MRP-1-5-05-0-18621122-P-0286.xml

|

Nr. 286 Ministerrat, Wien, 22. November 1862 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Schurda; VS. Erzherzog Rainer; BdE. und anw. (Erzherzog Rainer 22. 11.), Rechberg, Mecséry, Schmerling, Plener; BdR. Erzherzog Rainer 2. 12.

MRZ. 1090 – KZ. 3653 –

Ministerkonferenz. Protokoll vom 22. November 1862 unter dem Vorsitze Sr. k. k. Hoheit des durchlauchtigsten Herrn Erzherzogs Rainer

I. Aufhebung des Verbotes des Journals „Le Nord“

Gegenstand der Beratung war die Aufhebung des Postdebitsverbotes für die in Brüssel erscheinende, von dem kaiserlich russischen Staatsrate v. Poggenpohra im Interesse der russischen Regierung redigierten Zeitschrift „Nord“. Das Verbot dieses Blattes wurde bekanntlich wegen der entschieden feindseligen Haltung desselben gegen Österreich verfügt1.

Nun führe in neuerer Zeit, referierte der Minister des Äußern , der russische Gesandte eine sehr freundliche Sprache, und [es sei] eine entschiedene Schwenkung Rußlands zu unseren Gunsten wahrnehmbar, die auch Fürst Gortschakow vom Dezember || S. 57 PDF || an in Paris in der ersten Nummer des „Nord“ vorbereiten wolle. Auch sei von Seite des Poggenpohr erklärt worden, daß, wenn der Debit in Österreich wieder gestattet wird, er auf folgende Punkte eingehen wolle, nämlich: a) die österreichische Regierung im Inneren nicht anzugreifen, sondern ihr vollkommen beizupflichten und sie zu unterstützen; b) keine boshaften Artikel aus Venedig anzunehmen und c) in der polnischen Frage ganz korrekt zu sein; nur bitte er, daß man es ihm rechtzeitig bekanntgebe, daß der Postdebit vom 1. Dezember an wieder gestattet sei. Unter diesen Umständen glaubt Graf Rechberg die Aufhebung des fraglichen Verbotes umsomehr beantragen zu sollen, als man, wenn etwa ein Artikel dieses Blattes nicht genehm wäre, immer gleich eine Revokation eintreten lassen kann.

Die Konferenz trat diesem Antrage einstimmig bei, und es wird der Polizeiminister gemäß dieses Beschlusses sogleich das Erforderliche verfügen.

II. Einstellung der jährlichen Rente von 9000 Scudi an den Bischof von Carpi

Der Minister des Äußern referierte in Hinsicht der Frage wegen der Zahlung der jährlichen Rente von 9000 Scudi an das Bistum von Carpi2.

