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Anhang Gemeinsamer Ministerrat, 20. 10. 1871

I. Reskript an den böhmischen Landtag (Fortsetzung), im Zusammenhang damit böhmische Fundamentalartikel

Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_I2/pdf/oe_hu_mrp_I2_zusatz2.pdf.

388 Nr. II Ministerrat, Wien, 20. Oktober 1871

nur auf diesen Grundlagen das große Werk des Ausgleiches zu segensvollem, die
Gewähr der Dauer in sich tragenden Abschlüße gelangen kann.

   7. Hiemit entbieten Wir dem Landtage Unseren kaiserlichen und königlichen
Gruß.

                 Nr. II Ministerrat, Wien, 20. Oktober 1871

    Gegenwärtige: der Reichskanzler Graf Beust (o. D.), der Reichskriegsminister FML. Freihherr
v. Kuhn (o. D.), der Reichsfinanzminister Graf Lonyay (29. 10.), der kgl. ung. Ministerpräsident
GrafAndrässy (o. D.), der kgl. ung. Minister am Ah. Floflager Freiherr v. Wenckheim (30. 10.), der
k. k. Finanzminister Freiherr v. Holzgethan (30. 10.), der k. k. Landesverteidigungsminister GM.
Freiherr v. Scholl (31. 10.), der k. k. Minister für Kultus und Unterricht Jirecek (3. 11.), der k. k.
Handelsminister und Leiter des Ackerbauministeriums Dr. Schäffle (2.11.), der k. k. Justizminister
Dr. Habietinek (1. 11.), der k. k. Minister für Galizien Ritter v. Grocholski (o. D.).

     Protokollführer: Anton Artus.
     Gegenstand: Reskript an den böhmischen Landtag (Fortsetzung), im Zusammenhang damit
böhmische Fundamentalartikel.

    KZ. 2817-MRZ. 112
    Protokoll II des zu Wien am 20. Oktober 1871 abgehaltenen Ministerrates un¬
ter dem Ah. Vorsitze Sr. Majestät des Kaisers.1

    Seine Majestät geruhen aufzufordem, daß sich von den beteiligten
Ministem über jene Punkte der Fundamentalartikel ausgesprochen werde, gegen
welche Bedenken vorliegen.2

    Der ungarische Ministerpräsident erklärt, folgende Beden¬
ken zu haben.

    1. Schiene ihm die Veränderung des Namens ,,Reichsrat" nicht ohne Beden¬
ken. So unbedeutend die Sache an und für sich scheine, so sei doch der Effekt
nicht zu unterschätzen, den die Sache machen würde. Er halte dafür, daß derartige
Änderungen in einer auf konservativen Grundlagen bemhenden Monarchie über¬
haupt nicht stattfinden sollten.

         Die Verhandlung ist die Fortsetzung vom Protokoll I des zu Wien am 20. Oktober 1871 abge¬
         haltenen Ministerrates unter dem Ah. Vorsitze Sr. Majestät des Kaisers. Es ist also ebenso
         eine die Funktion des gemeinsamen Ministerrates erfüllende Beratung wiejener. Vgl. MR. I.
         v. 20. 10. 1871, MRZ. 111. Anm. 1. Aufdem Exemplar im PA. XL. Karton 286 gibt es weder
         Gegenwärtige noch Gegenstand. Im Text vom A VAfinden sich beide. In der Liste der Gegen¬
         wärtigenfehlt aber aus irgendeinem Grunde Hohenwart.
         Der Text der sog. Fundamentalartikel vom 10. Oktober 1871. Veröffentlicht in: Bernatzik,
         Die österreichischen Verfassungsgesetze 1097-1108.
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   2. Gegen die Umgestaltungen des Oberhauses müsse er sich prinzipiell ent¬
schieden erklären, schon wegen der unausbleiblichen Rückwirkungen auf Un¬
garn. Diese Maßregel erscheine auch in sich durch nichts gerechtfertigt.

