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Gemeinsamer Ministerrat, 30. 10. 1870

I. Exposé des Kriegsministeriums zur Begründung des Armeevoranschlagespro 1871

Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_I2/pdf/oe_hu_mrp_I2_z21.pdf.

Nr. 21 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 30. 10. 1870                   143

   Ministerpräsident Graf Potocki: Für ihn handle es sich zu¬
nächst um eine Frage der Manipulation. Wenn die Frage durch die Retorte der
Delegation gehe und die cisleithanische Delegation überstimmt werde, so sei die¬
ser Beschluß auch im Reichsrate für sie bindend, sie müsse also in diesem Sinne
stimmen, und die Regierung habe mit ihrer Anforderung jedenfalls einen leichte¬
ren Stand. Er lege also großen Wert darauf, daß das gemeinsame Ministerium
dem diesseitigen in dieser Beziehung hilfreiche Hand biete.

   Nach weiterer Diskussion einigte sich die Konferenz gegen den Grafen Feste¬
tics, welcher den Standpunkt der ungarischen Regierung wahren zu müssen er¬
klärte, dahin, daß man diese beiden Posten von in runder Summe zusammen
75 000 fl. in die Gesamtauslagen für Dalmatien wieder einbeziehen, die Rech¬
nung den Delegationen als ein Ganzes vorlegen und es ihnen überlassen solle, die
Auslagen nach dem Kriterium der Gemeinsamkeit zu votieren.7

   Womit die Sitzung geschlossen wurde.
                                                                                                  Beust

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen.
Wien, 7. November 1870. Franz Joseph.

        Nr. 21 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 30. Oktober 1870

    RS. (und RK.)
    Gegenwärtige: der Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn (3. 11.), der Reichsfinanzminister
v. Lonyay (4. 11.), Sektionschef v. Früh.
    Protokollführer: Sektionsrat Freiherr v. Konradsheim.
    Gegenstand: Expose des Kriegsministeriums zur Begründung des Armeevoranschlages pro
1871.

   KZ. 3811 -RMRZ. 87
   Protokoll des zu Wien am 30. Oktober 1870 abgehaltenen Ministerrates für
gemeinsame Angelegenheiten unter dem Vorsitze Sr. Exzellenz des Reichskanz¬
lers Grafen Beust.

   Reichsfinanzminister v. Lönyay nahm das Wort zu einigen
Bemerkungen, zu welchen ihm das im Bürstenabzug vorliegende Expose des ge¬
meinsamen Kriegsministeriums zur Begründung des 1871er Heereserfordemis-
ses Anlaß gebe. Er wünsche bei einigen Stellen eine Abänderung des Textes, weil
er glaube, daß die dermalige Fassung in den Delegationen auf Anstände stoßen
dürfte, was lieber vermieden werden möge.

7 Siehe Beust an Reichskriegsminister Kuhn v. 1. 11. 1870. Er möge entsprechend dem Mini¬
        sterratsbeschluß vom 29. 10. 1870 Vorgehen. HHSxA., PA. I, Karton 559. Nr. 819.
<pb/>144 Nr. 21 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 30. 10. 1870

   In dem Expose werde zuerst nachgewiesen, inwieweit den Beschlüssen und
Wünschen, welche die Delegationen bei der Behandlung des Heeresbudgets für
das Jahr 1870 der Regierung zu eröffnen sich veranlaßt fanden, entsprochen wur¬
de, und da finde sich im Expose auf Seite 4, Punkt 6 in bezug auf die von beiden
Delegationen verlangte Vorlage eines ,,Gesetzentwurfes&quot; an beide Legislativen,
wegen vollständiger Regelung des Militärversorgungswesens und der Pensions¬
bezüge, die Bemerkung, daß der Entwurf eines ,,Pensionsnormales&quot; sich in Bear¬
beitung befinde. Dies könne leicht so gedeutet werden, als ob man den Legislati¬
ven überhaupt nichts vorlegen wolle, daher er zur Vermeidung von Interpellationen
darüber noch den Zusatz beantrage, daß man das Pensionsnormale seinerzeit zur
verfassungsmäßigen Behandlung vorlegen wolle. Über die Frage, ob das Militär¬
pensionsnormale überhaupt der Ingerenz der Legislativen unterliege, entspann
sich nun eine kurze Diskussion.

   Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn stellte es als
eine noch nicht entschiedene Prinzipfrage hin, ob die Delegationen über das Aus¬
maß von Pensionen im einzelnen entscheiden, oder ob sie das unter diesem Titel
in Anspruch genommene Erfordernis nur im allgemeinen bewilligen oder ableh¬
nen können.3 Der Entwurf des Militärpensionsnormales sei zwar fertig, aber zur
Vorlage noch nicht bereit. Man habe eben auf die Vollendung des Zivilpensions¬
normales gewartet, um für ersteres eine Basis zu gewinnen.

   Reichsfinanzminister v. Lönyay erklärte, daß in dieser Prin-
zipienffage vor allem die Ah. Schlußfassung wünschenswert wäre. Er seinerseits
sei der Ansicht, daß das baldige Zustandekommen des Militärpensionsgesetzes
schon deshalb anzustreben wäre, weil die Delegationen, wenn das Gesetz einmal
besteht, die betreffenden Budgetposten bewilligen müssen und die Tendenz, bei
den Pensionen zu streichen, dann aufhöre.

   Auf die Bemerkung des Reichskanzlers Grafen Beust, es
komme auf eins heraus, ob die Delegationen auf die Einzel- oder auf die Sum-
marbewilligung Einfluß nehmen, die Hauptfrage sei die, ob die Norm den Vertre-
tungskörpem überhaupt vorgelegt werden solle oder nicht? Darüber könne aber
nur Seine Majestät der Kaiser entscheiden, beschloß die Konferenz, diese Frage
der Ah. Schlußfassung vorzubehalten und Seine Majestät durch den Reichskanz¬
ler um Anberaumung eines Ministerrates unter Ah. Vorsitze zu bitten.1

    Reichsfinanzminister v. Lönyay erörterte sofort die auf
Seite 6, Punkt 9 des Exposes erwähnte Resolution der Delegationen wegen Über¬
gabe der bisher vom Kriegsministerium administrierten Fonde nicht privater Na-

         Randbemerkung Kuhns Ich stellte es als eine Prinzipienfrage hin, ob das Pensionsnormale
         den Vertretungskörpem der beiden Reichshälften, nicht den Delegationen vorgelegt werden
         soll, den Delegationen steht meiner Ansicht kein Recht zu, über die Ausmaße der Pensionen
         im einzelnen zu entscheiden.

         Siehe GMR. v. 5. 11. 1870, RMRZ. 89. Gegenstand: VIII: Militärpensionsgesetz, Gegen¬
         stand: IX: Pensionsgesetzfiir die gemeinsamen Zivilbeamten.
<pb/>Nr. 21 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 30. 10. 1870  145

tur in die Verwaltung des gemeinsamen Finanzministeriums, im Zusammenhang
mit der im Expose niedergelegten Bemerkung, daß die Notwendigkeit dieser
Übertragung nicht bestehe. Er für seine Person sei aus sachlichen Gründen voll¬
kommen für die Belassung dieser Fonde in der Verwaltung des Kriegsministers,
und es fehle nicht an Motiven, um zumal bei der den Delegationen freistehenden
Kontrolle die größere Zweckmäßigkeit der Belassung der Fondsverwaltung im
Status quo auch den Delegationen nahezulegen, aber die Delegationen werden
wissen wollen, wie ihre Beschlüsse und ihre ausgesprochenen Wünsche erfüllt
wurden, und in dieser Angelegenheit werden sie nach den Gründen des Nicht¬
vollzugs fragen. Lasse sich derselbe nun auch für das laufende Jahr mit der Um¬
ständlichkeit der Ausscheidungsmanipulation rechtfertigen, so genüge für die
Folge doch nicht die einfache Hinweisung auf die Untunlichkeit, vielmehr wäre
unter Darlegung der dafür sprechenden Gründe bei den Delegationen die Zurück¬
nahme des Beschlusses zu erwirken. Die Konferenz erklärte sich hiemit einver¬
standen.

