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Gemeinsamer Ministerrat, 15. 8. 1870

Nr. 11 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 15. 8. 1870                    67

düng gemeinsamer Mittel zu forcieren kommen als drüben. Das Verhältnis sei
also ein ungleiches. Auch gehöre die Bewilligung der fraglichen Auslagen vor die
Delegationen, welche der gemeinsamen Regierung eventuell die Indemnität zu
erteilen hätten und welche, wenn die Gefahr nicht als dringend nachgewiesen
werde, gewiß große Schwierigkeiten erheben würden. Man müsse also vorsichtig
vergehen und sich wenigstens eine beiläufige Berechnung der dem Staate er¬
wachsenden Beisteuer für die forcierten Bahnherstellungen geben lassen, damit
man wenigstens die Ziffern kennenleme, mit denen man zu tun haben wird.

   Es möge also der Verwaltungsrat der ungarischen Nordostbahn zur Vorlage
solch einer beiläufigen Berechnung aufgefordert und über diese zugleich mit dem
Erfordemisausweise der diesseitigen Reichshälfte, welchen Sektionschef v. Pre-
tis9 beizustellen hätte, im gemeinsamen Ministerrate nochmals verhandelt wer¬
den.10 Die Konferenz erklärte sich hiemit einverstanden.

   Schließlich machte noch Reichsfinanzminister v. Lönyay
auf die Notwendigkeit einer baldigen Besprechung über die nächsten Delegati¬
onsvorlagen im allgemeinen aufinerksam, worauf die Sitzung geschlossen
wurde.

                                                                                                  Beust

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen.
Wien, 24. August 1870. Franz Joseph.

        Nr. 11 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 15. August 1870

    RS. (und RK.)
    Gegenwärtige: Seine k. k. Hoheit Erzherzog Albrecht (o. D.), der Reichskanzler Graf Beust
(o. D.), der kgl. ung. Ministerpräsident Graf Andrässy (o. D.), der k. k. Ministerpräsident Graf
Potocki (20. 8.), der Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn (20. 8.), der Reichsfinanzminister v.
Lönyay (22. 8.).
    Protokollführer: Sektionsrat Freiherr v. Konradsheim.
    Gegenstand: I. Dalmatinische Angelegenheiten. II. Delegationsvorlagen. III. Ungarische Nord¬
ostbahn.

   KZ. 3099 - RMRZ. 77
   Protokoll des zu Wien am 15. August 1870 abgehaltenen Ministerrates für
gemeinsame Angelegenheiten unter dem Ah. Vorsitze Sr. Majestät des Kaisers.

9 Am 13. April 1870 wurde SektionschefSisino Freiherr von Pretis mit der Leitung des k. k.
        Handelsministeriums betraut.

10 GMR. v. 15. 8. 1870, RMRZ. 77.
<pb/>68 Nr. 11 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 15. 8. 1870

   I. Seine Majestät der Kaiser geruhte der Konferenz Mittei¬
lung zu machen von einem au. Vortrage des Reichskriegsministers,1 worin dersel¬
be angesichts des nach Meldungen aus Dalmatien unausbleiblichen Ausbruches
baldiger Feindseligkeiten zwischen Montenegro und der Türkei und im Hinblick
auf die voraussichtlichen Rückwirkungen aufdie dalmatinischen Verhältnisse ge¬
wisse Vorsichtsmaßregeln beantragte, um selbst in dem Falle, als infolge der Ver¬
kettung von Umständen das flache Land preisgegeben werden müßte, wenigstens
einige dominierende feste Plätze in der Hand behalten zu können.

