Gemeinsamer Ministerrat, 1885-04-07; 1884-04-08
I. Die Zollnovelle und andere pendente Fragen handelspolitischer und finanzieller Natur
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Nr. 6 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 7. und 8. 4. 1885 255 Ring des Festungswerkes geschlossen und somit die ganze Festung verteidi- gungsfahig wäre. Minister des Äußern Graf Kälnoky vermag es zwar nicht zu beurteilen, wieviel noch nötig wäre, um die galizischen Festungen in den Zu¬ stand der vollkommenen Verteidigungsfähigkeit zu setzen; aus seinem Gesichts¬ punkte müsse er aber ebenfalls Gewicht darauf legen, daß dieser Zustand je eher erreicht werde. Finanzminister Dunajewski befürchtet, daß wenn bei Przemysl die ganze präliminierte Summe belassen wird, Schwierigkeiten bei Krakau entstehen können, da man auf diese letztere Ausgabe nicht gefaßt war. Kriegsminister Graf Bylandt-Rheidt rechtfertigt die Mehrfor¬ derung bei Krakau durch die eingetretenen Elementarereignisse sowie durch die außerordentliche Steigerung der Materialpreise und der Arbeitslöhne. Der weitere Verlauf der Diskussion, in welchem die beiderseitigen Finanzmi¬ nister wiederholt für eine Herabminderung der für 1885 eingestellten Summe eintreten, wogegen der Kriegsminister sich außer Stande zu sein erklärt, diesem Wunsche nachgeben zu können, bot keine neuen Gesichtspunkte, und nachdem schließlich auch die beiderseitigen Finanzminister der unveränderten Belassung des fraglichen Ausgabepostens zustimmten, geruhten Se. Majestät Ah. zu bestimmen, daß die Baurate bei Przemysl in der vom Kriegsminister bean¬ tragten Höhe ins Budget einzustellen sei. In betreff der Verhandlung des gemeinsamen Budgets in den Delegationen geben Se. Majestät der Ah. Erwartung Ausdruck, daß, gleich wie es in den letzteren Jahren mit Erfolg geschehen ist, die beiderseitigen Regierungen für die ins Budget eingestellten Beträge mit vollem Gewichte eintreten und keine Ab¬ striche gestatten werden, welcher Ah. Erwartung die Mitglieder der beiderseiti¬ gen Regierungen nachzukommen versprechen. Schließlich wurde noch als Termin für die Einberufung der Delegationen der 27. Oktober 1. J. bestimmt, worauf die Sitzung von Sr. Majestät Ag. geschlossen wurde. Datum ut supra. Ah. E. Ich habe den Inhalt des Protokolls zur Kenntnis genommen. Eisenerz, 8. Oktober 1884. Franz Joseph. Nr. 6 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 7. und 8. April 1885 RS. (und RK.) Gegenwärtige: der kgl. ung. Ministerpräsident v. Tisza (10. 5.), der k. k. Ministerpräsident Graf Taaffe (15. 5.), der k. u. k. gemeinsame Kriegsminister FZM. Graf Bylandt-Rheidt (16. 5.), der k. u. k. gemeinsame Finanzminister von Källay (17. 5.), der kgl. ung. Finanzminister Graf Szapäry (10. 5.), der k. k. Finanzminister Ritter v. Dunajewski (17. 5.), der k. k. Handelsminister Freiherr v. Pino (17. 5.), der kgl. ung. Handelsminister Graf Szechenyi (10. 5.), der Sektionschef <pb/>256 Nr. 6 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 7. und 8. 4. 1884 im k. u. k. Ministerium des Äußern v. Szögyeny (10. 5.), der Staatssekretär im kgl. ung. Handelsmi¬ nisterium v. Matlekovits (10. 5.). Protokollführer: Sektionsrat Freiherr v. Glanz. Gegenstand: Die Zollnovelle1 und andere pendente Fragen handelspolitischer und finanzieller Natur. KZ. 32. - RMRZ. 321 Protokoll des zu Wien am 7. und 8. April 1885 abgehaltenen Ministerrates für gemeinsame Angelegenheiten unter dem Vorsitze des k. u. k. gemeinsamen Ministers des Äußern Grafen Kälnoky. Der k. u. k. Minister des Äußern Graf Kälnoky leitete die Beratungen mit einigen Bemerkungen über die gegenwärtige Situation in der Zollfrage namentlich dem Auslande gegenüber ein. Der Hauptzweck der heuti¬ gen Beratung sei, Klarheit in diese Situation zu bringen. Sowohl die parlamenta¬ rischen wie die volkswirtschaftlichen Verhältnisse der Monarchie wie auch die Stellung zum Auslande drängen zu einer