Gemeinsamer Ministerrat, 12. 1. 1905
I. Schlußfassung über die anläßlich der jüngsten Ergebnisse der Handelsvertragsverhandlungen mit dem Deutschen Reiche erforderlich erscheinenden Instruktionen für die österreichisch-ungarischen Deligierten
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430 Nr. 60 Gemeinsamer Ministerrat, Budapest, 12.1.1905 Nr. 60 Gemeinsamer Ministerrat, Budapest, 12. Jänner 1905 RS. (undRK) Gegenwärtige: der k. k. Ministerpräsident Freiherr v. Gautsch (31.1.), der kgl. ung. Ministerpräsident GrafTisza,derkgl.ung.Finanzministerv.Lukäcs, der k.k. Handelsminister Freiherr v.VCall (3.2.), der k. k. Minister des Inneren Graf Bylandt-Rheidt (31.1.), der kgl. ung. Ackerbauminister v. Talliän, der k. k. Ackerbauminister Graf Longueval-Buquoy (7.2.), der k. k. Finanzminister Kosel (4.2.), der Staatssekretär im kgl. ung. Finanzministerium Freiherr v. Andreänszky, der Sektionschef im k. k. Ackerbauministerium Freiherr v. Beck, der Sektionschef im k. k. Ministerium des Inneren Graf Auersperg, der Staatssekretär im kgl. ung. Handelsministerium Graf Serdnyi, der Ministerialrat im kgl. ung. Handelsministerium v. Bi'rö, der Ministerialrat im kgl. ung. Ackerbauministerium v. Lestyänszky, der Ministerialrat im k. k. Finanzministe¬ rium v. Scheuchenstuel, der Ministerialrat im kgl. ung. Ackerbauministerium v. Ottlik, der Oberingenieur l. Klasse im k. u. k. Reichskriegsministerium Ritter v. Schlesinger, der Ministerialsekretär im k. k. Handels¬ ministerium Glück. Protokollführer k. u. k. Konsul Ritter v. Princig. S Gegenstand: SchluBfassung über die anläßlich derjüngsten Ergebnisse der Handeisvertragsverhandlun- n mit dem Deutschen Reiche erforderlich erscheinenden Instruktionen für die österreichisch-ungarischen elegierten. KZ. [fehlt]-GMCZ. 449 Protokoll des zu Budapest am 12. Jänner 1905 abgehaltenen Ministerrates für gemeinsame Angelegenheiten unter dem Vorsitze des k. u. k. gemeinsamen Ministers des Äußern Graf Goluchowski. Der Versitzende eröffnet um 10Uhr abends die Sitzung mit dem Hinweise darauf, daß in den Vertragsverhandlungen mit dem Deutschen Reiche im allgemeinen eine Verständigung zu erhoffen sei und nur auf dem Gebiete des Veterinärwesens gewisse Schwierigkeiten zu bestehen scheinen, welche den Zusammentritt des heutigen gemeinsamen Ministerrates erforderlich gemacht hätten, damit ein Ausweg gefunden werden könne.1 Der kgl. ung. Ministerialrat v. Ottlik, zur Darstellung des Sachver¬ haltes aufgefordert, bringt vorerst die aus zwei Abschnitten bestehenden, in Berlin verfaßten und verwahrten Vorschläge zur Verlesung, die deutscherseits vorbehaltlich der Fassung und der Entschließung darüber, ob diese Bestimmungen in die Konvention, das Schlußprotokoll oder das Sitzungsprotokoll aufzunehmen sind; akzeptiert sind.2 Hierauf gibt Redner die folgende Erklärung ab: Die vorliegenden Propositionen seien zwar nicht das Ideal dessen, was wir uns unter einer unseren Interessen entsprechenden Regelung des Viehverkehres vorstellen könnten, und würden gewiß andere Bestimmun¬ gen vereinbart werden, wenn wir das alleinige Entscheidungsrecht besitzen würden. Da aber auch der Wille des anderen Kompaziszenten in die Waagschale falle, könne mit Berücksichtigung der gegebenen Verhältnisse entschieden behauptet werden, daß der vorliegende Entwurf tatsächlich weitgehende Garantien biete und den heutigen, nahezu rechtlosen Zustand in überwiegendem Maße zu unseren Gunsten modifiziere.3 Die in 1 Den Handelsvertrag mit Deutschland behandelt bereits vorher GMR. v. 28. 2.1904, GMCZ. 440; GMR. v. 30.10.1904, GMCZ 447. 2 Siehe Beilage Nr. 60a zu diesem Protokoll. s 3 Die Ablauffrist des mit Deutschland geschlossenen Zoll- und Handelsvertrages des Jahres 1891 ließ man verstreichen. Siehe GMRProt. v. 28.2.1904, GMCZ 440, Anm. 3. Der Vertragwurdezwarnichtaufgekündigt, doch diese Gefahr schien ständig zu drohen. Siehe das vorliegende GMRProt. sowie Grunzel, Die handelspolitischen Beziehungen Deutschlands und Österreich-Ungams 80-89. <pb/>Nr. 60 Gemeinsamer Ministerrat, Budapest, 12.1.1905 431 Antrag gebrachte Vereinbarung enthalte eine ansehnliche Reihe von Vorteilen und Verbesserungen. So präzisiere sie, soweit als dies in ähnlichen Fragen möglich sei, die gegenseitigen Rechte und verhindere prinzipiell und praktisch, daß der wichtigste Teil unseres Viehexportes, nämlich jener der Schlachttiere, anderen als nur veterinärpoli¬ zeilich begründeten, räumlich und zeitlich entsprechend begrenzten Verkehrsbe¬ schränkungen unterworfen werde. Für den Fall des Auftauchens von Meinungsver¬ schiedenheiten über die Durchführung und Handhabung der tunlichst präzis festgelegten Regeln sei ein einwandfrei funktionierendes Sachverständigenforum ge¬ schaffen, dessen Äußerung für die Austragung solcher Differenzen als Grundlage diene. Durch die Zusicherung eines Schweineimportquantumsvon jährlich 80 000 Stück im Werte von zirka 25 Millionen Kronen habe Deutschland uns ein bisher mit größter Entschiedenheit abgelehntes Zugeständnis gemacht, wodurch uns aller Wahrschein¬ lichkeit nach mehr geboten erscheine, alswir in den nächsten Jahren tatsächlich würden in Anspruch nehmen können. Die Ablehnung der vorliegenden Anträge könnte nur in dem Falle motiviert erscheinen, wenn wir begründete Hoffnung hätten, später vorteil¬ haftere Bedingungen für unser wirtschaftliches Verhältnis zum Deutschen Reiche zu erlangen. Die Situation sei jedoch eine derartige, daß ein günstigerer Moment, um jede im aiigpmp.inp.n zugängliche Konzession aufwirtschaftlichem Gebiete zu erlangen, nicht gedacht werden könne. Gegenwärtig sei nämlich die deutsche Regierung in der Lage, unseren Vertrag ohne vorherige Kündigung trotz des mächtigen agrarischen Wider¬ standes gemeinsam mit den anderen bereits negozüerten Tarifverträgen durchzukämp¬ fen, denn sie besitze die mächtige Waffe des neuen Zolltarifes, dessen Aktivierung nur gleichzeitig mit dem Inslebentreten der neuen Verträge erfolgen soll, andernfalls die bestehenden und nicht gekündigten Verträge und damit auch der heutige Tarif in Kraft bleibe. Würde jedoch die deutsche Regierung durch weiteren Widerstand unsererseits genötigt werden, von ihrem Kündigungsrechte Gebrauch zu machen, so würden wir ihr die Waffe gegen die Agrarier entziehen und ihr die Möglichkeit benehmen, später die uns heute angebotenen Zugeständnisse im Parlamente durchzuzwingen. Das wäre gleichbedeutend mit dem Scheitern der Verhandlungen und mit dem Verzichte auf einen deutsch-österreichisch-ungarischen Handelsvertrag, daher in weiterer Konse¬ quenz mit unserer wirtschaftlichen Isolierung und unserer Ausschaltung aus dem Komplexe der europäischen Vertragsstaaten. Die unabsehbaren, unseren Export schä¬ digenden Folgen