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Gemeinsamer Ministerrat, 26. 4. 1871

I. Nachtragsforderung für die ostasiatische Expedition

Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_I2/pdf/oe_hu_mrp_I2_z44.pdf.

Nr. 44 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 26. 4. 1871     299

Nr. 44 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 26. April 1871

    RS. (und RK.)
    Gegenwärtige: der kgl. ung. Ministerpräsident GrafAndrässy (o. D.), der k. k. Ministerpräsident
Graf Hohenwart (o. D.), der Reichsfinanzminister v. Lönyay (29. 4.), der k. k. Finanzminister Frei¬
herr v. Holzgethan (o. D.), der kgl. ung. Finanzminister v. Kerkäpoly (o. D.), der kgl. ung. Handels¬
minister v. Szlävy (o. D.), der k. k. Handelsminister Dr. Schäffle (2. 5.), Sektionschef v. Hofmann
(o. D.), Sektionschef Freiherr v. Orczy (o. D.), Kontreadmiral Freiherr v. Pöck (8. 5.), Referent
Hofrat Freiherr v. Gagem.
    Protokollführer: Sektionsrat Freiherr v. Konradsheim.
    Gegenstand: Nachtragsforderung für die ostasiatische Expedition.

   KZ. 1062-RMRZ. 110
   Protokoll des zu Wien am 26. April 1871 abgehaltenen Ministerrates für ge¬
meinsame Angelegenheiten unter dem Vorsitze Sr. Exzellenz des Reichskanzlers
Grafen Beust.

   Reichskanzler Graf Beust eröffhete die Sitzung, indem er unter
Bezugnahme auf die anverwahrte, den Konferenzmitgliedem bekannte Denk¬
schrift des Ministeriums des Äußern zur Rechtfertigung des Nachtragskredites
für die ostasiatische Expedition die Verhältnisse, unter welchen die Expedition in
Szene gesetzt wurde und ihre Aufgabe vollführte, kurz resümierte.1

   Ursprünglich sei das Ausbleiben der Mission auf ein Jahr veranschlagt gewe¬
sen; faktisch aber habe sie zwei Jahre vier Monate gedauert, und dies betrachtet,
könne eigentlich von einer willkürlichen Präliminarüberschreitung nicht die Rede
sein, sondern die Mehrausgabe von circa 750 000 fl., um deren Bedeckung es sich
nun handelt, sei eben nur eine Folge von Widerwärtigkeiten aller Art, die - wenn
man sich auch schon anfangs die Möglichkeit, ja Wahrscheinlichkeit eines um
etwas längeren Ausbleibens nicht verhehlte - doch außer aller Berechnung lagen.
Schon auf der Fahrt bis Gibraltar seien Verzögerungen eingetreten, noch mehr auf
der Fahrt um das Kap, und so sei es gekommen, daß die Expedition nach Ablauf
des programmäßigen Jahres sich erst in Japan befand. Angesichts dieser Lage
habe sich das Ministerium des Äußern über die Frage der sofortigen Zurückberu-
fiing oder nicht? schon in der Konferenz vom 19. Oktober 1869 mit den beteilig¬
ten Ministem ins Einvernehmen gesetzt,2 man habe aber beschlossen, der Expe¬
dition unter Beschränkung auf die wichtigeren Staaten Südamerikas ihren Lauf
zu lassen, nachdem die Rückreise um das Kap denselben Zeit- und Kostenauf-

Denkschrift zur Rechtfertigung der Nachtragsforderungen ßr die ostasiatische Expedition
von Gagern v. 9. 1. 1871. Beilage zu diesem Protokoll FIHStA., PA. XL, Karton 286.
GMR. v. 19. 10. 1869, RMRZ. 63. Ministerratsprotokollfehlt. Es gibt aber einen Auszug aus
dem Ministerratsprotokolle vom 19. Oktober 1869, betreffend die Beschlüsse bezüglich des
Nachtragskredites für die ostasiatische Expedition. Siehe Die Protokolle des gemeinsamen
Ministerrates der österreichisch-ungarischen Monarchie 1/1 363-364.
<pb/>300 Nr. 44 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 26. 4. 1871