   Der Kriegsminister empfehle daher die Verstärkung der &quot;für den Kriegsfall in
Angriff genommenen3 Garnisonen unter gleichzeitiger Verproviantierung auf
sechs Monate. Der Bedarf an Garnison werde auf 10 403 Mann und 211 Pferde
und das Erfordernis zur Verproviantierung auf ein Million veranschlagt. Seine
Majestät verkenne nicht die Zweckmäßigkeit von Truppendetachierungen nach
Dalmatien, halte aber den beantragten Mannschaftsstand mit Rücksicht auf den
möglichen Truppenbedarf auf anderer Seite für etwas hoch gegriffen und glaube,
daß in keinem Falle Kemtruppen, sondern höchstens Reserveregimenter dahin
verlegt werden sollten. Der Ministerrat möge sich also aussprechen, ob er die
Verhältnisse für so gestaltet erachte, daß die beantragte Maßregel sich heute
schon und wenn ja, ob in dem angedeuteten Umfange für geboten darstelle.

   Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn: Er habe mehr¬
seitige Berichte erhalten, welche die Gefahr eines Ausbruches einer Konflagra-
tion an der dalmatinischen Grenze als dringend signalisieren. Nun sei er wohl
auch der Ansicht, daß man die Truppenzersplitterung tunlichst vermeiden und die
Massen auf dem entscheidenden Kampfplatze, welcher Dalmatien allerdings
nicht sein werde, konzentrieren solle, aber gewisse Plätze müssen unter allen
Umständen gehalten werden, weil die Wiedergewinnung aufgegebener Positio¬
nen ungleich größere Kraftanstrengung erfordere als die Verteidigung einer ein¬
genommenen Stellung und weil man von hieraus auch das flache Land jederzeit
dominiere, und in diesem Anbetrachte halte er eine Truppendetachierung für kei¬
ne verfehlte Maßregel.

    Sein au. Vortrag basiere auf einem Kommissionsoperat früherer Jahre, wel¬
ches, unter der Voraussetzung eines gewaltsamen Angriffes verfaßt, die Orte
Castelnuovo, Cattaro, Ragusa und Zara als feste Plätze der erwähnten Kategorie
bezeichne. Zara sei weniger als strategisch wichtiger Punkt, denn als Landes¬
hauptstadt und Sitz der Regierung in die Reihe einbezogen worden. Um nun die¬
se Plätze halten zu können, benötige man so ziemlich die obige Truppenzahl, und

         Einfiigung Kuhns [?].

       Au. Vortrag des Reichskriegsministers Freiherrn v. Kuhn v. 11. 8. 1870 wegen der für den
        Fall einer Mobilisierung des k. k. Heeres für Dalmatien zu bestimmenden Besatzung KA.
        MKSM. 69-2/13/1870. Ah. E. v. 16. 8. 1870. Ebd. Der Beschluß des aufAnsuchen Kuhns
        einberufenen Ministerrates: daß der Kriegsminister zur Verproviantierung der festen Plätze
        Dalmatiens innerhalb der Kosten von 500 000 fl. ermächtigt werde.
<pb/>Nr. 11 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 15. 8. 1870  69

er könne davon alles in allem höchstens ein Regiment für das Gros der Armee
abgeben. Die Zurückziehung der Truppen und Ersetzung durch Reserveregimen¬
ter, die erst formiert werden müßten, halte er für bedenklich; wolle man es aber
gleichwohl tun, so möge man es sogleich und nicht im letzten Moment verfugen,
denn neue Truppen seien im Gebirge schwerer zu verwenden.

   Reichskanzler Graf Beust: Auch er habe von den Konsulatsbe¬
hörden in Mostar und Sarajevo Nachrichten, daß ein Angriff Montenegros auf die
Türkei bald erwartet werde. In ähnlichem Sinne habe der Bezirkshauptmann in
Cattaro berichtet. Die Tragweite dieses Ereignisses lasse sich heute noch nicht
ermessen. Der Krieg Montenegros mit der Türkei berühre uns vorläufig unmittel¬
bar nicht, denn ersteres werde sich hüten, es gleichzeitig auch mit uns aufzuneh¬
men, zumal heute noch auch von Rußland ein hetzender Einfluß in dieser Rich¬
tung nicht zu befürchten sei. Eben mit Rücksicht auf die Haltung Rußlands
erwarte er auch noch nicht den Ausbruch einer südslawischen Bewegung, wozu
der Angriff Montenegros gleichsam nur die Einleitung bilden solle. In einigen
Wochen könne freilich alles anders kommen; gebe dann Rußland das Signal zum
Ausbruch, so gewinne die Bewegung selbstverständlich größere Proportionen,
und es stelle sich die Frage und die anzuwendenden Mittel anders.

