Nr. 476 Ministerrat, Wien, 31. Mai 1864 - Retrodigitalisat (PDF)
- ℹ️ anwesend:
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Ransonnet; VS.Vorsitz Erzherzog Rainer; BdE.Bestätigung der Einsicht und anw.anwesend (Erzherzog Rainer 3. 6.), Rechberg (nur bei I anw.anwesend), Nádasdy, Schmerling, Lasser, Plener (nur bei I anw.anwesend), Lichtenfels, Burger, Hein, Franck, Zichy, Mažuranić (nur bei I und II anw); außerdem anw.anwesend Privitzer, Reichenstein (nur bei I und II anw.anwesend); abw.abwesend Mecséry, Esterházy; BdR.Bestätigung des Rückempfangs Erzherzog Rainer 12. 5. 1865.
MRZ. 1280 – KZ. 3954 –
Protokoll des zu Wien am 31. Mai 1864 abgehaltenen Ministerrates unter dem Vorsitze Sr. k. k. Hoheit des durchlauchtigsten Herrn Erzherzogs Rainer.
I. Grundzüge einer neuen provisorischen Gerichtsorganisation für Ungarn
Der Präsident des Staatsrates referierte über den Vortrag des ungarischen Hofkanzlers vom 21. Mai 1864 betreffend die Grundzüge der in Ungarn neu einzuführenden provisorischen Gerichtsorganisation1. Nach Vorausschickung einer Darstellung der Anträge des Hofkanzlers und der dafür geltend gemachten Motive wendete sich der Präsident des Staatsrates zur Erörterung der staatsrätlichen Anträge, welche in mehreren Punkten von jenen des ungarischen Hofkanzlers abweichen und eine weitergehende Verbesserung des dermaligen trostlosen Zustandes der Justizpflege in Ungarn bezwecken.
Infolge der von dem vorsitzenden durchlauchtigsten Herrn Erzherzoge ergangenen Aufforderung, die Frage zuerst vom allgemeinen, prinzipiellen Standpunkte aus zu besprechen, ergriff der ungarische Hofkanzler das Wort und äußerte, nach seiner und des zweiten Kanzlers v. Privitzer Ah. Berufung auf ihre gegenwärtigen Posten2 hätten sie sich die Frage gestellt, auf welchem Felde sie zunächst ihre größte Tätigkeit zur Verbesserung der dermaligen bedauerlichen Zustände konzentrieren sollten. Von manchen Seiten wird nämlich die Begleichung der staatsrechtlichen Verhältnisse Ungarns, von anderer die Verbesserung der Administration, von dritter Seite endlich die Regulierung des Justizwesens als das dringendste bezeichnet. Nach reifster Erwägung aller Verhältnisse seien die beiden Kanzler zur Überzeugung gelangt, daß es verfrüht wäre, jetzt schon die Begleichung der staatsrechtlichen Stellung oder die politische Verwaltung in Angriff zu nehmen, und daß dieses vielmehr bezüglich der Justizpflege an der Zeit ist, wo die Übelstände eine beinah unerträglich gewordene Höhe erreicht haben und die öffentliche Stimme dies- und jenseits der Leitha dringend Abhilfe begehrt3. Graf Zichy habe es für nötig erachtet, sich bei seinen dermaligen Verbesserungsvorschlägen || S. 13 PDF || innerhalb gewisser Grenzen zu halten, weil die öffentliche Meinung in Ungarn für eine – allerdings sehr wünschenswerte – radikale Umgestaltung des ganzen Justizwesens im Sinn der Gesetzgebung in den deutsch-slawischen Ländern noch nicht reif ist, weil ferner eine solche Um[ge]staltung sehr viele persönliche Interessen verletzen und daher eine nicht zu unterschätzende