Gemeinsamer Ministerrat, 15. 4. 1904
I. Der Voranschlag über die gemeinsamen Ausgaben und Einnahmen der österreichisch-ungarischen Monarchie pro 1905; außerordentlicher Rüstungskredit für das Heer und die Marine
Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_V/pdf/oe_hu_mrp_V_z52.pdf.
Nr. 52 Gemeinsamer Ministerrat, Budapest, 15.4.1904 333 1. J. um 3 Uhr nachmittags, zusammenzutreten habe, erklärt er die Beratungen für geschlossen.9 Goiüchowski Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Kenntnis genommen. Wien, 11. April 1904. Franz Joseph. Nr. 52 Gemeinsamer Ministerrat, Budapest, 15. April 1904 RS. (undRK.) Gegenwärtige: derk. k. Ministerpräsident v. Koert>er(21.4.), derkgl. ung. Ministerpräsident Graf Tisza, der k. u. k. gemeinsame Kriegsminister FML. Ritter v. Pitreich (22.4.), der k. u. k. gemeinsame Finanzmini¬ ster Freiherr v. Buriän, der kgl. ung. Finanzminister v. Lukäcs, der k. k. Finanzminister Ritter Böhm [v. Bawerk], der k. u. k. Chef der Marinesektion Admiral Freiherr v. Spaun (23.4.). Protokollführer Legationsrat Freiherr v. Gagem. Gegenstand: Der Voranschlag über die gemeinsamen Ausgaben und Einnahmen der österreichisch-un¬ garischen Monarchie für das Jahr 1905; außerordentlicher Rüstungskredit für das Heer und die Marine. KZ. 16-GMCZ. 441 Protokoll des zu Budapest am 15. April 1904 abgehaltenen Ministerrates für gemein¬ same Angelegenheiten unter dem Vorsitze des k. u. k. gemeinsamen Ministers des Äußern Grafen Gohichowski. Der Vorsitzende eröffnet die Sitzung mit der Bemerkung, daß er vor dem Eingehen in die Beratung der verschiedenen Voranschläge der Konferenz Mitteilungen über zwei Punkte zu machen wünsche, nämlich über die Entwicklung der politischen Lage im nächsten Oriente seit der letzten Delegationssession und über seine kürzlich in Abbazia stattgehabte Zusammenkunft mit dem italienischen Minister des Äußern. Was den ersteren Punkt betrifft, so sei Redner in der angenehmen Lage, konstatieren zu können, daß diesfalls eine nicht unwesentliche Besserung eingetreten und die Befürchtungen, daß ein Aufstand ausbrechen könnte, nicht eingetroffen seien. Diese verhältnismäßige Beruhigung sei zum Teüe den zwischen der Türkei und Bulgarien direkt geführten und erst vor wenigen Tagen zum Abschlüsse gelangten Verhandlungen zuzuschreiben,1 zum Teüe aber auch der nach und nach zum Durch- 9 Zoll- und Handelskonferenzen betreffend den Handelsvertrag mit Deutschland v. 2. 3.1904 -28. 3.1904, HHSrA, AR., F. 37, Karton 45, Deutschland 10, Nr. 74-76. Über die weitere Vorbereitung der Verhand¬ lungen mit Deutschland siehe Szögyiny an Gotuchowski v. 31. 3. 1904, HHStA., PA. I, Karton 661, 155/CdM.; Gotuchowski an Szögyiny v. 4.4.1904, ebd. 1 Am 26. 3. 1904 (nach dem Gregorianischen Kalender am 8. 4. 1904) unterschrieb Gregor Dimitrow Natschewitsch (geb. 1840) als yertreter Bulgariens einen Vertrag mit der Türkei, nach dem 4000 der am Ilinden-(Eliastag-)Aufstand und an den daran anknüpfenden Bewegungen Beteiligten amnestiert werden und mehrere Tausend in ihre Heimat, nach Mazedonien, zurückkehren können. Wlachow, Kpiisa b 6i»yirapo-TypcKMTe OTHOUieHxa 1895-1908 90-93; Adanir, Die makedonische Frage 179-198. <pb/>334 Nr. 52 Gemeinsamer Ministerrat, Budapest, 15. 4.1904 brache gelangten besseren Einsicht der kleineren Balkanstaaten, daß sie durch die von ihnen früher befolgte, auf die Uneinigkeit der Mächte im allgemeinen sowie auf die Rivalität zwischen Österreich-Ungarn und Rußland im besonderen basierte Politik nichts zu erreichen vermögen. Eine ausgezeichnete Wirkung habe auch die Entsendung der Zivüagenten der beiden Ententemächte nach Saloniki gehabt,2 welche dort in stetem Einvernehmen miteinander im Sinne der Herbeiführung geordneter Verwal¬ tungszustände sowie zugunsten der Besserung des Loses der christlichen Bevölkerung erfolgreich auf die türkischen Behörden beziehungsweise auf den Oberkommissär Hilmi Pascha3 einwirken, wodurch es ihnen gelungen sei, bereits in ziemlich hohem Maße das Vertrauen der christlichen Bevölkerung zu erwerben und einen beruhigen¬ den Einfluß auf dieselbe auszuüben. Überdies sei aber auch noch jener Teil des Reformprogrammes, von welchem man sich mit Recht den größten Erfolg verspricht, nämlich die Gendarmeriereform, bereits in Ausführang begriffen, indem der mit der Durchführung dieser Reform betreute General Degiorgis4 sich nach Saloniki zu begeben im Begriffe stehe, wohin ihm die von den verschiedenen Mächten zu entsen¬ denden Offiziere unmittelbar nachfolgen sollen. Es sollen im ganzen 12 Gendarmerie¬ bataillone zur Aufstellung gelangen, und zwar zunächst fünf, während die Errichtung der übrigen einem späteren Zeitpunkte Vorbehalten bleibe. Redner verweist hier auf die großen Schwierigkeiten^ welche bei der Durchführung des Reformwerkes zu über¬ winden waren, und welche ihre Ursache in dem Umstande hatten, daß der Sultan in der ganzen Reformaktion einen Eingriff in seine Souveränitätsrechte erblickte und daher dem Fortschreiten derselben auf Schritt und Tritt die größten Hindernisse in den Weg legte. Diese Hindernisse konnten nur mit großer Mühe beseitigt werden und erklären zur Genüge den bisherigen schleppenden Gang der Reformaktion. Anfänglich sei die Entsendung von 60 Offizieren zur Reorganisation der Gendarmerie in Aussicht genom¬ men gewesen, doch habe der Sultan gegen eine so große Anzahl Einspruch erhoben, worauf die Mächte, um diesen wichtigen Zweig der Reformaktion endlich in Angriff nehmen zu können, dem Sultan in diesem Punkte vorläufig nachgegeben und sich mit 25 Offizieren begnügt hätten, sich dabei jedoch ausdrücklich vorbehaltend, im Falle des Bedarfes noch eine größere Anzahl von Offizieren nach den sogenannten Reformvila- jeten5 zu senden. Indem Redner darauf hinweist, daß jede der am Reformwerke 2 Im Sinne derMürzstegerPunktation vom 2.10.1903 wurde dem türkischen OberkommissärMazedoniensje ein österreichischer und ein russischer Zivilagent zur Seite gestellt, die gemeinsam die Aufgabe hatten, in Mazedonien die Ordnung wiederherzustellen. Zur Mürzsteger Punktation siehe GMRProt. v. 19. 11. 1903, GMCZ. 439, Anm. 1. 3 Ebd., Anm. 3. 4 Nachgewissem Zögern akzeptierte die türkischeRegierungdieErnennung des italienischen Divisionsgenerals Degiorgis (auch di Giorgis) für die zu organisierende Gendarmerie in den drei Vilajits. Österreich hat angeregt, mit dieserAufgabe einen italienischen General zu betrauen, da die italienischen Offiziere sich zur Zeit des Aufstandes aufKreta (1897) vorzüglich bewährt hatten. Hubka, Die österreichisch-ungarische Offiziersmission in Mazedonien 1903-190919. 