   Seine k. k. Hoheit Erzherzog Albrecht: Der Gegen¬
stand der heutigen Besprechung lasse sich in zwei Fragen zerlegen, in die Frage
wegen der momentanen Geldverausgabung für Proviant und in die Frage über die
Truppendispositionen bei eintretender Mobilisierung. Letztere beiseite gelassen,
scheine es ihm nicht unbedingt nötig, für den ganzen eventuellen Truppenstand in
den festen Plätzen Dalmatiens die Verpflegung für bsechs Monateb heute schon
sicherzustellen, denn nach der heutigen politischen Lage sei ein Angriff auf Dal¬
matien von der Seeseite (und diesen habe das von Baron Kuhn erwähnte Kom-
missionsoperat aus dem Jahre 1867 im Auge gehabt) nicht zu befürchten, und
könne also die Verpflegung der Seeplätze via Triest auch später selbst bei Unter¬
brechung des Landverkehrs in Dalmatien besorgt werden. Anders verhalte es sich
mit dem Innern des Landes, wo man mit der Verproviantierung nicht zögern
möge. Dazu bedürfe es aber nicht ein Million. Sei man in der Lage, einen solchen
Betrag gegenwärtig verwenden zu können, so möge man lieber zugleich auch auf
die nicht minder gefährdeten böhmischen Festungen Bedacht nehmen, wo in die¬
ser Richtung gar nichts geschehe.

   Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn: Wenn wir in
einen Krieg verwickelt werden, so würden sich die nach allen Seiten nötigen
Maßregeln so sehr drängen und die Ereignisse so rasch herantreten, daß man
nicht an alles denken und nicht Zeit haben werde, alle Vorkehrungen zu treffen.
Man möge also nicht alles auf den letzten Moment verschieben und in den Fehler
verfallen, der sich in den Jahren 1859 und 1866 so schwer rächte. Könne man die
Verproviantierung nicht auf sechs Monate einleiten, so sei es wenigstens auf vier

b-b Einfiigung Albrechts [?].
<pb/>70 Nr. 11 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 15. 8. 1870

Monate. Das Geld sei ja nicht hinausgeworfen, denn die Anschaffungen, die man
heute auf einmal mache, müßten sukzessive doch gemacht werden, nachdem die
Truppen unter allen Umständen verpflegt werden müssen. In mancher Beziehung
stelle sich vielleicht sogar eine Ersparung heraus, da gewisse Artikel heute billi¬
ger zu stehen kommen als bei durch eventuelle Kriegsgefahr gebotenen größeren
Lieferungsausschreibungen. Höchstens verliere man die Interessen des veraus¬
gabten Kapitals, dieser Verlust werde aber durch den sachlichen Gewinn im Be¬
darfsfälle aufgewogen.

   Ministerpräsident Graf Andrässy: Es sei kaum ein Krieg
für uns denkbar, in welchem den Südslawen der Monarchie nicht auch eine Rolle
zufallen werde, und in dieser Überzeugung müsse er jeder Maßregel das Wort
reden, welche geeignet ist, uns nach dieser Seite zu sichern. Speziell Dalmatien
erheische um so größere Vorsicht, als wir es dort im Kriegsfall nicht nur mit aus¬
wärtigen Feinden, sondern im Lande selbst mit den Crivoscianem etc. zu tun
haben werden.

   Er müsse sich also jedenfalls für die Verlegung einer angemessenen Truppen¬
macht dahin, wobei ihm 10 000 Mann nicht zu viel scheinen, und demgemäß für
die Festhaltung und gute Versorgung einiger fester Plätze aussprechen und gebe
es der Erwägung des Kriegsministers anheim, ob nach den letzten Erfahrungen in
Dalmatien die ganze Verteidigung des Landes nicht auf diese bedeutenderen fe¬
sten Plätze zu beschränken und die übrigen minder wichtigen Positionen im vor¬
hinein aufzulassen seien.

