Gemeinsamer Ministerrat, 25. 5. 1870
I. Türkische Befestigung und Truppenansammlung in der Sutorina
Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_I1/pdf/oe_hu_mrp_I1_z65.pdf.
370 Nr. 65 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 25. 5. 1870 Nr. 65 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 25. Mai 1870 RS. (und RK.) Gegenwärtige: der Reichskriegsminister [FML.] Freiherr v. Kuhn (27. 5.), der Reichs¬ finanzminister v. Lönyay (31. 5.), FML. Freiherr v. Rodich, Hofrat im gemeinsamen Ministe¬ rium des Äußern, Freiherr v. de Pont als Referent. Protokollführer: Sektionschef Freiherr v. Konradsheim. Gegenstand: Türkische Befestigung und Truppenansammlung in der Sutorina. KZ. 1303 -RMRZ. 65 Protokoll des zu Wien am 25. Mai 1870 abgehaltenen Ministerrates für gemeinsame Angelegenheiten unter dem Vorsitze des Reichskanzlers Gra¬ fen Beust. Reichskanzler Graf Beust leitete die Besprechung mit einer Darlegung der Verhältnisse ein, wie sie sich jüngst in der Sutorina durch die Verlegung türkischer Streitkräfte dahin und durch die Erbauung einer mit Befestigungen versehenen Kaserne gestaltet haben. Obwohl die¬ sen Befestigungen kaum der Name von solchen beigelegt werden könne, so verdiene die Sache doch besprochen zu werden, denn einerseits habe FML. Freiherr v. Rodich daraufhingewiesen,1 wie besonders die erwähnte Trup¬ penkonzentrierung Anlaß zur Beunruhigung der noch immer nicht ganz kalmierten slavischen Bevölkerung jener Gegend gebe,2 anderseits ließen die Berichte aus Konstantinopel erkennen, daß man sich dort zu der ange¬ deuteten Maßregel für berechtigt halte. Es komme also darauf an, zu unter¬ suchen, ob der Zustand in der Sutorina mit den Verträgen im Einklänge ste¬ he, worüber eben eine Differenz mit der Pfortenregierung obwalte, und ob es opportun sei, unsere Einsprache bis in die äußersten Konsequenzen zu verfolgen. Hofrath Freiherr v. de Pont:3 Schon in den Jahren 1863 und 1866 sei über Bauten von seiten der türkischen Regierung in der Sutorina durch den damaligen Gouverneur von Dalmatien FML. Phi- lippovich4 berichtet und um Reklamierung bei der türkischen Regierung ge- FML. Gabriel Freiherr v. Rodich (Rodic) (1812-1890) wurde 1870 zum Statthalter von Dalmatien und Militärkommandant von Zara ernannt. Über die größeren politischen Zusammenhänge von Rodichs Wirken: Hauptmann, General Rodic i politika austrijske vlade u krivoäijskom ustanku 1869/1870 godine 53-59. Rodich hält sich gerade in Wien auf, deshalb läd ihn Beust zum gemeinsamen Ministerrat ein. Siehe Beust an Kuhn v. 24. 5. 1870, KA,, KM., Präs. 35-1/20. Über den dalmatinischen Aufstand siehe GMRProt. v. 14. 10. 1869, RMRZ. 62. Anm. 3. Alphons Freiherr v. de Pont, Hofrat im Ministerium des Äußern. FML. Franz Freiherr v. Philippovich v. Philippsberg (1820-1893) wirkte 1865-68 als Statthalter in Dalmatien. <pb/>Nr. 65 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 25. 5. 