Gemeinsamer Ministerrat, 2. 2. 1893
I. Maßnahmen zum weiteren Ausbau unserer Wehrmacht
Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_IV/pdf/oe_hu_mrp_IV_z61.pdf.
Nr. 61* Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 2. 2. 1893 567 Titel Post Gulden 39 Einmaliges Erfordernis aus Anlaß der Komplettierung der 271 563 auf vermindertem Friedensstande gewesenen 14 Batterie¬ 40000 divisionen auf den normalen Friedensstand; vom Gesamt- 22889 erfordemisse von 940000 fl. die zweite Rate mit 136400 40 Einmaliges Erfordernis zur Durchführung der Reorgani¬ 38000 sation der Festungsartillerie; vom Gesamterfordernisse 23487 von 338 768 fl. die dritte Rate von 130540 16126965 41 Beschaffung von Pferden für die Aufstellung von 5 Kadern für mobile Belagerungsbatteriegruppen; vom Gesamt¬ erfordernisse von 38 149 fl. der Teilbetrag von 42 Einmaliges Erfordernis aus Anlaß der Umwandlung zwei¬ er Geniebataillone in Pionierbataillone, dann für den Er¬ satz des vom Pionierregimente an die Genietruppe abgege¬ benen Kriegsbrücken-Übungsmaterials, endlich Erforder¬ nis für leichte Divisionsbrückentrains 43 Einmahges Erfordernis aus Anlaß der Errichtung von fünf Traineskadronen 44 Beschaffung von 72 Fohlen zur Erhöhung des Remonten- standes im Remontendepot zu Nagy-Daäd-Säri 45 Beschaffung von 400 Fohlen für ein neu aufzustellendes Remontendepot Zusammen das außerordentliche Erfordernis für das Jahr 1893 Nr. 61 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 2. Februar 1893 RS. (und RK.) Gegenwärtige: der k. k. Ministerpräsident Graf Taaffe (o. D.), der kgl. ung. Ministerpräsident Wekerle (22. 2.), der k. u. k. gemeinsame Finanzminister v. Källay (14. 2.), der k. u. k. gemeinsame Kriegsminister FZM. Freiherr v. Bauer (14. 2.), der k. k. Landesverteidigungsminister FZM. Graf Welsersheimb (19.2), der kgl. ung. Landesverteidigungsminister GdK. Freiherr v. Fejerväry (21.2.), der k. k. Finanzminister Steinbach (o. D.), der kgl. Ung. Minister am Ah. Hoflager Graf Tisza (20. 2.), der k. u. k. Chef des Generalstabes FZM. Freiherr v. Beck (15. 2.), der k. u. k. Marinekom¬ mandant Admiral Freiherr v. Stemeck (19. 2.). Protokollführer: Hof- und Ministerialrat Ritter v. Khu. Gegenstand: Maßnahmen zum weiteren Ausbau unserer Wehrmacht. KZ. 11-RMRZ. 377 Protokoll des zu Wien am 2. Februar 1893 abgehaltenen Ministerrates für gemeinsame Angelegenheiten unter dem Vorsitze des k. u. k. gemeinsamen Ministers des Äußern Grafen Kälnoky. <pb/>568 Nr. 61 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 2. 2. 1893 Der Vorsitzende eröffnet die Sitzung, indem er als Zweck der heutigen Beratung eine eingehende Besprechung der Mitteilungen des k. u. k. Kriegsmi¬ nisters bezeichnet, welche letzterer den Mitgliedern der Konferenz über die allgemeinen militärischen Verhältnisse Ende 1892 hat zukommen lassen,1 um nachzuweisen, daß wir mit den großen Fortschritten, die von den übrigen Mächten in der Vervollständigung ihrer Kriegsvorbereitungen gemacht wurden, nicht gleichen Schritt halten, wodurch es nun im Interesse der Sicherheit der Monarchie unabweislich erscheint, Maßregeln in Erwägung zu ziehen, durch welche dieses Mißverhältnis ausgeglichen werden kann. Indem der Redner die weitere Ausführung der militärischen Gesichtspunkte dem Kriegsminister an¬ heimstellen muß, will er seinerseits nur noch einiges zur Beleuchtung der politi¬ schen Lage verbringen. Wir befanden uns in einem Zustande, der eine ganz eigenartige Charakteristik aufweist. Es ist nicht zu leugnen, daß alle Monarchen und Regierungen und auch der Kaiser von Rußland sich vollkommen der großen Gefahren und unheilvollen Folgen eines europäischen Krieges sowie der unberechenbaren Konsequenzen desselben auf die eigene innere Situation bewußt sind; auch bezüglich der Ungewißheit der im besten Falle durch einen Krieg zu erreichen¬ den Vorteile macht sich niemand Illusionen. Man ist daher von dieser Seite geneigt, alles zu tun, um den Krieg zu vermeiden, so daß heute allerdings gesagt werden könne, daß eine imminente Kriegsgefahr nicht besteht. Trotzdem ist die allgemeine Stimmung eine nervöse, leicht erregbare, und spielen in unserer Zeit unerwartete Inzidenzfälle eine große Rolle. Die Bedeutung und Gefahr der letzteren werde noch gesteigert, je weiter alle Staaten in ihren Kriegsvorberei¬ tungen fortschreiten, bis endlich vollkommen kriegsbereite Armeen einander gegenüberstehen, die jeden Augenblick zum Angriff zu schreiten vermögen. Bei den Staaten Westeuropas, deren Wehrverfassung auf dem Prinzip der allgemei¬ nen Wehrpflicht beruht, bilden militärische Rüstungen und Vorbereitungen noch keine direkte Bedrohung der Nachbarn, da zum wirklichen Beginn des Krieges erst die vorgängige Mobilisierung der Armee notwendig ist. Anders steht die Sache bei Rußland, welches bisher mit großer Konsequenz ein System durchgeführt hat, das mit Rücksicht auf seine geographischen und inneren Verhältnisse als klug und den angestrebten Zwecken entsprechend bezeichnet werden muß. Rußland hat fast seine ganze Armee nach und nach aus dem Osten und dem Innern des Reiches herausgezogen und an seinen westlichen Grenzpro¬ vinzen aufgestellt, wo es sich gleichzeitig eine fast undurchbrechbare Defensiv¬ stellung geschaffen hat. Es besitzt also ein vollkommen ausgerüstetes, gewaltiges stehendes Heer, durchaus aus Berufssoldaten bestehend, und ein stets fertiges Instrument, welches zu jeder Zeit bereit sein kann, in Aktion zu treten, um die Grenze zu überschreiten. An dieser Sachlage wird dadurch nichts geändert, wenn die pohtische Situation, die ja naturgemäß eine schwankende ist, sich Denkschrift über die allgemeinen militärischen Verhältnisse Ende 1892 mit einem Anhänge Darstellung der russischen Kriegsvorbereitungen seit dem Jahre 1866. Zum reservierten Dienstgebräuche als Manuskript gedruckt, KA., MKSM., Separatfaszikeln, Fase. 90, Nr. 3. <pb/>Nr. 61 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 2. 2. 