Gemeinsamer Ministerrat, 29. 10. 1900
I. Die Frage des Anschlusses der bosnisch-türkischen Bahnen
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Nr. 39 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 29.10.1900 233 Nr. 39 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 29. Oktober 1900 RS. (undRK) Gegenwärtige: der kgl. ung. Ministerpräsident v. SzäU, der k. k. Ministeipräsident v. Koeiber, der k. u. k. gemeinsame Finanzministerv. Källay (26.11., Sarajevo), der kgl. ung. Finanzministerv. Lukäcs, der kgl. ung. Handelsminister v. Hegedüs, der k. k. Eisenbahnminister Ritter v. Wittek, der k. k. Finanzminister Ritter Böhm [v. Bawerk], der k. k. Handelsminister Freiherr v. Call. Protokollführer Sektionsrat Freiherr v. Gagem. Gegenstand: Die Frage des Anschlusses der bosnisch-türkischen Bahnen. KZ. 83-GMCZ.428 Protokoll des zu Wien am 29. Oktober 1900 abgehaltenen Ministerrates für gemein¬ same Angelegenheiten unter dem Vorsitze des k. u. k. gemeinsamen Ministers des Äußern Grafen Gohichowski. Der Vorsitzende eröffnet die Sitzung und erteüt dem kgl. u n g. M i n i - sterpräsidenten v. Szell das Wort, welcher der Konferenz die Mitteüung macht, daß es den Fachministem gelungen sei, bezüglich der Tariffrage eine Einigung herbeizuführen. Auch bezüglich der Anfangs- und Endtermine dieser Abmachungen sei eine Einigung zustande gekommen, und zwar sei der Beginn dieser Vereinbarung für jede der in Betracht kommenden Linien besonders fixiert worden. Was den End¬ termin der auf die Linie Sarajevo-Uvac bezüglichen Vereinbarungen betrifft, so sei die Bestimmung getroffen worden, daß dieselben durch fünf Jahre, vom Zeitpunkte der Inbetriebsetzung dieser Linie an gerechnet, in Geltung stehen sollen, nach Ablauf welcher Zeit eine Revision einzutreten hätte. Dies sei nur in großen Zügen die Wieder¬ gabe der bezüglich der Tariffrage erreichten Verständigung, und bleibe es den Ress¬ ortministern überlassen, das zwischen ihnen getroffene Übereinkommen in detaülierter und präzis gefaßter Formulierung der Konferenz zu unterbreiten. Nachdem auf diese Weise die Tariffrage einer entsprechenden Lösung zugeführt worden sei, erübrige nur noch, bezüglich der Frage der SichersteUung des Ausbaues der Linie Bugojno-ArZano eine Lösung zu finden, welche geeignet wäre, die diesfalls von der österreichischen Regierung gehegten Bedenken zu zerstreuen. Redner glaubt eine solche Lösung darin gefunden zu haben, daß zu dem Vorschläge des gemeinsamen Finanzministers, wonach die Linien Bugojno-Ar2ano und Samac-Doboj gleichzeitig und im möglichst raschen Anschlüsse an den Ausbau der Linie Sarajevo-Uvac in Angriff zu nehmen seien, ein Zusatz des Inhaltes gemacht werden solle, daß beide Regierungen sich verpflichten, längstens binnen zwei Jahren nach Fertigstellung der Linie nach der Sandschakgrenze eine auf den Ausbau der Linien Samac-Doboj und Bugojno-Ar2ano bezügliche Vorlage den beiden Parlamenten zu unterbreiten und sich für deren Durchbringung einzusetzen. Der Ick. Ministerpräsident v. Koerber konstatiert seinerseits, daß vorbehaltlich der näheren Formulierung der bezüglichen Vereinbarungen zwischen den beiden Regierungen in betreff der Tariffrage eine Übereinstimmung erzielt worden sei. Was dagegen den von dem kgl. ung. Ministerpräsidenten bezüglich der dalmatini¬ schen Anschlußlinie gestellten Zusatzantrag betrifft, so scheine ihm auch dieser keine <pb/>234 Nr. 39 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 29.10.1900 Garantie für dasjenige zu bieten, was die österreichische Regierung sichergestellt wissen wolle, nämlich den tatsächlichen Ausbau dieser Linie. Die seinerzeitige Einbrin¬ gung einer bezüglichen Vorlage im ungarischen Reichstage könne nach Ansicht des Redners nicht als eine hinlängliche Garantie für die