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Gemeinsamer Ministerrat, 14. 3. 1871

I. Verhältnis des Wehrstandes zur eventuellen Grenzinkorporierung

Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_I2/pdf/oe_hu_mrp_I2_z40.pdf.

Nr. 40 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 14. 3. 1871    269

Nr. 40 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 14. März 1871

    RS. (und RK.)
    Gegenwärtige: der Reichskanzler Graf Beust (o. D.), der kgl. ung. Ministerpräsident Graf
Andrässy (o. D.), der k. k. Ministerpräsident Graf Hohenwart (20. 3.), der Reichskriegsminister
Freiherr v. Kuhn (o. D.), der Reichsfinanzminister v. Lönyay (23. 3.), der k. k. Landesverteidi¬
gungsminister Freiherr v. Scholl (o. D.).
    Protokollführer: Sektionsrat Freiherr v. Konradsheim.
    Gegenstand: I. Verhälmis des Wehrstandes zur eventuellen Grenzinkorporierung. II. Zusam¬
mentritt der Delegationen. III. Diverse Gesetzentwürfe.

   KZ. 579-RMRZ. 106
   Protokoll des zu Wien am 14. März 1871 abgehaltenen Ministerrates für ge¬
meinsame Angelegenheiten unter dem Ah. Vorsitze Sr. Majestät des Kaisers.

   I. Seine Majestät der Kaiser geruhte die Sitzung zu eröffnen,
indem Allerhöchstderselbe einen au. Vortrag des Reichskriegsministers zur Spra¬
che brachte wegen prinzipieller Entscheidung, ob und inwieweit die eventuelle
Inkorporierung der Militärgrenze zu Ungarn eine Erhöhung des im Wehrgesetze
vom 5. Dezember 1868 auf 800 000 Mann festgesetzten kompletten Kriegsstan¬
des bedinge?1

   Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn erbat sich hier¬
auf das Wort zur Darlegung des militärischen Standpunktes. Man müsse sich dar¬
über klar werden, ob die 800 000 Mann des Wehrgesetzes für den Wehrstand der
Monarchie allein maßgebend und die 53 000 Mann Grenztruppen nur als ein zeit¬
weiliges Akzedenz zu betrachten seien, oder ob letztere ein abgesondertes Plus
der Wehrkraft repräsentieren und als solches dauernd in Rechnung gezogen wer¬
den müssen. Ihm scheine die letztere Auffassung die richtigere zu sein, woraus
sich aber dann konsequent im Falle der Provinzialisierung der Grenze die Erhö¬
hung des Wehrstandes durch neue Formationen bei gleichzeitiger Repartierung
des Grenztruppenentganges auf die beiden Reichshälften ergebe.

   Seine Majestät der Kaiser hatte die Gnade anzudeuten, daß im
Falle der Zurechnung der Grenze das cisleithanische Kontingent sich nicht ver¬
größern, sondern nur Ungarn nach Maßgabe seines Bevölkerungszuwachses eine
höhere Rekrutenzahl stellen würde.

   Ministerpräsident Graf Andrässy bemerkte hierauf gegen
die Ausführungen des Reichskriegsministers, daß er - so sehr er auch die militä-

Au. Vortrag des Reichskriegsministers v. März 1871 [Konzept], KA. KM. Präs. 26-7/1/1871.
Kuhn bittet in seinem Vortrag den Kaiser ausdrücklich, die Angelegenheit in einem gemein¬
samen Ministerrat unter Vorsitz des Kaisers behandeln zu lassen. Kuhns Vortrag erfolgt auf
Aufforderung durch den Herrscher: Se. Majestät der Kaiser an Kuhn v. 27. 1. 1871. Ebd.
Wehrgesetz v. 5. 12. 1868, RGBl. Nr. 151.
<pb/>270 Nr. 40 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 14. 3. 1871

rischen Gründe für eine Ersatzleistung bei Wegfall der Grenztruppen würdige -
doch das Bedenken nicht unterdrücken könne, daß dies nur durch ein neues Ge¬
setz, bei welchem die Mitwirkung der Legislativen nicht zu umgehen sei, möglich
sein und die Legislative sich hierbei sicherlich auf den entgegengesetzten Stand¬
punkt stellen werde, mit der Deutung nämlich, daß der Wehrstand von 800 000
Mann unbeschadet der Grenzauflösung inalterabel sei.