davon würden zweifelsohne eine weitaus ungünstigere Situation schaf- fen als der Abschluß des in klaren Umrissen sich abhebenden neuen Handelsvertrages mit dem Deutschen Reiche, welcher allerdings durch eine erhöhte Zollbelastung unseres Exportes eine Verschlechterung des Status quo bedeute; man könne jedoch mit Zuversicht behaupten, daß die fraglichen Zollerhöhungen, abgesehen von denen der Malzgerste, für welche jedoch die durch die stark verminderte Spannung zwischen Gersten- und Malzzoll günstigeren Aussichten unseres Malzexportes einen Ersatz bieten würden, zum überwiegenden Teüe auf den Konsumenten des Importlandes überwälzt werden dürften. Redner kommt nach dem Vorausgeschickten zu dem Schlüs¬ se, daß die in Aussicht genommenen Vereinbarungen befriedigende zu nexmen seien, weü sie die Sicherung unserer Ausfuhr garantieren und der zu schaffende Zustand <pb/>432 Nr. 60 Gemeinsamer Ministerrat, Budapest, 12.1.1905 weitaus günstiger sein werde ab ein vertragsloses Regime, welches wir durch Ablehnung dieser Anträge heraufbeschwören würden. Er gebe daher pflichtgetreu nur seiner aufrichtigen Überzeugung Ausdruck, wenn er wiederholt bitte, die deutschen Anträge nach eingehender Erwägung all der dafür und dagegen sprechenden Argumente anzu¬ nehmen und die österreichisch-ungarische Delegation zu ermächtigen, auf dieser Grundlage zum Vertragsabschlüsse zu schreiten. Auf eine Frage des kgl. ung. Ministerpräsidenten Grafen Tisza, ob die sämtlichen Posten desVertragstarifes bereite bereinigt seien, erwidert der Vor¬ redner, daß man vorläufig bestrebt war, die einschlägigen Fragen der Veterinärkon¬ vention, deren Zustandekommen österreichisch-ungarischerseits als Voraussetzung für die Anbahnung eines neuen Vertragsverhältnisses zum Deutschen Reiche betrachtet werde, auszutragen und erst dann zur Bereinigung der noch offenen Zollpositionen zu schreiten beabsichtige, daß jedoch bereite auch in dieser Hinsicht schon wesentliche Fortschritte im technischen Komitee und im Kommissionsplenum gemacht wurden.4 Der k.k. Sektionschef Freiherr v. Beck fügt dem hinzu, daß insbe¬ sondere schon bezüglich einer strengen Abfertigung der Futtergerste im Gegensätze zur Malzgerste befriedigende Erklärungen vorliegen und deutscherseits zugesichert worden sei, das Restitutionsverfahren in diesem Belange nur auf Basis des stringenten Identitätsnachweises durchzuführen, wobei die deutsche Regierung sich bereit erklärt habe, die Mälzereien unter Kontrolle zu stellen und dies erforderlichenfalls auch im Gesetzeswege festzusetzen. Den Malzzoll anlangend, hätten die Deutschen einen solchenvon 5,95-5,85 Markzugesichert, was Rednerjedoch ab inakzeptabel bezeichnet habe, worauf deutscherseits ein Malzzoll von Mark 5,75 in Aussicht gestellt wurde. Die deutschen Delegierten hätten auch zugesichert, unseren Forderungen bezüglich des Pferde-, Obst- und anderer Zölle nach Tunlichkeit zu entsprechen; eine Festlegung bindender Natur in diesen Belangen habe jedoch aus dem bereite früher erwähnten Grunde, daß die einzelnen Zollpositionen, insoweit sie strittig sind, vorerst nicht definitiv durchbesprochen wurden, noch nicht stattgefunden. Dagegen seien im tech¬ nischen Komitee ganz befriedigende Resultate erzielt worden, so daß nach Ansicht des Redners eine unseren Postulaten sehr entsprechende Lösung in Aussicht stehe. Im großen und ganzen sei überhaupt in der letzten Zeit ein ganz auffallendes Entgegen¬ kommen deutscherseits wahrnehmbar. Dies beweise, daß Deutschland unbedingt das Zustandekommen des Vertrages wolle, daß es jedoch über eine gewisse, ganz bestimmt gezogene Linie aus naheliegenden Gründen nicht hinausgehen könne. Der Ick. Sektionschef Graf Auersperg schfldert die durch die gegenwärtige Viehseuchenkonvention für Österreich-Ungarn recht ungünstige Situa¬ tion und stellt einen Vergleich an der bbherigen Sachlage mit den Ergebnissen der abgeführten Verhandlungen über das neue Veterinärabkommen mit Deutschland. In dieser Beziehung webt Redner darauf hin, daß bisher schon die Zulassung der Schafe und die Gewährung eines bedeutenden Exportkontingentes von Schweinen erreicht 4 Protokolle der Verhandlungen betreffend die Erneuerung des Handels- und Zollvertrages zwischen Österreich-Ungarn und dem Deutschen Reiche v. 12.11.1904-24.11.1904, HHStA., AR., F. 37, Karton 47, Deutschland 10, Nr. 251. <pb/>Nr. 60 Gemeinsamer Ministerrat, Budapest, 12.1.1905 433 wurde. Es sei ferner gelungen, den Grenzverkehr, welcher insbesondere Ungarn auch zugutekomme, zu sichern. Überdies sei die Befristung aller Sperren bewilligt worden, und habe Deutschland auch zugesagt, daß der freie Viehverkehr nur in bestimmten Bezirken untersagt werden solle. Schließlich sei es gelungen festzusetzen, daß in strittigen Fällen das Gutachten einer Fachkommission zur Grundlage der Entscheidung gemacht werde, wobei besonders die Einsetzung eines fünften Fachmannes als Schieds¬ richter von unschätzbarem Werte sei. Der größte Erfolg sei jedoch die Sicherung der Ausfuhr des Schlachtviehes sowie das Zugeständnis kleinerer Sperrgebiete im Falle der Regressivsperre. Der springende Punkt sei allerdings, daß bei besonders drohender Gefahr und in Fällen bösartigen Seuchenausbruches die Möglichkeit der Sperrung von Bezirken und Nachbarbezirken gegeben sei. Da deutscherseits aber die Zusicherung erteüt wurde, daß von diesem Rechte nur äußersten Falles Gebrauch gemacht würde, und diese Befugnis von dem Gutachten des Schiedsgerichtes abhängig sein werde, so sei keine Gefahr eines ernsten Mißbrauches dieses Zugeständnisses zu befürchten. Dagegen sei als ein großer Erfolg zu bezeichnen, daß uns gestattet werde, aus nicht verseuchten Gemeinden und Nachbargemeinden gesperrter Gebiete gegen spezielle Bewilligung Schlachttiere zur Ausfuhr zu bringen, was dem jetzigen tatsächlichen Zustande entspreche. Bei Überprüfung all' dieser Errungenschaften sei der Schluß gerechtfertigt, daß es gelungen sei, den Vertrag in vielen Belangen zu verbessern, wozu noch komme, daß wir die positive Zusicherung für eine loyale Durchführung der Konventionsbestimmungen erlangen werden. Es sei nunmehr der psychologische Moment eingetreten, die uns gemachten Angebote, welche unbestritten das äußerste Maß des Erreichbaren darstellen, anzunehmen und, obgleich die obigen Zusicherungen noch nicht in protokollarischer Form erfolgt seien, so stehe es doch über allem Zweifel, daß diesbezüglich ganz bestimmte Erklärungen würden abgegeben werden. Der kgl. ung. Ministerialrat v. Ottlik erwähnt, daß die österreichisch- ungarische Delegation bei den Deutschen sondiert habe, ob sie, um gewissen Bedenken österreichisch-ungarischerseits Rechnung zu tragen, eventuell zugestehen würden, daß die zu verhängenden