Gemeinsamer Ministerrat, 11. 9. 1870
I. Gemeinsames Budget für das Jahr 1871
Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_I2/pdf/oe_hu_mrp_I2_z18.pdf.
II. Außergewöhnliches Extraordinarium des Kriegsministeriums für das Jahr 1870
Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_I2/pdf/oe_hu_mrp_I2_z18.pdf#page=3.
122 Nr. 18 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 11. 9. 1870 durch "würde die Papiergeldzirkulation nicht vermehrt, da für das Extraordinari- um auszugebende circa 55 Millionen Staatsnoten an die Stelle der Noten treten, die infolge der Emission von 22 Millionen Salinenscheinen und Einschränkung der Notenemission der Nationalbank mit 33 Millionen eingezogen würden. Die gegenwärtig zirkulierende Menge der Noten kann" aber der Verkehr vertrage nach den bisherigen Erfahrungen immerhin diese Vermehrung des Notenumlaufes, so daß ein bedeutendes Steigen des Silberagios nicht zu befürchten sei [sic!]. Finanzminister Freiherr v. Holzgethan: Das Silberagio werde sich allerdings nicht vermehren, aber der Vorschlag scheine ihm doch be¬ denklich. Bei dem gegenwärtigen hohen Zinsfüße würden die Salinenscheine keine Abnehmer finden, man müsse also, um das Publikum anzulocken, auch bei den Salinenscheinen den Zinsfuß wenigstens auf sieben % erhöhen, wodurch aber sich ein Plus an Zinsen von circa drei Millionen ergeben werde. Anderseits werde es auf das Eskompte- und Lombardgeschäft der Bank höchst nachteilig wirken, wenn ihr jene 33 Millionen schon jetzt wieder entzogen würden. Ihm scheine es in letzter Auflösung empfehlenswerter, den damaligen Notenumlauf, welcher an Bank und Staatsnoten zusammen 650 Millionen beträgt, durch die Emission von 50 Millionen an Staatsnoten zu vermehren. Womit die Sitzung geschlossen wurde. Beust Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Wien, 19. September 1870. Franz Joseph. Nr. 18 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 11. September 1870 RS. (und RK.) Gegenwärtige: der Reichskanzler Graf Beust (o. D.), der kgl. ung. Ministerpräsident Graf Andrässy (o. D.), der k. k. Ministerpräsident GrafPotocki (o. D.), der Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn (o. D.), der Reichsfinanzminister v. Lönyay (18. 9.), der k. k. Finanzminister Freiherr v. Holzgethan (18. 9.), Sektionschef v. Früh. Protokollführer: Sektionsrat Freiherr v. Konradsheim. Gegenstand: I. Gemeinsames Budget für das Jahr 1871. II. Außergewöhnliches Extraordinarium des Kriegsministeriums für das Jahr 1870. Korrektur Lönyays aus würden im ganzen 55 Millionen Staatsnoten mehr in Zirkulation kommen. <pb/>Nr. 18 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 11. 9. 1870 123 KZ. 3523-RMRZ. 84 Protokoll des zu Wien am 11. September 1870 abgehaltenen Ministerrates für gemeinsame Angelegenheiten unter dem Ah. Vorsitze Sr. Majestät des Kaisers.1 [I.] Reichsfinanzminister v. Lönyay erbat sich das Wort, um zum Zwecke der definitiven Feststellung und sofortigen Drucklegung des den Delegationen vorzulegenden Budgets für das Jahr 1871 Seiner Majestät das Er¬ gebnis der Vereinbarung zwischen dem gemeinsamen Ministerium und den bei¬ den Landesministerien über das nach den ersten Berechnungen auf 106 502 000 fl. bezifferte, im Verlauf der Beratungen aber, wie unten ersichtlich ist, herabge¬ minderte Erfordernis zur Ah. Genehmigung vorzutragen: A. Das Ordinarium des Ministeriums des Äußern mit 4 417 682 fl. und das Extraordinarium mit 58 245 