MRP-2-0-04-0-18841120-A-0001.xml

|

Anhang Gemeinsamer Ministerrat, 20. 11. 1884

III. des Militärwitwen- und Waisenversorgungsgesetzes mit drei Beilagen

Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_IV/pdf/oe_hu_mrp_IV_zusatz1.pdf#page=23.

     Ergänzende Protokolle anderer Provenienz

Nr. I Gemeinsame Beratung, Budapest, 20. November 1884

     RS.
     Gegenwärtige: der k. u. k. gemeinsame Minister des Äußern Graf Kälnoky (o. D.), der kgl. ung.
 Ministerpräsident v. Tisza (27. 12.), der k. k. Ministerpräsident Graf Taaffe (5. 1.), der k. u. k.
 gemeinsame Kriegsminister FZM. Graf Bylandt-Rheidt (3. 12.), der k. u. k. gemeinsame Finanzmi¬
nister v. Källay (o. D.), der kgl. ung. Finanzminister Graf Szapäry (28. 12.), der k. k. Minister für
Landesverteidigung FML. Graf Welsersheimb (6. 12.), der k. k. Finanzminister Ritter v. Dunajew-
ski (8.12.), der kgl. ung. Landesverteidigungsminister FML. Freiherrv. Fejerväry (31.12.), der Chef
des k. u. k. Generalstabes FML. Freiherr v. Beck (10. 12.), der Generaladjutant und Vorstand der
Mihtärkanzlei Sr. Majestät GM. Freiherr v. Popp.
     Protokollführer: Hauptmann in der Militärkanzlei Sr. Majestät v. Thuränszky.
     Gegenstand: I. Entwurf eines Landsturm-, II. eines Kriegsleistungs- und III. des Militärwitwen-
und Waisenversorgungsgesetzes1 mit drei Beilagen2.

    Protokoll der unter Ah. Vorsitze Sr. k. u. k. apost. Majestät am 20. Novem¬
ber in Budapest stattgehabten gemeinsamen Beratung.

    [I.] Se. k. u. k. apost. Majestät geruhten in Eröffnung der Sit¬
zung die Dringlichkeit der endlichen Austragung der schwebenden wichtigen
Fragen zu betonen, bezeichnen den gegenwärtigen Zeitpunkt für die Einbrin¬
gung der betreffenden Gesetzentwürfe - welche in den wesentlichen Bestimmun¬
gen unbedingt, aber auch sonst tunlichst gleichlautend und in beiden Reichs¬
hälften gleichzeitig einzubringen wären - mit Rücksicht auf die günstige politi¬
sche Lage als besonders geeignet und eröffnen Ag., daß zunächst über die
Prinzipien des für die Kräftigung der Wehrmacht so notwendigen Landsturmge¬
setzes eine Einigung zu erzielen wäre.

   FML. Graf Welsersheimb hat schon vor längerer Zeit einen diesbezüglichen
Gesetzentwurf ausgearbeitet. Infolge der im November v. J. über diesen Gegen¬
stand stattgehabten gemeinsamen Beratung3 wurde erfreulicherweise nunmehr
auch von der ungarischen Regierung ein auf obligatorischer Teilnahme am
Landstürme basierter Gesetzentwurf festgestellt und vom ung. Landesverteidi¬
gungsminister dem gemeinsamen Kriegsminister und dem Landesverteidigungs¬
minister der im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder mitgeteilt.

        KA., MKSM. 20-1/12-2 de 884.
        Die Beilagen sind nicht zu finden.
        Am 25. November 1883.
<pb/>666 Nr. I Gemeinsame Beratung, Budapest, 20. 11. 1884

   Es erscheint zweckmäßig, sich zunächst über diesen letzteren Entwurf, wel¬
cher alle Details enthält, zu äußern.

   Ung. Landesverteidigungsminister FML. Freiherr v. Fe-
jerväry erlaubt sich au. anzuführen, daß ihm die vom Chef des General¬
stabes ausgearbeitete Denkschrift4 über die vom militärischen Standpunkte an
ein Landsturmgesetz zu stellenden Forderungen von Sr. Exzellenz dem ung.
Ministerpräsidenten zu dem Zwecke übermittelt wurde,5 um darüber ein fach¬
männisches Urteil abzugeben, welches den Beratungen und dem Beschlüsse der
ungarischen Regierung als Basis zu dienen hätte. Der hierüber verfaßte Bericht
kam am 4. Juli d. J. im ungarischen Ministerrate zur Verhandlung, und hat
dieser die Vorlage eines Landsturmgesetzes an die Legislative, in welchem die
imperative Teilnahme am Landstürme ausgesprochen wird, im Prinzip ange¬
nommen.6

   Die bei dieser Gelegenheit vom ungarischen Ministerrate akzeptierten
Grundsätze sind in dem nunmehr verfaßten Gesetzentwürfe3 zum Ausdrucke
gebracht, und glaubt Se. Exzellenz, daß durch denselben den in der Denkschrift
des Chefs des Generalstabes angeführten militärischen Forderungen in vollstem
Maße Rechnung getragen ist, indem einerseits durch die im Gesetzentwürfe
angeführten drei Kategorien des Landsturmes ein namhafter Kraftzuschuß der
Wehrmacht zugeführt, andererseits durch die Bestimmung, daß die Mannschaf¬
ten der ersten Kategorie auch zur Komplettierung der Stände bei der operieren¬
den Armee (gemeinsames Fleer und Landwehren) dann herangezogen werden
können, wenn die im Verlaufe des Krieges entstehenden Abgänge auf die im
Wehrgesetze bisher vorgezeichnete Art nicht mehr gedeckt werden könnten -
für die operierende Armee ein mächtiges Reservoir geschaffen wird.

    In dieser Beziehung wurde in dem Memoire Sr. Exzellenz des Chefs des
Generalstabes angenommen, daß 400 000 Mann zur Verfügung stehen müßten,
um bei einem länger dauernden Kriege die Komplettierung der operierenden
 Armee zu sichern.

    Bei den Erwägungen, welche der landsturmpflichtigen Individuen auch zur
 eventuellen Deckung der Abgänge bei der operierenden Armee heranzuziehen
 wären, wurde diese Ziffer als Basis angenommen und gleichzeitig als zweckmä¬
 ßig erkannt, daß die jüngsten Jahrgänge jener Individuen, welche die zwölf-

          Randbemerkung des Protokollführers: Eine Abschrift des Gesetzentwurfes und der diesbezüg¬
          lichen Zuschrift an den gemeinsamen Kriegsminister, welche eine Art Motivenbericht bildet,
          sind diesem Protokolle angeschlossen. - Siehe Anm. 2.

          Zur Landsturmfrage. Auf Ah. Befehl verfaßt als Begründung des Gesetzes für den ung.
          Ministerpräsidenten. Übergeben am 20. 1. 1884. Beck m. p., KA., MKSM. 20-1/1-3 ex 1884.
          Sr. E. dem Herrn kgl. ung. Ministerpräsidenten von Tisza. Wien am 24.1.1884, KA., MKSM.
          20-1/1-3 ex 1884.
          16jMT. Ung.MR. v. 4. 7. 1884. 21. In Angelegenheit des Landsturmgesetzes, OL., K. 27,
          Karton 38.
<pb/>Nr. I Gemeinsame Beratung, Budapest, 20. 11. 1884  667

jährige Militärdienstpflicht abgeleistet haben, sowohl vermöge der physischen
Entwicklung als auch insbesondere in Anbetracht der schon genossenen gründ¬
lichen militärischen Ausbildung hiefür in Aussicht zu nehmen sind.

   Nach den angestellten Berechnungen, wobei der natürliche Abgang, wie bei
ähnlichen Berechnungen üblich, mit 4% angenommen wurde, ergeben die vier
jüngsten Jahrgänge dieser Kategorie im Gebiete der ungarischen Krone die
Summe von rund 180 000 Mann; wird nun zumindest die gleiche Zahl aus dem
Gebiete der im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder gerechnet und
die Ersatzreserve dazugeschlagen, so resultiert die Summe von
(180 000+ 180 000 + 80 000) 440 000 Mann, welche eventuell zu dem in Rede
stehenden Zwecke herangezogen und, solange hiezu nicht erforderlich, die
Landsturmmänner auch zur Bildung der Landsturmbataillone verwendet wer¬
den können, welch letzteren zum Gamisons- und Festungsdienste, zur Siche¬
rung der Landesgrenzen und zur Besetzung der Etappenlinien in Aussicht
genommen sind.

   Damit jedoch für diesen Zweck auch dann genügende Landsturmkräfte
vorhanden sein sollen, wenn die Landsturmmänner der ersten Aufgebotes zum
größten Teile oder ganz zur Komplettierung der operierenden Armee verwendet
werden mußten, wurde das zweite Aufgebot im Gesetzentwürfe in Aussicht
genommen, welches aus den nächsten drei Altersklassen der die zwölfjährige
Militärdienstpflicht abgeleisteten Individuen zu bilden wäre und die gleichen
Aufgaben wie das erste Aufgebot zu erfüllen hätte, nur daß es zur Komplettie¬
rung der operierenden Armee nicht zu verwenden wäre.

   Das Aufgebot der dritten Linie endlich würde, abgesehen von der Heranzie¬
hung zu den im Interesse der militärischen Operationen auszuführenden Befesti-
gungs- und Kommunikationsarbeiten, die Massenverwendung aller waffenfähi¬
gen Männer vom 19. bis inklusive 40. Lebensjahre, die weder zum stehenden
Heere noch zu den Landwehren, noch zu den ersten zwei Aufgeboten des
Landsturmes gehören, in jenen Gegenden und zu jenem Zeitpunkte ermögli¬
chen, wo und wann dies die allgemeine Kriegslage erfordert.

   In dem von Sr. Exzellenz dem k. k. Landesverteidigungsminister ausgearbei¬
teten Entwürfe wurde die Landsturmpflicht bis zur Vollendung des 42. Lebens¬
jahres festgesetzt, von seiten der ungarischen Regierung jedoch diese Bestim¬
mung als zu weitgehend bezeichnet. Durch die Annahme der von der ungari¬
schen Regierung gemachten Proposition, die Landsturmpflicht bis zum 40.
Lebensjahre festzusetzen, wird schon ein so großer Kraftzuschuß gewonnen (in
Ungarn allein 1 576 000 Mann), daß die Differenz zwischen den beiden Proposi¬
tionen (+70 000 Abgerichtete und 180 000 Unabgerichtete, wenn Landsturm¬
pflicht bis zum 42. Lebensjahr) umso weniger ins Gewicht fallt, als sich bei dem
Massenaufgebote diese Summe auf sehr weite Gebiete verteilt - und es der
Regierung freisteht, an die Bedarfsorte auch die Landsturmmänner der nicht
unmittelbar bedrohten Gebiete zu dirigieren, andererseits jedoch durch die
Begrenzung der Landsturmpflicht bis zum 40. Lebensjahre - diesem markanten
Abschnitte im menschlichen Leben - die Durchbringung des Gesetzentwurfes
bei der Legislative wesentlich erleichtert wird.
<pb/>668 Nr. I Gemeinsame Beratung, Budapest, 20. 11. 1884

   Se. k. u. k. apost. Majestät geruhen Ag. hervorzuheben, daß eine
wesentliche Meinungsverschiedenheit nicht nur bezüglich der Dauer der Land¬
sturmpflicht, sondern auch bezüglich der Behandlung der vom Militärdienste
zeitlich Befreiten besteht, indem nach dem vorliegenden Gesetzentwürfe der
ungarischen Regierung diese Elemente sowohl dem Heere als auch den Land¬
wehren ganz entgehen und nur innerhalb des Massenaufgebotes des Landstur¬
mes Verwendung finden würden, während es gerade sehr zweckmäßig wäre, die
jüngeren Jahrgänge derselben analog der Ersatzreserve zu verwenden.

   Ung. Landesverteidigungsminister FML. Freiherr v. Fe-
jerväry führt au. an, daß diese Frage angeregt war, jedoch fallengelassen
wurde, weil hiedurch eine Änderung des § 17 des Wehrgesetzes7 bedingt ist und
es kaum möglich wäre, eine Novelle zum Wehrgesetze und das Landsturmgesetz
zu gleicher Zeit bei der Legislative durchzubringen. Da das Zustandekommen
des Landsturmgesetzes für die Kräftigung der Wehrmacht zweifellos wichtiger
ist als die Beschränkung der Militärbefreiungen auf die Zeit des Friedens, durch
welch letztere Maßnahme bloß zirka 100 000 Mann im Kriegsfälle gewonnen
würden, so erscheint es auch vorteilhaft, zuerst dieses der legislatorischen Be¬
handlung zu unterziehen und die Änderung des Wehrgesetzes in bezug auf die
Militärbefreiungen einem späteren, geeigneten Zeitpunkte vorzubehalten.