   Reichsfinanzminister v. Lönyay stimmte dieser Anschau¬
ung bei, unter Bezugnahme auf den Wortlaut der §§11 und 13 des Wehrgesetzes.
Wenn auch der § 11 Zweifel übrig lasse, so bestimme doch § 13, daß bei dem
Wehrstande von 800 000 Mann ,,die ihre Wehrpflicht auf andere Weise vollzie¬
hende Grenzbevölkerung insolange außer Rechnung bleibt, als das Grenzinstitut
tatsächlich besteht&quot;.2

   Reichskanzler Graf Beust äußerte sich im ähnlichen Sinne und
begründete dies mit Hinweis auf die Genesis des Wehrgesetzes. Er sei damals als
Reichsratsabgeordneter Mitglied des Wehrausschusses gewesen und erinnere
sich sehr wohl, wie bei den bezüglichen Verhandlungen die meisten Abgeordne¬
ten bestrebt waren, die Ziffer von 800 000 Mann mit Rücksicht auf die Zahl der
Grenztruppen zu reduzieren, ein Streben, gegen welches die Regierung, und zwar
mit Erfolg, gerade mit dem Argumente ankämpfte, daß es sich bei der Grenze
nicht um ein Plus der Wehrkraft, sondern nur um ein transitorisches Institut hand¬
le. Die Fassung des betreffenden Paragraphen sei daher nicht so verstanden wor¬
den, daß die Erhöhung der 800 000 Mann Vorbehalten werde, sondern sie sei
dadurch entstanden, daß man dem Verlangen der Opposition, die 53 000 Mann
einzurechnen. Widerstand geleistet habe. Wenn man nun wieder an die Legislati¬
ve gehe, so werde dieser Ursprung gewiß hervorgesucht werden.

   Ministerpräsident Graf Andrässy fugte dem bei, daß das
Kriegsministerium zur Zeit jener Verhandlungen sogar bereit gewesen sei, die
53 000 Mann Grenztruppen in die Ziffer von 800 000 Mann einzurechnen. Die
heutige Frage habe übrigens auch ihre politische und finanzielle Seite. In politi¬
scher Beziehung müsse erwogen werden, daß wenn die Regierung ihrerseits eine
Erhöhung des fixierten Wehrstandes in Anregung bringe, anderseits die Legisla¬
tive sich veranlaßt finden könne, auch die Herabminderung in die Diskussion zu
ziehen, während gerade die neuester Zeit im Rekrutierungsausschusse des Abge¬
ordnetenhauses zu Tage getretenen Velleitäten es empfehlen, daß die Regierung
beweise, daß ihr - so wie sie während der zehn Jahre, für welche der Kriegsstand

        RGBl. Nr. 151. § 11: Die zur gemeinsamen Verteidigung der Gesammtmonarchie erforderli¬
        che Stärke des stehendes Heeres und der Kriegsmarine wird ... mit einem completen Kriegs¬
        stand von 800.000 Mann ohne Hinzurechnung der Militärgrenztruppen festgestellt. § 13: Von
        dem festgestellten Stande pr. 800.000 Mann auf die im Reichsrate vertretenen Königreiche
        und Länder 470.368 Mann und auf die Bevölkerung der Länder der ungarischen Krone
        329.632 Mann entfallen, wobei die Wehrpflicht auf andere Weise vollziehende Grenzbevöl¬
        kerung in solange außer Rechnung bleibt, als das Grenzinstitut tatsächlich besteht. Siehe
        Bernatzik, Die österreichischen Verfassungsgesetze 690.
<pb/>Nr. 40 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 14. 3. 1871  271

normiert ist, jede Herabminderung perhorresziert - ebenso auch der Gedanke an
eine Erhöhung femliegt. Finanziell bedenklich sei es aber, durch Erhöhung des
Wehrstandes die Kosten der Ausrüstung zu vermehren, wobei man überdies Ge¬
fahr laufe, die Quantität der Wehrkraft auf Kosten der Qualität auszurüsten. Zu¬
dem komme noch in Betracht, daß die Grenzmannschaft für die Wehrhaftma-
chung des Reiches noch verloren gehe, denn statt in das stehende Heer werde ein
Teil in die Landwehr eingereiht werden und dieser zugute kommen.