5 Nach dem Mürzsteger Abkommen wurde Mazedonien in Zonen (Reformvilajits) aufgeteilt, und in jeder Zone sollte es die Aufgabe einer Großmacht sein, die Durchführung der Reformen zu überwachen. Nach Artikel 3 des Mürzsteger Abkommens wurden die ethnischen Grenzen bei der Einteilung der Zonen nach Möglichkeit beachtet <pb/>Nr. 52 Gemeinsamer Ministerrat, Budapest, 15.4.1904 335 beteiligten Mächte die Reorganisation der Gendarmerie in einer bestimmten Zone der drei Vilajets vornehmen sollte, bemerkt er, daß die Verteilung dieser Zonen oder Sektoren unter die einzelnen Mächte durch längere Zeit eine gewisse Schwierigkeit geboten habe, da die italienische Regierung für ihre Offiziere den Sektor Monastir begehrte, was Redner aus naheliegenden Gründen womöglich vermieden zu sehen wünschte. Da die Italiener jedoch auf der Zuteüung des genannten Sektors bestanden und eine sie von dort ausschließende Kombination nicht auf die einstimmige Billigung aller Mächte hätte rechnen können, so wurde schließlich der Ausweg gewählt, daß den italienischen Offizieren zwar der Sektor Monastir zugewiesen wurde, jedoch mit der Beschränkung, daß, falls General Degiorgis im Interesse einer wirksameren Durchfüh¬ rung der Gendarmeriereform sich veranlaßt sehen sollte, sein Hauptquartier von Saloniki nach Monastir zu verlegen, die italienischen Offiziere letzteren Sektor den Offizieren einer anderen Macht überlassen und einen anderen Rayon übernehmen müßten, da im entgegengesetzten Falle Italien infolge der gleichzeitigen Anwesenheit des Generals Degiorgis und der italienischen Offiziere im Sektor Monastir dort ein zu großes politisches Übergewicht erlangen würde, was dem Geiste der Mürzsteger Beschlüsse widersprechen würde.6 Dieses Arrangement sei seitens der Vertreter Ita¬ liens namens ihrer Regierung in einer Sitzung der Gendarmeriekommisson in Konstan- tipopel angenommen worden. Mit der Entsendung der Zivilagenten und der Gendarmeriereform sei übrigens das Reformprogramm der beiden Ententemächte noch nicht abgeschlossen, und behalten sich dieselben vielmehr vor, auch die übrigen Punkte des Mürzsteger Programmes mit derselben Energie durchzuführen. Auf den ihm in Abbazia von dem italienischen Minister des Äußern abgestatteten und auf einen von letzterem wiederholt geäußerten Wunsch zurückzuführendeö Besuch übergehend, führt Redner aus, daß er aus dem Munde Herrn Tittonis die bündigsten Versicherungen über die Verläßlichkeit der Bundestreue Italiens sowie das Verspre¬ chen erhalten habe, die italienische Regierung werde mit aller Energie etwaige neue Ausbrüche des irredentistischen Fanatismus bekämpfen und in jeder Weise trachten, der Monarchie gegenüber eine loyale und korrekte Haltung an den Tag zu legen. Herr Tittoni habe hierauf der Hoffnung Ausdruck gegeben, daß die Monarchie Italien gegenüber eine gleiche Haltung beobachten und namentlich bei gewissen über Balkan¬ fragen zu fassenden Beschlüssen im Einvernehmen mit Italien vergehen würde, wobei der italienische Minister des Äußern darauf hinwies, daß über Aspirationen Österreich- Ungams auf der Balkanhalbinsel allerlei Gerüchte ausgestreut worden seien, an deren Stichhältigkeit er selbst allerdings nie geglaubt habe, denen im Parlamente öffentlich entgegentreten zu können er jedoch den größten Wert lege.7 Redner habe diesen i 6 DieMonarchie war entschieden dagegen, daß Degiorgis sein Hauptquartier in Monastir, in der italienischen Zone, einrichtete, zumal dadurch Italiens Einfluß übermäßig stärk geworden wäre. Deswegen schlug Degiorgis sein Hauptquartierschließlich in Saloniki auf. Bridge, From Sadowa to Sarajevo 265-266. 7 Tommaso Tittoni (1855-1931) war 1903-1905 italienischer Außenminister. Zur Begegnung siehe die Aufzeichnung über eine Unterredung Goluchowskis mit dem italienischen Außenminister Tittoni in Abbazia April 1904, HHSrA., PA. I, Karton 478, Liasse XXXIII/39; weitere einschlägige Schriften: ebd., Karton 481, Liasse XXXV. ZurEinschätzung derBegegnung aus italienischer Sichtsiehe Ttttoni, Italien, der Dreibund und die Balkanfrage 27-40. Zu dem 1903 -1904 besonders erstarkenden Irredentismus in <pb/>336 Nr. 52 Gemeinsamer Ministerrat, Budapest, 15. 4.1904 Äußerungen Herrn Tittonis gegenüber auf die von ihm in den Delegationen wiederholt dargelegte, durchaus konservative Balkanpolitik der Monarchie verwiesen, von welcher abzuweichen gerade jetzt, wo eine Besserung der Lage im nächsten Oriente zu konsta¬ tieren sei, weniger Anlaß vorhanden sei denn je.8 Im Falle, als sich gegen alles Erwarten die Lage kritisch gestalten sollte, könnte für die Monarchie allerdings die Notwendig¬ keit eintreten, zum Schutze ihrer Grenzen eine Verstärkung der Garnisonen im Okku¬ pationsgebiete vorzunehmen, was jedoch lediglich eine innere, nach der eigenen Konvenienz zu beurteüende Frage sei, über welche gegebenenfalls nur mit der Türkei und mit niemand anderem zu verhandeln sein würde.9 Anknüpfend hieran habe Redner es angezeigt gefunden, dem italienischen Minister des Äußern gegenüber Bosnien und die Hercegovina als Gebiete zu bezeichnen, welche der Monarchie vom Berliner Kongresse bedingungslos anvertraut worden seien, und welche daher von keiner Seite als ein zu Kompensationsforderungen berechtigender Gegenstand mehr angesehen werden könnten. Bezüglich Albaniens habe Redner dem königlich italienischen Mini¬ ster des Äußern unter Hinweis auf die seinerzeit mit dem Marquis Visconti-Venosta in Monza gepflogenen Besprechungen erklärt,10 daß der Monarchie in Albanien wie überhaupt in der Türkei jegliche Annexionspolitik femliege, sie eine solche aber auch Italien siehe HHSxA., PA. XI, Karton 162, Liasse VII/1. Die italienischen Irredentisten forderten aufdem Balkan Entschädigung dafür, daß die Monarchie Bosnien und die Herzegowina okkupiert hatte; darüber hinaus erhoben sie Anspruch auch auf Territorien der Monarchie (Trentino, Triest, Küstenland). Vgl. Sandona, L'irredentismo nelle lotte politiche e nelle contese diplomatiche Italo-Austriache; Kramer, Die Italiener unter der österreichisch-ungarischen Monarchie 21 ff. 8 Gotuchowskis Exposi in der Sitzung der österreichischen Delegation v. 16. 12. 1903: Grundlage unserer freundschaftlichen Beziehungen zu Rußland ist es, daß sich beide Seiten an den Grundsatz halten, den territorialen Status quo nach den vom Berliner Kongreß gefaßten Beschlüssen möglichst intakt aufrecht zu erhalten, die Selbständigkeit und Integrität der einzelnen Balkanstaaten zu beschützen, den Besitz¬ stand der Türkei zu respektieren, alle dem zuwiderlaufenden Anschläge hintanzuhalten, für uns selbst keine Sondervorteile anzustreben und als die in den dortigen Vorkommnissen zunächst Interessierten mit den Mächten in steter Fühlung zu verbleiben, um in der Lage zu sein, unsere Haltung gegenüber den zum Vorschein kommenden Komplikationen tunlichst rasch und einverständlich zu regeln, Neue Freie Presse v. 17.12.1903. (M.) 9 Artikel 25 des Berliner Vertrages besagt: Die Provinzen Bosnien und Hercegovina werden von Österreich- Ungarn besetzt und verwaltet werden... Umjedoch sowohl den Bestand der neuen politischen Ordnung als auch die Freiheit und die politische Sicherheit zu wahren, behält sich Österreich-Ungarn das Recht vor, im ganzen Umfange dieses Teiles des alten Vilajdts von Bosnien Garnisonen zu halten und Militär- und Handelsstraßen zu besitzen. In dieser Beziehung behalten sich die österreichisch-ungarische und die türkische Regierung die Verständigung im einzelnen vor. Der Berliner Kongress 1878 388. 10 Emilio Visconti-Venosta (1829-1914), italienischer Außenminister 1896-1898 und 1899-1900. Im No¬ vember 1897einigten sich Gotuchowski und Visconti-Venosta in Monza darauf, die Aufrechterhaltung des Status quo auf dem Balkan anzustreben, sollte dies aber nicht möglich sein, so würde man sich um die autonome Entwicklung der Balkanstaaten bemühen. Zwischen den beiden Außenministern kam lediglich eine verbale Vereinbarung zustande. Da dieAlbanienfrage die italienische Öffentlichkeit stark beschäftigte, kam es 1900 und 1901 zu mehreren Notenwechseln zwischen den beiden Außenministern über diese Frage im obigen Sinne. Siehe Aufzeichnung über die Unterredungen des Grafen Gotuchowski mit dem italienischen Ministerpräsidenten Marchese Rudini und dem italienischen Minister des Äußern Marche¬ se Visconti-Venosta in Mailand und Monza November 1897, HHStA., PA. I, Karton 481, Liasse XXXV. Gedruckt in Walters, Austro-Russian Relations under Gotuchowski 1895-1906, Bd. 32 190-193. Vgl. Pribram, Die politischen Geheimvertiäge Österreich-Ungams 1879-1914, Bd. 1240-241. <pb/>Nr. 52 Gemeinsamer Ministenat, Budapest, 15. 