   Bei der seinerzeitigen Behandlung dieses Gegenstandes wäre gesetzlich auszu¬
sprechen, daß die zeitliche Militärbefreiung sich nur auf die Enthebung vom
dreijährigen bzw. dem Präsenzdienste in der Landwehr zu erstrecken habe und
die betreffenden Individuen bis zum Eintritte in die dritte Altersklasse zeitlich
und nach dem Austritte aus dieser Altersklasse - vorausgesetzt, daß ein Befrei¬
ungstitel bis dahin vorhanden war und jährlich geltend gemacht wurde -
dauernd in die Ersatzreserve eingeteilt werden.

    Die Motivierung dieser Novelle zum Wehrgesetze dürfte nicht schwer fallen,
da ähnliche Militärbefreiungen wie die gegenwärtig in Österreich-Ungarn beste¬
henden, wo die Befreiung auch im Kriegsfälle zugestanden wird, in keinem
anderen Lande existieren und auch in bezug aufjene mobilisierten und verheira¬
teten Reservisten, welche für die Erhaltung einer größeren Famihe ausschlie߬
lich sorgen müssen, unbillig sind; zudem hat der Staat durch das Gesetz über
den Militärtaxfond und die aus Anlaß der jüngsten kriegerischen Ereignisse in
Süddalmatien und im Okkupationsgebiete geschaffenen Gesetze über die Unter¬
stützung der Familien der Mobilisierten und die Versorgung der Hinterbliebe¬
nen der vor dem Feinde gefallenen Militärpersonen solche Verpflichtungen
übernommen, daß humanitäre Bedenken in bezug auf die Ausdehnung der

         Der § 17 des Wehrgesetzes vom Jahre 1868 (GA. 40) lautet wiefolgt: ,,Von Verpflichtung des
         Einrückens ins Heer, in die Kriegsmarine oder in die Landwehr sind zeitlich befreit: 1. der
         einzige Sohn eines erwerbsunfähigen Vaters oder verwitweten Mutter, oder in dessen Erman¬
         gelung der einzige Eidam; 2. nach dem Tode des Vaters der einzige Enkel eines erwerbsunfähi¬
         gen Großvaters oder einer Verwitweten Großmutter, wenn sie keinen Sohn haben; 3. der
         einzige Bruder ganz verwaister Geschwister.&quot; Magyar Törvenytär 1836-1868 472.
<pb/>Nr. I Gemeinsame Beratung, Budapest, 20. 11. 1884  669

 Militärbefreiungen auch für den Mobilisierungsfall nicht geltend gemacht wer¬
 den können.

    Mit Rücksicht auf die eventuellen Ergänzungen, welche der Landsturm der
 operierenden Armee liefern soll, waren auch die Erwägungen maßgebend, daß
 zu diesem Zwecke die schon geschulten Elemente brauchbarer sein werden als
 ganz junge Kräfte, welche erst bei Eintritt der Mobilisierung die erste Abrich¬
 tung erhalten. Zu allen Zeiten, wo die vorhandenen Kräfte nicht mehr ausreich¬
 ten und erst im Verlaufe des Krieges auf ungeschulte frische Elemente gegriffen
 werden mußte, haben diese dann nicht mehr entsprochen. Dieselbe Erwägung
 war auch einerzeit für jene Änderung des Wehrgesetzes maßgebend, wonach
 nunmehr die Ersatzreserve schon im Frieden assentiert und einer achtwöchentli¬
 chen militärischen Abrichtung unterzogen wird.

    In dem von Sr. Exzellenz dem k. k. Landesverteidigungsminister verfaßten
 Entwürfe ist der Ergänzung der operierenden Armee durch den Landsturm
 keine Erwähnung getan; es erscheint jedoch nicht opportun, wenn über die Art
 der Verwendung der einzelnen Landsturmaufgebote im Gesetze keine Bestim¬
 mung aufgenommen wird, die den Pflichtenkreis der Aufgebote für den Kriegs¬
 fall präzisiert.

    Se. k. u. k. apost. Majestät geruhen zu betonen, daß wenn auch
 das Gesetz betreffend die Einschränkung der Mihtärbefreiungen auf die Zeit des
 Friedens später eingebracht wird, die Details des Landsturmgesetzes so zu
stilisieren wären, daß die Verwendung der vom Militärdienste zeitlich Befreiten
zur eventuellen Ergänzung der operierenden Armee nicht schon durch dieses
Gesetz gänzlich ausgeschlossen wird. Im übrigen wird die Durchbringung des
ersteren Gesetzes zu einem späteren Zeitpunkte viel schwieriger sein, weil die
den zeitlich Befreiten schon durch das Landsturmgesetz aufgebürdete Last dann
eine Potenzierung erfährt. Wenn schon die Beschränkung der Militärbefreiun¬
gen auf die Zeit des Friedens als vorteilhaft und billig anerkannt wird, erscheint
es wohl am zweckmäßigsten, wenn beide Maßnahmen gleichzeitig durchgeführt
werden. Zu erwägen ist auch noch, daß es nicht billig wäre, jene Individuen,
welche schon der zwölfjährigen Militärdienstpflicht Genüge geleistet haben,
noch weiterhin zur eventuellen Ergänzung der operierenden Armee in Aussicht
zu nehmen, wenn die jüngeren, aus den zeitlich Befreiten hervorgegangenen
Elemente nur innerhalb des Massenaufgebotes des Landsturmes Dienste leisten
sollen. Auch ist es fraglich, wieviel Prozent der die zwölfjährige Dienstpflicht
vollstreckten Individuen noch kriegsdiensttauglich sein werden, und ob durch
diese Kategorie allein jene Zahl erreicht wird, welche zur Ergänzung der operie¬
renden Armee bereitgehalten werden soll.

   Ministerpräsident v. Tisza erlaubt sich au. anzuführen, daß er zu
dieser Frage nicht vom fachmännischen Standpunkte sprechen kann, das vorlie¬
gende Gesetzjedoch in bezug auf die Durchbringung bei der Legislative als eines
der allerschwierigsten bezeichnen muß, indem durch dasselbe die Wehrpflicht
um acht Jahre, wovon die vier ersten sehr empfindhch sind, verlängert wird.
Bedenkt man noch, daß bei Behandlung des Wehrgesetzes Und der Novelle zu
demselben im Parlamente stets das Streben nach Erweiterung der Befreiungstitel
<pb/>670 Nr. 1 Gemeinsame Beratung, Budapest, 20. 11. 1884

vorhanden war, so würde - wenn zwei Schwierigkeiten Zusammentreffen - wenig

Hoffnung vorhanden sein, die Zustimmung der Legislative zu den in Rede

stehenden Gesetzentwürfen zu erlangen.
   Landesverteidigungsminister FML. Graf Welsersheimb

erlaubt sich au. jene Gesichtspunkte darzulegen, welche seinerzeit dem von ihm
verfaßten Gesetzentwürfe zugrunde gelegt worden sind.

    Se. Exzellenz hat vor allem die in klassischer Einfachheit abgefaßten preußi¬
schen Bestimmungen vor Augen gehabt, welche dahin auslaufen, der Heeresver¬
waltung alle wehrfähigen Bevölkerungsschichten zur Verfügung zu stellen, ohne
&#39; daß bezüglich der Art der Verwendung der einzelnen Kategorien im Kriegsfälle
irgendwelche beengende Schranken vorgezeichnet wären. Der Heeresverwal¬
tung ist dort der größte Spielraum eingeräumt und kann dieselbe, wenn es die
Verhältnisse erheischen, die im stehenden Heere entstehenden Lücken durch
 Landwehrmannschaften und die Landwehr durch Landsturmmänner komplet¬
 tieren. Wenn auch diese vom militärischen Standpunkte wünschenswertesten
 Verhältnisse bei uns nicht zu erreichen sind, muß doch das Streben vorhanden
 sein, denselben - soweit es eben die Verhältnisse der Monarchie gestatten -

 tunlichst nahezukommen.
    In bezug auf die vorliegenden Fragen wäre zunächst die Ergänzung des

 stehenden Heeres ins Auge zu fassen.
    Für die Komplettierung der Abgänge des mit 800 000 Mann normierten

 Kriegsstandes des stehenden Heeres ist gesetzlich nur die Ersatzreserve in der
 Stärke vom 80 000 Mann bestimmt, welche erfahrungsgemäß in der kürzesten
 Zeit aufgebraucht sein wird, so daß dann die unbedingte Notwendigkeit eintre-
 ten wird, die weiter entstehenden Lücken aus den Reihen des Landsturmes zu

 decken.
    Es entsteht nun die Frage:

     1. In welcher Weise die eventuelle Ergänzung der operierenden Armee durch
 Landsturmmänner im Gesetze zum Ausdruck gebracht werden soll.

    2. Welche Kategorien dieser Elemente vom rein militärisch-praktischen,
 ethischen und nationalökonomischen Standpunkte hiefür die geeignetsten sind?

    ad 1. Jedenfalls ist diejenige Fassung die vorteilhafteste, nach welcher der
 Regierung der größte Spielraum in der Verwendung des Landsturmes einge¬
 räumt wird - und diese eventuell auf alle Kategorien greifen kann.

     ad 2. Vom militärischen Standpunkte wäre hervorzuheben, daß es eine gewis¬
 se, von den Lebensbedingungen - die eben bei den niederen Klassen nicht
 günstig sind - abhängige Grenze des Lebensalters gibt, von wo an der Wert des
 Mannes, die Elastizität seiner physischen und der Schwung seiner geistigen
  Kräfte abnimmt, daß bei den älteren, meist verheirateten Individuen die Sorge
 um die Existenz der Familien in den Vordergrund tritt und sie nicht jenen
  frischen militärischen Geist mitbringen, der in Regel bei jüngeren Kräften

  anzutreffen ist.

     Se. Exzellenz hatte speziell Gelegenheit, die französische Armee, welche aus
  den ältesten Elementen gebildet war, gründlich kennenzulernen, und kann
<pb/>Nr. I Gemeinsame Beratung, Budapest, 20. 11. 1884  671

versichern, daß sich überall der Wunsch nach jüngeren Kräften rege gemacht
hat.

    Betreffend das von Sr. Exzellenz dem ung. Landesverteidigungsminister her¬
vorgehobene Moment der Abrichtung wäre zu bemerken, daß die der zwölf¬
jährigen Militärdienstpflicht unterworfene Mannschaft im Heere nach Ablei¬
stung des Präsenzdienstes nur mehr dreimal während ganz kurzer Zeit (14 Tage
bbis vier Wochenb) den Waffenübungen zugezogen,0 vor dem Eintritte in den
Landsturm häufig drei-vier Jahre dund darüber0 nicht unter militärischer Zucht
stehen wird, der Wert dieser Elemente daher stetig abnimmt und schließlich
ganz verraucht, zumindest nicht jenem gleichgehalten werden kann, den junge
Kräfte schon nach einer relativ kurzen Zeit der militärischen Abrichtung erlan¬
gen. Dies ist auch das Hauptmotiv, warum der Regierung der möglichste
Spielraum einzuräumen wäre, denn ist die Ersatzreserve verbraucht und war
genügende Zeit vorhanden, um die jüngeren, aus den zeitlich Befreiten stam¬
menden Elemente entsprechend auszubilden, so wird es vorteilhaft sein, Hann
zunächst diese zur Ergänzung der operierenden Armee zu verwenden; eventuell
könnte schließlich auf die schon gedienten Landsturmmänner gegriffen werden.

   Weiter wäre zu erwägen, daß wenn °der Rest des Landsturmes fast0 nur aus
früher nichtgedienten Elementen bestehen würde, er auch nur Minimes leisten
könnte. Die Zahl der nach dem Gesetzentwürfe der ungarischen Regierung
hiefür in Aussicht genommenen gedienten älteren Mannschaft ist zu gering, um
einen entsprechenden Kern für das Landsturm-Massenaufgebot abgeben zu
können, während andererseits diese Elemente beim stehenden Heere nur einen
zweifelhaften Wert haben werden.

