identitätskontrollen vorgenommen werden
mußten. Was speziell die Durchfuhrerschwernisse anbelange, so sei allerdings nicht zu
leugnen, daß das Transit von Sprengstoffen und Munition seitens des Reichskriegsmi¬
nisteriums nicht immer erleichtert wurde. Es spielten da in erster Linie kriegspolitische
Rücksichten mit, indem die Kriegsverwaltung Wert darauf legen müsse, daß die südlich
der Monarchie gelegenen Staaten immer von Österreich-Ungarn abhängig bleiben.
Auch der Schutz unserer Munitionsindustrie spiele in diesem Belange eine wichtige
Rolle, und es sei der Kriegsverwaltung dadurch auch gelungen, daß beispielsweise mit
Rumänien ein mehrjähriger Vertrag für Munitionslieferungen seitens der Monarchie
zustande gekommen sei. Außerdem kämen auch militärtechnische Momente in Be¬
tracht, indem durch die angestellten Analysen die Kriegsverwaltung in die Lage komme,
vieles zu kennen, was sonst auf anderem Wege zu erfahren nicht möglich gewesen wäre.
Maßgebend doch sei der Schutz unserer Munitions- und Sprengstoffindustrie, und
würde man den Standpunkt, der dem gegenwärtig geltenden Vertrage entspricht,
verlassen, so würde das ein schwerer Schlag für unsere einschlägige Industrie sein.
Schließlich sei auch die fiskalische Seite der Frage in Betracht zu ziehen, und müsse
Redner auch darauf hinweisen, daß durch Annahme aller deutschen Vorschläge in
diesem Belange die Inländer, welche ebenfalls mannigfachen Kontrollen bezüglich der
Munitions- und Sprengstofftransporte unterworfen seien, gegenüber den deutschen
Lieferanten bei Abschaffung jeglicher Kontrolle wesentlich benachteüigt wären.

   Der Vorsitzende erklärt, daß es schwer möglich erscheine, die diesbezügli¬
chen deutschen Wünsche zurückzuweisen. Insbesondere müsse er darauf dringen, daß
die betreffenden Vorschriften loyal durchgeführt werden, da wir doch selbst von den
Deutschen in betreff der loyalen Durchführung der Veterinärkonvention direkt eine
bindende Erklärung fordern. Redner müsse daher entschieden dafür eintreten, daß die
Erschwerungen der Durchfuhr für Munition und Explosivstoffe auf ein Minimum
reduziert werden. Es sei nicht angängig, daß unsere Industrie nur dadurch prosperiere,
daß wir in nicht ganz einwandfreier Weise Vorgehen.
<pb/>Nr. 60 Gemeinsamer Ministerrat, Budapest, 12.1.1905  441

   Auf eine bezügliche Anregung des Vorsitzenden einigt man sich dahin, daß die
proponierte Fassung der betreffenden Vertragsbestimmungen im großen und ganzen
zu genehmigen sei und nur gewisse, zumeist formale Änderungen derselben im Einver¬
nehmen mit dem Delegierten des k. u. k. Reichskriegsministeriums noch vor Abgang
der Fachdelegierten nach Berlin vorzunehmen seien.10

   Schließlich bringt der Vorsitzende noch die deutscherseits relevierte Frage der
Auswanderung zur Diskussion und weist darauf hin, daß der Wunsch der deutschen
Regierung dahingehe, eine Zusicherung dafür zu erlangen, daß Deutschland nach drei
Jahren nicht von dem Auswanderungsgeschäfte in Ungarn ausgeschlossen werde.

   Der kgl. ung. Ministerpräsident Graf Tisza weist nach, daß die
ungarische Regierung in dieser Frage in vollkommen korrekter und loyaler Weise
vorgegangen sei, daß sie sich jedoch entschieden dagegen verwahren müsse, daß diese
Frage in den Rahmen des Handelsvertrages aufgenommen werde. Dagegen stehe dem
nichts im Wege, daß der deutschen Regierung auf diplomatischem Wege durch eine
Note die von ihr gewünschte Zusicherung erteüt werde, und zwar, wenn dies erforder¬
lich sein sollte, sogar gleichzeitig oder auch noch vor Abschluß des Handelsvertrages.11

   Nachdem sohin die zur Beratung gestandenen Gegenstände erschöpft sind, schließt
der Vorsitzende die Beratung um 2 1/4 Uhr morgens.