4.1904 337 von keiner anderen Seite dulden könne, und zwar am allerwenigsten von Italien, da eine Festsetzung dieser Macht an der albanischen Küste einer Sperrung des Adriatischen Meeres gleichkäme, dessen Offenhaltung für Österreich-Ungarn eine Frage des vital¬ sten Interesses sei. Die Protektoratsstellung der Monarchie bringe es mit sich, daß dieselbe dort für Erziehungszwecke und Bildungsstätten gewisse Vorsorgen zu treffen hätte, welche jedoch lediglich dem albanischen Interesse zu dienen bestimmt seien, um im Hinblicke auf eine künftige mögliche Autonomie des Landes das Nationalgefühl zu erwecken. Leider scheine, wie Redner Herrn Tittoni vorzuhalten bemüßigt gewesen sei, die Tätigkeit Italiens in Albanien nicht von den gleichen uneigennützigen Gesichts¬ punkten auszugehen, da nicht in Abrede gestellt werden könne, daß die in jenen Gegenden des türkischen Reiches italienischerseits entfaltete Aktion einen spezifisch italienischen Charakter trage. Redner habe daher seinen italienischen Kollegen ersucht, auf alle nicht im albanischen Interesse gelegenen Bestrebungen zu verzichten. Herr Tittoni habe auf dieseAusführungen erwidert, daß auch die italienische Regierung keine andere als die vom Redner skizzierte Politik zu befolgen gedenke, und anschlie¬ ßend hieran die Hoffnung zum Ausdrucke gebracht, daß es dem zwischen Rom Und Wien herzustellenden intimeren Verhältnisse gelingen werde, alle etwa auftauchenden Mißverständnisse rasch zu beseitigen. Außer diesen politischen Fragen sei zwischen Redner und dem italienischen Mini¬ ster des Äußern natürlich auch die Handelsvertragsfrage zur Sprache gekommen. Herr Tittoni habe bei dieser Gelegenheit durchaus vernünftige Ansichten geäußert, wenn er auch nicht umhingekonnt habe, auf die großen Schwierigkeiten hinzuweisen, welche in Italien speziell die Frage des Weinzolles hervorrufe.11 Nach Ansicht Herrn Tittonis werde es sich gar nicht um die Einfuhr eines großen Quantums italienischen Weines nach der Monarchie handeln, sondern lediglich darum, der öffentlichen Meinung in Italien gegenüber, welche durch die lange und bisweüen erbitterte Erörterung dieser Frage irritiert sei, auf irgendeine Errungenschaft hinweisen zu können. Es schwebe dem italienischen Minister des Äußern die begünstigte Einfuhr eines Quantums von 200 000 Meter Zentnern eines Weines von ganz bestimmtem Typus zu Verschnittzwecken vor, welche Begünstigung nominell für Weine aller Länder zu gelten hätte, in Wirklichkeit jedoch nur dem Weine von San Severo zustatten käme, welcher allein dem aufgestellten Typus entspreche. Eine ähnliche Bestimmung finde sich im französisch-schweizeri¬ schen Handelsverträge, in welchem [sie] zugunsten der Schweiz für Käse der Type Gruyere aufgestellt worden sei. Schließlich habe Herr Tittoni Redner gebeten, alles in seiner Macht Gelegene zu tun, damit der Eintritt eines vertragslosen Zustandes vermie¬ den werde, welcher für beide Teüe im höchsten Grade nachteüig sein müßte. Redner habe hierauf erwidert, daß er bezüglich der Handelsvertragsverhandlungen lediglich ein ausführendes Organ sei, daß er jedoch sein möglichstes tun werde, um den Eintritt eines vertragslosen Zustandes zu verhindern. ' Der. k.k. Ministerpräsident v. Koerber ergreifthieraufdasWortund bezeichnet die soeben gehörten MitteUungen des Vorsitzenden als sehr erfreuliche und 11 Siehe dam GMRProt v. 19.11.1903, GMCZ. 439. <pb/>338 Nr. 52 Gemeinsamer Ministerrat, Budapest, 15. 4.1904 konstatiert mit Befriedigung, daß, nach denselben zu schließen, tatsächlich eine gewisse Beruhigung im nächsten Oriente eingetreten ist. Redner kann daher nur seine wärmste Anerkennung für das Vorgehen des Auswärtigen Amtes in den Balkanfragen sowie nicht minder in bezug auf die Italien gegenüber befolgte Politik aussprechen und sich mit derselben vollkommen einverstanden erklären, zumal die Monarchie seiner Ansicht nach darauf angewiesen sei, gute Beziehungen mit Italien zu pflegen, und zwar nicht nur in politischer, sondern auch in wirtschaftlicher Beziehung. In letzterer Hinsicht dürfe nicht übersehen werden, daß die Weinzollfrage nicht nur in Österreich und Ungarn, sondern auch in Italien eine politische geworden und es infolgedessen in hohem Maße wünschenswert sei, diesfalls mit Italien zu einer für beide Teüe annehm¬ baren Verständigung zu gelangen. Redner erklärt daher im Namen der österreichischen Regierung, daß er sich nach besten Kräften bemühen wolle, letzteres Ziel zu erreichen, und erinnert daran, daß die österreichische Regierung bezüglich des Weinzolles eine Formel aufgestellt habe, welche nicht mit der Meistbegünstigung in Widerspruch stehe und auch von der kgl. ung. Regierung in Erwägung gezogen werden könnte. Der kgl. ung. Ministerpräsident Graf Tisza schließt sich den anerkennenden Worten des Vorredners betreffend die vom Auswärtigen Amte befolgte Politik namens der ungarischen Regierung an und möchte nur bezüglich der Weinzoll¬ klausel bemerken, daß deren Lösung wohl einer späteren Beratung Vorbehalten werden müsse.12 Es wird hierauf zur Beratung des Voranschlages des Ministeriums des Äußern übergegangen und erörtert der Vorsitzende an der Hand der einschlägigen Vorlage die einzelnen Posten desselben, wobei er bemerkt, daß die meisten Mehran¬ forderungen seines Voranschlages nur Sanierungsposten seien, mit Ausnahme der auf die Umwandlung der Ministerresidentschaft in Buenos Aires in eine Gesandtschaft bezüglichen Post. Für die Einstellung dieser Post sei der Umstand maßgebend gewesen, daß die Agenden jenes Amtes infolge der zunehmenden Auswanderung nach Argenti¬ nien stets im Wachsen begriffen seien und damit auch die Bedeutung des Amtes ebenfalls zugenommen habe. Hiezu komme noch der Umstand, daß alle bei der argentinischen Republik vertretenen Staaten Gesandtschaften in Buenos Aires unter¬ halten und die Monarchie selbst andererseits in Chüe, Peru und Bolivien durch eine Gesandtschaft vertreten sei, wodurch zuungunsten der Republik von Argentinien eine Disparität bestehe.13 ' Was die von ihm früher erwähnte Einstellung von Sanierungsposten betrifft, so bemerkt Redner, daß damit einem von den Delegationen wiederholt geäußerten Wunsche Rechnung getragen worden sei, welche Überschreitungen bei seinem Budget beanständet hätten. Redner hofft auf diese Weise nach und nach zu einer vollständigen Sanierung seines Budgets zu gelangen. Es ergreift hieraufder k.k. FinanzministerRitterv. Böhm das Wort, indem er ausführt, daß er im allgemeinen gegen die verschiedenen Posten des Voran¬ schlages des Ministeriums des Äußern keine Einwendungen erheben wolle. Redner " GMR. v. 16. & 1904, GMCZ. 446. 13 Siehe GMRProt. v. 14.3.1902, GMZC. 435, Anm. 1. <pb/>Nr. 52 Gemeinsamer Ministerrat, Budapest, 15. 