   3. Das Quotensystem halte er für absolut unmöglich.
   4. Halte er es zumal mit Rücksicht auf eventuelle Schwierigkeiten in Kroatien
für notwendig, daß es ausgesprochen werde, daß die Delegation aus den Reichs-
vertretungsmitgliedem gewählt werde, wozu ja Graf Hohenwart zugestimmt
habe.

    5. In die Kompetenz des Reichsvertretungskörpers müßte die Erneuerung des
Übereinkommens mit Ungarn auf Zeit ausdrücklich eingeschaltet werden. Nach
näherer Beleuchtung dieser Punkte bemerkt der ungarische Ministerpräsident,
daß dies die Bedenken seien, welche sich ihm im allgemeinen ergeben. Ob noch
andere einzelne Punkte entsprechend seien, will er in Hinblick auf den Umfang
seiner Berechtigung und seiner Verantwortlichkeit nicht untersuchen.

   Der Reichskanzler nimmt auf die bereits erörterten Motive der Stel¬
lungnahme des gemeinsamen Ministeriums zu der böhmischen Frage Bezug. So¬
weit die Agenden der gemeinsamen Ministerien des Krieges und der Finanzen
tangiert werden, würden sich seine Kollegen auszusprechen haben.

   Von dem Standpunkte des ihn zunächst berührenden Ressorts des Ministeri¬
ums des Äußern müsse er vor allem bemerken, daß in den Vorlagen zwar nicht
ausdrücklich gesagt werde, daß die Hofkanzler in bezug auf die auswärtige Poli¬
tik diejenige Stellung einzunehmen haben würden, welche bisher die Minister¬
präsidenten beider Reichshälften hatten, allein es lasse sich voraussehen, daß die
Entwicklung der Verhältnisse die Hofkanzler dazu drängen würde, in Dingen der
auswärtigen Politik eine gewisse Ingerenz in Anspruch zu nehmen. Es sei na¬
mentlich vorauszusehen, daß sich der böhmische Landtag mit auswärtigen Ange¬
legenheiten wird beschäftigen wollen. Eine Änderung des dermaligen Verhältnis¬
ses schiene nun in keiner Weise erwünscht.

   Ein weiterer Punkt sei die Zusammensetzung der Delegationen. Es sei von
Bedeutung und nach den vorliegenden Erfahrungen von sehr gutem Erfolge ge¬
wesen, daß hier wie in Ungarn ein Dritteil der Delegierten aus dem Oberhause
gewählt wurde. In diesen Elementen liege eine erprobte Gewähr für den befriedi¬
genden Lauf der Delegationen. Es dürfte auch schwer abzusehen sein, wie die
Umwandlung des Herrenhauses würde ermöglicht werden können, es müßte je¬
denfalls ein ungewöhnlicher großer Pairsschub eintreten. Abgesehen hievon falle
aber das Gewicht auf die eventuell wesentlich geänderte Zusammensetzung der
diesseitigen Delegation.

   Vom Standpunkt der Machtstellung des Reiches spreche er die Überzeugung
aus, daß man sich bei der beabsichtigten Neugestaltung einem großen Anachro¬
nismus gegenüber befinde. Sie entspreche den österreichischen Verhältnissen
ante 1848, welche eine derartige Nebenstellung der einzelnen Länder ermögli¬
chen. Seither haben sich die Verhältnisse überhaupt und insbesondere in bezug
auf das Nationalitätsprinzip wesentlich geändert, welches damals entweder nicht
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gekannt oder, wo es gekannt war, seitens der überwiegenden Mehrzahl der Regie¬
rungen entschieden perhorresziert wurde. In jener Zeit war einmal ein sehr kon¬
zentrischer Zustand im Reiche für die auswärtige Politik viel weniger nötig. Dann
aber waren die einzelnen Völker auswärtigen Einflüssen viel weniger zugänglich
als jetzt. Es sei mit Sicherheit vorauszusehen, daß slawische, germanistische
[sic!] und römische Einflüsse bei einer derartigen Gestaltung der Monarchie sich
innerhalb derselben weit mehr werden geltend machen, als dies bisher der Fall
war.