   Was den Verpflegsmodus betreffe, so sei er mit Seiner k. k. Hoheit der Ansicht,
daß die Seeplätze erst später, dagegen die Plätze im Irmem jetzt, und zwar gleich
auf sechs Monate verproviantiert werden.

   Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn: Wenn man die
Plätze im Innern verproviantiere, so reduziere sich die Maßregel auf sehr wenig,
denn alle bedeutenderen Positionen befänden sich an der See. Er wiederhole, wie
schwer es sei, im letzten Moment das Benötigte zu finden.

   Ministerpräsident Graf Potocki: Unsere Geldmittel seien
so knapp bemessen, daß man aufjede 100 000 fl. achten müsse. Die benötigte
Million werde schwer aufzubringen sein. Er schließe sich daher der Ansicht des
GrafAndrässy an.

    Reichsfinanzminister v. Lönyay: Es komme darauf an, ob
und wie für die Bedeckung vorgesehen wurde. Erfolge die Bestreitung zu Lasten
des Ordinariums der Kriegsverwaltung, so erscheine die Verausgabung nur als
ein Vorschuß, welcher durch die Nichtbehebung späterer Verpflegsraten, indem
die Truppen die jetzt angeschafften Vorräte aufzehren, seine Begleichung finde.
Sei aber die Bedeckung im Ordinarium nicht vorhanden, so müsse die Ausgabe
im weiteren Verfolge der bisherigen dalmatinischen Auslagen in die extraordinä¬
re Rechnung eingestellt werden.

    Seine k. k. Hoheit Erzherzog Albrecht machte darauf
aufinerksam, wie zwischen den im Ordinarium bedeckten Serviengebühren und
<pb/>Nr. 11 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 15. 8. 1870  71

den Kriegsrationen in Qualität und Quantität doch ein Unterschied bestehe. Es
gehe also nicht an, die gegenwärtige Ausgabe mit Positionen des Ordinariums zu
kompensieren, und er sei daher mehr für die zweite Alternative, nämlich Einstel¬
lung in das Extraordinarium für Dalmatien.

   Reichsfinanzminister v. Lönyay: Man möge dem Kriegs¬
minister also einen Vorschuß von 500 000 fl. zu Lasten dieses Extraordinariums
geben.

   Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn erklärte schlie߬
lich, sich auch mit diesem die Verpflegung für drei Monate sichernden Betrag
begnügen zu wollen, worauf Seine Majestät der Kaiser den Ah.
Beschluß dahin zu fassen geruhte, daß der Kriegsminister zur Verproviantierung
der festen Plätze Dalmatiens innerhalb der Kosten von 500 000 fl. ermächtigt und
ihm die Verteilung des Proviants auf die einzelnen Plätze mit Rücksicht auf die
mehr oder weniger leichte Ergänzung der Vorräte auf dem Seewege nach eige¬
nem Ermessen überlassen und ebenso anheim gestellt werde, sich wegen der Be¬
deckung mit dem Reichsfinanzminister ins Einvernehmen zu setzen.

   II. Nach Entfernung Seiner k. k. Hoheit des Herrn Erzherzogs hatte Seine
Majestät der Kaiser noch ferner die Gnade, die rechtzeitige Vorberei¬
tung der Delegationsvorlagen und hiemit im Zusammenhang die Notwendigkeit
zu betonen, daß die prinzipielle Frage über die Beköstigung der dalmatinischen
Expedition endlich ausgetragen und daher nicht nur die Rechnung zum Abschluß
gebracht, sondern auch über das Prinzip zum mindesten unter den beiden Mini¬
sterien das Einvernehmen noch vor dem Zusammentritt der Delegationen herge¬
stellt werde.