Sperrmaßregeln nicht deutscherseits angeordnet, sondern von Österreich-Ungarn selbst verhängt werden, was den Vorteil bieten würde, daß wir gegebenenfalls nicht von der Willkür der deutschen Organe abhängen. Eine Erwide¬ rung auf diese Anregung sei deutscherseits bisher noch nicht erfolgt. Demfügtder k.k. Sektionschef Freiherr v. Beck hinzu, daß Deutsch¬ land anscheinend keine Lust haben dürfte, auf diese Proposition einzugehen. Der Grund liege wohl darin, daß Deutschland befürchten müsse, daß wir selbstverständlich in loyaler Weise immer sperren würden, wenn die Bedingungen dazu gegeben seien, was den Deutschen gewiß oft recht unangenehm sein würde. Dies beweise aber, daß die Deutschen selbst nicht die Absicht hätten, die Sperren mit aller Strenge durchzu¬ führen. Die von uns bisher erreichten Konzessionen auf veterinärem Gebiete seien ganz erstaunlich weitgehende, und sei Redner überzeugt, daß wir bei vertauschten Rollen nicht den Mut haben würden, bis an diese Grenze der Zugeständnisse zu gehen. Redner gibt seiner vollen Überzeugung Ausdruck, daß nicht mehr zu erreichen sei und daß die Deutschen bis an die äußerste Grenze ihrer Leistungsfähigkeit und ihres Entgegenkom¬ mens gelangt seien. Es wickle sich ein schwerer Kampf zwischen den für und gegen uns <pb/>434 Nr. 60 Gemeinsamer Ministerrat, Budapest, 12.1.1905 gestimmten Parteien der deutschen Landesregierung ab, und sei zu befürchten, daß durch Unnachgiebigkeit unsererseits die für uns günstig gestimmte Partei arg geschä¬ digt und kompromittiert würde. Das Einbringen der Verträge im Reichstage sei nur mit Aufgebot aller zur Verfügung stehenden Mittel aufgeschoben worden, und wenn der Vertrag in diesem so vorteilhaf¬ ten Momente nicht zustande komme, so würde er, wenn überhaupt, nie wieder unter so günstigen Verhältnissen abgeschlossen werden können. Der kgl. ung. Ministerpräsident GrafTisza erklärt, auch er sei überzeugt, daß, wenn unser Vertrag mit Deutschland nicht gleichzeitig mit den übrigen Verträgen im deutschen Reichstage zur Annahme gelangen würde, keine Chance vorhanden sei, eine Veterinärkonvention mit dem Deutschen Reiche zustande zu bringen. Es scheine ihm jedoch noch nicht gefährlich, daß die übrigen Verträge ohne den unsrigen parlamentarisch eingebracht würden, denn ein Junktim noch in einem späteren Zeitpunkte, etwa in einigen Wochen herzustellen, liege in der Hand der deutschen Regierung. Redner meint daher, man solle sich nicht an die Wand drücken lassen, denn er könne es nicht als eine gegebene Tatsache betrachten, daß wir vor einem Ultimatum stehen; es sei daher noch eine offene Frage, ob wir nicht doch vielleicht durch zähes Festhalten mehr erreichen könnten. Auf das Meritum der Angelegenheit übergehend, erklärt der Redner, daß, sobald ein gewisses Gebiet unter Sperre gelegt werde, die Erfahrung lehre, daß die Spemnaßregel aus veterinären Rücksichten sehr schwer wieder aufgehoben werden könne. Je größer nun die Sperrgebiete sind, umso geringer sei daher die Chance für die Wiederfreimachung derselben. Wenn daher die Komitate als territoriale Sperrbezirke in Aussicht genommen würden, so liege die Gefahr nahp., daß ein sehr großer Teü des Landes beständig unter Sperre sein würde, was gleichbedeutend mit einer totalen Niederlage für den Viehverkehr Ungarns sei. Diese Niederlage werde allerdings etwas dadurch gemüdert, daß Deutschland die Zusicherung erteile, von Fall zu Fall die Ausfuhr von Schlachtvieh aus gesperrten, jedoch nicht verseuchten Gebieten zuzulassen. Redner erklärt, er müsse sich unter den geschilderten Umständen die Frage vorlegen, ob es nicht am Platze wäre, noch einen Versuch zu machen, um günstigere Bedingungen zu erreichen, und er erblicke die Grundlage eines Kompromisses nur darin, daß als Sperrbezirke die Verwaltungsbezir¬ ke erster Instanz festgelegt würden. Diese Lösung liege mitten zwischen der ursprüng¬ lichen deutschen Forderung der Annahme bisheriger Lungenseuchensperrgebiete und dem österreichisch-ungarischerseits aufgestellten Prinzipe der Sperrmöglichkevt von Gemeinden und Nachbargemeinden. Die gegenwärtig in Diskussion stehende Lösung bedeute jedoch, so wiederholte Redner, eine völlige Niederlage Österreich-Ungarns. Schließlich vertritt Redner die Ansicht, daß wir nicht darauf eingehen sollten, selbst die Sperrmaßregeln zu verfügen, denn wir wären unter diesen Umständen loyalerweise verpflichtet, die Sperren vorzunehmen, während im entgegengesetzten Falle wir nur mit der Möglichkeit der Sperrmaßnahmen zu rechnen hätten. Es sei daher viel vorteilhafter, wenn wir auf dieses Recht verzichten würden. Der kgl. ung. Ministerialrat v. O 111 i k gibt zu, daß das Junktim der Durchbringung unseres Vertrages mit den übrigen Verträgen möglicherweise später hergestellt werden könnte, dies jedoch nur in dem Falle, wenn keine Kündigung unseres <pb/>Nr. 60 Gemeinsamer Ministerrat, Budapest, 12.1.1905 435 Vertrages erfolgen würde. Wenn aber, wofür die höchste Wahrscheinlichkeit bestehe, eine Kündigung erfolgen würde, dann stehe es den Agrariern frei, den Vertrag mit uns abzulehnen und dagegen sei die deutsche Regierung wehrlos. Was die vom Redner zur Sprache gebrachte Anregung anbelange, bezüglich des uns einzuräumenden Rechtes, die Sperrmaßregeln selbst zu verfügen, so biete dies den VorteU, dieselben auch selbständig und rechtzeitig wieder aufzuheben. Der k.k. Ministerpräsident Freiherr v. Gautsch erwähnt, er entnehme der ihm erst zur Kenntnis gebrachten Tatsache, daß das preußische Staats¬ ministerium dem zur heutigen Diskussion gebrachten Kompromißantrage zugestimmt habe, wie heftig der Kampf unter den deutschen Parteien in dieser Frage woge. Außerdem möchte er sich auch dafür aussprechen, daß es vorteilhafter erscheine, wenn den Deutschen das Recht gewährt bleibe, die Sperrmaßregeln selbst zu verfügen und uns nicht die Pflicht treffe, dieselben in Wirksamkeit zu setzen. Der Vorsitzende weist daraufhin, daß Deutschland ein Interesse daran habe, alle Verträge en bloc vorzulegen; es sei daher seiner Ansicht nach der psychologische Moment eingetreten, in welchem wir uns entscheiden müßten, ob wir die uns angebo¬ tenen Zugeständnisse, die, wie aus den Darlegungen der anwesenden Fachdelegierten hervorgehe, das äußerste Maß dessen darstellen, was Deutschland gewähren könne, annehmen oder ablehnen sollen. Redner ist der Ansicht, man solle die Saite nicht zu stark anspannen, weü sie leicht reißen könnte, wir würden dann der Gefahr einer immittelbaren Kündigung entgegengehen und, da die deutsche Regierung augenschein¬ lich die Verträge am 1. Februar durchsetzen wolle, so würden dieselben rasch durch¬ gepeitscht werden. Würden die Verhandlungen jetzt in die Brüche gehen, so sei ein Zollkrieg