   Sofort brachte Reichsfinanzminister v. Lönyay auch die
Frage des Ludovicealfondes zur Sprache, worüber das Expose die Bemerkung
enthält, daß derselbe entsprechend den Wünschen der ungarischen Delegation im
Voranschlag für das Jahr 1871 unter die gemeinsamen Fonde nicht mehr aufge¬
nommen wurde.2 Vortragender wies daraufhin, daß die Frage des Ludovicealfon¬
des ausschließlich von der ungarischen Delegation angeregt wurde, daher der
bezügliche Passus jedenfalls an einer andern als der gegenwärtigen Stelle des
Exposes, wo die übereinstimmenden Wünsche beider Delegationen verhandelt
werden, aufzunehmen wäre. Den Wünschen des Grafen Andrässy würde es übri¬
gens, wie Vortragender unterrichtet sei, entsprechen, wenn die Frage des Ludovi¬
cealfondes in den Delegationen diesmal ganz unberührt bleibe, somit auch durch
das Expose kein Anlaß zur Diskussion darüber gegeben werde.

   In diesem Anbetrachte empfehle es sich, den Gegenstand im Expose ganz zu
übergehen. Dies wurde jedoch vom Sektionschef v. Früh mit Hin¬
deutung auf die gebotene Evidenzführung über die Einnahme des Ludovicealfon¬
des als untunlich bezeichnet, und so beschloß die Konferenz, die erwähnte Be¬
merkung an geeigneter Stelle mit dem Zusatze aufzunehmen, daß die Verhandlung
über die Modalität der Übergabe des Ludovicealfondes mit der ungarischen Re¬
gierung im Zuge sei.

   Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn erwähnte hiebei
seiner einschlägigen Verhandlung mit dem Grafen Andrässy und erklärte seine
Geneigtheit im Sinne der Fondsstiftung für die Armee und den Landsturm, an
welch letzteren Stelle nunmehr die Landwehr getreten sei, dazu die Hand zu bie-

2 Die Frage des Ludovicealfonds siehe GMR. v. 29. 8. 1870, RMRZ. 80. Hier sagte Kuhn: ,,Er
        habe einen Antrag über die Rückstellung des Ludoviceums mit Rücksicht auf die gebotene
        Wahrung der Einheit der Armee erstattet und sei bereit, auf dieser Grundlage mit dem unga¬
        rischen Ministerium in Unterhandlung zu treten.&quot; Siehe Anm. 3 zum Protokoll.
<pb/>146 Nr. 21 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 30. 10. 1870

ten, daß das Ludovicealgebäude samt Garten zu einer Militärbildungsanstalt her¬
gerichtet werde. Seine bisherigen Einwendungen hätten nur dann in dem Verlan¬
gen nach Übernahme des Ludovicealfondes sich manifestierenden Streben nach
Zweiteilung der Armee gegolten.

   Reichsfinanzminister v. Lönyay bemerkte hierauf fortfah¬
rend zu Seite 13, Punkt 10, in betreff der Resolution der Delegationen bezüglich
der Beschaffung von Montursrüstungs- und sonstigen Armeematerialerfordemis-
sen, daß die Delegationen jedenfalls über den Skeneschen Vertrag Auskunft ver¬
langen würden, und regte die Frage an, ob es nicht einen guten Eindruck machen
werde, wenn der Vertrag als Beilage zum Expose diesen Vertretungskörpem a
priori vorgelegt werde.3

   Reichskanzler Graf Beust und Freiherr v. Kuhn
hielten dies jedoch für zu weitgehend, letzterer mit dem Beifügen, daß man kon¬
sequent die Vorlage jedes Vertrages verlangen könne. Es genüge, wenn man in
den Delegationen verbreite, daß der Vertrag in mehreren Exemplaren zur Einsicht
bereitliege.

   Reichsfinanzminister v. Lönyay bemerktefemer: Auf Seite
20, Art. 114, werde auf die von Seite der ungarischen Delegation ergangene Auf¬
forderung an den Kriegsminister über protestantische Bewerber um Militärseel¬
sorgerstellen, stets die betreffenden Superintendenten einzuvemehmen, ferner
den als Militärseelsorger angestellten protestantischen Geistlichen Superinten¬
denten oder andere kirchliche Titel nicht zu verleihen und die bisher verliehenen
derlei Titel rückgängig zu machen, erwidert: der erste Wunsch unterliege keinem
Anstand, dagegen sei der weitere Wunsch nach Redressierung der erfolgten Ver¬
leihung der erwähnten Titel in einem speziellen Falle unzulässig, da die Verlei¬
hung des Superintendententitels an den betreffenden, als Beirat des Kriegsmini¬
sters bemfenen Militärprediger an der seelsorglichen Stellung desselben nicht
das Mindeste geändert habe und als Ausfluß der Ah. Gnade nicht mehr zurückge¬
nommen werden könne.