Verstimmung hervorrufen würde und weil endlich die Mehrzahl der Ungarn mit einer gewissen Pietät an dem uralten Institut der Tabula regia hängt, sodaß es rätlich erscheine, die königliche Tafel wenigstens dem Namen und den äußeren Umrissen nach fortbestehen zu lassen4. Vom rein juridischen Standpunkt könnte der ungarische Hofkanzler die soeben vernommenen Anträge des Staatsrates nur als vollkommen plausibel anerkennen. Aber die schwierigen politischen Verhältnisse machen es rätlich, jetzt noch nicht nach dem absolut Besten, sondern bloß nach jenem Guten zu streben, das ohne Gefährdung höherer Zwecke schon dermal erreicht werden kann. Gewisse Vorurteile muß man mit schonender Hand berühren. Graf Zichy bitte daher, die heikle Stellung eines ungarischen Hofkanzlers den vielen ererbten Übelständen gegenüber berücksichtigen und die in seinen Anträgen eingehaltenen Grenzen der provisorischen Justizreformen nicht überschreiten zu wollen. Der Staatsratspräsident bedauerte, daß sich der ungarische Hofkanzler durch zu weit getriebene Rücksichten auf Pietät abhalten lasse, die Verbesserungen des Justizwesens in einem ausgedehnteren Maße zu beantragen. Seine vorliegenden Anträge seien nur eine halbe Maßregel, welche keine Partei befriedigen könne. Diejenige Partei in Ungarn, welche gegen jede Oktroyierung agitiert, werde gegen die Maßregeln des Hofkanzlers nicht minder agitieren als gegen die ausgedehnteren des Staatsrates. Die Umtriebe und das absichtliche Lärmen darüber werden immer die gleichen sein. Die einsichtsvollere Partei aber, welche wirklich etwas Vernünftiges will, kann durch Maßregeln nicht befriedigt sein, bei welchen doch ein gehöriger Gang der Justizpflege unmöglich ist und welche wieder in kurzem einem anderen Organismus platzmachen müßten. Der Staatsrat habe keine andern, weitergehenden Anträge gestellt, als deren Notwendigkeit jedermann auf das evidenteste einleuchten muß und welche mit politischen Bedenken gar nichts zu tun haben. Baron Lichtenfels müsse daher auf denselben beharren. Auf die Pietät für alte Formen habe auch der Staatsrat Rücksicht genommen, denn nach seinen Anträgen soll – ebenso wie nach jenen des Hofkanzlers – die königliche Tafel fortbestehen; nur die unhaltbar gewordene Einrichtung ihrer Gerichtsbarkeit soll beseitigt werden.
|| S. 14 PDF || Die Spezialberatung über den fraglichen Gegenstand bezog sich auf die nachfolgenden, vom Staatsrate gestellten Amendements.
Zu Artikel 2 lit. b der vom ungarischen Hofkanzler (Bogen 11 ff. seines au. Vortrages) beantragten Grundzüge hatte der Staatsrat die Bestimmung beantragt, der Wirkungskreis der Richter in den Freistädten sei bei den minder bedeutenden Städten auf größere Bezirke auszudehnen oder es seien solche Städte der Jurisdiktion von Stuhlrichtern zuzuweisen. Gegen diesen Antrag wurde weder von dem ungarischen Kanzler noch von anderer Seite eine Erinnerung erhoben.
Ebenso wurde dem staatsrätlichen Antrage zu 2 lit. b wegen Aufnahme der Urbarialprozesse in die Kompetenz der königlichen Gerichtshöfe allseitig beigestimmt.