   Die von Sr. Exzellenz dem ung. Landesverteidigungsminister angegebene
Zahl von 180 000 Mann für vier Jahrgänge der die zwölfjährige Dienstpflicht
vollstreckten Individuen einer Reichshälfte scheint zu hoch gegriffen, indem
nach diesseitigen Berechnungen, welchen ein Durchschnitt von zehn Jahren
zugrunde gelegt wurde, jährlich nur 45 000 Mann aus dem Verbände der Land¬
wehr treten, das in vier Jahren wohl 180 000 Mann, jedoch ohne dem perzentua-
len Jahresfabschlag, der bei dieser Kategorie viel höher als 4% angenommen
werden müßte, ergeben würde. Wenn auch derlei Berechnungen nie ganz verlä߬
lich angestellt werden können, so resultiert doch, daß diese vier Jahrgänge nur
ganz knapp jene Summe repräsentieren, deren Bereithaltung für die operierende
Armee als notwendig bezeichnet wurde. Man müßte daher bei eintretendem
größeren Bedarfs entweder über das Gesetz greifen oder ein neues schaffen. Was
den ethischen Standpunkt betrifft, so erlaubt sich Se. Exzellenz zu wiederholen,
was schon von Sr. Majestät Ag. ausgesprochen wurde, daß es nämlich nicht
billig wäre, immer dieselben Leute zu den schwierigsten Aufgaben heranzuzie-

b&#39;b Einfügung Welserheimbs.
0 Korrektur Welsersheimbs aus zugezogen wird.
d&quot;d Einfügung Welsersheimbs.
°&#39;e Korrektur Welsersheimbs aus der Landsturm.
f Einfügung Welsersheimbs.
<pb/>672 Nr. / Gemeinsame Beratung, Budapest, 20. 11. 1884

hen und die zeitlich befreiten gund noch nicht zur Stellung gelangten® jüngeren
Kräfte ganz leer ausgehen zu lassen, hwas auch vom Standpunkte der national¬
ökonomischen Interessen als eine verkehrte Maßnahme erscheinen muß und bei
der Vertretung im Parlamente - wenigstens in Österreich - auf unüberwindliche
Schwierigkeiten stoßen dürfte11.

   Wie Se. Exzellenz der ung. Landesverteidigungsminister eingehend motiviert
hat, wäre es nur billig, die vom Militärdienste zeitlich Befreiten von Haus aus
der Ersatzreserve zuzuweisen; nur wird von seiten der ungarischen Regierung
die Einbringung der bezüglichen Novelle zum Wehrgesetze zu einem späteren
Zeitpunkte beabsichtigt. In dieser Beziehung glaubt Se. Exzellenz - unter Hin¬
weisung auf die großen Schwierigkeiten, welchen alle auf die Wehrverfassung
bezüglichen Fragen bei dem österreichischen Parlamente begegnen - anführen
zu müssen, daß es vorteilhafter wäre, die Heranziehung der nach § 17 Befreiten
im Mobilisierungsfalle zur Ergänzung der operierenden Armee in das Land¬
sturmgesetz aufzunehmen, und könnte dem § 2 des von der k. k. Regierung
proponierten Gesetzentwurfes etwa noch folgende Bestimmung angefügt wer¬
den1:

   ,,Im Falle als die zur Ergänzung des Heeres (Kriegsmarine) durch das Wehr¬
gesetz (§ 13) vorgesehenen Ersatzreserven zur effektiven Erhaltung der betreffen¬
den Streitkräfte am vollzähligen gesetzlichen Kriegsstande (§11 des Wehrgeset¬
zes) nicht hinreichen sollten, kann der erforderliche Ersatz für jene Teile des
Heeres, welche organisationsgemäß aus den im Reichsrate vertretenen König¬
reichen und Ländern zu ergänzen sind, vom Landstürme, auf Grund kaiserli¬
cher, vom verantwortlichen Ministerium gegengezeichneter Verordnung, nach
Maßgabe und auf die Dauer des unumgänglichen Bedarfes, soweit es die militä¬
rischen Rücksichten gestatten, von den jüngsten Jahrgängen angefangen, in
Anspruch genommen werden.&quot;

   Hiemit wäre in anderen Worten dasselbe gesagt, was in dem bezüglichen
deutschen Gesetze enthalten ist. Die Ergänzung hätte von den jüngsten Jahrgän¬
gen nur insoferne stattzufinden, als es die militärischen Rücksichten gestatten,
nämlich insoweit diese Jahrgänge rechtzeitig genügend mihtärisch jausgebildet
wären* oder nicht.

    Von Sr. Exzellenz dem ung. Landesverteidigungsminister wurde der Kraftzu¬
schuß, welcher durch Heranziehung der nach § 17 des Wehrgesetzes vom Mili¬
tärdienste zeitlich Befreiten sich ergeben würde, mit 100 000 Mann angegeben.
Diese Zahl dürfte jedoch zu niedrig sein, da nach den angestellten Berechnungen
die Summe der innerhalb von 12 Jahren zeitlich Befreiten in den im Reichsrate
vertretenen Königreichen und Ländern allein 152 000 Mann beträgt, welche

  g&#39;g Einfügung Welsersheimbs.
  h&quot;h Einfügung Welsersheimbs.
  1 Randbemerkung des Protokollführers: Ein Exemplar des von der k. k. Regierung angenomme¬

          nen Gesetzentwurfes über den Landsturm ist diesem Protokolle angesehlossen. - Siehe Anm.
          2.
  *&quot;* Korrektur Welsersheimbs aus ausgebildet sind.
<pb/>Nr. I Gemeinsame Beratung, Budapest, 20. 11. 1884     673

wohl ärztlich nicht untersucht wurden, jedoch zum größten Teile kriegsdienst¬

tauglich sein dürften, da erfahrungsgemäß die augenscheinlich Untauglichen

sich die mit der Erlangung des Befreiungstitels verbundenen Mühen ersparen.

Ein 50%-Abschlag dürfte nicht zu niedrig sein und ergibt für eine Reichshälfte

noch immer die Summe von 75 000, in beiden Reichshälften jene von 150 000

Mann; rechnet man noch die im 19. Lebensjahre stehenden Individuen dazu,

so ergibt dies eine ganz stattliche Zahl junger Elemente, welche auch aus

nationalökonomischen Rücksichten mit Vorteil in erster Linie zur Ergänzung

der operierenden Armee zu verwenden wären.

Auch in rein technischer Beziehung würden die geringsten Schwierigkeiten

veranlaßt, da die zeitlich Befreiten ohnedies bei den betreffenden Ergänzungsbe¬

hörden schon in Evidenz stehen.

Die zweite wesentliche Differenz zwischen den von der ungarischen und der

k. k. Regierung in Aussicht genommenen Gesetzentwürfen besteht in der Dauer

der Landsturmpflicht: die Differenz beträgt zwei Jahre. Vom rein militärischen

Standpunkte wäre es am vorteilhaftesten, u. zw. namentlich mit Rücksicht auf

die ähnlichen Bestrebungen in anderen Staaten, die Grenze der Landsturm¬

pflicht möglichst weit hinauszurücken, um einerseits ein großes Reservoir zu

schaffen, aus welchem die Armee stets neue Kräfte schöpfen kann, andererseits

dort, wo die Entfaltung des Massenaufgebotes notwendig wird, aus der Bevöl¬

kerung der betreffenden Gebiete selbst die erforderlichen Massen aufstellen zu

können; Anhaltspunkte für die Befreiung dieser Grenze sind in dem noch

leistungsfähigen Lebensalter und in den analogen Bestimmungen der Nachbar¬

staaten gegeben.

Es ist schwer, sich einen Begriff von der Großartigkeit der künftigen Kriege

zu machen. Nach 1866 wurde in Frankreich die Aufstellung von Massenheeren

- weil diese militärisch minderwertig - perhorresziert, und doch wurde es

1870/71 von solchen überflutet. Die künftigen Kriege werden in dieser Richtung

weitere Erfahrungen bringen. Jedenfalls ist es ein Gebot der Selbsterhaltung,

nicht hinter anderen Staaten zurückzubleiben und die Wehrmacht soweit als

eben möglich zu entwickeln. Für die Monarchie ist es dieses Gebot in Anbe¬

tracht der ungünstigen geographischen Lage und den politisch-nationalen Ver¬

hältnissen in erhöhtem Maße vorhanden. Kein anderer Staat grenzt an so viele

Großmächte; in jedem Kriege werden weite Grenzgebiete durch territoriale

Formationen gedeckt werden müssen, um zu ermöglichen, daß das Gros der

kohnedies relativ beschränkten11 Armee in der entscheidenden Richtung ange¬

setzt werden kann; überdies werden zahlreiche Landsturmkräfte zu Fortifika-

tions- und Straßenbauten und als Fuhrleute Verwendung finden, in manchen

Gebieten wird man nicht auf alle Elemente greifen können und vielleicht nur

die im Heere gedienten einberufen, schließlich werden zahlreiche Befreiungen

in Aussicht genommen werden müssen.                ^

k-k Einfügung Welsersheimbs.
<pb/>674 Nr. I Gemeinsame Beratung, Budapest, 20. 11. 1884

   In Deutschland, welches sich so günstiger militärischer und politischer Ver¬
hältnisse erfreut, dauert die Wehrpflicht 25 Jahre (vom 17.-42. Lebensjahre);
selbst die kleinen Orientstaaten haben dieselbe erweitert (Serbien 25 Jahre,
Rumänien 30 Jahre). In dem Gesetzentwürfe der k. k. Regierung wurde dieselbe
nur mit 24 Jahren festgesetzt, doch glaubt Se. Exzellenz dies als Minimum
bezeichnen zu sollen, welches er im Parlamente vertreten kann; es müßte jedoch
sowohl in dieser Beziehung als auch bezüglich des Modus der Ergänzung der
Armee mit der ung. Regierung eine Übereinstimmung erzielt werden, weil bei
einseitiger Feststellung dieser Bestimmungen dieselben schon mit Rücksicht
hierauf beim Parlamente nicht durchgebracht werden könnten.

   Die übrigen Punkte des Gesetzentwurfes waren nicht in Diskussion.
   Chef des Generalstabes FML. Freiherr v. Beck erlaubt
sich zunächst au. anzuführen, daß in diesem Gegenstände gegen das Vorjahr
insoferne ein sehr erfreulicher Fortschritt zu konstatieren ist, als von seiten der
ung. Regierung ein Gesetzentwurf mit obligater Landsturmpflicht akzeptiert
wurde. Die Differenzen zwischen den beiderseitigen Gesetzentwürfen sind indes¬
sen noch immer ziemlich groß und wurden soeben von Sr. Exzellenz dem k. k.
Landesverteidigungsminister eingehend hervorgehoben.
   Um die Stärke der Ersatzkontingente, welche für die operierende Armee
bereitgehalten werden müssen, besser zu illustrieren, beruft sich Se. Exzellenz
auf eine neue, ihm erst vor kurzer Zeit zugekommene Emanation, wonach das
preußische Gardekorps im Jahre 1870 mit 30 000 Mann über den Rhein mar¬
schiert und nach Verlauf von nur 48 Tagen mit bloß 9000 Mann vor Paris
erschienen ist. Diese enormen Abgänge wurden zum geringeren Teile durch die
Verluste vor dem Feinde veranlaßt, indem diese nur 8000 Mann betrugen
(relativ immerhin eine große Zahl); der überwiegend größere Teil der Abgänge
wurde selbst bei diesen Elitetruppen &#39;in einem ressourcenreichen Land1 durch die
Kriegsstrapazen verursacht. Für die gesamte preußische Armee, welche
1 000 000 am Papier betrug, diesen Stand jedoch nie erreichte und selbst auf

500 000 Mann herabgesunken ist, war man gezwungen, sukzessive 200 000
Mann Ergänzungen über den Rhein zu schicken. Bedenkt man noch, daß dies
auf einem Kriegsschauplätze geschehen mußte, der in bezug auf Kommunika¬
tionen, Unterkunft und Verpflegung die denkbar günstigsten Verhältnisse bie¬
tet, wie wir sie auf der Mehrzahl der in Zukunft wahrscheinlichen und nament¬
lich auf den Haupt-Kriegsschauplätzen nie antreffen werden, so kann man sich
der Ansicht nicht verschließen, daß die in bezug der Ergänzung der operieren¬
den Armee bisher getroffenen Maßnahmen absolut unzulänglich sind und die
ehebaldigst ausreichende Abhilfe erheischen.

    Diese Erfahrungen waren die Veranlassung, sich mit der Frage unserer
Ergänzungsverhältnisse eingehendst zu beschäftigen. Die diesbezüglichen Be¬
rechnungen für den russischen Kriegsfall, in welchem man voraussichtlich den
ganzen Sommer operieren, den darauffolgenden Winter sich in Positionen
halten und im Frühjahre noch eine operationsbereite Armee wird zur Verfügung

i-i Einfügung Becks.
<pb/>Nr. I Gemeinsame Beratung, Budapest, 20. 11. 1884  675

haben müssen, um m - zur Herbeiführung eines annehmbaren Friedens -m den
letzten Ausschlag mit Aussicht auf Erfolg geben zu können, ergeben, daß durch
diese zwölf Monate für die operierende Armee in der Stärke von 600 000
(Maximum 7--800 000) Mann -- Minimum 400 000 Mann als Ergänzung werden
zugeschoben werden müssen; hiezu kommen noch die aus schon gedienten
Elementen zu bildenden Landsturmformationen, welche als Besatzung der Gar¬
nisonen im Innern der Monarchie, zum Schutze der langgestreckten Etappen¬
linien und zur Sicherung der Grenzen auf Nebenkriegsschauplätzen verwendet
werden müssen.

