Gemeinsamer Ministerrat, 10. 12. 1870
I. Exposé des Reichsfinanzministers in betreff seines Standpunktes in der Frage der Achtzigmillionen-Schuld des Staates an die Nationalbank
Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_I2/pdf/oe_hu_mrp_I2_z28.pdf.
II. Interpellation wegen einer in den Ferien der Delegationen vorzunehmenden Inspektion der Heeresvorräte
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Nr. 28 Gemeinsamer Ministerrat, Ofen, 10. 12. 1870 191 Nr. 28 Gemeinsamer Ministerrat, Ofen, 10. Dezember 1870 RS. (und RK.) Gegenwärtige: der Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn (14. 12.), der Reichsfinanzminister v. Lönyay (15. 12.), Oberfinanzrat Holzer. Protokollführer: Sektionsrat v. Teschenberg. Gegenstand: I. Expose des Reichsfinanzministers in betreff seines Standpunktes in der Frage der Achtzigmillionen-Schuld des Staates an die Nationalbank. II. Interpellation wegen einer in den Ferien der Delegationen vorzunehmenden Inspektion der Heeresvorräte. KZ. 4713-RMRZ. 94 Protokoll des zu Ofen am 10. Dezember 1870 abgehaltenen Ministerrates für gemeinsame Angelegenheiten unter dem Vorsitze Sr. Exzellenz des Reichskanz¬ lers Grafen Beust. I. Nachdem der Reichskanzler Graf Beust die Sitzung eröff- nete, resümieren der Reichsfinanzminister v. Lönyay und der Fachreferent Ministerialrat Holzer den Stand der Frage der Achtzigmillionen-Schuld des Staates an die Nationalbank wie folgt: Die Entste¬ hung der Schuld sei auf ein Gesetz vom Jahre 1863 zurückzuführen, durch wel¬ ches der Reichsrat das Privilegium der Nationalbank verlängerte.1 Damals habe die Nationalbank in die Zahlung einer unverzinslichen Summe von 80 Millionen an den Staat für die Dauer des Bankprivilegiums gewilligt. Würde das Privilegi¬ um nach Ablauf derselben nicht weiter verlängert, so entwachse für den Staat die Verpflichtung zur Rückzahlung dieser Schuld. In den Verhandlungen über den Ausgleich mit Ungarn sei die Frage der allgemeinen Staatsschuld zunächst als eine offene, durch späteres Übereinkommen zu regelnde betrachtet worden. Der erste Versuch eines derartigen Übereinkommens vom 12. September 1867 enthal¬ te allerdings im Punkt 10 auch eine Bestimmung bezüglich des künftigen Verhält¬ nisses zur Nationalbank;2 allein dieses Übereinkommen habe die Zustimmung der ungarischen Deputation nicht gefunden, und es sei, wie insbesondere der Reichsfinanzminister v. Lönyay hervorhebt, der Ton darauf zu legen, daß Folgerungen selbst aus der Annahme dieses Übereinkommens nicht gezogen werden könnten, da die Bankjedenfalls den dort formulierten Bedingun¬ gen nicht nachgekommen wäre. Bindend sei das Übereinkommen vom 25. Sep- Gesetz v. 27. 12. 1862, RGBl. Nr. 2 für 1863 in Betreff der Abschließung eines Übereinkom¬ mens mit der österreichischen [sic!] Nationalbank. Das Übereinkommen vom 12. September: Die Vöslauer Vereinbarung zwischen den beiden Finanzministern FA. RFM., Pr./1869 (Fase. 7.1/1) Nr. 4145. Nachträglich Unterzeichneten die Vereinbarung auch der ungarische und der cisleithanische Ministerpräsident, Andrässy und Beust. Über die wirtschaftlichen Ausgleichsverhandlungen siehe Somogyi, Einleitung. In: Dm Protokolle des gemeinsamen Ministerrates der österreichisch-ungarischen Mon¬ archie El L-LVIII. <pb/>192 Nr. 28 Gemeinsamer Ministerrat, Ofen, 10. 12. 