Nr. 120 Ministerrat, Wien, 26. Dezember 1866 - Retrodigitalisat (PDF)
- ℹ️ anwesend:
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Meyer; VS.Vorsitz Kaiser; BdE.Bestätigung der Einsicht und anw.anwesend (Belcredi), Mailáth, Larisch 29. 12., Komers 29. 12., Wüllerstorf 30. 12., John 31. 12., Haller 31. 12., Kussevich 31. 12.; außerdem anw.anwesend Reitz.
MRZ. 120 – KZ. 3916 –
Protokoll des zu Wien am 26. Dezember 1866 abgehaltenen Ministerrates unter dem Ah. Vorsitze Sr. Majestät des Kaisers.
I. Wehrgesetz
Neues Wehrgesetz und darauf bezügliche kaiserliche Verordnung.
Bei der sorgfältigen Prüfung des Entwurfes eines neuen Wehrgesetzes und der Vollziehungsverordnung, wie diese aus den Beratungen der Ministerkonferenz vom 22. und 23. Dezember hervorgegangen1, haben sich Ihm, geruhte Se. Majestät zu bemerken, einige Anstände ergeben, welche Ihm eine Zurateziehung der hohen Versammlung als wünschenswert erscheinen lassen.
§ 3 des Entwurfes des Wehrgesetzes enthalte im dritten Absatze die Bestimmung, daß die Reservepflicht durch ein besonderes Gesetz geregelt werde. Eine eigene gesetzliche Bestimmung erscheine diesfalls als überflüssig, da im Wehrgesetze selbst hinsichtlich der Reservepflicht beinahe alles Erforderliche gesagt sei und überdies schon gegenwärtig ein Reservestatut bestehe, das lediglich mit Rücksicht auf die neuen Bestimmungen des Wehrgesetzes einer Abänderung zu unterziehen wäre. Es dürfte somit genügen, wenn statt auf ein neues Gesetz lediglich auf das Reservestatut hingewiesen würde. Die Versammlung fühlte die volle Richtigkeit dieser Ah. Anregung und sprach sich einstimmig in diesem Sinne aus.
Bei § 12 stellte Se. Majestät die Anfrage, ob man es nicht vorziehen solle, statt gesetzlich den einzigen Sohn erwerbsunfähiger Eltern militärfrei zu erklären, hievon abzusehen und darauf hinzuweisen, daß ein solcher vor allen andern auf eine Beurlaubung Anspruch machen könne. Auf die Bemerkung des Kriegsministers Freiherrn v. John , daß man nie darauf rechnen könne, solche Söhne zur Armee abzustellen, daß eine Nichtbefreiung somit als rein illusorisch angesehen werden müsse, wurde von Sr. Majestät selbst der gemachten Anregung keine weitere Folge gegeben.
Die meisten Bedenken, fuhr Se. Majestät weiter, haben sich Ihm bei den §§ 23 und 24 des Entwurfes ergeben. Diese Paragraphen seien ein Gemisch aus dem alten und dem neuen Heeresergänzungssysteme. Auf der einen Seite werde ausgesprochen, daß alle Tauglichen der ersten und zweiten Altersklasse dem Heere einzureihen seien, und auf der andern lasse man das alte Ergänzungssystem in Kraft, nach welchem für den Fall des Bedarfes auf alle sechs Altersklassen gegriffen werden könne. So werden für die Bevölkerung alle Nachteile der alten Heeresergänzung mit denjenigen des neuen Wehrgesetzes verbunden, indem die Stellungspflicht, trotzdem alle Tauglichen aus der ersten und zweiten und sogar || S. 375 PDF || der dritten Altersklasse zum Eintritt in das Heer herbeigezogen werden, dennoch wie früher bis nach Überschreitung der sechsten Altersklasse kein Ende nehme. Es sei vorauszusehen, daß eine solche gesetzliche Bestimmung bei der Bevölkerung auf keine gute Aufnahme rechnen könne, welche den Behörden das für die Bevölkerung sehr drückende Recht in die Hand gibt, in dem einen Stellungsbezirke, wo mehr Taugliche, als es nach der Verteilung auf denselben trifft, in den ersten Altersklassen vorhanden sind, alle diese in das Heer einzureihen, in einem anderen Stellungsbezirke aber, wo die ersten Altersklassen den Bedarf nicht decken, zum Zwecke der Deckung auf alle anderen Altersklassen zurückzugreifen. Sodann verlangte Se. Majestät noch Aufschluß darüber, ob denn bei der gesetzlichen Bestimmung, daß alle Tauglichen der ersten Altersklassen in das Heer einzureihen sind, noch die Anordnung einer Losung notwendig sei. Der Kriegsminister Freiherr v. John erteilte hierauf folgende Aufschlüsse: Das Zurückgreifen im Falle des Bedarfes auf alle Altersklassen sei deswegen als notwendig erachtet worden, weil in vielen Kronländern nach einer beständigen Erfahrung der Rekrutierungsbedarf aus den ersten Altersklassen nicht gedeckt werden könne. Er weise diesfalls namentlich auf Galizien hin, wo wegen der späteren Entwicklung der Bevölkerung bei einer großen Zahl der Stellungspflichtigen die Diensttauglichkeit erst später eintrete und wo somit, um den Stellungsbedarf zu decken, das Zurückgreifen auf spätere Altersklassen nicht vermieden werden könne. Freiherr v. John forderte diesfalls den anwesenden Herrn Obersten v. Reitz auf, aus den ihm hierüber zur Verfügung stehenden tabellarischen Übersichten noch