1893 569 zeitweilig bessert; selbst wenn alle augenblicklich im Vordergründe stehenden politischen Differenzen sich ausgleichen würden, so bliebe doch immer dieses riesige kriegsbereite Heer an unserer Grenze stehen, und es würde trotz der beruhigten politischen Lage unsere militärische Situation Rußland gegenüber eine nicht minder bedrohte bleiben. Es ist nicht zu verkennen, daß ungeachtet der ,,Kronstadt"er Ereignisse2 der Kaiser von Rußland Frankreich gegenüber eine gewisse Zurückhaltung bewahrt habe und daß die, durch die Panama-Affä¬ re aufgedeckte Fäulnis der inneren Verhältnisse Frankreichs auch dazu beitra¬ gen dürfte, den Kaiser in dieser Reserve zu bestärken. Dies könne gewiß nur zur Besserung der politischen Situation beitragen, ändere aber nichts an der geschilderten militärischen Lage und ihrer Bedrohlichkeit. Der Minister des Äußern kann daher nur im Interesse der äußeren Machtstellung der Monarchie auf das wärmste befürworten, daß die Fragen der Entwicklung unserer militäri¬ schen Aktionskraft und des Ausbaues unserer Wehrkraft auf das ernsteste in Erwägung gezogen und denselben, soweit es unsere Finanzen erlauben, Rech¬ nung getragen werden möge, um nicht zu weit zurückzubleiben und der bedroh¬ lichen militärischen Lage nach Möglichkeit gewachsen zu sein. Der k. u. k. Reichskriegsminister FZM. Freiherr v. Bauer weist bezüglich der allgemeinen militärischen Lage im Jahre 1892 auf die Aus¬ führungen der in Händen der Konferenzteilnehmer befindlichen Denkschrift hin,3 welche alle Daten enthalte, um einen Überblick über die seit 1870 von den anderen Staaten und von uns getroffenen Maßnahmen zur Entwicklung und Verstärkung der Heereskraft zu bieten. Auf Grund der dargestellten Verhältnis¬ se sind die Anhaltspunkte für den Ausbau unserer Wehrmacht ausgearbeitet worden, welche die Vorkehrungen bezeichnen, welche unabweislich notwendig in den nächsten Jahren auszuführen wären, um das Mißverhältnis zu beseitigen, welches sich zwischen der Entwicklung unserer Wehrmacht und jener der frem¬ den Staaten herausgebildet hat, und so die Armee in den Stand zu setzen, vorkommendenfalls die Interessen der Monarchie mit berechtigter Aussicht auf Erfolg vertreten zu können. Es sei dabei ins Auge gefaßt worden, daß der Ausbau unserer Wehrmacht im Wege einer sukzessiven stetigen Entwicklung stattfinde und daß den bestimmten Intentionen Sr. k. u. k. apost. Majestät gemäß nur im Rahmen des bestehenden Wehrgesetzes und unter Rücksichtnah¬ me auf die Erhaltung des finanziellen Gleichgewichtes in den Budgets der beiden Teile der Monarchie vorgegangen werde. - Es seien Berechnungen der in diesem Sinne ausgearbeiteten Ansprüche der Heeresverwaltung den Teilnehmern der Konferenz vorgelegt worden, und es handle sich nun, daß festgestellt werde, welches die Summe sei, welche mit Rücksicht auf die Finanzlage der Monarchie zum Zwecke des notwendigen Ausbaues unserer Wehrmacht, u. zw. für alle Zweige derselben, das stehende Heer, die k. k. und die kgl. ung. Landwehr sowie die k. u. k. Kriegsmarine, geleistet werden könne. - Es seien die bezüglichen Anträge für den Zeitraum vom Jahre 1893 bis zum Jahre 1899 ausgearbeitet, Der Flottenbesuch in Kronstadt am 21. Juli 1891. Siehe Anm. 1. <pb/>570 Nr. 61 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 2. 2. 1893 und würde das Mehrerfordernis im nächsten Budget (pro 1894) für das k. u. k. Heer 9 221 000 fl., für die k. k. Landwehr 1 000 000 fl., für die kgl. ung. Land¬ wehr 600 000 fl., für die k. u. k. Kriegsmarine 1 100 000 fl. - also im ganzen 11,9 Millionen betragen. Der k. u. k. Reichskriegsminister erbittet sich eine bestimm¬ te Beantwortung der Frage über das Minimum dessen, was die beiden Teile der Monarchie zu leisten in der Lage wären, da, wenn die auf Grund der militäri¬ schen Gesichtspunkte unabweislich erscheinenden Ansprüche der Militärver¬ waltung mit Rücksicht auf die finanzielle Leistungsfähigkeit durchaus nicht ganz erfüllt werden könnten, seine Verantwortung für die Folgen der Herabset¬ zung dieser Ansprüche eine geminderte wäre. Der k. u. k. Chef des Generalstabes FZM. Freiherr v. Beck ergreift das Wort, um, bevor in die Erörterung der finanziellen Frage eingegangen werde, noch einige Rückblicke auf die vorliegende Denkschrift über die allgemeinen militärischen Verhältnisse Ende 1892 sowie die daran anschließenden Anhaltspunkte für den weiteren Ausbau unserer Wehrmacht4 zu werfen. Im Laufe der letzten Jahre seien bei allen fremden Armeen namhafte Veränderungen eingetreten, die Präsenzstände würden wesentlich erhöht, die Kriegsstände gesteigert und die Militärbudgets sehr vergrößert. Wie aus der Denkschrift hervorgeht, ist beispielsweise das deutsche Budget in den letzten Jahren um 335 Millionen Francs, dagegen unseres nur um 184 Millionen Francs gestiegen. Deutschland hat in derselben Zeit sein Heer 1. Linie um 257 Batterien, Rußland, bei einer gleichen Budgetsteigerung wie Deutschland, sein Heer 1. Linie um 237 Bataillone, 438 Eskadronen, 165 Batterien, sein Heer 2. Linie um 718 Bataillone, 93 Batterien, und jenes 3. Linie um 640 Bataillone, 80 Eskadro¬ nen, 80 Batterien vermehrt, während wir in derselben Zeit unser Heer 1. Linie gar nicht, jenes der 2. Linie bloß um 35 Bataillone, 61 Eskadronen und jenes der 3. Linie um 232 Bataillone, 30 Eskadronen vergrößert haben. Was weiter die Präsenzstärke anbelange, so habe Rußland seinen Präsenz¬ stand seit 1886 ununterbrochen gesteigert, so 1890 um mehr als 600 Offiziere und 40 000 Mann, 1892 um mehr als 500 Offiziere, 10 000 Mann, im ganzen binnen sieben Jahren um 2600 Offiziere, 116 000 Mann, 11 000 Pferde, 526 Geschütze. - Deutschland, das sein Heer in den letzten fünf Jahren rasch nacheinander vermehrte, hat 1887 den Präsenzstand um 59 000 Mann (30 Bataillone Infanterie, 24 Batterien) und das Militärbudget um 60 Millionen Mark, 1890 den Präsenzstand um 18 000 Mann (5 Battaillone Infanterie, 70 Batterien) und das Budget um 63 Millionen Mark erhöht. Die dermalen im deutschen Reichstag in Verhandlung stehenden weiteren Vermehrungspläne seien bekannt. Wir haben aber in den letzten Jahren bekanntlich für die Erhö¬ hung des Präsenzstandes so gut wie nichts getan; erst 1892 und 1893 wurden je 225 neue Offiziersstellen kreiert und 1893 eine kleine Standeserhöhung bei 25 4 Anhaltspunkte für weiteren Ausbau unserer Wehrmacht als Beilage zur Denkschrift über die allgemeinen militärischen Verhältnisse Ende 1892, KA., MKSM., Separatfaszikeln, Fase. 90, Nr. 3. <pb/>Nr. 61 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 2. 