1870 371 beten worden. Dies sei auch geschehen; da sich aber nach Berichten aus Mostar die Sache als bedeutungslos herausgestellt habe (es soll sich näm¬ lich nur um einen Kirchturm gehandelt haben), so sei Baron Prokesch5 an¬ gewiesen worden, bei der Pforte nicht weiter zu insistieren. In neuester Zeit aber sei der Charakter ein ernsterer geworden. Zunächst liege ein Konsularbericht aus Trebinje vor, daß drei befestigte Objekte her¬ gestellt werden. Infolgedessen habe das Kriegsministerium darauf gedrun¬ gen, daß in Konstantinopel energische Schritte dagegen gemacht werden, und zwar mit Berufung auf die Konvention Leiningen.6 Vortragender müsse vor allem bemerken, daß das Übereinkommen des Grafen Leiningen mit der Pforte keine eigentliche Konvention sei und nur in einem Notenaustausch zwischen diesem und Ali Pascha bestehe.7 Aber auch abgesehen von diesem formellen Einwand würde die Konvention Leiningen uns eine nur schwache Stütze bieten, da hier von dem Landgebiet der Sutorina keine Rede und überhaupt nur allgemeines vereinbart worden sei. Dagegen beständen förm¬ liche Staatsverträge, welche uns das Recht geben, nicht nur bei Kiek und Sutorina, sondern auf der ganzen Grenzlinie die Aufführung von Befesti¬ gungen der Türkei zu untersagen. Er meine den Artikel 7 des Karlowitzer8 und den Artikel 6 des Passarowitzer Friedens,9 welche gleichlautend be¬ stimmen: liberum et licitum esse ab utraque parte possessa munimenta et arces pro securitate utriusque partis reparare, munire et fortificare ad in- colarum verum commodas habitationes in extremis confiniis apertos pagos aedificare ubique sine impedimento et exceptione utrique parti fas esse, dummodo sub hoc praetextu nova fortalitia non erigantur. Aufgrund dieser Stipulationen hätten wir 1835 die Errichtung von Schanzen bei Vakup, wie sie die unruhigen Bosnier gegenüber der k. k. Grenze aus Erde aufführen wollten, nicht zugelassen. Ebenso hätten wir im Jahre 1846 gegen die vom Pascha von Bosnien beabsichtigte Erbauung befestigter Wachhütten an der Grenze gegen Kroatien protestiert und im Jahre 1852 die bosnischen Block¬ häuser beanstandet, sobald sie eine größere militärische Bedeutung erlan¬ gen würden. Anton Graf Prokesch von Osten (1795-1876) war ab 1867 Botschafter in Konstan¬ tinopel. Christian Franz Graf Leiningen-Westerburg, Sonderbotschafter der Monarchie in Konstantinopel, verhinderte mit seiner diplomatischen Aktion 1853 das geplante militä¬ rische Auftreten der Türkei gegen Montenegro. (Eine zu erwartende Niederlage dieses kleinen Landes - nämlich Montenegros - und seine Einverleibung ins Osmanische Reich hätte eine Schwächung der österreichischen Stellung an der Adria bewirkt.) Vgl. Anderson, The Eastern Question 1774-1923 120-121. Ali Pascha, Mehmed Emin (1815-1871). Friede von Karlowitz 1699 (Kaiser Leopold I. mit der Pforte). Friede von Passarowitz 1718 (Kaiser Karl VI. mit Sultan Ahmed III.). <pb/>372 Nr. 65 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 25. 5. 1870 Um auf den heute behandelten konkreten Fall zurückzukommen, so müs¬ se Vortragender bemerken, daß sich über die Bedeutung der Bauten anfangs zweierlei Ansichten gegenübergestanden seien, und daß selbst das Kriegs¬ ministerium denselben zuerst keine Bedeutung beigelegt und nur später den ernsteren Charakter erkannt hätte. Der gegenwärtig bei der Botschaft in Konstantinopel als Militärattache zugeteilte Rittmeister von Helle10 habe nämlich die Bauten inspiziert und dem Freiherm von Prokesch de visu beru¬ higende Mitteilungen gemacht, welche diesen zu dem Berichte veranlaßt hätten, daß die in Rede stehende Maßregel der Verbindung der österreichi¬ schen Truppen im Falle eines Aufstandes zustatten