Entscheidung über die Fragen: ob die Zollnovelle in Wien und Budapest sofort zur parlamentarischen Behandlung gelangen könne oder nicht und welcher Modus für letzteren Fall zu akzeptieren sei; ob es überhaupt bei der gegenwärtigen Fassung der Novelle bleibe, und ob namentlich bezüglich der Industriezölle dieselbe unter jeder Bedingung unver¬ ändert durchzuführen sei. -Abgesehen von manchen Zweifeln, die über die Industriezölle im Inlande aufgetaucht seien, wäre vielleicht doch auch mit Rücksicht auf mancherlei Kundgebungen im Auslande noch zu bedenken, ob diese Retorsionsmaßregeln2 nicht eine zweischneidige Waffe seien, die uns mehr Schaden tun könnte als jenen, gegen die sie gerichtet ist. Graf Kälnoky wies auf die Aufnahme hin, welche die Zollnovelle in der Schweiz, einem nicht zu verachtenden Absatzgebiete der Monarchie, und in Deutschland gefunden. - Namentlich was letzteres betrifft, müßten wir uns auf einen scharfen Zollkampf gefaßt machen. - Der Gedanke von Retorsion aufdem Gebiete der Industriezöl¬ le sei bei uns lanciert worden, weil man durch diese Drohung hoffte, Frankreich vor Erhöhung der Einfuhrzölle auf landwirtschaftliche Produkte abzuhalten; damals habe man weniger an Deutschland und gar nicht an die Schweiz gedacht. Aber weder Frankreich noch Deutschland haben sich durch diese Drohung hievon abhalten lassen, und er (Graf Kälnoky) müsse vor jeder Illusion warnen, als ob in jenen Staaten noch auf irgendeine Modifikation oder Verzögerung der beschlossenen Agrarzölle zu rechnen sei. Auch die politische Seite müsse wohl erwogen werden. - Fürst Bismarck habe zwar erklärt, daß selbst ein Zollkampf die guten Beziehungen nicht alterieren solle, aber eine Verstimmung wenigstens in den Bevölkerungen sei wohl nicht zu vermeiden, wenn die gegenseitigen Vgl. 7IMT. Ung.MR. v. 21. 3.1885. 14. Gesetzantrag von der Modifizierung des allgemeinen Zolltarifs des österreichisch-ungarischen Zollgebietes, OL., K. 27, Karton 39. 4jMT. Ung.MR. v. 5. 2. 1885. 1. In Angelegenheit der Vorlage über die gegen Frankreich anzuwendenden Retorsionszölle bzw. 5/MT. Ung.MR. v. 20. 2. 1885. 1. Von den gegen Deutschland anzuwendenden Retorsionszöllen, OL., K. 27, Karton 39. <pb/>Nr. 6 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 7. und 8. 4. 1885 257 Retorsionsmaßregeln in Kraft treten und, wie unvermeidlich, auch auf gewisse, uns in Deutschland gewährte Erleichterungen im Verkehre, wie die Kartelle etc. ausgedehnt werden. - Graf Kälnoky halte es für seine Pflicht, die zur Beratung versammelten Minister auf alle diese Umstände aufmerksam zu machen und sie ihnen zur Erwägung zu empfehlen. Er selbst habe sich, seit die Zollnovelle von beiden Regierungen beschlossen worden und auch die Agrarzölle im deutschen Parlament eingebracht waren3, darauf zu beschränken gehabt, nach Berlin Aufklärungen gelangen zu lassen und die vertraulichen Bemerkungen des Für¬ sten Bismarck über den Gegenstand entgegenzunehmen. Nebst dieser festgesetz¬ ten Fühlung habe aber zu eigentlichen Verhandlungen in diesem Stadium der Frage die Basis gefehlt. - Es werde eben von den jetzt zu fassenden Beschlüssen über die weitere Behandlung der Zollnovelle in unseren Parlamenten abhängen, ob es tunlich sei, nochmals an Deutschland heranzutreten, nicht um den Fürsten Bismarck zur Rücknahme der Agrarzölle zu bewegen, welches aussichtslos sei, sondern um womöglich eine klare Äußerung des deutschen Reichskanzlers darüber zu provozieren, wie er sich die Gestaltung des zollpolitischen Verhält¬ nisses zwischen den beiden Reichen fortan denke, und ob und auf welcher Basis er ein solches noch erreichbar glaube. Der k. k. Ministerpräsident Graf Taaffe erklärt, warum es unter den obwaltenden Verhältnissen nicht möglich sei, die von dem Ausschüsse bereits angenommene Zollnovelle noch im Plenum des alten, jetzt vertagten Reichsrates zu Ende zu führen. Die Abgeordneten seien mit den Vorbereitungen für die unmittelbar