Zu 2 lit. d beantragte der Staatsrat, daß auch die nichtstreitigen Fideikommißangelegenheiten, welche nach dem Antrage des Hofkanzlers bei den Distriktualtafeln zu verbleiben hätten, von diesen an die königlichen Gerichtshöfe übertragen würden, da ja die streitige Gerichtsbarkeit in Fideikommißangelegenheiten den königlichen Gerichtshöfen zugewiesen werden soll und die Distrikualtafeln, wenn sie die höhere Disziplinargewalt bezüglich der königlichen Gerichtshöfe üben sollen, nicht selbst als erste Instanzen in Fideikommißangelegenheiten fungieren können. Es wäre dies die einzige Anomalie von dem Grundsatze, daß die Distriktsgerichte als zweite Instanz bestellt werden. Der ungarische Hofkanzler äußerte, er habe sich zur Überweisung der nichtstreitigen Fideikommißangelegenheiten an die Distriktualtafeln hauptsächlich durch die Rücksicht bestimmen lassen, daß die ungarische Gesetzgebung in derlei Sachen minder präzis ist als in den streitigen Fideikommißangelegenheiten und daß es daher besser wäre, wenn die Entscheidung über solche wichtigere und schwierige Sachen einem Gremium höherer Instanz als einem königlichen Gerichtshofe oder einem vielleicht influenzierbaren Einzelrichter übertragen würde. Hiezu kommt noch, daß gerade diese nichtstreitigen Fideikommißsachen den Distriktualtafeln erst vor etwa einem Jahre zugewiesen worden sind und selbe bei dem bevorstehenden Wechsel im Justizwesen der einzige Rest der bisherigen Kompetenz der Distriktualgerichte sein würde. Der Staatsratspräsident entgegnete, daß diese Umstände nicht hinreichend seien, um eine so schreiende Anomalie von den Kompetenzgrundsätzen zu rechtfertigen. Daß die Geschäfte außer Streitsachen bei Fideikommiß weniger an bestimmte Normen gebunden sind als die Prozesse, könne kein Grund sein, diese Geschäfte den Gerichtshöfen erster Instanz zu entziehen. Die Gerichtshöfe erster Instanz befinden sich bei vielen anderen wichtigen Gegenständen der Geschäftsführung außer Streitsachen in der ganz gleichen Lage, ohne daß es deshalb jemandem beifällt, ihnen dieselbe zu entziehen. Hege man nicht zu allen Gerichtshöfen erster Instanz das nötige Vertrauen, so stehe nichts im Wege, bloß die bedeutenderen derselben zu Fideikommißbehörden zu bestellen. Keineswegs aber ließe es sich rechtfertigen, die zweite Instanz deshalb zur ersten zu machen. Die Stimmenmehrheit des Ministerrates trat dieser Meinung bei, während die Minister der Finanzen, der Marine und des Krieges, dann der kroatisch-slawonische Hofkanzler dem Grafen Zichy beitraten. Der Staatsrat hat ferner zu 2 lit. d noch einige, die Trennung der Berggerichtsbarkeit von der Verwaltung des Bergregals bezweckende Anträge gestellt, auf welche jedoch der ungarische Hofkanzler heute nicht eingehen zu wollen erklärte, weil er bezüglich der Ausübung der Berggerichtsbarkeit einen abgesonderten Vortrag an Se. Majestät || S. 15 PDF || au. zu erstatten gedenkt5. Die Bemerkung des Staatsrates zu 2 lit. d (Vortragbogen 12), daß zu den beim königlichen Gerichtshofe in Ofen zu verhandelnden sogenannten privilegierten Verbrechen mit dem Wegfallen der Kompetenz der Militärgerichte auch die Verbrechen des Hochverrats und der Majestätsbeleidigung gehören, wurde vom ungarischen Hofkanzler als vollkommen richtig anerkannt.
Zu 3 und 4 der Grundzüge hat der Staatsrat folgenden Antrag gestellt: „Den Distriktualtafeln ist die Gerichtsbarkeit als zweite Instanz nicht bloß in Straf-, sondern auch in Zivilsachen und zwar mit Einschluß der Wechsel- und Bergrechtssachen zu übertragen. Die königliche Tafel ist zu diesem Ende in Abteilungen zu zerlegen, und neben der in Pest bleibenden Abteilung sind nicht nur die vier bestehenden Distriktualtafeln6 zu solchen Abteilungen zu erheben, sondern es ist noch außerdem für das dem früher zu Temesvár bestandenen Oberlandesgerichte zugewiesene Gebiet eine sechste Abteilung zu errichten, wobei die territorialen Sprengel der fünf übrigen Abteilungen neu zu regeln und, nach Umständen, die Standorte der bisherigen vier Distriktualtafeln zu ändern sein werden.“ Die verschiedenen Punkte, in die das vorstehende staatsrätliche Amendement zerfällt, wurden vom Ministerrate abgesondert diskutiert wie folgt:
a) Die Trennung des allzu großen Sprengels der Distriktualtafel zu Debreczin und die Bestellung einer fünften Distriktualtafel zu Temesvár wurde vom ungarischen Hofkanzler als zweckmäßig anerkannt und angenommen.