komme. Erst auf den Bericht aus Trebinje und die Erklärung des Reichskriegsministeriums, daß die Befestigungen unsere Verbindung durch die Sutorina gerade unterbre¬ chen können, sei eine nochmalige eindringliche Weisung dto 8. Mai an Ba¬ ron Prokesch erlassen worden, infolgedessen derselbe unter dem 19. Mai eine offizielle Note an Ali Pascha gerichtet habe, die aber noch nicht beant¬ wortet worden wäre.11 FML. Freiherr v. Rodich: Der Rittmeister Helle sei in Ra- gusa gewesen, als er (Rodich) hingekommen sei. Des Vortragenden Bericht sei vom 9. März und Helle habe keine neueren Nachrichten. Seither sei fort¬ gebaut worden. Seither habe sich der bekannte Anfall eines türkischen Arz¬ tes durch die Cattaresen ereignet, und seither hätten die türkischen Vor¬ posten unsere Leute an der Grenze entwaffnet. Dies alles beweise, daß er richtig prophezeit, als er Konflikte unserer Bevölkerung mit den Türken in Aussicht stellte. Die Türken hätten in der Sutorina eine Besatzung gar nicht nötig, und daß eine solche gleichwohl daselbst gehalten, das versetze eben die Bevölkerung in solche Aufregung. Man solle deshalb den früheren Status quo hersteilen und ihm die Vermittlerrolle erleichtern, die er bei fort¬ dauernder Erregung nicht durchführen könne. Man müsse überhaupt die Lokalverhältnisse kennen, um klar zu sehen. Was den angeblichen Kirch¬ turmbau im Jahre 1866 betreffe, so müsse er den betreffenden Botschafts¬ bericht dahin berichtigen, daß es in der ganzen Sutorina einen Kirchturm gar nicht gebe. Vielmehr habe es sich damals um Befestigungen bei Csan gehandelt, welche in dem Croquis des Generalstäblers Dabitsch auch er¬ sichtlich seien.12 Helle, österreichischer Militärattache in Konstantinopel. Weisung des Reichskanzlers an Baron Prokesch v. 8. 5. 1870 HHStA., PA. XII, Karton 96: Ich kann es daher nicht unterlassen, Ihre Aufmerksamkeit auf diesen Gegenstand zu lenken und Euer Exzellenz zu ersuchen, bei der Pforte beharrlich dahin zu wirken, daß an dem Status quo in der Sutorina, wie er im Jahre 1853 bestand, in keiner Weise eine verfassungswidrige Änderung einträte. Die Weisung bezieht sich auf den Bericht, den Rodich aus Cattaro v. März 1870 an FML. Baron Kuhn gerichtet hat. Die Sache wurde in einer Reihe von Noten behandelt, Karton 96 und 97 ebd. Generalstäbler Theodor Dabitsch. <pb/>Nr. 65 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 25. 5. 1870 373 Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn: Der im Passarowitzer Friedensvertrage vorkommende Ausdruck fortalitia sei ein Gattungsname, der alles Fortifikatorische, selbst auch nur einzelne Schan¬ zen, umfasse. Jedenfalls scheine ihm nicht nur das Vertragsrecht, sondern auch das Völkerrecht zu unseren Gunsten zu sprechen, und er erinnere sich aus eigener Erfahrung des Falles, daß er in Tirol seinerzeit gewisse Befesti¬ gungen nicht vornehmen lassen konnte, weil die nötige Minimaldistanz von der Grenze nicht vorhanden war. Er wolle es nun dahingestellt sein lassen, ob es opportun sei, gegenüber der Pforte uns auf die Traktate zu steifen und dadurch möglicherweise einen Konflikt heraufzubeschwören; strategisch aber vermöge er den Nutzen der Pforte an diesen Befestigungen nicht zu erkennen, denn seit der Pazifizierung Cattaros seien dieselben wertlos, und im Falle eines Aufstandes in