   Unter Berufung auf die im Memoire über die Landsturmfrage8 dargelegten
Motive führt sodann Se. Exzellenz an, daß drei Gattungen des Landsturmes
erforderlich sind, u. zw.:

    1. Zirka 200 aus schon gedienten Elementen zu bildende Landsturmbataillo¬
ne zur Besetzung der Garnisonen, der Etappenlinien und minder wichtiger
Grenzstrecken, um die operierende Armee (stehendes Heer und Landwehren)
tunlichst vollzählig auf dem Haupt-Kriegsschauplatze zur Erreichung des
Hauptzweckes verwenden zu können.

   In früheren Feldzügen - solange die Massenheere nicht bestanden und auch
dem Gegner keine zahlreichen irregulären Formationen zur Verfügung standen
- wurden die Grenzen abseits des Kriegsschauplatzes nicht bedroht und zur
Besetzung der Garnisonen meist Bürgergarden verwendet.

   2. Zur Ergänzung der operierenden Armee. .
   3. Zur Entfaltung des Massenaufgebotes dort, wo es die Kriegslage erfordert
und eine patriotische, gutgeführte Bevölkerung, begünstigt durch die Terrain¬
konfiguration (Gebirgsländer, weite Wald- und Sumpfstrecken) dem eingedrun¬
genen Gegner zu einer fürchterlichen Last werden kann.
   Die innere Stärke dieser Formationen besteht, abgesehen von dem Interesse
der Verteidigung des eigenen Herdes, hauptsächlich in der Vertrautheit mit den
Terrainverhältnissen und der Überwindung der Terrainschwierigkeiten, welche
Umstände es möglich machen, überall aufzutauchen, dem Gegner in Flanke und
Rucken Schwierigkeiten zu bereiten, ohne selbst ein faßbares Objekt zu bieten.
Die Fälle, in welchen das Massenaufgebot mit großem Vorteil wird aufgerufen
können, sind nicht zahlreich (in einem Doppelkriege gegen Rußland und Ita¬
lien: in Kärnten, Steiermark, Krain, Tirol, eventuell gegen Landungen in Istrien
und einem Teile von Dalmatien, dann in den Grenzstreifen von Galizien und
der Bukowina - und wenn auch Rumänien feindlich gesinnt -, in Siebenbürgen
die Szekler), aber dann müssen diese Elemente an Ort und Stelle vorhanden &quot;und
organisiert&quot; sein; es ginge nicht an, solche (nämlich das Massenaufgebot) aus
anderen Gebieten dahin zu dirigieren. Dieser Umstand - und weil es nicht
angeht, eine größere Last der ohnehin am meisten in Anspruch genommenen

m&#39;m Einfügung Becks.
       Einfügung Becks.

8 Siehe Anm. 4.
<pb/>676 Nr. I Gemeinsame Beratung, Budapest, 20. 11. 1884

Bevölkerung im Gesetze einseitig aufzubürden, empfiehlt es sich, die Land¬
sturmpflicht allgemein tunlichst weit hinauszurücken (in bezug auf das Lebens¬
alter).

   Schheßlich führt Se. Exzellenz die enormen Summen an, welche den anderen
und selbst den kleinen Orientstaaten an territorialen Formationen zur Verfü¬
gung stehen, die zur Deckung der Abgänge bei den Feldarmeen herangezogen
werden können, und bezweifelt, daß die vier ersten Jahrgänge der die zwölfjähri¬
ge Dienstpflicht vollstreckten Individuen zur Deckung der Abgänge bei der
operierenden Armee, dann im Vereine mit weiteren drei Jahrgängen dieser
Kategorie zur Bildung der Landsturmbataillone und als Kern des Massenaufge¬
botes ausreichen werden, während die gesunden jüngeren Elemente (Militärbe¬
freiten) zu Haus keine entsprechende Verwertung finden.

   Die Zahl der nicht allein nach § 17 des Wehrgesetzes, sondern auch anderwei¬
tig vom Militärdienste Befreiten beträgt in zwölf Jahren in der ganzen Monar¬
chie 500 000, und könnten aus diesen - wie in allen anderen Staaten - in
Kriegszeiten 100-200 000 für die Armee gewonnen werden und so im Vereine
mit den im ung. Gesetzentwürfe zum ersten Aufgebot eingeteilten Landsturm¬
männern die Ergänzung der operierenden Armee sichern.

   Ung. Landesverteidigungsminister FML. Freiherr v. Fe-
jerväry führt au. an, daß vom rein mihtärischen Standpunkte gegen die
über jeden Zweifel erhabenen Ausführungen Sr. Exzellenz des k. k. Landesver¬
teidigungsministers und Sr. Exzellenz des Chefs des Generalstabes gar keine
Einwendungen erhoben werden können; je mehr Kräfte und je unbedingter
dieselben der Heeresverwaltung zur Verfügung gestellt werden, desto besser
wird der militärische Zweck erreicht.

   Es muß jedoch gegenüber dem militärisch Wünschenswertesten auch die
Erwägung gegenübergestellt werden, was politisch erreichbar ist, und in dieser
Beziehung glaubt Se. Exzellenz, durch den vorliegenden Gesetzentwurf den
tatsächlichen Verhältnissen entsprochen zu haben. Im übrigen spricht Se. Exzel¬
lenz die Überzeugung aus, daß die in dem Memoire des Chefs des Generalsta¬
bes9 mit dem Landsturmgesetze angestrebten Ziele auch durch diesen Entwurf
erreicht werden, indem die Mannschaften des ersten Aufgebotes - welche in
einem Alter stehen, wo eben die physischen Kräfte in der Regel den Höhepunkt
erreichen und die Resultate der mihtärischen Erziehung noch nicht ganz ent¬
schwunden sind - im Vereine mit der Ersatzreserve die notwendige Ergänzung
der operierenden Armee - wenn auch knapp - liefern werden, andererseits das
auch aus gedienten Elementen gebildete zweite Aufgebot (zirka 120 000 Mann
°in jeder Reichshälfte der Monarchie0) zur Formierung der auf Ungarn entfal¬
lenden Landsturmbataillone genügt.

   Der Kraftzuschuß, welchen man aus den Militärbefreiten erhofft, dürfte von
Sr. Exzellenz dem k. k. Landesverteidigungsminister zu hoch berechnet worden

0-0 Einfügung Fejervärys.
<pb/>Nr. I Gemeinsame Beratung, Budapest, 20. 11. 1884  677

 sein, da das Tauglichkeitsperzent bei der Assentierung nie über 20% und bei den
 Überprüfungen nicht über 35% geht, die Annahme eines 50%-Tauglichkeitssat¬
 zes daher den tatsächlichen Verhältnissen nicht entsprechen dürfte. Da inner¬
 halb von zwölf Jahren in den im Reichsrate vertretenen Königreichen und
 Ländern 152 000 und im Gebiete der ung. Krone 167 000 Individuen zeitlich
 befreit wurden, so wird die Zahl der hievon Tauglichen kaum mehr als 100 000
 betragen.

    Se. Exzellenz spricht jedoch neuerdings die Überzeugung aus, daß es nur
billig wäre, diese Elemente der Ersatzreserve zu überweisen, die parlamentari¬
sche Behandlung dieses Gegenstandes aber im gegenwärtigen Momente (näm¬
lich gleichzeitig mit dem Landsturmgesetze) politisch riskiert wäre und das
Zustandekommen des Landsturmgesetzes in Frage stellen würde. Betreffend die
nur ganz allgemein gehaltene Fassung bezüglich der Verwendung des Landstur¬
mes in dem von der. k. k. Regierung akzeptierten Gesetzentwürfe erlaubt sich
Se. Exzellenz anzuführen, daß ein präzise umschriebenes Gesetz -- wenn es auch
harte Bedingungen enthält - dem Individuum mehr Beruhigung gewährt und
im Parlamente leichter durchzubringen ist.

   Se. k. u. k. apost. Majestät geruhen Ag. zu eröffnen, daß es frag¬
lich ist, ob die Durchbringung des Landsturmgesetzes auch wirklich erleichtert
wird, wenn die Beschränkung der Militärbefreiungen vorläufig außer Betracht
kommt. Im Reichsrate würde dies die Durchbringung eher erschweren. Es bleibt
sehr mißlich, die Überweisung der nach § 17 des Wehrgesetzes Befreiten in die
Ersatzreserve durch eine Novelle zu diesem Gesetze zu einem späteren Zeit¬
punkte normieren zu wollen, und scheint die vom FML. Grafen Welsersheimb
beantragte Regelung dieser Angelegenheit durch das Landsturmgesetz vorteil¬
haft.

   Se. Majestät verkennen nicht, daß die Präzisierung des Gesetzes in bezug auf
die Art der Verwendung des Landsturmes, insbesondere mit Rücksicht auf die
Erleichterung der Durchbringung beim Parlamente zweckmäßig ist, nur wären
die vom Militärdienste zeitlich Befreiten nicht so prononciert in das dritte
Aufgebot zu stellen bzw. nicht so dezidiert von der Heranziehung zur Ergän¬
zung der operierenden Armee auszuschließen.

   Landesverteidigungsminister FML. Graf Welsersheimb
führt au. an, daß die Verpflichtung der kontinuierlichen Erhaltung des Heeres
im Kriegsfälle auf der Stärke von 800 000 Mann eine schärfere gesetzliche
Präzisierung für die eventuelle Ergänzung des Heeres aus dem Landstürme
abgeben würde, als dies in dem ung. Gesetzentwürfe der Fall ist, wo die Verwen¬
dung des ersten Aufgebotes zur Ergänzung der operierenden Armee nur im
äußersten Notfälle in Aussicht genommen wird.

   Se. k. u. k. apost. Majestät geruhen Ag. zu betonen, daß die
kontinuierliche Erhaltung der im Wehrgesetze normierten Kriegsstärke des
stehenden Heeres wohl sehr erwünscht wäre, jedoch aus dem Gesetze nicht
deduziert werden kann.

   Ministerpräsident v. Tisza erlaubt sich neuerdings auf die parla¬
mentarischen Schwierigkeiten hinzuweisen, welche die Kumulierung der beiden
<pb/>678 Nr. I Gemeinsame Beratung, Budapest, 20. 11. 1884

Fragen, nämlich: ,,des Landsturmgesetzes und der Beschränkung der Militärbe¬
freiungen auf die Zeit des Friedens&quot;, verursachen würde, und hebt hervor, daß
die letztere Frage noch einer reiflichen Erwägung erfordern würde, weil sie eine
Reihe anderer Fragen nach sich zieht, wie z. B. die dadurch bedingte Änderung
des Gesetzes über den Militärtaxfond, wodurch wieder das Gesetz über die
Versorgung der Witwen und Waisen von Militärpersonen alteriert wird.

   Se. k. u. k. apost. Majestät geruhen zu eröffnen, daß bezüglich
des Landsturmgesetzes, welches nunmehr vier Jahre den Gegenstand von Ver¬
handlungen bildet, ehebaldigst eine Vereinbarung zu erzielen wäre.

   Nach einer - über die Dauer der Landsturmpflicht und über die Heranzie¬
hung der nach dem Wehrgesetze vom Mihtärdienste zeitlich Befreiten zur
Ergänzung der operierenden Armee -- noch stattgehabten Diskussion erbittet
sich Ministerpräsident v. Tisza die Ah. Ermächtigung, diese zwei
wichtigen Fragen noch im ungarischen Ministerrate einer reiflichen Erwägung
unterziehen zu dürfen10 und erlaubt sich weiters au. anzuführen, daß es zweck¬
mäßig wäre zu konstatieren, ob noch etwa weitere prinzipielle Differenzen in der
Landsturmfrage bestehen, die dann unter einem ausgetragen werden könnten.

   Se. k. u. k. apost. Majestät geruhen, die erbetene Ermächtigung
Ag. zu erteilen, und fragen, ob noch weitere Differenzen vorhanden sind?

   Nachdem Landesverteidigungsminister FML. Freiherr v.
Fejervary diese Frage bejaht hat, geruhten Se. k. u. k. apost. Ma¬
jestät Ag. zu eröffnen, daß die vorhandenen Differenzen paragraphenweise
(nach dem ungarischen Gesetzentwürfe) zu besprechen sind.

   Landesverteidigungsminister FML. Graf Welsersheimb.
Im § 1 besteht der Unterschied, daß im ungarischen Gesetzentwürfe auch das
Personal der Gendarmerie und der Finanzwache, dann das Staatsforstpersonal
als landsturmpflichtig angeführt ist; im diesseitigen Entwürfe wurde darüber
nichts gesagt, dagegen die Bürgerkorps und überhaupt alle Körperschaften,
welche militärische Abzeichen tragen, zur Teilnahme am Landstürme verpflich¬
tet. Bezüglich des erstgenannten Personals wurde im diesseitigen Entwürfe -
analog wie im preußischen Gesetze -- aus dem Grunde keine Bestimmung
aufgenommen, weil es in Kriegszeiten mehr als unter gewöhnlichen Verhältnis¬
 sen seinen eigentlichen Berufspflichten wird nachgehen müssen. Wenn auch bei
 den Vorarbeiten für die Grenzsicherung und Absperrung in Galizien auf das
 Personal der Finanzwache reflektiert und dieses auch neubewaffnet wurde, so
 wird dies nur in dem Maße geschehen können, als es mit seinem Berufe in
 Einklang zu bringen ist.