   Abgesehen davon sei die ganze Physiognomie der Monarchie eine solche,
die nicht eine Schwächung zuläßt, sondern eine Stärkung erfordert. Österreich
als Großstaat beruhe eben auf dem Ansehen der Kaiserkrone, welches in Ab¬
sicht auf Emanationen nach außen eine gewisse Konzentration voraussetze.
Unter allen Umständen gewinne die Konzentration durch die intendierte Neu¬
gestaltung nichts und werden die Einflüsse von außen verstärkt. Wenn ferner
der Zusammenhang mit der gegenwärtigen politischen Lage in das Auge gefaßt
werde, so entspreche das Projekt auch von diesem Standpunkte demjenigen
nicht, was wünschenswert erscheine. Die Richtung der auswärtigen Politik,
welche eingeschlagen werde, habe erst vor kurzem einen neuen präzisen Aus¬
druck gefunden, die Delegationen haben ihr zugestimmt, und sie habe im Aus¬
lande ohne Unterschied den freundlichsten Wiederhall gefunden, ja nicht eine
entgegengesetzte Stimme habe sich gegen diese Politik erhoben, welche für die
Sicherheit und friedliche Entwicklung Bürgschaft biete. Es verstehe sich von
selbst, daß die Gestaltung der inneren Zustände nicht ohne Rückwirkung blei¬
ben könnte.

   Wenn auch hinsichtlich der zum Ausdrucke gelangten Besorgnisse wegen ei¬
ner Bedrückung des deutschen Elementes eine große Übertreibung mit unterläuft,
so dürfe man sich doch nicht an das halten, was die Menschen bei ruhiger objek¬
tiver Erwägung denken sollten, sondern an die tatsächlich vorhandene Wirkung
auf die Gemüter. Es werde allerdings den Deutschen in Böhmen ein Nationalitä¬
tengesetz geboten, aber abgesehen davon, daß einzelne Bestimmungen wie z. B.,
daß die Erlangung von Ämtern unbedingt an die Kenntnis beider Sprachen ge¬
bunden ist, die Deutschen kaum immer in die günstige Lage bringen dürfte, ist es
Tatsache, daß unter Umständen an sich ganz entsprechende Gesetze die beabsich¬
tigte Wirkung nicht erzielen.

   In dieser Beziehung weise er nur auf das italienische Garantiegesetz hin, von
welchem aman nicht leugnen könne, daß es dem Heiligen Stuhle sehr liberale
Zugeständnisse mache und von dem gleichwohl3 niemand behaupten werde, es
habe dazu geführt, daß sich Rom und die Kirche damit befreundet haben. Ähnli¬
ches werde in Böhmen eintreten, und lasse sich voraussehen, daß es dort zu
Schmerzensschreien der Deutschen kommen werde. Daß den Deutschen in dieser
Beziehung keine Handhabe geboten werde, sei vom Standpunkte der äußeren

        Einfügung.
<pb/>Nr. II Ministerrat, Wien, 20. Oktober 1871  391

Politik jedenfalls von großer Wichtigkeit. Es seien zwar alle Garantien gegeben,
daß die preußische Regierung sich von Einmischungen in innere Fragen ferne
halten werde, allein es könnten Umstände eintreten, deren Macht stärker wäre als
der beste Wille. Wenn auf die Eventualität eines fortdauernden Widerstandes des
tschechischen Elementes und auf die Eventualität einer gleichen Resistenz der
Deutschen hingeblickt wird, so schiene es in dem letzteren Falle wohl fraglich,
ob, wenn es sehr weit käme, die deutsche Regierung ruhig würde Zusehen kön¬
nen, während der tschechische Widerstand auf materielle Hilfe von außen nicht
rechnen könnte. Denn die hiebei in Frage kommende Macht würde bwohlb an der
Befriedigung des tschechischen Elementes cGefallen finden&quot;. An ein Dazwischen¬
treten derselben wäre aber nicht zu denken; sie habe auf ein anderes Land ihre
Blicke gerichtet dund werde es nicht ungern sehen, wenn diesem Lande aus dem
böhmischen Ausgleich nicht allzu große Hoffnungen erwachsen11.