Montenegro oder eines Krieges sei die Suto- rina gewiß nicht die geeignete Operationsbasis für die Türkei. Reichsfinanzminister v. Lonyay: Nachdem die schwe¬ bende Frage doch einen vorwiegend diplomatischen Charakter an sich tra¬ ge, so wäre es doch gut, die Pläne der angeblichen Befestigungen zu ken¬ nen, um ermessen zu können, ob dieselben unter die Bestimmungen des Passarowitzer Friedens subsumiert werden können. Auch sei es von Ge¬ wicht, ob diese Befestigungen im Falle eines Krieges von uns leicht genom¬ men oder zerstört werden können. Übrigens werde für uns schon das vor¬ teilhaft sein, wenn die Pforte im diplomatischen Wege zur Erklärung ver¬ anlaßt werde, daß die beanstandeten Bauten nicht den Charakter von Festungsbauten haben. FML. Freiherr v. Rodich: Die Bauten, worüber er die Pläne besitze, seien Defensivkasemen und mit Mauern umgeben, wie er sich bei der Inspizierung überzeugt habe. Jedenfalls könne dadurch die Ver¬ bindung über die Sutorina unterbrochen werden, und was das zu bedeuten habe, das habe er bitter im Jahre 1849 empfunden, wo er in Cattaro blok- kiert war. Reichskanzler Graf Beust: Traktatmäßig unterliege es keinem Zweifel, daß unsere Einsprache gegen die Befestigungen respek¬ tiert werden müsse, wenn wir in Konstantinopel auf die Abschaffung drin¬ gen. Aber heute sei die Lage anders als zur Zeit, wo die Verträge geschlos¬ sen wurden. Die Türkei habe damals nur äußere Feinde gehabt, heute habe sie mit inneren zu kämpfen. Was speziell uns betreffe, so sei ein Krieg mit der Türkei außer aller Berechnung und es könne höchstens unsere Stellung im Falle eines Krieges der Pforte mit Montenegro in Frage kommen. Des¬ halb solle zwar jedenfalls das Prinzip festgehalten, aber ja kein Konflikt hervorgerufen werden, der gerade jetzt höchst inopportun wäre, nicht nur, weil wir mit der Türkei mehrere gemeinsame Interessen zu vertreten haben, sondern auch, weil uns bei den oft wichtigen politischen Nachrichten, die wir der Pfortenregierung verdanken, daran gelegen sein muß, sie in guter Disposition zu erhalten. Praktisch wichtiger scheine ihm die Ansammlung <pb/>374 Nr. 65 Gemeinsamer Mimstetrat, Wien, 25. 5. 1870 von Truppen in der Sutorina. Anfangs hätten wir allerdings nicht re¬ monstrieren können, weil eigentlich wir, das heißt der Aufstand in Dalma¬ tien und unsere Beschwerden über ungenügende Überwachung der türki¬ schen Grenze gegen den Übertritt von Zuzüglern die Truppenbewegung verursacht hätten und die türkische Besatzung bei Fortdauer des dalma¬ tinischen Aufstandes uns nur nützlich gewesen wäre, nun aber halte er den Moment zu den Verlangen nach Translozierung der türkischen Truppen für gekommen und er schreibe es nur der türkischen Schwerfälligkeit zu, daß dieselbe noch nicht erfolgt sei. Auf die Bemerkung des Freiherm v. Rodich über die Unterbrechung der Kommunikation in der Sutorina im Jahre 1849 müsse Vorsitzender auf die der Türkei damals obgelegene Neutralität ver¬ weisen. Hofrat Freiherr v. de Pont: Türkischerseits sei auch die Eintreibung des Grundpachtschillings für die Sutorina als Anlaß zur Trup¬ penverlegung angegeben worden. Die Bezeichnung der Anzahl der Truppen variiere zwischen 2000 bis 4000 Mann. FML. Freiherr v. Rodich: Dieser Grund sei zur Zeit des Vukalovich-Streites in den 60er Jahren plausibel gewesen,13 