   Diese Auffassung sei auch nach Ansicht des Vortragenden vollkommen rich¬
tig, aber man solle es vermeiden, den über ihre kirchlichen Institutionen und
Presbyterialverfassung eifersüchtig wachenden Protestanten Nordungams, wel¬
che in der ungarischen Delegation wohl auch vertreten sein würden, Anlaß zu
weitläufigen Expektorationen zu geben. Er proponiere daher folgende Fassung:
Der gemeinsame Kriegsminister erkläre in künftigen Fällen, wenn für Militär¬
seelsorgerstellen protestantische Geistliche einschreiten sollten, die betreffenden
Superintendenten einzuvemehmen und, wenn in Zukunft die Ernennung eines
Beirates des Kriegsministers nötig wäre, für ihn zivil bei Seiner Majestät in Vor¬
schlag zu bringen. Die Konferenz erklärte sich hiemit diesem Amendement ein¬
verstanden.

3 Über den Lieferungsvertrag mit Skene siehe GMR. v. 30. 7. 1870, RMRZ. 71. Anm. 4.
<pb/>Nr. 21 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 30. 10. 1870                   147

   Was dagegen den weiteren Antrag des Reichsfinanzministers betrifft, es möge
auf Seite 139, Punkt c über die Einnahmen der Militärgrenze beigefugt werden,
daß der heurige Ausfall in den Einnahmen in dem mindern Erträgnisse der Holz¬
nutzung seinen Grund habe, aber im nächsten Jahre durch die Steigerung des
Erträgnisses infolge des Verkaufes heuer liegengebliebener Holzquantitäten ein¬
gebracht werde, so machte der Reichskriegsminister den beantragten Zusatz von
der Rücksprache mit Oberst König abhängig.4

   Sektionschef v. Früh brachte noch vor, es sei an einige böhmische
Gemeinden unter dem Titel von Kriegsschadenvergütungen aus dem Jahre 1866
noch eine Zahlung von einigen Tausend Gulden (beiläufig 4000 Gulden) zu lei¬
sten, für welche, da die gemeinsamen Aktiven, aus welchen diese Kriegsschaden¬
vergütungen bisher entnommen wurden, nunmehr anderweitig belastet werden,
keine Bedeckung vorhanden sei, und welche daher in das Kriegsbudget des näch¬
sten Jahres einzustellen wären.

   Reichsfinanzminister v. Lönyay bestätigte, daß die Rech¬
nungen der letzten Jahre über die gemeinsamen Aktiven in der Tat Verausgabun¬
gen in der bezeichneten Art nachweisen, und sprach sich ebenfalls für die Einstel¬
lung des obigen Vergütungsrestes in das gemeinsame Budget aus, umsomehr, als
die Votierung dieses Betrages durch die Delegationen sodann zugleich eine prin¬
zipielle Entscheidung der Frage über die Tragung der Kriegsschadenvergütungen
aus dem Jahre 1866 involvieren werde.

   Nachdem hierauf der Reichsfinanzminister neben der Frage wegen Vorlage
des Militärpensionsgesetzes auch noch das Mehrerfordemis von vier bis fünf
Millionen für Monturen im Extraordinarium pro 1870 und die Genehmigung der
Pensionsgesetzvorlage für die gemeinsamen Zivilbeamten als Gegenstände be¬
zeichnet hatte, welche unter Ah. Vorsitze zu besprechen wären,5 wurde die Sit¬
zung geschlossen.

                                                                                                  Beust

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen.
Wien, 5. November 1870. Franz Joseph.

4 Oberst Gustav Freiherr von König (1825-1909) wurde 1868 Vorstand der 10. Abteilung im
        Reichskriegsministerium.

5 Siehe GMR. v. 5. 11. 1870, RMRZ. 89.
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