1870 tember, in diesem sei aber dieser Schuld nicht speziell Erwähnung getan.3 Da indessen in dem damals aufgestellten und von cis- und transleithanischer Seite agnoszierten Verzeichnisse der hiezu entsendeten Inventurskommission über den Stand der allgemeinen Staatsschuld die Achtzigmillionen-Schuld an die Natio¬ nalbank einfach aufgenommen wurde, so walte ungarischerseits die Auffassung vor, der sich subjektiv auch Reichsfinanzminister v. Lönyay anschließe, daß die Summe in jene mit einzubeziehen sei, bezüglich welcher Ungarn sich seiner Ver¬ pflichtung durch die Zahlung einer fixen und unveränderlichen Jahresrate aunda von 1 150 000 fl. bals zur Amortisierung bestimmter Beitrag15 erledigt habe und daß aus Rechtsgründen daher ein weiterer Anspruch an Ungarn nicht abgeleitet werden könne. Von cisleithanischer Seite würde dagegen auf den unverzinslichen Charakter der Schuld hingewiesen und behauptet, sie falle durch diese Unver¬ zinslichkeit in jene Kategorie, für welche gesetzlich ein weiteres Übereinkom¬ men Vorbehalten sei. Im Jahre 1869 sei an das Reichsfinanzministerium die Notwendigkeit herange¬ treten, eine Instruktion für seine Rechnungsdepartements zu schaffen und die Einrichtungen derselben im Sinne der Ausgleichsgesetze zu adaptieren.4 Es sei dabei unterschieden worden zwischen Agenden, welche unzweifelhaft gemeinsa¬ mer Natur seien, und diese eben als definitive und gemeinsame gruppiert worden, dann zwischen solchen, welche als lediglich provisorische zu behandeln wären. In letztere sei auch die Achtzigmillionen-Schuld einbezogen und als Teil der all¬ gemeinen Staatsschuld der Natur der Sache den Agenden des Kreditrechnungsde¬ partements zugewiesen worden. Gesetzlich sei der Standpunkt des Reichsfinanz- ministeriums sehr genau normiert. § 27 des Gesetzartikels XII von 1867 sage ausdrücklich: ,,das Ministerium darf neben den gemeinsamen Angelegenheiten die besonderen Regierungsgeschäfte weder des einen noch des anderen Teiles führen". Dem Reichsfinanzministerium fallen daher nur pragmatische Leistun¬ gen, dann aber die Verwaltung über die unleugbar gemeinsame schwebende Schuld (Staatsnoten und Hypothekarscheine) zu. Was die konsolidierte Schuld betrifft, so ist das Gesetz vom 13. April 1870 entscheidend. Dasselbe sage im Art. 3~a Einfügung Lönyays. b_b Einfügung Lönyays. 3 Vereinbarung bezüglich der Staatsschuld v. 23. September 1867 FA. RFM., 2545 Pr./1867 (Fase. 11/8) 4914; Vereinbarung v. 25. September 1867 ebd. 5083. Die Vereinbarung wurde publiziert in: Dm neue Gesetzgebung Österreichs 751-753. 4 Püregger, Fünfzig Jahre Staatsschuld 1862-1912 244 ff., 277 ff. Bei der Errichtung des ge¬ meinsamen Finanzministeriums waren zunächst nur vier Departements vorgesehen: für die Aufstellung des Reichsbudgets und den Rechnungsabschluss; für Reichskreditoperationen und die Staatsschuld; für diefinanziellen Angelegenheiten der gemeinsamen Ministerien des Äußern und des Krieges; schließlich noch eine besondere Abteilung zur Koordinierung der Beziehungen zum ungarischen Finanzministerium. Siehe Goldinger, Die Zentralverwaltung in Cisleithanien - Die zivile gemeinsame Zentralverwaltung 175. <pb/>Nr. 28 Gemeinsamer Ministerrat, Ofen, 10. 12. 1870 193 I ,,Die Gebarung und Verwaltung der konsolidierten Staatsschuld wird vom Fi¬ nanzminister der im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder übernom¬ men und geführt." Es möge zweifelhaft sein, ob die Achtzigmillionenschuld da¬ hin gehöre, wenigstens hielten es die cisleithanischen Minister trotz der Aufstellung des oben erwähnten Verzeichnisses über den Stand der Staatsschuld noch für zweifelhaft und hofften Verhandlungen darüber mit Ungarn einleiten zu können, aber nicht zweifelhaft sei, daß die Schuld noch nicht als gemeinsame anerkannt worden, und dieser Umstand verbiete dem Reichsfinanzminister, im Sinne des Gesetzes die Verwaltung desselben zu führen. Die Anfrage des Reichskanzlers Graf Beust, warum die be¬ treffende Entscheidung erst durch die Verfügung vom 9. Dezember 1869 herbei¬ geführt worden sei, wird von Seite des Reichsfinanzministers v. L önyay und des Ministerialrates Holzer dahin beantwortet, daß sich damals das Bedürfnis neuer Instruktionen für die Rechnungsdeparte¬ ments herausgestellt habe. Diese hätten nur im Sinne des