   Reichsfinanzminister v. Lönyay: Bis zur Austragung der
Frage, ob die zur Bewältigung des Aufstandes in Süddalmatien durch das Militär
erwachsenen Kosten als gemeinsame Auslagen zu betrachten sein werden, habe
sich das diesseitige Finanzministerium bereit erklärt, die Mehrkosten einstweilen
aus cisleithanischen Mitteln und zwar als Vorschuß an das gemeinsame Finanz¬
ärar flüssig zu machen, und sei daher im Sinne dieser Vereinbarung das von Be¬
ginne der Operationen resultierende außerordentliche Erfordernis vom Rech¬
nungsdepartement des Reichsfinanzministeriums als ein für Rechnung der
cisleithanischen Reichshälfte dem Militärärar kommissionsweise erfolgter Vor¬
schuß behandelt und demgemäß im conto current der diesseitigen Reichshälfte
zur Last geschrieben worden. Die auf diese Weise über Inanspruchnahme des
Kriegsministeriums von Seite des Reichsfinanzministeriums erfolgten Kostenbe¬
träge beziffern sich auf 3 732 384 fl. 72 [kr.].

   Was die eigentlichen Delegationsvorlagen betreffe, so sei der Stand der bezüg¬
lichen Arbeiten folgender: Das Budget des Ministeriums sei im deutschen Texte
bereits gedruckt. Es fehle noch die ungarische Übersetzung und das Expose in
beiden Sprachen. Vom Budget des Kriegsministeriums sei das Ordinarium ge¬
druckt, aber nur bis Seite 222 korrigiert. Die ungarische Übersetzung, dann das
<pb/>72 Nr. 11 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 15. 8. 1870

Extraordinarium und das Expose in beiden Sprachen werde bald nachgetragen,
dagegen sei das Ordinarium und Extraordinarium der Marine im Satz der Druk-
kerei begriffen, ungarisch aber noch nicht fertig.

   Der Voranschlag für das Reichsfinanzministerium, die Oberste Rechnungs¬
kontrolle, den Pensionsetat und das Zollgefälle sei in deutscher und ungarischer
Sprache gedruckt und fehle nur noch das Expose des Reichsfinanzministeriums,
welches in Bearbeitung sei.

   Von dieser Seite werde also keine Verzögerung eintreten, er müsse aber darauf
aufmerksam machen, daß im Sinne des c1867 XII Gesetzartikel § 40c2 Gesetzes
[sic!] vor der Vorlage an die Delegationen das Budget dmit Einflußnahme derd
beiderseitigen Landesministerien eausgearbeitet werden6 müsse, und bitte also,
wie es bisher geschah, um baldige Anberaumung einer Besprechung mit den bei¬
derseitigen `Ministerien^

   Ministerpräsident Graf Andrässy: Was die Kostenbestrei¬
tung für die Expedition nach Dalmatien betreffe, so sei es für ihn schwer, ohne
Zustimmung des ungarischen Ministerrates eine bindende Erklärung abzugeben.3
Die Frage sei heikel, denn es bestehen in Ungarn auch Meinungen, welche bei
voller Anerkennung der Gemeinsamkeit der Truppen in diesem Falle die Gemein¬
samkeit der Kostenbestreitung mit Hinweis auf begangene Fehler der diesseiti¬
gen Regierung, wofür Ungarn nicht ins Mitleiden gezogen werden könne, be¬
streiten. Die Sache komme zuerst in den Delegationen zur Verhandlung, werde
aber, wie es schon durch Miletits geschah, jedenfalls auch im ungarischen Reichs¬
tag zur Sprache gebracht werden.4 Nun hoffe er zwar, die Anerkennung der Ge¬
meinsamkeit der Verteidigung und ihrer Beköstigung mit Hinweis auf die Ab¬
wendung von äußeren Gefahren, deren Konsequenzen das Reich in seiner Ge¬
samtheit bedrohten, durchsetzen zu können, aber es werde doch viel darauf an¬
kommen, die richtige Form zu finden, um mit einer solchen Anforderung an
Ungarn herantreten zu können.

