Gemeinsamer Ministerrat, 7. 1. 1887
I. Militärische Vorkehrungen aus Anlaß der politischen Lage
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Nr. 20 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 7. 1. 1887 319 Nr. 20 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 7. Januar 1887 RS. (und RK.) Gegenwärtige: der k. u. k. gemeinsame Minister des Äußern Graf Kälnoky (o. D.), der kgl. ung. Ministerpräsident v. Tisza (25. 1.), der k. k. Ministerpräsident Graf Taaffe (11. 1.), der k. u. k. gemeinsame Kriegsminister FZM. Graf Bylandt-Rheidt (12. 1.), der k. u. k. gemeinsame Finanz¬ minister v. Källay (13. 1.), der kgl. ung. Finanzminister Graf Szapäry (26. 1.), der k. k. Finanzmini¬ ster Ritter v. Dunajewski (12. 1.), der k. k. Landesverteidigungsminister FML. Graf Welsersheimb (o. D.), der kgl. ung. Landesverteidigungsminister FML. Freiherr v. Fejerväry (28. 1.), der Chef der k. u. k. Marinesektion Vizeadmiral Freiherr v. Stemeck (14. 1.). Protokollführer: Hof- und Ministerialrat Freiherr v. Konradsheim. Gegenstand: Militärische Vorkehrungen aus Anlaß der politischen Lage. KZ. 14 - RMRZ. 336 Protokoll des zu Wien am 7. Jänner abgehaltenen Ministerrates für gemeinsa¬ me Angelegenheiten unter dem Ah. Vorsitze Sr. Majestät des Kaisers. Se. Majestät der Kaiser geruhte die Sitzung mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit zu eröffnen, daß bei allem Hinarbeiten auf die Erhaltung des Friedens doch auch die erforderlichen Vorkehrungen getroffen werden, um bei einer Verschlimmerung der politischen Lage von der Entwicklung der Ereignis¬ se, in vielleicht naher Zeit, nicht überrascht zu werden. An der Hand des diesbezüglichen Sitzungsprotokolles geruhte sodann Se. Majestät die Ergebnisse der Ministerberatung vom 5. Jänner 1. J. zu erörtern und als ersten Verhandlungspunkt die verbliebene Meinungsdifferenz hinsicht¬ lich der Bedeckung jener 16 2/10 Millionen zur Diskussion zu bringen, für welche der Reichskriegsminister Bestellungen zu effektuieren ermächtigt wor¬ den ist. Reichskriegsminister FZM. Graf Bylandt rekapitulierte die Zeitfolge seines Geldbedarfes und die Beträge der Geldanforderungen, mit welchen die Kriegsverwaltung an die Finanzverwaltung heranzutreten bemüßigt sein wird, und ebenso resümierte der kgl. ung. Ministerpräsident v. Tisza die finanziellen und konstitutionellen Bedenken, welche der königlich ungarischen Regierung eine so namhafte Vorschußleistung, wie sie aus diesem Bedarfe resultiert, nicht gestatten und sie zur Heranziehung der gemeinsamen Aktiven drängen, wenn eine vorzeitige Einberufung der Delegation vermieden werden will. Auf Grund der Ausführungen der beiden Vorredner hatte Se. Majestät der Kaiser die Gnade, den Gegenstand der Frage nachstehend klarzustel¬ len: Der Reichskriegsminister benötigt behufs Vorkehrungen für den Kriegsfall in den ersten drei Monaten dieses Jahres 23 Millionen. Hievon entfallen 15 Millionen auf Bestellungen, mit denen auf die Einberufung der Delegationen nicht gewartet werden kann. Zu diesen gesellen sich noch 1 2/10 Millionen für Erfordernisse der Marinesektion, was die Summe von 16 2/10 Millionen ergibt, für welche die Bedeckung beschafft werden muß und ä conto deren die beiden <pb/>320 Nr. 20 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 7. 1. 