unabweislich in Aussicht, denn wie Redner von kompetenter Seite erfahren habe, würde der deutsche Reichstag dann auch ein Meistbegünstigungsabkommen mit uns ablehnen. Es sei daher ernstlich in Erwägung zu ziehen, ob wir den Zollkrieg mit Deutschland riskieren können oder nicht. Der k.k. Handelsminister Freiherr v. Call erinnert daran, daß anläßlich der jüngsten Ministerberatung die im Schoße derselben bestehenden Beden¬ ken bezüglich der Zweckmäßigkeit der Fortsetzung der mündlichen Verhandlungen mit dem Deutschen Reiche durch die auf persönlicher Wahrnehmung beruhenden Meinungsäußerungen der damals anwesenden österreichisch-ungarischen Kommissä¬ re zerstreut wurden, welch letztere in der Lage waren, die Situation aufgrund der unmittelbar an Ort und Stelle gewonnenen Eindrücke darzulegen. Nachdem nun die gegenwärtig anwesenden Fachdelegierten einstimmig sich für die Annahme der deut¬ schen Propositionen einsetzen, weil sie dieselben überzeugungsgemäß für das äußerste Maß des Erreichbaren bezeichneten, so sei es ungemein riskiert, angesichts dessen die heute zur Diskussion stehenden Anbote abzulehnen, umso mehr als dieselben eine gewisse Garantie für die Abwicklung unseres Viehverkehres mit dem Deutschen Reiche bieten, was bisher nicht der Fall gewesen sei. Der k.k. Acker bauminister Graf Buquoy äußert sich in ähnlichem Sinne, weist darauf hin, daß durch die gegenwärtigen deutschen Anbote der Zustand der Willkür durch ein sichere Garantien bietendes Verhältnis ersetzt erscheine, und befürwortet daher die Annahme der gewährten Zugeständnisse. <pb/>436 Nr. 60 Gemeinsamer Ministerrat, Budapest, 12.1.1905 Der k.k. Sektionschef Freiherr v. Beck spricht aufgrund der ihm noch kurz vor seiner Abreise aus Berlin vertraulich gemachten Äußerungen des Staats¬ sekretärs Baron Richthofen5 seine volle Überzeugung aus, daß die vorliegenden Anbote Deutschlands dessen äußerste Konzessionen darstellen, und daß dieselben zwar nicht der Form nach, doch in ihrem Inhalte ein Ultimatum seien. Redner schildert in eingehender Weise, wie deutscherseits in allen Phasen der bisherigen Verhandlungen das Prinzip der freien Hand auf dem Gebiete des Veterinärwesens mit äußerster Hartnäckigkeit festgehalten würde und wie erst ganz zuletzt, als österreichisch-ungari- scherseits kategorisch erklärt worden war, daß auf dieser Basis eine Verständigung vollständig ausgeschlossen sei, deutscherseits die nunmehrigen, das Prinzip der freien Hand opfernden weitgehenden Konzessionen gemacht würden. Dies sei ein durch¬ schlagender Erfolg, mehr zu erreichen, sei jedoch ganz positiv ausgeschlossen. Der k.k. Minister des Inneren Graf Bylandt-Rheidt teütvoll¬ kommen die Ansicht des kgl. ung. Ministerpräsidenten, daß es erwünscht wäre, ledig¬ lich politische Bezirke erster Instanz als Sperrgebiete zu erlangen. Nachdem jedoch die Fachdelegierten einmütig der Ansicht seien, daß mehr nicht zu erreichen sei, als was bisher konzediert wurde, so empfehle er dies anzunehmen, weü dadurch ein ganz erträglicher und gesicherter Zustand geschaffen sei. Der kgl. ung. Ackerbauminister v. Talliän führt aus, daß Ungarn angestrebt habe, die Gemeinden und Nachbargemeinden als Sperrgebiete festzusetzen, während deutscherseits diesbezüglich die Komitate in Antrag gebracht wurden. Außer¬ dem hätten wir, abgesehen von einigen kleinen, von Konzessionen und der Zulassung eines gegenwärtig fast wertlosen Kontingentes von Schweinen und der Schafe, in den Hauptpunkten gar nichts erreicht, daher im großen und ganzen eine Schlappe erlitten. Redner ist zwar auch davon überzeugt, daß mehr kaum zu erreichen sein werde, es sei jedoch mit Gewißheit vorauszusagen, daß, wenn wir die 10%ige Verseuchung der Komitate, wie dies deutscherseits in Antrag gebracht ist, akzeptieren, Ungarn vom Viehverkehre auch für Schlachttiere fast gänzlich ausgesperrt sein werde. Redner erklärt daher, vom Standpunkte seines Ressorts nur dann zu dem deutschen Vorschläge seine Zustimmung erteüen zu können, wenn ein Mittelweg gefunden werden könne, wonach die 15%ige Verseuchung aller Gemeinden eines politischen Bezirkes erster Instanz als Basis für die Sperrmaßregeln angenommen werde. Der kgl. ung. Ministerpräsident Graf Tisza gibt zu, daß durch Festsetzung der gemischten Kommission ein nicht unwesentlicher Vorteil erreicht worden sei; derselbe habe jedoch nur in geringem Umfange Wichtigkeit, weü die gedachte Kommission nur in wenigen Ausnahmsfällen berufen sei, ihr Gutachten abzugeben. Es sei außerdem auch anzunehmen, daß uns Deutschland bezüglich der Sperrbefugnis manche wesentliche Zugeständnisse gemacht habe, daß ferner die Sperr¬ termine bedeutend reduziert wurden, und daß anstelle des ,,gefahrdrohenden Auftre¬ tens der Seuche" die Festsetzung einer perzentuellen Verseuchung der Anzahl der Gemeinden eines Gebietes respektive das Gutachten der Kommission in Aussicht gestellt wurde. Dies seien jedoch nur Bruchteüe dessen, was wir zu erreichen beabsich- s Oswald Baron Richthofen (1847 -1906). <pb/>Nr. 60 Gemeinsamer Ministerrat, Budapest, 12.1.1905 437 tigen. Insbesondere sei zu befürchten, daß zufolge der beantragten Modifikationen Deutschland zumeist viele größere Sperrgebiete kontumazieren könne, was eine schwere Schädigung für unseren Viehverkehr bedeute, weü große Sperrgebiete schwer seuchenfrei erklärt werden können. Es sei daher klar, daß in dem Kampfe der in Deutschland bestehenden zwei Parteien die uns ungünstige Posadowskysche Partei6 noch immer die Oberhand behalten habe. Wenn wir daher noch eine mäßige Verbes¬ serung der uns angebotenen Bedingungen anstreben würden, glaube Redner, daß deshalb das Zustandekommen des Vertrages kaum ernstlich in Frage gestellt sein könnte. Der Versitzende glaubt, daß Deutschland von den ihm zustehenden Sperr¬ befugnissen äußerst selten Gebrauch machen werde, weü es, wie bekannt, unser Vieh brauche. Die nunmehr vorliegenden Anträge seien sehr weitgehend und verbesserten den heutigen Zustand ganz wesentlich; insbesondere sei es nicht zu unterschätzen, daß Deutschland das Prinzip der freien Hand aufgegeben habe. Dies beweise aber, daß in dem vom Vorredner erwähnten Parteikampfe das uns günstig gestimmte Auswärtige Amt die Oberhand gewonnen und Posadowsky eine Schlappe erlitten habe. Redner ist weit entfernt davon, auf die Entschließungen der kgl. ung. Regierung Einfluß nehmen zu wollen, er stelle jedoch zur Erwägung, was geschehen werde, wenn unsere Delegier¬ ten die Instruktion erhalten würden, in Berlin die vom kgl. ung. Ackerbauminister präzisierten Wünsche durchzusetzen und mit denselben nicht durchzudringen ver¬ möchten? Für diesen Fall müßten den Delegierten Eventualinstruktionen erteflt werden, und wenn wir dann gezwungen sein würden nachzugeben, so