    Seine Majestät der Kaiser: Die Austragung der Kostenffage
werde ziemlich kompliziert sein, denn in den Rechnungen der Kriegsverwaltung
würden auch die einzelnen Dalmatinern geleisteten Kriegsschadenvergütungen
angeführt, an welchen Ungarn eine Partizipierung nicht zugemutet werden kön-

M Einfiigung.
d~d Korrektur aus auch von den.
&lt;HC Korrektur aus angenommen werden.
f&quot;f Korrektur aus Finanzministem, deren Aufgabe es dann sein werde, die Zustimmung ihres

         Ministerrates zu erwirken.

2 Die Feststellung des gemeinsamen Budgets ... wird das gemeinsame Ministerium mit Ein¬
         flußnahme der beiden besonderen verantwortlichen Ministerien ausarbeiten. Bernatzik, Die
         österreichischen Verfassungsgesetze 342.

3 Die Angelegenheit Dalmatiens behandelte der ungarische Ministerrat nicht.
4 Miletic, Svetozar (1826-1901), Abgeordneter im kroatischen Sabor und dem ungarischen

         Reichstag.
<pb/>Nr. 11 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 15. 8. 1870  73

ne. Es möge also vor allem die Ausscheidung solcher nicht gemeinsamer Rech¬
nungsposten vorgenommen, aber das Verfahren derart beschleunigt werden, daß
man schon bei Versammlung der Delegationen geklärten Verhältnissen gegen¬
überstehe. Desgleichen solle die Budgetberatung im Ministerrat tunlichst bald
stattfinden.

   Es kam auch der Versammlungsort der nächsten Delegationen zur Sprache und
wurde vom Reichskriegsminister die Frage angeregt: ob, trotz der
durch die Umstände wünschenswerten Anwesenheit der Reichsminister in Wien,
Pest als diesmaliger Versammlungsort festgehalten werden wolle. Sämtliche
Konferenzmitglieder erklärten es aber aus überwiegenden politischen Gründen
für vorteilhafter, wenn an dem üblichen Turnus festgehalten werde, und so geruh¬
te Seine Majestät der Kaiser auch den Ah. Beschluß vorbehalt¬
lich außerordentlicher Ereignisse in diesem Sinne zu fassen.

   III. Zugleich geruhte Seine Majestät der Kaiser anknüpfend
an den dilatorischen Beschluß des gemeinsamen Ministerrates vom 13. d. M. die
Angelegenheit der ungarischen Nordostbahn zur Sprache zu bringen.5

   Reichsfinanzminister v. Lönyay rekapitulierte hierauf kurz
die bereits in dem Sitzungsprotokolle vom 13. August niedergelegte Äußerung
des Verwaltungsrates der Nordostbahn. Er habe in Gemäßheit des Beschlusses
vom 13. d. M. an Minister Gorove das Ersuchen wegen beiläufiger Berechnung
der dem Staate aus der forcierten Bauherstellung erwachsenden Kosten gerichtet
und von demselben über nochmalige Äußerung des Verwaltungsrates die Erwide¬
rung erhalten, daß sich die Mehrkosten, die hauptsächlich durch provisorische
Bauten und die Schienenzufuhr auf der Achse verursacht werden, heute noch je¬
der Berechnung entziehen, daß sich aber der Verwaltungsrat jede Kontrolle der
Regierung gefallen lassen werde, so daß nur für wirklich zu Zwecken der Regie¬
rung gemachte Auslagen ein Vergütungsanspruch erhoben werden wird.6

   Vortragender glaube nach eingeholten Privaterkundigungen, daß sich die
Mehrkosten zwischen ein und ein und halb Million stellen dürften. Die Haupt¬
schwierigkeit liege in der Beischaffüng der Geldmittel, zu welchen man von der
Regierung entweder einen unmittelbaren Vorschuß oder doch die Unterstützung
bei Lombardierung der im Besitze der Gesellschaft befindlichen Prioritäten ver¬
lange. Wie immer, so wünsche Herr von Gorove eine baldige Entscheidung und
mache sich anheischig, den technischen Kontroller selbst beizustellen, empfehle
aber auch von Seite des gemeinsamen und des cisleithanischen Ministeriums ein
Kontrollorgan an Ort und Stelle zu senden, und habe Vortragender in dieser Be¬
ziehung bereits an Baron Pretis geschrieben. Auf die angedeutete Weise können
im Ganzen circa 37 Meilen Eisenbahn binnen acht Wochen fertiggemacht wer¬
den, was bei Truppen- und Viktualientransporten immerhin ein großer Gewinn