weitere Aufschlüsse zu erteilen. Eine Losung unter den Stellungspflichtigen könne nicht vermieden werden; wenn nicht vollständige Willkür Platz greifen solle, sei die Losung das einzige unparteiische Mittel, unter den Stellungspflichtigen diejenigen auszumitteln, welche zum Loco-Stand abgestellt oder in die vierten Bataillone eingereicht werden sollen oder welche bei Deckung des Bedarfes des Loco-Standes beurlaubt werden können. Oberst v. Reitz gab hierauf folgende Nachweise aus den statistischen Tabellen: Laut Volkszählung könne die Zahl der in einem Jahre Geborenen männlichen Geschlechtes und am Leben Bleibenden auf 342.000 veranschlagt werden. Von diesen, die also zur Stellung kommen, seien: ohne Reiselegitimation abwesend 33.000; zur Zeit untauglich 88.000; ganz untauglich 71.000; zur Stellung und Einreichung in das Heer verbleiben somit noch 150.000. Nun ergebe sich aus einer Durchschnittsberechnung der Stellung nach den Altersklassen, daß in den 1403 Stellungsbezirken der Monarchie der Bedarf in 562 Bezirken in der I., in 371 Bezirken in der II., in 182 Bezirken in der III., in 72 Bezirken in der IV., in 209 Bezirken in der V. Altersklasse gedeckt wurde. Diese statistischen Ergebnisse nun seien der wesentliche Grund jener Bestimmung des Gesetzentwurfes, welcher den Behörden im Falle des Bedarfes ein Zurückgreifen auf die anderen Altersklassen erlaubt; für die kommende Rekrutierung sei dieses unerläßlich, da bei den Abgängen im Heere infolge des Krieges für Komplettierung des Armeestandes die Stellung von 250.000 Mann erfordert werde. Die übrigen Mitglieder der Konferenz, in voller Übereinstimmung mit der von Sr. Majestät gemachten Anregung, sprachen sich für die Beschränkung || S. 376 PDF || der Stellungspflicht auf die drei ersten Altersklassen aus. Es wurde hiebei namentlich betont, daß bei dem Umstande, als die meisten Befreiungstitel wegfallen, und sofern die Stellungsbehörden bei der Auswahl der Tauglichen weniger wählerisch als bisher zu Werke gehen, der Armeebedarf ganz gewiß und selbst da, wo die Bevölkerung in ihrer Entwicklung vor [sic!] anderen zurückbleibt, aus den drei ersten Altersklassen gedeckt werden könne. Die allgemeine Wehrpflicht, welche das neue Gesetz ausspreche, lade ohnehin schon eine schwere Last auf die Schultern der Bevölkerung, die um so drückender werde gefühlt werden, wenn man sie durch alle sechs Altersklassen fortdauern lasse; es sei Gebot der Politik, sie nur auf das Notwendige zu beschränken und Erleichterung eintreten zu lassen, wo immer diese als zweckmäßig angesehen werden könne. Da auch von Seite des Kriegsministers keine ernstliche Einwendung mehr erfolgte, so sprach Se. Majestät Allerhöchstihren Willen dahin aus: „daß im Sinne der gemachten Anregung der Entwurf des Wehrgesetzes nebst dem Verordnungsentwurfe vom Kriegsministerium sofort einer Revision unterzogen werden solle“.
Se. Majestät brachte im Zusammenhange mit dieser Revision noch folgende drei Punkte in Anregung: Se. Majestät sprach Allerhöchstihren Willen dahin aus, daß in dem Verordnungsentwurfe ausdrücklich erwähnt werde, bei Tirol und Triest habe es bezüglich der Zahl der Rekruten bei den bisherigen Bestimmungen, bei Cattaro mit Festland und Ragusa bei der bisherigen Befreiung zu bleiben2. Ferner verordnete Se. Majestät, daß seinerzeit bei Durchführung des allgemeinen Wehraufgebotes in den diesfalls zu erlassenden Bestimmungen die Wahl der Hauptleute nicht auf den Moment des Aufgebots, sondern schon früher angeordnet werde. Endlich stellte Se. Majestät die Anfrage, ob bezüglich der Ausübung des Wahlrechtes der Armeeurlauber in den Verordnungsentwurf nicht eine Bestimmung aufgenommen werden sollte. Der ungarische Hofkanzler und mit ihm der Staatsminister und die übrigen Konferenzmitglieder sprachen sich gegen die Aufnahme einer Bestimmung aus. Es lasse sich zwar nicht verkennen, daß bei der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht, bei der Beschränkung des Loco-Standes der Armee und der großen Zahl der Urlauber diese letzteren des Wahlrechtes doch nicht beraubt werden können; allein nach den Bestimmungen der Gemeindewahlordnungen stehe den Militärurlaubern dieses Recht nicht zu. Diesen Konflikt jetzt schon zu lösen scheine aber nicht angezeigt. Ungarn, bemerkte hiebei der ungarische Hofkanzler , mache diesfalls eine Ausnahme, indem nach den 48er Gesetzen dem Militär das politische Wahlrecht nicht bestritten werden könne. Se. Majestät erklärte Allerhöchstsich hierauf damit einverstanden, daß über diesen Gegenstand vorderhand in dem Verordnungsentwurfe Stillschweigen beobachtet werde.
Wien, 12. Jänner 1867. Franz Joseph.