Nr. 89 Ministerrat, Wien, 21. Juli 1866 - Retrodigitalisat (PDF)
- ℹ️ anwesend:
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Hueber; VS.Vorsitz Belcredi; BdE.Bestätigung der Einsicht und anw.anwesend (Belcredi 21. 7.), Franck, Mailáth 12. 8., Larisch 13. 8., Komers 13. 8., Wüllerstorf; abw.abwesend Mensdorff, Esterházy.
MRZ. 89 – KZ. 2127 –
Protokoll des zu Wien am 21. Juli 1866 abgehaltenen Ministerrates unter dem Vorsitze Sr. Exzellenz des Herrn Staatsministers Grafen Belcredi.
I. Friedenspräliminarverhandlungen
Der vorsitzende Staatsminister setzte die Konferenz in Kenntnis, daß jetzt erst ernstliche Verhandlungen über die Friedenspräliminarien beginnen werden. Bis jetzt haben nur Pourparlers zwischen dem französischen Botschafter und dem Minister des Äußern Grafen Mensdorff stattgefunden. Als nach der Schlacht bei Königgrätz Venetien an den Kaiser Napoleon abgetreten worden sei, habe sich dieser zuerst als Freund Österreichs gezeigt und nicht nur die bewaffnete Mediation Frankreichs, sondern sogar dessen bewaffnete Intervention zugesagt1. Nach zwei Tagen habe er jedoch schon einen Umschwung in seinen Absichten eintreten lassen und die Anfrage gestellt, ob Österreich bereit sei, aus dem Deutschen Bunde auszutreten2. Unsererseits sei die Antwort erfolgt, daß man nicht gewillt sei, Einzelheiten sich abringen zu lassen, und daß die Friedenspräliminarien im ganzen verhandelt werden müßten3. Duc de Gramont habe dann einen Entwurf der französischerseits proponierten Friedenspräliminarien vorgelegt, und Benedetti sei zur Unterhandlung anher gesendet worden4. Heute sei die Nachricht eingelangt, daß der preußische Gesandte in Paris, Goltz, die Erklärung abgegeben habe, daß die preußische Regierung formell die Bedingungen Napoleons annehme5.
Diese Bedingungen bestehen darin: 1. daß Österreich aus dem Deutschen Bunde austrete, 2. daß die norddeutschen Staaten bis zum Main herab in eine Konföderation || S. 170 PDF || treten und die Hegemonie in diplomatischer und militärischer Beziehung in dieser Konföderation Preußen zustehen soll, welches sich durch die Annexion von Hessen-Kassel und einiger Gebietsteile Hannovers arrondieren wird. 3. Die südlichen Staaten Deutschlands sollen untereinander in ein Bundesverhältnis treten, welchem eine gewisse Neutralität und Unabhängigkeit garantiert wird. Von einer Gebietsabtretung Österreichs an Preußen sei in den französischerseits proponierten Präliminarien keine Rede, es werde vielmehr darin der gesamte österreichische Länderbesitz mit Ausnahme Venetiens garantiert. Der König von Preußen und dessen Minister Graf Bismarck sollen jedoch nach so großen preußischen Siegen noch mehr anstreben wollen, und zwar nicht nur die Annexion von Hessen-Kassel und einiger Gebietsteile Hannovers, sondern auch jene von Sachsen und eine teilweise Kriegsentschädigung von Seite Österreichs und der zu demselben haltenden deutschen Staaten. Das alles sei übrigens derzeit bloß Erzählung des Duc de Gramont; formell haben die Preußen, wie erwähnt, die französischen Bedingungen angenommen. Von preußischer Seite wisse man gar nichts, auf welche Bedingungen sie sich einlassen wollen, dieselben werden erst bei den künftigen Friedensverhandlungen zur Sprache kommen. Gegenüber von Sachsen sei aber Österreich zu den größten Rücksichten verpflichtet, und Sachsen lege das größte Gewicht darauf, künftig zu dem südlichen Staatenbunde zu gehören. Da in der gegenwärtigen Lage die französischen Bedingungen ziemlich günstig seien, habe Sich Se. Majestät entschlossen, morgen den Grafen Károlyi in Begleitung des Barons Brenner und des FZM. Grafen Degenfeld zur direkten Verhandlung in das preußische Hauptquartier zu senden. Diese Abgesandten haben die Weisungen erhalten, nur auf Grundlage der französischen Bedingungen über den Frieden zu unterhandeln und bei weitergehenden Anforderungen sich jedesmal Instruktion hier einzuholen, zu deren schnellerer Vermittlung eine Reihe von Offizieren als Kuriere aufgestellt werden wird. Graf Károlyi meine, daß es ihm, wenn er direkt mit Bismarck verhandle, gelingen werde, Friedenspräliminarien auf Grundlage der französischen Propositionen zum Abschlusse zu bringen, da Preußen hiebei große Vorteile in Deutschland erreiche.