fl. zusammen mit 4 475 927 fl. sei unverändert angenommen worden. B. Das Ordinarium des Kriegsministeriums, welches ursprüng¬ lich mit 79 085 000 fl. beantragt war, sei endgültig auf 78 520 15611. festgesetzt worden. An Extraordinarium seien zuerst 8 820 273 fl. präliminiert gewesen. Nachdem aber einige Titel desselben, nämlich die Auslagen für Remonten und Montursnach- schafflingen, welche im erhöhten Betrage unter die Kosten für die anläßlich der Kriegsgefahr Ah. angeordnete Armee¬ ausrüstung eingestellt worden sind, entfielen, so sei das Ex¬ traordinarium bloß mit 6 651 724 fl. angenommen worden. Jedoch habe nach der betreffenden Schlußberatung der Kriegsminister noch die Einstellung eines Betrages von 164 170 fl. als Zuschuß zu dem Militärstellvertreterfond, dessen Ein¬ künfte im nächsten Jahre zur Erfüllung der ihm obliegenden Verbindlichkeiten nicht ausreichen werden, in das Extraor¬ dinarium beantragt, und so belaufe sich das Gesamterfor- demis des Kriegsministers auf 85 336 050 fl. Die Erfordernisse für die Marine seien im Ordinarium mit 8 351 000 fl., im Extraordinarium mit 3 882 700 fl., zusammen mit 12 233 700 fl. präliminiert worden. C. Das Erfordernis für das gemeinsame Finanzministerium be¬ laufe sich im Ordinarium auf 1 782 760 fl. Siehe Diöszegi, Österreich-Ungarn und der französisch-preußische Krieg 1870-1871 152. Lönyays Rolle im gemeinsamen Ministerrat: Cieger, Lönyay Menyhert 1822-1884 269. <pb/>124 Nr. 18 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 11. 9. 1870 und im Extraordinarium auf 1 050 " zusammen auf 1 783 81011. und D. jenes des gemeinsamen Rechnungshofes im ganzen auf 104 095 fl. Die Gesamtsumme des gemeinsamen 103 933 582 fl. Erfordernisses betrage daher Würden hievon die eigenen Einnahmen der einzelnen Mini¬ 3 530 987 fl. sterien im angenommenen 100 402 595 fl. Betrage von in Abschlag gebracht, so verbleibe noch ein Erfordernis 12 199 700 fl. von und nach weiterem Abzug der auf 88 202 895 fl. veranschlagten Einnahmen aus den gemeinsamen Zöllen 61 742 000 fl. ein unbedeckter 26 460 000 fl. Bedarf von wovon, nach dem pragmatischen Quotenverhältnisse ver¬ 91 459 695 fl. teilt, auf die diesseitige Reichshälfte 70 % mit 8 942 000 fl., und auf die Länder der ungarischen Krone 30 % mit in runder Summe entfallen. Im Vergleich zu der diesjährigen Bewilligung, welche nach Abschlag der eigenen Einnahmen nur betrug, zeige sich im Jahre 1871 ein Mehrbedarf von welcher zumeist darin seinen Grund habe, daß der Kriegsminister an seinen vor¬ jährigen auf die Anbahnung eines Normalbudgets mit Zugrundelegung einer be¬ stimmten Armeeorganisation gerichteten Erfordemisansätzen ungeachtet der von den Delegationen damals vorgenommenen Abstriche auch heuer festhalten zu müssen glaube. Es werde nun von den Delegationen abhängen, ob sie gegen den Kriegsmini- ster nicht auch ihrerseits an den Bewilligungsansätzen des Vorjahres, welche sie als Normalbudget anerkannt wissen wollten, festhalten werden, was Vortragen¬ der für wahrscheinlich und bei einigen Posten, wie z. B. der Gagenerhöhung für die Obriste und Oberstlieutenants, sogar für gewiß halte. Seine Majestät der Kaiser geruhten zu konstatieren, daß auch bei den Kommanden und Stäben und bei der Verwaltung mehr eingestellt wurde als im Vöijahre, was Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn mit der Reorganisation des Generalstabes und mit der Vermehrung des Geniestandes erklärte. Schon im Vorjahre habe er einen Vergleich zwischen den Stäben unserer imd jenen der fremden Armeen zusammenstellen lassen, und dar¬ aus habe sich ergeben, daß jede andere Armee einen höheren Stand an Stäben aufweise. Gleichwohl habe man ihm in den Delegationen an dieser Post einen Pauschalabstrich von 100 000 fl. aufgedrungen, den er durch nicht ranggemäße <pb/>Nr. 18 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 11. 