Sicherstellung des Ausbaues der mehrerwähnten Linie gelten, da dieselbe auch dann noch von einer Reihe von Even¬ tualitäten abhängig bleiben würde. Redner müsse daher auch jetzt an dem österreichi- scherseits gestellten zweiten Alternativantrag festhalten, welcher der österreichischen Regierung unter der in demselben bezeichneten Voraussetzung die Möglichkeit biete, durch Gewährung einer finanziellen Beihilfe selbständig für den Ausbau der Linie Bugojno-ArZano Vorsorge zu treffen. Dieser Antrag sei von der österreichischen Regierung lediglich als Eventualität in Aussicht genommen worden und stelle für sie das Minimum dessen dar, was verlangt werden müsse und wovon nicht abgegangen werden könne. Der V orsitzende glaubt, daß der Umstand, daß die ungarische Regierung sich zur Einbringung der bezüglichen Vorlage innerhalb einer bestimmten Frist verpflichten wolle, im Vergleiche zu allen vorangegangenen Vermittlungsvorschlägen eine erhöhte Sicherheit für das auch von ihm auf das lebhafteste gewünschte Zustandekommen der Linie Bugojno-Ar&no enthalte. Das Schwergewicht sei darauf zu legen, daß die Gesetzvorlage binnen einer bestimmten Zeit eingebracht werden müsse. Redner glaubt, der Ansicht Ausdruck geben zu sollen, daß der Vermittlungsvorschlag des kgl. ung. Ministerpräsidenten den Wünschen der österreichischen Regierung wesentlich entge¬ genkomme und deshalb österreichischerseits nicht von der Hand gewiesen werden sollte. Der kgl. ung. Ministerpräsident v. Szell führt aus, daß, wenn bezüg¬ lich des Termins, wann die Linie Bugojno-Ar2ano ausgebaut werden soüe, ungarischer- seits gar kein Anerbieten vorliegen würde, dem österreichischen Standpunkte ein gewisses Maß von Berechtigung nicht abgesprochen werden könnte. Diese Vorausset¬ zung treffe jedoch keineswegs zu, da sein Antrag in dieser Beziehung etwas sehr Greifbares enthalte und die denkbar größte relative Sicherheit biete. Eine absolute Sicherheit für die Annahme der Vorlage könne natürlich nicht geboten werden, doch werde die ungarische Regierung sich nach besten Kräften bestreben, deren Annahme zu sichern. Mit Rücksicht auf die Stellung der ungarischen Regierung zum Reichstage sei übrigens schon durch das bloße Faktum der Einbringung der Vorlage eine sehr große Sicherheit für die Annahme derselben gegeben. Gegen den österreichischen Antrag müßten vom prinzipiellen Standpunkte schwerwiegende Bedenken geltend gemacht werden, da es unzulässig sei, auszusprechen, daß es nach Ablauf von fünf Jahren jeder der beiden Regierungen freistehen solle, für den Ausbau der an ihr Gebiet anschließenden Linie selbständig Vorsorge zu treffen. Hiedurch würde ein Novum geschaffen und im Konnex mit dem Ausbau der Linie Samac-Uvac die staatsrechtliche Frage aufgeworfen werden. Besonders schwierig würde sich die Sache noch dadurch gestalten, daß dann außer für die Finanzierung der Sandschaklinie überdies auch für jene der Linien Samäc-Doboj und Bugojno-ArXano gesorgt werden müßte. Der k.k. Ministerpräsident`v. Koerber bemerkt demgegenüber, daß die österreichische Regierung auch jetzt noch an der Ansicht festhalte, daß es nicht so <pb/>Nr. 39 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 29.10.1900 235 schwer wäre, gleichzeitig mit der Linie Sarajevo-Uvac auch für den Ausbau der beiden anderen Linien Vorsorge zu treffen. Redner habe sich bei Stellung seines Antrages das Gesetz vom Jahre 1880, betreffend die Verwaltung Bosniens und der Hercegovina, gegenwärtig gehalten, wonach jeder der beiden Staaten berechtigt sei, allein für den Ausbau einer Eisenbahnlinie im Okkupationsgebiete vorzusorgen.1 Wenn in § 2 dieses Gesetzes gesagt werde, daß die Anlage von Eisenbahnen im Einvernehmen mit den Regierungen der beiden Ländergebiete der Monarchie zu erfolgen habe, so sei