bevorstehende Wahlkampagne beschäftigt, weshalb sich die Regierung, abgesehen von den eventuellen Gefahren für die Durchbringung der Novelle, überhaupt außerstande sehe, die Abgeordneten zu meritorischen Ver¬ handlungen noch einmal zu versammeln. Bei dieser Lage der Dinge erübrige nur, die Verhandlung der Zollnovelle bis zum Zusammentritt des neuen Hauses, welcher halben September erfolgen dürfte, zu vertagen, wobei die Zwischenzeit dazu benützt werden könnte, Erfahrungen über die Rückwirkung der deutschen Agrarzölle zu sammeln. Derkgl. ung. Ministerpräsident v. Tisza hält die ganze gegen¬ wärtige Richtung der Wirtschaftspolitik in Europa für ungesund und glaubt, daß es eben im Hinblick auf die so wünschenswerte Anbahnung einer Besserung dieser Verhältnisse in der Zukunft geboten erscheine, dem Auslande zu zeigen, daß wir uns zur Wehr zu setzen und denjenigen auch zu schaden vermögen, die uns durch ihr Agrarzollsystem Schaden zufügen. Wenn auch nur das kleinste Anzeichen für einen Umschwung in der internationalen Wirtschaftspolitik vor¬ läge, so würde er aus sachlichen Gründen keine zu große Schwierigkeit erblik- ken, die Novelle zu vertagen. - Unter der momentanen Konstellation aber müsse man hauptsächlich zwei Rücksichten im Auge haben, unsere Stellung zum Auslande, namentlich zu Deutschland, welches aus der Vertagung der Zollnovelle den Eindruck gewinnen würde, daß die Monarchie nicht in der Lage Kumpf-Korfes, Bismarcks ,,Draht nach Rußland" 50-51. <pb/>258 Nr. 6 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 7. und 8. 4. 1884 sei, sich gegen die schädigenden Maßregeln des Auslandes zu der Zeit und in der Weise, wie sie beabsichtigt war, zu verteidigen, und die Gefahren, welche das Hinausschieben der Erhöhung unserer Agrarzölle für die Verstärkung der in Ungarn gegen das gemeinsame Zollgebiet gerichteten Agitation nach sich ziehen würde. Auf die Frage des kgl. ung. Herrn Ministerpräsidenten, ob es nicht möglich wäre, das neue Haus noch im Sommer zur Votierung der Vorlage zusammentre¬ ten zu lassen, erwiderte der k. k. Ministerpräsident, daß zu einer Einberufung Ende Juni oder Juli nur im äußersten Notfälle geschritten werden könnte, da eine solche Maßregel bei einer erst zu konstituierenden Kammer zu einer Jahreszeit, wo die einflußreichsten Deputierten ohnedies schwer zu haben sind, bedenklich erscheine. - Man müsse daher österreichischerseits daraufWert legen, den neuen Reichsrat nicht vor September einzuberufen, wo die Regierung dann für eine rasche Votierung der Zollnovelle Sorge tragen werde. - Die Einberufung im Sommer wäre in jedem Falle sehr schwierig; darüber, ob sie überhaupt möglich wäre, ließe sich erst nach dem Ausfälle der Wahlen ein bestimmtes Urteil gewinnen. In einer längeren Diskussion, die sich an diese Bemerkungen anknüpfte und in der von Seite der kgl. ung. Minister die Notwendigkeit einer be¬ schleunigten Erledigung der Agrarzölle, namentlich auch mit dem Hinweis auf die verstärkte Konkurrenz begründet wurde, die sich auf dem inländischen Markte noch in der heurigen Kampagne infolge des Hereinströmens der durch die ausländischen Zollmaßnahmen von ihren bisherigen Märkten verdrängten, fremden Agrarprodukte geltend machen dürfte, während die k. k. Mini¬ ster einerseits diese Gefahr nicht für so dringend erachteten und anderer¬ seits auf die momentane Unmöglichkeit der parlamentarischen Verhandlung der Zollnovelle und die Zweckmäßigkeit, Erfahrungen über die Wirkung der deutschen Agrarzölle zu sammeln, hinwiesen - wurde auch die Frage berührt, ob nicht österreichischerseits die rumänischen3 Agrarzölle auf Grund des § 14 des Gesetzes vom 21. Dezember 1867 einstweilen im Verordnungswege in Kraft gesetzt werden könntenb. Der Antrag, welchen der kgl. ung. Ministerpräsident v. Tisza im Laufe der Debatten in dieser Beziehung formulierte, ging dahin, daß die Randbemerkung Tiszas: Ich glaube, daß nicht von den rumänischen, sondern