    Diese Umstände seien sehr in das Auge zu fassen und scheinen zu der ernsten
Erwägung aufzufordem, wie ohne ungerecht zu sein und den Ausgleich zu hin¬
dern, vorzugehen wäre, ohne daß zu so vielen Besorgnissen nach einer Seite hin
Anlaß gegeben würde. Das Ganze in das Auge fassend, könne er von seinem
Standpunke nur erklären, daß dadurch jede auswärtige Politik erschwert werde.
Insofern er sich auf die nähere Erörterung der sein Ressort zunächst tangierenden
Punkte beschränkt habe, sei hiefiir der früher angedeutete Standpunkt, der von
Seite der gemeinsamen Minister eingenommen worden, maßgebend gewesen
und involviere dies nicht, daß bezüglich des übrigen irgendeine Verantwortung
seitens des gemeinsamen Ministeriums übernommen werde.

    Der Reichskriegsminister finde zwar in den Propositionen die
Einheit der Armee im allgemeinen gewahrt, glaubt aber doch in der Bestimmung
des Artikels XI 5, wonach, wenn es sich um eine Änderung in dem Maßstabe der
Aufteilung der auszuhebenden Mannschaft handeln sollte, die Zustimmung des
Landtages hiezu als notwendig erklärt werde, eine Alternative des Wehrgesetzes
zu erblicken, für dessen intakte Aufrechthaltung er sich im Hinblick auf die
voraussichtlichen enormen Schwierigkeiten des Zustandekommens eines dem
jetzigen entsprechenden Wehrgesetzes auf das allerentschiedenste aussprechen
müßte.

   Der Vorsitzende des diesseitigen Ministerrates
klärt auf, daß es sich um eine Konzession handle, die praktisch keinen Wert habe,
da nur in dem für sobald kaum vorauszusetzenden Fall einer Änderung des Wehr¬
gesetzes in bezug auf den Maßstab der Aufteilung der auszuhebenden Mann¬
schaft eine Ingerenz des Landtages eintreten würde.

   Dem ungarischen Ministerpräsidenten erscheint die Sa¬
che als nicht so ganz unbedenklich, es könnten immerhin auf diesem Wege ganz

b-b Beusts Korrektur aus nicht
c-c Korrektur aus interessiert sein.
d-d Einßgung.
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unerwartete Dinge kommen. Er wisse aus Erfahrung, welche Schwierigkeiten
gewisse nicht präzise Bestimmungen über die Befugnisse des Reichstages in Mi¬
litärsachen in den ungarischen Ausgleichsartikeln nach sich gezogen haben.

   Auch dem Reichsfinanzminister schiene volle Klarheit der be¬
treffenden Kompetenzbestimmungen sehr wünschenswert. Dem Reichs-
kriegsminister schiene auch der Passus wegen der Landwehrangelegen¬
heiten nicht ohne Bedenken, jedenfalls aber einer präzisen Erläuterung
bedürftig.

   Der Vorsitzende des diesseitigen Ministerrates
klärt auf, daß es sich höchstens um Angelegenheiten der Verwaltung handeln
könne, wie die Evidenzhaltung der Urlauber, die Verfügungen wegen der Aufbe¬
wahrung der Monturen u. dgl., die vielleicht im Lande zweckentsprechender be¬
sorgt würden. Jedenfalls aber könnte eine derartige Ingerenz nur infolge einer
Änderung des Landwehrgesetzes Platz greifen.

   Der ungarische Ministerpräsident meint, das Prinzip liege
darin, als ein Teil der Landwehrangelegenheiten eventuell Landessache werden
würde, während die Legislative jetzt der Reichsvertretung Vorbehalten sei. Das
wäre dann doch nicht ohne Bedenken. Wenn das Galizien zugestanden werden
wollte, hätte er keine Einwendung, insofern aber in Böhmen die einschlägigen
Befugnisse gewissermaßen als Ausfluß der staatsrechtlichen Stellung aufgefaßt
werden könnten, würden wohl Anstände obwalten. Die Frage sei, wer wird die
künftige landtägliche Ingerenz regeln. Der Vorsitzende des dies¬
seitigen Ministerrates bemerkt, durch diese Bestimmung werde
dem Landtage noch gar nichts eingeräumt, insofern in dieser Richtung etwas in
Anspruch genommen werden sollte, könnte dies nur im gesetzlichen Wege durch
den Delegiertenkongreß geschehen.

