Nr. 58 Ministerrat, Wien, 9. April 1866 - Retrodigitalisat (PDF)
- ℹ️ anwesend:
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Meyer; VS.Vorsitz Kaiser; BdE.Bestätigung der Einsicht und anw.anwesend (Belcredi 9. 4.), Mensdorff 15. 4., Esterházy 15. 4., Franck, Mailáth 15. 4., Larisch 15. 4., Komers 16. 4., Wüllerstorf 17. 4.
MRZ. 58 – KZ. 1482 –
Protokoll des zu Wien am 9. April 1866 abgehaltenen Ministerrates unter dem Ah. Vorsitze Sr. Majestät des Kaisers.
I. Instruktion über die Regelung der staatsrechtlichen Verhältnisse Ungarns zur Gesamtmonarchie
Instruktion an die ungarischen Regierungsorgane über Regelung der staatsrechtlichen Verhältnisse des Königreiches Ungarn zur Gesamtmonarchie.
Die Beratungen des ungarischen Landtages, bemerkte Se. Majestät , seien auf einem Punkte angelangt, wo für die Regierung der Zeitpunkt gekommen sein dürfte, aus ihrer bisherigen abwartenden Stellung herauszutreten und denjenigen Organen, welche die Ansichten der Regierung im Landtage zu vertreten berufen sind, ihr Programm über die Regelung der staatsrechtlichen Verhältnisse der zur Krone des Hl. Stefan gehörigen Länder zur Gesamtmonarchie als Richtschnur ihres Verhaltens mitzuteilen. Nachdem die Ablehnung des Oktoberdiploms und der Februarverfassung, welche mit dem Eröffnungsreskripte dem Landtage zur Annahme vorgelegt worden waren, als eine erwartete, zweifellose Tatsache angesehen werden könne und im Landtage über das künftige staatsrechtliche Verhältnis Ungarns zur Gesamtmonarchie kommissionelle Vorberatungen gepflogen werden, könne die Mitteilung eines solchen Programms nicht mehr länger verschoben werden, weil nur dadurch jeder Zweifel über die auf Sicherung der Rechte und Interessen aller Teile der Monarchie gerichteten Absichten der Regierung zu beheben sei und auch nur darin die Möglichkeit liege, die öffentliche Meinung in dieser Richtung aufzuklären und im Lande eine Partei zu bilden, welche aufrichtig die Regierung in ihrem loyalen Bestreben unterstützt.
Der ungarische Hofkanzler legte hierauf den Entwurf eines solchen Programms vor, welches das Resultat einer gemeinsamen Beratung zwischen ihm, dem Staatsminister Grafen Belcredi, dem Grafen Esterházy und dem Tavernikus Baron Sennyey und dem Vizepräsidenten der Statthalterei v. Bartal war, und es schritt hierauf die Konferenz sofort zur Beratung dieses Entwurfes.
1. Bestimmung der gemeinsamen Angelegenheiten.
Bei Ziffer 3 wurde über Anregung Sr. Majestät statt des Wortes „Friedensetat“ das Wort „Normaletat“ gesetzt. Dann entspann sich eine längere Diskussion über die Frage, ob es bei dem Entwurfe, welcher bloß „die Bestimmung der Dienstzeit“ als gemeinsame Angelegenheit erklärt wissen will, sein Verbleiben haben soll oder ob nicht überhaupt „die Bestimmungen des Heeresergänzungsgesetzes“ als solche zu erklären seien.