1887 Finanzminister dem Kriegsminister im Laufe des Monates Februar einen Vor¬ schuß bis zu 6 Millionen zur Verfügung stellen. Kann die Bedeckung aus den gemeinsamen Aktiven beschafft werden und gestalten sich die Verhältnisse friedlicher, so wird die nachträgliche Bewilligung dieser 162/10 Millionen von den Delegationen erst in der gewöhnlichen Herbst¬ session in Anspruch genommen werden. Verschlimmern sich die Verhältnisse jedoch, so werden die Delegationen Ende Februar dieses Jahres einberufen, um von ihnen nicht nur die Bewilligung für die vollen erwähnten 23 Millionen, sondern auch die noch weiter nötig werdenden Votierungen zu erlangen. Könnte aber die Bedeckung aus den gemeinsamen Aktiven nicht bewirkt werden, so müßten nach dem Anträge des ungarischen Ministerpräsidenten die Delegationen schon wegen der fraglichen 16 2/10 Millionen, und zwar schon früher als Ende Februar, einberufen werden, wo es, wenn man den Ereignissen nicht vorgreifen will, aus politischen Gründen möglicherweise verfrüht wäre, mit größeren Rüstungsanforderungen vor die Delegationen zu treten. Finanzminister Ritter v. Dunajewski erbat sich hierauf das Wort, um seinen ablehnenden Standpunkt in bezug auf die Heranziehung der gemeinsamen Aktiven zu begründen. Das Präzedens aus dem Jahre 18701 sei für ihn nicht maßgebend, denn damals lagen die Dinge anders. Der Betrag der gemeinsamen Aktiven sei seither zusam¬ mengeschmolzen und sei der verbleibende Rest heute nicht anrührbar, weil er für mehrere in suspenso befindliche Abrechnungen aufbewahrt bleiben müsse; auch sei heute die Finanzierung schwieriger wie damals, endlich verursache ein derartiges Geschäft Zinsen und Kosten, die vermieden werden sollen, wenn die Geldbeschaffung aus eigenen Mitteln möglich ist. Eine absolute Nötigung zu diesem Geschäfte liege nicht vor und biete dasselbe auch keine radikale Hülfe, da die vorhandenen Aktiven zur vollen Bedeckung des Bedarfes ohnehin nicht hinreichen und dadurch den beiden Finanzverwaltungen ein nebstbei zu leisten¬ der, effektiver Vorschuß nicht erspart bleibt. Der kgl. ung. Finanzminister Graf Szapäry vertrat den ge¬ genteiligen Standpunkt, indem er auch seinerseits die Unmöglichkeit für die ungarische Regierung betonte, ohne legislative Ermächtigung den ganzen Be¬ darf vorzuschießen. Den sachlichen Einwendungen seines österreichischen Kol¬ legen begegnete er mit dem Bemerken, daß die Refundierung der gemeinsamen Aktiven gewahrt bleibe, daß die Kosten der fraglichen Finanzoperation sich durch das Zinsenerträgnis der verpfändeten Papiere vermindern und daß der Pfanderlös immerhin 12 bis 13 Millionen einbringen werde, wodurch die eigenen Vorschüsse der Finanzverwaltung und deren Verantwortlichkeit sich wesentlich reduzieren. Der k. k. Finanzminister Ritter v. Dunajewski erneuerte hierauf seine am 5. Jänner abgegebene Bereitwilligkeitserklärung, die pragmati¬ sche Quote Österreichs für die Monate November und Dezember der gemeinsa- 1 GMR. v. 24. 7.1870 und GMR. v. 30. 7.1870 HHStA., PA. XL, Karton 285. - Vgl. Diöszegi, Österreich-Ungarn und der französisch-preußische Krieg 71-74. <pb/>Nr. 20 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 7. 1. 1887 321 men Regierung antizipando zur Verfügung zu stellen, wodurch derselben 10 bis 11 Millionen zugeführt werden. Wolle die ungarische Regierung für ihren Teil auf die gemeinsamen Aktiven greifen, so wolle er nicht dagegen sein, unter der Bedingung, daß dies auf ihre eigenen Kosten und gegen Refundierung geschehe. Der k. k. Ministerpräsident Graf Taaffe unterstützte diesen Vermittlungsvorschlag mit dem Bemerken, daß die Art der Geldbeschaffung Sache jeder der beiden Regierungen sei. Wenn die ungarische Regierung ge¬ meinsame Aktiven entlehnen wolle, weil sie glaube, dieses besser vertreten zu können als eine unbedeckte Ausgabe, so stimme er einer solchen Lösung der Frage bei. Der kgl. ung. Ministerpräsident v. Tisza und der kgl. ung. Finanzminister Graf Szapäry erblickten in dem Vorschlag des österreichischen Finanzminister ein Novum, welches erst erwogen werden müs¬ se und worüber sich die ungarische Regierung die Entscheidung Vorbehalte.2 Se. Majestät der Kaiser geruhte hierauf den Ah. Beschluß dahin