Nr. 433 Ministerrat, Wien, 9. Jänner 1864 - Retrodigitalisat (PDF)
- ℹ️ anwesend:
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Ransonnet; VS.Vorsitz Rechberg; BdE.Bestätigung der Einsicht und anw.anwesend (Rechberg 11. 1.), Mecséry, Schmerling, Lasser, Plener, Lichtenfels, Forgách, Esterházy (nur bei I/1 anw.anwesend), Burger, Hein (22. 1.), Mertens; abw.abwesend Erzherzog Rainer, Nádasdy, Degenfeld; BdR.Bestätigung des Rückempfangs Erzherzog Rainer 26. 1.
MRZ. 1237 – KZ. 98 –
Protokoll des zu Wien am 9. Jänner 1864 abgehaltenen Ministerrates unter dem Vorsitze des Ministers des kaiserlichen Hauses und des Äußern Grafen Rechberg.
[I.] Unterstützungsmaßnahmen betreffend den Notstand in Ungarn
Der ungarische Hofkanzler referierte über seine im au. Vortrag vom 8. Jänner 1864, Z. 222, beantragen Maßregeln zur unverweilten Unterstützung der Notleidenden || S. 186 PDF || in Ungarn1. Dieselben gehen im wesentlichen dahin, daß 1. den Gemeinden für Rechnung des im Gesetz vom 21. November 1863 2 zu Vorschüssen an kleine Grundbesitzer bewilligten Gesamtbetrags von 6,500.000 fl. eine Vorschußsumme per 2,000.000 fl. mit möglichster Beschleunigung zugewiesen werde, um sie in den Stand zu setzen, Pächter, besitzlose Gemeindemitglieder oder kleine Grundbesitzer, deren Besitz nicht die vorgeschriebene „geeignete Sicherheit“ gewährt, mit Darlehen unter Kommunalgarantie zur Fristung des Lebens zu beteilen. 2. Zur Beschaffung dieser Summe per 2,000.000 fl. im Kreditwege einen Teil der Obligationen des ungarischen Stiftungsfonds, nötigenfalls selbst unter Invinkulierung derselben, insolange zu verpfänden, bis der Finanzminister durch die Durchführung der mit Gesetz vom 17. November 1863 angeordneten großen Kreditorganisation in die Lage gesetzt ist, den für dieses Pfand erhaltenen Vorschuß den Geldgebern zu refundieren.
Zu 1. wurde die Notwendigkeit einer schleunigen Abhilfe für die bereits so hoch gestiegene Not vom Polizeiminister nach den ihm zugekommenen traurigen Berichten bestätigt und die angedeutete Widmung eines Betrages von 2,000.000 fl. zu diesem Zweck von keiner Seite beanständet. Allein es ergab sich eine Meinungsverschiedenheit über die Frage, ob man hiezu die verfassungsmäßige Genehmigung einzuholen habe oder nicht. Wenn es sich bloß darum handeln würde, daß die Gemeinden als garantierende Vermittler von Anlehen zwischen dem Ärar und den kleinen Grundbesitzern einschritten, würde sich diese Modalität noch allenfalls unter die Bestimmungen des Gesetzes vom 17. November v. J. subsummieren lassen. Allein die Vorschüsse müssen auch auf Individuen ohne Grundbesitz ausgedehnt werden, wenn man sie nicht dem Hungertode preisgeben will, und darin liegt eine Abweichung vom Reichsgesetze, welche nur im verfassungsmäßigen Wege durch die drei Faktoren oder von der Regierung mit Anwendung des § 13 statuiert werden kann. Für die Anwendung dieses Paragraphen erklärten sich der königlich ungarische Hofkanzler , der Finanzminister und der Marineminister deswegen, weil sich diese geringfügige und vollkommen plausible Abweichung von dem Wortlaut des Gesetzes standhältig werde rechtfertigen lassen, weil bei der reichsrätlichen Beratung jedenfalls viele Zeit verloren gehen wird und dabei auch manche jenseits der Leitha verletzende Äußerungen fallen können, wie bei der ersten Debatte im Abgeordnetenhause3, weil endlich die Refundierung des Vorschusses aus den Finanzen in eine Periode fällt, wo der Reichsrat voraussichtlich nicht mehr tagen dürfte. aDer Staatsratspräsident fand die Vorlage an den Reichsrat überhaupt nicht notwendig, wenn die erforderliche Kontrolle festgestellt werde, daß die Unterstützung nur kleinen Grundbesitzern oder gänzlich besitzlosen Armen zugewendet werde.a Der Staatsratspräsident fand die Vorlage an den Reichsrat überhaupt nicht notwendig, wenn die erforderliche Kontrolle || S. 187 PDF || festgestellt werde, daß die Unterstützung nur kleinen Grundbesitzern oder gänzlich besitzlosen Armen zugewendet werde.