wand erfordert haben würde wie die Fahrt über Südamerika und es doch schade
gewesen wäre, die Möglichkeit des Vertragsabschlusses mit den dortigen Repu¬
bliken aus der Hand zu geben. Der weitere Seeunfall der Fregatte ,,Donau&quot; im
Stillen Ozean und der dadurch bedingte lange Aufenthalt im Hafen von Honolulu
sei dann die Ursache gewesen, daß dieselbe ungeachtet der angeordneten Be¬
schränkung und Beschleunigung ihrer Mission in Südamerika doch erst heuer
zurückkehren konnte.

   Es frage sich nun, wie man es anfangen solle, um die Votierung des eingetrete¬
nen Mehrerfordemisses von den Vertretungen zu erlangen?3 Bisher sei die Expe¬
dition als eine von den beiden Reichshälften als solchen nach dem Quotenver¬
hältnis zu beköstigende Unternehmung betrachtet worden, während nunmehr
angeregt wurde, einen Teil des Mehrerfordemisses als Nachtragsdotation für die
gemeinsamen Ministerien, als welche wohl nur das Ministerium des Äußern und
das Kriegsministerium (Marinesektion) betrachtet werden können, von den Dele¬
gationen in Anspruch zu nehmen. Wenn man aber auch zu diesem Auskunftsmit¬
tel zu greifen gewillt sei, so werde die Inanspruchnahme der beiden Legislativen
mit einem namhaften Betrage doch nicht zu umgehen sein, wogegen freilich, wie
Vortragender unterrichtet sei, zumal in Ungarn bedeutende Schwierigkeiten be¬
stehen.

   Handelsminister v. Szlävy bestätigte diese Schwierigkeiten
mit dem Zusatze, daß die Hindernisse der Bewilligung im ungarischen Landtage
unübersteiglich zu werden drohen, wenn nicht durch eine Dismembration der
Auslagen nach den verschiedenen Ressorts die Herabminderung der Anforderung
an beide Legislativen zusammen auf circa 200 000 fl., davon 30 %ige Quote in
Ungarn allenfalls durchzubringen wären, ermöglicht wird. Bei einer ursprüngli¬
chen Bewilligung von 500 000 fl. lasse sich eine Nachtragsforderung von 700 000
fl. unmöglich vertreten, wenn man bedenke, wie unpopulär dieses Unternehmen
von jeher in Ungarn war und wie der Reichstag, worüber das Diarium Zeugnis
gebe, den Anteil an jener Summe ausdrücklich nur ein für allemal und unter Ver¬
wahrung gegen weitere Zumutungen votierte.

   Vortragender habe in der Sache bereits mit einflußreichen Mitgliedern des un¬
garischen Abgeordnetenhauses gesprochen und sei zu der Überzeugung gelangt,
daß der Reichstag eine so hohe Vötierung zur großen Verlegenheit der Regierung
verweigern würde, schon deshalb, um die Notwendigkeit der Einhaltung festge¬
setzter Budgets drastisch zu illustrieren und gegen die Wiederherbeiführung ähn¬
licher Zwangslagen ein Exempel zu statuieren. Anderseits verhehle er sich nicht,
daß das Mehrerfordemis für die Expedition in irgendeiner Weise beigeschafft
werden muß, und eben weil er dies im Wege der Delegationen leichter erreichbar
halte, wiederhole er den schon bei früheren Besprechungen gestellten Antrag, daß
die das programmäßige Jahr überschreitenden diplomatischen Auslagen auf den

3 Über die Frage der ostasiatischen Expedition handelte GMR. v. 31. 3. 1871, RMRZ. 107.
        Gegenstand: I.
<pb/>Nr. 44 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 26. 4. 1871  301

Etat des Ministeriums des Äußern und ein anderer namhafter Teil in der beiläufi¬
gen Höhe der Kosten einer Übungsfahrt zugleich mit den Reparaturkosten der
erlittenen Haverien auf die Marinedotation übernommen werden mögen.