von den deut¬ schen Agrarzöllen die Rede war. Randbemerkung Dunajewskis: Mir scheint, daß die Äußerungen der k. k. Minister, speziell meine ausführliche Darlegung in dieser knappen, vielleicht etwas zu konzisen Form, nicht ganz richtig wiedergegeben werden, - nachdem jedoch die Sitzung am 8. April stattfand und ich das Protokoll erst heute am 17. Mai erhalten habe, ist es mir nach Verlauf von 5 Wochen nicht möglich, meine Äußerung richtig niederzuschreiben. Randbemerkung Pinos: Auch ich bin heute am 17. Mai nicht in der Lage, aus dem Gedächtnis¬ se präzis zu wiederholen, was damals am 8. April gesagt wurde; gewiß aber ist der Ausdruck ,,rumänisch unrichtig, da es sich doch nur um die eventuelle Inkraftsetzung unserer Agrarzöl¬ le handeln konnte. < Randbemerkung des Protokollführers: In dem Protokollkonzepte stand die ,,neuen" Agrarzöl¬ le. Durch ein Verschreiben bei der Kopierung entstand der sinnstörende Fehler. <pb/>Nr. 6 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 7. und 8. 4. 1885 259 ungarische Regierung ein Gesetz einbringen würde, welches folgende zwei Be¬ stimmungen enthielte: ,,1. Nachdem die Beratung der Zollnovelle nicht tunlich war, wird die Regierung, das gleiche Vorgehen der österreichischen Regierung vorausgesetzt, ermächtigt, zu verordnen, daß vom 1. Juni 1885 bis 1. Juni 1886 die Zölle ... in Kraft treten. - 2. Die Zolltarifnovelle soll sobald als möglich, doch jedenfalls vor Ablauf des im § 1 bestimmten Termines legislatorisch erledigt werden." Der Minister des Äußern Graf Kälnoky wies auf den proviso¬ rischen Charakter einer derartigen Maßregel und den im vorhinein fixierten Endtermin derselben hin, was sie vielleicht österreichischerseits leichter an¬ nehmbar mache. Die k. k. öster. Minister behielten sich vor allem vor, in einem Ministerkonseil unter sich darüber zu beraten, ob überhaupt der erwähnte § 14 auf den Gegenstand anwendbar sei. Unter diesem Vorbehalte diskutierten auch sie den ungarischen Vorschlag, gegen welchen unter anderem ihrerseits einge¬ wendet wurde, daß die Aktivierung der Erhöhung der Agrarzölle ohne jener für die Industriezölle, welche letztere man in weiten Kreisen der Bevölkerung in der westlichen Reichshälfte als eine Kompensation für die Annahme der ersteren auffasse, ohne Zweifel bei den bevorstehenden Wahlen zu den lebhaften Ankla¬ gen gegen die Regierung wegen Verletzung österreichischer Interessen benützt werden würde. In der Beratung vom 8. April teilte der k. k. Ministerpräsident Graf Taaffe das Ergebnis des inzwischen abgehaltenen österreichischen Ministerkonseils mit. Nach eingehender Prüfung der Frage, ob es angesichts der politischen Situation und mit Rücksicht auf die bestehenden Gesetze möglich sei, auf Grundlage des erwähnten § 14 vorzugehen, sei der Ministerrat zur Erkenntnis gelangt, daß § 14 überhaupt auf die vorliegende Angelegenheit nicht anwendbar sei, und zwar abgesehen von eventuellen Bedenken wegen der Wah¬ len schon deswegen, weil das Haupterfordemis der Anwendbarkeit dieser Be¬ stimmung in der ,,dringenden Notwendigkeit" solcher Anordnungen, die nur zu . einer Zeit, wo der Reichsrat nicht versammelt ist, vorgenommen werden kön¬ nen, liege. Eine solche ,,dringende Notwendigkeit" könne aber der österreichi¬ sche Ministerrat in dem vorliegenden Falle nicht anerkennen, da seiner Ansicht nach die mit der Vertagung bis zum Herbst verbundene Gefahr nicht so groß sei. Auf der anderen Seite würde die Dringlichkeit, wenn sie wirklich vorhanden wäre, die Regierung nun darauf weisen, den alten, faktisch auseinandergegange¬ nen, aber formell noch nicht aufgelösten Reichsrat zusammenzuberufen, von dem aber nicht zu erwarten wäre, daß er die Vorlage zustande brächte. Der Ministerrat sei übrigens auch prinzipiell der Ansicht, daß der § 14 nur in rein österreichischen Fragen anwendbar sei, nicht aber in gemeinsamen Angelegen¬ heiten, in welchen ungarischerseits legislativ vorgegangen werde. Es sei auch keine Sicherheit dafür gegeben, daß der neue Reichsrat, dem die auf § 14 zu erlassende Verordnung binnen 4 Wochen nach erfolgtem Zusammentritt vorge¬ legt werden müßte, den Inhalt derselben, der in Ungarn durch das Zusammen- <pb/>260 Nr. 6 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 7. und 8. 