4.1904 339 weist jedoch auf die budgetären Schwierigkeiten hin, mit welchen die österreichische Finanzverwaltung gerade jetzt zu kämpfen habe, und fragt, ob es nicht möglich wäre, bei den Posten b, c, d und e des Titels 3 (Konsulatsauslagen) vorerst nur eine halbjährige Tangente einzustellen, wodurch eine Ersparnis von rund 35 000 Kr. erzielt werden würde. Nachdem der Vorsitzende sich hiemit einverstanden erklärt hat, wird von der Konferenz der ursprünglich im Ordinarium mit 11 387201 Kr., im Extraordinarium [mit] 299 295 Kr., zusammen [mit] 11686 496 Kr., präliminierte Voranschlag des Mini¬ steriums des Äußern mit obigen Abstrichen angenommen. Es werden hierauf zwei Nachtragskredite des Ministeriums des Äußern für das Jahr 1904 zur Beratung gestellt, und zwar zu Titel 2 (diplomatische Auslagen) für die Adaptierungen der Palais der k. u. k. Botschaften in Paris, London und Rom im Betrage von 116 000 Kr., und zu Titel 3 (Konsularauslagen) für den Zivüagenten in Mazedonien und dessen Personale mit 112 000 Kr. Der k.k. Finanzminister Ritter v. Böhm wül gegen diese Nachtrags¬ kredite ebenfalls keine meritorischen Einwendungen erheben und sich lediglich auf die Frage beschränken, ob es denn unbedingt notwendig sei, daß die bei Titel 2 erwähnten ziemlich bedeutenden Adaptierungen noch in diesem Jahre vorgenommen werden müssen, und ob dieselben nicht vielleicht auf ein Jahr hinausgeschoben werden könnten. Der Vorsitzende erklärt, hierauf zu seinem Bedauern nicht eingehen zu können, da diese Adaptierungen im Interesse der Schonung der Staatsfinanzen bereits länger, als eigentlich zulässig gewesen wäre, hinausgeschoben worden seien und nunmehr endlich vorgenommen werden müßten, wenn man die betreffenden Objekte nicht einer ernstlichen Deteriorierung aussetzen wollte. Nach diesen Ausführungen des Vorsitzenden nimmt die Konferenz die vorerwähn¬ ten beiden Nachtragskredite an, und stimmt auch der vom Vorsitzenden angesuchten Erstreckung der Verwendungs- und Verrechnungsdauer rücksichtlich des außeror¬ dentlichen Erfordernisses der Titel 1,2 und 3 der pro 1903 bewüligten Nachtragskredite zu. Desgleichen wird nach den einschlägigen Bemerkungen des k. u. k. gemein¬ samen Finanzministers Freiherrn v. Buriän der gegen das Vorjahr ein Mindererfordemis von 21 860 Kr. aufweisende Voranschlag des gemeinsa¬ men Finanzministeriums mit 4 252 562 Kr. im Ordinarium, - Kr. im Extraordinarium, zusammen 4 252 562 Kr., weiters das gegen das Jahr 1904 ein Mindererfordemis von 5 870 Kr. involvierende Präliminare des gemeinsamen Obersten Rechnungshofes ange¬ nommen. Anschließend hieran beantragt der k.u.k. gemeinsame Finanzminister Frei¬ herr v. Buriän den Voranschlag für das gemeinsame Zollgefälle aufgrund der von den beiderseitigen Regierungen präliminierten Beträge für die im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder mit 106 143 000 Kr., für die Länder der ungarischen Krone mit 15 731 050 Kr., für Bosnien und die Hercegovina mit 871 250 Kr., zusammen mit 122 745 300 Kr., somit nach Abzug des Regiekostenpauschales in beiden Staaten der Monarchie per 6 600 000 Kr. mit 116 145 300 Kr. einzustellen. Der k.k. Ministerpräsident v. Koerber glaubt darauf aufmerksam machen zu sollen, daß es vielleicht bei der parlamentarischen Beratung des gemeinsa- <pb/>340 Nr. 52 Gemeinsamer Ministerrat, Budapest, 15. 4.1904 men Voranschlages in unliebsamer und für Ungarn unfreundlicher Weise kommentiert werden könnte, daß das Zollgefälle für Ungarn für das Jahr 1905 in derselben Höhe präliminiert worden sei wie für das Jahr 1904. Redner fügt übrigens bei, daß ihm der Grund, weshalb in dieser Weise präliminiert worden sei, nämlich der zu gewärtigende Ausfall der Eingänge beim Weinzoll, wohl bekannt sei. Der Ick. Finanzminister Ritter v. Böhm glaubt, im Hinblick auf das von dem Vorredner Gesagte und mit Rücksicht darauf, daß die Verteüung der Zollein- nahmen auf die von den beiden Staaten der Monarchie zu den gemeinsamen Ausgaben zu leistenden quotemnäßigen Beiträge keinen Einfluß hat, die Frage anregen zu sollen, ob die Eingänge beim Zollgefälle bei den Ländern der ungarischen Krone nicht wenigstens um 200 000 Kr. höher präliminiert werden könnten, wodurch jene der im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder sich tun denselben Betrag vermindern würden. Der kgl. ung. Finanzminister v. Lukäcs erklärt sich bereit, eine korrelative Änderung in der Präliminierung der Zollgefälle vorzunehmen, wodurch natürlich die Gesamtsumme dieser letzteren nicht geändert werden würde. Redner behält sich vor, hierüber mit seinem österreichischen Kollegen noch das Einvernehmen zu pflegen. Es wird hierauf der Voranschlag des gemeinsamen Kriegsministeriums zur Diskus¬ sion gestellt, welche von dem gemeinsamen Kriegsminister FML. Ritter v. Pitreich mit der Bemerkung eingeleitet wird, daß auch er die Darle¬ gungen des Vorsitzenden über die von der Monarchie auf dem Balkan im Einverneh¬ men mit Rußland befolgte Politik mit Befriedigung begrüße, ebenso wie die sehr bestimmten Erklärungen, welche der Vorsitzende in betreff der Rechte Österreich- Ungams auf die Okkupationsländer "und betreffs der Verhältnisse in der Adria" dem italienischen Minister des Äußern gegenüber abgegeben habe. Solche Erklärungen erhielten erst dann ihren wahren Wert, wenn der Staat, in dessen Namen sie abgegeben werden, auch in der Lage sei, denselben nötigenfalls mit Waffengewalt Geltung zu verschaffen und seine Rechte gegen jeden, der sich darüber hinwegzusetzen versucht, zu behaupten. Redner wolle keineswegs die korrekte Gesinnung der gegenwärtigen italienischen Regierung in Zweifel ziehen, man dürfe sich aber darüber keiner Täu¬ schung hingeben, daß Regierungen vergänglich sind, und daß die jetzige italienische Regierung leicht einer anderen Platz machen könnte, welche den irredentistischen Elementen nicht nur nicht entgegentritt, sondern sich von denselben möglicherweise zu einem feindseligen Vorgehen gegen die Monarchie bestimmen läßt. Die Stellung der Monarchie sei, da seit einer langen Reihe von Jahren alle Verteidigungsmaßnahmen ausschließlich gegen Norden gerichtet waren, Italien gegenüber eine entschieden infe¬ riore, und die Vorbereitungen für die halbwegs erfolgreiche Führung eines Krieges mit Italien, welchen man trotz des Bundesverhältnisses als im Bereiche der Möglichkeit gelegen ansehen müsse, nicht vorhanden. Denn abgesehen davon, daß es mit Rücksicht auf die bisher nicht zu erreichen gewesene Erhöhung des Rekratenkontingentes und des dadurch verursachten kolossalen Anwachsens der für den Kriegsfall minderwerti- a-a Einßgung Pitreichs. <pb/>/ Nr. 52 Gemeinsamer Ministerrat, Budapest, 15. 4.1904 341 gen Ersatzreserve sehr schlecht mit dem lebenden Elemente der Armee bestellt sei, fehle es derselben gegenwärtig auch an Material, besonders an Munition zu einem erfolgreichen Vorgehen an der Südfront, und müsse die Monarchie nach dieser Rich¬ tung hin als nahezu wehrlos bezeichnet werden. Von diesen Erwägungen ausgehend, welche Redner in einer am 28. März 1. J. unter Zahl 2285 an die beiden Ministerpräsi¬ denten gerichteten Note des ausführlicheren dargelegt habe, habe er sich veranlaßt gesehen, für die Zwecke einer entsprechenden Küsten- und Grenzverteidigung sowie für dringende Marinezwecke noch über jene 220 Millionen Kronen, welche für die Beschaffung eines neuen Artilleriematerials sowie für die Durchführung der zweijäh¬ rigen Dienstzeit erforderlich sein werden, einen weiteren Kredit von je 60 Millionen für das Heer und die Marine in Anspruch zu nehmen, welcher im Wege einer Kreditope¬ ration aufzubringen wäre.14 Die von der Kriegsverwaltung für Rüstungs- und Reorga¬ nisationszwecke benötigten Summen würden somit 340 Millionen Kronen betragen, und glaubt Redner, daß es sich empfehlen wird, bei Feststellung der Anlehenssumme vorsichtshalber auf eventuell eintretende weitere Erfordernisse, Bauten etc. Rücksicht zu nehmen und daher den Anlehensbetrag mit 400 Millionen Kronen zu fixieren. Redner spricht den Wunsch aus, daß die vorerwähnte, diese Kreditforderungen moti¬ vierende Note dem über die Konferenz auszuarbeitenden Protokolle angeschlossen werde. Was die beiden vorerwähnten Kredite von je 60 Millionen für Heer und Flotte betrifft, so führt Redner aus, daß hievon 37 MUlionen für das Heer und 9 MUlionen für die Marine als unaufschiebbar bezeichnet werden müssen. Damit solle jedoch nicht gesagt sein, daß diese Summen schon im laufenden Jahre verfügbar sein müssen, sondern es würde genügen, wenn nur ein Teü