9. 1870 125 Ernennung von Brigade- und Divisionskommandanten einzubringen genötigt war. Dies sei aber eigentlich eine organisationswidrige Besetzung, die im Frieden vielleicht hingehen könne, obschon sie auch da unzukömmlich und für die Be¬ treffenden unbillig sei, die aber im Falle einer Aufstellung geradezu schädlich zu werden drohe, infolge des dann gebotenen Wechsels in den Kommanden. Stabi¬ lität sei gerade auch in der Armee nötig, und sobald eine Organisation bestehe, müsse sie im Budget zum Ausdruck gebracht werden. Nicht das sei das charakte¬ ristische am Normalbudget, daß es alljährlich dieselbe Totalsumme aufweise, sondern daß die Basis der Berechnung dieselbe bleibe. Die Totalsumme hänge dann von verschiedenen Faktoren, namentlich von den Preisverhältnissen ab. Nach diesen Zwischenbemerkungen geruhte Seine Majestät die obigen Ziflferan- sätze genehmigend zur Kenntnis zu nehmen, worauf [II.] Reichsfinanzminister v. Lönyay abermals das Wort nahm, umjene Beschlüsse der Ministerkonferenzen vom 6. und 10.1. M. zu reka¬ pitulieren, welche sich auf das außerordentliche Erfordernis für das Jahr 1870 beziehen.2 Infolge der durch die Ereignisse gebotenen Wehrvorberei¬ tungen ergebe sich zunächst ein Erfordernis von welches sich auf nachstehende Titel verteilt: 48 300 524 fl. I. Kurrentes Erfordernis infolge der Ah. angeordneten Standeserhöhungen an Mann und Pfer¬ den von August bis Ende Dezember 1870, dann Transportsaus¬ lagen und Verlagsquantum mit 5 036 000 fl. II. Außerordentliches Erfordernis auf Pferdeankauf und für besondere Anschaffungen mit 42 000 000 fl. III. Erfordernis für den Mehraufwand während der diesjährigen Rekrutenausbildung vom Oktober angefangen auf acht Wochen mit 1 264 524 fl. Zu der obigen Summe von 48 300 524 fl. komme noch IV. für Erbauung von Etablissements und zur Bestreitung der Transportkosten, um die Armeedi¬ visionen schon im Frieden für die beschleunigte Mobilisierung einzurichten, ein Erfordernis von 10 000 000 fl. V. Endlich komme noch zu bedecken: a) das Defizit aus dem Jahre 1868 mit 2 700 000 fl. b) das Defizit pro 1869 mit 2 710 500 fl. und c) ein erst heute zur Sprache gebrachtes Defizit von 935 917 fl. 2 GMR. v. 6. 9. 1870, RMRZ. 82; GMR. v. 10. 9. 1870, RMRZ. 83. <pb/>126 Nr. 18 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 11. 9. 1870 welches sich im Jahre 1870 in der Militärgrenzverwaltung 6 346 417 fl. infolge des Ausfalles im Erträgnisse der Forste ergeben habe. Mit Einschluß dieser zusammen 64 646 941 fl., betragenden Defizite ergebe sich also ein Gesamtbedarf 3 947 370 fl. von 500 000 fl. welcher sich nach Hinzurechnung der dalmatinischen Aus¬ 4 447 370 fl., lagen, nämlich: 69 094 311 fl. der eigentlichen Expeditionskosten von und der letztlich beschlossenen Verproviantierung einiger fester Plätze im Betrage von zusammen von auf erhöhen werde. Sofort erbat sich Ministerpräsident Graf Potocki das Wort, um den Bedenken Ausdruck zu geben, welche im diesseitigen Ministerrate gegen die Höhe dieses Erfordernisses erhoben wurden.3 Er habe demselben