Nr. 175 Ministerrat, Wien, 31. Dezember 1861 und 3. Jänner 1862 - Retrodigitalisat (PDF)
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- Sammelprotokoll; RS.Reinschrift; P.Protokoll Ransonnet (31. 12.), Hueber (3. 1.); VS.Vorsitz Erzherzog Rainer; BdE.Bestätigung der Einsicht (Erzherzog Rainer 4. 1.), Rechberg, Mecséry, Degenfeld, Schmerling, Lasser, Plener, Wikkenburg, Lichtenfels, Esterházy, FML. Schmerling; BdR.Bestätigung des Rückempfangs Erzherzog Rainer 16. 1. 1862.
MRZ. 978 – KZ. 4188 –
Protokoll des zu Wien am 31. Dezember 1861 und 3. Jänner 1862 abgehaltenen Ministerrates unter dem Vorsitze Sr. k. k. Hoheit des durchlauchtigsten Herrn Erzherzogs Rainer. [Sitzung vom 31. Dezember 1861] [anw. Erzherzog Rainer, Rechberg, Mecśery, Degenfeld, Schmerling, Lasser, Plener, Wikkenberg, Lichtenfels, Esterházy, Holzgethan, Sommaruga; abw. Pratobevera, Nádasdy, Forgách]
I. Verordnung über das Fiskalprivileg im lombardisch-venezianischen Königreich
Der Finanzminister referierte, daß die venezianischen Landesbehörden über die Modalitäten der Durchführung des Ah. Handschreibens vom 16. Julius 1858 wegen Beschränkung des dortlands zugunsten des Staatsschatzes bestehenden privilegio fiscale ihre Anträge erstattet haben und [daß] dem Minister auf telegrafischem Wege soeben der Ah. Auftrag zugekommen sei, über diesen Gegenstand schleunig Vortrag zu erstatten, damit Se. Majestät in die Lage gesetzt werden, darüber die Ah. Schlußfassung eventuell noch während des Aufhalts in Venedig zu fällen1. Vorläufig müsse der Finanzminister aufmerksam machen, daß die Anträge nicht bloß auf eine genaue Durchführung des Ah. Handschreibens gerichtet sind, sondern daß sie in der Beschränkung der Fiskalprivilegien viel weiter gehen. Diese Anträge seien leider durch die venezianischen Zeitungen textuell veröffentlicht worden, und man erwarte eine gewährende Ah. Resolution. Sektionsrat Baron Sommaruga referierte hierauf über diese in seinem Departement verhandelte Angelegenheit und las die deutsche Übersetzung der von den venetianischen Landesbehörden beantragten Erlässe, nämlich a) eines Einführungspatents, worin auch Übergangsmaßregeln enthalten sind, und b) des Regolamento per l’esazione dei crediti del Tesoro dello Stato e di quelli equiparati ai medesimi spettanti al Territorio, alla Provincia, ai Comuni, ai Comprensorii ed alle Camere di || S. 151 PDF || Commercioa, 2. Der Finanzminister ergriff hierauf wieder das Wort und zeigte, daß nach dem Ah. Handschreiben die privilegierte Exekution bloß bei Eintreibung von Forderungen di diritto privato aufzugeben ist, während nach den verlesenen Entwürfen sie auch bei einem wesentlichen Teil der Forderungen di diritto pubblico aufgegeben würde, indem diese Exekution nur bezüglich der Realsteuernb intakt bliebe (§ 3), dagegen aber bezüglich der Personalsteuern wesentliche Modifikationen cin der Artc zu erleiden hätte, ddaß die Hereinbringung der Rückstände an Personalsteuer nur insoweit sie aus dem beweglichen Vermögen des Steuerschuldners stattzufinden hat, des Fiskalprivilegiums teilhaftig bleibt, soweit sie jedoch aus unbeweglichem Eigentum geschehen soll, mit Ausnahme des ersten Aktes, nämlich der Pfändung, dem gewöhnlichen gerichtlichen Verfahren zu folgen hatd (§ 4 und folgende). Eine weitere wesentliche Neuerung liege darin, daß für Fälle, wo die Kompetenz streitig ist, im § 2 der Staatsrat als inappellables Forum bestellt wird3, statt dessen laut Patent, letzter Absatz, vorläufig noch eine eigene Kommission zu fungieren haben wird. Der Finanzminister erklärte sich für die beantragte Ermäßigung der allerdings exorbitanten Rechte des Staatsschatzes bei Eintreibung der Personalsteuern eaus unbeweglichem Vermögene . Die Grund- und Haussteuer haftet nämlich allerdings so fest auf dem unbeweglichen Gute, daß die Durchführung der Exekution gegen die jeweiligen Eigentümer der Realität gerechtfertigt erscheint, während zur