b) Die Zerlegung der königlichen Tafel in sechs Abteilungen wurde vom ungarischen Hofkanzler als zu weitgehend mit Beziehung auf sein über die allgemeine Frage abgegebenes Votum abgelehnt.
c) Der ungarische Hofkanzler erklärte sich auch gegen den weiteren Antrag, daß einem ad hoc zusammenzusetzenden Senate der königlichen Tafel in Pest die Straffälle von Buda-Pest und den benachbarten Komitaten zur Entscheidung in zweiter Instanz zugewiesen würden. Der zweite Kanzler v. Privitzer machte im selben Sinne besonders den Umstand geltend, daß, sobald man als Regel aufstellt „die Distriktualtafeln üben die Gerichtsbarkeit über Straffälle in zweiter Instanz“, man nicht sogleich wieder davon die Ausnahme machen müsse, für gewisse Komitate die königliche Tafel als zweite Instanz zu bestimmen. Die letztere bekäme dadurch eine anomale Zwitterstellung. Der Staatsratspräsident bemerkte dagegen, es sei hier von einer Zwitterstellung keine Rede. Vielmehr sei es ein offenbarer Widerspruch, wenn man einerseits bestimme, daß die Distriktualtafeln die Gerichtsbarkeit über die gemeinen Verbrechen als Abteilungen der königlichen Tafel im Namen derselben ausüben sollen, der königlichen Tafel aber diese Gerichtsbarkeit da, wo sie selbst existiert, völlig nehme. Es müsse auch dem Unkundigsten einleuchten, daß es ein Widerspruch wäre, die Strafprozesse aus Pest und den umliegenden Komitaten in zweiter Instanz an die entfernte Distriktualtafel zu Tyrnau als eine delegierte Abteilung der königlichen Tafel zu weisen, während man die königliche Tafel selbst ganz in der Nähe hat. Eine solche, offenbar fehlerhafte Einrichtung schade nicht nur der Sache, sondern biete den feindseligen Parteien einen willkommenen Anlaß, die neuen Bestimmungen anzufechten. || S. 16 PDF || Minister Ritter v. Hein sieht darin durchaus keine bedenkliche Anomalie, wenn die Delegation der Distriktualgerichte für die Straffälle in zweiter Instanz bezüglich einiger Komitate aus wichtigen Dienstesrücksichten revoziert wird. Ähnliche Ausnahmen seien auch in den deutsch-slawischen Ländern aus Opportunitätsgründen gemacht worden. aEs liege nur in der richtigen Konsequenz des Grundsatzes, „daß die Distriktualtafeln als Abteilungen der königlichen Tafel fungieren“, doch die königliche Tafel nicht der Judikatur über jene nächste Umgebung ihres Sitzes zu entkleiden, wo sie gar nicht nötig hätte, „Abteilungen“ zu exponieren. Es erscheine jedenfalls sonderbarer, vom Hauptgerichtshofe ohne Not an entfernte Abteilungen das zu delegieren, was man selbst von ihm in nächster Nähe besorgen lassen könntea . Mit dem Staatsratspräsidenten stimmten ferner die Minister Graf Nádasdy und Ritter v. Lasser , von welchen der erste den Zeitverlust durch Entsendung der Rekursakten aus der Umgebung von Buda-Pest zu den Distriktualtafeln in Tyrnau und Güns, der letztere aber geltend machte, daß nicht abzusehen