zu fassen, daß die Kriegsverwaltung unter allen Umständen ermächtigt sei, Bestellungen bis zum Betrage von 16 2/10 Millionen vorzunehmen und daß der österreichische Bedeckungsvorschlag ad referendum genommen werde, welchen Beschluß die beiden vorgenannten Minister noch durch den Beisatz zu ergänzen baten, daß, wenn eine Einigung hierüber nicht zustande komme oder noch größere Summen als die in Rede stehenden 16 2/10 Millionen erheischt werden sollten, die Delegationen einzuberufen sein werden. Se. Majestät der Kaiser geruhte ferner die Erfordemisansätze der beiden Landesverteidigungsminister für die Landwehren und den Landsturm zu genehmigen, und Sich im allgemeinen mit der Taktik einverstanden zu erklären, welche der Minister des Äußern und der kgl. ung. Ministerpräsident schon in der Sitzung vom 5. Jänner hinsichtlich der Einbringung und Vertretung der bezüglichen Vorlage gekennzeichnet hatten. Man müsse sich, ohne die Vorlage als Kriegsmaßregel einzubringen, lediglich auf die Basis der Durchführung des Landsturmgesetzes3 stellen, wobei man bei etwaigen Interpellationen in den Legislativen immerhin zugeben könne, daß diese Durchführung nur sukzessive geplant war, nunmehr aber durch die politi¬ sche Lage und die allerwärts stattfindenden Rüstungen mit Beschleunigung bewerkstelligt werden müsse. Einen weiteren Gegenstand der Besprechung bildete die Frage der Monturs¬ bestreitung und Ausrüstung für die aus den Spezialwaffen stammenden Land¬ sturmpflichtigen und Landwehrmänner. Bezüglich der Landsturmpflichtigen hatte der Reichskriegsminister die Kostenbestreitung durch die Heeresverwaltung schon in der Sitzung vom 5. Jänner übernommen. Heute nun erklärte er, daß die Heeresverwaltung auch für 2/MT. Ung.MR. v. 14. 1. 1887. 3. Wegen der Kriegsbereitschaft der Armee zu machende Maßnahmen, OL., K. 27, Karton 41. Gesetz v. 6. 7.1886 betreffend den Landsturm, RGBl. Nr. 60. - GA. XX vom Jahre 1886 betreffend den Landsturm, TA.KG'iAX. Törv£nytär 1884-1886 363-367. <pb/>322 Nr. 20 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 7. 1. 1887 die Bekleidung und Ausrüstung der aus den Spezialwaffen stammenden Land¬ wehrmänner aufkommen werde, u. zw. gilt dies für beide Teile der Monarchie. Se. Majestät der Kaiser geruhte bei diesem Anlasse den Beschluß, daß die an die österreichische Landwehr abgegebenen Waffen ihrem Werte nach der Kriegsverwaltung zu refundieren sind, gleichfalls zu genehmigen. Der ung. Ministerpräsident v. Tisza empfahl hiebei dringend, daß, was bei der österreichischen Landwehr an Waffen noch fehlt, ehestens nachgeschafft werde. Was den Zeitpunkt der Einbringung der Vorlage der beiden Landesverteidi¬ gungsminister an die Legislativen betrifft, so wiederholte der kgl. ung. Finanzminister Graf Szapäry, welchem sich auch der k. k. Fi¬ nanzminister Ritter v. Dunajewski anschloß, die Bitte, daß dieser Zeitpunkt noch überlegt und die Anforderung des vollen Betrages nur bei wirklicher Notwendigkeit gestellt werde. Redner betonte, namentlich auch mit Bezug auf seine im Zuge befindlichen sonstigen Finanzoperationen, die große finanzielle Tragweite der gestellten Anforderungen und die Schwierigkeiten der Beschaffung der geforderten Summen. Es liege also die Erwägung nahe, ob man sich nicht vorerst mit einem geringeren Betrage behelfen könne. Auch der kgl. ung. Ministerpräsident v. Tisza war der An¬ sicht, daß unbeschadet des beabsichtigten Zweckes der Zeitpunkt der Einbrin¬ gung der Vorlage vielleicht von der Gestaltung der Ereignisse abhängig gemacht werden könne und daß vor der Hand es darauf ankomme, das Menschenmate¬ rial für den Landsturm bereitzumachen. Der Minister des Äußern Graf Kälnoky machte auf den un¬ leugbaren Bestand einer pohtischen Krise und die Ungewißheit