    Ung. Landesverteidigungsminister FML. Freiherr v. Fe-
jerväry führt au. an, daß die gleichen Anschauungen auch bei Abfassung
 des ungarischen Gesetzentwurfes maßgebend waren und auf das gedachte Per¬
 sonal nur insoweit reflektiert wird, als es infolge der Kriegsereignisse in einzel-

 10 Vgl. 30/MT. Ung. MR. v. 17. 12. 1884. 5. Bezüglich des Landsturmgesetzes, OL., K. 27,
         Karton 39 bzw. 12/MT. Ung. MR. v. 8. 6. 1885. 3. Bezüglich des Landsturmgesetzantrages,

         OL., K. 27, Karton 39.
<pb/>Nr. I Gemeinsame Beratung, Budapest, 20. 11. 1884  679

nen Gebieten disponibel werden sollte; aus diesem Grunde wurde auch in den
Entwurf die beschränkende Bestimmung aufgenommen: ,,wenn es die Kriegs¬
verhältnisse erheischen&quot;. Auf uniformierte Vereine, welche mehr oder weniger
als militärische Spielereien zu betrachten sind, wurde keine Rücksicht genom¬
men, weil dies keinen praktischen Wert hätte.

   Landesverteidigungsminister FML. Graf Welsersheimb
erlaubt sich au. anzuführen, daß dies eben der Grund war, um die Konstituie¬
rung solcher Vereine, welche im Frieden die militärische Uniform eitel tragen
und sich im Kriege zu keinen Leistungen herbeilassen wollen, im Wege des
Landsturmgesetzes zu erschweren.

   Ministerpräsident v. Tisza erlaubt sich au. hervorzuheben, daß
wohl nur die prinzipiellen Bestimmungen in beiden Entwürfen gleich sein mü߬
ten, die vorliegende Differenz aber keine solche Bedeutung habe.

   Se. k. u. k. apost. Majestät geruhen Ag. zu eröffnen, daß das
Personal der Gendarmerie, der Finanzwache und der Staatsforste nur, wenn es
eben disponibel ist, zu Landsturmdiensten wird herangezogen werden können;
im übrigen brauchen die in Rede stehenden Bestimmungen in den beiden
Entwürfen nicht gleich zu sein.

   Landesverteidigungsminister FML. Freiherr v. Fejervä-
ry. Im § 2 besteht außer der schon erörterten Verschiedenheit bezüglich der
allgemeinen Dauer der Landsturmpflicht (bis zum 40. bzw. 42. Lebensjahr),
noch die Differenz, daß im ung. Entwürfe für jene Personen, welche im stehen¬
den Heere (Kriegsmarine) oder bei der Landwehr gedient haben und noch eine
militärische Charge bekleiden, im Falle ihrer Eignung die Landsturmpflicht bis
zum vollendeten 60. Lebensjahre festgesetzt wurde - während in dem Entwürfe
der k. k. Regierung für diese Personen keine Altersgrenze angegeben ist.

   Landesverteidigungsminister FML. Graf Welsersheimb
führt au. an, daß bei diesen Personen nur die noch vorhandene Waffenfahigkeit
als Grenze der Landsturmpflicht angegeben wurde. Die Tendenz beider Entwür¬
fe ist die gleiche, indem über dem 60. Lebensjahr wohl nur wenige Personen
noch waffenfähig sein werden; vielleicht könnten noch einige Generale, welche
das 60. Lebensjahr überschritten haben, Dienste leisten.

   Se. k. u. k. apost. Majesät geruhen zu eröffnen, daß die Grenze
mit 60 Jahren wohl hoch genug gesteckt wurde; Personen über diesem Alter
werden - wenn sie sich nicht freiwillig melden - keine entsprechenden Dienste
leisten; diese Differenz ist nicht von Belang.

   Ung. Landesverteidigungsminister FML. Freiherr v. Fe-
jerväry. Im § 4 des ungarischen Entwurfes ist - analog wie im Landwehr¬
gesetze - angeführt, daß die Aufrufung des Landsturmes nach Vernehmung des
Ministerrates auf Befehl Sr. Majestät erfolgt; in dem Entwürfe der k. k. Regie¬
rung sind die Worte: ,,nach Vernehmung des Ministerrates&quot; eliminiert.

   Se. Exzellenz erlaubt sich au. zu bemerken, daß die im ung, Entwürfe propo-
nierte Fassung mit Rücksicht auf die gleiche Bestimmung im Landwehrgesetze

beibehalten werden müßte.
   Landesverteidigungsminister FML. Graf Welsersheimb.
<pb/> 680 Nr. I Gemeinsame Beratung, Budapest, 20. 11. 1884

Vom militärischen Standpunkte wäre die im diesseitigen Entwürfe beantragte
Fassung besser, doch liegt kein Hindernis vor, auch jene des ung. Entwurfes zu
akzeptieren.

    Se. k. u. k. apost. Majestät eröffnen Ag., daß diese Bestimmung
in beiden Entwürfen - u. zw. konform jener des ungarischen Entwurfes - gleich
sein muß. Das Ministerium existiert wohl nicht, welches in Momenten der
Gefahr sich der Aufbietung des Landsturmes widersetzen würde.

   Landesverteidigungsminister FML. Freiherr v. Fejervä-
ry. Im § 4 besteht die weitere Differenz, daß nach dem ung. Entwürfe die
Aufrufung des Landsturmes dann und in jenem Maße geschieht, als das Land
durch die Gefahr des feindlichen Angriffes unmittelbar bedroht ist, während in
dem Entwürfe der k. k. Regierung diese Fassung mehr allgemein lautet: ,,wenn
ein feindlicher Einfall Teile des Staatsgebietes bedroht oder überzieht&quot;.

   Chef des Generalstabes FML. Freiherr v. Beck erlaubt
sich au. anzuführen, daß der ungarische Entwurf in dieser Richtung zu enge
Grenze zieht, indem nach dieser Fassung die Ergänzungen für die operierende
Armee - aus jenen Teilen der Monarchie, welche nicht unmittelbar bedroht sind
- gar nicht einberufen werden könnten, wie dies z. B. aus Ungarn nicht möglich
wäre, wenn die Armee in Galizien steht oder gar die Offensive ergreift. Die
Ergänzungen für die operierende Armee müssen jedoch unter allen Verhältnis¬
sen aus dem Bereiche der ganzen Monarchie einberufen werden können, und
wäre daher der auf diese Kategorie der Landsturmmänner Bezug nehmende
Passus nur ganz allgemein zu halten; dagegen braucht das Massenaufgebot nur
in jenem Maße einberufen zu werden, als die betreffenden Teile der Monarchie
wirklich bedroht sind.

   Ministerpräsident v. Tisza beantragt au., die auf die Aufbietung
des Landsturmes Bezug nehmenden Bestimmungen in zwei Teile zu sondern,
u. zw. je nachdem die Landsturmmänner auch für die eventuelle Ergänzung der
operierenden Armee bestimmt sind oder nicht.

   Se. k. u. k. apost. Majestät geruhen die Sonderung der diesbe¬
züglichen Bestimmungen Ag. zu genehmigen und betonen, daß dieselben in
beiden Entwürfen gleich sein müssen.

   Ung. Landesverteidigungsminister FML. Freiherr v. Fe-
jerväry. Im §5 besteht eine Differenz bezüglich des Zeitpunktes, wann der
Landsturm unter die militärischen Straf- und Disziplinarvorschriften tritt; im
ungarischen Entwürfe wurde hiefür der Tag des Aufrufes festgesetzt, während
im Sinne des Entwurfes der k. k. Regierung dies erst dann Platz zu greifen hätte,
wenn die Eingereihten den Eid der Treue geleistet haben.

   Se. Exzellenz hält die Fassung des ungarischen Entwurfes für zweckmäßiger,
weil im Sinne desselben auch gegen solche Individuen, welche eventuell dem
Einberufungsbefehle nicht Folge leisten, nach den militärischen Straf- und
Disziplinarvorschriften eingeschritten werden kann.

   Landesverteidigungsminister FML. Graf Welsersheimb
beantragt au. - um dies ermöglichen zu können - eine geänderte Stilisierung der
bezüglichen Bestimmung des Entwurfes der k. k. Regierung. Dieselbe könnte
<pb/>Nr. I Gemeinsame Beratung, Budapest, 20. 11. 1884  681

eventuell lauten: ,,Nachdem das Landsturmaufgebot ergangen ist, haben die
Einzureihenden den Eid der Treue zu leisten und unterstehen den Militärstrafge-
setzen und Disziplinarvorschriften.&quot;

   Nach einer hierüber stattgehabten Diskussion geruhen Se. k. u. k.
apost. Majestät Ag. zu eröffnen, daß die auf die Eidesleistung Bezug
nehmende Bestimmung im Gesetze auch entfallen kann, und genehmigen in
bezug auf die Unterstellung des Landsturmes unter die militärischen Strafgeset¬
ze und Disziplinarvorschriften die präzisere Fassung des ung. Entwurfes.

   Ung. Landesverteidigungsminister FML. Freiherr v. Fe-
jerväry. Im §6 des ungarischen Entwurfes ist die Einteilung der Land¬
sturmpflichtigen in drei Aufgebote und im § 7 die Art der Verwendung derselben
festgesetzt, während in dem Entwürfe der k. k. Regierung nur folgende allgemei¬
ne Bestimmung enthalten ist:

   ,,Die tatsächliche Verwendung des aufgebotenen Landsturmes erfolgt nach
Maßgabe des Bedarfes durch den vom Kaiser bezeichneten Militärbefehlshaber,
in der vom Kaiser bestimmten Organisation.&quot;

   Nach einer hierüber stattgehabten Diskussion geruhen Se. k. u. k.
apost. Majestät Ag. zu eröffnen, daß in diesen zwei Paragraphen die
schon erörterten zwei Streitfragen enthalten sind, worüber im ungarischen
Ministerrate noch Beratungen gepflogen werden. Se. Majestät legen einen be¬
sonderen Wert darauf, daß die diesbezüglichen Bestimmungen in beiden Ent¬
würfen eine gleichlautende Fassung erhalten.

   Landesverteidigungsminister FML. Freiherr v. Fejervä-
r y. Im § 8 des ungarischen Entwurfes wurde die Bestimmung aufgenommen,
daß zur Bewaffnung und Ausrüstung des Landsturmes (in erster Linie des ersten
Aufgebotes) der gemeinsame Kriegsminister schon im Frieden die zur Verfü¬
gung bleibende Bewaffnung und die Ausrüstungsgegenstände von Zeit zu Zeit
in jenem Verhältnisse dem Landesverteidigungsminister überantworten wird, in
welchem das Landsturmkontingent des ungarischen Staatengebietes zum Kon¬
tingente des anderen Staatsgebietes der Monarchie steht. In dem Entwürfe der
k. k. Regierung ist nur angeführt, daß die Waffen, die dazu gehörige Ausrüstung
und die Munition nebst den Feldgeräten nach Maßgabe der verfügbaren Vorrä¬
te vom Staate beigestellt und im Frieden nach Anordnung des Ministers für
Landesverteidigung aufbewahrt werden.

   Hiezu erlaubt sich Se. Exzellenz au. zu bemerken, daß schon im Jahre 1876
die Frage angeregt war, für den Fall der Organisierung des Landsturmes dem
Landesverteidigungsministerium die im Heere außer Gebrauch gesetzten Ge¬
wehre in dem angedeuteten Verhältnisse unentgeltlich zu überlassen, worauf
jedoch das gemeinsame Kriegsministerium damals nicht einging und eröffnete,
daß das Landesverteidigungsministerium diese Gewehre kaufen soll. Einerseits
wäre es nur billig, daß derlei Waffen - statt mm einen geringen Preis verkauft
zu werden - für die einen integrierenden Teil der Wehrmacht bildenden Land¬
sturmformationen unentgeltlich überlassen werden, andererseits wäre es nicht
möglich, die zur Anschaffung der Gewehre erforderlichen Summen beim Parla¬
mente anzusprechen; wie denn überhaupt nur dann eine Aussicht für die Durch-
<pb/>682 Nr. I Gemeinsame Beratung, Budapest, 20. 11. 1884

bringung des Landsturmgesetzes vorhanden ist, wenn es keine oder nur minime
Kosten verursacht.

   Landesverteidigungsminister FML. Graf Welsersheimb
führt au. an, daß sich Se. Exzellenz der Reichskriegsminister bereit erklärt hat,
die außer Gebrauch gesetzten, noch guten Gewehre (derzeit 450 000 Stück) für
den Landsturm zu widmen.

