Nr. 256 Ministerrat, Wien, 8. August 1862 - Retrodigitalisat (PDF)
- ℹ️ anwesend:
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Ransonnet; VS.Vorsitz Erzherzog Rainer; BdE.Bestätigung der Einsicht und anw.anwesend (Erzherzog Rainer 10. 8.), Rechberg, Mecséry, Nádasdy, Lasser, Plener, Wickenburg, Forgách, Esterházy, Mažuranić, Geringer, FML. Schmerling; außerdem anw.anwesend Schmerling; abw.abwesend Degenfeld, Pratobevera, Lichtenfels; BdR.Bestätigung des Rückempfangs Erzherzog Rainer 21. 8.
MRZ. 1060 – KZ. 2508 –
Protokoll des zu Wien am 8. August 1862 abgehaltenen Ministerrates unter dem Vorsitze Sr. k. k. Hoheit des durchlauchtigsten Herrn Erzherzogs Rainer.
I. Reskript über die Wünsche des serbischen Nationalkongresses vom Jahre 1861
Dem Ministerrate liegen zwei Entwürfe zu einem Ah. Reskripte vor, welches in Erledigung der Anträge des 1861a abgehaltenen serbischen Nationalkongresses an einen demnächst einzuberufenden serbischen Nationalkongreß zu richten wäre1.
|| S. 173 PDF || Der erste Entwurf wurde nach Vorausschickung kommissioneller Beratungen der beteiligten Zentralstellen bei dem Staatsministerium verfaßt und an sämtliche Mitglieder des Ministerrates verteilt2. Der Staatsrat aber hat nach den Ergebnissen seiner eigenen, über jenen Entwurf gepflogenen Beratungen einen zweiten Entwurf verfaßt, der dem gegenwärtigen Protokolle beiliegtb .
Bevor jedoch in der heutigen Sitzung das Referat über diesen Gegenstand beginne, fanden Se. kaiserliche Hoheit der durchlachtigste Herr Erzherzog Rainer für nötig, die Vorfrage in Erwägung ziehen zu lassen, ob es unter den im Fürstentum Serbien dermal eingetretenen politischen Verhältnisses angezeigt erscheine, in der österreichisch-serbischen Frage einen Schritt dieser Art zu tun3.
Der Minister des Äußern bemerkte, die im Fürstentume herrschende außerordentliche Aufregung mache es für Österreich rätlich, in dieser Sache mit der größten Vorsicht zu Werke zu gehen. Die Idee der Gründung eines großen Serbenreiches erhitzt dermal die Köpfe der Serben und stimmt sie feindlich, nicht bloß gegen die Türkei, sondern auch gegen Österreich, in welch letzterem sie ein mächtiges Hindernis der Verwirklichung ihrer Idee erblicken. Konzessionen, selbst sehr weitgehende, würden die Stimmführer der österreichischen Serben in diesem Augenblicke sicher nicht befriedigen, und der Erfolg davon würde vielmehr ein für die Monarchie nachteiliger sein. Vorerst müsse man die Beschlüsse der in Konstantinopel tagenden Kommission und die zu hoffende befriedigende Lösung der politischen Hauptfragen abwarten. Ist diese erfolgt, und sind infolgedessen die serbischen Großmachtsgelüste gedämpft, dann wird man für die österreichischen Serben manches tun können, was von ihnen als Geschenk dankbar hingenommen werden dürfte. Der königlich ungarische Hofkanzler äußerte, er könne von seinem Standpunkte aus Opportunitätsrücksichten nur die vom Grafen Rechberg geäußerte Meinung teilen. Die Berichte von der serbischen Grenze bezeugen, daß die Aufregung auch diesseits eine sehr große ist4. Den weitgehenden Wünschen unserer Serbomanen gegenüber würde keine Konzession befriedigen und jetzt obendrein zuverlässig als Schwäche der Regierung gedeutet werden. Graf Forgách, der Ansicht des Ministers des Äußern vollkommen beitretend, müsse daher jedenfalls die Vertagung der Erlassung eines solchen Reskriptes beantragen. Der Staatsminister glaubt ebenfalls, daß man bei einer Maßregel auch deren Opportunität erwägen solle. Allein man müsse sich hüten, darüber in Untätigkeit zu verfallen und, während man den opportunsten Augenblick abzuwarten vermeint, den rechten Moment unwiederbringlich zu versäumen — wie dies auch in Österreich vor 1848 geschah. Niemand könne sagen, cwann undc wie die orientalische Frage — von der die serbische nur einen Bruchteil bildet — gelöst werden wird. Selbst die Beschlüsse der Kommission zu Konstantinopel können die Lage || S. 174 PDF || noch mehr komplizieren. Soll man also die Regulierung der Verhältnisse der Woiwodschaft noch länger aufschieben? Durch die hie und da sich manifestierenden Wünsche, aus Österreich zu scheiden und sich mit dem Fürstentum zu verschmelzen, dürfe man sich nicht irre machen lassen. Österreich ist stark genug, solche Gelüste zu unterdrücken, und dieselben werden sich dann am wenigsten geltend zu machen vermögen, wenn man jetzt die billigen Wünsche der Nation erfüllt und getreu der gegebenen Versprechungen jedem das Seinige gibt. Aber selbst im Falle Sr. Majestät Ah. zu beschließen geruhen sollten, daß die Entscheidung über die Wünsche der Serben ajourniert