   Seine Majestät der Kaiser geruhte einzuschalten, daß militäri¬
sche Rücksichten gerade gegen diese Eimeihung sprechen, weil man auf diese
Weise im Vergleiche zur Linie eine Unmasse von Landwehr bekomme, die über
den eigentlichen Zweck ihrer Bestimmung für den innem Dienst weit hinausrei¬
che, dagegen seien die politischen und finanziellen Einwendungen des Grafen
Andrässy allerdings beachtenswert.

   Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn anerkannte die
politischen Schwierigkeiten, bestritt aber die finanziellen, weil es sich nur um
vier oder fünf neu zu formierende Regimenter handle und bisher auch für die
Grenztruppen Beiträge aus gemeinsamen Mitteln geleistet wurden. Vortragender
besprach sofort das Umständliche der neuen Einteilung, wenn die Grenzauflö¬
sung ohne gleichzeitige Erhöhung des Wehrstandes bzw. ohne die Errichtung
neuer Regimenter erfolgt.

   Um in diesem Falle die Grenzbevölkerung gleichwohl zur Erfüllung ihrer Mi¬
litärdienstpflicht heranzuziehen, müßten die Werbbezirke neu eingeteilt, in Un¬
garn sogar eine neue Repartition vorgenommen werden. Dadurch werde aber die
Basis der dermaligen Heeresadministration verrückt und komme in die ganze
Heereseinteilung für längere Zeit eine Unordnung, die nur bei vollkommen fried¬
lichen Verhältnissen ohne Gefahr für das Reich vorübergehen können. Bestehe
die sichere Aussicht auf die vollkommene Beruhigung Europas nicht, so möge so
lange die Grenzauflösung lieber sistiert werden.

   Ministerpräsident Graf Andrässy replizierte auf letztere
Bemerkung mit dem Hinweis auf die Dringlichkeit der Grenzauflösung, die zwar
stadienweise erfolgen könne, aber wenigstens prinzipiell bald in Angriff genom¬
men werden müsse.

   Seine Majestät der Kaiser hatte die Gnade, dieser Ausführung
unter Betonung der Unhaltbarkeit der jetzigen ungewissen Grenzzustände zuzu¬
stimmen.

   Ministerpräsident Graf Hohenwart schloß sich bei aller
Anerkennung der Gründe, welche dem Kriegsminister die Erlangung eines Äqui¬
valentes für den Entgang der Grenztruppen wünschenswert erscheinen lassen, der
Meinung des Reichskanzlers und des ungarischen Ministerpräsidenten in dem
Punkte an, daß es sich frage, ob ein solches Äquivalent bei den Legislativen
durchführbar sein und ob nicht vielmehr die beabsichtigte Erhöhung der Ziffer
den Abgeordneten die Handhabe zu Verminderungsanträgen bieten werde. Es be¬
stehe hier die Meinung, daß die Grenzauflösung eine Herabminderung des dies-
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seitigen Kontingentes zur Folge haben müsse, und er glaube nach den Wahrneh¬
mungen, die er gegenwärtig zu machen Gelegenheit habe, die Aussicht auf
Erlangung eines solchen Äquivalentes vom Reichsrate bestimmt verneinen und
sich daher für einstweilige Verzichtleistung darauf aussprechen zu müssen.

   Seine Majestät der Kaiser geruhte zu bemerken, daß aufgrund
der neuen Volkszählungsergebnisse sich eine Änderung in der Repartition und
zum mindesten ein Ausgleich zwischen einzelnen Provinzen werde Platz greifen
müssen. Auf die von Seiner Majestät weiter gestellte Frage über die eigentlichen
Ergebnisse der Volkszählung entgegnete Ministerpräsident Graf
Hohenwart, daß dieselben noch nicht vollständig klargestellt seien. Es sei
nach den bisherigen Resultaten auffällig und müsse auf einem, wohl noch zu
rektifizierenden Irrtum beruhen, daß sich die Zahl der Bevölkerung im ganzen
gegen das Jahr 1857 vermindert habe. Nur Galizien weise eine Zunahme von
800 000 Menschen nach.

   Reichskanzler Graf Beust brachte vor, daß die nach dem Wun¬
sche des Kriegsministers aus der Grenzmannschaft eventuell zu errichtenden
neuen Regimenter nach der beabsichtigten ordre de bataille im Lande belassen
werden müßten, und gab zu bedenken, ob sich diese empfehle?

   Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn erwiderte, daß
man die neuen Regimenter wohl im Lande, aber nicht unbedingt in der Heimat
belassen werde.

   Ministerpräsident Graf Andrässy erklärte mit Bezug auf
die früheren Bemerkungen des Kriegsministers, die Schwierigkeit einer neuen
Werbbezirkseinteilung nicht in Abrede stellen zu wollen, aber wenn schon infol¬
ge der Volkszählung teilweise neue Repartitionen vorgenommen werden müssen,
so komme es auf ein Mehr von momentaner Unordnung durch Einführung der
neuen Bezirkseinteilung nicht an. Jedenfalls sei sie von zwei Übeln das kleinere,
da die Grenzauflösung sich nicht verschieben lasse und auf die Erhöhung des
Kontingentes pr. 800 000 Mann, wie gesagt, nicht gerechnet werden könne.

   Seine Majestät der Kaiser hatte schließlich die Gnade, diesen
Umstand als entscheidend anzuerkennen, wie nicht minder das Gefährliche der
entgegengesetzten Konsequenzen, wenn die Regierung in der Absicht auf Erhö¬
hung des Kontingentes an dem für zehn Jahre gesetzlich festgestellten Wehrstan¬
de selbst zu rütteln anfange.

   II. Als weiteren Gegenstand der Beratung geruhte Seine Majestät
der Kaiser die Einberufung der Delegationen auf die Tagesordnung zu
setzen.

   Reichskanzler Graf Beust rekapitulierte das Ergebnis der Be¬
sprechung hierüber im gemeinsamen Ministerrate vom 11. März, wonach man
sich vorbehaltlich der Zustimmung der beiden Ministerpräsidenten in der Einbe¬
rufung während des Monates Mai geeinigt habe.3

3 GMR. v. 1L 3. 1871, RMRZ. 105.
<pb/>Nr. 40 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 14. 3. 1871  273

   Ministerpräsident Graf Andrässy war hiemit einverstan¬
den, jedoch mit dem Zusatze, daß der Zusammentritt vor dem 20. Mai nicht zu
erfolgen hätte, da es aller Kraftanstrengung der ungarischen Legislative bedürfe,
um bis dahin mit ihren Arbeiten fertig zu werden.

   Ministerpräsident Graf Hohenwart erklärte, daß er für sei¬
nen Teil gleichfalls keinen Einwand gegen den beabsichtigten Termin, speziell
nicht gegen den 20. Mai habe, vielmehr müsse es ihm nur wünschenswert sein,
wenn die Budgetverhandlungen in einen geregelten Gang gebracht werden, wo¬
für die rechtzeitige Votierung des gemeinsamen Budgets die Vorbedingung ist.
Eine Schwierigkeit könne bloß in der Haltung des diesseitigen Abgeordnetenhau¬
ses liegen, welche in neuester Zeit die Auflösung dieses Vertretungskörpers nahe¬
zurücken schien. Nach den allerletzten Wahrnehmungen jedoch lasse sich eine
entgegenkommendere Haltung des Rekrutierungsausschusses und somit die Be¬
seitigung des nächsten Anlasses zu dieser Eventualität erhoffen, und er glaube,
daß es gelingen werde, auch die Delegationswahl durchzusetzen.

   Seine Majestät der Kaiser geruhte zu ffagen, ob es nicht denk¬
bar sei, daß das Abgeordnetenhaus die Wahl der Delegierten verweigert?

   Reichsfinanzminister v. Lönyay legte den Ton auf das
Recht der Krone, die Delegation wann immer einzuberufen, welchem die Pflicht
der Legislative zur Wahl der Delegierten entspreche.

   Reichskanzler Graf Beust wies darauf hin, wie die Delegati¬
onswahl, zwar verzögert, aber schon deshalb nicht verweigert werden könne,
weil die Legislative dem gemeinsamen Ministerium unmittelbar nicht gegen¬
überstehe und das Landesministerium, welches sich mit der Vertretung mögli¬
cherweise in Opposition befinden kann, hier gleichsam nur als Zwischenträger
erscheine.