Der ungarische Hofkanzler v. Mailáth brachte zur Rechtfertigung des im Entwurfe enthaltenen Vorschlages vor, daß in Ungarn vielfache Vorurteile gegen || S. 11 PDF || das Konskriptionsgesetz1 herrschen, indem die dortige Bevölkerung als eine diensttauglichere sich in mehrfacher Beziehung durch dieses Gesetz benachteiligt glaube. Es lasse sich auch wirklich fragen, ob für die Konskription nicht ein anderer Maßstab möglich sei als derjenige nach Altersklassen und Tauglichkeit, wo leicht der Fall eintrete, daß einzelne Gemeinden nur wenige Rekruten bei einer Rekrutierung zu stellen haben, während andere auf eine außerordentliche Weise in Anspruch genommen werden; ob es denn nicht möglich sei, die Rekrutenstellung nach der Seelenzahl zu bemessen und dann die Verteilung nach Gemeinden vorzunehmen. Se. Majestät gab den bestimmten Willen dahin kund, daß die Heeresergänzung in ihrem ganzen Umfange als eine Reichsangelegenheit angesehen werde. Die Bestimmungen des gegenwärtigen Heeresergänzungsgesetzes haben sich als praktisch erwiesen, und es sei auch auf Grundlage derselben die Heeresergänzung und jeweilige Rekrutierung namentlich in Ungarn ohne Anstand vor sich gegangen. Jeder andere Modus der Heeresergänzung dürfte mit großen Schwierigkeiten und Nachteilen verbunden sein, weil die Tatsache feststehe, daß besonders in Ungarn der Eintritt von Freiwilligen zur Seltenheit gehöre, eine gezwungene Abstellung aber mittelst Initiative der Gemeinden in das Heer eine mehr als bedenkliche Rasse von Menschen hineinbringen würde. aZudem sei es wohl zu bedenken, daß die Bildung von Ergänzungsbezirken eine Notwendigkeit sei, weil die Urlauber in Evidenz gehalten werden müssen, und daß hiefür ein Zusammenwirken der Zivil- und Militärorgane notwendig sei, daß aber eine solche Bildung von Ergänzungsbezirken bei einer Werbung, auf welche am Ende auch die Stellung der Rekruten durch die Gemeinde hinauslaufen würde, sehr erschwert, wenn nicht verunmöglicht würdea .
Statt der Worte „die Bestimmung der Dienstzeit“ wurde daher die Aufnahme des folgenden Passus beliebt: „die Bestimmungen des Heeresergänzungsgesetzes“.
Bei Ziffer 4 wurde folgende Redaktionsänderung angenommen: die Worte „sowohl hinsichtlich des normalen Reichsbudgets als für die Fälle eines außerordentlichen Staatsbedarfes“ wurden in folgende umgeändert: „sowohl für die Fälle eines außerordentlichen Staatsbedarfes als hinsichtlich des normal zu behandelnden Reichsbudgets“.
Bei Ziffer 5 wurde das Wort „gemeinsam“ vor Zollwesen als Pleonasmus gestrichen.
Nach Ziffer 5 kömmt als Ziffer 6 folgende Bestimmung: „Die zur Bestreitung der Reichsauslagen ermittelte Quote ist vor allen Landesauslagen zuerst zu dekken und in die Reichskasse periodisch abzuliefern.“
Gegen die unveränderte Annahme der Ziffer 5 war von dem Handelsminister mehrfache Einsprache erhoben worden. Derselbe machte darauf aufmerksam, daß ihrer Natur nach die Postangelegenheiten als gemeinsame, als Reichsangelegenheit angesehen werden müssen. Eine einheitliche Behandlung derselben sei eine || S. 12 PDF || Notwendigkeit, weil auf derselben alle bestehenden Postverträge beruhen und alle künftigen basiert werden müssen. Man könne wirklich sagen, daß die Postangelegenheiten zu einer Weltangelegenheit geworden seien. Der ungarische Hofkanzler v. Mailáth bemerkte hierauf, daß es sich von selbst verstehe, daß bestehende Postverträge auf ihre Dauer von den autonomen Organen Ungarns so gut wie von den Reichsorganen zu respektieren sein werden und daß bei künftigen Abschlüssen die Notwendigkeit eines einheitlichen Vorgehens sich von selbst herausstellen werde. Gegenüber dem Landtage würde es für die ungarischen Regierungsvertreter sehr schwer werden, die Postangelegenheiten als Reichsangelegenheiten zu verteidigen, weil sie das wirklich vor dem Jahre 1847 nicht waren.
Ferner vermißte der Handelsminister Baron Wüllerstorf in dieser Ziffer 5 unter den gemeinsamen Angelegenheiten die Schiffahrt. Jedes Reich führe seine Flagge, welche auch allein von den anderen Mächten respektiert werde. Die Donau sei ein europäischer Strom, und es sei durchaus unzulässig, daß für Österreich zwei Flaggen auf derselben erscheinen. Der Staatsminister Graf Belcredi machte darauf aufmerksam, daß es ganz unzulässig sei, in dieser Beziehung weiter als das Oktoberdiplom zu gehen, daß dieses nur von „Handelssachen“ als gemeinsamer Angelegenheit spreche und man darunter offenbar nur Handelsverträge mit dem Auslande gemeint habe. Um den Ausgleich zu erzielen, werde man sich manche Konfusion für den Anfang gefallen lassen müssen, welche am Ende denn doch zu der allseitigen Überzeugung führen müsse, daß im allseitigen Interesse gewisse Angelegenheiten nur gemeinsam behandelt werden können.