Die Stimmenmehrheit sprach sich jedoch dafür aus, daß man wegen Modifizierung des Gesetzes vom 17. November in der gewünschten Weise eine Vorlage an den Reichsrat mache, weil es besser ist, vom § 13 nicht ohne dringende Notwendigkeit Gebrauch zu machen, weil nicht der Zeitpunkt der Ausführung einer Maßregel, sondern jener des Beschlusses derselben mit Hinblick auf § 13 entscheidend ist und der heutige Beschluß während der Session des Reichsrates gefaßt werden würde, weil darauf zu rechnen ist, daß ein Gegenstand von solcher Dringlichkeit alle Stadien der Gesetzgebung binnen weniger Tage wird durchlaufen können, und weil es selbst gut ist, wenn der Reichsvertretung durch einen praktischen Fall zu Gemüt geführt wird, welche Nachteile es hat, wenn man die Exekutive durch zu viele gesetzlichen Verklausulierungen bindet. Über Wunsch des Finanzministers wird der ungarische Hofkanzler die vom ersteren nach dem Beschluß des Ministerrates über eingeholte Ah. Genehmigung einzubringende reichsrätliche Vorlage formulieren4.
2. b Nachdem es bei den im Wege der Gemeinden zu gewährenden Vorschüssen auf schleunigstes Handeln ankommt, wenn nicht viele Menschenleben zum Opfer fallen sollen, der Finanzminister aber erklärte, dermal die benötigten zwei Millionen nicht zur Disposition setzen zu können, hat sich der ungarische Hofkanzler an einige große Kreditinstitute allhier gewendet, welche sich aber zur Leistung eines solchen Vorschusses nur gegen Verpfändung eines entsprechenden Nominalwerts in Staatsobligationen herbeilassen wollen. Da nun der ungarische Stiftungsfonds viele Millionen solcher Wertpapiere besitzt, welche ohne die mindeste Gefahr für den Fonds, im Interesse des Landes, auf einige Monate entlehnt werden könnten, beantragte Graf Forgách bei Sr. Majestät dem Kaiser, als obersten Schirmherrn des ungarischen Stiftungsfonds, es wolle ausnahmsweise Ah. gestattet werden, daß der erforderliche Teil der bei dem genannten Fonds vorhandenen Wertpapiere einstweilen deponiert oder verpfändet und, wenn es die unabweisliche Notwendigkeit mit sich bringt, zu diesem Behuf devinkuliert werde. Nach Realisierung des Staatsanlehens werde die Einlösung und Zurückstellung der Pfänder unverweilt geschehen.
Der Finanzminister , der Vorstimme beitretend, äußerte, er bedauere, nicht jetzt schon in der Lage zu sein, die zwei Millionen aus den Finanzen anzuweisen. Es fehle zwar nicht an Geld dazu, allein dasselbe habe bereits eine andere Bestimmung. Es sei bekannt, welche Hindernisse, cinsbesondere politischer Natur und anderteils durch die Verschleppung im Finanzausschusse des Abgeordnetenhauses veranlaßtc, das Zustandekommen des Anleihegesetzes so sehr verzögerten, daß darüber die günstige Zeit zum Abschluß der Kreditoperation verlorenging. Durch das Abkommen mit dem Konsortium englischer Kapitalisten habe der Minister den laufenden Dienst des Staatsschatzes vorläufig gedeckt5, allein er könne dem letzteren nicht plötzlich eine so große || S. 188 PDF || Zahlung für die ungarischen Gemeinden zumuten, ohne dadurch Verlegenheiten für die Zukunft zu schaffen, da man sich nicht schmeicheln darf, fortgesetzt ebenso günstige Auskunftsmittel zu finden wie das letzte. Die Ziffer der Salinenhypothekaranweisung per 100 Millionen6 ist bereits überschritten und deren weiterer Absatz hängt nicht von der Finanzverwaltung, sondern von der Nachfrage des Publikums ab. Von der Auflage eines Suskriptionsanlehens im Inlande aber wäre, da Ungarn, Galizien und wohl auch Böhmen sich kaum beteiligen werden, nur wenig Erkleckliches zu erwarten. Unter diesen Umständen müsse der Finanzminister das vom Hofkanzler vorgeschlagene Depotgeschäft als sehr erwünscht begrüßen. Vielleicht gelingt es, selbst den Vorschuß auf einige Monate auch ohne Devinkulierung der Fondsobligationen zu erhalten.