2. 1893 571 Infanterieregimentern - nebst einigen Standeserhöhungen bei den Landwehren vorgenommen. Die Kriegsstände betragen jetzt im Maximum in Österreich-Ungarn 1 800 000, in Rußland 3 800 000, in Italien 1 900 000, in Deutschland 2 800 000 (künftig eventuell 3 200 000) Mann. Uns ausgenommen sind alle diese Staaten mehr-weniger bei ihrer Maximalleistungsfähigkeit angelangt, und die Armeen unterscheiden sich nurmehr hinsichtlich der Präsenzstärke und der Intensität der Ausbildung. Besonders auffällig sei der Unterschied zwischen uns und Deutschland. Als Erklärung hiefür sei der Umstand hervorgehoben worden, daß Deutschland voraussichtlich auf 2 Fronten kämpfen müsse. Dies sei aller¬ dings richtig, aber auch wir sind einigermaßen auf der Balkanhalbinsel gebun¬ den und müssen uns gegen Rußland auf zwei Fronten - gegen Norden und Osten - wehren, was durch den langen und schmalen Aufmarschraum in Gali¬ zien, mit den Karpaten im Rücken, sehr erschwert werde. Die russische Armee steht im Militärbezirke Warschau und Kiew schon vom ersten Mobilisierungstage an mit 405 Bataillonen, 280 Eskadronen, 157 Batte¬ rien auf sehr hohem Stande. Der Friedensstand von 288 000 Mann entspreche einem Kriegsstande von mehr als sieben k. u. k. Korps. Demgegenüber haben wir in Galizien am ersten Mobilisierungstage nur 79 Linienbataillone mit sehr schwachen Ständen, 84 Eskadronen, 42 Batterien. Die Landwehr sei absolut nicht zu zählen. Die Russen wären sonach in der Lage, Operationen mit bedeutender Kraft, ohne erst Komplettierung abzuwarten, zu eröffnen. - Nach dem, was wir über den russischen Aufmarsch wissen, wird Rußland 28 Kavalleriedivisionen und 66 Infanteriedivisionen gegen uns und Deutschland in Verwendung bringen. Deutschland aber kann, auch bestenfalls, nur einen kleinen Teil seiner Kraft gegen Rußland aufbieten, weil es sonst am Rhein viel zu schwach wäre. Wir müssen daher uns damit vertraut machen, nach und nach den größten Teil der russischen Kraft allein bekämpfen zu müssen, und haben dazu nur 8 Kavallerie-, 28 Linieninfanterie-, dann 13 minderwertige Landwehrdivisionen. Wir können daher für den Erfolg nur auf die Raschheit und größere Operationsgewandtheit rechnen. Bei diesem Anlasse glaubt der Chef des Generalstabes nicht unerwähnt lassen zu sollen, daß beispielsweise an der Ostfront Galiziens (Brody - Czernowitz) 9-10 russische Kavalleriedivisio¬ nen aufmarschieren. Die Russen sollen den Krieg, sozusagen, ä la tartare zu führen beabsichtigen, und ist daher auf obiger Linie sowie an der Nordfront ein Einbruch bis weit nach Ungarn geplant, um bei uns die Mobilisierung und den Aufmarsch zu stören und Unruhen bei stammverwandten Nationen hervorzu¬ rufen. Angesichts dieser Situation sei die Verantwortung so groß, daß es als ein Beweis unserer außerordentlichen Mäßigung anzusehen sei, daß wir nicht längst ganze Divisionen oder Korps nach Ostgalizien verlegten und den Stand der Truppen in Galizien ausgiebig erhöht haben. Wer aber die Verantwortung für den Krieg und dessen Verlauf zu tragen habe, müsse erklären, daß wir nun am Ende unserer Zurückhaltung angelangt seien. - Dies sei der Entstehungsgrund der Denkschrift und der beantragten Maßnahmen zur Erhöhung unserer Wehr- <pb/>572 Nr. 61 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 2. 2. 1893 kraft. Trotz des Ernstes der Lage sei bei Ausarbeitung der Denkschrift der finanzielle Standpunkt streng im Auge behalten und keine exorbitanten, uner¬ füllbaren Forderungen gestellt worden. Ungeachtet des Drängens des preußi¬ schen Generalstabes, mit großem Geldaufwand raschestens und sprungweise zu arbeiten, ist der Entwurf unsererseits doch auf einen ruhigen, sukzessiven Aus¬ bau unserer Wehrmacht gestellt, der die Budgets von Heer und Landwehr nur nach und nach höchstens in Summe um 7 1/2 Millionen jährlich steigern wird. Hievon entfallen auf die im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder 5,1, auf Ungarn 2,5 Millionen und es würde hievon anfänglich das Heer 6 Millionen, die stark im Rückstände gebhebene k. k. Landwehr 1 Million, die weiter vorge¬ schrittene kgl. ung. Landwehr 600 000 fl. in Anspruch nehmen, während vom Jahre 1896 an, d. i. nach Erfüllung der dringendsten Erfordernisse des Heeres, das letztere vergleichungsweise weniger, dabei aber die Landwehren mehr zu bekommen hätten. Dementsprechend wurde die budgetäre Zusammenstellung der Gesamtauslagen für die beantragten Maßnahmen ausgearbeitet und diese Gesamtauslagen, welche gegenüber den heutigen Budgets ein Mehrerfordernis von rund 79 Millionen betragen (Heer über 59 Millionen, k. k. Landwehr über 18 Millionen, kgl. ung. Landwehr über 11 Millionen) auf die Jahre 1894 bis 1899 angemessen verteilt. Der Chef des Generalstabes geht nun in eine Besprechung der beantragten Maßnahmen ein, indem er im allgemeinen hervorhebt, daß alle diese Maßnah¬ men sich auf Ausgestaltung und Besserung des Bestehenden beschränken. Sie umfassen daher beim Heer fast nur die bereits eingeleitete Vermehrung der Berufsoffiziere, die Standeserhöhung der Infanterie um neun Mann per Kompa¬ gnie, die Vermehrung der Urlauberpferde bei der Kavallerie, die Vermehrung der Gewehr- und Geschützvorräte und die Beschleunigung der wichtigsten Festungsbauten. Nur bei der Feldartillerie sei eine geringe Vermehrung der Batteriezahl unaufschiebbar, weil die russischen Korps 128, unsere nur 120 Geschütze haben. Von den oben aufgezählten Maßnahmen sei die Vermehrung der