hievon noch gestern Mitteilung gemacht, es sei aber die Meinung vorherrschend gewesen, daß man sich auch mit der Hälfte werde behelfen müssen; der Gedanke an eine wei¬ tere Notenemission, selbst auch in Verbindung mit der gestern vom Reichsfinanz¬ minister angedeuteten Kombination mit den Salinenscheinen, sei nicht nur auf entschiedenen Widerspruch im Ministerrate gestoßen, sondern habe auch in Fi¬ nanzkreisen unangenehm berührt, indem man ungeachtet des zu erwartenden Ex¬ portes eine weitere Entwertung der Valuta befurchte. Es bleibe also nur der Weg eines Anlehens übrig; dieses werde aber in dem Betrage von 69 Millionen nicht oder nur zu enormen Kosten aufzubringen sein, während man 35 Millionen mit einiger Anstrengung wohl beschaffen könne. Er müsse also dem ihm erteilten Mandate gemäß bitten, daß die Frage der Reduktion bis auf 35 Millionen ernst¬ lich in Erwägung gezogen werde. Reichsfinanzminister v. Lonyay: Die Reduktion sei schwer, weil sich in manchen Titeln, z. B. an den fünf Millionen für die Truppen, die be¬ reits einberufen wurden und transportiert werden müssen, dann an der Pferdever¬ pflegung und an den Rekrutenausbildungskosten überhaupt nichts ersparen lasse, und anderseits einige von den Anschaffungen bereits bestellt seien. Er halte den Moment, um gewisse bleibende Anschaffungen zu machen, für günstig. Übrigens werde eine punktweise Überprüfung des Erfordernisses am ehesten zeigen, ob und wo eine Herabminderung tunlich sei, und nach dieser Sichtung werde es sich dann nur noch um die Frage handeln, wie das benötigte Geld zu beschaffen wäre. Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn: Das Ganze sei eine Frage der Politik. Wenn man für das Frühjahr einen Krieg befürchte, so kön- 3 Cisleithanischer Ministerrat v. 10. 9. 1870. Nicht auffindbar. <pb/>Nr. 18 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 11. 9. 1870 127 ne er als Kriegsminister die Sistierung der eingeleiteten Vorbereitungsmaßregeln nicht verantworten. Ein Erfolg sei nur bei rechtzeitiger Rüstung möglich, im Mo¬ ment des Bedarfes könne man nicht alles beschaffen. Beim Bestände der Kriegs- befurchtung sei aber jede der präliminierten Anschaffungen absolut nötig und das Geld, welches man heute verwende, nicht hinausgeworfen. Vortragender verlas sofort einen ihm zugekommenen Bericht des k. u. k. Mililtärattache in Peters¬ burg, um zu beweisen, daß die Kriegsgefahr, die uns von dieser Seite drohe, noch nicht geschwunden sei.4 Ministerpräsident Graf Andrässy: Dieser Bericht ändere nichts an der Sachlage; Rußland könne wohl drohen, aber zum tatsächlichen An¬ griff sei es noch nicht in der Lage. Aber auch abgesehen davon müssen wir im¬ merhin armieren, sei es, um den Frieden zu erhalten oder um im Falle eines Krie¬ ges ein günstiges Resultat herbeizuführen. Vom ungarischen Standpunkt müsse er daher gegen den Abstrich stimmen. Die Regierung sei verpflichtet, den Dele¬ gationen diese Vorlage zu machen, und soweit es sich um die ungarische Delega¬ tion handle, mache er sich anheischig, die Vorlage zu vertreten. Soweit ihm die einzelnen Positionen erinnerlich seien, enthalte der Erfordemisausweis nichts, was nicht nötig wäre. Die Delegationen könnten also die Votierung höchstens aus Mangel an Vertrauen an die Regierung verweigern, aber die Notwendigkeit der Ausgabe nicht bestreiten. Seine Majestät der K a i s e r hatte die Gnade beizufügen, daß Er die Schwierigkeit der Geldschaffimg gewiß nicht