   Ministerpräsident Graf Andrässy bezeichnete eine solche
Eventualität als triftigen Grund für die Auflösung des Hauses und führte aus die¬
sem Anlasse des weiteren aus, wie eigentlich das Gesetz über die Delegationen
eine Lücke für den Fall der Auflösung einer oder der anderen Legislative enthalte.
Vortragender wies sodann auf den Bestand eines ähnlichen Verhältnisses zwi¬
schen dem mit verschiedener Mandatsdauer ausgestatteten ungarischen Reichs¬
tag und kroatischen Landtag hin, gegen welches man sich mit dem Abkommen
geholfen habe, daß die kroatischen Deputierten ihr Mandat für den ungarischen
Reichsrat [sic!] im Falle der Auflösung des kroatischen Landtages bis zur Neu¬
konstituierung dieser Körperschaft, welche die Wahl neuer Vertreter in Pest er¬
möglicht, fortzubehalten haben. Ein solcher Modus wäre auch gegenüber den
Delegationen mittels Gesetzes in Anwendung zu bringen, für dessen Einbringung
im diesseitigen Abgeordnetenhaus jetzt übrigens allerdings nicht der geeignete

Moment wäre.
   Auf die weitere Frage Seiner Majestät des Kaisers, warm

die Einberufung zu verlautbaren sei? bat Ministerpräsident Graf
Hohenwart um vorläufige Sistierung der Beschlußfassung hierüber, bis ihm
<pb/>274 Nr. 40 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 14. 3. 1871

eine Rücksprache und Vereinbarung mit den Führern im Abgeordnetenhause
möglich sei, deren Ergebnis er dem Grafen Beust mitteilen werde. Vortragender
betonte hiebei die Notwendigkeit, das Ineinandergreifen der Tätigkeit der Dele¬
gationen, des Reichsrates, welcher selbst gleichzeitig mit den Delegationen tagen
könne, und der Landtage zu regeln, welch letzteren man diesmal wegen der gro¬
ßen Zahl der ihrer Beratung harrenden Gegenstände eine längere Zeit gönnen
müsse.

   III. Seine Majestät der Kaiser geruhte hierauf die Grenzquoten¬
angelegenheit mit der Bemerkung zu berühren, daß eine baldige Erledigung der
bezüglichen, im Abgeordnetenhause schon lange anhängigen Vorlage höchst
wünschenswert sei.4

   Reichsfinanzminister v. Lönyay besprach das dermalige
Stadium dieser Gesetzesvorlage. Er habe Information, daß der aus dem Finanz¬
ausschüsse hervorgegangene Dreierausschuß der Vorlage in der Wesenheit zuzu¬
stimmen geneigt sei. Dr. Brestei5 habe ferner versprochen, daß er die Sache im
Ausschuß bis zum Monat April durchbringen werde, und an der Willfährigkeit
des Präsidenten Hopfen6 zur Beschleunigung im Plenum des Abgeordnetenhau¬
ses sei nicht zu zweifeln.

   Ministerpräsident Graf Andrässy betonte, daß die gesetzli¬
che Regelung der Quotenffage die Vorbedingung zur Vornahme einer Reihe
administrativer Maßregeln zunächst auf dem Gebiete der Kommunikation bilde,
die bisher zum Schaden der Grenze nicht eingeleitet werden konnten, worauf
Ministerpräsident Graf Hohenwart sich bereit erklärte, auch
von seiner Seite den Wunsch Ungarns nach baldiger Regelung der Quotenfrage
einigen maßgebenden Abgeordneten ans Herz zu legen.