werden, dürfte es doch angezeigt sein, schon jetzt auf die ministerielle Beratung der Angelegenheit meritorisch einzugehen, um dann im geeigneten Augenblicke ohne weiteren Verzug das Ah. Reskript erlassen zu können. Der Polizeiminister hält eine Ah. Entscheidung über die serbischen Angelegenheiten jetzt nicht für opportun. Die nationale Bewegung im ganzen Stamme würde durch die politische Konstituierung der österreichischen Serben und deren Konzentrierung in einer Woiwodschaft noch gesteigert. Baron Mescéry stimme daher für die Vertagung. Minister Graf Nádasdy bedauerte die Verzögerung, welche in Erfüllung der Versprechen den Serben gegenüber eingetreten ist. Dieser Aufschub wirkt auch aufregend. Wenn der Minister des Äußern es für nötig erachtet, den Schluß der kommissionellen Beratungen in Konstantinopel abzuwarten, so wolle Graf Nádasdy dagegen keine Einwendung erheben, glaube aber, daß schon jetzt in die Beratung der vorliegenden Anträge einzugehen wäre, damit das Operat zur Publikation vorbereitet werde. Die Minister Ritter v. Lasser, Edler v. Plener und Graf Wickenburg, ddann der Stellvertreter des Kriegsministersd sprachen sich im gleichen Sinne aus, während Minister Graf Esterházy , welcher für die Vertagung stimmte, des Erachtens war, daß es noch nicht an der Zeit wäre, über den Inhalt eines Reskriptes zu beraten, welches den seinerzeit obwaltenden Verhältnissen wird angepaßt sein müssen. Auch besorgt dieser Minister, daß das Resultat der Beratungen vorzeitig ins Publikum dringen werde. Der kroatisch-slawonische Hofkanzler hielt es für nötig, daß die bereits 200 Jahre alte und jetzt brennend gewordene Frage einmal in ernstere Beratung gezogen werde. Der ungarische Hofkanzler erklärte, daß, wenn in die meritorische Verhandlung eingegangen werden soll, er heute noch nicht in der Lage sei, sich über die zwei Entwürfe (von welchen jener des Staatsrates ihm erst vor vier Tagen zugekommen ist) eingehend und mit jener Gründlichkeit zu äußern, welche die Wichtigkeit des Gegenstandes erfordert — zumal er in einigen Hauptpunkten einer ganz anderen Meinung ist und überhaupt noch nicht Gelegenheit hatte, sich über jenen ersten Entwurf zu äußern, der dem Vernehmen nach aus den Arbeiten der Ministerialkommission hervorgegangen sein soll, ohne daß jedoch Graf Forgách (obgleich Kommissionsmitglied) von demselben seinerzeit Kenntnis erhalten hätte. Der Hofkanzler würde zur Erstattung seines Referates nun eine Frist von 10 bis 14 Tagen benötigen und mittlerweilen einen zu lithographierenden Gegenentwurf des Reskripts im Vernehmen mit dem kroatisch-slawonischem || S. 175 PDF || Hofkanzler verfassen, welcher Entwurf die Beratung im Schoße des Ministerrates wesentlich erleichtern dürfte. Der königlich ungarische Hofkanzler könne übrigens seine Bedenken gegen einige Punkte der Reskriptentwürfe schon diesmal nicht unterdrücken, namentlich gegen die Wiedererrichtung der vor noch nicht vollen eineinhalb Jahren erst aufgelösten Woiwodschaft und gegen die Zuerkennung desselben Wappens und derselben Landesfarben, welche das Fürstentum Serbien führt. Die Zufriedenheit der österreichischen Serben durch die letztere Maßregel erreichen zu wollen, wäre ganz so, als wenn man Südtirol das italienische Wappen samt den italienischen Farben zur Befriedigung der dortigen Bevölkerung verleihen würde.
Se. k. k. Hoheit der durchlauchtigste Herr Erzherzog Rainer fanden die Vertagung der Beratung bis zu dem vom ungarischen Hofkanzler angedeuteten Termin zu genehmigen, knüpften aber hieran die Frage, ob es überhaupt angezeigt erscheine, bei der dermal herrschenden Aufregung einen serbischen Nationalkongreß abzuhalten, wenn er sich auch bloß mit Angelegenheiten nichtpolitischer Natur zu befassen hätte. Der königlich ungarische Hofkanzler würde glauben, daß man sich darauf beschränken könnte, eine Nationalsynode zur Vornahme der allerdings höchst dringenden Wahl eines Erzbischofs von Karlowitz einzuberufen. Dieser Versammlung gegenüber dürften Ah. Se. Majestät sich in einem Reskript offen aussprechen, ohne daß darum Konzessionen stattfänden, wodurch andere Nationalitäten gekränkt oder die kaiserlichen Versprechen vom 20. Oktober modifiziert werden. Der Minister Graf Nádasdy äußerte schließlich, daß vor allem eder vom ungarischen Hofkanzler zugesicherte Gegenentwurf lithographiert den Konferenzmitgliedern mitzuteilen wäre, damit selber in Erwägung gezogen werden könnee, 5.
Wien, 10. August 1862. Erzherzog Rainer.
Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Schönbrunn, am 19. August 1862. Empfangen 21. August 1862. Erzherzog Rainer.