   Seine Majestät geruhen anzudeuten, daß wenn für die Landwehr der
diesseitigen Länder etwas geschehen solle, dies nur durch die Landtage zu erzie¬
len wäre, welche der Natur der Sache nach ein größeres Interesse daran haben.
Die Erfahrung habe gezeigt, daß auf dem bisherigen Wege ersprießliche Resulta¬
te nicht zu erwarten seien, da die Reichsvertretung sich der Förderung dieses In¬
stitutes wenig geneigt zeige.

   Der Minister für Landesverteidigung weist in dieser
Richtung daraufhin, daß der Reichsrat sogar für Zwecke, welche in dem von ihm
selbst votierten Landwehrgesetze vorgesehen seien, die nötigen Mittel verweige¬
re. So habe nach dem Gesetze eine Landwehrkavallerie zu bestehen, der Reichs¬
rat bewillige aber nichts für Pferde. Der Reichskriegsminister be¬
merkt, daß insofern nach dem, was vorgebracht worden, es darauf hinauslaufen
würde, den Landtagen eventuell eine Ingerenz in Landwehrsachen in der Weise
einzuräumen, wie dies in Tirol der Fall sei, er dagegen nichts einzuwenden hätte.
Auch er sei in Anbetracht des voraussichtlichen regeren Interesses für eine meh¬
rere Ingerenz der Landtage. Eine andere Frage sei freilich, ob falls die Landtage
bedeutende Mittel für die Landwehr aufwenden würden, dies nicht aufdie Bewil-
<pb/>Nr. II Ministerrat, Wien, 20. Oktober 1871  393

ligungen für die reguläre Armee nachteilig zurückwirken würde. Es sei dies ein
Gesichtspunkt von nicht zu unterschätzender Wichtigkeit, zumal die Quelle, aus
welcher die Mittel für beide zu fließen haben, in letzter Auflösung doch immer
eine und dieselbe bleibe. Im übrigen habe er weitere Bedenken nicht.

   Des Reichsfinanzministers wichtigstes Bedenken vom Stand¬
punkte der gemeinsamen Finanzen in Bezug auf die Frage, welcher Vertretung
der zur Erneuerung der mit 1877 ablaufenden Übereinkommen wegen der Quote
zum gemeinsamen Aufwand und wegen des Zoll- und Handelsbündnisses kom¬
petent wäre, sei durch die zugestandene Zuweisung der Kompetenz an den Dele¬
giertenkongress beseitigt.

   Indes sei vom Standpunkte der gemeinsamen Finanzen nicht zu verkennen,
daß man in den auf die Behandlung der gemeinsamen Angelegenheiten und die
Bestimmung und Leistung der Quote bezüglichen Bestimmungen uneingedenk
der Machtstellung der Monarchie wohl zu weit gegangen sei und daß die Besorg¬
nisse einer Schädigung begründet erscheinen.

   Die Zuweisung aller direkten Steuern und der Gesetzgebung hierüber an den
Landtag bilde, namentlich wenn die Konsequenzen fiir die Quotenbedeckung in
das Auge gefaßt werden, eine große Schwierigkeit. Auch in Beziehung auf die
indirekten Steuern, in Beziehung auf den Abzug der im Lande eingehenden Stem¬
pel und Gebühren (in Böhmen sieben Millionen) von den Länderquoten ergeben
sich wesentliche Bedenken. Die Ingerenz der Landesvertretung ziehe sich auch
durch alles weitere hindurch, in das Kommunikationswesen, in die Verwaltung
der Post- und Telegrafenanstalten und der Eisenbahnen.