aber nicht heu¬ te, wo die Pachtverträge mit den türkischen Grundeigentümern regelrecht erneuert wurden. Übrigens müsse er hier auch erwähnen, daß das Material zu den Befestigungen auch zur See zugeführt wurde, was vertragsmäßig auch nicht gestattet war, und von seinem Amtsvorgänger nicht hätte gedul¬ det werden sollen. Wolle man übrigens ernstlich die Entfernung der türki¬ schen Truppen aus der Sutorina bewirken, so möge man ihnen einfach den Verkehr über Castelnuovo einstellen, dann müßten sie schon wegen Mangel an Lebensmitteln abziehen. Reichskanzler Graf Beust: Dies würde gerade den Kon¬ flikt mit der Pforte herbeifuhren, den man vermeiden will. Hofrat Freiherr v. de Pont: Das sei eine feststehende Re¬ gel, und es müsse auf die Einhaltung gedrungen werden, daß die Gewässer von Kiek und Sutorina als mare clausum respektiert werden, die Seever¬ bindung auf diesen Punkten sei nicht erlaubt, und sei der Status quo in dieser Beziehung im Jahre 1853 neuerdings normiert worden.14 Nur manchmal hätten wir aus Gefälligkeit wie z. B. zur Zeit des Aufstandes in der Herzegowina den Türken die Landung bei Kiek (bei Sutorina nie) und auch dann nur gegen jedesmalige schriftliche Konstatierung der Ausnahme zuge¬ standen. Luka Vukalovic (Vukalovich) (1823-1873). Eine Führungspersönlichkeit des Aufstandes in der Herzegowina (1861), unversöhnlich gegenüber den Friedensangeboten der Tür¬ ken. Über die Regelung der Verhältnisse von Kiek und Sutorina: EkmeCiC, Mit o revoluciji austrijska politika prema Bosni, Hercegovini i Cmoj Gori za vrijeme krimskog rata 1853-1856 godine 110. <pb/>Nr. 65 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 25. 5. 1870 375 Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn: Daß die Stellung der Türkei in der Sutorina die Bevölkerung beunruhige, müsse der türkischen Regierung ebenso bedenklich erscheinen als uns. Dies sei ein Motiv, welches sich gegenüber Ali Pascha gewiß mit Aussicht auf Erfolg geltend machen lasse, und wenn man auch aus der Truppenverlegung nach der Sutorina nicht einen casus belli zu machen imstande oder willens sei, so lasse sich bei den freundnachbarlichen Beziehungen zu der Türkei doch immerhin das Verlangen nach Beendigung eines Zustandes rechtfertigen, welcher uns nötigt, zur Abhaltung der Bevölkerung von Konflikten mit den türkischen Truppen die eigenen Truppen auf den Beinen halten zu müssen. Von seinem Standpunkte als Kriegsminister müsse er auch noch speziell betonen, wie unter allen Umständen eine militärische Position des Nach¬ barn in der Nähe unserer Grenze nicht zu wünschen sei. Reichskanzler Graf Beust: Es solle also festgehalten und in dem Sinne vorgegangen werden, daß man sowohl in Konstantinopel die Beobachtung nachbarlicher Rücksichten, die uns vor Verlegenheiten bewahren, verlange, als auch im Inlande die Bevölkerung darüber belehre, daß der Türkei die Ansammlung von Truppen auf dem eigenen Territorium nicht verwehrt werden könne. Im Zusammenhänge mit dieser Frage stehe auch noch die Begutachtung des von Freiherrn v. Rodich in einem Imme¬ dialberichte erstatteten Vorschlags, wie die Sutorina für Österreich akqui¬ riert werden könne. Hofrath Freiherr v. de Pont gab hierauf ein histori¬ sches Expose über die Entstehung des eigentümlichen Zustandes, daß sich bei Kiek und Sutorina zwei