Gesetzes entworfen werden können, es sei alles auszuscheiden gewesen, was nicht als streng gemein¬ sam erschienen wäre. Die weitere Anfrage des Reichskanzlers Graf Beust, warum sich das Reichsfinanzministerium nicht an das cisleithanische Ministerium gewendet, sondern einer ihm selbst untergeordneten Behörde die Evidenzhaltung aufgetragen habe, begegnet der Aufklärung, daß sonst eine der¬ artige Evidenzhaltung überhaupt nicht möglich gewesen wäre. Jede Staatsschuld müsse vorgeschrieben werden, weigere sich das cisleithanische Ministerium, die Evidenzhaltung in seine Bücher zu übertragen, so werde diese, da das Reichsfi- nanzministerium an derselben durch § 27 des XII. Artikel 1867 und das Gesetz vom 13. April 1870 gehindert sei, ganz entfallen, was natürlich an dem Meritum der Schuld nichts ändere. Reichsfinanzminister v. Lönyay verweist nochmals auf das Zwingende des Argumentes, das gerade in dem Vorgehen des cisleithanischen Ministeriums liege. Die Verhandlungen, welche es mit Ungarn führen wolle, be¬ weise doch auf das nachdrücklichste, daß die Gemeinsamkeit der Schuld nicht ins Klare gestellt, nicht anerkannt sei. Sei dies aber der Fall, dann sei es aber dem Reichsfinanzministerium schlechthin unmöglich, die ihm zugemutete Verwaltung zu führen. AufAntrag des Reichsfinanzministers v. Lönyay wird beschlossen, der Delegation ein Expose und die gesamte Korrespondenz über den Gegenstand zur Motivierung des Standpunktes des Reichsfinanzministers vorzulegen.5 Entsprechend einer Anregung der Staatsschulden-Kontrollkommission genehmigte die Dele¬ gation die Übertragung der 80 Millionenschuld an die Nationalbank aus der Verwaltung des gemeinsamen Finanzministers injene des österreichischen Finanzministers. Diese Schuld an die Bank war als ein Teil der nicht gemeinsamen Staatsschuld in Vorschreibung, sollte daher nicht mehr in den Büchern des Reichsfinanzministeriums erscheinen. Kolmer, Parlament und Verfassung in Österreich Bd. 2 109. Vgl. Reichsfinanzministerium (Weninger) an kgl. ung. Ministerpräsidenten: Am 30. April hört die bisherige provisorische Ingerenz des Reichsfi¬ nanzministeriums in Angelegenheiten der konsolidierten Staatsschuld auf. Alle die konsoli- <pb/>194 Nr. 28 Gemeinsamer Ministerrat, Ofen, 10. 12. 1870 II. Der zweite Gegenstand der Verhandlung betrifft die bevorstehende Interpel¬ lation bezüglich einer Inspektion der Heeresvorräte von Seite der Delegation während der bevorstehenden Weihnachtsferien.6 Reichsfinanzminister v. Lönyay bringt den Entwurf einer Interpellation zur Kenntnis, welche den Grafen Apponyi zum Verfasser hat und am Montag den 12. Dezember eingebracht werden würde.7 Er teilt mit, daß es in der Absicht der Delegation liege, drei Mitglieder zu der in Rede stehenden Kom¬ mission zu entsenden. Nach Verlesung der Interpellation, an welcher einige sachliche und stilistische Abänderungen vorgenommen werden, verweist Reichsfinanzminister v. Lönyay auf die politische Wichtigkeit des ersten Punktes, welcher vom Reichskriegsmi¬ nister Aufklärungen über die Schlagfertigkeit des Heeres verlangt. Es entstehe die Frage, ob es nach der politischen Lage statthaft sei, derartige Aufklärungen zu geben. Jedenfalls gebiete die Regierung zu ihrer Beantwortung in der verglei¬ chenden Darstellung des Reichskriegsministers über den Stand der Wehrkräfte der Monarchie im Jahre 1868 und 1870 über ein treffliches und den besten Ein¬ druck hervorrufendes Material. Man habe einen doppelten Weg. Entweder könne man sich in der Interpellati¬ onsbeantwortung in völliger Reserve halten, der Delegationskommission die be¬ treffenden Tabellen und Vorlagen des Reichskriegsministers zur Verfügung stel¬ len und von dieser eine Deklaration der Delegation gegenüber erwarten, welche ihrer Zustimmung zu den vom Reichskriegsminister erreichten Resultaten Aus¬ druck gibt, oder diese Resultate gleich in der Interpellationsbeantwortung einrei¬ hen. Reichskanzler Graf Beust und Reichskriegsmini¬ ster Freiherr v. Kuhn erklären sich jeder von seinem Standpunkte mit der letzterwähnten Modalität einverstanden. dierte Staatsschuld betreffenden Korrespondenzen, welche den von den Ländern der ungari¬ schenKronegesetzlich übernommenen, an dasgemeinsameFinanzministerium abzuführenden Beitrag zur konsolidierten Staatsschuld betreffen, werden an das k. k. Finanzministerium gerichtet. 