Der Kriegsminister erachtete, daß, wenn diese Präliminarien stipuliert werden, zugleich auf den Abschluß eines Waffenstillstandes, jedoch eines solchen vorgedacht werden müsse, daß unsere militärischen Bewegungen dadurch nicht gehindert werden. Die Preußen seien nämlich jetzt nicht so gut daran, der Donauübergang sei kein leichtes Stück, das zweite Armeekorps werde morgen oder übermorgen in Preßburg mit der hiesigen Armee sich vereinigen, im preußischen Heere beginne bereits der Auftritt der Cholera, und die Operation des böhmischen Landsturmes im Rücken der preußischen Armeen könne ihnen viel zu schaffen machen. Die höchsten Rücksichten des Ehrgefühles erheischen es übrigens auch, daß Österreich bei dem Abschlusse der Friedenspräliminarien seine treuesten Waffengefährten, die Sachsen, im Auge behalte. Was die Bedingung wegen des Austrittes aus dem Deutschen Bunde betrifft, so soll man deshalb die Unterhandlungen nicht scheitern lassen, die öffentliche Stimme, die sich durch die Presse kundgebe, frage wenig danach und habe sich mit diesem Gedanken || S. 171 PDF || schon vertraut gemacht. Der Justizminister teilte die letztere Ansicht mit dem Beifügen, daß für den Deutschen Bund, der sich überlebt habe, kein Mensch begeistert sei, wie denn auch Österreich weder in den Jahren 1848, 1859 noch jetzt einen Vorteil aus diesem Bundesverhältnisse für sich habe ableiten können. Graf Belcredi meinte, daß bei den Friedenspräliminarien auch auf die Bestimmung eines nahen Zeitpunktes der Räumung unserer vom Feinde okkupierten Länder werde Rücksicht genommen werden müssen, weil sonst diese Länder für lange Zeit werden ausgesaugt sein. Nachdem der Justizminister noch den Gedanken näher ausgeführt hatte, daß nach einem glücklich geführten Kriege, derart, daß die österreichische Armee jetzt vor Berlin stünde wie jetzt die preußische vor Wien, die Konstellation im Lande mit allen Landtagen, dem ungarischen Landtage, dem Reichsrate und einem deutschen Landtage, eine nicht zu überwindende sein würde, erachtete Graf Belcredi, den Konferenzmitgliedern die strengste Geheimhaltung seiner Mitteilungen mit Rücksicht auf das dermal noch ganz vage Resultat der eingeleiteten Negoziationen ausdrücklich empfehlen zu sollen.