so schmale türkische Landstriche durch fremdes Gebiet bis an die See vorschieben konnten, und führte dieselbe auf die Zeit zurück, wo der Freistaat Ragusa, um sich gegen die Republik Venedig zu schützen, die Hilfe der damals mächtigeren Türkei nötig hatte. Zu sei¬ nem eigenen Schutz habe es dieser Freistaat für vorteilhaft gehalten, sich gegen die Landseite mit einem Gürtel türkischen Gebietes zu umgeben, und habe deshalb diese beiden Streifen Landes an die Türkei abgetreten. So sei die Türkei im Besitze von Kiek und Sutorina geblieben, obgleich es an Gelegenheiten zur Abstellung dieses abnormen Besitzverhältnisses nicht gefehlt habe. Österreich sei es ein Leichtes gewesen, bei der Wieder¬ erlangung Dalmatiens nach den französischen Kriegen auch Kiek und Sutorina zu erwerben, es sei aber die Gelegenheit nicht benützt worden. Schon 1814 habe man den Fehler eingesehen, die Erwerbung sei aber trotz wiederholter späterer Versuche nicht gelungen, weil von der Pforte die Bestimmungen des Koran, die jede Gebietsabtretung verbieten, vorge¬ schützt wurden. Im Jahre 1832 sei infolge der Bestrebungen Frankreichs, in Kiek eine befestigte Faktorei zu errichten, wodurch man in Wien sehr alar¬ miert wurde, die Frage neuerlich auf das Tapet gebracht worden. Damals habe man auf das Gelingen gehofft, und es hätten unter Fürst Metternich auch Konferenzen stattgefunden, welche die Entsendung des Grafen <pb/>376 Nr. 65 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 25. 5. 1870 Caboga15 nach der Sutorina zur Folge hatten, allein die Verhandlungen sei¬ en, weil die Türkei nicht sogleich die erwartete Bereitwilligkeit zeigte, in - wie Vortragender glaube - voreiliger Weise abgebrochen worden. Heute stehe die Sache so, daß Freiherr v. Rodich die Einlösung der von österrei¬ chischen Untertanen pachtweise besessenen Gründe in der Sutorina im privatrechtlichen Wege und zu diesem Behufe die Erfolgung von Staatsvor¬ schüssen an die dermaligen Grundholden beantrage, damit man sodann aus den geänderten Grundeigentumsverhältnissen einen Anhalt zur Stellung des Ansinnens auf Abtretung der Sutorina gewinne. Reichsfinanzminister v. Lonyay: Wenn auch un¬ sere Staatsangehörigen die Gründe als Eigentum erwerben, so bleibe die Landesherrlichkeit doch immer der Türkei und werde also an den interna¬ tionalen Verhältnissen nichts geändert. Auf keinen Fall aber dürfe die privatrechtliche Einlösung auffällig durchgeführt werden. FML. v. Rodich: Man erlange aber sogleich den Vorteil, daß den alljährlichen Mißhelligkeiten wegen der Pachtemeuerung, aus welcher so viele Konflikte entstehen, ein Ende gesetzt werde. Unsere Leute seien auf die Gründe in der Sutorina angewiesen und die Bevölkerung von Castelnuovo lebe davon. Übrigens seien die Kosten nicht bedeutend und würden zwischen 21 000 und 24 000 fl. betragen. Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn: Er stimme dem Reichsfinanzminister in der Meinung über die Unzweckmäßig¬ keit der Privatgrundeinlösung bei, da die Türkei auch dann noch Herr der Sutorina bleibe. Was nun gar die Staatsvorschüsse an die Grundholden be¬ treffe, so wisse man, wie schlecht es mit der Rückzahlung solcher Vor¬ schüsse stehe. Reichskanzler Graf Beust: Am besten wäre es, wenn ein Gebietsaustausch in Konstantinopel vorgebracht werden könne, aber da ergebe sich freilich die Frage, was denn unsererseits in Tausch gegeben werde könne. Gegen die Gebietsabtretung werde die Pforte wahrscheinlich auch jetzt auf das Verbot des Koran in ähnlicher zäher Weise hinweisen, wie sie es auch unlängst der gleichen Zumutung bezüglich Candias tat, anderer¬ seits aber sei die Pforte uns freundlich gesinnt, und in dieser Freundschaft verläßlich, es unterliege also keinem Anstande, daß Freiherr v. Prokesch die Sache anknüpfend an die Verhandlungen des Jahres 1832 in Konstantinopel wieder vorbringe. Nachdem schließlich F M L. Freiherr v. Rodich nochmals auf der Herstellung des früheren Status quo durch Abberufung der türkischen Truppen aus der Sutorina mit Hinweis auf die nicht zu vermei¬ denden Alltagsreibungen unserer Bevölkerung mit den Truppen und mit dem Bemerken insistierte, daß er wie sonst um bestimmte Instruktionen für 15 General Bernhard Graf Caboga (1785-1855). <pb/>Nr. 66 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 15. 7. 1870 377 den Fall der Wiederholung der Entwaffnung unserer Leute durch die türki¬ schen Vorposten bitten müsse, bezeichnet Reichskanzler Graf B e u s t die Erwirkung dieser Abberufung allerdings als die Hauptauf¬ gabe des Freiherm v. Prokesch, jedoch mit der Erinnerung, daß man, um zu einer Verständigung zu gelangen, sich mit der Pforte nicht Überwerfen solle, und schloß die Sitzung mit dem Ersuchen an Freiherm v. Rodich, die Grenzbevölkerung im Zaune zu halten, da man auf den guten Willen der Türken rechnen könne. Beust Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Wien, 30. Mai 1870. Franz Joseph. Nr. 66 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 15. Juli 1870 RS. (und RK.) Gegenwärtige: der k. k. Ministerpräsident Graf Potocki (17. 7.), der Reichskriegsminister [FML.] Freiherr v. Kuhn (16. 7.), der Reichsfinanzminister v. Lönyay (18. 7.), der kgl. ung. Minister am Ah. Hoflager Graf Festetics (o. D.), Sektionschef im Ministerium des Äußern Freiherr v. Orczy. Protokollführer: Sektionschef Freiherr v. Konradsheim. Gegenstand: I. Pferde- und Viktualienausfuhrverbot. II. Verhältnisse in Rumänien. III. Be¬ schleunigung des Baues der strategischen wichtigen Eisenbahnen. KZ. 3018-RMRZ. 66 Protokoll des zu Wien am 15. Juli 1870 abgehaltenen Ministerrates für gemeinsame Angelegenheiten unter dem Vorsitze des Reichskanzlers Gra¬ fen Beust. I. Reichskanzler Graf Beust leitete die Besprechung mit einer Skizzierung der gegenwärtigen politischen Lage ein. Im Augen¬ blicke stünden wir ihr zwar noch passiv gegenüber, und positive Maßregeln seien noch nicht geboten, gleichwohl aber sei auch die Kriegsgefahr und die Möglichkeit von Rüstungen nicht ausgeschlossen und es sei daher klug, jetzt schon vorzusorgen, daß wir durch die, neuesten Nachrichten zufolge, in Böhmen und Ungarn massenhaft stattfindenden Einkäufe von Pferden und Vorräten für Rechnung des Auslandes, im Falle des Bedarfes für unsere eigene Armee nicht in Verlegenheit geraten. Die Lage rechtfertige zunächst ein Pferdeausfuhrverbot; dasselbe könne nach keiner Seite hin als aggressi¬ ve Maßregel gedeutet werden und stehe nicht ohne Präzedenz in ähnlichen Fällen da, wie ja, um nur ein Beispiel anzuführen, Preußen im Jahr 1859 die gleiche Maßregel erlassen habe. Die Hauptsache dabei sei, daß es bald er- <pb/>