davon schon jetzt flüssig gemacht und ihm bezüglich des Restes die Ermächtigung erteüt würde, dafür Bestellungen zu machen. Die aus diesen Krediten zu machenden Materialanschaffungen und auszuführenden fortifikatorischen Maßnahmen würden die Möglichkeit bieten, auch einem Kriege mit Italien mit verhältnismäßiger Zuversicht entgegenzusehen. Bezüglich der Erhöhung der Schlagfertigkeit der Armee, insoweit hiebei das lebende Element in Frage kommt, bemerkt Redner, daß der Entwurf eines neuen Wehrgesetzes ausgearbeitet worden sei, welches es ermöglichen werde, die Reorganisation der Artillerie sowie die zweijährige Dienstzeit binnen zehn Jahren durchzuführen, wodurch die Monarchie eventuell un¬ vorhergesehenen Ereignissen gegenüber sich in einer bedeutend besseren Lage befin¬ den werde. Für die Durchführung dieser reorganisatorischen Maßnahmen sei in einer unter dem Vorsitze Sr. Majestät stattgehabten Ministerkonferenz eine Steigerung des Kriegsbudgets durch zehn Jahre um 8 Millionen in Aussicht genommen worden, wovon 7 Millionen auf das Heer und 1 Million auf die Marine entfallen würden.15 Anknüpfend an diese Darlegungen des gemeinsamen Kriegsministers, entspinnt sich eine längere Debatte über die Frage, welche Posten im Falle der Bewilligung der Anleihe aus den Jahresbudgets der beiden müitärischen Ressorts in Hinkunft entfallen würden, beziehungsweise in welcher Höhe in diesem Falle jährlich Ersparnisse gemacht 14 Siehe Beilage Nr. 52a. 15 GMR. v. 3.4.1902, GMCZ. 438. <pb/>342 Nr. 52 Gemeinsamer Ministerrat, Budapest, 15. 4.1904 werden könnten, welche dann zur Verzinsung und Amortisation der aufzunehmenden Anleihe herangezogen werden könnten. Der IcuJc gemeinsame Kriegsminister FML. Ritter v. Pitreich beziffert die in dem Budget seines Ressorts infolge der Anleihe eventuell zu erzielenden Ersparnisse mit tmgefähr 3-4 Millionen jährlich, während der Chef der Marinesektion Ad¬ miral Freiherr v. Spaun die Reduktion, welche sein Budget im Falle des Zustandekommens der Anleihe erfahren könnte, auf ungefähr 6 Millionen jährlich veranschlagt. Diesen Angaben gegenüber führt der k.k. Finanzminister Ritter v. Böhm aus, daß die eventuellen Ersparnisse von den beiden mflitärischen Budgets ganz bedeutend höher sein und ungeFähr 20-30 Millionen betragen müßten, da ja in den Voranschlägen der Marine für die Jahre 1904 und 1905 die Schiffsbauten mit ungefähr je 20 Millionen eingestellt erscheinen. Redner betont, daß die durch den zu gewähren¬ den Kredit zu deckenden Bedürfnisse der Marine natürlich nicht neuerdings im Wege der ratenweisen EinsteUung ins Budget angefordert werden können. Der kgl. ung. Ministerpräsident Graf Tisza schließt sich der Ansicht des Vorredners an und bemerkt, daß die Marineverwaltung sich darüber klar werden müßte, ob sie die notwendigen Schiffsbauten im Wege der ratenweisen Einstel¬ lung in das Jahresbudget oder durch eine Anleihe decken wolle. Die Marineverwaltung solle angeben, welche Schiffsbauten notwendig sind und wieviel an Geld für dieselben erforderlich ist. Die Mittel hiezu sollen derselben im Wege eines Spezialkredites zur Verfügung gestellt werden. Habe die Marineverwaltung jedoch einmal den Spezialkre¬ dit erhalten, dann müßte natürlich das Jahresbudget um jene Summen entlastet werden, welche in dasselbe hätten eingestelltwerden müssen, wenn die betreffenden Schiffsbau¬ ten nicht im Wege einer Anleihe gedeckt worden wären. Redner kann bei dieser Gelegenheit nicht umhin zu bemerken, daß er es als ausgeschlossen betrachten müsse, daß die Marine sich in dem Tempo der letzten sechs Jahre weiterentwickle. Das jetzige Marinebudget sei ein anormales und müsse mit der Zeit wieder auf ein normales Niveau gebracht werden. Letztere Bemerkung veranlaßt den Vorsitzenden, daran zu erinnern, daß die Marine vor sechs Jahren in bezug auf das Schiffsmaterial auf einem außerordentlich tiefen Niveau gestanden sei, und daß sie im Interesse der Sicherheit und der Groß- machtstellung der Monarchie unbedingt auf eine gewisse Höhe gebracht werden mußte. Es werde dem gegenwärtigen Marinekommandanten zur Ehre und zum Verdienst angerechnet werden müssen, die Marine auf ihre jetzige hohe Stufe der Entwicklung gebracht zu haben. Redner glaubt übrigens darauf aufmerksam machen zu sollen, daß das Budget der Marine infolge der durch die vermehrten Schiffsbauten bedingten Vermehrung der Mannschaft - von der Anleihe abgesehen - eine gewisse Erhöhung werde erfahren müssen. Der k.k. Finanzminister Ritter v. Böhm regthieraufan, daß im Falle des Zustandekommens der Anleihe jene Posten, welche aus derselben zu bestreiten sein werden, in das gemeinsame Budget eingestellt und die betreffenden Beträge sodann den Finanzverwaltungen der beiden Staaten wieder refundiert werden sollen. Für den Fall, daß die Bewilligung der Anleihevaluta nicht flüssig gemacht werden <pb/>Nr. 52 Gemeinsamer Ministerrat, Budapest, 15. 4.1904 343 könnte, würden die Finanzverwaltungen auf die Refundierungen verzichten. Im Falle des Perfektwerdens der Anleihe hätten dagegen die Refundierungen solange zu dauern, als der Anleihedienst dauert. Der Ick. Ministerpräsident v. Koerber gibt der Ansicht Ausdruck, daß die Begebung der in Rede stehenden militärischen Investitionsanleihe von einer Reihe von Voraussetzungen abhängt, auf deren Zutreffen man nicht mit Bestimmtheit rechnen könne, und daß kaum anzunehmen sei, daß es gelingen werde, im Laufe des Jahres 1904 alle schwierigen Fragen, welche mit der Erneuerung des Wehrgesetzes - einer der oberwähnten Voraussetzungen - Zusammenhängen, einer entsprechenden Lösung zuzuführen. Redner glaubt daher, daß man vorläufig zur Beratung des Voran¬ schlages des gemeinsamen Kriegsministeriums zurückkehren müsse, welcher allerdings wesentliche Änderungen erfahren müßte, wenn die geplanten neuen Einrichtungen ins Leben treten würden. Man müsse sich einstweüen mit dem Voranschläge der Kriegs¬ verwaltung beschäftigen, ohne die Durchführung der Investitionsanleihe schon als geschehen zu betrachten. Eventuell werde man, wenn es sich als absolut notwendig herausstellen sollte, für die dringendsten Anforderungen der Kriegs- und Marinever¬ waltung eine kleinere Anleihe aufnehmen müssen. Der Vorsitzende ist ebenfalls der Ansicht, daß es am besten sei, in die Beratung des Voranschlages pro 1905 einzutreten. Auch Redner glaubt, daß man für die dringendsten Bedürfnisse der beiden militärischen Ressorts eine kleinere Anleihe werde aufnehmen müssen. Redner teüt der Konferenz mit, daß Se. Ma¬ jestät ihm den Auftrag erteilt habe, sich in der Konferenz nachdrücklichst dafür zu verwenden, daß den beiden müitärischen Ressorts die von ihnen dringend be¬ nötigten Kredite von 37 Millionen beziehungsweise 9 MUlionen bewilligt werden, da es sich hiebei um eine Frage der Sicherheit der Monarchie handle, und Se. Majestät, wie Allerhöchstderselbe zu bemerken geruht hätten, es vermieden zu sehen wünschten, daß die Monarchie eventuell in eine ähnliche Lage gerate wie gegenwärtig Rußland. Die Sachen stünden nach den Sr. Majestät bekannten Ver¬ hältnissen so, daß Allerhöchstderselbe es mit der Ihm als Souverän obliegenden Verantwortlichkeit unvereinbar finden würde, den jetzigen wehrlosen Zustand der Monarchie noch weiter fortbestehen zu lassen. Redner entledige sich eines Ah. Auftrages, indem er der Konferenz von den vorstehenden Äußerungen Sr. Maje¬ stät Kenntnis gebe. Der kgL ung. Ministerpräsident Graf Tisza spricht sich gleichfalls für die Durchberatung des Budgets der Kriegsverwaltung pro 1905 aus, gibt aber gleichzeitig der Ansicht Ausdruck, daß die Frage der Investitionsanleihe in ernste Erwägung gezogen werden müsse. Der Ick. Ministerpräsident v. Koerber ist der Ansicht, daß die beiden Regierungen sich miteinander über das Wehrgesetz einigen müssen, und bemerkt bei dieser Gelegenheit, daß mehrere Bestimmungen des neuen Wehrgesetzes sowohl vom Standpunkte der Verwaltung als von jenem der Justiz zu Bedenken Anlaß geben. Nachdem der Icu. k. gemeinsame Kriegsminister FM L. Ritter v. Pitreich betont hat, daß er den größten Wert darauf legen müsse, eine gewisse <pb/>344 Nr. 52 Gemeinsamer Ministerrat, Budapest, 15. 