verkenne, aber in dem ge¬ wünschten Abstriche des diesseitigen Ministerrates doch eine zu weitgehende Sparsamkeit erblicke. Es handle sich nur zum geringsten Teil um eigentliche Rü¬ stungsmaßregeln, von denen es zwar allerdings bedauerlich sei, daß sie gemacht werden mußten, die aber infolge der momentanen Lage unabwendbar geworden wären. Der weitaus größte Teil des Erfordernisses betreffe solche Anschaffungen und Vorkehrungen, die nötig sind, um das seit dem Jahre 1866 infolge der gebo¬ tenen Schonung des Staatsschatzes Versäumte in der Armeeausrüstung nachzu¬ holen, und die einen bleibenden Wert haben. Reichsfinanzminister v. Lönyay: Im Vergleich zu anderen Staaten hätten wir noch wenig getan. Holland, Belgien und die Schweiz hätten verhältnismäßig größere Rüstungsauslagen gehabt. Den Hinweis auf diese Staa¬ ten solle man bei der Vertretung in den Delegationen nicht unterlassen. Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn bemerkte gegen Graf Andrässy, man möge die Organisation Rußlands nicht unterschätzen. Er habe an Ort und Stelle Studien machen lassen, und alle seine Berichte deuten daraufhin, daß die Armee im guten Stande sei; sie zähle viele alte Soldaten, und 4 K. u. k. Militärattache in Petersburg war Major Anton Baron Bechtolsheim. Seine Meldung über die russischen militärischen Vorbereitungen v. 3. 9. 1870, KA. KM. Präs. 47-2/6/1870. Am 21. September ebd. 47-2/6/1870 meldet er bereits, daß Rußland sich vorerst .jeder be¬ waffneten Einmischung und der direkten Aggression Österreichs enthalten wird..." <pb/>128 Nr. 18 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 11. 9. 1870 wenn es heute zu einer Aufstellung komme, so sei sie unserer Armee numerisch überlegen. Rußland lasse sich überhaupt nur mit Ausnützung der polnischen Fra¬ ge erfolgreich bekämpfen. Reichskanzler Graf Beust erwiderte dem Kriegsminister auf die Frage über den Bestand einer Kriegsgefahr, daß der Bericht unseres Militär¬ attaches in Petersburg durch neuere Manifestationen der russischen Regierung überholt sei und daß man ihm zu große Bedeutung nicht beitragen solle. Über die zukünftige politische Gestaltung lasse sich heute nichts Bestimmtes sagen, am wenigsten könne man einen Krieg als gewiß in Aussicht stellen, aber schon der Zweifel an der Erhaltung des Friedens genüge zur Einleitung der notwendigsten Rüstungen. Ministerpräsident Graf Andrässy: Es seijetzt der Moment, um die Idee der Armierung der Monarchie - ob populär oder nicht - festzuhalten, denn unzweifelhaft würde nach Wiederherstellung des Friedens eine Desarmie¬ rungspression eintreten, die vielleicht selbst Preußen, welches für den Augen¬ blick nichts weiter anzustreben habe, genehm sein dürfte, unter deren Einfluß es aber für uns schwer sein werde, das in der Armeeausrüstung bisher Versäumte nachzuholen. Seine Majestät der Kaiser hatte hierauf die Gnade, die einzel¬ nen Posten des Erfordemisaufsatzes zur Besprechung bringen zu lassen. Gegen die Titel I und III (Verpflegsauslagen und Rekrutenausbildung) wurden keine Einwendungen erhoben, dagegen erfuhr die Hauptposition zu 42 000 000 in den Details mehrfache Veränderungen, infolge des Ah. Befehles, daß alle Auslagen, die schon eine tatsächliche Mobilisierung voraussetzen, daraus wegzulassen sei¬ en, nachdem durch falsche Posten der Erfolg der ganzen Vorlage in den Delega¬ tionen gefährdet werde. So entfiel in der Rubrik Fuhrwesen die Position ,,für Versendung von Trainmaterial an die