   Es entsteht nun die Frage, ob diese Gewehre von den Landesverteidigungsmi¬
nisterien gekauft, oder ob sie und in welchem Verhältnisse unentgeltlich an
dieselben überlassen werden sollen?

   Die im ungarischen Gesetzentwürfe enthaltene Bestimmung könnte Se. Ex¬
zellenz vor dem Parlamente nicht vertreten, nachdem schon für die Landwehren
das Prinzip des Aufkommens der betreffenden Staatsgebiete besteht, und wenn
schon eine Teilung dieser disponiblen Waffen vorgenommen werden sollte, so
müßte sie - weil dieselben ein gemeinsames Gut bilden - nach dem Schlüssel der
Beitragsleistung zu den gemeinsamen Auslagen erfolgen. Es dürfte sich empfeh¬
len, diese Frage nicht in das Gesetz aufzunehmen, sondern der Vereinbarung
der beiderseitigen Regierungen mit dem Reichskriegsminister zu überlassen,
welche in der Weise erfolgen könnte, daß der Reichskriegsminister diese Geweh¬
re - welche im Frieden gemeinsames Gut bleiben - nach Maßgabe des voraus¬
sichtlichen Bedarfes verteilt, dieselben, wenn sie von der Landwehr überhaupt
aufbewahrt werden können, auch leihweise überläßt und erst im Kriegsfälle
gegen Refundierung aus Staatsmitteln definitiv den beiderseitigen Landesvertei¬
digungsministerien übergibt.

   Reichskriegsminister FZM. Graf Byland-Rheidt führt au.
an, daß nunmehr nur die ganz unbrauchbaren Gewehre verkauft werden und
gegenwärtig 4-500 000 Stück Wänzel-Gewehre - mit der Widmung für den
Landsturm - in Wien und Komorn erhegen. Auch in Zukunft werden die
disponibel werdenden, noch brauchbaren Gewehre zu dem gleichen Zwecke
deponiert. Se. Exzellenz erklärt sich mit den Ausführungen Se. Exzellenz des
k. k. Landesverteidigungsministers einverstanden.

   Nachdem auch Ministerpräsident v. Tisza erklärte, daß nachdem
die noch brauchbaren Gewehre nicht verkauft werden, die Modalitäten der
Verteilung derselben nicht im Gesetze aufgenommen sein müssen, geruhen
Se. k. u. k. apost. Majestät Ag. zu eröffnen, daß diese Bestimmung
in Gesetzentwürfe zu entfallen habe.

   Reichskriegsminister FZM. Graf Bylandt-Rheidt erlaubt
sich sodann die Monturwirtschaft im Heere kurz zu skizzieren und au. anzufüh¬
ren, daß zu der von Se. Exzellenz dem ung. Landesverteidigungsminister in
Aussicht genommenen Bekleidung des ersten und zweiten Landsturmaufgebo¬
tes mit ausgetragenen Monturen des gemeinsamen Heeres und der Landwehr
von seiten der Heeresverwaltung im Frieden gar keine Vorräte beigestellt wer¬
den könnten und daß es fraglich ist, ob solche im Mobilisierungsfalle verfügbar
sein werden, weil mit den älteren Sorten die einrückenden Ersatzreservisten
bekleidet werden müssen.

   Landesverteidigungsminister FML. Graf Welsersheimb
<pb/>Nr. I Gemeinsame Beratung, Budapest, 20. 11. 1884  683

führt au. an, daß eben aus diesem Grunde in dem Gesetzentwürfe der k. k.
Regierung über die Bekleidung keine Bestimmung aufgenommen wurde.

   Se. k. u. k. apost. Majestät geruhen Ag. zu eröffnen, daß auch
bezüglich der Bekleidung keine Bestimmungen in die Gesetzentwürfe aufzuneh¬
men sind.

   Landesverteidigungsminister FML. Freiherr v. Fejervä-
ry. Im § 10 des ungarischen Entwurfes wurde aufgenommen, daß die Offi¬
ziere des Landsturmes von Sr. Majestät, die Unteroffiziere dagegen, eventuell
im Einvernehmen mit der politischen Behörde, von jenem Honvedbataillons-
oder Honvedhusaren-Regimentskommandanten, u. zw. erst bei Anordnung der
Mobilisierung, ernannt werden, in dessen Evidenzbereich die Landsturmabtei¬
lung gehört.

   In dem Entwürfe der k. k. Regierung ist hierüber nichts gesagt. Se. Exzellenz
führt au. an, daß die pEinräumung derp Einflußnahme der politischen Behörden
auf die Ernennung der Unteroffiziere zweckmäßig sein dürfte, um die Behörden
für diese Institution zu interessieren.

   qDie Einflußnahme der politischen Behörden war nur insoweit in Aussicht
genommen worden, um durch dieselbe über das Verhalten jener Chargen,
welche schon längere Zeit dem Militärdienste entrückt waren, orientiert zu
werden, während die Trennung schon im Entwürfe u. zw. jene der Offiziere
Sr. k. u. k. apost. Majestät, jene der Unteroffiziere dem Minister vorzubehalten,
bestimmten Ausdruck gefunden.11

   Se. k. u. k. apost. Majestät geruhen es als zweckmäßig zu be¬
zeichnen, daß Offiziere und Unteroffiziere ernannt und nicht gewählt werden.

   Landesverteidigungsminister FML. Graf Welsersheimb
führt au. an, daß die gleiche Maßnahme auch in den im Reichsrate vertretenen
Königreichen und Ländern in Aussicht genommen ist, daß jedoch alle Details
der Organisation - welche ausschließlich Sr. Majestät Vorbehalten wurde - aus
dem Entwürfe der k. k. Regierung eliminiert sind; insbesondere hat man vermie¬
den, solche Details aufzunehmen, welche in dem gegenwärtigen Landsturmge¬
setze für Tirol enthalten sind und in Zukunft geändert werden sollen, um nicht
von Haus aus die Tiroler Abgeordneten in Opposition gegen das neue Gesetz

zu setzen.
   Se. k. u. k. apost. Majestät geruhen Ag. zu eröffnen, daß bezüg¬

lich dieser Detailfragen die absolute Gleichheit in den beiden Gesetzentwürfen

nicht notwendig ist.
   Landesverteidigungsminister FML. Freiherr v. Fejervä-

ry. Im § 11 des ungarischen Entwurfes wurde festgesetzt, daß die Evidenz¬
haltung der Landsturmpflichtigen sowie die Einteilung der einzelnen Abteilun¬
gen in taktische Einheiten durch die Honvedkommanden bewirkt wird, daß
auch die Gemeinden zur Evidenzhaltung verpflichtet sind und daß die Kader
des Landsturmes schon im Frieden fürgewählt werden. Im Entwürfe der k. k.

p&#39;p Einfügung Fejervärys.
q&quot;&lt;1 Einfügung Fejervärys.
<pb/>684  Nr. I Gemeinsame Beratung, Budapest, 20. 11. 1884

Regierung ist hingegen nur aufgenommen, daß die Sturmrollen von den Ge¬
meindevorstehungen im übertragenen Wirkungskreis anzulegen und evident zu
halten sind. Se. Exzellenz erachtet es für zweckmäßig, wenn die Einflußnahme
der militärischen Behörden auf die Evidenzhaltung im Gesetze zum Ausdrucke
gelangt.

   Landesverteidigungsminister FML. Graf Welsersheimb
führt au. an, daß diese Bestimmungen als organisatorische Detailfragen be¬
trachtet - und aus dem Grunde in den Entwurf der k. k. Regierung nicht
aufgenommen wurden.

   Se. k. u. k. apost. Majestät geruhen, die Zweckmäßigkeit der ge¬
setzlichen Feststellung der Ingerenz der militärischen Behörden auf die Evidenz¬
haltung und Organisierung des Landsturmes zu betonen, und eröffnen Ag., daß
eine diesbezügliche Bestimmung auch in den Gesetzentwurf für die im Reichsra¬
te vertretenen Königreiche und Länder aufzunehmen sei.

   Landesverteidigungsminister FML. Freiherr v. Fejervä-
ry. Im § 15 des ungarischen Entwurfes wurde die Bestimmung aufgenom-
men, daß dieses Gesetz, sofort nachdem es in Kraft getreten, auf alle jene
Anwendung findet, die durch dessen Bestimmungen an dem Landstürme teilzu¬
nehmen verpflichtet sind. Im Entwürfe der k. k. Regierung ist über das Insleben-
treten des Gesetzes nichts erwähnt.

   Nach einer hierüber stattgehabten Diskussion, bei welcher hervorgehoben
wird, daß in den im Reichsrate vertretenen Königreichen und Ländern ein
eigenes Gesetz besteht, womit das Inslebentreten der Gesetze - wenn nichts
anderes bestimmt wird - normiert ist, und nachdem weiters konstatiert wurde,
daß die Fassung des § 15 des ungarischen Entwurfes keinen Zweifel darüber
zuläßt, daß auch jene Personen, welche die zwölfjährige Militärdienstpflicht
mittlerweile vollstreckt haben, der Landsturmpflicht unterhegen, geruhen
Se. k. u. k. apost. Majestät Ag. zu eröffnen, daß die Aufnahme ei¬
ner ähnlichen Bestimmung in den Gesetzentwurf für die im Reichsrate vertrete¬
nen Königreiche und Länder kaum notwendig ist, jedoch nicht schaden kann.

   Sodann geruhen Se. Majestät anzuordnen, daß sobald die Prinzipienfragen
im ungarischen Ministerrate erledigt sein werden, die beiden Landesverteidi¬
gungsminister ehebaldigst die Gesetzentwürfe - welche auch dem Wortlaute
möglichst gleich sein müßten - zu verfassen haben, da dieser Gegenstand einen
weiteren Aufschub ohne Nachteil nicht zuläßt.

   Auf die Frage des Zeitpunktes der Einbringung des Gesetzes übergehend,
betonen Se. Majestät, daß die Hindernisse, welche bisher auf ungarischer Seite
in dieser Richtung bestanden haben, nunmehr beseitigt sind und in Anbetracht
der politischen Verhältnisse der gegenwärtige Zeitpunkt hiefür besonders gün¬
stig wäre.

   Ministerpräsident Graf Taaffe erlaubt sich au. anzuführen, daß
die Einbringung des Gesetzes in der nächsten Session des Reichsrats auf große
Schwierigkeiten stößt, weil einerseits die Zeit bis Ostern zu kurz ist, um auch
dieses Gesetz, welches große Beratungen hervorrufen wird, durchzubringen,
andererseits dieselben Hindernisse, welche in Ungarn gegen die Einbringung im
<pb/>Nr. I Gemeinsame Beratung, Budapest, 20. 11. 1884  685

letzten Jahre der verflossenen Wahlperiode bestanden, nunmehr auch im Abge¬

ordnetenhause der im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder vorhan¬
den wären. Se. Exzellenz befürchtet, daß wenn dieses Gesetz dennoch jetzt
eingebracht und durchfallen würde, es für die Linke die schönste Gelegenheit
zu einem Wahlmanöver böte und dann überhaupt keine Aussicht vorhanden
wäre, es je zustande zu bringen. Se. Exzellenz glaubt daher im Interesse der
Sache au. beantragen zu müssen, dieses Gesetz erst im Spätherbste des kommen¬
den Jahres, zu welcher Zeit die eigentliche Tätigkeit des neuen Reichsrates
beginnen wird, in beiden Reichshälften gleichzeitig einzubringen.

   Ministerpräsident v. Tisza erlaubt sich ein besonderes Gewicht
darauf zu legen, daß dieses in bezug auf die Durchbringung äußerst schwierige
Gesetz wenn nicht jetzt, so spätestens zu dem von Sr. Exzellenz dem Minister¬
präsident Grafen Taaffe beantragten Zeitpunkte eingebracht wird, um nicht
wieder in die letzte Session des gegenwärtigen ung. Reichstages zu kommen.

   Se. k. u. k. apost. Majestät geruhen zu fragen, ob gegen den vom
Ministerpräsidenten Grafen Taaffe beantragten Zeitpunkt vom politischen
Standpunkte irgendwelche Bedenken obwalten?

   Minister des Äußern und des kais. Hauses FML. Graf
Kälnoky führt au. an, daß die politische Situation im kommenden Jahre
sich nicht ändern dürfte, in dieser Hinsicht also gegen die Einbringung des
Gesetzes zu dem beantragten Zeitpunkte kein Anstand obwaltet, obschon nicht
zu verkennen ist, daß auch vom politischen Standpunkte die ehebaldigste Schaf¬
fung dieses Gesetzes im höchsten Maße erwünscht wäre.