4.1904 Berechtigung zur Verausgabung der 37 Millionen zu erhalten, nimmt die Konferenz die Beratung des Voranschlages der Kriegsverwaltung pro 1905 in Angriff. Es ergreift zu demselben der k.k. Finanzminister Ritter v. Böhm das Wort und erklärt, daß er bezüglich des Aufbaues des Voranschlages der Kriegsverwaltung eine prinzipielle Einwendung zu erheben habe, welche dahin gehe, daß der Voranschlag auf dem bisherigen Rekrutenkontingente aufgebaut sei und daher in demselben keine Posten verkommen dürften, welche die noch nicht bewilligte Erhöhung des Rekrutenkontingentes gewissermaßen antizipieren. Die Finanzverwaltungen hätten sich bereit erklärt, für den Ausbau des Heeres und der Marine durch eine jährliche Steigerung von 8 Millionen Kronen beizutragen, jedoch erst von dem Beginne der Heeresreorganisation. Es sei daher nicht richtig, daß bereits in das vorliegende Budget solche Posten eingestellt worden seien, welche erst nach der Heeresreform berechtigt erscheinen würden. Gleichwohl fänden sich in dem vorliegenden Voranschläge solche Posten, und verweist Redner in dieser Beziehung auf Post 2 des Ordinariums betreffend die Prälimi- nierung der Gebühren für die Magazinsoffiziere, welche Post eigentlich eine Ver¬ mehrung der Truppenoffiziere bedeute, da bisher diesen letzteren die Obsorge über die Magazine obgelegen habe. Solange die Heeresvermehrung noch nicht be¬ willigt worden sei, müsse daher Vorsorge getroffen werden, daß der Voranschlag der Kriegsverwaltung sich innerhalb des bisherigen budgetären Rahmens bewege. Redner müsse daher wünschen, daß an dem Mehrerfordemisse des Voranschlages der Kriegsverwaltung bedeutende Abstriche vorgenommen werden, und daß die nachträglich angemeldete erhöhte Post 20 des Ordinariums ,,Versorgungswesen" (Erhöhung der Bezüge der Müitärpensionisten) im Betrage von 1,2 Millionen in das eventuelle Mehrerfordernis des Voranschlages einbezogen werde. Redner betont mit Nachdruck die großen finanziellen Schwierigkeiten, mit welchen die österreichische Finanzverwaltung in dem Falle zu kämpfen haben werde, daß die minder befriedigenden Verhältnisse in den im Reichsrate vertretenen Königrei¬ chen und Ländern andauem sollten. Es würde sich hieraus voraussichtlich die Notwendigkeit einer Restringierung der Ausgaben aller Ressorts ergeben, welche naturgemäß erhöhte Ausgaben der Kriegsverwaltung nicht als zulässig erscheinen lassen würde. Größere Ausgaben müßten daher wenigstens solange vermieden werden, als die Heeresreorganisation nicht durchgeführt werde. Redner fragt schließlich, ob jene 750 Mann, um welche der Mannschaftsstand der Marine ver¬ mehrt und welche von der Infanterie abgegeben worden seien, in dem Heeres¬ budget in Abzug gebracht worden seien. Der k.u.k. gemeinsame Kriegsminister FML. Ritter v. Pit¬ reich erwidert hierauf, daß die Posten des gegenwärtigen Voranschlages direkt nicht mit der neuen Rekrutenvorlage Zusammenhängen. Einige dieser Posten ständen mit der Heeresreform allerdings in einem gewissen indirekten Zusammenhänge und be¬ zwecken eine Verbesserung des heutigen Zustandes der Armee. Die Kreierung der Magazinsoffiziere sei eine unbedingt notwendige Maßnahme, da sonst die sehr wert¬ vollen Materialvorräte mangels einer sachkundigen Administration einer Deteriorie- rung ausgesetzt wären. Eine größere Anzahl der in dem Voranschläge ein Mehrerfor- <pb/>Nr. 52 Gemeinsamer Ministerrat, Budapest, 15. 4.1904 345 dernis involvierenden Posten seien übrigens Sanierungsposten. In betreff der Frage des Vorredners nach den an die Marine abgegebenen 750 Mann bemerkt Redner, daß diese im Voranschläge nicht in Abzug gebracht worden seien, daß aber statt derselben im Sommer turnusweise Ersatzreservisten zur Erhöhung der Stände der Infanterie einbe¬ rufen würden, so daß die Zahl der zu verpflegenden Leute die gleiche bleibe. Redner gibt zu, daß der Stand der Offiziere eine gewisse Vermehrung erfahren habe. Dies sei jedoch im Hinblicke auf eine mögliche Mobüisierung sowie auch zu dem Zwecke unbedingt notwendig, um für den Fall der Durchführung der Heeresreform die erfor¬ derliche Zahl von Offizieren zur Verfügung zu haben. Der k. k. Finanzminister Ritter v. Böhm bezeichnet hierauf eine Reihe von Posten des Ordinariums sowie des Extraordinariums, bei welchen seiner Ansicht nach bedeutende Abstriche vorgenommen werden könnten. Der k. u. k. gemeinsame Kriegsminister FML. Ritter v. Pit¬ reich gibt bei einigen dieser Posten die Möglichkeit eines Abstriches zu, stellt dieselbe aber bei anderen in Abrede und erklärt sich bereit, an seinem Voranschläge im ganzen Abstriche in der Höhe von 456 000 Kr. vorzunehmen. Der kgl. ung. Finanzminister v. Lukäcs fragt hierauf, ob es nicht möglich wäre, die eigenen Einnahmen der Kriegsverwaltung um 1 Million höher einzu¬ stellen, wodurch das Mehrerfordemis um den gleichen Betrag herabgemindert würde. Der k.u.k. gemeinsame Kriegsminister FML. Ritter v. Pit¬ reich stimmt dieser Anregung vorbehaltlich der Einholung von Informationen über die Durchführbarkeit derselben zu. Der Vorsitzende macht hierauf den Vorschlag, bei Titel 1 Post 1 des Extra¬ ordinariums (Beschaffung von Handfeuerwaffen), welcher mit 4 Millionen eingestellt erscheint, eine Million zu streichen und dieselbe in den 60-Millionen-Spezialkredit für das Heer hinüberzunehmen, wodurch dieser letztere um den gleichen Betrag erhöht werden würde. Nachdem der k.u.k. gemeinsame Kriegsminister FML. Rit¬ ter v. Pitreich dieser Anregimg zugestimmt hat, werden auf Wunsch des k. k. Finanzministers Ritter v. Böhm bei den Posten 1, 5, 13, 15, 17a, 22 und 23 des Ordinariums, dann bei Titel 1 Post 1, Titel 2 Post 1, Titel 4, Titel 6 Post 2, und Titel 11 Abstriche im Gesamtbeträge von 1,7 Millionen vorgenommen, so daß das ursprünglich mit 4 456 357 Kr. präliminierte Mehrerfor¬ dernis der Kriegsverwaltung nach Erhöhung der eigenen Einnahmen um 1 Million auf rund 1,7 Millionen herabgedriickt erscheint. Der kJk. Finanzminister Ritter v. Böhm erklärt diese Abstriche noch nicht als ausreichend und stellt an den Kriegs¬ minister das Ersuchen, an seinem Voranschläge noch weitere Reduktionen im Ge¬ samtbeträge von 500 000 Kr. vorzunehmen. Der Ick. Ministerpräsident v. Koerber schließt sich diesem Wunsche an, und erklärt hierauf der k. u. k. gemeinsame Kriegsminister FML. Ritter v. Pitreich, den Voranschlag seines Ressorts einer nochmaligen Durch¬ sicht unterziehen zu wollen, um sich darüber klarzuwerden, inwieweit die Möglichkeit geschaffen werden könnte, dem Wunsche nach Vornahme weiterer Abstriche Folge zu geben. <pb/>346 Nr. 52 Gemeinsamer Ministerrat, Budapest, 15. 