Truppen" mit 11 272 fl., in der Rubrik ,,Bau¬ wesen" die Position zur Errichtung von Notstallungen, Pulverdepots etc. mit 62 000 fl., dann in der Rubrik ,,Sanitätswesen" alles, was erst im Falle einer Mo¬ bilisierung angeschafft werden kann, endlich in der Rubrik ,,verschiedene Ausla¬ gen" die Position für vermehrte Inspektionsübersetzungs- und Dienstreisen mit 50 000 fl. Die auf die beschleunigte Ausführung gewisser Eisenbahnen prälimi- nierten Kosten von 2 291 000 fl. wurden mit Rücksicht auf die mittlerweile geän¬ derten Verhältnisse ganz gestrichen, ebenso die für Zwieback präliminierte Sum¬ me von zwei auf ein Million herabgemindert. Nicht minder wurden in der Rubrik ,,Monturwesen" die Positionen zur Ablösung eines Teiles der Warenkaution des Konsortiums Skene etc. mit 925 426 fl. und zur Anschaffung von Kapuzen und Leibbinden mit 1 275 750 fl., dann für Revolverausrüstung und Spitäler mit 720 378 fl. an ihrer gegenwärtigen Stelle beanstandet und eine sachgemäßere Einteilung des Ausweises von Seiner Majestät als wünschenswert bezeichnet. Allerhöchstderselbe geruhte daher eine Umarbeitung des Ausweises über Titel II nach der obigen Andeutung und mit der Gruppierung anzuordnen, daß die Aus¬ lagen, welche infolge der durch den preußisch-französischen Krieg geschaffenen <pb/>Nr. 18 Gemeinsamer Ministermt, Wien, 11. 9. 1870 129 Lage bereits faktisch gemacht wurden, und jene, welche seit 1866 versäumt, nun¬ mehr zur Sicherung der Monarchie für die Zukunft nachgeholt werden müssen, getrennt ersichtlich gemacht werden. Ministerpräsident Graf Potocki wünschte im Titel II im ganzen einen Abstrich von 18 Millionen, nämlich außer der ein Million beim Zwieback und den zwei Millionen bei den Kosten für Eisenbahnbauten, noch die Weglassung der 3 300 000 für die Festungsgeschütze in der Rubrik ,,Waffenwe- sen", dann der sieben Millionen für die Festungen, ferner ein Million für Pferde und der drei Millionen zur Nachschafftmg von Monturen nach dem systemmäßig angenommenen Abnützungsperzente. Über den Gegenantrag des Ministerpräsidenten Graf An- d r ä s s y, welcher es als einen Fehler bezeichnete, wenn jetzt nicht mit einem Male alles nachgeholt werde, was bisher wegen des knapp zugemessenen Mili¬ tärbudgetsnichterreichtwerden konnte, geruhte jedoch Seine Majestät der Kaiser die Belassung jener Posten im Erfordemisansatze anzubefeh¬ len; dagegen hatte Seine Majestät die Gnade, die vom Grafen Potocki weiter er¬ betene gänzliche Streichung des im Titel IV geforderten Betrages von zehn Mil¬ lionen zur Durchführung der Divisionseinteilung zu genehmigen, nachdem der vom Ministerpräsidenten Grafen Andrässy angeregte Gedanke, die benötigten Etablissements nach Art der Kasernen durch andere bauen zu lassen und dafür nur einen Mietzins zu zahlen, vom Reichskriegsminister als unausführbar be¬ zeichnet wurde, übrigens auch die Durchführung dieser Divisionseinteilung die Verlegung der Regimenter in ihre Werbbezirke bedingen würde, was noch eine offene Frage sei. Bezüglich der Position für Festungen muß noch bemerkt werden, daß M i - nisterpräsident Graf Andrässy die einfache Einstellung des Er¬ fordernisses nicht für die geeignete Art hielt, um die Votierung der Delegationen zu erlangen; es werde vielmehr darauf ankommen, diesen Vertretungskörpem die Notwendigkeit eines die ganze Monarchie umfassenden Befestigungssystems be¬ greiflich zu machen; dies könne aber nur mittels eines fachmännischen Operates und