   Landesverteidigungsminister FML. Graf Welsersheimb
erlaubt sich au. anzuführen, daß die Organisierung und Festigung
der Landsturminstitution eine Reihe von Jahren verbürgten Friedens bedarf
und daß es sehr gewagt wäre, ohne eines kräftig entwickelten Landsturmes einen
Krieg zu beginnen, rdaß daher jeder Aufschub bedenklich und gefahrvoll und
Gegenstand schwerster Verantwortung sein muß, sobald irgendeine Möglich¬
keit der Erreichung des Zieles geboten erscheint.1

   Se. k. u. k. apost. Majestät geruhen dem Anträge des Minister¬
präsidenten Grafen Taaffe die Ah. Genehmigung zu erteilen und eröffnen Ag.,
daß dieserwegen die Tätigkeit in der Zustandebringung des Gesetzentwurfes
nicht erlahmen darf, damit die weiteren Vorarbeiten auf Basis derselben ge¬
macht werden können.

   [II.] Sodann geruhen Se. Majestät Sich über den Stand der Verhandlungen
bezüglich des Entwurfes zu einem Kriegsleistungsgesetze zu erkundigen.

   Ung. Landesverteidigungsminister FML. Freiherr v. Fe-
jerväry. Auf Grund des Beschlusses in der unter Ah. Vorsitze am 25. No¬
vember v. J. in Budapest stattgehabten gemeinsamen Ministerkonferenz wurde
der vom gemeinsamen Kriegsministerium im Herbste v. J. übersandte Entwurf

r-r Einfügung Welsersheimbs.
<pb/>686 Nr. I Gemeinsame Beratung, Budapest, 20. 11. 1884

in einer aus den Delegierten sämtlicher Ministerien gebildeten Kommission
überprüft, auf Basis dieser Verhandlungen ein neuer Entwurf festgestellt, wel¬
cher am 28. Februar d. J. im Ministerrat zur Beratung kam,11 vom Ministerrate
genehmigt und am 3. März d. J. dem gemeinsamen Kriegsministerium übersen¬
det wurde; eine Antwort darauf ist seither nicht eingelangt.

   Reichskriegsminister FZM. Graf Bylandt-Rheidt führt au.
an, daß der Entwurf der ungarischen Regierung am 23. März d. J. dem k. k.
Ministerium für Landesverteidigung mit dem Ersuchen mitgeteilt wurde, den
hiezu einnehmenden Standpunkt dem Reichskriegsministerium bekanntzuge¬
ben. Die Antwort dieses Ministeriums ist noch nicht eingetroffen. Von seiten des
Reichskriegsministeriums bestehen gegen den vom ungarischen Ministerrate
neuredigierten Entwurf keine wesentlichen Bedenken. Zwischen den beiden
Regierungen bestehen jedoch Differenzen in Ansehung des Befriedigungsmodus
der Kontribuenten. In Ungarn soll der Landesverteidigungsminister das letzte
Wort haben, in Zisleithanien eine Zentralkommission am Sitze der Gesamtre¬
gierung resp. beim Reichskriegsministerium (gemeinsame Ministerialkommis-
sion). Letzteres wird damit motiviert, daß diese Vergütungen aus gemeinsamen
Mitteln zu leisten sind. Die übrigen Differenzen sind untergeordneter Natur.

   Ministerpräsident v. Tisza. Außer der von Sr. Exzellenz dem
Reichskriegsminister hervorgehobenen wesentlichen Differenz bestehen solche
noch in den Bestimmungen, in welchem Umfange bzw. auf welche Gebiete sich
die Kriegsleistungen bei einer partiellen Mobilisierung zu erstrecken haben,
dann bezüglich der Unterstellung jener Zivilpersonen, welche den mobilisierten
Heeresteilen folgen, unter die Militär-Strafgerichtsbarkeit und militärische Dis-
ziplinarstrafgewalt, dann hinsichtlich der Art der Feststellung der Marktpreise.

   Landesverteidigungsminister FML. Graf Welsersheimb
führt au. an, daß vom Ministerium für Landesverteidigung auf Grund der von
Sr. Exzellenz dem Reichskriegsminister erwähnten Zuschrift und auf Basis des
Entwurfes der ung. Regierung ein den diesseitigen Verhältnissen angepaßter
neuer Gesetzentwurf samt den zugehörigen Durchführungsbestimmungen ver¬
faßt und Ende Juni d. J. an die Ministerien des Inneren, der Finanzen, der Justiz,
dann für Handel und für Ackerbau zur Würdigung und Abgabe der Wohlmei¬
nung übersendet wurde; sund würde die Frage8 für den Fall abweichender
Anschauungen zunächst darüber entstehen, ob eine Erörterung derselben vor¬
erst in einer aus Vertretern der beteiligten k. k. Ministerien zusammenzuberu¬
fenden Kommission wünschenswert - oder direkte `in einer gemeinsamen Kon¬
ferenz1 auszutragen wäre. Vom Finanzministerium ist die Antwort noch aus¬
ständig; nach Eintreffen derselben wird eine aus den Vertretern der beteiligten
Ministerien zusammenzusetzende Kommission einberufen werden müssen, weil

8-8 Korrektur Welsersheimbs aus u. zw. würde die Wohlmeinung.
 t&quot;t Korrektur Welsersheimbs aus im Ministerrate.

 11 6/MT. Ung.MR. v. 28. 2.1884. 16. In Angelegenheit des Kriegsleistungsgesetzes, OL., K. 27,
         Karton 38.
<pb/>Nr. I Gemeinsame Beratung, Budapest, 20. 11. 1884  687

das Ministerium des Innern des in Anbetracht der noch weitgehenden Differen¬
zen als notwendig erachtet.

   Finanzminister Ritter v. Dunajewski führt au. an, daß von
seiten des Finanzministeriums die Antwort auf die Note Sr. Exzellenz des
Ministers für Landesverteidigung mittlerweile erfolgt ist, die Differenzen jedoch
(welche von Sr. Exzellenz kurz skizziert werden) noch so weitgehende seien, daß

dieser Gegenstand zur Beratung im gemeinsamen Ministerrate noch nicht ge¬
eignet ist.

   Chef des Generalstabes FML. Freiherr v. Beck erlaubt
sich zu bemerken, daß das Zustandekommen dieses Gesetzes - worüber nun seit
zwölfJahren Verhandlungen gepflogen werden - mehr im Interesse der Bevölke¬
rung als in jenem des Heeres gelegen ist, da im Mobilisierungsfalle die Bedürf¬
nisse der Armee auch ohne gesetzlicher Bestimmungen befriedigt werden müs¬
sen.

   Se. Exzellenz perhorresziert sodann die bezüglich der Entschädigungen zuta¬
ge tretenden neuen Tendenzen, u. zw. sowohl in Hinsicht der Zahl und Gattung
der Objekte, für welche Entschädigungen geleistet werden sollen, als auch in
Hinsicht der enormen Höhe der Entschädigungssummen, wozu die Finanzen
keines Staates ausreichen würden. Es müßte ein zwischen den Extremen liegen¬
der billiger Modus gefunden werden, um die Entschädigungen nicht illusorisch
zu machen.

   Finanzminister Ritter v. Dunajewski führt noch au. an, daß
bei der herrschenden Tendenz - den Staat für alles in Kontribution zu setzen
- bei den Verhandlungen im Abgeordnetenhause noch namhaft erhöhte Forde¬
rungen gestellt werden dürften. Se. Exzellenz würde die Regelung der Kriegslei¬
stungen im gegebenen Falle im Verordnungswege vorziehen.

   Ministerpräsident v. Tisza erlaubt sich au. zu bemerken, daß die
Zustandebringung des Kriegsleistungsgesetzes im hohen Maße erwünscht ist,
um die Bedürfnisse der Armee mit Sicherheit und möglichst wenig Störungen
befriedigen zu können.

   Se. k. u. k. apost. Majestät geruhen Ag. zu eröffnen, daß die Re¬
gelung der Kriegsleistungen im Gesetzeswege auch vom militärischen Stand¬
punkte vorteilhafter ist und es sehr erwünscht wäre, die diesbezüglichen Ver¬
handlungen bald zum Abschluß zu bringen.

   [III.] Auf den Entwurf des Versorgungsgesetzes für die Witwen und Waisen
nach Militärpersonen übergehend, geruhen Se. Majestät Ag. hervorzuheben,
daß gegen die Einbringung dieses Gesetzes auf seiten der ungarischen Regierung
nunmehr keine Schwierigkeiten obwalten dürften, nachdem die seinerzeit ge¬
stellte Bedingung - das Versorgungsgesetz für die Zivilbeamten früher der
parlamentarischen Behandlung zu unterziehen - demnächst entfallt. Sodann
geruhten Se. Majestät Ag. zu fragen, in welchem Stadium sich diese Angelegen¬
heit bei der Regierung der im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder
befindet?

   Landesverteidigungsminister FML. Graf Welsersheimb.
<pb/>688 Nr. I Gemeinsame Beratung, Budapest, 20. 11. 1884

In der unter Ah. Vorsitze am 25. November v. J. in Budapest stattgehabten
gemeinsamen Ministerkonferenz wurde zu Ah. Kenntnis gebracht, daß Se.
Exzellenz der k. k. Finanzminister die Vervollständigung der dem Entwürfe
zugelegenen statistischen Daten zu dem Zwecke gewünscht hat, um eine verlä߬
lichere als die bisher gelieferte Grundlage für die Berechnung jener Kosten zu
gewinnen, welche das projektierte Versorgungsgesetz nach sich ziehen wird.

   Se. Exzellenz der Reichskriegsminister hat die neuredigierte statistische Be¬
gründung im Juli d. J.u mit dem Ersuchen an das k. k. Ministerium für Landes¬
verteidigung geleitet, die Zustimmung der Regierung mit tunlichster Beschleuni¬
gung mitteilen und eröffnen zu wollen, ob das Reichskriegsministerium die Ah.
Genehmigung zur verfassungsmäßigen Behandlung dieses Gesetzes in beiden
Reichshälften erbitten soll, oder ob sich das k. k. Ministerium für Landesvertei¬
digung die Erstattung des au. Vortrages wegen Einbringung des Gesetzes bei
den Vertretungskörpem der im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder
vorbehält.

   Am 8. August d. J. hat das k. k. Ministerium für Landesverteidigung den
umgearbeiteten Gesetzentwurf zur Abgabe der Wohlmeinung Sr. Exzellenz dem
k. k. Finanzminister befürwortendv übersendet. In der darauf erhaltenen Ant¬
wort werden von Sr. Exzellenz dem k. k. Finanzminister so weitgehende und
prinzipielle Differenzen hervorgehoben, daß dieselben neue Verhandlungen mit
dem Reichskriegsministerium und der ungarischen Regierung bedingen, wenn
sie nicht in der heute unter der Ah. Vorsitze stattfindenden Beratung ausgetra¬
gen werden.

   Se. Exzellenz führt weiters au. an, daß sowohl militärische als pohtische
Rücksichten das baldigste Zustandekommen des Gesetzes wünschenswert ma¬
chen; mihtärische, weil es ein Gebot der Billigkeit und Gerechtigkeit ist, die
Versorgung der Offizierswitwen und Waisen nicht länger hinauszuschieben,
politische, weil sich auch wdie Öffentlichkeit und* das Parlament dieser Frage
schon* bemächtigt hat.

   Ministerpräsident v. Tisza bemerkt au., daß die ung. Regierung
dem Gesetzentwürfe des gemeinsamen Kriegsministeriums zugestimmt hat und
auch bereit ist, denselben noch in dieser Session einzubringen, nachdem der
Gesetzentwurf über die Versorgung der Zivilbeamten nächstens eingebracht
wird.

   Reichskriegsminister FZM. Graf Bylandt-Rheidt erlaubt
sich auch auf die Dringlichkeiten des in Rede stehenden Gesetzentwurfes und
dessen Behandlung noch in dieser Session hinzuweisen. In der Armee begreift
man nicht, daß diese nun schon seit mehreren Jahren in Verhandlung stehende
Angelegenheit bis jetzt der parlamentarischen Behandlung nicht unterzogen

        Randbemerkung Welsersheimbs 1884.
         Einfügung Welsersheimbs.
 W-W Einfügung Welsersheimbs.
         Einfügung Welsersheimbs.
<pb/>Nr. I Gemeinsame Beratung, Budapest, 20. 11. 1884  689

wurde. Die etwa noch vorhandenen Differenzen wären zunächst im Schoße der
k. k. Regierung auszutragen.