Einbringung der Personalsteuern auf ganz heterogene unbewegliche Steuerobjekte und zwar in einer Weise gegriffen werden kann, wobei ein dritter ganz unbeteiligter Eigentümer ganz summarisch, ja ohne sein Wissen, aus dem Eigentume ohne entsprechendes Entgelt verdrängt wird und vielleicht als das Opfer einer arglistigen Spekulation fallt. Die Unbilligkeit des bestehenden Exekutionsmodus bei den Personalsteuern ist so augenfällig, daß sich die öffentliche Meinung darüber schon längst tadelnd ausgesprochen hat und eine Abhilfe erwartet. Trotz der beantragten Beschränkung der Fiskalrechte würden aber den Finanzen in Venedig noch immer weit drastischere Mittel zur Einbringung der Personalsteuern zustehen als in allen übrigen Kronländern4. Edler v. Plener glaube daher, den vorliegenden Anträgen in diesem Punkt nicht entgegentreten zu sollen, dagegen || S. 152 PDF || könne er aber nicht dafür stimmen, jetzt eine neue inappellable Instanz für Kompetenzstreitigkeiten zu schaffen, ein Institut, das weit über die Grenze einer Durchführungsverordnung zum Handbillett hinausgeht und das der Mitwirkung des Reichsrates bei der Konstituierung bedarf, fso wie er sich denn überhaupt dafür ausspricht, daß aus der in die Form einer Ministerialverordnung einzukleidenden Durchführungsvorschrift jedes gesetzgeberische und namentlich jedes in die Justizsphäre übergreifende Element ausgeschieden und sich bloß auf die Bestimmung einer veränderten Art und Weise der Prozedur für die Einbringung der Forderungen — auf eine Vorschrift für das Verfahren, welches einen Verwaltungsgegenstand bilde — beschränkt werden sollef .
Staatsrat Ritter v. Holzgethan 5 schickte eine Darstellung der legislativen und faktischen Verhältnisse bezüglich des privilegio fiscale voraus und gab mit Berufung auf seine in Venedig und Mailand gesammelten Erfahrungen die Versicherung, daß die Fiskalexekution einen geregelten Gang hatte und durch den Lauf der Jahre so zur Gewohnheit geworden war, daß von einem allgemeinen Verlangen nach deren Modifikation nichts verspürt wurde. Säumigen Zahlern war allerdings deren Strenge unwillkommen und sie wird es auch begreiflich stets bleiben. Da eine Ah. Bestimmung im Mittel liegt, wodurch die Beschränkung des Privilegiums auf Forderungen di diritto pubblico bereits im Grundsatze ausgesprochen wurde, so kann die Opportunität dieser Modifikation heute nicht mehr der Gegenstand einer Beratung sein. Allein es seien triftige Gründe zu dem au. Antrage vorhanden, dieses Ag. Zugeständnis bloß wegen einer doktrinären Ansicht über die Natur der Steuern wenigstens nicht noch zu erweitern und auf das Privilegium des Ärars bei Einhebung der Personalsteuern, als der imposta sulle rendite6, des contributo arti e commercio7, zu verzichten. Die ohnehin schwierige Einhebung dieser Steuern würde durch das fragliche Zugeständnis noch erschwert werden, und Verluste an uneinbringlichen Gebühren wären die Folge davon. Ferner müsse Votant darauf aufmerksam machen, daß im § 3 die imposte fondiarie8 mit der [imposta] prediale9 als synonym behandelt werden, was nur in den altvenezianischen Provinzen richtig ist, da im Mantuanischen neben der [imposta] prediale noch das casatico (Häusersteuer) besteht, welches unstreitig eine imposta fondiaria ist, bei der unter allen Umständen das Fiskalprivilegium nicht aufgegeben werden soll. Zur Vermeidung jeder Mißdeutung wäre daher die Parenthese (prediali) wegzulassen. Wenn ferner im § 20 des Regolamento die Fiskalexekution für die Einhebung der Umlagen der consorzii10 festgehalten wird, so sei dies eine nicht gerechtfertigte Inkonsequenz || S. 153 PDF || gegenüber dem obersten Grundsatz zugunsten der Privatvereine, denen doch nur ein diritto privato zur Seite steht. Endlich erhob Staatsrat Ritter v. Holzgethan den formalen Zweifel, ob die Congregazione Centrale bereits die staatsrechtliche Stellung eines Landtages in der Art einnehme, daß man im