   Reichsfinanzminister v. Lönyay machte sofort Mitteilung
über die bisher bekannt gewordenen Überschreitungsbeträge und deren vorläufi¬
ge Bestreitung. Die nach Erschöpfung des bewilligten Kredites aufgelaufenen
Kosten hätten teils den Etat des Ministeriums des Äußern, teils jenen der Marine
betroffen. Die ersteren habe das Ministerium des Äußern vorschußweise aus sei¬
ner Dotation zu leisten erklärt und sei demselben demgemäß ein Gesamtbetrag
von 44 529 fl. 50 kr. zugerechnet worden, wogegen die für die Marine verausgab¬
ten Beträge sich auf 461 000 fl. in runder Summe belaufen, von welchen 403 000
fl. aus den Kassenresten des Jahres 1867, der Rest von 61 000 fl. aber mit Zustim¬
mung der beiden Handelsminister vorschußweise a conto des zu erwirkenden
Nachtragskredits für Rechnung des Etats der beiden Handelsminister nach dem
Quotenverhältnisse bestritten wurden.

   Dermalen schulde die Marine der Anglo-Austrian-Bank noch die Deckung für
3000 Pfund Sterling mit dem Äquivalent von 37-38 000 fl., welche von dem
Kommandanten der Fregatte ,,Donau&quot; am 1. Dezember 1870 gezogen wurden
und worüber nunmehr die Wechsel dem Reichsfinanzminister zur Einlösung prä¬
sentiert wurden, die er jedoch in Ermangelung disponibler Fonds ohne Zustim¬
mung bzw. Konkurrenz der beiden Handelsminister zu honorieren nicht in der

Lage sei.
   Was nun die Frage der nachträglichen Bedeckung betreffe, so habe in der Kon¬

ferenz vom 19. Oktober 1869 der damalige Handelsminister von Gorove4 nach
Inhalt des bezüglichen Protokolls eine solche prinzipiell nicht abgelehnt, sondern
nur die Verschiebung der bezüglichen Vorlage bis zur Rückkehr der Expedition
gewünscht. Jetzt, wo diese Vorlage mit so hohen Ziffern herantrete, könne sich
aber allerdings auch Vortragender die Schwierigkeit der Durchbringung in den
Legislativen nicht verhehlen und erblicke den einzigen Ausweg in dem Antrag
des ungarischen Handelsministers, zumal mit der Expedition neben den handels¬
politischen auch diplomatische und maritime Zwecke verfolgt wurden.

   Reichskanzler Graf Beust bemerkte mit Bezug auf die Ausfüh¬
rung des ungarischen Handelsministers, daß der Zuschuß, welchen das Ministe¬
rium des Äußern leisten könne und dürfe, sich nicht so hoch belaufen werde, daß
dadurch die Anforderung an die Legislative auf das ungarischerseits gewünschte
Maß herabgedrückt werde, und es scheine ihm eine zu scharfe Auffassung zu
sein, wenn die ungarische Legislative sich im vorhinein gegen jede derartige Zu¬
mutung verwahre. Man habe bei den unleugbaren Gefahren eines solchen Unter¬
nehmens die Nichtüberschreitung der projektierten Expeditionsdauer immöglich
schon bei der Inszenesetzung der Expedition als bindend hinstellen können, son¬
dern mußte sich schon damals eingestehen, daß eventuelle Unfälle die Kosten der

4 Gorove, Istvän (1818-1881).
<pb/>302 Nr. 44 Gemeinsamer Ministermt, Wien, 26. 4. 1871

Expedition vermehren werden. Die eingetretenen Widerwärtigkeiten seien nun in
der Tat nicht zu bewältigen gewesen. Es sei ferner unmöglich gewesen, die Expe¬
dition nach Ablauf des ersten Jahres zurückzuzaubem, ebenso habe sich die Be¬
rührung Amerikas als notwendig herausgestellt etc. Es fehle also nicht an Mo¬
menten, welche der Legislative mit Aussicht auf Erfolg vorgehalten werden
können.