diese Bestimmung nur dahin zu verstehen, daß diesfalls ein Einvernehmen zwischen den beiden Regierungen genüge, und daß es nach Herstellung eines solchen nicht notwen¬ dig sei, die beiden Legislativen mit der Angelegenheit zu befassen, was selbstverständ¬ lich nicht ausschließe, daß diejenige Regierung, welche an dem Zustandekommen des Bahnbauprojektes interessiert sei, in der Folge ihrem Parlamente eine auf die Beschaf¬ fung der Mittel bezügliche Vorlage erstatte. Eine Befassung der anderen Legislative sei dagegen nicht erforderlich, so daß im vorliegenden Falle das Votum des ungarischen Reichstages nicht abgewartet zu werden brauchte. Redner könne nur nochmals erklären, daß eine Vorlage, welche sich auf die Durch¬ führung der Hauptlinie beschränken, den Ausbau der Linie Bugojno-Ariano aber von unsicheren Voraussetzungen abhängig machen würde, keine Aussicht hätte, im öster¬ reichischen Reichsrate angenommen zu werden. Dies schon heute offen und unumwun¬ den auszusprechen, halte Redner geradezu für seine Pflicht, und könne er von dem Verlangen nicht abstehen, daß eine Form gefunden werden müsse, welche den Ausbau der Anschlußlinie nach Dalmatien schon jetzt als gesichert erscheinen lasse. Der Versitzende glaubt, den Ausführungen des k.k. Ministerpräsidenten gegenüber darauf hinweisen zu sollen, daß ohne ein Votum beider Parlamente von dem Grundsätze der Gemeinsamkeit bezüglich Bosnien und der Hercegovina nicht abge¬ gangen werde könne. Selbst wenn man an diesem Grundsätze nicht länger festhalten wollte, könnte das Abgehen von dem bisherigen Usus nicht einfach von den beiden Regierungen beschlossen werden, sondern wäre hiezu erst ein Beschluß beider Parla¬ mente erforderlich. Der kgl. ung. Ministerpräsident v. Szell hält dafür, daß auf Seite des k. k. Ministerpräsidenten ein Mißverständnis obzuwalten scheine, da es nach dem klaren Wortlaute des Gesetzes als ausgeschlossen betrachtet werden müsse, daß die Frage in der demselben vorschwebenden Weise erledigt werden könnte. Der Bau der Linien Samac-Doboj und Bugpjno-Ar2ano könne ebensowie alle anderen Bahnbauten nur durch ein besonderes identisches Gesetz beschlossen werden, welches im gemeinsamen Einvernehmen der beiderseitigen Regierungen zustande gekommen sei. Was den Termin für die Fertigstellung der Linie 1 Gesetz v. 22. 2. 1880, RGBl. Nr. 18/1880 bzw. GA. W1880: Die Verwaltung dieser Länder ist so einzurichten, daß die Kosten derselben durch die eigenen Einkünfte gedeckt werden. Insofern jedoch die Verwaltung Bosniens und der Hercegovina für bleibende Investitionen, die nicht in den Bereich der laufenden Administration gehören, wie für Eisenbahnen, öffentliche Bauten oder ähnliche außerordent¬ liche Ausgabeposten, finanzielle Leistungen der Monarchie in Anspruch nehmen sollte, dürfen solche Leistungen nur aufgrund von in beiden Teilen der Monarchie übereinstinimend zustande gekommenen Gesetzen gewährt werden. <pb/>236 Nr. 39 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 29.10.1900 Bugojno-Ar2ano betrifft, sei sein Vermittlungsvorschlag sogar noch günstiger als der Vorschlag des k. k. Ministerpräsidenten. Angenommen nämlich, die Sandscha- klinie würde im Jahre 1904 fertiggestellt sein, so müßte längstens zwei Jahre später, also im Jahre 1906, die auf den Ausbau der mehrerwähnten beiden Ne¬ benlinien bezügliche Vorlage dem ungarischen Reichstage unterbreitet werden. Wenn man dann für die Linie Bugojno-Ariano noch eine dreijährige Bauzeit hinzurechne, so würde der österreichischerseits gehegte Wunsch im Jahre 1909 realisiert sein. Nach dem österreichischen Vorschläge würde sich das Resultat dagegen weniger günstig stellen, da man, selbst angenommen, daß die Hauptlinie bereits im Jahre 1903 fertiggesteUt wäre, mit Hinzurechnung der fünfjährigen