2. Der gemeinsame Vertretungskörper.
Hier wurde von Sr. Majestät die Anregung gemacht, ob als gemeinsamer Vertretungskörper bfür die diesseitigen Länderb nur ein Haus oder aber zwei Häuser beabsichtigt werden. Graf Belcredi gab hierauf die Aufklärung, daß allerdings für die diesseitigen Länder als Vertretungskörper zwei Häuser beabsichtigt werden, daß jedoch die Wahlen in die gemeinsame Reichsvertretung von den Landtagen auszugehen hätten. Was die Bestimmung der Ziffer 2 betrifft, wornach beide Reichskomplexe eine gleiche Anzahl von Delegierten in die Reichsvertretung zu senden haben, so ging die übereinstimmende Ansicht dahin, daß dieses nur als ein Zugeständnis, keineswegs als ein Regierungsgrundsatz und eine Instruktion aufzufassen sei, nach welcher die ungarischen Regierungsorgane unabänderlich sich zu benehmen haben. Es sei daher auch notwendig, daß über ein solches im äußersten Falle zu machendes Zugeständnis das größte Stillschweigen beobachtet werde.
3. Das Reichsministerium.
In Ziffer 1 ist statt des Wortes „Hofes“ zu setzen „Hauses“.
Bei Ziffer 3, welche die Bestimmung enthält, daß die Verfügungen der Reichsminister in gemeinsamen Angelegenheiten im Wege des ungarischen Hofkanzlers || S. 13 PDF || an die autonomen ungarischen Landesorgane zu erfolgen haben, bemerkte der ungarische Hofkanzler v. Mailáth , daß es notwendig sei, über die Art und Weise der Durchführung dieser Bestimmung mit den betreffenden Zentralstellen Rücksprache zu nehmen und er eine solche sich daher auch vorbehalte.
4. Die ungarische Landesregierung.
Als Leiter der verschiedenen Administrationszweige werden nach dem Entwurfe „Landessekretäre“ aufgestellt. Diese Bezeichnung der Chefs der ungarischen Verwaltung wollte keinen rechten Anklang finden, und man kam überein, daß für diese passender der Name „Unterstaatssekretäre“ gewählt werden dürfte. Der ungarische Hofkanzler v. Mailáth fand beide Bezeichnungen als nicht passend und hätte es seinerseits vorgezogen, sie „Landesminister“ oder „Staatssekretäre“ zu nennen.
Bei Ziffer 4 über Versetzung der Chefs der autonomen Landesverwaltung in [den] Anklagestand brachte Se. Majestät die Frage zur Sprache, ob diese Ziffer nicht ganz weggelassen werden sollte. Graf Belcredi erklärte, daß diese ganze Ziffer nicht nach seinem Geschmacke laute. In dem Rechte der Anklage, welche dort dem Landtage eingeräumt werde, liege deswegen eine Gefahr, weil eine solche Anklage in den Augen der Menge schon wie eine Verurteilung laute und dadurch wirklich auf das Gericht eine Pression ausgeübt werde. Er habe ursprünglich die Idee gehabt, dem Landtage nur das Recht einzuräumen, dem Gerichtshofe, mag er ein besonderer oder der oberste des Landes sein, die Akten, auf welche hin nach seiner Ansicht eine Anklage erhoben werden könne, mitzuteilen, dem es sodann überlassen bliebe, das Amt zu handeln. Allein, die ungarischen Herren wollten auf diese Idee nicht eingehen und beharrten bei dem vorliegenden Antrage. Der Justizminister Ritter v. Komers erblickte einigen Schutz gegen dieses allerdings gefährliche Recht der Versetzung in den Anklagestand durch den Landtag in dem Umstande, daß eine solche Versetzung nur wegen beabsichtigter Gesetzesverletzung erfolgen könne. Graf Esterházy erhob zwar keine direkte Einsprache gegen den Antrag, glaubte aber doch die Bemerkung nicht unterdrücken zu sollen, daß diese Art von Verantwortlichkeit, wie sie in dem Entwurfe enthalten sei, nach zwei und drei Seiten hin ein Muster von Exemplifikation biete.
In Ziffer 9 wurde das Wort „Alimentation“ gestrichen.
Alle übrigen Teile des Entwurfes, worüber hier keine Bemerkungen enthalten sind, wurden unverändert angenommen und die Instruktion an die ungarischen Regierungsorgane lautet demnach wie folgt (Beilagec ).
Wien, am 9. April 1866. Belcredi.
Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen.Wien, 29. April 1866. Franz Joseph.