                                                     Goiuchowski

[Ah. E. fehlt.]

10 Siehe Beilage Nr. 60b zu diesem Protokoll sowie Szögyiny an Goiuchowski v. 21.1.1905, HHStA., AR., F.
    37, Karton 47, Deutschland 10, Nr. 299.

11 Siehe GMRProt. v. 30.10.1904, GMCZ. 447, Anm. 7, sowieSzögyeny an Goluchows/d v. 8.1.1905, HHStA.,
    AR., F. 37, Karton 47, Deutschland 10, Nr. 274. Nach Szögyenyfand der Standpunkt der Monarchie, die
    Auswanderungsfragegehöre nicht in einen Handelsvertrag, bei der deutschen Regierungkeinen Gefallen. Sie
    verlangte, dem Vertrag eine Erklärung beizufigen, daß nach Ablauf des auf drei Jahre geschlossenen
    Übereinkommens der interessierten Schiffahrtsgesellschaften die deutschen Schiffahrtsuntemehmun-
    gen von der Beförderung der Auswanderer aus Ungarn nicht ausgeschlossen werden. Die deutschen

    Delegierten verknüpften diese Frage mit der Viehseuchenkonvention. Szögyiny schlug vor, nach einem
    Kompromiß zu suchen. Zu Tiszas ablehnender Haltung Gotuchowski an Szögyeny v. 10.1.1905, ebd., Nr.
    275. Letztlich kam eine Einigungzustande, derzufolge die beiden Staaten der Monarchie keine Maßregeln
    treffen werden, durch welche Personen, die aus ihrem Gebiet auswandem wollen, gehindert werden, den
    Weg durch das Gebiet des deutschen Reiches zu nehmen. Szögyiny an Goiuchowski v. 25.1.1905, ebd.,
    Nr. 310.
<pb/>442  Nr. 60a Feststellung zum Sitzungsprotokoll, o. O., o. D.

                 Nr. 60a Feststellung zum Sitzungsprotokoll, o. O., o. D.a

     Beilage zum GMRProt. v. 21.1.1905, GMCZ. 449

   I
   Verbote der Einfuhr von Rindern und Schafen, die zur alsbaldigen Abschlachtung
in öffentlichen, veterinärpolizeilich überwachten und mit den gehörigen Einrichtungen
versehenen Schlachthäusern bestimmt sind, werden nur dann stattfinden, wenn sie zur
Sicherung der heimischen Viehzucht unabwendbar erscheinen..Abgesehen von den
nach Artikel 4 und 5 des Viehseuchenübereinkommens wegen Rinderpest und Lungen¬
seuche zulässigen Verkehrsbeschränkungen werden für Schlachtrinder und Schlacht¬
schafe
    1. bei den minder leicht übertragbaren oder minder häufig vorkommenden Krank¬
heiten, z. B. bei Milzbrand, Rauschbrand, Wüd- und Rinderseuche, Bläschenausschlag
des Rindviehes, Sperren überhaupt nicht ausgesprochen werden.
   2. Bei den leicht übertragbaren Krankheiten, z. B. bei Maul- und Klauenseuche,
Pockenseuche der Schafe, werden Sperren gegenüber den im Viehseuchenüberein¬
kommen vereinbarten Sperrbezirken nur dann stattfinden, wenn mindestens 10 Prozent
der Kommunalbezirke eines solchen Sperrbezirkes verseucht sind. Handelt es sich um
Pockenseuche der Schafe, so wird selbstverständlich nur diese Tiergattung gesperrt
werden. Liegt dieser Grad der Verseuchung für einen der vorbezeichneten Sperrbezir¬
ke nicht vor, besteht er aber für einen Verwaltungsbezirk erster Instanz (Kreis-,
Bezirksamt, Bezirkshauptmannschaft, Stuhlrichterbezirk etc.), so kann gegen diesen
und, wenn die Seuchenorte weniger als 10 Kilometer von der Grenze des verseuchten
Bezirkes entfernt liegen, gegen die immittelbar angrenzenden Bezirke dieser Art oder
Teüe derselben gesperrt werden; hiebei kann auch auf solche Bezirke in angrenzenden
Sperrgebieten zurückgegriffen werden.
   Ist die Verseuchung des Verwaltungsbezirkes erster Instanz eine geringere, so kann
die Sperre in dem bezeichneten Umfange gegen diesen Bezirk und beziehungsweise die
angrenzenden Bezirke erfolgen, wenn entweder aus dem verseuchten Bezirke eine Ver¬
schleppung der Seuche in das Gebiet des anderen vertragschließenden Teiles stattgefun¬
den hat, oder wenn wegen besonderer Umstände aus der Verseuchung des fraglichen
Bezirks eine ernstliche Gefahr für den Viehstand des anderen TeUes zu gewärtigen ist. In
diesem letzteren Falle soU jedoch aufAntrag desjenigen vertragschließenden Teües, in
dessen Gebiet der gesperrte Bezirk gelegen ist, ohne Verzug eine gemischte Kommission
zusammentreten undnach Prüfung der Sachlage an Ort und Stelle ihr Gutachten mit aller
Beschleunigungdarüber abgeben, ob eine derartige Gefahr wirklich vorliegt; dieses Gut¬
achten wird als Grundlage für die zu treffende Entscheidung dienen.