Berufsoffi¬ ziere ganz besonders wichtig, nicht bloß um mit einer zureichenden Zahl aus¬ marschieren zu können, sondern hauptsächlich für die vermehrten Ersatzforma¬ tionen, welche unerläßlich sind, damit die Feldtruppen nach großen Verlusten wieder komplettierbar seien und nicht verschwinden. Auch für den Landsturm würden zahlreiche Berufsoffiziere benötigt. - Die geplante Mannschaftsstan¬ deserhöhung um neun Mann per Kompagnie sei ohnedem sehr klein, leider wäre auf Basis des Wehrgesetzes eine bedeutendere Erhöhung nicht möglich, und alle Anträge basieren auf dem bestehenden Wehrgesetze. Eine radikale Abhilfe wäre nur denkbar, wenn durch ein neues Wehrgesetz mehr Rekruten zur Verfü¬ gung gestellt würden. Momentan sei nun allerdings eine solche Änderung ausgeschlossen, womit jedoch nicht gesagt sein solle, daß nicht, wenn der Friede erhalten bleibt und andere Mächte dem deutschen Beispiele folgen, auch wir in den nächsten Jahren dasselbe tun müßten; dann würde allerdings ein größerer Geldaufwand nicht zu vermeiden sein. Sehr wesentlich seien die Anträge bezüg¬ lich der Landwehren. Man könne nur mit Bangen daran denken, was geschehen <pb/>Nr. 61 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 2. 2. 1893 573 würde, wenn die Landwehrdivisionen in ihrem heutigen Zustande (besonders jene der k. k. Landwehr) in den ersten Tagen an den Feind kämen, und doch wäre dies nicht zu umgehen, weil uns sonst die gegnerische Übermacht erdrük- ken würde. - Die russischen Reserveatruppen haben schon im Frieden ähnliche Stände wie unsere Linie, unsere Landwehrtruppen sind mit ihnen nicht zu vergleichen. Hier sei also eine Sanierung unaufschiebbar. Bei der k. k. Landwehr erfordere diese Sanierung die Einführung der zweijährigen Präsenzpflicht behufs intensiverer Ausbildung und Erhöhung der Kaderstände. Der scheinbare Erfolg der jetzigen Kaderstände und ihre Ausbildung könne nur als eine gefährliche Manövrierillusion angesehen werden. Aber auch die Zahl der Berufsoffiziere müsse ausgiebigst vermehrt werden. Nebstdem sei der Ausbau der k. k. Landwehrkavallerie dringend geboten. Die kgl. ung. Landwehr sei relativ weiter vorgeschritten als die k. k. Landwehr, könne und solle aber durch volle Ausnützung der zweijährigen Präsenzpflicht ebenfalls noch mehr erreichen. Die Vermehrung der Offiziere sei besonders wichtig, weil das Heer wegen Mangel an ungarischsprechenden Offizieren für den ungarischen Landsturm gar nicht sorgen könne. Unser Landsturm stehe bis jetzt fast nur am Papier, darüber könne man sich keine Illusion machen; der größte Übelstand sei die mangelnde Meldepflicht, ohne welche eine Kontrolle und Scheidung der einrückenden Massen nicht möglich sei und welche daher bei nächster Gelegeheit durch eine Gesetzände¬ rung geschaffen werden müßte. Ein weiteres Erschwernis der Mobilisierung liege in dem vollständigen Mangel an Kadern für den Landsturm, zu den größten Bedenken aber gäben die Offizierselemente des Landsturms Anlaß. Ohne gute Berufsoffiziere als Bataillons- und Kompagniekommandanten sei zu befürch¬ ten, daß aus den der Dienstpflicht entwöhnten alten Soldaten nur unordentliche Haufen und keine geordneten Truppen werden. Das Menschenmaterial des Landsturms sei aber sehr wertvoll, und wir brauchen speziell in einem Krieg mit Rußland unweigerlich zahlreiche Landsturmformationen, u. zw. nicht bloß Auszugs-, sondern auch territoriale Formationen, u. zw. nicht erst im späteren Verlaufe des Krieges, sondern gleich bei Beginn der Mobilisierung für sehr viele Nebenverwendungen, zunächst um im Vereine mit der Gendarmerie die Gren¬ zen, den Aufmarschraum und auch weit zurückliegende Gebiete, wie die Über¬ gänge in die Märamaros und nach Siebenbürgen zu schützen, unsere Auf¬ marschbahnen zu sichern; zu verhüten, daß die feindliche Kavallerie Schrecken und Panik bis weit nach Ungarn trage, usw. Angesichts der großen Erfordernisse für Heer und Landwehr, deren rasche Besserung für uns absolute Existenzfrage sei und deren Verhalten vielleicht in Bälde das Schicksal der Monarchie entscheiden werde, könne für die Kriegsma¬ rine nicht viel geschehen. Jedenfalls aber müsse sie imstande sein, ihrer wichtig¬ sten Aufgabe, d. i. der Sicherung unserer Küste, jederzeit nachzukommen, eventuell auch mit einer die heutige Zahl großer Schlachtschiffe nicht überstei- Einfägung Becks. <pb/>574 Nr. 61 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 2. 2. 1893 genden, aber modernen Anforderungen vollständig entsprechenden Streitkraft mit Ehren an der Aktion einer verbündeten Flotte teilzunehmen. Derkgl. ung. Ministerpräsident Wekerle erklärt, daß er gegen die vorausgegangenen Darstellungen der politischen Situation sowie der allge¬ meinen militärischen Verhältnisse einen Widerspruch nicht erheben könne und anerkenne, daß seitens der anderen Mächte enorme Anstrengungen zur Errei¬ chung der Kriegsbereitschaft gemacht worden seien, und es daher auch für uns unabweislich sei, ein beschleunigteres Tempo bei Durchführung der zum Aus¬ bau unserer Wehrmacht nötigen Maßnahmen eintreten zu lassen. Heute wäre er aber nicht in der Lage, schon eine endgültige Erklärung über die Ziffer zu geben, bis zu welcher die kgl. ung. Regierung in Hinblicke auf die Leistungsfä¬ higkeit des Landes in den nächsten sechs Jahren zur Bestreitung der Mehranfor¬ derungen für die Wehrmacht der Monarchie gehen könne. Er müsse sich dazu eine Zeit zum Studium der ihm eben erst zugekommenen Vorlagen sowie zur Beratung mit seinen Kollegen Vorbehalten. Er wolle vorerst nur auf einen Punkt hinweisen, der sich angesichts der Vorlagen der Kriegsverwaltung aufdränge. Schon voriges Jahr sei seitens der beiderseitigen Regierungen die Geneigtheit ausgesprochen worden, zum Zwecke des sukzessiven Ausbaues unserer Wehr¬ macht in nächster Zeit bfür die gemeinsamen Auslagen1* jährlich bis zu 4 Millio¬ nen mehr zu widmen. Tatsächlich übrigens sei man voriges Jahr bis zu einer Mehrbewilligung von 5 Millionen gegangen, zu denen für Ungarn