4.1904 Es wird hierauf noch die Frage der ein Mehrerfordemis von 1,2 Millionen beim Heere und 80 000 Kr. bei der Marine involvierenden Erhöhung der Ruhegenüsse der vor der Gageregulierung pensionierten Müitärpersonen einer kurzen Besprechung unterzogen, tmd bemerkt diesfalls der kg 1. ung. Ministerpräsident Graf T i s z a, daß man hiebei zwischen jenen Pensionisten unterscheiden müsse, welche vor dem Jahre 1875 nach dem alten Pensionsstatute pensioniertworden seien, und zwischen jenen, welche zwar nach der Einführung des jetzigen Pensionsstatutes, aber noch vor Durchführung der Gageregulierung in den Ruhestand getreten sind. Die erstere Kate¬ gorie von Pensionisten sei so schlecht situiert, daß eine Aufbesserung der Bezüge derselben als durchaus gerechtfertigt und wünschenswert angesehen werden müsse. Dagegen sei letztere Kategorie von Pensionisten nicht so schlecht gestellt, daß eine Verbesserung ihrer materiellen Situation als eine unbedingte Notwendigkeit bezeichnet werden könnte. Redner würde große Bedenken tragen, die Ruhebezüge dieser letzte¬ ren Militärpensionisten zu erhöhen, solange die Möglichkeit nicht geboten sei, eine gleiche Vorsorge auch für die Zivübeamten in Ungarn zu treffen. Letzteres würde jedoch eine so starke Belastung des ungarischen Budgets nach sich ziehen, daß Redner sich gegen die beantragte Erhöhung der Bezüge dieser Pensionisten entschieden aussprechen müsse. Der Ick. Ministerpräsident v. Koerber bemerkt, daß der Anregung des Vorredners, worauf nur die Ruhegenüsse der nach dem alten Pensionsstatute pensionierten Persönlichkeiten zu verbessern wären, insofeme keine große praktische Bedeutung zukomme, als die Zahl der Pensionisten dieser Kategorie eine äußerst geringe - ungefähr 800 - sei und dieselben ohnedies anläßlich der Gehaltsregulierung eine 10%ige Aufbesserung ihrer Bezüge erhalten hätten. Der V ersitzende regthieraufan, ob es sich in Anbetracht der Schwierigkeiten, mit welchen die Finanzverwaltungen beider Staaten zu kämpfen haben, nicht empfehlen würde, die in Rede stehende Erhöhung der Ruhegenüsse der Müitärpensionisten einstweüen zurückzustellen. Die Frage der Erhöhung der Pensionsbezüge der Militärpersonen wird im allseitigen Einvernehmen noch als eine offene angesehen und beraumt der Vorsitzende für den folgenden Tag eine Konferenz an, in welcher außer über die vorerwähnte Frage auch noch über die einer weiteren Klärung bedürfende Frage der Spezialkredite für Heer und Marine beraten und über die am Voranschläge der Kriegsverwaltung noch weiter vorzunehmenden Abstriche sowie über den Voranschlag der Marine Beschluß gefaßt werden soll.16 Goluchowski Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Kenntnis genommen. Budapest, 7. Mai 1904. Franz Joseph. 16 GMR. v. 16.4.1904, GMCZ. 442. <pb/>Nr. 52a Note des k.u.k. gemeinsamen Kriegsministers, o. O., 28.3.1904 347 Nr. 52a Note des k. u. k. gemeinsamen Kriegsministers an die beiden Ministerprä¬ sidenten, o. O., 28. März 19041 Beilage zum GMRProt. v. 15.4.1904, GMCZ. 441 Abschrift Mit meiner Note vom 14. Juli 1903, Präs. Nr. 4478, habe ich,2 wie Euer Exzellenz bekannt ist, dem k. k. Minister für Landesverteidigung die Begründungen zur beabsich¬ tigten Revision des Wehrgesetzes aufgrund der Verkürzung der Präsenzdienstpflicht, ferner die Skizze eines Wehrgesetzes beziehungsweise eines Gesetzartikels über die Wehrkraft samt Begründungen hiezu, dann je zwei Exemplare der das Gelderfordemis betreffenden litographierten SubbeUagen Fl bis F5 übersendet. Die in diesen Behelfen ausgewiesenen Geldmittel beziehen sich auf die Vereinba¬ rungen mit den beiden Regierungen, wonach für die fortlaufenden, mit der geplanten Heeresreform verbundenen Mehrauslagen der Heeresleitung durch zehn Jahre eine Steigerung des Ordinariums um 8 Millionen Kronen jährlich (davon 1 Mülion Kronen für die Kriegsmarine) in Aussicht gestellt wurde. Sie zeigen ferner die einmaligen Kosten, welche lediglich durch die Beschaffung eines neuen Feldartilleriemateriales und durch die mit der zweijährigen Präsenzdienstzeit im Zusammenhänge stehenden Reformen verursacht werden und sich mit 220 Millionen Kronen beziffern. Für die sonst notwendige Beschaffung von Kriegsmateriale aller Art, insbesondere technischer Natur, sollte mit Hilfe des Extraordinariums vorgesorgt werden, wobei der Übelstand in den Kauf genommen wurde, daß wegen der Möglichkeit, für die einzelnen Gegenstände verhältnismäßig nur geringe jährliche Raten einstellen zu können, die Beschaffung sich auf sehr lange Zeit hinausziehen müßte. Demgegenüber bin ich gezwungen, die Aufmerksamkeit Euer Exzellenz darauf zu lenken, daß die plötzlichen Eintritte von politischen Verhältnissen, die die Monarchie zu einer militärischen Aktion zwingen, uns Kriegsausrüstungsgegenstände verschiede¬ ner Art, insbesondere aber Munition für die schweren Geschütze der Befestigungen und der Kriegsmarine fehlen, welche rechtzeitig, nicht nur für den Beginn der Aktion, sondern auch für den so wichtigen anfänglichen Verlauf absolut nicht beschafft werden können und deren Mangel die größten (gefahren involviert. Nun hat Se. Exzellenz der Herr kgl. ung. Ministerpräsident GrafTisza in dem am 19. November 1903 stattgehabten Ministerrate für gemeinsame Angelegenheiten (GMCZ. 439/1903) zur Erwägung empfohlen, ob nicht die künftigen Forderungen der Marine hinsichtlich neuer Schiffe und deren Armierung sowie der Armee bezüglich neuer Geschütze durch Aufnahme einer Anleihe zu decken wären. Dieser Vorschlag fand allgemeine Zustimmung, und ich erlaube mir insbesondere im Hinblicke auf die Entwicklung der Balkanverhältnisse zu betonen, wie notwendig es sei, die geplante Geldoperation zu benützen, um die Kriegsausrüstung des Heeres und 1 Am 28. 3.1904 schickte Pitreich seine bereits an die beider^ Ministerpräsidenten gerichtete Note auch an Goluchowski und bat diesen, ihn im Ministerrat zu unterstützen, HHStA., PA. I, Karton 621,160/CdM. 2 Note v. 14. 7.1903, KA., KM., Präs. 26-1/9/1903. <pb/>348 Nr. 52a Note des k.uX gemeinsamen Kriegsministers, o. O., 28.3.1904 der Marine auf den der Unsicherheit der Zeitverhältnisse entsprechenden Standpunkt der Schlagfertigkeit zu bringen. Ich hege selbstverständlich ebenso, wie es bei Euer Exzellenz der Fall sein wird, die vollste Überzeugung, daß eine militärische Aktion der Monarchie nur dann eintreten wird, wenn sie ein Gebot unabweisbarer Notwendigkeit ist; aber Euer Exzellenz werden wohl zugeben müssen, daß unter den gegenwärtigen Verhältnissen niemand imstande ist vorherzusagen, ob und wann diese Notwendigkeit eintreten könne, daher mit ihr vom müitärischen Standpunkte aus absolut gerechnet werden muß. Würden die Balkanverhältnisse allein in Betracht kommen, so könnte man sich - namentlich in Rücksicht der Entente mit Rußland - schwerer Besorgnisse über unsere Kriegsausrüstung und -bereitschaft immerhin noch entschlagen. Es kann jedoch nicht unberücksichtigt bleiben, daß die in allen Balkanstaaten herrschende Gärung in ihren Folgen imberechenbare Überraschungen zeitigen könnte, ferner daß der Druck der öffentlichen Meinung in Rußland auf die Regierung unter Umständen ein viel entschei¬ denderer sein kann, als man gemeinhin annimmt, und daß jene Faktoren, welche dort die öffentliche Meinung hervorrufen und beherrschen, sich aus der langgewohnten, seitens der Regierung wenigstens in früherer Zeit begünstigten Richtung gegen uns unmöglich in verhältnismäßig kurzer Zeit in eine mit uns gehende Richtung oder unsere Unternehmungen auch nur halbwegs objektiv auffassende Beurteüung bringen lassen. Weiters wäre es ein Irrtum anzunehmen, daß der Krieg mit Japan es für Rußland unmöglich mache, seine europäischen Interessen nötigenfalls gewaltsam zu vertreten. Anderseits darf auch nicht übersehen werden, daß die Balkanstaaten seit dem letzten Sommer ganz bedeutende und erfolgreiche Anstrengungen für ihre Kriegsbereitschaft gemacht haben, so daß sie der Qualität nach in Beziehung auf neuere, vervollkommnete Kriegsmittel uns gegenüber manchen Vorsprung genommen haben. Zu diesen Umständen kommen aber noch die in der jüngsten Vergangenheit