sei, welche politische Rücksicht bei dieser beantragten, rein judiziellen Einrichtung im Wege stehen könne. Der ungarische Hofkanzler glaubte seinen mit reifer Erwägung aller Verhältnisse beschlossenen au. Antrag festhalten zu sollen. Der Staatsminister , diesem Antrage beitretend, äußerte, daß es sich unter den dermaligen Verhältnissen in Ungarn noch nicht darum handeln könne, jetzt eine ganz neue und vollständige Justizorganisation zu schaffen. Die Aufgabe besteht vielmehr nur darin, die schreiendsten Übelstände ganz zu beseitigen und an den übrigen, nur zu häufigen Mängeln nach Möglichkeit zu verbessern. Der größere Zeitaufwand für die Aktenentsendung zu den Distriktualtafeln sei hier von gar keinem entscheidenden Gewichte, zumal dieser Zeitaufwand bei den heutigen Kommunikationsmitteln der bei weitem längeren Zeit, welche die Bearbeitung des Prozesses erfordert, gegenüber beinah verschwindet. Mit dem Grafen Zichy stimmten ferner der Minister des Äußern, des Krieges und der Marine, der kroatisch-slawonische Hofkanzler, der Hofvizekanzler Baron Reichenstein und schließlich auch der Finanzminister , welcher bemerkte, daß bezüglich der Kosten nach der einen oder der anderen Modalität kein großer Unterschied sein würde.
Die Majorität entschied sich demnach für die Belassung sämtlicher Strafsachen in zweiter Instanz bei den Distriktualtafeln und für die Bestellung eines fünften solchen Gerichtes in Temesvár.
d) Für die Übertragung der Ziviljustizangelegenheiten in zweiter Instanz an die Distriktualgerichte rücksichtlich die Abteilungen, in welche die königliche Tafel zu zerlegen wäre, machte der Staatsratspräsident geltend, daß, wenn dies nicht geschieht, die Zivilprozesse aus dem ganzen Königreiche an die königliche Tafel in Pest geleitet werden müßten. Dies sei aber fehlerhaft, weil die königliche Tafel bei ihrem unbehilflichen Geschäftsgange schon jetzt massenhafte Rückstände anwachsen läßt. Dies werde aber künftig noch mehr der Fall sein, wenn alle Prozesse, welche von den Stuhlgerichten kommen und die bisher in zweiter Instanz bei den Komitatsgerichtshöfen abgetan wurden, künftig nach dem Vorschlage des Hofkanzlers an die königliche Tafel gelangen müssen. Ferner werden alle Parteien gezwungen, die Rechtshilfe in zweiter || S. 17 PDF || Instanz in Pest zu suchen, während die große Mehrzahl derselben zu den Sitzen der Distriktualtafeln viel näher hätte. Die Einrichtung sei endlich fehlerhaft, weil der vom Hofkanzler selbst angestrebte Zweck, durch die Distriktualtafeln die Disziplinaraufsicht über die ersten Instanzen ausüben zu lassen, vereitelt würde. Denn da die ersten Instanzen den Distriktualtafeln nur in Strafsachen, dagegen in Zivilsachen der königlichen Tafel unterliegen sollten, so wären die Distriktualgerichte nicht in der Lage, die Disziplinaraufsicht über die Gestion der Untergerichte vollständig zu üben.