   Der Handelsminister klärt auf, daß kein Zweifel hierüber bestehen
könne, daß die Post- und die Telegrafen- als Reichsanstalten der Zentralverwal¬
tung verbleiben. Bezüglich der Eisenbahnen wurde sich darüber geeinigt, der De¬
legiertenkongreß solle darüber entscheiden, welche Eisenbahnen fürderhin als
Reichsbahnen zu behandeln sein sollen. Diese würden selbstverständlich der
Zentralverwaltung Vorbehalten bleiben, bezüglich der anderen Bahnen, bei wel¬
chen Reichsinteressen nicht eintreten, wurde die Überlassung der betreffenden
Einflußnahme an die Länder als in mannigfacher namentlich in finanzieller Be¬
ziehung vorteilhaft erkannt.

   Der Reichsfinanzminister findet ein weiteres Bedenken auch ge¬
gen § 6 Punkt B, in welchem in bezug auf das gegenwärtige Staatsvermögen
Ansprüche eröffnet werden, deren Tragweite nicht klargestellt erscheine, welche
Unklarheit jedenfalls unerwünscht sei und zu Komplikationen führen könnte.

   Übrigens sei in Beziehung auf die Regelung der Finanzangelegenheiten noch
manches sehr unklar. So die Art und Weise der Bestimmung der Quote, es frage
sich, wie bei den Imputationsvereinbarungen vorgegangen werden würde, werde
die Parität so gewahrt werden, daß der Konvent aller Deputationen zu der Verein¬
barung erforderlich sein werde. Der beabsichtigte Weg scheine kaum praktisch,
der vorgeschlagene Modus der Lösung in Fällen des Nichtzustandekommens ei¬
ner Vereinbarung nicht wünschenswert. Wie es mit der Staatsschuld gehen werde,
<pb/>394 Nr. II Ministerrat, Wien, 20. Oktober 1871

wenn ein Land wie Böhmen mit einer so bedeutenden Kontributionskraft heraus¬
genommen würde, sei auch fraglich. Bei der Unmöglichkeit einer Erhöhung der
indirekten Steuern könnte unter gewissen Verhältnissen der Staatskredit in höchst
bedenklicher Weise leiden.

   Eine geordnete Finanzverwaltung erheische ein geordnetes Ganzes, eine ein¬
heitliche wohldurchdachte Leitung. Kroatien habe Ähnliches verlangt, er habe
aber lieber auf sein Amt resigniert, als die Verantwortung für eine derartige Ein¬
richtung auf sich genommen. Vom Standpunkte des gemeinsamen Finanzministe¬
riums erscheine es im allgemeinen von Wichtigkeit, daß die regelmäßige Abfuhr
der Quoten sichergestellt erscheine.

   Die Leistungen der beiden Finanzverwaltungen seien bisher anstandslos er¬
folgt, für 1871 sei die Deckung für den gemeinsamen Aufwand gesichert, inso¬
fern aber nicht vorausgesehen werden könnte, daß für das nächste Jahr eine ge¬
setzmäßige Körperschaft die nötigen Mittel bewillige, dürfte die Lage sich
weniger günstiger gestalten. Abgesehen hievon würde schon die Einforderung
der Quoten von 17 Ländern eine sehr große Schwierigkeit bilden.

   Der diesseitige Finanzminister schickt voraus, daß er in der
sog. Ausgleichspolitik vom Anbeginne an nicht eine Ära des Friedens, sondern
eine Ära des Unfriedens und der Zerstörung zu erblicken vermochte und sich
daher entschieden dagegen erklärte. Vom Ressortstandpunkte müsse er die finan¬
ziellen Punktationen des böhmischen Operates in ihrer Totalität unbedingt per-
horreszieren, zumal als die Ausdehnung derselben auf die übrigen Länder sich als
unausweichliche Konsequenz ergeben würde.

   Zu den einzelnen Punkten habe er folgendes zu bemerken: Es werde zwischen
direkten und indirekten Steuern unterschieden, die ersteren den Ländern zuge¬
wiesen, die letzteren dem Reiche Vorbehalten. Diese Bestimmung sei ganz un¬
praktisch, weil ein unbestrittenes Kriterium für beide Gattungen von Steuern
noch nirgends, nicht in der Theorie, nicht in der Praxis festgestellt erscheine.