über die Art und die Zeit ihrer Lösung aufmerksam, welche es nicht gestattet, vor gewissen Ausgaben zurückzuweichen. Desgleichen wiesen auch die beiden Landesverteidigungsmini¬ ster auf den unfertigen Zustand des Landsturmes und das Zeiterfordemis für dessen Ausrüstung hin, welches ein langes Zuwarten nicht gestattet, worauf Se. Majestät der Kaiser dem Finanzminister die vitalen Interessen entgegenhielt, welche für die Monarchie im Falle einer Kriegsausbruches auf dem Spiele stehen und eine rechtzeitige Beendigung unserer Rüstungen erhei¬ schen. Se. Majestät der Kaiser wolle daher zwar gestatten, daß der Zeitpunkt der Einbringung der Geldanforderung noch offen gelassen und einem späteren Beschlüsse der Regierung Vorbehalten werde, allein es sei unerläßlich, sofort an die nötigen Vorbereitungen und Bestellungen zur Organisierung des Landstur¬ mes zu gehen. Hinsichtlich der in der Konferenz vom 5. Jänner vorbehaltenen Entscheidung über das Ansinnen der ungarischen Regierung, daß die Kosten der Ausrüstung der Kavallerie des ungarischen Landsturmes auf das gemeinsame Budget über¬ nommen werden, konnte zwar auch heute nicht endgiltig abgesprochen werden, weil die österreichischen Minister das Ansinnen nicht im Einklänge mit dem Gesetze erachteten und noch nicht für spruchreif hielten, doch geruhte <pb/>Nr. 21 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 29. 1. 1887 323 Se. Majestät der Kaiser die Billigkeit dieses Ansinnens mit dem Bemerken anzuerkennen, daß die ungarische Landsturmkavallerie gleich den Angehörigen der Spezialwaffen auf Kosten des gemeinsamen Budgets auszurü¬ sten wäre, weil einer Reichshälfte, wenn sie schon ein größeres Menschenmate¬ rial beistellt, nicht auch noch eine größere Zahlung zugemutet werden kann. Es wurde übrigens dem ungarischen Landesverteidigungsminister Freiherm von Fejerväry übertragen, diesfalls eine Note an die österreichische Regierung zu richten. Nach Beendigung der Tagesordnung geruhte Se. Majestät der Kaiser, noch einige Fragen der Aufmerksamkeit und Fürsorge der Regierung zu empfehlen. Es sind dies: a) die Geheimhaltung der Presse im Falle von Truppenbewegungen im Inlande; b) das Zustandekommen einer Kriegsleistungsverordnung;4 c) das Gesetz wegen Nichtbefolgung der Einberufungsorder,5 d) adie Verwendung außer Landes und Mobilisierung der eingeborenen bosni¬ schen Truppen und daher die Anschaffung der notwendigen Augmentationsvor¬ räte3; e) die Anforderungen der Kommunikationsminister für einen Mobilisierungs¬ fall und f) die Finanzfrage für den Kriegsfall. Nachdem die betreffenden Minister Sr. Majestät Auskunft über den Stand dieser Fragen gegeben hatten, geruhten Se. Majestät der Kaiser die Sitzung zu schließen. Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Wien, 4. Februar 1887. Franz Joseph. Nr. 21 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 29. Januar 1887 RS. (und RK.) Gegenwärtige: der kgl. ung. Ministerpräsident v. Tisza (11. 2.), der k. k. Ministerpräsident Graf Taaffe (4. 2.), der k. u. k. gemeinsame Kriegsminister FZM. Graf Bylandt-Rheidt (1. 2.), der k. u. k. gemeinsame Finanzminister v. Källay (1.2.), der kgl. ung. Finanzminister Graf Szapäry (o. D.), der k. k. Finanzminister Ritter v. Dunajewski (o. D.), der k. k. Landesverteidigungsminister FML. Graf Korrektur Kälnokys bzw. des Kaisers aus die Unschädlichmachung der eingeborenen bosni¬ schen Truppen im Falle eines Konfliktes auf der Balkanhalbinsel. 2IMT. Ung.MR. v. 14. 1. 1887. 8. Der Gesetzantrag und die Verordnung bezüglich der Kriegsleistungen, OL., K. 27, Karton 41. 32/MT. Ung.MR. v. 4.12.1886. 6. Betreffend den Gesetzentwurf über die Bestrafung deijeni- gen, welche den Militäreinberufungsbefehlen nicht gehorchen, OL., K. 27, Karton 41. <pb/>