   Ministerpräsident Graf Andrässy betonte, daß Ungarn an
der Expedition jedenfalls weniger interessiert sei als die diesseitige Reichshälfte,
daher dem ungarischen Reichstage auch nicht angesonnen werden könne, in der
Frage der Bedeckung der Nachtragsforderung der cisleithanischen Vertretung
vorauszugehen. Hier aber bestünden die Schwierigkeiten wahrscheinlich in dem¬
selben Maße wie in Ungarn, weil man auch hier die Zwangslagen perhorresziere.
Es sei daher in der Rechtfertigung hier wie dort das Hauptgewicht auf die einge¬
tretenen Zwischenfälle zu legen und die dadurch verursachten Kosten tunlichst
abgesondert in kleineren Partien zum Ausdruck zu bringen. Auf eine geschickte
Dismembration werde alles ankommen, und den Modus hiefur zu finden, scheine
ihm der praktische Zweck der heutigen Besprechung zu sein.

   Reichsfinanzminister v. Lönyay sprach sich nochmals für
eine qualitative Sichtung der Summen aus, woraus man Anhaltspunkte gewinnen
werde, um einzelne Posten als gemeinsame Auslagen im Sinne der Ausgleichsge¬
setze in den Delegationen vertreten zu können. Das Ministerium des Äußern habe
durch die übernommene Vörschußleistung diesen Standpunkt bereits anerkannt,
und in der Tat spreche hiefür das Argument, daß nachdem die Schließung von
Staatsverträgen ressortmäßig dem Ministerium des Äußern obliegt, diesem Res¬
sort auch die Kosten des Abschlusses zur Last zu fallen haben. Ebenso verhalte
es sich mit der Marine, welche gleichsam als Eigentümerin der verwendeten
Schiffe die Kosten der erlittenen Havarien und des längeren Ausbleibens der
Schiffe zu übernehmen habe.

   Ministerpräsident Graf Andrässy erklärte sich bereit, eine
in diesem Sinne eingebrachte Nachtragsforderung in den Delegationen zu unter¬
stützen.

   Kontreadmiral Freiherr v. Pöck brachte gegen die der Ma¬
rinedotation zugedachte Belastung mehrfache Einwendung vor. Vor allem sei die
Expedition nicht auf die Initiative der Marinesektion erfolgt. Man habe ferner,
obschon das Präliminare nur auf ein Jahr lautete, doch schon im Jahre 1868 sich
eingestanden, daß die Expedition anderthalb Jahr ausbleiben werde, und es sei
damals die Beitragsleistung der Marinedotation genau präzisiert worden. Es gebe
keinen Titel, auf welchen er einen Nachtragskredit gründen könne, und es müsse
bedacht werden, daß die Expeditionsmannschaft unter anderen Umständen nicht
im Stande fortgefuhrt, sondern auf Urlaub gesetzt worden wäre.

    Hofrat Freiherr v. Gagern schaltete ein, es sei bei dem ersten
Voranschlag der Marine auf einige früher nicht bestimmbare Auslagen gar nicht
Rücksicht genommen worden, nämlich einerseits auf Agio- und Münzverluste,
<pb/>Nr. 44 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 26. 4. 1871  303

andererseits auf die Kosten für Pilotage und Telegramme. Diese Posten allein
belaufen sich auf circa 300 000 fl. und seien ihrer Natur nach vollkommen geeig¬
net, bei einem Nachtragskredit in den Vordergrund gestellt zu werden.

   Sektionschef v. Hofmann besprach hierauf die Tunlichkeit der
Herbeiziehung des Etats des Ministeriums des Äußern. Er könne zwar der Argu¬
mentation, wonach das ursprüngliche Prinzip der Zweiteilung der Expeditionsko¬
sten unter die beiden Reichshälften nunmehr zu einer gemeinsamen Auslage im
Sinne der Ausgleichsgesetze gestempelt werden solle, nicht beitreten und wolle
diese Seite der Frage lieber ganz unberührt lassen, aber es gebe - zumal wenn
man sich der Unterstützung in den Delegationen von Seite der Landesminister
versichert halten könne - einen andern Weg, um einen entsprechenden Nach¬
tragskredit für das Ministerium des Äußern zu erwirken, nämlich die Wiederinan¬
spruchnahme der in das 1870er Budget eingestellt gewesenen, aber von den De¬
legationen eben mit Hinweis auf den Bestand des Expeditionsfondes bis zur
Rückkehr der Expedition in suspenso gelassenen diplomatischen Auslagen. Die¬
se Wiederinanspruchnahme sei, nachdem es sich nun zeige, daß der Expeditions¬
fond im Jahre 1870 faktisch bereits erschöpft war, vollkommen korrekt.