Obgleich Hofkanzler v. Privitzer die Konsequenz und Opportunität des staatsrätlichen Antrages vollkommen anerkennt und voraussieht, daß es über kurz oder lang zur förmlichen Zerteilung der königlichen Tafel kommen muß, glaubt er doch nicht, daß jetzt schon der Augenblick eingetreten sei, die Ziviljustiz den Distriktualgerichten zuzuweisen. Die öffentliche Meinung muß nämlich erst durch weitere Erfahrungen auf diesem Felde über die dringende Notwendigkeit aufgeklärt werden. Daß den Distriktualgerichten die Übersicht der Gestion bei den königlichen Gerichtshöfen in civilibus schwer fallen werde, ist unverkennbar. Allein durch Bereisungen der Untergerichte läßt sich manches ersetzen, und auf jeden Fall werden die Distriktualgerichte die Disziplinaraufsicht weit eindringlicher üben können als derzeit die ungarische Hofkanzlei, der es, so wie den Obergespänen, dazu beinah an allen Mitteln fehlt. Votant wolle noch auf ein Hindernis aufmerksam machen, die Distriktualtafeln schon jetzt mit der Ziviljustizpflege zu betrauen. Diese Gremien bestehen nämlich größtenteils aus minder qualifizierten Juristen der älteren ungarischen Schule, welche für Behandlung der Straffälle in zweiter Instanz noch geeignet, aber nicht befähigt sind, die oft sehr schwierigen bürgerlichen Rechtsfälle zu entscheiden. Nachdem der erste ungarische Hofkanzler erklärt hatte, daß er bei seinen Reformanträgen dermal aus politischen Gründen eine gewisse Grenze nicht überschreiten könne, äußerte Minister Graf Nádasdy , daß er, in des Hofkanzlers Meinung kompromittierend, seinen Anträgen nicht entgegentreten wolle, aber die Überzeugung habe, die Notwendigkeit weiterer durchgreifender Änderungen werde sich bald herausstellen. Der Staatsminister tritt dem Antrage des Grafen Zichy vollkommen bei, zumal bei Rekursen in bürgerlichen Rechtsangelegenheiten der Zeitverlust durch Aktenversendung noch weniger empfindlich ist als in criminalibus. Daß die Distriktualtafeln, nur aus mittelmäßigen Elementen zusammengesetzt, keine Beruhigung für die Entscheidung schwieriger Prozesse gewähren, sei bekannt. Andererseits ist es ein wahrer Vorteil, wenn das Obergericht durch seinen Standort in Pest dem größten Teil der zum Sollizitieren nur allzu geneigten ungarischen Prozessuanten zu entfernt ist. Der Staatsratspräsident bemerkt, daß die vom Hofkanzler v. Privitzer und vom Staatsminister erhobene Einwendung, es würden sich bei den Distriktualgerichten keine tauglichen Richter finden, darum nicht richtig sei, weil nach den eigenen Anträgen des Hofkanzlers für jene Geschäfte, welche die Distriktstafeln von der königlichen Tafel übernehmen, von der letzteren das erforderliche Personal zu den Distriktualtafeln delegiert werden solle. Die Prozesse würden daher künftig bei den Disktriktualtafeln durch die nämlichen Richter erledigt werden, welche diesselben gegenwärtig bei der königlichen Tafel entscheiden. Die übrigen Stimmen schlossen sich dem ungarischen Hofkanzler an, zumal, wie Minister Ritter v. Lasser bemerkte, der Beschluß des Ministerrates über den Punkt c) bereits die Entscheidung über Punkt d) präjudiziert hat.
|| S. 18 PDF || e) Gegen die vom Staatsrate beantragte Übertragung der Gerichtsbarkeit über Wechselsachen in zweiter Instanz von der königlichen Tafel an die Distriktualtafeln erhob der erste ungarische Hofkanzler das Bedenken, daß bei einer solchen Zerteilung der Judikatur unter fünf Gremien die Gleichförmigkeit der Gerichtspraxis in Wechselsachen, die schon durch die zahlreichen ersten Instanzen sehr leidet, noch mehr beeinträchtigt werden würde. Der Staatsratspräsident bemerkte, wenn der Hofkanzler die Wechselgerichte erster Instanz, mit Ausnahme jenes in Pest, aufhebe, weil es unumgänglich notwendig sei, daß die Parteien in Wechselsachen den Richter in der Nähe haben, so sei es ein offenbarer Widerspruch, das Wechselappellatorium für das ganze Königreich in Pest allein bestehen zu lassen, so daß sich die Parteien in Angelegenheiten, welche die schleunigste Justiz erfordern, aus den weitesten Entfernungen und bei den schlechtesten Kommunikationen in die Hauptstadt wenden müssen. Was die Gleichförmigkeit der Judikatur betrifft, so war über einen Mangel derselben keine Klage, als zur Zeit der österreichischen Gesetzgebung die Gerichtsbarkeit den Oberlandesgerichten zustand, und es müßte bedauerlich sein, wenn sich für nicht mehr als sechs Distriktsgerichte nicht die erforderliche Zahl von Richtern finden sollte, die der Wechselgesetze gehörig kundig sind. Der siebenbürgische Hofvizekanzler stimmte dem Staatsrate bei, allein die Majorität vereinigte sich mit dem ablehnenden Votum des Grafen Zichy.