    Finanzminister Ritter v. Dunajewski erlaubt sich au. auf die
namhaften Kosten hinzuweisen, welche die gleichzeitige Erhöhung der Versor¬
gungsgenüsse der Witwen und Waisen nach Militärbeamten verursachen - und
auf die Unzufriedenheit, welche die Maßnahme bei den den analogen Dienst
versehenden Zivilbeamten hervorrufen würde. Es ist nur billig und könnte auch
im Parlamente motiviert werden, daß die Versorgung der Offizierswitwen und
Waisen in der im Entwürfe festgesetzten Weise ehebaldigst erfolge. Se. Exzellenz
spricht auch die Bereitwilligkeit aus, den Gesetzentwurf zu akzeptieren, wenn
die Versorgung der Witwen und Waisen nach Militärbeamten aus demselben
eliminiert wird; letztere könnte nach den bisherigen Bestimmungen insolange
erfolgen, bis es möglich sein wird, auch die Versorgungsgenüsse der Witwen und
Waisen nach Zivilbeamten zu regeln, oder wenigstens bis hinreichende Erfah¬
rungen gesammelt sein werden, daß die erhöhten Auslagen tatsächlich aus dem
Militärtaxfonde bestritten werden können, in welcher Beziehung Se. Exzellenz
Zweifel hegt.

   Landesverteidigungsminister FML. Graf Welsersheimb
führt au. an, daß diesbezüglich schon ein Beschluß des k. k. Ministerrates
vorliegt, dem Staate durch dieses Gesetz keine neuen Lasten erwachsen, und daß
es sich empfehlen würde, die vorhandenen Differenzen sofort in einer aus
Vertretern der beiden Regierungen zu bildenden Kommission auszutragen.

   Finanzminister Graf Szapäry bemerkt au., daß nach den ge¬
machten Erfahrungen dieser Modus nur eine Verzögerung der Verhandlungen
herbeiführen würde, und daß es schon aus dem Grunde zweckmäßig erscheint,
die Differenzen zunächst im Schoße der k. k. Regierung auszutragen, weil die
ung. Regierung zu dem Entwürfe des gemeinsamen Kriegsministeriums die
Zustimmung erteilt hat.

   Ministerpräsident Graf Taaffe bemerkt auch au., daß diese An¬
gelegenheit noch im Ministerrate zu verhandeln wäre.

   Se. k. u. k. apost. Majestät geruhen Ag. zu eröffnen, daß die vor¬
handenen Differenzen zunächst im Ministerrate der im Reichsrate vertretenen
Königreiche und Länder auszutragen sind. Sollten dann noch Meinungsver¬
schiedenheiten bestehen, so müßten die Verhandlungen zwischen den beiden
Regierungen und dem Reichskriegsministerium mit tunlichster Beschleunigung
gepflogen werden.

   Se. Majestät geruhten noch, Sich über das Stadium der Verhandlungen
betreffend die Versorgung der Beamten im Okkupationsgebiete zu informieren
und sodann die Sitzung Ag. aufzuheben.
<pb/>690 Nr. la Überblick über die früheren Beratungen, o. D.

Nr. Ia Überblick über die früheren Beratungen der drei Gesetzentwürfe, o. D.

     Beilage zum Prot. v. 20. 11. 1884

                                       Landsturmgesetz

   In der unter Ah. Vorsitze am 25. November 1883 in Budapest stattgehabten
gemeinsamen Ministerkonferenz geruhten Se. Majestät nach einer über diesen
Gegenstand stattgehabten Diskussion, wobei auch von militärischer Seite keine
Übereinstimmung der Ansichten zutage trat, Ag. zu eröffnen, daß die Frage
leider noch nicht zur Entscheidung reif ist, und ordnen Ag. an, über diesen
Gegenstand mit tunlichster Beschleunigung weitere Verhandlungen zu pflegen,
um zunächst militärischerseits in der Frage eines im Kriege zu schaffenden
Landsturmes eine völlige Übereinstimmung zu erzielen.

   Letztere wurde in der unter Ah. Vorsitze am 8. Jänner d. J. stattgehabten
Beratung erzielt,12 worauf über Ag. Befehl die vom Chef des Generalstabes
verfaßte Denkschrift über jene militärischen Anforderungen, welchen der Land¬
sturm zu genügen haben würde, mit Zuschrift der Militärkanzlei vom 24. Jänner
d. J. an den ung. Ministerpräsidenten von Tisza zur Orientierung mit dem
Ersuchen übersendet wurde,13 in dieser Angelegenheit Vorstudien zu veranlas¬
sen, um bei der seinerzeit unter Ah. Vorsitze beabsichtigten Beratung über diese
Frage die Gesichtspunkte der ung. Regierung erörtern zu können. Mit Zuschrift
Präsid.-Nr. 1938 vom 20. Juli d. J. hat das ung. Landesverteidigungsministerium
an das k. k. Landesverteidigungsministerium mitgeteilt, daß der Ministerpräsi¬
dent von Tisza die Denkschrift des Chefs des Generalstabes zum Studium und
Abgabe eines fachmännischen Urteiles an das ung. Landesverteidigungsministe¬
rium geleitet hat, der von diesem verfaßte Bericht am 4. Juli d. J. im Ministerrate
zur Verhandlung kam und daß der Ministerrat die Vorlage des Landsturmgeset¬
zes an die Legislative im Prinzip angenommen hat.14

   Nach Erörterung der bezüglichen Grundsätze stellt das ung. Landesverteidi¬
gungsministerium die Übersendung des Gesetzentwurfes in Aussicht.y

                                    Kriegsleistungsgesetz

   In der unter Ah. Vorsitze am 25. November 1883 in Budapest stattgehabten
gemeinsamen Ministerkonferenz geruhten Se. Majestät zur Ah. Kenntnis zu
nehmen, daß nunmehr die Verhandlungen bezüglich des Kriegsleistungsgesetzes
wieder in Gang kommen, und geruhten Ag. zu eröffnen, daß nach Einlangen

y Randbemerkung Welsersheimbs Konzept des k. k. Landesverteidigungsministers.

12 Protokoll der am 8. Jänner 1884 unter Ah. Vorsitze Sr. k. u. k. apost. Majestät in Wien
        stattgehabten Beratung über die Landsturmfrage, KA., MKSM. 20-1/1-2 de 1884.

13 Siehe Anm. 4 und 5.
14 Siehe Anm. 6.
<pb/>Nr. la Überblick über die früheren Beratungen, o. D.  691

der Antwort der ung. Regierung auf den im Reichskriegsministerium im Jahre
1882 kommissionell umgearbeiteten Gesetzentwurf dieselben mit der Absicht,
ein Resultat zu erreichen, weiterzuführen sind, da die Regelung der Kriegslei¬
stungen auf gesetzlichem Boden jedenfalls den erst im Kriegsfälle diesbezüglich
zu erlassenden Verordnungen vorzuziehen ist.

   Vom ung. Ministerrate wurde der Entwurf vom Jahre 1882 einer Neuredigie-
rung unterzogen15 und dieser neuredigierte Entwurf dem Reichskriegsministe¬
rium im Monate März d. J. übersendet, welches denselben am 23. März d. J.
dem k. k. Ministerium für Landesverteidigung mit dem Ersuchen mitgeteilt hat,
den hiezu einnehmenden Standpunkt dem Reichskriegsministerium bekanntzu¬
geben.

   Auf Grund dieser Zuschrift hat das k. k. Ministerium für Landesverteidigung
eine Neufassung des Gesetzes über Kriegsleistungen und der zugehörigen
Durchführungsbestimmungen veranlaßt und dieselbe Ende Juni d. J. an das
Ministerium des Innern, der Finanzen, der Justiz, dann für Handel und für
Ackerbau zur Würdigung und Abgabe der Wohlmeinung übersendet; u. zw.

wurde die Wohlmeinung für den Fall abweichender Anschauungen zunächst
darüber erbeten, ob eine Erörterung derselben vorerst in einer aus Vertretern
der beteiligten Ministerien zusammenzuberufenden Kommission wünschens¬
wert - oder direkte im Ministerrate auszutragen wäre.

   Das k. k. Ministerium für Landesverteidigung hat die an die erwähnten
Ministerien gerichteten Zuschriften auch dem Reichskriegsministerium mitge¬
teilt und hervorgehoben, daß es nicht ermangeln wird, seinerzeit den Beschluß
des Ministerrates dem Reichskriegsministerium zur Kenntnis zu bringen.

   Von seiten des Reichskriegsministeriums bestehen gegen den vom ung. Mini¬
sterrate neuredigierten Entwurf keine wesentlichen Bedenken.

   Zwischen den beiden Regierungen bestehen Divergenzen in Ansehung des
Befriedigungsmodus der Kontribuenten.

   In Ungarn soll der Landesverteidigungsminister das letzte Wort haben; in
Zisleithanien eine Zentralkommission im Sitze der Gesamtregierung resp. beim
Reichskriegsministerium (gemeinsame Ministerialkommission). Letzteres wird
damit motiviert, daß diese Vergütungen aus gemeinsamen Mitteln zu leisten
sind.

  Gesetz über die Versorgung der Witwen und Waisen von Militärpersonen

   In der unter Ah. Vorsitz Sr. Majestät am 25. November 1883 in Budapest
stattgehabten gemeinsamen Ministerkonferenz hat der Reichskriegsminister zur
Ah. Kenntnis gebracht, daß der letzte Gesetzentwurf vom Jahr 1883 den beiden
Regierungen übermittelt wurde.

   Von der ung. Regierung ist erklärt worden, daß prinzipielle Gegensätze nicht
bestehen; von der k. k. Regierung wird die Umarbeitung und Vervollständigung

15 Siehe Anm. 11.
<pb/> 692 Nr. II Konferenz, Wien, 30. 10. 1887

der dem Entwürfe zuliegenden statistischen Daten verlangt, obschon durch die
vorhandenen Daten alles geklärt ist.

    Finanzminister Ritter von Dunajewski hat au. angeführt, daß die Vervoll¬
ständigung der Daten zu dem Zwecke gewünscht wurde, um eine verläßlichere
als die bisher gelieferte Grundlage für die Berechnung jener Kosten zu gewin¬
nen, welche das projektierte Versorgungsgesetz nach sich ziehen wird.

   Nach einer hierüber stattgehabten Debatte geruhten Se. Majestät den
Wunsch auszusprechen, daß die diesbezüglichen Verhandlungen bald zum Ab¬
schlüsse gelangen.

   Das Reichskriegsministerium hat im Mai d. J. die Drucklegung der neuredi¬
gierten statistischen Begründung zum Gesetzentwürfe angeordnet und im Juli
d. J. dieselbe an die beiden Landesverteidigungsministerien mit dem Ersuchen
geleitet, die Zustimmung der betreffenden Regierungen zu dem Gesetze mit
tunlichster Beschleunigung mitteilen und eröffnen zu wollen, ob das Reichs¬
kriegsministerium die Ah. Genehmigung zur verfassungsmäßigen Behandlung
dieses Gesetzes in beiden Reichshälften erbitten soll, oder ob sich die Landesver¬
teidigungsministerien die Erstattung des Gesetzes bei der Legislative der betref¬
fenden Reichshälfte Vorbehalten.

   In der Zuschrift wurde auch hervorgehoben, daß ungeachtet der Kalkül auf
breiteste Basis gestellt wurde, das Ergebnis der neuen Berechnung als ein sehr
günstiges bezeichnet werden muß, daher nunmehr weder finanzielle noch sonsti¬
ge Bedenken dem Inslebentreten des allseits so dringend erwarteten Gesetzes
entgegenstehen.

   Am 8. August d. J. hat das k. k. Ministerium für Landesverteidigung drei
Exemplare des umgearbeiteten Gesetzentwurfes samt einer Abschrift der Zu¬
schrift des Reichskriegsministeriums zur Abgabe der Wohlmeinung dem Fi¬
nanzminister Ritter von Dunajewski übersendet und ersucht, eventuelle Beden¬
ken im Ministerrate zur Sprache zu bringen, damit bei Zusammentritt der
Reichsvertretungen diese Angelegenheit dem Ziele zugeführt werden könne.

Nr. II Konferenz, Wien, 30. Oktober 1887

    RS.
    Gegenwärtige: der k. u. k. gemeinsame Minister der Äußern Graf Kälnoky (o. D.), der k. u. k.
gemeinsame Kriegsminister FZM. Graf Bylandt-Rheidt (9.11.), der k. u. k. gemeinsame Finanzmi¬
nister v. Källay (10. 11.), der kgl. ung. Ministerpräsident v. Tisza (10. 11.), der k. k. Ministerpräsi¬
dent Graf Taaffe (11.11), der k. k. Finanzminister Ritter v. Dunajewski (11.11.), der k. k. Minister
für Landesverteidigung FML. Graf Welsersheimb (13.11.), der kgl. ung. Landesverteidigungsmini¬
ster FML. Freiherr v. Fejerväry (14.11), der k. k. Handelsminister Marquis de Bacquehem (12.11.),
der kgl. ung. Minister für öffentliche Bauten und Kommunikationen v. Baross (17.11.), der Chef
des k. u. k. Generalstabes FML. Freiherr v. Beck (17.11.), der Vorstand der Militärkanzlei Sr.
Majestät Freiherr v. Popp (o. D.), der Chef des k. u. k. Eisenbahnbureaus Obst. Ritter v. Gutten-
berg (17.11.).
<pb/>