4. 1884 wirken der legislativen Faktoren Gesetzeskraft erhalten haben würde, auch wirklich akzeptiert. Erst wenn die Wahlen vollzogen sein würden, werde sich ein Schluß darauf ziehen lassen, was im neuen Reichsrate erreichbar sein würde. Aus allen diesen Erwägungen sei der Ministerrat zu der Ansicht gelangt, daß eben nichts anderes übrig bliebe, als mit der Zollnovelle bis zum neuen Reichsra¬ te zu warten, wo die Regierung dann dafür Sorge tragen werde, daß die Sache rasch eingebracht und zu Ende geführt würde. In der Diskussion, die sich über diese Erklärungen des Herrn k. k. Minister¬ präsidenten entspann, wurde auf die Frage, ob nicht vielleicht nach Auflösung des alten Reichsrates an die Aktivierung der Agrarzölle im Verordnungswege geschritten werden könnte, von Seite der k. k. öster. Minister erwi¬ dert, daß selbst vorausgesetzt, daß § 14 überhaupt auf den Gegenstand anwend¬ bar sei, die Agrarzölle allein ohne den Industrialzöllen nicht in Kraft gesetzt werden könnten. Die Einführung der letzteren aber für die kurze Dauer der Verordnung hätte keinen praktischen Zweck, da die Industriellen angesichts der Unkenntnis über die Haltung des neuen Reichsrates kaum Investitionen auf Grundlage der neuen Zölle riskieren würden. Der kgl. ung. Ministerpräsident v. Tisza bedauerte, daß der vom öster. Ministerrate eingenommene Standpunkt eine Verständigung über die vorliegende Frage nicht ermögliche. Er ziehe die österreichischerseits vorge¬ brachten Argumente nicht in Zweifel cund erklärt sogar ganz offen, daß er seinerseits die Abwendung des § 14 aus konstitutionellen Rücksichten nicht urgieren wolle,0 sehe sich aber seinerseits veranlaßt, namens der kgl. ung, Regierung die Erklärung abzugeben, die er bitte, im Protokoll zu konstatieren, daß er ernste Besorgnisse hege, es werde die Vertagung der Zollnovelle und namentlich der Agrarzölle in Ungarn eine gefährliche Rückwirkung auf die Aufrechterhaltung des gemeinsamen Zollgebietes ausüben, für die er die morali¬ sche Verantwortüchkeit nicht übernehmen könne, sowie, daß die ungarische Regierung angesichts des Aufschubes der Zollnovelle keine Zusicherung dar¬ über geben könne, daß sie die jetzt projektierten und ungarischerseits bereits angenommenen Industrialzölle durchzubringen vermöge. Man müsse sich daher ungarischerseits Vorbehalten zu überlegen, ob man die Vorlage, wie sie steht, aufrechterhalten könne oder mit neuen Vorschlägen hervorzutreten sich veran¬ laßt sehen würde. Es würde die Situation dem ung. Reichstage erleichtern, wenn zugleich angedeutet werden könnte, daß Aussicht vorhanden sei, in der Zwi¬ schenzeit durch diplomatische Verhandlungen günstigere Verhältnisse für den Absatz im Auslande zu erreichen. Der Minister des Äußern erwidert in bezug auf die letztere Bemer¬ kung, daß er gerne bereit wäre, mit der kaiserlich deutschen Regierung neuer¬ dings vertrauliche Fühlung zu suchen, mit Rücksicht darauf, daß aus internen Gründen die Vertagung der Zollnovelle bis zum Herbst eingetreten und dadurch die Möglichkeit gegeben sei, von beiden Seiten die Situation nochmals zu C-C Einfügung Tiszas. <pb/>Nr. 6 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 7. und 8. 4. 