   Kontreadmiral Freiherr v. Pöck führte als weiteres Motiv
für die Ablehnung der Nachtragsforderung für die Marine den Umstand an, daß
er ohnehin schon einige Kosten für die Expeditionstruppen, so namentlich das
ganze Erfordernis seit 1. Jänner dieses Jahres, bis zur Rückkehr der Expedition
auf die Marinedotation übernommen habe.

   Finanzminister v. Kerkäpoly erblickte gerade darin einen
Anhalt, um in ähnlicher Weise auch noch weiter in die Vergangenheit zurückzu¬
greifen, und zog bezüglich der Haverien einen Vergleich mit den Verhältnissen,
von Privat-Schiffsreedem, welche nach dem Grundsatz ,,casus nocet domino&quot;5
die Beschädigungen der Schiffe auch selbst getragen haben.

   Kontreadmiral Freiherr v. Pöck bemerkte noch weiter, daß
die Korvette ,,Friedrich&quot; ohne eigenes Verschulden sechs Monate in Singapur zu
verweilen genötigt war. Ihre Fahrzeit habe nur 340 Tage betragen.

   Reichskanzler Graf Beust erwiderte, der Aufenthalt in Singa¬
pur und die das Bekanntwerden unserer Flagge in den ostasiatischen Gewässern
bezweckende Kreuzung der Korvette habe mit zu den Aufgaben der Expedition
gehört, und daß der Aufenthalt in Singapur so lange dauerte, sei nicht minder eine
Folge der unvorhergesehenen Zwischenfälle.

   Hofrat Freiherr v. Gagern betonte, daß diese Korvette zugleich
als Stationsschiff in Ostasien zu fungieren hatte. Zu solchen Verwendungen sei
die Marine instruktionsmäßig bestimmt, wie ja auch jetzt abermals ein Kriegs¬
schiff in dieser Eigenschaft in die dortigen Gewässer abzugehen bestimmt sei.

5 ,, casus nocet domino &quot; - der Unfall belastet den Eigentümer, für den Unfall haftet der Eigen¬
        tümer.
<pb/>304 Nr. 44 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 26. 4. 1871

   Handelsminister v. Szlävy brachte vor, es handle sich hier
nicht um ein Verschulden oder eine strikte Verpflichtung der Marine zur Übernah¬
me eines Teils der Expedition, sondern darum, daß die Marinesektion der Regie¬
rung behilflich sei, über die Verlegenheit, in die sie gegenüber den Legislativen
geraten könne, wenn dieselben den Nachtragskredit verweigern, hinwegzuhelfen.
Es komme daher auch nicht darauf an, ob eine oder die andere Auslage juridisch
ihren Etat treffe und in ihrem Interesse gemacht worden sei, vielmehr müsse man
den Gesichtspunkt festhalten, daß die Marine nicht Selbstzweck, sondern Hilfs¬
organ des Staates sei und die Auslagen, die ihr aus dieser Pflichterfüllung erwach¬
sen, auf ihr Budget zu übernehmen habe.