        Über die Grenzquotenangelegenheit siehe GMR. v. 15. 1. 1871, RMRZ. 99. Gegenstand: I. Im
        Februar 1871 legt Holzgethan den betreffenden Gesetzesvorschlag dem Reichsrat vor, wo¬
        nach Ungarn der Vereinbarung zwischen den beiden Regierungen gemäß seinen Beitrag zu
        den gemeinsamen Ausgaben (Quote) zunächst um 0,4 %, und wenn auch die Entmilitarisie¬
        rung des übrigen Teils der Militärgrenze geschehen ist und die verbürgerlichten Gebiete mit
        Kroatien vereinigt sind, um weitere 2 % verringern muß. Siehe weiters au. Vortrag des
        Reichskriegsministers betreffend diefinanziellen Verhältnisse in der Militärgrenze v. 18. 3.
        1871. KA. MKSM. 51-1/3/1871. RGBl Nr. 49 v. 8. 6. 1871 wodurch das Ministerium der im
        Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder zum Abschlüsse eines Übereinkommens mit
        dem ungarischen Ministerium betreffend die Beitragsleistung zu den gemeinsamen Angele¬
        genheiten in Folge des Überganges eines Theiles der Militärgrenze aus der Militär- in Civil-
        verwaltung, ermächtigt wird. GA. 1872: IV. v. 2. 2. 1872: Über den nach der Militärgrenze zu
        übernehmenden Beitragsanteil zu den gemeinsamen Kosten. Siehe weiters MOL. Sektion
        K-26. 1772/1871. Kolmer, Parlament und Verfassung in Österreich Bd. 2 101-102.
        Dr. Brestei, siehe GMR. v. 15. 1. 1871, RMRZ. 99. Anm. 3.
6 Hopfen, siehe GMR. v. 14. 11. 1870, RMRZ. 91. Anm. 5.
<pb/>Nr. 40 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 14. 3. 1871  275

   Seine Majestät der Kaiser geruhte noch, ferner den Entwurf
für das Pferdekonskriptionsgesetz zu erwähnen,7 dessen Durchbringung in der
diesseitigen Reichshälfte dadurch erleichtert werde, daß der Antrag auf Einbrin¬
gung eines solchen Gesetzes gerade von der Reichsratsdelegation ausgegangen

sei.
   Ministerpräsident Graf Andrässy erklärte, den Entwurf des

ungarischen Ministeriums zur Mitteilung an den diesseitigen Landesverteidi¬
gungsminister bereit zu haben. Vortragender besprach sodann einige Bestimmun¬
gen dieses Gesetzes, stellte als Hauptschwierigkeit die Konskribierung und
Schätzung der Pferde, dann die Art und Weise und die Qualifikationsstufenleiter
für die Aufbringung des Bedarfes hin und hielt es schließlich für fraglich, ob die
praktischen Resultate der Kraftanstrengung zur Durchbringung des Gesetzes in
den Legislativen entsprechen werde.

   Seine Majestät der Kaiser geruhte einzuschalten, daß die Auf¬
bringung des Bedarfes gegebenenfalles nach den mit Rücksicht auf die Konskrip¬
tionsergebnisse zu machenden distriktsweisen Repartitionen werde erfolgen
müssen und daß bei der Konskription und Schätzung die Offiziere der Hengstde¬
pots mit Erfolg verwendet werden könnten.

   Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn erblickte eine
weitere Schwierigkeit in der oft unzuverläßlichen Ziviladministration, deren stram¬
me Disziplinhaltung in Preußen die Handhabung des Gesetzes so sehr erleichtere.

   L an d e s v e r t e i d i g u n g s m i n i s t e r Freiherr v. Scholl
knüpfte an den diesseitigen Entwurf, den er bis jetzt allein zu prüfen in der Lage
war, einige Bemerkungen. Er vermisse darin vor allem eine Norm über die Evi¬
denzhaltung des Pferdestandes im Frieden, ohne welche das Gesetz illusorisch
und eine Pferderepartition auf die Distrikte unmöglich sei. - So lange Intervalle,
wie sie zwischen den einzelnen Volkszählungen bestehen, dürften zwischen den
Konskriptionen der Pferde nicht Platz greifen, sondern es sei eine fortlaufende
Kenntnis über die Bewegung im Pferdestande nötig. In diesem Anbetrachte sei er
eben jetzt mit Studien darüber beschäftigt, wie die Evidenzhaltung im Frieden
ohne große Kosten eingeleitet werden könne.

    Auf die Bemerkung des Ministerpräsidenten Grafen And¬
rässy, daß im ungarischen Entwurf hierauf Rücksicht genommen wurde, ge-