1885 261 erwägen. Er könne aber nicht Vorhersagen, ob sich aus einem solchen Versuche die Hoffnung auf eine Verständigung mit Deutschland ergeben werde. Diese Absicht aber jetzt schon gegenüber der Öffentlichkeit zu verwerten und gleich¬ sam ein Resultat zu eskomptieren, welches vollständig unsicher sei, wäre seiner Ansicht nach der Situation nicht angemessen, und er müsse daher bitten, hievon abzustehen. Gegenüber den Erklärungen des kgl. ung. Ministerpräsidenten betonte der k. k. Ministerpräsident Graf Taaffe, daß die österreichische Re¬ gierung gewiß gerne bestrebt gewesen wäre, den ungarischen Wünschen entge¬ genzukommen, daß sie aber vor die Unmöglichkeit sich gestellt sehe, die Zollno¬ velle im jetzigen Reichsrate durchzuführen oder den § 14 behufs provisorischer Aktivierung der Agrarzölle anzuwenden, daß der Grund nur in dieser Unmög¬ lichkeit, nicht aber etwa in dem mangelnden Wunsche, auf die ungarische Reichshälfte Rücksicht zu nehmen, liege, was auch von Sr. Exzellenz v. Tisza freundlichst anerkannt worden sei. Der Minister des Äußern lenkte die Aufmerksamkeit der Herren Minister beider Reichshälften auch auf die Verhandlungen, welche mit Grie¬ chenland wegen Abschlusses eines neuen Handelsvertrages schweben. Ange¬ sichts der Beschränkungen, welche unserem Exporte durch Zollmaßregeln von Deutschland und Frankreich drohen, sei es umsomehr von Wert, unserem Handel den griechischen Markt durch günstige Vertragsabmachungen zu ge¬ winnen. Ohne daß die Verhandlungen in diesem Stadium schon bis zu den Details gelangt wären, haben dieselben nach den bisherigen Berichten des Gesandten in Athen, Baron Trauttenberg, doch schon ergeben, daß es zur Erreichung einer befriedigenden Tarifierung unserer wichtigsten Handelsartikel notwendig sein dürfte, eine Ermäßigung unseres gegenwärtigen Korinthenzolles (12 fl. per Meterzentner) selbst unter das bisher in Aussicht genommene Mini¬ malausmaß von 4 fl. in Betracht zu ziehen; zumal andere Staaten, wie z. B. Rußland, den Zoll auf Korinthen Griechenland gegenüber ganz aufgehoben haben. - Die Minister des Handels und der Finanzen beider Reichshälften sprachen bei der Diskussion dieses Punktes die Ansicht aus, daß unter Voraussetzung entsprechender Gegenkonzessionen von griechischer Seite auch eine weitere Ermäßigung des Korinthenzolles, welcher überhaupt lediglich das finanzielle Interesse berühre, unter 4 fl. keine Schwierigkeiten hervorrufen würde. Eine weitere Frage, die der Minister des Äußern berührte, betraf die Erneuerung unserer Handelskonvention mit Rumänien. Hinsichtlich unse¬ res Vorgehens wegen der Kündigung dieser Konvention sei bereits auf schriftli¬ chem Wege die Verständigung mit den Handelsministerien beider Reichshälften erzielt worden. Es handle sich aber auch um die Vorbereitungen für den Ab¬ schluß eines neuen Vertrages mit Rumänien. Graf Kälnoky bat die dabei beteiligten Herren Minister, dieser Frage ihre volle Aufmerksamkeit zuzuwen¬ den, umsomehr, als man sich in Rumänien für die Verhandlungen und die hoffentlich zu vermeidende Eventualität eines vertragslosen Zustandes rüstet. In letzterer Beziehung sei namentlich das neue rumänische Gesetz über die <pb/>262 Nr. 6 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 7. und 8. 4. 1884 Aktivierung des rumänischen Generalzolltarifes mit eventuellen Zollzuschlägen bis zum Ausmaße von 50 % symptomatisch; auch verdienen die aus Bukarest einlangenden Nachrichten über Versuche der englischen Diplomatie, Rumänien im Widerstande gegen uns zu encouragieren, um es für den englischen Markt zu gewinnen, Beachtung. Die Handelsminister beider Reichshälften teilten mit, daß sie die Handelskammern zur Äußerung über die Erneuerung unseres Vertragsverhält- nisses bereits aufgefordert haben, nach deren Einlangen die Zoll- und Handels¬ konferenz zum Studium des gesammelten Materials und Formulierung geeigne¬ ter Vorschläge zusammentreten könnte. Der Minister des Äußern besprach hierauf die Frage der Zulassung der Schweine aus Serbien und Rumänien zur Einfuhr nach Österreich-Ungarn. Indem er, was Serbien anlangt, auf unser Vertragsverhältnis und auf s. Z. gemachte Zusagen hinwies, betonte er die Wichtigkeit, die man in Bukarest der Aufhebung unserer Grenzsperre rücksichtlich der rumänischen Schweineein¬ fuhr beilegt und die besorgen läßt, daß ein schroffes