II. Neubesetzung des Statthalterpostens in Galizien
Graf Belcredi eröffnete der Konferenz weiters, daß der physische Zustand des Statthalters von Galizien, des FML. Freiherrn v. Paumgartten, ein solcher sei, daß er zwischen Leben und Tod schwebe; er leide an der Herzbeutelwassersucht, infolgedessen an den höchsten Atembeschwerden, er gehe zwar ins Büro, von einer Amtierung seinerseits könne keine Rede mehr sein. Er wolle zwar gerne bereit sein, alle möglichen Rücksichten für ihn zu tragen, in dieser ernsten Zeit sei jedoch ein tatkräftiger Mann auf diesem wichtigen Posten notwendig. Ein General sei derzeit für den Statthalterposten in Galizien nicht mehr möglich, hiefür sei ein Mann notwendig, der das allgemeine Vertrauen im Lande besitze, der mit der Kenntnis der Administration auch jene der Landesverhältnisse verbinde und dem auch die Fähigkeit innewohne, die Regierung im Landtage zu vertreten. In Galizien sei auch die Bürokratie ein wichtiges Element, und der Statthalter müsse sich auch mit diesem zu benehmen wissen. Er habe unter allen Personen, die für diesen Posten Sr. Majestät gegenwärtig gehalten werden könnten, eine reifliche Sichtung vorgenommen, aber keinen geeigneteren gefunden als den Grafen Agenor Gołuchowsky. Er sei sich vollkommen bewußt, daß durch dessen Ernennung er sich einen großen Lärm in der hiesigen Presse hervorrufen werde. Gołuchowsky sei durch seine Landesordnungen hier keineswegs eine beliebte Persönlichkeit, dieselben seien jedoch nur ein Ausfluß des Oktoberdiplomes gewesen. Er habe unter Gołuchowsky gedient, als letzterer Staatsminister war, und wisse, daß derselbe gegen seine Beamten ein Tyrann sei. Derselbe sei jedoch vis-à-vis dem Kaiser und der Monarchie stets im höchsten Grade loyal gewesen. Sein Bruder habe sich ungemein kompromittiert, dennoch habe er nicht im entferntesten einen Schritt tun wollen, um eine günstigere Behandlung desselben zu erzielen. Agenor Graf Gołuchowsky sei zudem der einzige, dessen Name im Lande einen Klang habe, Beweis dessen, daß er in vier oder fünf Bezirken in den galizischen Landtag gewählt worden sei, sowie er auch unter den Beamten dortlandes der einzige sei, der imstande ist, für den Statthalterposten || S. 172 PDF || zu entsprechen. Bei den Ruthenen sei er zwar nicht beliebt gewesen, er habe dieselben jedoch durch seinen sehr geschickten Antrag bezüglich der Sprachenfrage im letzten Landtage beschwichtigt. Aus der modernen Schule könnte, da Dr. Smolka im Lande keine Sympathien mehr besitze und auf den Fortschrittsmann Dr. Zyblikiewicz die Ah. Wahl doch nicht geleitet werden könnte, nur Graf Adam Potocki in Frage kommen. Derselbe, früher ein Hauptopponent der Regierung, werde jetzt von der Emigration verfolgt und habe sich bei den letzten Werbungen sehr im Regierungsinteresse benommen; er verstehe jedoch von der Administration gar nichts und sei deshalb für den fraglichen Posten nicht brauchbar. Nach seinem besten Wissen und Gewissen glaube daher Graf Belcredi, für den Statthalterposten in Galizien nur den Grafen Agenor Gołuchowsky Sr. Majestät in Vorschlag bringen zu können.
Der Kriegsminister und der Handelsminister wollten diesem Vorschlage zwar nicht entgegentreten, obwohl sie nicht verschweigen zu sollen glaubten, daß diese Wahl hier sehr mißliebig werde aufgenommen werden. Baron Wüllerstorf meinte übrigens, daß die Zeitverhältnisse es bedingen, den Ausschreitungen der Presse über Regierungsmaßregeln jetzt einen angemessenen Zaum anzulegen. Auch die übrigen Konferenzmitglieder waren mit dem Vorhaben des Grafen Belcredi einverstanden, und es betonte insbesondere der Justizminister , daß er während seines dreijährigen dienstlichen Aufenthaltes in Galizien keinen Namen nennen gehört habe, der einen allgemeineren Anklang genossen habe als jener des Grafen Agenor Gołuchowsky6.
Die nachträglich abgegebenen Äußerungen der Minister und Grafen Mensdorff und Esterházy liegen (Beilage) beia .