Anmerkung am Deckblatt: Wir sind bereit, die in den Anlagen I und II enthaltenen Vorschläge -
vorbehaltlich der Fassung und der Entschließung darüber, ob diese Bestimmungen in die Konvention,
das Schlußprotokoll oder Sitzungsprotokoll aufzunehmen sind - anzunehmen.
<pb/>Nr. 60b Durchfuhr von Munition und Sprengstoffen, o. O., o. D.  443

  n

   1. Daß, wenn der angrenzende Bezirk seuchenfrei ist, in der Regel nur die angren¬
zenden Gemeinden bis zu 10 km Entfernung vom Seuchenort gesperrt werden. Erfolgt
ausnahmsweise eine Sperre des ganzen unverseuchten Nachbarbezirkes, so kann der
Zusammentritt der Kommission und Einholung ihres Gutachtens verlangt werden.

   Z Daß an der bisherigen Praxis, nach welcher auch aus gesperrten Bezirken in
einzelnen Fällen auf besonderes Ansuchen die Einfuhr von Schlachttieren nach
Schlachthöfen gestattet worden ist, auch in Zukunft nichts geändert werden soll. Solche
fallweise Bewilligungen werden insbesondere dann erteilt werden, wenn es sich um die
Einfuhr von Schlachttieren aus gesperrten, aber seuchenfreien Bezirken handelt.

   3. Daß das Vorkommen einer Seuche lediglich in einer Gemeinde eines Verwal¬
tungsbezirkes erster Instanz in der Regel nicht zum Anlasse von Sperren genommen

werden wird.
   Vorbehalten, ob obige Bestimmungen in die Konvention oder das Schlußprotokoll

dazu aufzunehmen seien.

            Nr. 60b Durchfuhr von Munition und Sprengstoffen, o. O., o. D.

    Beilage zum GMRProt. v. 21.1.1905. GMCZ. 449

   I. Deutscher Vorschlag:
   Die Ziffer 3 der Bestimmung zu Artikel 1 des bestehenden Vertrages wird wie folgt
ersetzt:
   3. Die Durchfuhr von Waffen, Munition und Sprengstoffen sowie von Waren
aller Art, für die im Durchfuhrland ein Staatsmonopol besteht, soll möglichst
wenig behindert und abgesehen von dem Falle der Ziffer 1 des zweiten Absatzes
von Artikel 1 sowie unbeschadet der für die Kontrolle der Durchfuhr bestehenden
allgemeinen Vorschriften keinen weitergehenden Beschränkungen unterworfen
werden, als diese Gegenstände bei der Versendung im inneren Verkehre oder bei
der Ausfuhr unterliegen.
   Werden Munition, Sprengstoffe u. dgl. zur Durchfuhr angemeldet, so soll eine
Untersuchung ihrer chemischen Zusammensetzung usw. nur in Fällen dringenden
Zweifels vorgenommen werden; sie soll insbesondere dann unterbleiben, wenn der
Sendung Bescheinigungen der Behörden des Ursprungslandes beigegeben sind, die
über die Beschaffenheit der Ware Aufschluß geben.
   Sofern es für die Durchfuhr der in Absatz 1 genannten Gegenstände einer besonde¬
ren Bewilligung bedarf, soll über deren Erteüung oder Versagung von der zuständigen
Behörde möglichst bald und zwar längstens binnen einer Woche entschieden werden,
nachdem der Antrag ordnungsmäßig gestellt worden ist. Für Waffen soll die Entschei¬
dung über die Erteüung des etwa erforderlichen Waffenpasses durch die für das
Eintrittszollamt zuständige politische Behörde erster Instanz mit Wirkung für das ganze
Gebiet des betreffenden vertragschließenden Teües längstens binnen dreier Tage nach
ordnungsmäßig gesteütem Anträge erfolgen:
<pb/>444  Nr. 60b Durchfuhr von Munition und Sprengstoffen, o. O., o. D.