wäre das noch eher eine entschiedene Niederlage für uns. Der k.k. Ministerpräsident Freiherr v. Gautsch sieht sich im Zusammenhänge mit der früher von dem kgl. ung. Ministerpräsidenten aufgeworfenen, von besonderer Wichtigkeit erscheinenden Frage, ob sämtliche Posten des Vertrages schon bereinigt seien, veranlaßt, im Namen der k. k. österreichischen Regierung zu erklären, daß dieselbe mit Rücksicht auf das einstimmige Votum der Kommissäre sowie in Erwägung der politischen Situation der vorliegenden Proposition zustimme, aller¬ dings jedoch unter der bestimmten Voraussetzung, daß bezüglich der noch nicht bereinigten Posten wie beispielsweise Gerste, Malz, Obst, Vieh, Pferde usw. deutscher¬ seits ein entsprechendes Entgegenkommen bewiesen werde. Dadurch sei den Delegier¬ ten eine Instruktion für die weiteren Verhandlungen und eine wirksame Waffe zur Erreichung gewisser wertvoüer Zugeständnisse gegeben. Der k.k. Sektionschef Graf Auersperg trachtet zu untersuchen, ob es noch möglich sei, auf gewissen Gebieten des Veterinärwesens ohne wesentliche Gefährdung des Zustandekommens des Vertrages weitere Zugeständnisse zu errei¬ chen. In diesem Belange gibt Redner der Ansicht Ausdruck, daß es noch möglich sein werde, die UnterteUung größerer Komitate in kleinere Sperrgebiete zu erwirken, was eine wesentliche Erleichterung sein würde. Ferner könnte auch noch mit Erfolg ange¬ strebt werden, daß deutscherseits eine ganz bestimmte Erklärung dahingehend abge- « Siehe GMRProt. v. 30.10.1904, GMCZ. 447, Anm. 1. <pb/>438 Nr. 60 Gemeinsamer Ministerrat, Budapest, 12.1.1905 geben werde, daß die Konvention in, unseren wirtschaftlichen Verhältnissen entspre¬ chend, loyaler Weise eingehalten werde. Redner bemerkt ferner, daß die Deutschen selbst ganz ähnlich große Sperrgebiete besitzen, wie sie deutscherseits bisher bei uns in Aussicht genommen worden waren, und daß sie ganze Provinzen für den Schlachtvieh- verkehr gesperrt haben. Es sei daher geradezu als erstaunlich zu bezeichnen, daß sie sich erbötig gemacht hätten, uns günstigere Bedingungen anzubieten, als sie in ihrem eigenen Lande bestehen. Der k.k. SektionschefFreiherrv. Beck äußert sich m gleichem Sinne und weist insbesondere darauf hin, daß die in Aussicht gestellte Loyalitätserklärung insofeme wertvoll sei, als man gegebenenfalls dieselbe urbi et orbi zeigen und dadurch Deutschland moralisch zum strikten Einhalten der Konventionsabmachungen zwingen könne. Der kgl. ung. Ministerpräsident GrafTisza ist der Ansicht, daß trotz alledem noch immer ein Versuch gemacht werden sollte, mehr zu erreichen, da er überzeugt sei, die deutsche Regierung habe noch nicht ihr letztes Wort gesprochen. Wenn schlimmsten Falles nichts erreicht werde, so verliere man nichts. Dies könne er nicht als Niederlage bezeichnen. Redner proponiert daher, die österreichisch-ungari¬ schen Delegation anzuweisen, allen Ernstes noch einen Versuch zu machen, um die Lungenseuchensperrgebiete zu eliminieren und für die Maul- und Klauenseuche die Kontumazierung der politischen Bezirke erster Instanz in Antrag zu bringen. Sollte dieser Versuch mißlingen, so wäre die Delegation zu beauftragen, ein Ultimatum zu stellen, dahingehend, daß eine weitere Teüung der größeren Sperrgebiete sowie die Loyalitätserklärung verlangt und gefordert werde, daß in der deutscherseits im Prinzipe akzeptierten .Feststellung zum Sitzungsprotokolle" im zweiten Satze des Punktes 2 die Worte: ,,Solche fallweise Bewilligungen werden insbesondere dann erteüt werden"... zu ersetzen seien durch: ,,Solche fallweise Bewilligungen können nicht verweigert werden"...7 Der k.k. Sektionschef Freiherr v. Beck macht darauf aufmerksam, daß gerade diese Wortfassung das Ergebnis eines längeren Kampfes gewesen sei, und daß es daher kaum möglich sein dürfte, die beantragte Formulierung durchzusetzen. Redner hält jedoch die gegenwärtige Fassung für ganz einwandfrei. Sollte trotzdem die eben beantragte Fassung gefordert werden müssen, so sollte das bezügliche Verlangen nicht ex commissione gestellt werden, sondern der k. u. k. Botschafter in Berlin möge angewiesen werden, ernstliche Sondienmgsversuche zu unternehmen, ohne jedoch die Forderung als conditio sine qua non zu stellen, da Gefahr sei, daß dies verstimmen und auf den Abschluß des Vertrages nachteüig wirken könnte. Der Vorsitzende glaubt, daß die ungarischerseits beantragte Wortfassung an dem geschaffenen tatsächlichen Zustande kaum etwas ändern dürfte. Nachdem aber der Wunsch der ungarischen Regierung vorliege, stehe dem nichts im Wege, daß der Botschafter beauftragt werde, nachdrücklichst diese Forderung bei der deutschen Regierung zu vertreten. Für den Fall, als deutscherseits dem diesfalls gestellten Anlan- 7 Siehe Beilage Nr. 60a zu diesem Protokoll. <pb/>Nr. 6Q Gemeinsamer Ministerrat, Budapest, 12.1.1905 439 gen ernste Schwierigkeiten entgegengestellt werden sollten, beantragt Redner einen Zusatz zum Protokolle, welcher etwa dahingehend lauten sollte, daß derartige Bewilli¬ gungen von Fall zu Fall und wenn veterinärpolizeiliche Rücksichten zwingender Natur dem nicht entgegenstehen, nicht verweigert werden können.8 In der hierauf sich entwickelnden Diskussion über diese Frage gibt der k g 1. u n g. Ministerpräsident GrafTisza die Erklärung ab, daß das deutscherseits in Aussicht gestellte Zugeständnis von der ungarischen Regierung nur mit der ungari- scherseits in Antrag gebrachten Wortänderung angenommen werden könnte. Sollte es nicht gelingen, die erwähnte Fassung in den Vertrag selbst aufzunehmen, so müßte jedenfalls eine entsprechende Feststellung in protokollarischer Form erfolgen. Der Vorsitzende reassümiert dahin, daß der k.u.k. Botschafter in Berlin ehestens telegraphisch anzuweisen sei, die kaiserlich deutsche Regierung zu verständi¬ gen, daß unsere beiden Regierungen nach langen und sehr schwierigen Beratungen sich geeinigt hätten, dem Vorschläge betreffend die Viehseuchenkonvention zuzustimmen, daß hierin jedoch ein umso größeres Entgegenkommen unsererseits liege, als unseren ursprünglichen diesbezüglichen Forderungen nur in sehr beschränktem Maße Rech¬ nung getragen sei. Diese Zustimmung sei jedoch an die bestimmte Voraussetzung geknüpft, daß Deutschland bei den noch offenen Tariffragen uns entsprechend entge¬ genkomme. Ferner erwarte man, daß deutscherseits eine protokollarische Erklärung abgegeben werden würde, wonach die Veterinärkonvention in loyaler, unsere vitalen Interessen in weitestem Maße schonender Art gehandhabt werden würde. Auch erwar¬ teten unsere beiden Regierungen, daß die Frage der Sperrgebiete in befriedigender Weise würde gelöst werden. Schließlich möge der Botschafter die beantragte Wortän¬ derung der Ziffer 2, zweiter Satz, der ,,Feststellung zum Sitzungsprotokolle" in nach¬ drücklicher Weise zur Sprache bringen und auf deren Aufnahme besonders Gewicht legen. Abgesehen von dieser telegraphischen Weisung seien die Delegierten dahin zu instruieren, daß sie ex commissione auf die protokollarische Abgabe der Loyalitätser- klänmg zu dringen und die TeUung der größeren Sperrgebiete nachdrücklichst zu fordern hätten.9 Nachdem das an den k. u. k. Botschafter abzusendende Telegramm genehmigend zur Kenntnis genommen worden war, wurde den anwesenden Delegierten über deren Anlangen Vollmacht erteüt, die UnterteUung der größeren Sperrgebiete dem Maßstabe der bestehenden Bedürfnisse soweit als möglich anzupassen. Ferner werden die Fach¬ referenten über Wunsch des kgl. ung. Ministerpräsidenten ermächtigt, mit Rücksicht darauf, daß Österreich und Ungarn zwei getrennte Steuergebiete darstellen,' in dem * Bezüglich derfallweisen Bewilligungfür die Zulassung von Schlachtvieh aus gesperrten, aber seuchenfreien Bezirken wurde als eine den Wünschen der ungarischen Regierung entgegenkommende Fassung von Posa- dowsky als äußerstes Zugeständnis die folgende Textierung aufgestellt: Solche Bewilligungen von Fall zu Fall werden abgesehen von außergewöhnlichen, besondere Vorsicht erheischenden veterinärpolizeili¬ chen Verhältnissen nicht verweigert werden... SzögySny an Goluchows/dv. 19.1.1905, HHStA., AR., F. 37, Karton 47, Deutschland 10, Nr. 294. 9 Zu den Verhandlungen über die Angelegenheit in Berlin und der auch ungarischen Gesichtspunkten Rechnung tragenden Modifizierung des Entwurfes siehe Szögyiny an Goluchowski v. 19.1.1905, ebd. <pb/>440 Nr. 60 Gemeinsamer Ministerrat, Budapest, 12.1.1905 betreffenden Vertragstexte über die Bierbesteuerung die Worte ,,österreichische und ungarische" einzuschalten. Es gelangt nunmehr die bei den Vertragsverhandlungen zur Sprache gebrachte Frage der Durchfuhr von Munition und Sprengstoffen zur Beratung, deren gegenwär¬ tiger Stand aus der von den Delegierten überreichten und anruhend anverwahrten Darstellung ersichtlich ist, welche am Schlüsse jene Fassung für den Vertragstext enthält, welcher deutscherseits möglicherweise akzeptiert werden dürfte. Der k.u.k. Oberingenieur Ritter v. Schlesinger, welchem nach Darlegung der Sachlage durch den k.k. Sektionschef Grafen Auers¬ perg das Wort erteflt wird, weist darauf hin, daß die bei der Durchfuhr von Spreng¬ stoffen und Munition deutscherseits erhobenen Beschwerden größtenteils auf das Verschulden der Parteien zurückzuführen seien, welche sehr oft die wesentlichen Angaben zur Ausstellung der Dokumente unterlassen. Außerdem habe es sich aber auch oft ergeben, daß die durchzuführenden Präparate, was ihre Stabüität anbelange, nicht immer einwandfrei seien, so daß nicht für die Durchfuhr selbst, wie üblich, Proben entnommen wurden, sondern im Sinne einer Vereinbarung mit dem k.k. Eisenbahnmi¬ nisterium sogar während der Durchfuhr Identitätskontrollen vorgenommen werden mußten. Was speziell die Durchfuhrerschwernisse anbelange, so sei allerdings nicht zu leugnen, daß das Transit von Sprengstoffen und Munition seitens des Reichskriegsmi¬ nisteriums nicht immer erleichtert wurde. Es spielten da in erster Linie kriegspolitische Rücksichten mit, indem die Kriegsverwaltung Wert darauf legen müsse, daß die südlich der Monarchie gelegenen Staaten immer von Österreich-Ungarn abhängig bleiben. Auch der Schutz unserer Munitionsindustrie spiele in diesem Belange eine wichtige Rolle, und es sei der Kriegsverwaltung dadurch auch gelungen, daß beispielsweise mit Rumänien ein mehrjähriger Vertrag für Munitionslieferungen seitens der Monarchie zustande gekommen sei. Außerdem kämen auch militärtechnische Momente in Be¬ tracht, indem durch die angestellten Analysen die Kriegsverwaltung in die Lage komme, vieles zu kennen, was sonst auf anderem Wege zu erfahren nicht möglich gewesen wäre. Maßgebend doch sei der Schutz unserer Munitions- und Sprengstoffindustrie, und würde man den Standpunkt, der dem gegenwärtig geltenden Vertrage entspricht, verlassen, so würde das ein schwerer Schlag für unsere einschlägige Industrie sein. Schließlich sei auch die fiskalische Seite der Frage in Betracht zu ziehen, und müsse Redner auch darauf hinweisen, daß durch Annahme aller deutschen Vorschläge in diesem Belange die Inländer, welche ebenfalls mannigfachen Kontrollen bezüglich der Munitions- und Sprengstofftransporte unterworfen seien, gegenüber den deutschen Lieferanten bei Abschaffung jeglicher Kontrolle wesentlich benachteüigt wären. Der Vorsitzende erklärt, daß es schwer möglich erscheine, die diesbezügli¬ chen deutschen Wünsche zurückzuweisen. Insbesondere müsse er darauf dringen, daß die betreffenden Vorschriften loyal durchgeführt werden, da wir doch selbst von den Deutschen in betreff der loyalen Durchführung der Veterinärkonvention direkt eine bindende Erklärung fordern. Redner müsse daher entschieden dafür eintreten, daß die Erschwerungen der Durchfuhr für Munition und Explosivstoffe auf ein Minimum reduziert werden. Es sei nicht angängig, daß unsere Industrie nur dadurch prosperiere, daß wir in nicht ganz einwandfreier Weise Vorgehen. <pb/>Nr. 60 Gemeinsamer Ministerrat, Budapest, 12.1.1905 441 Auf eine bezügliche Anregung des Vorsitzenden einigt man sich dahin, daß die proponierte Fassung der betreffenden Vertragsbestimmungen im großen und ganzen zu genehmigen sei und nur gewisse, zumeist formale Änderungen derselben im Einver¬ nehmen mit dem Delegierten des k. u. k. Reichskriegsministeriums noch vor Abgang der Fachdelegierten nach Berlin vorzunehmen seien.10 Schließlich bringt der Vorsitzende noch die deutscherseits relevierte Frage der Auswanderung zur Diskussion und weist darauf hin, daß der Wunsch der deutschen Regierung dahingehe, eine Zusicherung dafür zu erlangen, daß Deutschland nach drei Jahren nicht von dem Auswanderungsgeschäfte in Ungarn ausgeschlossen werde. Der kgl. ung. Ministerpräsident Graf Tisza weist nach, daß die ungarische Regierung in dieser Frage in vollkommen korrekter und loyaler Weise vorgegangen sei, daß sie sich jedoch entschieden dagegen verwahren müsse, daß diese Frage in den Rahmen des Handelsvertrages aufgenommen werde. Dagegen stehe dem nichts im Wege, daß der deutschen Regierung auf diplomatischem Wege durch eine Note die von ihr gewünschte Zusicherung erteüt werde, und zwar, wenn dies erforder¬ lich sein sollte, sogar gleichzeitig oder auch noch vor Abschluß des Handelsvertrages.11 Nachdem sohin die zur Beratung gestandenen Gegenstände erschöpft sind, schließt der Vorsitzende die Beratung um 2 1/4 Uhr morgens. Goiuchowski [Ah. E. fehlt.] 10 Siehe Beilage Nr. 60b zu diesem Protokoll sowie Szögyiny an Goiuchowski v. 21.1.1905, HHStA., AR., F. 37, Karton 47, Deutschland 10, Nr. 299. 