Über das Pferdekonskriptionsgesetz siehe GMR. v. 5. 11. 1870, RMRZ. 89. Gegenstand: II.
Der ungarische Ministerrat behandelt am 10. 3. 1871 die Angelegenheit des Gesetzesvor¬
schlages über die Deckung des Pferdebedarfs. MOL. Sektion K-27, 6/1871. Daraus geht
hervor, daß der Entwurfdes Gesetzesvorschlages aufgrund der Beratungen mit dem Kriegs¬
ministerium und den Vertretern des k. k. Landesverteidigungsministeriums ausgearbeitet
wurde, aber erst dann mit Billigung Sr. Majestät vor den Reichstag gebracht werde, wenn
hinsichtlich der Prinzipien eine endgültige Vereinbarung mit den besagten Ministerien zu¬
stande gekommen ist. Im Ministerrat vertraten aber mehrere den Standpunkt, in Ungarn sei
der Pferdebestand so beträchtlich, daß im Falle einer Mobilisierung der Pferdebedarfauch
ohne vorherige Konskription bzw. Enteignung gedeckt werden könne.
<pb/>276 Nr. 40 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 14. 3. 1871

ruhte Seine Majestät der Kaiser die Zugrundelegung dieses Ent¬
wurfes auch bei den hiesigen Beratungen, für welche Graf Andrässy überhaupt
das kollegiale Zusammenwirken von beiderseitigen Ministerialdelegierten anreg¬
te, anzubefehlen und fortfahrend auch die Zustandebringung des Unteroffiziers¬
versorgungsgesetzes8 sowie des Gesetzes über die Bestrafung der Nichtbefolgung
eines Einberufungsbefehles zu urgieren. ln letzterer Beziehung habe man bei den
jüngsten Einberufungen wenig tröstliche Erfahrungen gemacht. Bezüglich des
Unteroffiziersversorgungsgesetzes bemerkte Landesverteidigungs¬
minister Freiherr v. Scholl, daß die Sache im bezüglichen Aus¬
schüsse des Abgeordnetenhauses erliege und er von dieser Seite demnächst eine
Sitzungseinladung erwarte, während Ministerpräsident Graf An¬
drässy die Auskunft gab, daß der Gegenstand in den Sektionen des ungari¬
schen Reichstages schon durchpassiert, aber im Zentralausschusse wegen der den
Privatgesellschaften und nicht subventionierten Bahnen zugedachten Verpflich¬
tung zur Unteroffiziersanstellung auf Schwierigkeiten gestoßen sei.

    Bei der kurzen Diskussion, die sich hieraufüber die Nichtbefolgung eines Ein¬
berufungsbefehles (worüber das Strafgesetz in Ungarn noch nicht fertig, dagegen
hier vom Justizministerium bereits ausgearbeitet sei) entspann, wurde von unga¬
rischer Seite darauf hingewiesen, daß die Strafe nicht nur die der Einberufung
nicht Folgeleistenden und die sie dazu Verleitenden, sondern auch - was nament¬
lich in Ungarn unerläßlich erscheine - die saumseligen Beamten und Gemeinde¬
vorsteher zu treffen habe.

    Nachdem Seine Majestät der Kaiser diese Diskussion mit
dem Befehle, daß der im k. k. Justizministerium ausgearbeitete Entwurf nach
Beratung und Feststellung im diesseitigen Ministerrate auch dem ungarischen
Ministerium mitzuteilen sei, beendigt hatte,- geruhte Allerhöchstderselbe die Fra-

         Über die Versorgung der ausgedienten Unteroffiziere siehe GMR. v. 6. 9. 1870, RMRZ. 82.
         Gegenstand: III. Siehe weiter Protokoll über die am 26. April 1871, mehrere Gesetzesvorla¬
         gen betreffend, unter Ah. Vorsitze abgehaltene Konferenz. KA. MKSM. 65-2/2/1871. Au.
         Vortrag des Reichskriegsministers v. 15. 5. 1871. KA. MKSM. 74-3/2/1871. Siehe weiter die
         Beratungen des ungarischen Ministerrates: Ung. MR. v. 27. 1. 1872, Gegenstand: 7 Geset¬
         zesvorschlag über die Zivilbeschäftigung ausgedienter Unteroffiziere; v. 6. 2. 1872, Gegen¬
         stand: 14 Gesetzesvorschlag über die Beschäftigung ausgedienter Unteroffiziere im öffentli¬
         chen Dienst; v. 29. 3. 1872, Gegenstand: 3 Gesetzentwurf bezüglich der Versorgung der
         ausgedienten Unteroffiziere; v. 5. 4. 1872, Gegenstand: 1 Die Arbeitnehmerrechte der im
         Heer ausgedienten Unteroffiziere im bürgerlichen Leben. MOL. Sektion K-27.
         Siehe GMR. v. 15.1. 1871, RMRZ. 99. Anm. 6. Vgl. weiter Se. Majestät der Kaiser an Reichs¬
         kriegsminister v. 24. 3. 1871. KA. KM. Präs. 28-7/3/1871. Reichskriegsminister an k. k. und
         an kgl. ung. Minister für Landesverteidigung v. 30. 3. 1871. KA. KM. Präs. 26-8/2/1871:
         Instruktion über das militärische Dienstverhältniß der im Linie- und Reservestande befindli¬
         chen Personen des k. k. Heeres und der Kriegsmarine außer der Zeit der aktiven Dienstlei¬
         stung, die Evidenzhaltung derselben und über periodische Waffenübungen. Hier taucht das
         Problem auf, daß dem ungarischen Honvedminister gemäß die ungarischen Reservisten und
         Urlauber deshalb nichtpünktlich einrücken, weil die Militärbehörden die ungarischen Orts-
<pb/>Nr. 41 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 31. 3. 1871  277