Eventualfrist und einer dreijährigen Bauzeit zum Jahre 1910 gelange. Der k.u.k. gemeinsame Finanzminister v. Källay glaubt, dem Vorwurfe nicht ausgesetzt zu sein, irgend etwas gegen das Zustandekommen der Linie Bugojno-Ar2ano zu sagen, als deren Erfinder er sich mit gutem Gewissen bezeichnen könne, da er erst nach langen Kämpfen die maßgebenden dalmatinischen Kreise von der Nützlichkeit dieses Schienenweges habe überzeugen können. Redner halte auch heute an der Überzeugung fest, daß vom Standpunkte der bosnischen lokalen Inter¬ essen die Durchführung dieser Linie unbedingt angestrebt werden müsse. Dies voraus¬ geschickt, möchte Redner den Vermittlungsvorschlag des kgl. ung. Ministerpräsiden¬ ten zur Annahme empfehlen, nachdem er in dieser Proposition einen großen Fortschritt erblicke und dieselbe für eine solche halte, welche geeignet sei, eine verhältnismäßig große Sicherheit für den Ausbau der erwähnten Linie zu geben. In dieser Beziehung erscheine ihm die von den beiden Regierungen zu übernehmende Verpflichtung, zwei Jahre nach Fertigstellung der Linie Sarajevo-Uvac den beiden Legislativen eine auf den Bau der mehrerwähnten beiden Nebenlinien bezügliche Vorlage zu erstatten, von größter Wichtigkeit. Keine ungarische Regierung würde übrigens, nachdem sie einmal diese Verpflichtung übernommen habe, die Einbringung dieser Vorlage verweigern können. Bei der großen Majorität, über welche die ungarische Regierung im ungari¬ schen Abgeordnetenhause verfüge, könne die Annahme der bezüglichen Vorlage als so gut wie sicher angesehen werden. Auch sei es seine feste Überzeugung, daß sich noch während des Baues der Sandschaklinie ein Umschwung in den Anschauungen über die verkehrspolitische Bedeutung der Linie Bugojno-Ariano oder, wie es seiner Meinung nach richtiger heißen sollte, Spalato-Sarajevo, vollziehen werde, und hierin sei eine weitere Garantie für das Zustandekommen'der Anschlußlinie nach Dalmatien gelegen. Andererseits könne Redner sich der Befürchtung nicht erwehren, daß wenn jetzt die ganze Angelegenheit in die Brüche ginge, und zwischen den beiderseitigen Regierungen keine Verständigung über die bosnischen Bahnbauten zustande käme, das Projekt der Linie Bugojno-Aräano alle Aussicht verlieren würde, jemals verwirklicht zu werden. Was die Behandlung der auf die Verwaltung Bosniens und der Hercegovina bezügli¬ chen Angelegenheiten betrifft, möchte Redner noch bemerken, daß die in Gemäßheit des Gesetzes vom Jahre 1880 im gemeinsamen Einvernehmen zwischen den beidersei¬ tigen Regierungen zustande gekommenen Vorlagen sogar am selben Tage den Parla¬ menten unterbreitet werden müssen. Dies entspreche dem Usus, mit welchem Redner, nebenbei bemerkt, allerdings nicht ganz einverstanden sei. <pb/>Nr. 39 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 29.10.1900 231 Der k.k. Finanzminister Ritter v. Böhm möchte seinerseits einige Bemerkungen zur Interpretation des Gesetzes vom Jahre 1880 machen und führt aus, daß wenn die §§ 2 und 3 im Zusammenhänge gelesen werden, man die dem Gesetze von den österreichischen Ministem gegebene Auslegung ganz von der Hand weisen könne. § 2 spreche davon, daß die Anlage von Eisenbahnen im Einvernehmen der beiden Regierungen zu erfolgen habe. § 3 statuiere eine Ausnahme von dieser Regel für den Fall, als für bleibende Investitionen, wie Eisenbahnbauten, die Mittel der Monarchie in Anspruch genommen werden müßten. In diesem Falle sei die Befassung beider Parlamente mit der Angelegenheit den beiden Regierungen zur Pflicht gemacht. Anders verhalte sich jedoch die Sache, wenn nicht die finanziellen Leistungen der Monarchie, sondern jene eines der Teüe derselben zur Deckung der Kosten von Eisenbahnanlagen herangezogen werden sollten. In einem solchen Falle sei jede der beiden