Motivierung geschehen. Gegen die im Titel V angeführten Nachtragskredite für die Jahre 1868 et 1869 wurde keine Einwendung erhoben und schließlich auch die Einstellung des heu¬ rigen Nachtragskredites für die Militärgrenze, nach einer kurzen Diskussion, wo¬ bei der Kriegsminister die Notwendigkeit aus der Unzulänglichkeit der eigenen Einnahmen in Verbindung mit den erhöhten Ausgaben infolge der Saveüber¬ schwemmungen herleitete, von Seiner Majestät genehmigt. Bezüglich der Auslagen für Dalmatien geruhte Seine Majestät der Kaiser anzubefehlen, daß daraus die 500 000 fl. zur Verproviantierung eini¬ ger fester Plätze auszuscheiden und letztere im Titel II des umzuarbeitenden Aus¬ weises einzustellen seien, wonach als dalmatinische Auslagen nur die eigentli¬ chen Expeditionskosten mit 3 947 000 fl. ersichtlich zu machen sind. Seine Majestät der Kaiser geruhte noch ferner dem Kriegsminister die Anfertigung ei- <pb/>130 Nr. 19 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 28. 9. 1870 nes Motivenberichts zu dem außerordentlichen Erfordernisse für das Jahr 1870 behufs Vorlage an die Delegationen, dann dem Ministerpräsidenten Grafen Po- tocki bzw. dem diesseitigen Minister des Innern die Anfertigung eines Exposes über die dalmatinischen Auslagen zur Begründung der Gemeinsamkeit der Aus¬ lage anzubefehlen. Ministerpräsident Graf Andrässy machte die Andeutung, daß sich die Gemeinsamkeit der Auslage, ganz abgesehen von der Tragweite der dalmatinischen Bewegung nach außen, die man im Expose jetzt lieber unberührt lassen solle, schon aus der pragmatischen Sanktion, welche der gemeinsamen Verteidigung gegen äußere und innere Feinde erwähnt, nachweisen lasse. Hierauf nahm noch Finanzminister Freiherr v. Holzgethan das Wort, um seinen persönlichen Standpunkt gegenüber den Anforderungen der Kriegsverwaltung darzulegen. Er sei der Meinung, daß wenn die Verstärkung der Wehrkraft durch die Lage geboten sei und die Kriegsverwaltung daher gewisse Maßregeln für nötig erachte, auch das Geld beigeschaffl werden müsse, ohne sich in eine am Ende doch inkompetente Prüfung der einzelnen Posten einzulassen. Diesen Standpunkt habe er auch im diesseitigen Ministerrate vertreten, sei aber damit in der Minderheit geblieben. Schließlich geruhte Seine Majestät der Kaiser anzuordnen, daß auf die baldige Ausführung der ungarisch-galizischen Verbindungsbahn, ob¬ schon für den Augenblick die forcierte Bauherstellung nicht mehr so dringend scheine wie vor einigen Wochen, doch beharrlich hingewirkt werde. Womit die Sitzung geschlossen wurde. Beust Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Wien, 19. September 1870. Franz Joseph. Nr. 19 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 28. September 1870 RS. (und RK.) Gegenwärtige: der k. k. Ministerpräsident Graf Potocki (3. 10.), der Reichskriegsminister Frei¬ herr v. Kuhn (3. 10.), der Reichsfinanzminister v. Lönyay (6. 10.), der k. k. Finanzminister Freiherr v. Holzgethan (6. 10.), der kgl. ung. Finanzminister v. Kerkäpoly (o. D.), Sektionschef v. Früh. Protokollführer: Sektionsrat Freiherr v. Konradsheim. Gegenstand: I. Geldbeschaffung für den außerordentlichen Bedarf des Kriegsministers bis Ende Oktober 1870. II. Frage wegen Fortdauer des Pferdeausfuhrverbotes. KZ. 3797 - RMRZ. 85 Protokoll des zu Wien am 28. September 1870 abgehaltenen Ministerrates für gemeinsame Angelegenheiten unter dem Vorsitze Sr. Exzellenz des Reichskanz¬ lers Grafen Beust. <pb/>