   II. Österreichisch-ungarischerseits bisher zugestanden:
   Vermerk: Österreichisch-ungarischerseits würde man bereit sein, von dem deut¬
schen Vorschläge folgende Sätze anzunehmen:
   Die Durchfuhr von Waffen, Munition und Sprengstoffen sowie von Waren aller Art,
für die im Durchfuhrland ein Staatsmonopol besteht, soll möglichst v/enig behindert
werden. Sofeme es für die Durchfuhr der im Absatz 1 genannten Gegenstände einer
besonderen Bewilligung bedarf, soll über deren Erteüung oder Versagung von der
zuständigen Behörde möglichst bald entschieden werden.

  in. Antrag der Zoll- und Handelskonferenz für die zweite Lesung, der jedoch von

den Regierungen formell nicht genehmigt wurde und gegen dessen letzten Absatz
seitens der ungarischen Delegierten nachträglich protestiert wird:

   Die Durchfuhr von Waffen, Munition und Sprengstoffen sowie von Waren aller Art,
für die im Durchfuhrlande ein Staatsmonopol besteht, soll möglichst wenig behindert
und abgesehen von dem Falle der Z. 4 des zweiten Absatzes des Artikels 1 sowie
unbeschadet der für die Durchfuhr überhaupt und die Durchfuhr der genannten
Gegenstände insbesondere gegenwärtig bestehenden Vorschriften keinen weiterge¬
henden Beschränkungen unterworfen werden. Inwieweit bei der Durchfuhr von einem
Staatsmonopol nicht unterliegenden Sprengstoffen anstelle der fallweisen Untersu¬
chung ihrer chemischen Zusammensetzung usw. die generelle Zulassung aufgrund
einer einmaligen Untersuchung gegen fallweise Bescheinigungen einer staatlichen
Anstalt des Ursprungslandes zulässig ist, wird durch besondere Vereinbarungen gere¬
gelt werden. Sofern es für die Durchfuhr der im Absätze 1 genannten Gegenstände einer
besonderen Bewilligung bedarf, soll über deren Erteüung oder Versagung möglichst
bald entschieden werden.

   Von diesem Anträge wurde bisher nur der oben sub I zitierte Gebrauch gemacht, da
deutscherseits erklärt wurde, daß die Hauptgravamina gegen die fallweise chemische
Untersuchung gerichtet sind (vgl. Absatz 2 des deutschen Vorschlages sub I).

    IV. Deutscherseits dürfte man sich möglicherweise mit nachstehender Fassung
begnügen:

    Die Durchfuhr von Waffen, Munition und Sprengstoffen sowie von Waren aller Art,
für die im Durchfuhrland ein Staatsmonopol besteht, soü möglichst wenig behindert
werden. Werden Munition und Sprengstoffe zur Durchfuhr angemeldet, so soll eine
Untersuchung ihrer chemischen Zusammensetzung etc. nur in FäUen dringenden Zwei¬
fels vorgenommen werden; sie soll insbesondere dann unterbleiben, wenn den Sendun¬
gen Bescheinigungen der Behörden des Ursprungslandes beigegeben sind, die über die
Beschaffenheit und chemische Zusammensetzung der Ware Aufschluß geben. Diese
Bescheinigungen sind bereits dem Ansuchen um Erteüung der Durchfuhrbewilligung
beizuschließen. Sofern es für die Durchfuhr der im Absätze 1 genannten Gegenstände
einer besonderen Bewüligung bedarf, soU über deren Erteüung oder Versagung von
den zuständigen Behörden möglichst bald entschieden werden.