3139/RFM. MOL. Sektion K-26, 760/1870. Über eine Inspektion der Heeresvorräte siehe GMR. v. 6. 12. 1870, RMRZ. 93. Apponyi György Graf (1808-1889), konservativer Politiker. Nahm am Reichstag der Jahre 1865-1868 und an der Vorbereitung des Ausgleichs teil, seit 1868 Mitglied der Magnatenta¬ fel. Seine Interpellation am 12. Dezember 1870 in der Delegation: A közös üoyek taroya- läsära a magyar orszäggyüles ältal kiküldött s Öfelsege ältal 1870. november 24-re Festen összehivott bizottsäg jegyzökönyve 13-14. Apponyi richtet seine Interpellation an den Kriegsminister: Wie sehr hat die schon bewilligte Kriegsausgabe die Kampffähigkeit der Armee erhöht und wie sehr wird die neuerlich beanspruchte Summe diese erhöhen. Der Kriegsminister möge die Möglichkeit gewähren, daß die Delegation die Menge und Qualität der Kriegsbestände selbst kontrollieren könne. <pb/>Nr. 29 Gemeinsamer Ministerrat, Ofen, 11. 12. 1870 195 Reichsfinanzminister v. Lönyay wird dementsprechend eingeladen, die Inter¬ pellationsbeantwortung, welche Dienstag erfolgen könnte, im Sinne der Ergebnis¬ se der Verhandlung zu entwerfen, worauf die Sitzung geschlossen wird.8 Beust Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Ofen, 16. Dezember 1870. Franz Joseph. Nr. 29 Gemeinsamer Ministerrat, Ofen, 11. Dezember 1870 RS. (und RK.) Gegenwärtige: der Reichskanzler Graf Beust (o. D.), der kgl. ung. Ministerpräsident Graf Andrässy (o. D.), der Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn, der Reichsfinanzminister v. Lönyay (9. 1. 1871). Protokollführer: Sektionsrat v. Teschenberg. Gegenstand: I. Antrag der deutschen Delegation über Zusammenstellung einer Enquetekommis¬ sion zur Feststellung eines Normalfriedensbudgets. II. Antrag des Reichsfinanzministers v. Lönyay bezüglich einer Regierungsvorlage betreffend die Deckung des Bedarfs für zwei Monate bis zur Votierung des Budgets. KZ. 4714-RMRZ. 95 Protokoll des zu Ofen am 11. Dezember 1870 abgehaltenen Ministerrates für gemeinsame Angelegenheiten unter dem Ah. Vorsitze Sr. Majestät des Kaisers. [I.] Seine Majestät der Kaiser geruhte die Sitzung zu eröff¬ nen, indem Er dem Reichskriegsminister das Wort zur Verlesung des Antrages über Einberufung einer Enquetekommission zur Feststellung eines Normalfrie¬ densbudgets erteilte.1 Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn teilt nach Verle¬ sung des Antrages mit, er habe sich im Schoße der Kommission vorläufig dahin geäußert, daß die eigentliche Entscheidung offenbar bei Seiner Majestät als dem obersten Kriegsherrn stehe. Er habe aber sofort Verwahrung dagegen eingelegt. Aufdie Interpellation antwortet im Namen des gemeinsamen Kriegsministers FML. Alexan¬ der Benedek am 13. Dezember. Ebd. 16-19. Er verspricht, die Delegationskommission mit den entsprechenden Informationen zu versehen. Das stete Anwachsen des Kriegsbudgets veranlasste die österreichische Delegation, eine Resolution zu beschließen, in welcher über Vorschlag Giskras die Regierung am 14. 1. 1871 aufgefordert wurde, eine Kommission ausje sechs Mitgliedern beider Delegationen einzuset¬ zen, um mit derselben das Heeresbudget genau zu prüfen und endlich ein Normalbudgetfür die Landarmee aufzustellen. Kolmer, Parlament und Verfassung in Österreich Bd. 2 109. <pb/>