noch die Kosten der lediglich strategischen Bahn Märamarossziget (14 1/2 Millionen in drei Jahren) kommen. Wenn man nun obige, voriges Jahr bereits angebotene Summe des jährlichen Mehrerfordemisses per 4 Millionen in Anschlag bringt, so repräsentiere die hiemit für 6 Jahre angebotene Gesamtmehrauslage 84 000 000 fl., bleibe also nicht nur nicht hinter der jetzt für die gesamte Wehrmacht für dieselbe Zeit angesprochenen Mehrauslage von zirka 80 Millio¬ nen zurück, sondern übertreffe sie sogar. Die Differenz zwischen dem vorjähri¬ gen Anbot [sic!] und den jetzt vorliegenden Ansprüchen liege also offenbar in dem Modus der Durchführung und der finanziellen Deckung der gesamten geplanten Maßnahmen. Diese Verschiedenheit in der Verteilung der Ansprüche auf die einzelnen Jahre sei aber für denjenigen, dem die Aufgabe obliege, die parlamentarische Annahme der Ansprüche durchzusetzen, durchaus nicht gleichgiltig, da eine Anforderung des größten Teiles der zu bewilligenden Sum¬ me in den ersten Jahren, auf welche sich der Gesamtanspruch verteile, dem Bedenken begegne, daß die Durchführbarkeit der Minderanforderungen in den späteren Jahren von ganz unbekannten Zeitläuften abhänge und mindestens zweifelhaft sei. - Aber auch abgesehen hievon sei die größere Belastung in den allernächsten Jahren mit Rücksicht auf die finanziellen Operationen nicht wün¬ schenswert, die in diese Zeit fallen und deren glückliche Durchführung auch für die Schlagfertigkeit der Armee höchst wichtig sei. Solange die Barzahlung nicht aufgenommen werde, und die Zeit hiefür sei jedenfalls dermalen noch nicht in b-b Einfügung Wekerles. <pb/>Nr. 61 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 2. 2. 1893 575 unmittelbare Nähe gerückt, bilde der angeschaffte Geldvorrat einen Kriegs¬ schatz der Monarchie. Der Redner betont schließlich, daß er mit diesen Bemerkungen nur den ersten Eindruck, den ihm die Vorlagen der Kriegsverwaltung gemacht, ausgesprochen haben wolle und sich eine definitive Stellungnahme zu derselben Vorbehalten müsse. Der k. u. k. Reichskriegsminister FZM. Freiherr v. Bauer bemerkt, daß durch die eben geltend gemachte Auffassung des Vorredners gerade dem Zwecke der Kriegsverwaltung entgegengetreten werde, die aller¬ nächsten Jahre, wo noch auf Fortdauer des Friedens zu hoffen sei, zu benützen, um durch Einschlagen eines rascheren Fortschrittes die zum Ausbau unserer Wehrmacht erforderlichen Maßnahmen wenigstens in der Hauptsache vor Ein¬ tritt ernster Gefahr fertigzustellen. Der k. k. Finanzminister Steinbach ergreift das Wort, um vor¬ erst die Versicherung auszusprechen, daß die eben zur Kenntnis der Regierun¬ gen gelangenden Pläne der Kriegsverwaltung gewiß zu dem eingehendsten Studium und der tunlichsten Berücksichtigung gelangen werden, ein endgiltiges Urteil abzugeben sei aber dermalen noch nicht möglich. Es dürfe nicht vergessen werden, daß sich der Staatsvoranschlag der diesseiti¬ gen Reichshälfte so ziemlich bilanziere, daß demnach jeder Mehranspruch für die Kriegsverwaltung, wenn das Gleichgewicht trotzdem erhalten bleiben solle, eine Herabsetzung der für die Ressorts der übrigen Ministerien disponiblen Mittel, bzw. den Verzicht auf eine Reihe von Leistungen dieser Ressorts, zu¬ nächst wohl für die wirtschaftlichen Interessen bedeute. Es sei sehr schwer, die Mitglieder des Parlamentes, denen nicht ein so voller Einblick in die Notwendig¬ keit der militärischen Maßnahmen geboten werden könne, hiefür zu gewinnen, und könne daher eine definitive Stellungnahme nur im Einvernehmen der ganzen Regierung erfolgen. Es handle sich um bedeutende Opfer, die nicht so sehr den Finanzen als den übrigen Ressorts zugemutet werden. Seit Jahren haben sich die beiderseitigen Regierungen mit dem Gedanken einer alljährigen sukzessiven Steigerung des Militärbudgets vertraut gemacht, diesem Gedanken auch unverhohlen jeder Zeit Ausdruck gegeben und solche Mehranforderungen zugestanden. So seien, um nur von den letzten zwei Jahren zu sprechen, Mehr¬ anforderungen für das gemeinsame Heer in diesen Jahren im Betrage von 131/2° Millionen, für die k. k. Landwehr von 2-3d Millionen bewilligt worden, u. zw. sei dies geschehen, ohne daß releviert worden wäre, daß gewisse Summen in den Budgets, die nur zum Zweck der Ausführung bestimmter Anforderungen einge¬ stellt waren und nach Fertigstellung der letzteren hätten wegfallen sollen, in den Budgets weiter belassen wurden, so daß sich eigentlich der bewilligte Gesamt¬ mehraufwand Namentlich für die k. k. Landwehr noch weit6 höher beziffere. C Korrektur Steinbachs aus 9. d Korrektur Steinbachs aus 10-11. e-e Einfügung Steinbachs. <pb/>576 Nr. 61 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 2. 2. 1893 TDer Bau der strategischen Eisenbahnen in Galizien sei dabei gleichfalls gar nicht in Rechnung gezogen/ Um was es sich sonach zunächst handele, sei die Verteilung der Mehranforderungen auf die einzelnen Jahre, und liege hierin die Differenz mit den Anschauungen der Kriegsverwaltung. Der k. k. Finanzmini¬ ster kann nur seiner Befriedigung Ausdruck geben, daß in den Beratungen auf die finanziellen Verhältnisse gebührend Rücksicht genommen wurde. Tatsäch¬ lich könne die Kriegsverwaltung mit der Gestaltung der finanziellen Sachlage im Interesse der finanziellen Schlagfertigkeit der Monarchie zufrieden sein. Bis zur Aufnahme der Barzahlungen sei der vorhandene Geldvorrat gewissermaßen ein Kriegsschatz, und nie sei noch die Goldeinfuhr nach Österreich-Ungarn eine so bedeutende gewesen wie in der letzten Zeit. Wenn man bedenke, wie sehr eine erfolgreiche Kriegführung der öster.