    Die beiden Regierungen werden sich über die Behörden, die in Deutschland zur
Aussteüung der im Absatz 2 erwähnten Bescheinigungen ermächtigt sein sollen, sowie
<pb/>Nr. 61 Gemeinsamer Ministerrat, Ischl, 22. 8.1905  445

die bei Ausstellung derselben zu beobachtenden Vorschriften verständigen. Öster¬
reich-Ungarn bleibt es Vorbehalten, den von solchen Bescheinigungen begleiteten
Sendungen von Zeit zu Zeit identifizierte Proben zu entnehmen, ohne die Sendungen
selbst zurückzuhalten. Im Falle vorkommender Mißbräuche ist Österreich-Ungarn
ermächtigt, von dieser Verständigung mit sechsmonatlicher Kündigung zurückzutreten.

                   Nr. 61 Gemeinsamer Ministerrat, Ischl, 22. August 1905

    RS. (und RK.)
    Gegenwärtige: der k. u. k. gemeinsame Minister des Äußern Graf Goluchowski, der k. k. Ministerprä¬
sident Freiherr v. Gautsch, der kgl. ung. Ministerpräsident Freiherr v. Fejdrväry, der k. u. k. gemeinsame
Kriegsminister FZM. Ritter v. Pitreich, der k. u. k. gemeinsame Finanzminister Freiherr v. Buriän.
    Protokollführer: Legationsrat Freiherr v. Gagem.
    Gegenstand: Die ungarische Krise und ihre Rückwirkung auf die österreichische Reichshälfte; Vorschlä¬
ge der ungarischen Regierung zur Sanierung der Lage in Ungarn. Erwägung von Maßnahmen, welche in
dem Falle zu treffen wären, daß die Sanierung der Lage nicht gelingen sollte.

   KZ. 38 - GMCZ. 450
   Protokoll des zu Ischl am 22. August 1905 abgehaltenen Ministerrates für gemeinsa¬
me Angelegenheiten unter dem Ah. Vorsitze Sr. Majestät des Kaisers und Königs.

   Se. k. u. k. aposL Majestät geruhen die Sitzung mit der Bemerkung zu
eröffnen, Allerhöchstdieselben hätten die gemeinsamen Minister sowie die beiden
Ministerpräsidenten zu einer Konferenz zusammenberufen, um die Situation in Ungarn
zu besprechen, zumal dieselbe auf die diesseitige Reichshälfte sowie auf die Monarchie
in ihrer Gesamtheit eine unleugbare Rückwirkung ausübe und mit Rücksicht auf den
am 15. September erfolgenden Zusammentritt des ungarischen Reichstages einen
besonders akuten Charakter annehme.1 Se. Majestät geruhen ferner die Notwendigkeit
zu betonen, auch die im Hinblicke auf die weitere Gestaltung der ungarischen Krise zu
ergreifenden Maßnahmen in den Kreis der Erörterungen zu ziehen, um gegebenenfalls
allen Eventualitäten gegenüber vorbereitet dazustehen. Se. Majestät geruhen schlie߬
lich an den kgl. ung. Ministerpräsidenten die Aufforderung zu richten, jenen Teü eines
Allerhöchstdenselben vor Beginn der Konferenz unterbreiteten Promemorias vorzu¬
tragen, welcher sich auf die Vorschläge der kgl. ung. Regierung zur Sanierung der
gegenwärtig so verworrenen Lage in Ungarn beziehen.2

    Dieser Ah. Aufforderung au. Folge leistend gestattet sich der kgl. ung. Mini¬
sterpräsident FZM. Baron Fejerväry an der Hand des erwähnten
Promemorias die verschiedenen Wege zu erörtern, welche eingeschlagen werden
könnten, um zu einer Entwürung zu gelangen, und bezeichnet, nachdem auf einen von

1 Der Monarch beauftragte am 18.6.1905Fejerväry, eine Regierungzu bilden, die dem Parlament am 21. Juni
     vorgestellt wurde. Das Hohe Haus hat der als verfassungswidrig beurteilten (weil nicht aus derparlamenta¬
     rischen Mehrheitgebildeten) Reperung das Vertrauen nicht ausgesprochen, daraufvertagte derMonarch das
     Parlament aufden 15. September. Länyi, A Fej£rväry-kormdny 16.

2 Fejervärys Denkschrift an den Herrscher: Memorandum über die Situation, Mitte August 1905, OL.,
     Sektion 1-35, Nachlaß Daruvary, Karton 1.
<pb/>