gemachten Erfahrungen, welche darüber kaum einen Zweifel aufkommen lassen, daß im Falle, als die im Gange der Entwicklung unmöglich vorherzusehenden Verhältnisse am Balkan uns dort zu irgendeiner müitärischen Aktion nötigen, wir in einen Konflikt mit Italien geraten können, selbst wenn nicht nur wir, sondern auch die Regierung in Italien den besten Willen zur Vermeidung desselben betä¬ tigen. Ich glaube mich nicht zu irren, wenn ich auch hier, und zwar noch in höherem Maße als betreffs des in Asien engagierten Rußland, den Druck der öffentlichen Meinung höher stelle als die Kraft der Regierungen. Das Militär wenigstens muß mit der Art, in welcher in der Neuzeit Weltereignisse mehr oder weniger plötzlich in höchst vehementer Weise eintreten, unbedingt rechnen. Darum war es umsomehr unvermeidlich, sehr eingehende konkrete Studien über unsere müitärische Situation gegenüber den plötzlich möglichen Eventualitäten zu bewirken, als wir seit den 80er Jahren die für heutige Verhältnisse durch finanzielle Umstände wirklich engbegrenzten Kriegsvorbereitungen fast ausschließlich dem nordöstlichen Kriegsschauplätze zuwenden mußten. Das Ergebnis dieser Studien zeigt leider, daß mehr oder weniger kostspielige Vorbereitungen und eine raschere Komplettierung der Kriegsausrüstung unerläßlich geworden sind. <pb/>Nr. 52a Note des k.u.k. gemeinsamen Kriegsministers, o. O., 28.3.1904 349 Es kommen hiebei nicht allein die Unterschiede in der Natur der Kriegsschauplätze im Nordosten einer-, und Südwesten und Südosten anderseits, sowie ganz wesentliche Verschiebungen in den Kriegsvorräten in Betracht, sondern es muß vor allem dem Umstande Rechnung getragen werden, daß in bezug auf die Kriegsmarine und die Ausrüstung der Befestigungen Maßnahmen zu treffen sind, welche eine erfolgreiche Verteidigung bei plötzlich eintretender Kriegsgefahr unbedingt wenigstens so weit gewährleisten, als es die ungestörte Durchführung des Aufmarsches der Streitkräfte erfordert. Die Verhältnisse, in welche Rußland durch unzureichende Kriegsvorbereitungen derzeit geraten ist, illustrieren wohl am deutlichsten, welche Gefahren bei plötzlich eintretenden militärischen Aktionen entstehen können. Die diesbezüglichen Ereignisse werden unzweifelhaft Schule machen für die überraschende Art des Vorganges gegen Küsten- und Grenzbefestigungen, daher die entsprechenden Vorsichtsmaßregeln für deren Ausrüstung und für die Schlagfertigkeit der Kriegsmarine länger nicht mehr außer acht bleiben können. Alle diese Umstände, ferner die allgemein eingetretene Erhöhung der Beschaffungs¬ preise, besonders jener für die Munitionssorten, dann die durch die gebotene raschere Durchführung der bezüglichen Beschaffungen zu gewärtigende Preissteigerung, endlich der Umstand, daß die erst im allerletzten Augenblicke in großem Maßstabe zu bewir¬ kenden Anschaffungen von Kriegsmaterial die öffentliche Meinung bedenklich erregen und die Leitung der auswärtigen Angelegenheiten mehr oder weniger dem Zufalle preis¬ geben können, nötigen mich dazu, für das in Aussicht genommene Anlehen gegenüber dem annoncierten Betragevon220Millionen Kronen einPlusvon je 60 MülionenKronen für das Heer und für die Marine in Antrag zu bringen. Im ganzen würde sonach das aufzunehmende Anlehen 340 Millionen Kronen betragen, wovon auf das Heer 280 Mil¬ lionen Kronen und auf die Kriegsmarine 60 Millionen Kronen entfallen. Dieser Betrag repräsentiert das aufgrund eingehender detaillierter Berechnungen ermittelte Mini¬ mum des tatsächlichen Bedarfes, und würde es sich nach meiner Meinung empfehlen, bei der FeststeUung der Anlehenssumme vorsichtshalber auch auf eventuell eintretende weitere Erfordernisse, Bauten usw. Rücksicht zu nehmen, daher den Gesamtbetrag des Anlehens etwa mit rund 400 Millionen Kronen zu fixieren. Dieser Vorgang könnte umso eher in Aussicht genommen werden, als die tatsächliche Inanspruchnahme sich doch nur auf die unumgänglich notwendigen Teübeträge erstrecken wird. Von den vorgenannten, für das Heer bestimmten 280 Mülionen Kronen wurden der Heeresverwaltung für das Jahr 1904 bereits 15 Millionen Kronen zum Beginne der Beschaffung des neuen Feldar¬ tilleriematerialesbewilligt, und eswerdenfür dasJahr 1905weitere 50 Mülionen Kronen zur Forsetzung dieser Beschaffungen in Anspruch genommen werden müssen. Von den speziell für die Ausgestaltung der Südfront der Monarchie zu Ausrüstungszwecken des Heeres veranschlagten 60 Millionen Kronen betrifft der Teübetrag von 37 Mülionen Kronen, und von den zu Zwecken der Kriegsmarine veranschlagten 60 Mülionen Kronen der Teflbetrag von 9 Millionen Kronen, derart unverschiebliche Maßnahmen, daß ich sowohl für die Heeres- als auch für die Marineverwaltung um die Bewüligung zur unver¬ züglichen Einleitung der betreffenden Beschaffungen, deren Effektuierung ohnehin einen längeren Zeitraum beansprucht, bitten muß. Der Rest von 23 Millionen Kronen <pb/>350 Nr. 53 Gemeinsamer Ministerrat, Budapest, 16. 4.1904 für Zwecke des Heeres und von 51 Millionen Kronen für den Küstenausbau wird sodann jenachder Dringlichkeit, Notwendigkeit und Durchführungsmöglichkeit der in Betracht kommenden Maßnahmen zur Anforderung gelangen. Ich bitte Euer Exzellenz ergebenst, meine notgedrungenen Forderungen - einge¬ denk der die Gesamtregierung treffenden Verantwortlichkeit - einer geneigten Wür¬ digung zu unterziehen, damit durch die bezüglichen weiteren Verfügungen den Interessen der Ah. Dynastie und der beiden Staaten der Monarchie in entsprechender Weise Rechnung getragen werden könne. Euer Exzellenz würden mich durch die ehebaldigste Mitteilung, ob ich die Einleitung zu den vorbesprochenen Beschaffungen bis zur Höhe von 37 Millionen Kronen für das Heer veranlassen beziehungsweise der Marineleitung die Ermächtigung zur analogen Einleitung bis zur Höhe von 9Millionen Kronen erteüen kann, sehr zu Danke verpflich¬ ten. Eine gleichlautende Zuschrift richte ich unter einem an den Herrn kgl. ung. Mini¬ sterpräsidenten und verständige hievon gleichzeitig Se. ExzeUenz den Herrn Minister des k. u. k. Hauses und des Äußern. Genehmigen Euer Exzellenz den Ausdruck meiner ausgezeichnetsten Hochachtung. [Unterschrift fehlt.] Nr. 53 Gemeinsamer Ministerrat, Budapest, 16. April 1904 RS. (undRK.) Gegenwärtige: der k. k. Ministerpräsident v. Koerber (24.4.), der kgl. ung. Ministerpräsident Graf Tisza (30.4.), der k. u. k. gemeinsame Kriegsminister FML. Ritter v. Pitreich (25.4.), der k. u. k. gemeinsame Finanzminister Freiherr v. Buriän (8.5.), der kgl. ung. Finanzminister v. Lukäcs (30.4.), der k. k. Finanzmi¬ nister Ritter Böhm [v. Bawerk] (26.4.), der k. u. k. Chefder Marinesektion Admiral Freiherrv. Spaun (26.4.). Protokollführer: Legationsrat Freiherr v. Gagem. Gegenstand: Der Voranschlag über die gemeinsamen Ausgaben und Einnahmen der österreichisch-un¬ garischen Monarchie für das Jahr 1905; auBerordentlicher Rüstungskredit für das Heer und die Marine. KZ. 19 - GMCZ 442 Protokoll des zu Budapest am 16. April 1904 abgehaltenen Ministerrates für gemein¬ same Angelegenheiten unter dem Vorsitze des k. u. k. gemeinsamen Ministers des Äußern Grafen Gohichowski. Der V ersitzende eröffnet die Sitzung, indem er dem k. u. k. gemeinsa¬ men Kriegsminister FML. Ritter v. Pitreich das Wort erteüt, welcher hierauf die an seinem Voranschläge in der vorangegangenen Sitzung vorge¬ nommenen Abstriche rekapituliert1 und die Mitteüung macht, daß aufgrund des Geba¬ rungsausweises pro 1903 die eigenen Einnahmen des Kriegsministeriums mit Sicherheit um eine Million höher eingestellt werden können, so daß das zu bedeckende Mehrer- 1 GMR. v. 15.4.1904, GMCZ. 441. <pb/>