-ung. Monarchie von der Möglichkeit ab- hänge, zur Bestreitung der exorbitanten Kosten der ersten Mobilisierungszeit eine hinreichende Anzahl gedeckter Noten auszugeben, so wird man wohl die Wichtigkeit der angeführten Umstände für die Kriegsverwaltung nicht verken¬ nen. Die Heeresverwaltung verlange nun in ihren vorliegenden Anträgen ein höheres Steigerungsprozent für die ersten der Jahre, auf welche die geplanten Gesamtmehranforderungen zu verteilen seien. Wenn man die vorliegende ,,Dar¬ stellung der Steigerung der Heeresbudgets vom Jahre 1893 bis zum Jahre 1899" betrachte, so sei zu ersehen, daß die Heeresverwaltung für das erste Jahr (1894) sofort eine Steigerung der Anforderungen für das gemeinsame Heer von über 9.2 Millionen gegen das Jahr 1893 anspreche. In diesem Punkte der Anträge der Kriegsverwaltung liege für den Redner eine der Hauptschwierigkeiten derselben und müsse er denselben der ganz besonderen Erwägung der Kriegsverwaltung empfehlen, da derselbe unzweifelhaft ein Haupthindernis bei der Durchbrin¬ gung der Anträge bilden werde. - Im Zusammenhänge hiemit dränge sich auch die Frage auf, ob mit den dargestellten Mehranforderungen der Mehraufwand in den nächsten sechs Jahren wirklich erschöpft sei, es sei dies für eine solche Reihe von Jahren kaum mit Sicherheit vorauszusagen, und repräsentiere daher auch .der s.tarke Sprung in den Mehranforderungen des ersten Jahres etwas Sicheres, dagegen das jetzt unzweifelhaft ernstlich beabsichtigte Nachlassen in den späteren Jahren immerhin etwas Zweifelhaftes. Weiter wäre aber dem k. k. Finanzminister eine Aufklärung erwünscht über die in der Anmerkung zu der oben zitierten ,,Darstellung" angeführten Anforderungen, welche als in die Nachweisung noch nicht einbezogen bezeichnet werden und sich beziehen auf: a) das einmalige Erfordernis für den Bau eines Garnisonsspitals in Budapest mit 1,5 Millionen Gulden, b) das Erfordernis für die Errichtung einer Militärakade¬ mie in Ungarn mit zirka 5,1 Millionen Gulden, c) das fortlaufende Mehrerfor- demis für die Verabreichung eine Abendmahles an die Mannschaft mit zirka 4.3 Millionen Gulden. Wenn diese Summen in die nächsten Budgets eingestellt werden sollten, würde sich die Mehranforderung bedeutend erhöhen. Auf die militärische Lage übergehend, anerkennt der Redner, daß das russi- f-r Einfügung Steinbachs. <pb/>Nr. 61 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 2. 2. 1893 577 sehe Heer dem unserigen in der Zahl sehr überlegen ist, was übrigens, trotz des größeren Perzentsatzes der Ausnützung der Bevölkerung bei uns, bei einem Verhältnisse zwischen zwei Staaten, von denen der eine zirka 100 Millionen, der andere zirka 40 Millionen Einwohner hat, nur natürlich sei; aber es seien doch bei Vergleichung der gegenseitigen Stärkeverhältnisse zwei Punkte zu berück¬ sichtigen. Was zunächst den Aufmarsch anbelange, so habe Rußland zwei Gegner zu bekämpfen, da, wenn auch, wie ganz richtig bemerkt wurde, die Hauptmacht Deutschlands durch Frankreich gebunden sei, immerhin noch ein sehr beträchtlicher Teil der deutschen Armee, der an die russische Grenze disponiert werden wird, von Rußland in Betracht gezogen werden müsse. Weiter erscheine es doch den geographischen Verhältnissen nicht ganz entsprechend, daß als Grundlage der Vergleichung der für den ersten Moment unsererseits disponiblen Truppen mit denen Rußlands für uns immer nur die in Galizien stehenden Abteilungen in Rechnung gezogen werden, während für die Stärke der russischen Armee sämtliche in den Militärbezirken von Warschau und in Kiew, die zusammen eine nicht viel geringere Ausdehnung als die gesamte öster.-ung. Monarchie haben, dislozierten Truppen in Anschlag gebracht wer¬ den. Es dürften doch vielleicht auch unsererseits schon für den ersten Anfang wenigstens die in Nordungarn und den an Galizien angrenzenden Sudetenlän- derri dislozierten Armeeteile in Frage kommen. Übrigens will der Redner durch¬ aus damit nicht die Notwendigkeit in Abrede stellen, die großen Fortschritte, welche Rußland in Ausbildung seiner Wehrkraft in letzter Zeit gemacht hat, in ernste Erwägung zu ziehen. Indem der k. k. Finanzminister noch seiner Befriedi¬ gung über die gleichzeitige Berücksichtigung der Anforderungen der k. k. Land¬ wehr Ausdruck gibt und sich bezüglich der Anforderungen der k. u. k. Marine dahin ausspricht, daß natürlicherweise zunächst an die gefahrdeteste Stelle gedacht werden müsse und daher die Steigerung der Anforderungen der Marine nur soweit berücksichtigt werden könnten, als dies nach Erfüllung der Anforde¬ rungen für das k. u. k. Heer und die Landwehren nötig ist, schließt er mit dem Wunsche, daß die Verteilungsziffer der Anforderungen neuerlich geprüft und über die Ausweise nicht einbezogenen eventuellen Anforderungen Aufklärung geboten werde. Der k. u. k. Reichskriegsminiter FZM. Freiherr v. Bauer erwidert zunächst auf die Bemerkung des Vorredners bezüglich der unverhält- nismäßigen Höhe der für das nächste Budgetjahr eingestellten Quote der Mehr¬ erfordernisse, daß dies in erster Linie, wie er bereits angedeutet, geschehen sei, um die hauptsächlichsten Erfordernisse zur Schlagfertigkeit der Armee noch in der Zeit, für welche man mit einiger Sicherheit auf den Frieden rechnen könne, fertigzustellen; es müsse insbesondere dafür gesorgt werden, daß alle Requisite einer raschen Mobilisierung sobald als möglich hergestellt werden, da bei der unzweifelhaften Überzahl der russischen Armee in der raschen Mobilisierungs¬ fähigkeit der eigenthehe evidente Vorteil bestehe, den wir gegenüber Rußland haben. Diesem Zwecke sind die Anforderungen gewidmet, deren Bedeckung in die erste Zeitperiode aufgenommen wurde. Die Erfüllung dieser Anforderungen <pb/>578 Nr. 61 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 2. 2. 