Beilage zum Ministerratsprotokoll Z. 89 vom Jahre 1866.
Nachträgliche Äußerung des Ministers des Äußern Grafen Mensdorff-Pouilly zum Ministerratsprotokolle vom 21. Juli 1866, MRZ. 89/II, betreffend den Vorschlag zur Ernennung eines neuen Statthalters in Galizien.
Graf Mensdorff fände es vor allem wünschenswert, wenn die Wahl auf eine Person geleitet werden könnte, die die für diesen Posten erforderlichen Eigenschaften besäße, aber nicht ein galizischer Eingeborener wäre. Er traue nämlich keinem Polen unbedingt, mehr oder weniger werde jeder von Losreißungsgelüsten getrieben. Die guten Eigenschaften des Grafen Agenor Gołuchowsky, die Graf Belcredi und der Justizminister hervorgehoben haben, erkenne auch er an, so, wie er auch, aber nur aus dem Grunde, weil ihm eine mehr geeignete Persönlichkeit nicht bekannt sei, dem Vorhaben des Staatsministers, den Grafen Gołuchowsky für den Statthalterposten in Galizien Sr. Majestät au. gegenwärtig halten zu wollen, nicht entgegentrete. Unerwähnt könne er es übrigens nich lassen, daß Graf Gołuchowsky die Ruthenen und die Juden, mithin einen großen Teil || S. 173 PDF || der Bevölkerung im Lande, und gerade jenen, der der Regierung am getreuesten anhänge, gegen sich habe.
Er könne es auch nicht verschweigen, daß Graf Gołuchowsky sehr hart gegen die Beamten sei, von denen er den unbedingtesten Servilismus fordere, er habe die Schwäche, nur Leute, die vor ihm kriechen, zu protegieren, eine unabhängige Äußerung von Seite eines Beamten vertrage er nicht. Gegen die Wahl des Adam Grafen Potocki müßte sich Graf Mensdorff auf das entschiedenste aussprechen, weil derselbe politisch ganz unverläßlich sei.
Der Minister Graf Esterházy – nachträglich von dem Ergebnisse der bezüglichen Ministerberatung in Kenntnis gesetzt – schließt sich in allem den Betrachtungen und Bedenken des Grafen Mensdorff entschieden an, er schließt die Wahl des Grafen Potocki nachdrücklichst aus und stimmt bei der großen Schwierigkeit, im gegenwärtigen bedrängten Augenblicke eine geeignetere Persönlichkeit nichtpolnischer Nationalität aufzufinden, schließlich subsidiarisch mit dem Grafen Mensdorff für die Wahl des Grafen Agenor Gołuchowsky, ohne übrigens die großen Schattenseiten dieser Wahl zu verkennen.
III. Bewachung des Strafhauses in Garsten
Der Justizminister machte mit Rücksicht auf eine im Strafhause zu Garsten unter den Sträflingen stattgefundene Verabredung zum gewaltsamen Ausbruche auf die Notwendigkeit einer Bewachung dieses Strafhauses, in welchem 800 Sträflinge verwahrt werden, aufmerksam.
Graf Belcredi bemerkte, daß nebst der Prager jetzt auch die Brünner Polizeiwache nach Wien gezogen worden sei und daß er von der Brünner Polizeiwache 40 bis 50 Mann dem Justizminister gegen Übernahme der Kosten zur Verfügung stellen und selbe nach Garsten dirigieren werde.
IV. Ausgabenerfordernisse für Venetien
Die Anfrage des Justizministers , was es mit dem jetzigen Monatserfordernisaufsatze für Venetien für eine Bewandtnis habe und ob er noch Geld für die Gerichte in Venetien anweisen könne, führte nach der Meinung des vorsitzenden Staatsministers zum einstimmigen Beschlusse: die benötigten Gelder seien anzuweisen, Geld jedoch nicht hineinzuschicken.
Wien, 21. Juli 1866. Belcredi.
Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen.Wien, 2. September 1866. Franz Joseph.