11 Siehe GMRProt. v. 30.10.1904, GMCZ. 447, Anm. 7, sowieSzögyeny an Goluchows/d v. 8.1.1905, HHStA., AR., F. 37, Karton 47, Deutschland 10, Nr. 274. Nach Szögyenyfand der Standpunkt der Monarchie, die Auswanderungsfragegehöre nicht in einen Handelsvertrag, bei der deutschen Regierungkeinen Gefallen. Sie verlangte, dem Vertrag eine Erklärung beizufigen, daß nach Ablauf des auf drei Jahre geschlossenen Übereinkommens der interessierten Schiffahrtsgesellschaften die deutschen Schiffahrtsuntemehmun- gen von der Beförderung der Auswanderer aus Ungarn nicht ausgeschlossen werden. Die deutschen Delegierten verknüpften diese Frage mit der Viehseuchenkonvention. Szögyiny schlug vor, nach einem Kompromiß zu suchen. Zu Tiszas ablehnender Haltung Gotuchowski an Szögyeny v. 10.1.1905, ebd., Nr. 275. Letztlich kam eine Einigungzustande, derzufolge die beiden Staaten der Monarchie keine Maßregeln treffen werden, durch welche Personen, die aus ihrem Gebiet auswandem wollen, gehindert werden, den Weg durch das Gebiet des deutschen Reiches zu nehmen. Szögyiny an Goiuchowski v. 25.1.1905, ebd., Nr. 310. <pb/>442 Nr. 60a Feststellung zum Sitzungsprotokoll, o. O., o. D. Nr. 60a Feststellung zum Sitzungsprotokoll, o. O., o. D.a Beilage zum GMRProt. v. 21.1.1905, GMCZ. 449 I Verbote der Einfuhr von Rindern und Schafen, die zur alsbaldigen Abschlachtung in öffentlichen, veterinärpolizeilich überwachten und mit den gehörigen Einrichtungen versehenen Schlachthäusern bestimmt sind, werden nur dann stattfinden, wenn sie zur Sicherung der heimischen Viehzucht unabwendbar erscheinen..Abgesehen von den nach Artikel 4 und 5 des Viehseuchenübereinkommens wegen Rinderpest und Lungen¬ seuche zulässigen Verkehrsbeschränkungen werden für Schlachtrinder und Schlacht¬ schafe 1. bei den minder leicht übertragbaren oder minder häufig vorkommenden Krank¬ heiten, z. B. bei Milzbrand, Rauschbrand, Wüd- und Rinderseuche, Bläschenausschlag des Rindviehes, Sperren überhaupt nicht ausgesprochen werden. 2. Bei den leicht übertragbaren Krankheiten, z. B. bei Maul- und Klauenseuche, Pockenseuche der Schafe, werden Sperren gegenüber den im Viehseuchenüberein¬ kommen vereinbarten Sperrbezirken nur dann stattfinden, wenn mindestens 10 Prozent der Kommunalbezirke eines solchen Sperrbezirkes verseucht sind. Handelt es sich um Pockenseuche der Schafe, so wird selbstverständlich nur diese Tiergattung gesperrt werden. Liegt dieser Grad der Verseuchung für einen der vorbezeichneten Sperrbezir¬ ke nicht vor, besteht er aber für einen Verwaltungsbezirk erster Instanz (Kreis-, Bezirksamt, Bezirkshauptmannschaft, Stuhlrichterbezirk etc.), so kann gegen diesen und, wenn die Seuchenorte weniger als 10 Kilometer von der Grenze des verseuchten Bezirkes entfernt liegen, gegen die immittelbar angrenzenden Bezirke dieser Art oder Teüe derselben gesperrt werden; hiebei kann auch auf solche Bezirke in angrenzenden Sperrgebieten zurückgegriffen werden. Ist die Verseuchung des Verwaltungsbezirkes erster Instanz eine geringere, so kann die Sperre in dem bezeichneten Umfange gegen diesen Bezirk und beziehungsweise die angrenzenden Bezirke erfolgen, wenn entweder aus dem verseuchten Bezirke eine Ver¬ schleppung der Seuche in das Gebiet des anderen vertragschließenden Teiles stattgefun¬ den hat, oder wenn wegen besonderer Umstände aus der Verseuchung des fraglichen Bezirks eine ernstliche Gefahr für den Viehstand des anderen TeUes zu gewärtigen ist. In diesem letzteren Falle soU jedoch aufAntrag desjenigen vertragschließenden Teües, in dessen Gebiet der gesperrte Bezirk gelegen ist, ohne Verzug eine gemischte Kommission zusammentreten undnach Prüfung der Sachlage an Ort und Stelle ihr Gutachten mit aller Beschleunigungdarüber abgeben, ob eine derartige Gefahr wirklich vorliegt; dieses Gut¬ achten wird als Grundlage für die zu treffende Entscheidung dienen. Anmerkung am Deckblatt: Wir sind bereit, die in den Anlagen I und II enthaltenen Vorschläge - vorbehaltlich der Fassung und der Entschließung darüber, ob diese Bestimmungen in die Konvention, das Schlußprotokoll oder Sitzungsprotokoll aufzunehmen sind - anzunehmen. <pb/>Nr. 60b Durchfuhr von Munition und Sprengstoffen, o. O., o. D. 443 n 1. Daß, wenn der angrenzende Bezirk seuchenfrei ist, in der Regel nur die angren¬ zenden Gemeinden bis zu 10 km Entfernung vom Seuchenort gesperrt werden. Erfolgt ausnahmsweise eine Sperre des ganzen unverseuchten Nachbarbezirkes, so kann der Zusammentritt der Kommission und Einholung ihres Gutachtens verlangt werden. Z Daß an der bisherigen Praxis, nach welcher auch aus gesperrten Bezirken in einzelnen Fällen auf besonderes Ansuchen die Einfuhr von Schlachttieren nach Schlachthöfen gestattet worden ist, auch in Zukunft nichts geändert werden soll. Solche fallweise Bewilligungen werden insbesondere dann erteilt werden, wenn es sich um die Einfuhr von Schlachttieren aus gesperrten, aber seuchenfreien Bezirken handelt. 3. Daß das Vorkommen einer Seuche lediglich in einer Gemeinde eines Verwal¬ tungsbezirkes erster Instanz in der Regel nicht zum Anlasse von Sperren genommen werden wird. Vorbehalten, ob obige Bestimmungen in die Konvention oder das Schlußprotokoll dazu aufzunehmen seien. Nr. 60b Durchfuhr von Munition und Sprengstoffen, o. O., o. D. Beilage zum GMRProt. v. 21.1.1905. GMCZ. 449 I. Deutscher Vorschlag: Die Ziffer 3 der Bestimmung zu Artikel 1 des bestehenden Vertrages wird wie folgt ersetzt: 3. Die Durchfuhr von Waffen, Munition und Sprengstoffen sowie von Waren aller Art, für die im Durchfuhrland ein Staatsmonopol besteht, soll möglichst wenig behindert und abgesehen von dem Falle der Ziffer 1 des zweiten Absatzes von Artikel 1 sowie unbeschadet der für die Kontrolle der Durchfuhr bestehenden allgemeinen Vorschriften keinen weitergehenden Beschränkungen unterworfen werden, als diese Gegenstände bei der Versendung im inneren Verkehre oder bei der Ausfuhr unterliegen. Werden Munition, Sprengstoffe u. dgl. zur Durchfuhr angemeldet, so soll eine Untersuchung ihrer chemischen Zusammensetzung usw. nur in Fällen dringenden Zweifels vorgenommen werden; sie soll insbesondere dann unterbleiben, wenn der Sendung Bescheinigungen der Behörden des Ursprungslandes beigegeben sind, die über die Beschaffenheit der Ware Aufschluß geben. Sofern es für die Durchfuhr der in Absatz 1 genannten Gegenstände einer besonde¬ ren Bewilligung bedarf, soll über deren Erteüung oder Versagung von der zuständigen Behörde möglichst bald und zwar längstens binnen einer Woche entschieden werden, nachdem der Antrag ordnungsmäßig gestellt worden ist. Für Waffen soll die Entschei¬ dung über die Erteüung des etwa erforderlichen Waffenpasses durch