1893 stehe auch im Zusammenhänge mit der Absicht, den Krieg möglichst bald auf fremdes Gebiet zu spielen. Was die in der Anmerkung zu dem vorgelegten Nachweise enthaltenen drei Forderungen anlange, so sei die Einstellung der Erfordernisses für den Bau eines Garnisonsspitals in Budapest so lange nicht möglich, als die zwischen den beiderseitigen Regierungen schwebende Frage, ob dieser Bau überhaupt auf gemeinsame Kosten auszuführen sei, nicht erledigt ist.5 Die Frage der Errich¬ tung einer Militärakademie in Ungarn muß in Evidenz gehalten werden, da sich hierauf eine in den nächsten Delegationen zu beantwortende Resolution der ung. Delegation beziehe. Allein nach Ansicht des Ministers sei für die nächste Zeit weder die Möglichkeit, eine solche Anstalt zu errichten, vorhanden, noch bestehe darnach ein tatsächliches Bedürfnis. Die Einführung eines Abendmahles für die Mannschaft sei wiederholt in Resolutionen der österreichischen Delegation angeregt, aber, so wünschenswert es wäre, der Mannschaft diese Zubuße zu ihrer Verköstigung zu bieten, immer zurückgestellt worden, da dringende, unmittelbar auf die Schlagfertigkeit der Armee Bezug habende Auslagen die für die Heereserfordemisse überhaupt disponiblen Summen erschöpften. Der k. u. k. Reichskriegsminister kann somit die Zusicherung geben, daß für die ersten zwei Anforderungen jedenfalls im nächsten Budget keine Summe eingestellt werden und die Effektuierung der Aufbesserung der Mannschaftskost auf so lange hin aufgeschoben werden wird, als die Deckung der dringend nötigen Anforderungen für die Schlagfertigkeit des Heeres erfolgt sein werde. Der k. u. k. Reichskriegsminister fügt die Anfrage an, ob seine Auffassung der Frage der Errichtung einer Akademie in Ungarn den Anschauungen des kgl. ung. Ministerpräsidenten entsprechend sei und er diesfalls auf des letzteren Unterstützung in den Delegationen zählen könne. Der kgl. ung. Ministerpräsident Wekerle bemerkt, daß nach sei¬ ner Auffassung den Intentionen der Opposition im ungarischen Reichstage überhaupt nur durch Schaffung einer ganz ungarischen Akademie, also mit ungarischer Unterrichtssprache, nachgekommen werden könnte. Der Reichs¬ kriegsminister könne jedenfalls auf seine Unterstützung in den Delegationen in allen vereinbarten Fragen rechnen. Derk. k. Ministerpräsident Graf Taaffe weist darauf hin, daß von allen Seiten die Notwendigkeit der Erhöhung der Leistungen für die Wehr¬ macht der Monarchie anerkannt werde. Die Differenz zwischen den Anschau¬ ungen der Kriegsverwaltung und der Vertreter der beiderseitigen Regierungen liege nur in der Frage der größeren oder geringeren Raschheit, mit der vorge¬ gangen werden solle, bzw. der Verteilung des Gesamterfordemisses auf die nächsten Budgetjahre. Es entspräche den gnädigen Intentionen Sr. k. u. k. apost. Majestät, und wurde dies ja auch heute wiederholt vom k. u. k. Reichs¬ kriegsminister betont, daß bei Feststellung der finanziellen Deckung für die gestellten Anforderungen auf die finanzielle Lage der beiden Teile der Monar- Vgl. GMR. v. 5. 5. 1889, RMRZ. 360. A <pb/>Nr. 61 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 2. 2. 1893 579 chie, insbesondere auf die Erhaltung des Gleichgewichtes in den Budgets dersel¬ ben, Rücksicht genommen werde. Es sei nun nicht möglich, sofort schlüssig zu werden, inwieferne es mit Rücksicht auf obige Gesichtspunkte tunlich sei, den Anforderungen der Kriegsverwaltung auf Annahme eines beschleunigteren Tempos bei Leistung der angesprochenen Summen nachzukommen. Es müsse eingehend erwogen werden, welche Summe die Monarchie leisten könne und in welcher Zeit die Durchführung der Leistung möglich sei. Hiebei werde aller¬ dings nicht außer acht gelassen werden können, daß es sehr schwierig sei, im Parlamente große Anfangsleistungen unter der Zusicherung der späteren Her¬ abminderung der Ansprüche durchzusetzen, da immer dagegen die durch den unbekannten Verlauf der späteren Jahre bedingte Unsicherheit einer solchen Zusage eingewendet würde. Die Vertreter der beiderseitigen Regierungen kön¬ nen daher nach Ansicht des k. k. Ministerpräsidenten heute lediglich ihrer Zustimmung zu den gehörten Ausführungen über die politische und militärische Lage sowie ihrer prinzipiellen Bereitwilligkeit, in eine Erhöhung der Anforde¬ rungen für die bewaffnete Macht einzugehen, Ausdruck geben, müßten sich aber eine weitere Stellungnahme noch Vorbehalten, bis sie an der Hand der eben erhaltenen Vorlagen geprüft haben werden, inwieweit sie in der Lage sind, auf die gestellten Anträge einzugehen. Diese Prüfung werde gewiß von dem ernstli¬ chen Willen erfüllt sein, soweit es die finanzielle Lage gestatte, den von der Kriegsverwaltung nötig erachteten Anforderungen nachzukommen. Der k. u. k. Reichskriegsminister FZM. Freiherr v. Bauer bemerkt, daß, was die im Verlaufe der heutigen Beratung wiederholt hervorge¬ hobene Unsicherheit der für die letzten Jahre der Budgetperiode 94-99 in Aussicht genommenen Herabminderung der Prozentziffer der Mehranforderun¬ gen anbelange, er dafür einstehen könne, daß, wenn nicht komplett andere Verhältnisse, wie z. B. imminente Kriegsgefahr, eintreten, es möglich sein wird, das vorgelegte Programm der Kriegsverwaltung einzuhalten. Derk. u. k. Chef des Generalstabes FZM. Freiherr Beck ergreift das Wort, um noch bezüglich des wahrscheinlichen Endtermines der Rüstungen Rußlands einige Bemerkungen zu machen. Ursprünglich seien alle diese Rüstungen konsequent in der Absicht geführt worden, 1893 mit denselben fertig zu werden. Dann sei die Frage der Einführung des Repetiergewehres aufgetaucht. Anfangs hätte man sich in russischen Militärkreisen dieser Einfüh¬ rung gegenüber ablehnend verhalten, dann habe man sich doch zur Anschaffung eines solchen Gewehres nach einem neuen Modell entschlossen und die Anstal¬ ten so getroffen, daß durch Herstellung der Gewehre in Frankreich und in Rußland der ganze Vorrat bis 1894, längstens Frühjahr 1895 hätte hergestellt werden sollen. Nun scheine man aber infolge von Mängeln des gewählten Modells hievon wieder abgekommen zu sein und zur Umwandlung des Berdän- gewehres in ein Repetiergewehr zu schreiten. Diese Umwandlung soll für Ende 1896 gesichert sein, so daß man mit Rücksicht darauf, daß auch das gewählte Pulver und die Beschaffung desselben anstandslos sei, sagen könne, die russische Armee werde im Jahre 1897 vollkommen gerüstet sein. Vor diesem Zeitpunkte dürfte es wohl, soweit es auf Rußland ankomme, zu keinem Kriege kommen; <pb/> 580 Nr. 61 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 2. 