   Handelsminister Dr. Schäffle wünschte vor allem Klarheit
darüber, ob die Gesamtsumme schon liquid sei. Fast müsse er es bezweifeln, da
das Anwachsen der anfangs mit 400 000 fl., dann mit 600 000 fl. und jetzt mit
mehr als 700 000 fl. angegebenen Überschreitung noch ein weiteres Zuwachsen
von Rechnungen befürchten lasse. Im Falle der Illiquidität der Summe wäre es
schwer, die Sache im Reichsrat durchzubringen und werde sicherlich schon bei
der Vorberatung im Finanzausschüsse ein Vertagungsantrag gestellt werden. Aber
die Liquidität auch angenommen, so müsse er sich dem ungarischen Handelsmi¬
nisterium in dem Satze anschließen, daß sich die Nachtragsforderung in ihrer
ganzen Höhe gegenüber den Legislativen nicht vertreten lasse. Staatsrechtlich
seien dieselben nur zur Votierung der rein zu Handelszwecken bestimmten Aus¬
gaben berufen, und so hätte es vom Anfang gehalten werden sollen. Er glaube
daher auch, daß die Marinesektion mit ihrer Dotation subsidiarisch eintreten sol¬
le, welcher die Tragung der Reparaturkosten der Fregatte ,,Donau&quot; ganz und gar
obliege. Wenn auf diese Weise eine Dismembration bis zum Betrage von 200 000
bis 250 000 fl. sich erreichen lasse, so glaube er die Votierung von 70 % durch den
Reichsrat ain Anspruch nehmen3 zu können, aber selbstverständlich bbedingt,
nämlichb nur unter der Voraussetzung der korrespondierenden Verpflichtung Un¬
garns.

   Kontreadmiral Freiherr v. Pöck erwähnte die Schwierig¬
keiten der Abrechnung, welche die Überprüfung von 126 Journalen erheische,
und stellte die ziffermäßige Richtigstellung der Finalsumme erst nach einigen
Monaten in Aussicht. Eine weitere Schwierigkeit biete die Verteilung.

    Reichskanzler Graf Beust glaubte, daß man die Arbeit in vier
bis fünf Wochen bewältigen könne.

    Ministerpräsident Graf Andrässy regte die Frage an, ob es
nicht möglich sei, die Rechnungen noch vor dem Zusammentritt der Delegatio¬
nen so weit zu überblicken, um daraus die Höhe der von den gemeinsamen Mini¬
sterien des Äußern und der Marine zu beanspruchenden Nachtragskredite ermes¬
sen zu können. Die weitere Vorlage an die Legislativen könne dann bis zum
Einlangen der Schlußrechnung verschoben werden.

         Korrektur aus in Aussicht stellen.
b-b Einfügung.
<pb/>Nr. 44 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 26. 4. 1871  305

   Reichsfinanzminister v. Lönyay bezeichnete es als dring¬
lich, daß bald etwas geschehe, weil ihm die Mittel zur Einlösung des Wechsels
der Anglo-Austrian-Bank geboten werden müssen.

   Sektionschef v. Hofmann hielt die Berechnung der den Etat des
Ministeriums des Äußern treffenden Summen bei dem Vorhandensein bestimm¬
ter Titel für leicht tunlich.

   Handelsminister Dr. Schäffle war der Meinung, daß sich
eine ähnliche Berechnung auch bezüglich der Marine in der kürzesten Frist aus
den bezüglichen Journalen anstellen lasse. Man brauche nur die Havariekosten
anläßlich der Stürme bei Tanger, dann auf der Fahrt nach Japan und im Stillen
Ozean als eine Aversionalsumme hinzustellen und dazu die Pilotage, Agioverlust
usw. zuzuschlagen. Den verbleibenden Rest des Mehrerfordemisses werde man
dann nach Abschluß aller Rechnungen von den Legislativen verlangen. In diesem
Sinne sprachen sich auch Ministerpräsident Graf Andrässy
dann die Finanzminister Freiherr v. Holzgethan und v.
Kerkäpoly aus.

   Finanzminister Freiherr v. Holzgethan machte noch
insbesondere auf den Unterschied zwischen Gebarungsausweisen und Rech¬
nungsabschlüssen aufmerksam. Nicht um den letzteren, sondern nur um den er-
steren, nämlich eine Darstellung der faktischen Ausgaben, die sich an der Hand
der Hauptjoumale der beiden Schiffe leicht konstatieren lassen, handle es sich
hier; und sobald man auf diese Weise die Summe der Überschreitung konstatiert
habe, ergebe sich die Verteilung nach den Kategorien der Ausgabe von selbst.
Vortragender wendet sich sodann gegen den vom ungarischen Finanzminister ge¬
zogenen Vergleich der Marine mit Privatreedem, indem er auf den Unterschied in
beiden Verhältnissen hinwies. Bei der Reederei bestehe ein Vertragsverhältnis,
welches auf gegenseitiger Freiheit des Handelns beruhe, während die Marine die
Expedition ex officio mitgemacht habe. Man müsse überhaupt in der heutigen
Frage nicht strikt, sondern schiedsrichterlich vergehen und sich über eine Pau¬
schalsumme, welche die gemeinsamen Ministerien zu übernehmen hätten, in der
Weise einigen, daß für den von den Legislativen zu bewilligenden Nachtragskre¬
dit höchstens 2 bis 300 000 fl. erübrigen.