Regierungen bloß auf die Ratifikation ihres Parlamentes angewiesen. Wenn von anderer Seite auf den bestehenden Usus hingewiesen worden sei, so möchte Redner sich zu bemerken gestatten, daß ein solcher Usus sich nicht herausgebUdet haben könne, weU ein derartiger Fall sich überhaupt noch nicht ergeben habe, da nämlich die bosnischen Eisenbahnen aus den Zentralaktiven gebaut worden seien.2 Mit Rücksicht hierauf glaube Redner, daß das Gesetz vom Jahre 1880 so gelesen werden müsse, daß in jenen Fällen, wo nicht die Mittel der Monarchie, sondern jene eines der beiden Teile derselben in Anspruch genommen werden, die Wahrung der verkehrspolitischen Inter¬ essen den beiden Regierungen anheim gestellt sei. Ein Fall dieser Art sei in dem von der österreichischen Regierung gestellten zweiten Altematiworschlage gegeben. Redner kann sich der von dem gemeinsamen Finanzminister ausgesprochenen Ansicht, daß sich schon in den nächsten Jahren ein Umschwung in den Anschauungen über die verkehrspolitische Bedeutung der Linie Bugojno-Ar2ano in der öffentlichen Meinung sowie in den Wählerschaften Ungars vollziehen werde, nicht anschließen, und ist daher nicht in der Lage, in dem Vorschläge des kgl. ung. Ministerpräsidenten eine absolute Garantie für das Zustandekommen der Linie Bugojno-Ar2ano zu erblicken. Der kgl. ung. Handelsminister v. Hegedüs bezeichnet es als ein stets festgehaltenes Prinzip, daß alle auf Bosnien bezughabenden Angelegenheiten durch die gemeinsame Regierung und dann durch die Legislativen der beiden Staats¬ gebiete der Monarchie durchgeführt werden. Von diesem Prinzipe sei seit zwanzig Jahren niemals abgewichen worden, und würde ein Abgehen von demselben große Gefahren in sich schließen, da dann jeder der beiden Staaten bald bezüglich der einen, bald bezüglich der anderen Angelegenheit selbständig würde Vorgehen wollen. Es könne kein Zweifel darüber bestehen, daß es sich im vorliegenden Falle um die Mittel der Monarchie handle, da die in Rede stehende Bahn ja aus den bosnischen Landes¬ mitteln gebaut werden solle, und diese letzteren in gewissem Sinne als gemeinsame Mittel aufzufassen seien. Was die Sicherstellung der Linie Bugojno-Ariano durch den Vp.rmittlnngsvorsr.hlag des kgl. ung. Ministerpräsidenten betrifft, so möchte Redner hervorheben, daß sich in Ungarn noch niemals der Fall ereignet habe, daß ein Gesetz¬ entwurf von der Regierung im Parlamente eingebracht worden sei, ohne dann der 2 Zum BegriffZentralaktiven siehe GMRProU v. 13.4.1896, GMCZ. 390, Anm. 12. <pb/>238 Nr. 39 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 29.10.1900 parlamentarischen Behandlung unterzogen und auch angenommen worden zu sein. Wenn eine Bestimmung einmal in den Motivenbericht aufgenommen sei und der Reichstag kein Veto dagegen einlegt, so sei die Sache als gesichert anzusehen. Der k.u.k. gemeinsame Finanzminister v. Källay führt aus, er sei immer der Meinung gewesen, daß nach dem Wortlaute des Gesetzes eine parlamenta¬ rische Behandlung der bosnischen Bahnen in beiden Legislativen nicht notwendig ist, wofern dafür nicht auf die Mittel der Monarchie zurückgegriffen werde. Es sei in Bosnien übrigens nur eine einzige Bahn aus den Mitteln der Monarchie gebaut worden, und zwar die Linie Brod-Zenica, welche aus dem Okkupationskredite zu einer Zeit gebaut worden sei, als das Gesetz vom Jahre 1880 noch nicht bestanden habe.3 Alle anderen Bahnen seien aus bosnischen Mitteln gebaut worden, da die zu diesem Zwecke den Zentralaktiven entnommenen Beträge nur entliehen worden seien, und es sich somit lediglich um ein Darlehensgeschäft gehandelt habe, bezüglich dessen, da Bosnien ohne Bewilligung der beiden Staatsgebiete der Monarchie kein Anlehen aufnehmen könne, allerdings die Ratifikation der beiden Parlamente notwendig