die für das Eintrittszollamt zuständige politische Behörde erster Instanz mit Wirkung für das ganze Gebiet des betreffenden vertragschließenden Teües längstens binnen dreier Tage nach ordnungsmäßig gesteütem Anträge erfolgen: <pb/>444 Nr. 60b Durchfuhr von Munition und Sprengstoffen, o. O., o. D. II. Österreichisch-ungarischerseits bisher zugestanden: Vermerk: Österreichisch-ungarischerseits würde man bereit sein, von dem deut¬ schen Vorschläge folgende Sätze anzunehmen: Die Durchfuhr von Waffen, Munition und Sprengstoffen sowie von Waren aller Art, für die im Durchfuhrland ein Staatsmonopol besteht, soll möglichst v/enig behindert werden. Sofeme es für die Durchfuhr der im Absatz 1 genannten Gegenstände einer besonderen Bewilligung bedarf, soll über deren Erteüung oder Versagung von der zuständigen Behörde möglichst bald entschieden werden. in. Antrag der Zoll- und Handelskonferenz für die zweite Lesung, der jedoch von den Regierungen formell nicht genehmigt wurde und gegen dessen letzten Absatz seitens der ungarischen Delegierten nachträglich protestiert wird: Die Durchfuhr von Waffen, Munition und Sprengstoffen sowie von Waren aller Art, für die im Durchfuhrlande ein Staatsmonopol besteht, soll möglichst wenig behindert und abgesehen von dem Falle der Z. 4 des zweiten Absatzes des Artikels 1 sowie unbeschadet der für die Durchfuhr überhaupt und die Durchfuhr der genannten Gegenstände insbesondere gegenwärtig bestehenden Vorschriften keinen weiterge¬ henden Beschränkungen unterworfen werden. Inwieweit bei der Durchfuhr von einem Staatsmonopol nicht unterliegenden Sprengstoffen anstelle der fallweisen Untersu¬ chung ihrer chemischen Zusammensetzung usw. die generelle Zulassung aufgrund einer einmaligen Untersuchung gegen fallweise Bescheinigungen einer staatlichen Anstalt des Ursprungslandes zulässig ist, wird durch besondere Vereinbarungen gere¬ gelt werden. Sofern es für die Durchfuhr der im Absätze 1 genannten Gegenstände einer besonderen Bewilligung bedarf, soll über deren Erteüung oder Versagung möglichst bald entschieden werden. Von diesem Anträge wurde bisher nur der oben sub I zitierte Gebrauch gemacht, da deutscherseits erklärt wurde, daß die Hauptgravamina gegen die fallweise chemische Untersuchung gerichtet sind (vgl. Absatz 2 des deutschen Vorschlages sub I). IV. Deutscherseits dürfte man sich möglicherweise mit nachstehender Fassung begnügen: Die Durchfuhr von Waffen, Munition und Sprengstoffen sowie von Waren aller Art, für die im Durchfuhrland ein Staatsmonopol besteht, soü möglichst wenig behindert werden. Werden Munition und Sprengstoffe zur Durchfuhr angemeldet, so soll eine Untersuchung ihrer chemischen Zusammensetzung etc. nur in FäUen dringenden Zwei¬ fels vorgenommen werden; sie soll insbesondere dann unterbleiben, wenn den Sendun¬ gen Bescheinigungen der Behörden des Ursprungslandes beigegeben sind, die über die Beschaffenheit und chemische Zusammensetzung der Ware Aufschluß geben. Diese Bescheinigungen sind bereits dem Ansuchen um Erteüung der Durchfuhrbewilligung beizuschließen. Sofern es für die Durchfuhr der im Absätze 1 genannten Gegenstände einer besonderen Bewüligung bedarf, soU über deren Erteüung oder Versagung von den zuständigen Behörden möglichst bald entschieden werden. Die beiden Regierungen werden sich über die Behörden, die in Deutschland zur Aussteüung der im Absatz 2 erwähnten Bescheinigungen ermächtigt sein sollen, sowie <pb/>Nr. 61 Gemeinsamer Ministerrat, Ischl, 22. 8.1905 445 die bei Ausstellung derselben zu beobachtenden Vorschriften verständigen. Öster¬ reich-Ungarn bleibt es Vorbehalten, den von solchen Bescheinigungen begleiteten Sendungen von Zeit zu Zeit identifizierte Proben zu entnehmen, ohne die Sendungen selbst zurückzuhalten. Im Falle vorkommender Mißbräuche ist Österreich-Ungarn ermächtigt, von dieser Verständigung mit sechsmonatlicher Kündigung zurückzutreten. Nr. 61 Gemeinsamer Ministerrat, Ischl, 22. August 1905 RS. (und RK.) Gegenwärtige: der k. u. k. gemeinsame Minister des Äußern Graf Goluchowski, der k. k. Ministerprä¬ sident Freiherr v. Gautsch, der kgl. ung. Ministerpräsident Freiherr v. Fejdrväry, der k. u. k. gemeinsame Kriegsminister FZM. Ritter v. Pitreich, der k. u. k. gemeinsame Finanzminister Freiherr v. Buriän. Protokollführer: Legationsrat Freiherr v. Gagem. Gegenstand: Die ungarische Krise und ihre Rückwirkung auf die österreichische Reichshälfte; Vorschlä¬ ge der ungarischen Regierung zur Sanierung der Lage in Ungarn. Erwägung von Maßnahmen, welche in dem Falle zu treffen wären, daß die Sanierung der Lage nicht gelingen sollte. KZ. 38 - GMCZ. 450 Protokoll des zu Ischl am 22. August 1905 abgehaltenen Ministerrates für gemeinsa¬ me Angelegenheiten unter dem Ah. Vorsitze Sr. Majestät des Kaisers und Königs. Se. k. u. k. aposL Majestät geruhen die Sitzung mit der Bemerkung zu eröffnen, Allerhöchstdieselben hätten die gemeinsamen Minister sowie die beiden Ministerpräsidenten zu einer Konferenz zusammenberufen, um die Situation in Ungarn zu besprechen, zumal dieselbe auf die diesseitige Reichshälfte sowie auf die Monarchie in ihrer Gesamtheit eine unleugbare Rückwirkung ausübe und mit Rücksicht auf den am 15. September erfolgenden Zusammentritt des ungarischen Reichstages einen besonders akuten Charakter annehme.1 Se. Majestät geruhen ferner die Notwendigkeit zu betonen, auch die im Hinblicke auf die weitere Gestaltung der ungarischen Krise zu ergreifenden Maßnahmen in den Kreis der Erörterungen zu ziehen, um gegebenenfalls allen Eventualitäten gegenüber vorbereitet dazustehen. Se. Majestät geruhen schlie߬ lich an den kgl. ung. Ministerpräsidenten die Aufforderung zu richten, jenen Teü eines Allerhöchstdenselben vor Beginn der Konferenz unterbreiteten Promemorias vorzu¬ tragen, welcher sich auf die Vorschläge der kgl. ung. Regierung zur Sanierung der gegenwärtig so verworrenen Lage in Ungarn beziehen.2 Dieser Ah. Aufforderung au. Folge leistend gestattet sich der kgl. ung. Mini¬ sterpräsident FZM. Baron Fejerväry an der Hand des erwähnten Promemorias die verschiedenen Wege zu erörtern, welche eingeschlagen werden könnten, um zu einer Entwürung zu gelangen, und bezeichnet, nachdem auf einen von 1 Der Monarch beauftragte am 18.6.1905Fejerväry, eine Regierungzu bilden, die dem Parlament am 21. Juni vorgestellt wurde. Das Hohe Haus hat der als verfassungswidrig beurteilten (weil nicht aus derparlamenta¬ rischen Mehrheitgebildeten) Reperung das Vertrauen nicht ausgesprochen, daraufvertagte derMonarch das Parlament aufden 15. September. Länyi, A Fej£rväry-kormdny 16. 2 Fejervärys Denkschrift an den Herrscher: Memorandum über die Situation, Mitte August 1905, OL., Sektion 1-35, Nachlaß Daruvary, Karton 1. <pb/>