   Handelsminister v. Szlävy bezeichnete diese Summe bezüg¬
lich der entfallenden Quote als zu hoch für Üngam, unter Auseinandersetzung der
ungünstigeren Lage der dortigen Regierung im Vergleich zu der hiesigen, nach¬
dem die Expedition in Cisleithanien vom Anfang populär war und die Regierung
von gewissen Handelskreisen zu diesem UntemeWen sogar gedrängt war.

   Handelsminister Dr. Schäffle brachte noch vor, ob nicht
etwa auch die auf 600 000 fl. für den sechsmonatlichen Aufenthalt der ,,Korvette
Friedrich&quot; in Singapur, um daselbst die Vertragsratifikationsinstrumente abzu¬
warten, von dem Ministerium des Äußern übernommen werden könnten. Demge¬
genüber bemerkte Hofrat Freiherr v. Gagern, die Korvette sei,
wie oben erwähnt, nicht bloß wegen des Ratifikationsaustausches, sondern auch
<pb/>306 Nr. 44 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 26. 4. 1871

aus anderen Gründen vor Singapur gelegen, übrigens hätte das Ministerium des
Äußern die Ratifikation nicht in der Hand gehabt. Auch Reichskanzler
Graf Beust hob hervor, daß ein Verschulden des Ministeriums des Äußern
an der Verzögerung der Ratifikation, woraus allenfalls eine Verpflichtung im Sin¬
ne des Antrages des diesseitigen Handelsministers hergeleitet werden könne,
nicht vorliege.

   Kontreadmiral Freiherr v. Pöck besprach nochmals die
Schwierigkeit, die dem Marineetat aufgebürdete Position in den Delegationen zu
vertreten, worauf Handelsminister v. Szlävy die beruhigende
Andeutung machte, daß dies Sache der Landesminister sein werde und daß er in
der ungarischen Delegation für den Erfolg eintreten zu können glaube.

   Ministerpräsident Graf Hohenwart reassumierte sohin das
Ergebnis der heutigen Besprechung dahin, daß ihm die Dreiteilung und Repartie¬
rung der Nachtragsforderung nach der Kategorie der diplomatischen, marine- und
streng handelspolitischen Auslagen im Prinzip festzustehen scheine und daß es
sich nunmehr um die Ermittelung der Summe und Festsetzung der einzelnen Tan¬
genten handeln werde, worauf die Konferenz den Beschluß faßte: Es habe dem¬
nächst eine aus Referenten der beteiligten Ministerien bestehende Kommission
unter dem Vorsitze des Sektionschefs v. Hofinann zusammenzutreten, welche
aufgrund der aus den Bordjoumalen mit tunlichster Beschleunigung zu verfas¬
senden Gebarungsausweise die Details der Repartition im Sinne der heutigen Be¬
sprechung vorbehaltlich der Genehmigung in einer späteren Ministerkonferenz
zu entwerfen hätte.6

   Ministerpräsident Graf Andrässy regte noch an, ob zur Be¬
deckung des Erfordernisses nicht etwa auf die gemeinsamen Aktiven gegriffen
werden könne?7, wogegen sich jedoch Finanzminister Freiherr
v. Holzgethan verwahrte, mit Hinweis auf die streng begrenzte Bestim¬
mung dieser Aktiven.