Sämtliche Stimmführer erkannten es für nötig, daß die Regierung sogleich, und ohne erst die verfassungsmäßige Genehmigung abzuwarten, einschreite, um die auf einen höchst bedenklichen Grad gestiegene Not zu lindern und zu diesem Ende das nötige Geld ohne Verzug zur Verfügung der ungarischen Landesbehörden zu stellen. Allein die Stimmenmehrheit erklärte, sich mit der vom ungarischen Hofkanzler und vom Finanzminister vorgeschlagenen Depotoperation durchaus nicht vereinigen zu können.
Der Polizeiminister fand dieselbe vom rechtlichen Standpunkte so bedenklich, daß er jeder anderen, auch weit kostspieligeren Operation den Vorzug geben würde. Der Staatsminister begreift nicht, wie man sich durch den relativ zu den Kräften des Kaiserstaates nicht bedeutenden Bedarf von zwei Millionen, der sich überdies nicht momentan im Ganzen, sondern erst nach und nach ergeben wird, zu einer so extremen Maßregel drängen lassen könne. Sr. Majestät würde als obersten Schutzherrn des Stiftungsfonds eine Gewaltmaßregel zu einem Zweck zugedacht, die der Bestimmung des Fonds ganz fremd ist und welche die Existenz des Fonds bedrohen kann. Denn wenn die Finanzen nach Ablauf der bedungenen Frist nicht in der Lage wären, die zwei Millionen zu zahlen, könnte die Veräußerung der verpfändeten und devinkulierten Obligationen nicht verhindert werden. Minister Ritter v. Lasser teilte die Bedenken der Vorstimme gegen diese Verfügung, welche den Charakter eines Eingriffes in fremdes Eigentum an sich trüge, die zudem nicht geheim bleiben und namentlich in finanziellen Kreisen, die man doch jetzt nicht verstimmen sollte, den schlimmsten Eindruck hervorbringen müßte, da sie einerseits die größten Geldverlegenheiten und andererseits die geringe Skrupulosität der Regierung verriete. dIn der gegenwärtigen Konjunktur dürfte der ungarische Landesfonds zunächst in der Lage und berufen sein, durch seine Barschaft und Obligationen die momentane Abhilfe zu gewähren.d Der Staatsratspräsident erinnerte an die Mißbilligung, welche 1848 die Auslieferung der gerichtlichen Depositen an die Finanzen hervorgerufen hat, so daß selbst richterliche Behörden damals sich weigerten, die aufgetragene Auslieferung zu vollziehen7. eDer Marineminister erinnerte, daß selbst während der finanziellen Drangsale des italienischen Krieges (1859) und in der gefährlichsten Lage der damaligen Ereignisse auf die großen Vorräte politischer und anderer Depositen im lombardisch-venezianischen Königreiche weder pfandweise noch in anderer Art gegriffen wurde.e Der Marineminister erinnerte, daß selbst während der || S. 189 PDF || finanziellen Drangsale des italienischen Krieges (1859) und in der gefährlichsten Lage der damaligen Ereignisse auf die großen Vorräte politischer und anderer Depositen im lombardisch-venezianischen Königreiche weder pfandweise noch in anderer Art gegriffen wurde.
Schließlich formulierte der Polizeiminister den au. Antrag des Ministerrates dahin, daß der Antrag des ungarischen Hofkanzlers ad 2. fbezüglich der Stiftungsfondsobligationenf Allerhöchstenortes zurückgewiesen werde, wonach Graf Forgách mit dem Finanzminister aufs neue wegen schleuniger anderweitiger Bedeckung des ad 1. erforderlichen Geldbedarfs in Beratung zu treten haben werde8.
Wien, 11. Jänner 1864. Rechberg.
Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, am 26. Jänner 1864. Empfangen 26. Jänner 1864. Erzherzog Rainer.