Zu Artikel 5 der Grundzüge beantragte der Staatsrat folgendes: Die angetragene Zahl der Stimmführer bei der königlichen und bei der Septemviraltafel habe bloß als Regel zu gelten. Für die wichtigsten, speziell zu bezeichnenden Angelegenheiten, insbesondere für Fälle, in welchen die Frage, ob auf Todesstrafe zu erkennen ist, den Gegenstand der Beratung bildet, sei eine größere Anzahl von Stimmführern festzusetzen. Dem Vorsitzenden sei es aber nicht zu überlassen, die Zahl der Stimmführer nach Gutdünken zu vermehren. Diebeiden ungarischen Hofkanzler fanden gegen diesen Antrag nicht nur nichts zu erinnern, sondern sie behielten sich selbst vor, schon jetzt, noch bevor die neuen Einrichtungen ins Leben treten, den Präsidien bestimmte Weisungen über diesen Punkt zur Richtschnur zu erteilen. Gegen den weiteren Antrag des Staatsrates zu Artikel 5, der Judex Curiae sei zu ermächtigen, die den Wechselabteilungen angehörigen Septemvires, falls sie nicht hinlänglich beschäftigt wären, auch in andern Abteilungen als Stimmführer zu verwenden, wurde von Seite des ungarischen Hofkanzlers umso weniger eine Erinnerung erhoben, als der Judex Curiae bereits jetzt in dieser Weise vorgeht.
Mit dem Staatsratsantrage zum Artikel 6, daß die gerichtlichen Beamten nicht nur in bezug auf ihre materielle Versorgung und Qualifikation, sondern auch in bezug auf ihre Pflichten nach den für die Gerichtsbeamten in den deutsch-slawischen Kronländern bestehenden Vorschriften zu behandeln seien, war der Hofkanzler Graf Zichy völlig einverstanden7.
II. Einberufung des serbischen Nationalkongresses zur Wahl des Metropoliten
b Der Staatsminister referierte über seine au. Anträge wegen Einberufung des serbischen Nationalkongresses zur Wahl eines Metropoliten auf den 2. August l. J. unter Ernennung des Generals v. Philippović zum lf. Kommissär8. Das diesfällige Ah. Reskript würde, zur Umgehung der Sprachenfrage, lateinisch auszufertigen sein. Für das Bistum Pakrac wäre eine Wahlsynode auszuschreiben. Nach erfolgter Ah. Entschließung über den in Rede stehenden, von den drei beteiligten Hofkanzlern und dem Kriegsminister mitgefertigten Vortrag gedächte der Staatsminister seine au. Anträge wegen der serbischen Beratungssynode für die Kirchen- und Schulangelegenheiten in der Konferenz zur Beratung zu bringen.
III. Ernennung des Hofrates Koloman Beke zum ungarischen Hofvizekanzler
Der ungarische Hofkanzler Graf Zichy referierte, er beabsichtige den Hofrat v. Beke Allerhöchstenortes für den Posten eines Hofvizekanzlers bei der ungarischen Hofkanzlei au. in Vorschlag zu bringen, wozu derselbe in jeder Beziehung völlig geeignet sei.
Der Ministerrat fand dagegen nichts zu erinnern10.
Wien, 3. Juni 1864. Erzherzog Rainer.
Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Schönbrunn, 8. Mai 1865 [sic!]. Empfangen 12. Mai 1865. Erzherzog Rainer.