   Er weist auf das Gebührenäquivalent hin, welches als indirekte Steuer behan¬
delt werde, seiner Natur nach aber zu den direkten gehöre. Der Streit würde so¬
gleich entbrennen, und zwar zwischen der Reichsvertretung und 17 Landtagen.
Es sei ganz unmöglich, die Gesetzgebung für die direkten und die indirekten
Steuern zu trennen. Die Gesetzgebung müsse in einer Hand bleiben. Böhmen sei
ein aktives Land. Es könnte leicht geschehen, daß man dort Veranlassung fände,
die Grundsteuer herabzusetzen. Das wäre für Böhmen sehr angenehm, welche
Rückwirkungen würde es aber auf Niederösterreich üben?

   Die Tendenz gehe nicht dahin, dem Reiche Lasten abzunehmen, sondern di¬
verse Millionen am Reiche zu ersparen. Schon jetzt sei ein Defizit vorhanden,
was soll dann geschehen? Galizien, Bukowina, Tirol, Krain, Istrien, Dalmatien
seien passiv, sollen alle diese Länder von dem Reichtume des Stammlandes Nie¬
derösterreich erhalten werden? Es sei eine eigentümliche Erscheinung, daß dahin
getrachtet werde, Land und Staat in eine bis zur gegenseitigen Kontoführung
<pb/>Nr. II Ministerrat, Wien, 20. Oktober 1871  395

gesonderte Stellung zu bringen, in welchem Konto sich Soll und Haben genau
ausgleichen sollen. Diese Auffassung hebe den Staat ganz auf.

   Was die Staatsschuldenquote betreffe, möge man sich einen Schuldner den¬
ken, welcher Gläubiger von 17 anderen Schuldnern sei. Welchen Kredit könne er
haben? Im allgemeinen Verkehrsleben hätte er gar keinen Kredit. Im Konkreten
sei zu bemerken, daß schon die bloße Verlautbarung der einschlägigen Bestim¬
mungen des böhmischen Operates einen gewaltigen Rentensturz auf einen
Kriegskurs zur Folge hatte. Die Papierrente hatte bereits 61 erreicht und fiel aus
den erwähnten Gründen auf 56, ja 55. Sie stehe jetzt auf 57, weil sie von regie¬
rungsfreundlicher Hand ohne seinen Einfluß mit großer Mühe gehalten werde.
Sie notiere unter der französischen Rente und beiläufig gleich mit der italieni¬
schen. Für die Finanzverwaltung sei Rente bereits ein unverkäuflicher Artikel
geworden. Im Laufe des Sommers habe er eine Million in das Ausland verkauft,
sie sei zurückgeströmt und habe die vermittelnde Anstalt ihren Kommissionskre¬
dit bei dieser Gelegenheit vollständig eingebüßt. Pro 1872 werde sich das Defizit
auf 50 Millionen stellen. Die Kassabestände seien wohl in sehr erfreulicher Höhe
vorhanden, gleichwohl werde man mit kaum mehr als zehn Millionen in die Ge¬
barung des künftigen Jahres übergehen können. Es sei also für die Deckung von
40 Millionen Vorsorge zu treffen. Es bestehen keine anderen Deckungsmittel als
Rentenreserven. Unter anderen Verhältnissen wäre es möglich gewesen, die Dek-
kung durch Rentenverkäufe zu schaffen. Jetzt nicht, und sei für 1872 eine Stok-
kung im Staatshaushalte unvermeidlich.

   Fundamentalartikel und Staatsbankrott seien für ihn gleichbedeutend, er sei
daher mit aller Entschiedenheit gegen diese Idee.

   Seine Majestät geruhen hierauf die Sitzung zu schließen.
   Wien, am 20. Oktober 1871.3

Der Text im AVA enthält auch die Ah. E.: Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis
genommen. Wien, 12. November 1871. Franz Joseph; sowie die nachträgliche Bemerkung:
Verglichen und mit dem nach dem Brande vom 15. Juli 1927 Vorgefundenen, lückenhaften
Protokolle gleichlautend. Wien, am 13. März 1929. Generalstaatsarchivar: Stritzky.
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