   Schließlich betonte Reichsfinanzminister v. Lönyay noch
die Dringlichkeit der Einlösung des letzten Expeditionswechsels ä 3000 Pfund
Sterling, deren weitere Hinausschiebung den Staatskredit zu kompromittieren
drohe, und bat, daß ihm die Fonds a conto der zu gewärtigenden Nachtragskredi¬
te von den beiden Handels- bzw. Finanzministem, ohne deren Zustimmung er die
Zahlung nicht leisten könne, an die Hand gegeben werden mögen.

   Finanzminister Freiherr v. Holzgethan konstatierte,
daß er infolge Beschlusses des diesseitigen Ministerrates in der Lage sei, dem
Handelsminister die 70 %-Quote zur Zahlung dieses Wechsels zur Verfügung
stellen zu können. Von ungarischer Seite wurde keine Einwendung erhoben.
Hieraufwurde die Sitzung geschlossen, wobei Reichsfinanzminister
v. Lönyay noch den Wunsch wegen baldiger Besprechung in einer kombi-

              Kein gemeinsamer Ministerrat hat die Angelegenheit im Weiteren behandelt.
              Über den Begriffder gemeinsamen Aktiven: GMR. v. 23. 7. 1870, RMRZ. 69. Anm. 4.
<pb/>Nr. 45 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 28. 4. 1871                      307

nierten Ministerberatung über die Behandlung des letzten Vertrags mit Italien
betreffend gewisse finanzielle Auseinandersetzungen, dann in Angelegenheit des
Lloyd und der Zinsentragung für das im Vorjahr durch unsere Rüstung hervorge¬
rufene 15 Millionen-Vorschußgeschäft aussprach.8

                                                                                                  Beust

[Ah. E.] Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen.
Wien, 15. Mai 1871. Franz Joseph.

Nr. 45 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 28. April 1871

    RS. (und RK.)
    Gegenwärtige: derkgl. ung. Ministerpräsident GrafAndrässy (o. D.), derk. k. Ministerpräsident
Graf Hohenwart (o. D.), der Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn (o. D.), der Reichsfinanzmini¬
ster v. Lonyay (2. 5.), der k. k. Finanzminister Freiherr v. Holzgethan (3. 5.), der kgl. ung. Finanz¬
minister v. Kerkäpoly (o. D.).
    Protokollführer: Sektionsrat Freiherr v. Konradsheim.
    Gegenstand: I. Einkommensteuer des österreichischen Lloyd. II. Auslagen für das vorjährige
Konsortial-Vorschußgeschäft. III. Florentiner Konvention.

   KZ. 1063-RMRZ. 111
   Protokoll des zu Wien am 28. April 1871 abgehaltenen Ministerrates für ge¬
meinsame Angelegenheiten unter dem Vorsitze Sr. Exzellenz des Reichskanzlers
Grafen Beust.

I. Nach Eröffnung der Sitzung durch den Reichskanzler nahm R e i c h s f i -

nanzminister v. Lonyay das Wort zur Darlegung einer Differenz mit

dem cisleithanischen Finanzminister. Bekanntlich sei schon im Jahre 1868 über

ungarische Initiative der Delegationsbeschluß zustande gekommen, daß die Ein¬

kommensteuer des österreichischen Lloyd als Erträgnis eines aus gemeinsamen

Mitteln subventionierten Unternehmens auch den gemeinsamen Finanzen zustat¬

ten zu kommen habe. Demgemäß sei die in den Staatsvoranschlag der gemeinsa¬

men Auslagen als Bedeckung aufgenommene Einkommensteuer des Lloyd, wel¬

che für die Jahre 1868-1870 jeweilig mit 820 000 fl. präliminiert und auch pro

1871 mit diesem Betrage eingestellt wurde, tatsächlich aber, wie Vortragender

ermitteln ließ, sich im Jahre

1868 auf                       120 549 fl. 46 kr.

1869 &quot;                         139 756&quot; 28&quot;

1870 &quot;                         161 290 &quot; 92 &quot;.

zusammen auf                   421 599 fl. 66 kr.

belief, den gemeinsamen Finanzen zugute zu rechnen gewesen.

Siehe GMR. v. 28. 4. 1871, RMRZ. 111.
<pb/>