2. 1893 ob jedoch die französische innere Lage und die Aufregung in preußischen Militärkreisen nicht den Krieg in einem früheren Momente herbeiführen werde, lasse sich freilich nicht sagen. - Was die von dem k. k. Finanzminister beanstän¬ dete Vergleichung der russischen Truppenbestände in den gesamten Militärbe¬ zirken von Warschau und Kiew mit unseren Truppen in Galizien betreffe, so weist der Chef des Generalstabes darauf hin, daß Galizien durch den Gebirgs- wall der Karpaten von der übrigen Monarchie getrennt sei, und daß trotz der allerdings sehr bedeutenden territorialen Ausdehnung der Militärbezirke War¬ schau und Kiew die Terrainverhältnisse daselbst sehr günstige seien. Rußland könne ferner bei Dislokation seiner Truppen mit einer seltenen Anspruchslosig¬ keit der letzteren bezüglich der Unterkünfte rechnen, und wäre auch nicht außer Betracht zu lassen, daß ganze Kosakendivisionen aus dem Innern zur Komplet¬ tierung der Armee schon lange im Marsche sein können, ehe hievon etwas in den Nachbarländern verlaute. Der Chef des Generalstabes geht nun auf die zunächst beanständete Höhe der ersten Quoten der auf sechs Budgetjahre zu verteilenden Mehransprüche für die gesamte Wehrmacht ein. Obwohl auch er den ganz außerordentlichen Wert des raschen Fortschrittes bei Effektuierung der geplanten Vorkehrungen drin¬ gend betonen müsse, glaubt er doch, ohne irgendwie dem k. u. k. Reichskriegs¬ minister vorzugreifen, die Frage anregen zu sollen, ob nicht eine Ausgleichung der verschiedenen Anschauungen erzielt werden könnte, indem ein mittlerer Ansatz von 6 Millionen Gulden für das stehende Heer, von 1 Million Gulden für die k. k. und von 600 000 fl. für die kgl. ung. Landwehr angenommen würde. Der kgl. ung. Ministerpräsident Wekerle schließt sich den Ausführungen des k. k. Ministerpräsidenten Grafen Taaffe vollkommen an und gibt der Hoffnung Ausdruck, daß nach ernstlichem und eingehendem Studium der Frage es ihm möglich sein werde, eine Modalität zu finden, um den Ansprü¬ chen der Kriegsverwaltung, unter Berrücksichtigung der eben gegebenen Anre¬ gungen des Chefs des Generalstabes, gerecht werden zu können. Da es für das Kriegsministerium wichtig sei, wegen Vorbereitung des Budgets für die diesjäh¬ rigen Delegationen ehebaldigst die Quote des Mehrerfordernisses pro 1894 zu kennen, würde Redner vorschlagen, daß zur Abgabe der definitiven Erklärun¬ gen eine Ministerkonferenz etwa für den 19. Februar berufen werde. Der Vorsitzende bemerkt hier, daß es überhaupt nützlich wäre, sich wenigstens im allgemeinen schon jetzt über den Zeitpunkt zu orientieren, für welchen die Einberufung der Delegationen in Aussicht genommen werden solle. Der k. k. Ministerpräsident Graf Taaffe spricht sich dahin aus, daß nach den jetzt herrschenden Absichten der Reichsrat bis zur Karwoche tagen dürfte, dann nach Ostern wieder die Landtage zu Beratungen berufen werden, die bis längstens zu den Pfingstfeiertagen sich erstrecken könnten. Nach diesem Termin, also vom 23. Mai, könnten die Delegationen zusammentreten und etwa bis zur Hälfte Juni tagen. Der kgl, ung. Ministerpräsident Wekerle erklärt sich mit die¬ sem Termin vollkommen einverstanden. Der Vorsitzende schheßt hierauf die Sitzung, indem er eine neuerliche <pb/>Nr. 62 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 19. 2. 1893 581 Konferenz zur Abgabe der von den Vertretern der beiderseitigen Regierungen in Aussicht gestellten definitiven Erklärungen über die Anträge der Kriegsver¬ waltung für den 19. Februar d. J. in Aussicht nimmt. Kälnoky Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Wien, 25. Februar 1893. Franz Joseph. Nr. 62 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 19. Februar 1893 RS. (und RK.) Gegenwärtige: der k. k. Ministerpräsident Graf TaafTe (1. 3.), der kgl. ung. Ministerpräsident Wekerle (14. 3.), der k. u. k. gemeinsame Finanzminister v. Källay (2. 3.), der k. u. k. gemeinsame Kriegsminister FZM. Freiherr v. Bauer (2. 3.), der k. k. Landesverteidigungsminister FZM. Graf Welsersheimb (o. D.), der kgl. ung. Landesverteidigungsminister FZM. Freiherr v. Fejerväry (16. 3.), der k. k. Finanzminister Steinbach (o. D.), der kgl. ung. Minister am" Ah. Hoflager Graf Tisza (10. 3.), der k. u. k. Marinekommandant Admiral Freiherr v. Stemeck (o. D.), der k. u. k. Chef des Generalstabes FZM. Freiherr v. Beck (2. 3.), der k. u. k. Chef der Militärintendantur Sektionschef Ritter v. Röckenzaun, der k. u. k. Marinegeneralkomissär Fehr. Protokollführer: Hof- und Ministerialrat Ritter v. Khu. Gegenstand: Maßnahmen zum Zwecke der weiteren Entwicklung der Wehrmacht der österrei¬ chisch-ungarischen Monarchie. KZ. 20 - RMRZ. 378 Protokoll des zu Wien am 19. Februar 1893 abgehaltenen Ministerrates für gemeinsame Angelegenheiten unter dem Vorsitze des k. u. k. gemeinsamen Ministers des Äußern Grafen Kälnoky. Der Vorsitzende eröffnet die Sitzung, indem er unter Hinweis auf die Ergebnisse der letzten Beratung1 ersucht, in die in derselben vorbehaltene weite¬ re Erörterung des Gegenstandes einzugehen. Der kgl. ung. Ministerpräsident Wekerle bezeichnet es als not¬ wendig, sich vor allem über die Summe zu orientieren, welche in toto für die Mehrerfordernisse aller Zweige der Wehrmacht geleistet werden könne. Nach der am Schlüsse der letzten Sitzung gegebenen Anregung des Chefs des General¬ stabes würde es sich darum handeln, im nächsten Jahre (1894) für alle Zweige zusammen ein Mehrerfordemis von über 8 Milhonen Gulden, bzw. für das gemeinsame Heer 6 Millionen zu decken. Bekanntlich sei im vorigen Jahr ein jährliches Mehrerfordernis von 4 Millionen für die gesamten gemeinsamen Auslagen in Aussicht genommen und daher von den Finanzministern auch nur ein solches in Rechnung gezogen worden. Eine höhere Präliminierung als diese Summe wäre ohne Tangierung des budgetären Gleichgewichtes nicht möglich. Es könnte der Anregung des Chefs des Generalstabes aber auf diese Weise 1 Siehe GMR. v. 2. 2. 1893, RMRZ. 377. <pb/>