gewesen sei. Das Gesetz vom Jahre 1880 enthalte nur eme Gegenüberstellung der Mittel Bosniens und jener der Monarchie; von den Mitteln der beiden Staaten sei darin nicht die Rede.4 Redner könne sich sogar eines Falles entsinnen, daß selbst ein kleines bosnisches Lokalinteresse - der Bau einer Brücke -, zu dessen Befriedigung eme kleine schweben¬ de Anleihe im Betrage von ungefähr 400 000 fl. aufgenommen werden mußte, in beiden Parlamenten verhandelt worden sei. Dies wolle Redner nur zur Erhärtung des nun einmal bestehenden Usus anführen. Der Versitzende glaubt, den schlagendsten Beweis für das Bestehen des erwähnten Usus in den gegenwärtigen Verhandlungen erblicken zu sollen, zu denen es gewiß nicht gekommen wäre, wenn nicht seitens aller Konferenzteilnehmer die Not¬ wendigkeit anerkannt worden wäre, über eine bezüglich der bosnischen Bahnbaupro¬ jekte einzubringende Gesetzvorlage zu verhandeln. Der kgl. ung. Ministerpräsident v. Szell wendet sich gegen die Ausführungen des k. k. Finanzministers, dessen Ausgangspunkt er nicht für ganz richtig hält, und beruft sich diesfalls sowohl auf den Usus als auch auf den Inhalt und Sinn des Gesetzesvom Jahre 1880. Im ersten Absätze des § 3 dieses Gesetzes wird der Grundsatz aufgestellt, daß die Verwaltung Bosniens und der Hercegovina so einzurichten sei, daß die Kosten derselben durch die eigenen Einkünfte derselben gedeckt werden, und nur in dem Falle, als diese Mittel hiezu nicht ausreichen, soU auf die Mittel der Monarchie (im Gesetze sei nicht gesagt gemeinsame Mittel) zuriiekgegriffen werden. Die Ratio dieses Gesetzes schließe geradezu die Inanspruchnahme der Mittel des einen oder des anderen Staates der Monarchie aus, und würde das selbständige Vorgehen eines Staates dem Prinzipe der Gemeinsamkeit widerstreiten. Von dieser Interpretation könne ohne ein Spezialgesetz nicht abgewichen werden. 3 Die Schmalspurbahn Brod -Zenica wurde im Sommer 1879fertiggestellt. Schmid, Bosnien und Herzego- vina unter der Verwaltung Österreich-Ungams 583. 4 Siehe Anm. 1. <pb/>Nr. 39 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 29.10.1900 239 Der k.k. Ministerpräsident v. Koerber erwidert hieranf, daß er den Alternativantrag b (oder II) nur für den Fall gestellt habe, als der Antrag a (beziehungs¬ weise I) der ungarischen Regierung nicht akzeptabel erscheine. Wenn nun der Antrag b, welcher österreichischerseits nur als ein Ausweg betrachtet worden sei, nicht ange¬ nommen werde, so sehe sich die österreichische Regierung in die Notwendigkeit versetzt, den Antrag a wiederaufzunehmen, um so eine tatsächliche Sicherstellung für den Ausbau der Linie Bugojno-Ar2ano zu erlangen, nachdem die österreichische Regierung von einer solchen beim besten Willen nicht absehen könnet Der kgl. ung. Ministerpräsident v. Szell spricht sich dahin aus, daß der Antrag a nicht annehmbar erscheine, da derselbe jetzt finanziell unmöglich sei und in das Gesetz nichts aufgenommen werden dürfe, was praktisch undurchführbar sei. Der k.k. Ministerpräsident v. Koerber glaubt, daß nachdem die bosnischen Landesmittel voraussichtlich nicht einmal für den Ausbau der Strecke Sarajevo-Uvac ausreichen werden, aufjeden Fall sich die Notwendigkeit derAufnahme einer Anleihe heraussteilen werde, und daß, wenn zu diesem Zwecke schon 85 Millio¬ nen Kronen aufgenommen werden müssen, dann auch noch ein weiterer Betrag von 47 Millionen Kronen für den Bau der Linien Bugojno-Ariano und Samac-Doboj aufge¬ nommen werden könnte. Redner erklärt sich übrigens bereit, den Passus betreffend die eventuelle finanzielle Vorsorge jeder der beiden Regierungen fallen zu lassen, wodurch die Frage der Interpretation des Gesetzes vom Jahre 1880 vermieden würde. Der kgl. ung. Ministerpräsident v. Szell ergreift hierauf nach einer