5 GMR. v. 13. 8. 1870, RMRZ. 76.
6 Lönyay an kgl. ung. Kommunikationsminister Istvan Gorove Nr. 4917. Siehe Gorove an

        Andrässy v. 25. 8. 1870. MOL. Sektion K-26, 1502/1870.
<pb/>74 Nr. 11 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 15. 8. 1870

sei, der durch die (nicht übermäßigen) Mehrkosten reichlich aufgewogen werde.
Man möge sich nun entscheiden, ob man die forcierte Bahnherstellung wolle,
aber bald am besten schon heute, weil jeder Tag ein Verlust sei.

   Ministerpräsident Graf Potocki machte auf das ungünstige
Verhältnis aufmerksam, in welchem die diesseitige Reichshälfte zu den in Rede
stehenden Mehrkosten, wenn sie als Verteidigungsauslage aus dem gemeinsamen
Budget des Kriegsministers bestritten werden, zu konkurrieren habe. Die auf
250 000 fl. veranschlagten Kosten für die Verbindungsbahn in Prag biete hieftir
keine genügende Kompensation, und man müsse sich auf eine energische Ein¬
sprache Cisleithaniens gegen eine wie immer benannte Beisteuer zu einer in Un¬
garn befindlichen Eisenbahn umsomehr gefaßt machen, als hier ohnehin schon
eine arge Verstimmung über die vermeintliche Übervorteilung durch Ungarn be¬
stehe. Er könne also heute noch keine Äußerung abgeben und müsse sein Votum
von jenem des cisleithanischen Ministerrates abhängig machen.7

   Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn betonte die mi¬
litärische Notwendigkeit der forcierten Bahnherstellungen, wenn, was er nicht
wisse, ein Kriegsausbruch mit Rußland zu befürchten sei, dann aber dürfe man
keine Zeit versäumen und die nächsten Monate nicht verstreichen lassen, weil
man sonst im nächsten Frühjahr noch immer dastehen werde wie heute.

   Reichskanzler Graf Beust und Ministerpräsident
Graf Andrässy erkannten die Schwierigkeit, das Verhältnis von 30 : 70
im vorliegenden Falle in der diesseitigen Reichshälfte zu vertreten,8 gleichwohl
aber vermöchte Graf Andrässy der von anderer Seite angeregten An¬
wendung eines anderen Verteilungsschlüssels für diesen speziellen Fall im Hin¬
blick auf die Unantastbarkeit des Gesetzes nicht zuzustimmen, sondern erklärte
es vorzuziehen, wenn bei absoluter Unzulänglichkeit der Geldmittel von dem
Ausbau sämtlicher in Frage gekommenen Linien abgesehen und nur die drin¬
gendste, nämlich die über Üjhely nach Munkäcs, und zwar unter Gestaltung all¬
seitiger Kontrolle forciert werde.

   Nachdem Freiherr v. Kuhn im äußersten Falle auch mit dieser ei¬
nen Linie sich behelfen zu können erklärte, hatte Seine Majestät der
Kaiser die Gnade zu genehmigen, daß Graf Potocki die Sache vorerst noch
vor den cisleithanischen Ministerrat bringe, womit die Sitzung geschlossen wur¬
de.

                                                                                                   Beust

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen.
Wien, 23. August 1870. Franz Joseph.

7 GMR. v. 13. 8. 1870, RMRZ. 76. Anm. 8.
        Im Sinne von GA. 1867:XIV. bzw. RGBL Nr. 2/1868 tragen beide Staaten im Verhältnis von
         30 : 70 % zu den gemeinsamen Ausgaben bei. Siehe Bernatzik, Die österreichischen Verfas¬
         sungsgesetze 350, 556-557.
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