Vorgehen auf unsere guten Beziehungen zu diesem Lande schädlich wirken würde.4 Graf Kälnoky empfahl demnach dringend eine möglichst entgegenkommende Haltung, sobald der Stand der Maul- und Klauenseuche in Rumänien dieselbe zulasse. Der kgl. ung. Handelsminister Graf Szechenyi erklärte sich bereit, die Einfuhr der Schweine aus Serbien ganz freizugeben5 und mit Rück¬ sicht auf die günstigeren Nachrichten, die aus Rumänien über den Gesundheits¬ zustand des dortigen Borstenviehes in der letzten Zeit eingelaufen sind, die rumän. Schweine über bestimmte Einbruchsstationen und unter der weiteren Bedingung zur Einfuhr zuzulassen, daß dieselben bei der Grenze von ungari¬ schen Veterinären untersucht und krank befundene Sendungen sofort zurückge¬ wiesen werden. Anknüpfend an die schriftlichen Mitteilungen, die der Minister des Äußern im Monate Februar an die beiden Herren Ministerpräsidenten-- richtete, brachte derselbe auch die Frage der internationalen Garantien des ägyptischen Anlehens zur Sprache. Die Konvention, durch welche Österreich- Ungarn sich im Einvernehmen mit den anderen Großmächten an dieser allseits als eine mehr theoretisch betrachtete Garantie beteiligte, sei nun unterzeichnet worden, und es werde sich nun darum handeln, dieselbe den Kammern beider Reichshälften vorzulegen, was allerdings, wie die Dinge stehen, erst im Herbst geschehen könne, mithin zu einem Zeitpunkte, wo die Parlamente der anderen beteiligten Staaten die Garantien bereits genehmigt haben und unsere Kammern demnach nur nachzufolgen hätten. Der kgl. ung. Finanzminister Graf Szapäry erwiderte, daß der ungarische Ministerrat der Ansicht sei, die Monarchie dürfe in dieser Frage 4 Bindreiter, Die diplomatischen und wirtschaftlichen Beziehungen 253. 5 28/MT. Ung.MR. v. 26. 11. 1884. 11. Bestimmungen in Angelegenheit der Einlassung von Tieren aus Serbien, OL., K. 27, Karton 39. <pb/>Nr. 6 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 7. und 8. 4. 1885 263 nicht gegenüber den anderen Großmächten Zurückbleiben, es bestände gegen die Vorlage an den ungarischen Reichstag kein Bedenken. Der k. k. Finanzminister Ritter v. Dunajewski bemerkte, daß es nicht so leicht sein dürfte, den Reichsrat von dem Nutzen einer solchen Garantie zu überzeugen. Die bloß theoretische Natur dieser Garantie scheine ihm fraglich und er hege auch Zweifel in betreff der Ausdehnung der von den einzelnen Staaten übernommenen Verpflichtungen. Andere Staaten mögen mehr Interesse haben an den Zuständen in Ägypten, aber bei uns liegen andere Dinge näher, und er zweifle, daß der Reichsrat ohne weiteres das Argument, daß wir von den anderen Mächten uns hiebei nicht hätten trennen können, als genügend erachten werde. Jedenfalls erbitte er sich Daten für die den Kammern vorzulegende Motivierung, welche Graf Kälnoky zu liefern zusagte. Der Minister des Äußern wies daraufhin, daß er in ausdrücklicher Weise die parlamentarische Zustimmung Vorbehalten habe; erfolge diese nicht, so falle eben unsere Teilnahme an der Garantie weg, womit allerdings auch das ganze Arrangement hinfällig würde. Sowohl der kgl. ung. Ministerpräsident als der ung. Finanzmini¬ ster sprachen sich dahin aus, daß diese Eventualität wohl ausgeschlossen sei. Der Minister des Äußern erinnerte an die Aufforderung, die von den beiden letztjährigen Delegationen gleichmäßig an das Ministerium des Äußern gerichtet worden ist, zu dem Zwecke, damit dasselbe den Lloyd zu größerer Tätigkeit im Interesse unseres Handels anspanne. Zwei Mittel ständen in dieser Beziehung zur Verfügung, der Regierungskommissär und die von den Handelsministerien beider Reichshälften vertragsmäßig zu ernennenden zwei Mitglieder des Verwaltungsrates. In Beziehung auf die Person des Regierungs¬ kommissärs sei kürzlich erst ein Wechsel vorgenommen worden, welcher eine eingreifendere Kontrollierung als wie vorher erhoffen lasse. Was die beiden von den Regierungen ernannten