Zwischenpause neuerdings das Wort, um auszuführen, daß er sich, um die österreichi¬ scherseits gehegten Bedenken zu zerstreuen, entschlossen habe, der österreichischen Regierung noch um einen Schritt weiter entgegenzukommen und noch über seinen zu Beginn der heutigen Sitzung gestellten Vermittlungsvorschlag hinauszugehen. Redner stellt sodann namens der ungarischen Regierung folgenden Antrag: Die ungarische Regierung erklärt sich bereit, eine auf den Ausbau der Linien Samac-Doboj und Bugojno-ArZano bezügliche Vorlage dem ungarischen Reichstage zu einem solchen Zeitpunkte zu unterbreiten, daß der Ausbau dieser beiden Linien längstens zwei Jahre nach der Fertigstellung der Linie Sarajevo-Uvac begonnen werden könne. Redner ist der Ansicht, daß dieser Antrag sozusagen mehr Stoff habe und bezüglich des Zeitpunktes der Inangriffnahme des Baues der beiden vorerwähnten Linien eine noch größere Garantie biete als sein Antrag, demzufolge die ungarische Regierung sich verpflichten sollte, längstens binnen zwei Jahren nach Fertigstellung der Hauptlinie dem ungarischen Reichstage eine einschlägige Vorlage zu erstatten. Der k.k. Ministerpräsident v. Koerber erklärt, auch in diesem Anträge nur eine andere, wenn auch vielleicht erschöpfendere Stüisierung erblicken zu können, welche den wesentlichen Punkt noch immer offenlasse und in dieser Beziehung keine größere Sicherheit gebe, als dervon dem kgl. ung. Ministerpräsidenten zu Beginn der Sitzung gestellte Vermittlungsvorschlag. Wenn gesagt worden sei, daß es nicht möglich sein würde, den Legislativen schon jetzt Auskunft über die Mittel zu geben, aus welchen die Linien Bugojno-ArZano und Samac-Doboj gebaut werden sollen, so müsse 5 Siehe GMRv. 27.10.1900, GMCZ. 426. <pb/>240 Nr. 39 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 29.10.1900 Redner demgegenüber bemerken, daß, wenn die Möglichkeit vorhanden sei, den Parlamenten über die Beschaffung der Mittel zum Ausbau der Linie Sarajevo-Uvac Auskunft zu geben, man umso eher in der Lage sein werde, diesbezüglich der anderen beiden Linien zu tun, da diese letzteren jedenfalls rentabler seien als die Sandschaklinie. Redner schließt mit der Erklärung, daß er den letzten Vermittlungsvorschlag des kgl. ung. Ministerpräsidenten nicht akzeptieren könne, da derselbe die österreichischerseits angestrebte Sicherheit nicht biete. Der kgl. ung. Ministerpräsident v. Szell wül die Möglichkeit nicht in Abrede stellen, daß die Linien Samac-Doboj und Bugojno-Ariano rentabler seien als die Linie Sarajevo-Uvac, die letztere sei jedoch im Hinblicke auf die damit zusam¬ menhängenden großen politischen und müitärischen Interessen der Monarchie not¬ wendiger. Bei finanziellen Abmachungen handle es sich in sehr wesentlichen Maße um die Höhe des aufzunehmenden Betrages. Eine Anleihe im Betrage von 85 Millionen Kronen würde seitens der bosnischen Regierungen zu dem gedachten Zwecke voraus¬ sichtlich aufgebracht werden können, nicht aber eine solche im Betrage von 132 Millionen Kronen. Der k.u.k. gemeinsame Finanzminister v. Källay glaubt darauf aufmerksam machen zu sollen, daß die Linien Bugojno-Arfano und Samac-Doboj sich jedenfalls nicht gleich von Anfang an rentieren würden, und daß es zum Zwecke der Verzinsung und Amortisation des eigentlichen Baukapitals während der ersten fünf bis sechs Jahre notwendig sein werde, dieses Kapital um einen entsprechenden Zuschlag zu erhöhen, wodurch die aufzunehmende Anleihe auf einen Betrag von nahezu 150 Millionen Kronen gebracht werden müßte. Redner bezweifelt, ob es möglich sein werde, mit einer so großen bosnischen Anleihe auf den Markt zu treten. Für die Stellung der Monarchie im Oriente sei es übrigens ein großer Unterschied, ob nach allem, was diesfalls in der Presse des In- und Auslandes geschrieben