Diese Leistung haftete wie viele andere an dem ehemaligen Monte Napoleone3, bei dessen nach dem Pariser Frieden4 erfolgten Auflösung rücksichtlich der an ihn gewiesenen Verpflichtungen beschlossen wurde, daß einstweilen die einzelnen beteiligten Staaten sich direkt mit Österreich einverstehen mögen, bis die hierwegen in Mailand aufgestellte Kommission die definitive Regelung durchgeführt haben wird. Die Frage wegen des Bistumes Carpi wurde mit dem Herzogtume Modena verhandelt und hierwegen im Jahre 1817 und 1820 ein Übereinkommen getroffen, demzufolge diese Verpflichtung eigentlich dem römischen Hofe zufalle, Österreich aber sich verpflichte, vorderhand die Zahlung dieser 9000 Scudi zu übernehmen, bis die oberwähnte Kommission ihr Werk vollführt haben wird5. Die fortan von uns geleistete Zahlung sei im Jahre 1861 sistiert worden, indem wir erklärten, daß es nun Piemont, welches im Besitze der Lombardei ist, übernehmen müsse. Dieses verweigerte jedoch die Übernahme, und es sei bei der in dieser Frage zwischen dem Ministerium des Äußern und dem Finanzministerium gepflogenen Verhandlung von dem letzteren, laut der vom Referenten verlesenen Note, zugestimmt worden, daß wohl nichts anderes erübrige, als diese Zahlung zu leisten, welche auch auf den Monte Lombardo-Veneto übernommen wurde6. Nun sei aber in dem Staatsvoranschlag pro 1862 diese Ziffer nicht aufgenommen und erscheine auch nicht im heurigen Budget7. Da aber jetzt eine Reklamation des gedachten Bistumes eingelaufen ist, so frage es sich, wie || S. 58 PDF || hierwegen vorgesorgt werden soll8. Nachdem Graf Rechberg noch im weitern Verlaufe seines Vortrages auf einige Urkunden hinwies, nach deren Inhalte die Verpflichtung Österreichs zu der fraglichen Zahlung zweifellos zu sein scheine, und eine die bezüglichen Verhältnisse beleuchtende Schrift verlas9, gab er ferner der Versammlung zu bedenken, daß durch die etwaige Verweigerung dieser Zahlung leicht eine alte unliebsame Sache aufgerührt werden könnte, da bekanntlich die Kommission in Mailand zu keinem definitiven Beschlusse kam, weil es eben Österreich daran lag, es zu keinem Endresultat kommen zu lassen, indem es sich herausstellte, daß Österreich zu sehr bedeutenden Zahlungen verhalten werden könnte.

Bei der hierüber sich ergebenden längeren Diskussion hob der Finanzminister hervor, die Sache stelle sich eigentlich so, daß es zweifelhaft ist, ob der Herzog von Modena oder der Kirchenstaat diese Rente zu zahlen habe. In betreff der Verpflichtung Österreichs zu dieser Zahlung habe caus Anlaß des Budgets 1863b in dem Finanzausschusse eine eingehende Verhandlung stattgefunden, wobei alle die heute vom Grafen Rechberg bezogenen Urkunden und Akten vorlagen, dennoch aber das Resultat sich ergab, daß Österreich dkeineswegs eine zweifellosec Verpflichtung zu dieser Zahlung habe und somit diese Ziffer nicht zu präliminieren sei, eindem die Verpflichtung zur Bezahlung wohl vielmehr der piemontischen Regierung als der faktischen Nachfolgerin der modenesischen obzuliegen scheined, 10. Im Jahre 1862 sei auch faktisch keine Zahlung beansprucht worden. Insoferne aber der Minister des Äußern ein ganz besonderes Gewicht darauf legen würde, daß infolge der gegenwärtigen Reklamation die 9000 Scudi gezahlt werden, dann würde wohl nichts anderes erübrigen, als die Sache nochmals im Ausschusse zur Sprache zu bringen, was jedoch, da das Finanzgesetz schon Montag im Hause vorkommt, seine Schwierigkeit haben dürfte11. Der Staatsminister und der Polizeiminister wären wohl der Meinung, daß die Verpflichtung Österreichs zu dieser Zahlung nur insolange bestand, als es die Lombardei besaß, nun aber dieselbe umso mehr an Sardinien fallen müsse, als diese Verpflichtung eine Last des Monte Napoleone ist, der nun bezüglich Modena, Parma usw. an Sardinien übergegangen ist. In Anbetracht der Zweifelhaftigkeit dieser Sache aber würden diese beiden Votanten lediglich die praktische Seite in das Auge fassen und sich darauf beschränken, dem gedachten Bischofe zu eröffnen, daß man nicht in der Lage ist, auf seine Forderung einzugehen, sondern ihn mit derselben an Piemont weisen müsse.

|| S. 59 PDF || Schließlich wurde sich dahin geeinigt, daß diese Position im Hause ganz fallengelassen und der Bischof ganz einfach abgewiesen werde12.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Schönbrunn, den 1. Dezember 1862. Empfangen 2. Dezember 1862. Erzherzog Rainer.