ge wegen Aufhebung des noch bestehenden Waffenausfuhrverbotes10 anzuregen
und auf die Bemerkung des Grafen Andrässy, daß von seiner Seite kein Einwand
bestehe und er eine diesbezügliche Note des Grafen Hohenwart soeben zustim¬
mend beantwortet habe, die Sitzung aufzuheben.

                                                                                                  Beust
Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen.
Wien, 28. März 1871. Franz Joseph.

         Nr. 41 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 31. März 1871

    RS. (und RK.)
    Gegenwärtige: der k. k. Ministerpräsident Graf Hohenwart (o. D.), der Reichskriegsminister
Freiherr v. Kuhn (o. D.), der Reichsfinanzminister v. Lönyay (15. 4.).1
    Protokollführer: Sektionsrat Freiherr v. Konradsheim.
    Gegenstand: I. Zusammentritt der Delegationen. II. Rumänische Angelegenheiten.

und Personennamen falsch schreiben und der Einberufungsbefehl deshalb die Betreffenden
nicht erreicht. Siehe weiter Protokoll über die am 26. April 1871, mehrere Gesetzvorlagen
betreffend, unter Ah. Vorsitze abgehaltene Konferenz. KA. MKSM. 65-2/2/1871.
Weiter: Ung. MR. v. 27. 11. 1871. Gegenstand: 4, 5: Honvedgesetzvorschläge, Gesetzvor¬
schläge bezüglich der Mißbräuche im Zusammenhang mit der Rekrutenstellung; Ung. MR.
26. 12. 1871. Gegenstand: 17, 18: Feststellung der Dienstzeit der Reservisten, Gesetzvor¬
schläge bezüglich der Mißbräuche im Zusammenhang mit der Rekrutenstellung; MOL. Sek¬
tion K-27.
Über ein Ausfuhr- und Durchfuhrverbot von Waffen siehe GMR. v. 18. 7. 1870, RMRZ. 67.
Anm. 12, 13. Erlaß des k. k. Finanzministeriums vom 15. März 1871, betreffend die Aufhe¬
bung des Verbotes der Aus- und Durchfuhr von Waffen, Waffenbestandteilen, Munition und
Munitionsgegenständen aller Art. RGBl. 19/1871.

Beachtenswert ist, daß außer den gemeinsamen Ministern nur der k. k. Ministerpräsident an
der Beratung teilnimmt und Lönyay später davon spricht, das Budget müsse dann zuerst im
gemeinsamen Ministerrat behandelt und danach der ungarische Ministerpräsident eingela¬
denwerden. Diese Formulierung läßt die Vermutung zu, daß der k. k. Ministerpräsident Flo-
henwart auch im eigentlichen, dem engeren gemeinsamen Ministerrat anwesend sein wird,
wie auch schon an dieser Beratung am 31. März. Natürlich war es wichtig, Hohenwart zur
gemeinsamen Konferenz einzuladen, weil seine Stellung in seinem eigenen Abgeordnetengre¬
mium außerordentlich unsicher war, es war nicht gewiß, daß er erreichen könne, daß der
Reichsrat Delegationsmitglieder wählen würde. Möglich ist aber auch, daß es sich um einen
bloßen Zufall handelt, Andrässy eventuell keine Zeit hatte, nach Wien zu reisen und nur sein
Geist anwesend war, wie die Diskussion über den II. Gegenstand zeigt.
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