worden sei, die Linie nach der Sandschakgrenze überhaupt nicht zustande kommt, weü die Regierungen sich nicht darüber einigen konnten, oder ob der bereits beschlossene Bahnbau bloß etwas hinaus- geschoben wird, weü momentan wegen der ungünstigen Verhältnisse auf dem Geld¬ märkte das erforderliche Geld nicht aufgebracht werden konnte. Der kgl. ung. Ministerpräsident v. Szell hält seinen letzten Vor¬ schlag, awelcher den sofortigen Ausbau der Linie Sarajevo-Sandschakgrenze sicher¬ stellt und die seinerzeitige möglichst baldige Fertigstellung der Bahnen Doboj-Samac und Ar2ano-Bugojno ebenfalls ausspricht,3 für den einzig möglichen unter den gegen¬ wärtigen Verhältnissen, und bittet die österreichischen Minister, denselben nochmals in eingehende Beratung zu ziehen und sonach ihre Schlußfassung der ungarischen Regierung schriftlich mitzuteüen.6 Einfiigung Szills. 6 Das Schreiben des k. k. Ministerpräsidenten an den kgl. ung. Ministerpräsidenten war nicht auffindbar. Der kgl. ung. Ministerpräsident berichtete aber im GMR v. 6. 11.1900, GMCZ. 429, darüber, daß die beiden Regierungen Übereinstimmung erzielt hätten. <pb/>Nr. 40 Gemeinsamer Ministerrat, Budapest, 6.11.1900 241 Der k.u. k. gemeinsame Finanzminister v. Källay bittet, daß die Entscheidung jedenfalls nicht allzulange hinausgeschoben werden möge, da er erst dann an die Finanzkreise herantreten könne, wenn zwischen den beiden Regierungen ein Einverständnis erzielt sein werde. Der Vorsitzende ergreift hierauf das Wort, um zu erklären, daß er sich gestattet habe, sich Sr. k. u. k: apost Majestät gegenüber dahin auszusprechen, daß die Linie Sarajevo-Uvac gebaut werden müsse, und er, falls dieses Projekt nicht zustande kommen sollte, nicht in der Lage wäre, noch weiter die Verantwortung für die äußere Politik der Monarchie zu tragen. Der k.k. Ministerpräsident v. Koerber ist bereit, den letzten Vor¬ schlag des kgl. ung. Ministerpräsidenten nochmals in Erwägung ziehen zu wollen, glaubt aber nicht, daß es der österreichischen Regierung möglich sein werde, demselben zuzustimmen. Mit Beziehung auf die letzte Äußerung des Vorsitzenden erklärt Redner, daß er seinerseits die Verantwortung für die innere Politik zu tragen habe und es sogar vorziehen würde, Se. Majestät zu bitten, ihn von der ihm übertragenen Mission Ag. zü entheben, als für eine Lösung der Frage einzutraten, welche die innere Situation in unabsehbarer Weise komplizieren würde. Nachdem hierauf noch ein zur Hinausgabe an die Presse bestimmtes Kommunique über den derzeitigen Stand der in Beratung stehenden Frage im Einvernehmen mit allen Konferenzteflnehmern redigiert worden ist,7 schließt der Vorsitzende die Sitzung mit der Bemerkung, daß er sich Vorbehalte, die Befehle Sr. Majestät wegen eventueller Einberufung einer gemeinsamen Ministerkonferenz unter dem Ah. Vorsit¬ ze einzuholen. Gotuchowski Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Kenntnis genommen. Wien, 14. Dezember 1900. Franz Joseph. Nr. 40 Gemeinsamer Ministerrat, Budapest, 6. November 1900 RS. (undRK.) Gegenwärtige: der kgl. ung. Ministerpräsident v. Sz^ll, der k. k. Ministerpräsident v. Koerber, der k. u. k. gemeinsame Finanzminister v. Källay (26.11., Sarajevo), der kgl. ung. Finanzminister v. Lukäcs, der kgl. ung. Handelsminister v. Hegedüs, der k. k. Eisenbahnminister Ritter v. Wittek, der k. k. Finanzminister Ritter Böhm [v. Bawerk], der k. k. Handelsminister Freiherr v. Call. Protokollführer Sektionsrat Freiherr v. Gagem. Gegenstand: Die Frage der bosnischen Bahnen. KZ. 84 - GMCZ. 429 Protokoll des zu Budapest am 6. November 1900 abgehaltenen Ministerrates für gemeinsame Angelegenheiten unter dem Vorsitze des k. u. k. gemeinsamen Ministers des Äußern Grafen Gohichowski. 7 Neue Freie Presse v. 30.10.1900 (M.). <pb/>