Verwaltungsräte anlangt, so habe eine langjährige Erfahrung gezeigt, daß dieselben seit Jahren fast nie an den Beratungen des Verwaltungsrates, die fast täglich stattfinden, teilnehmen. Es würde sich nach Ansicht des Grafen Kälnoky empfehlen, in Erwägung zu ziehen, ob nicht seitens der Handelsministerien zu einer Neubesetzung dieser beiden Posten durch solche Personen geschritten werden sollte, die sich in Triest aufhalten und von denen erwartet werden könnte, daß sie einen aktiven Anteil an der Leitung des Unternehmens im Sinne der Regierungswünsche nehmen. Der kgl. ung. Handelsminister Graf Szechenyi erklärte sich gerne bereit, das ungarische Mitghed des Verwaltungsrates auf die Notwendig¬ keit einer regelmäßigen Teilnahme an den Beratungen aufmerksam zu machen, was zur Erreichung des gewünschten Zweckes hinreichen dürfte. Die Ernennung aber einer solchen geeigneten Persönlichkeit, die ständig in Triest wohnen würde, dürfte auf Schwierigkeiten stoßen. Derk. k. Handelsminister Freiherr v. Pino konnte aus eige¬ ner Wahrnehmung nur vollkommen die von Sr. Exzellenz Grafen Kälnoky gemachte Bemerkung bestätigen, daß die Regierungsverwaltungsräte, von außer¬ ordentlichen Anlässen abgesehen, an den Beratungen des Verwaltungsrates <pb/>264 Nr. 7 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 22. 9. 1885 nicht teilzunehmen pflegen. Nach den von ihm während der Zeit seiner Statthal¬ terschaft in Triest gemachten Erfahrungen würde es aller Voraussicht nach wirkungslos bleiben, den gegenwärtigen von den Handelsministerien ernannten Verwaltungsräten eine regelmäßige Beteiligung an den Beratungen zur Pflicht zu machen. Es sei auch nach seiner Ansicht notwendig, daß die Regierungsver¬ waltungsräte, behufs entsprechender Ausübung ihrer Mandate, sich ständig in Triest aufhalten. Durchdrungen von der Notwendigkeit einer Änderung in der Person des öster. Verwaltungsratsmitgliedes, werde er sich bemühen, eine den Interessen der Regierung näherstehende Person für diesen Posten ausfindig zu machen. Sehr wünschenswert wäre es seiner Ansicht nach, wenn auch auf die bevorstehende Wahl der zwei neuen, nicht von der Regierung zu ernennenden Verwaltungsräte Einfluß gewonnen werden könnte. Der Minister des Äußern, der dies vollständig anerkennt, machte auf die Schwierigkeiten aufmerksam, die sich einer direkten Einflußnahme der Regierung in dieser Beziehung entgegenstellen, versprach jedoch nach Tunlich¬ keit seine Einwirkung geltend zu machen. Die Beratungen wurden hierauf geschlossen. Kälnoky Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Wien, 13. April 1885. Franz Joseph. Nr. 7 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 22. September 1885 RS. (und RK.) Gegenwärtige: der kgl. ung. Ministerpräsident v. Tisza (21.10.), der k. k. Ministerpräsident Graf Taaffe (25. 9.), der k. u. k. gemeinsame Kriegsminister FZM. Graf Bylandt-Rheidt (26. 9.), der k. u. k. gemeinsame Finanzminister v. Källay (27. 9.), der kgl. ung. Finanzminister Graf Szapäry (23. 10.), der k. k. Finanzminister Ritter v. Dunajewski (o. D.), der Leiter der Marine¬ sektion des k. u. k. gemeinsamen Kriegsministeriums Vizeadmiral Freiherr v. Stemeck (o. D.), der k. u. k. Sektionschef v. Szögyeny (19. 10.), der k. u. k. Sektionschef Lambert (26. 9.). Protokollführer: Hof- und Ministerialrat Freiherr v. Konradsheim. Gegenstand: Gemeinsamer Voranschlag für das Jahr 1886. KZ. 63 - RMRZ. 322 Protokoll des zu Wien am 22. September 1885 abgehaltenen Ministerrates für gemeinsame Angelegenheiten unter dem Vorsitze des k. u. k. gemeinsamen Ministers des Äußern Grafen Kälnoky. Nach Eröffnung der Sitzung einigte sich die Konferenz dahin, die Verhand¬ lung mit dem Budget des Ministeriums des Äußern zu beginnen. Sektionschef v. Szögyeny trug hierauf im allgemeinen und im De¬ tail das Präliminare des gedachten Ministeriums vor, welches im Vergleich zum Vorjahr ein Mehrerfordemis von 105 300 Gulden enthält. <pb/>