Eingang des Patentes sagen könne: „Sentita la Congregazione del Nostro Regno Lombardo-Veneto“. Der Präsident des Staatsrates teilte die Meinung der Vorstimme, daß über die im Ah. Handschreiben gezogene Grenze jetzt nicht hinauszugehen sei, und zwar nicht bloß wegen finanzieller Bedenken, sondern auch aus folgendem formalen Grunde. Das Ah. Handschreiben vom Jahre 1858 ist als ein damals Ah. erlassenes Gesetz zu betrachten, dessen Bestimmungen jetzt allerdings im administrativen Wege bloß durch eine Vollzugsverordnung verlautbart werden können. Solche Äußerungen aber, welche nicht aus dem Ah. ausgesprochenen Grundsatz fließen und tatsächlich in das Gebiet der Finanz- und der Justizgesetzgebung eingreifen, wie manche von denen, die jetzt ins Leben treten sollen, gehen über die Sphäre einer einfachen Vollzugsverordnung hinaus und können — obgleich nur auf ein Kronland beschränkt — nur im Wege des Reichsrates und zum Teil nur im Wege des Gesamtreichsrates mit Gesetzeskraft verfügt werden. Von einer Dringlichkeit im Sinne des § 13 könne keine Rede sein, zumal die dermaligen Steuerpachtungen11 noch durch zwei Jahre fortdauern und die beantragte Begünstigung der Personalsteuern erst nach deren Ablauf verwirklicht werden soll (§ 3). Aber selbst abgesehen von diesem formalen Bedenken fände es Freiherr v. Lichtenfels angezeigt, an einem so lange und mit unleugbarem Nutzen bestehenden Steuereinhebungssysteme nicht mehr zu ändern, als es die im Mittel liegende Ah. Entscheidung unumgänglich nötig macht. Der Antrag dieses Stimmführers geht daher dahin, den Anträgen der Landesbehörden keine Folge zu geben und sich auf die Erlassung einer ministeriellen Durchführungsverordnung zu beschränken, wobei die Grenzen des Ah. Handschreibens vom 16. Julius 1858 streng eingehalten und somit „die Fiskalprivilegien bloß bei den privatrechtlichen Forderungen des Staates abgestellt würden“.
Minister Ritter v. Lasser verkannte nicht das von der Vorstimme hieraus gehobene Bedenken gegen die Einführung so weitgehender Modifikationen ohne Mitwirkung des Reichsrates, gmeinte aber doch, daß über dieses Bedenken hinweggegangen und die Verordnung erlassen werden könnte, wenn sich darin auf die Durchführung des Ah. Handschreibens vom Jahre 1858 beschränkt und darüber hinaus nur die Einhebungsart der Steuern etc. normiert würde. Gewichtig erscheine ihm aber auchg ein finanzielles Bedenken, das durch den § 12 veranlaßt wird. Es heißt nämlich dort: „l’Autoritá esecutante decide sulla convenienza economica di proseguire la execuzione“. Diese autoritá — worunter jedoch hbei den direkten Steuern wohl nur die Provinzialkongregation undh nicht die Finanzbehörde zu || S. 154 PDF || verstehen ist — hat es daher in ihrer Macht, die Schritte des esattore12 zu hemmen und ihm die Einhebung der Gebühr unmöglich zu machen. Damit ist aber seine Haftung a scosso e non scosso13 aufgehoben, und es fällt eine Hauptstütze des italienischen Steuereinhebungssystems. Jedenfalls wäre es daher rätlich, diesen Paragraphen zu ändern. Doch müsse der Minister sich überhaupt in dieser delikaten und vielverzweigten Angelegenheit offen als nicht vollständig informiert bekennen, ida ihm die Einsicht der Akten nicht zu Gebote standi .
Im Laufe der weiters gepflogenen eingehenden Beratung des Gegenstandes traten die Minister Graf Rechberg, Freiherr v. Mecséry und Graf Esterházy dem Antrage des Staatsratspräsidenten bei, während der Kriegsminister äußerte, keine großen finanziellen Bedenken gegen eine Maßregel zu hegen, welche, wie die in Rede stehende, vom Finanzminister selbst bevorwortet wird. Da jedoch die Minister Ritter v. Schmerling und Graf Wickenburg — wie früher Ritter v. Lasser — erklärten, daß sie sich noch nicht so genau informiert fänden, um bei der herrschenden Meinungsverschiedenheit ein Gutachten mit voller Beruhigung abzugeben, wurde von Sr. k. k. Hoheit dem durchlauchtigsten Herrn Erzherzoge Rainer angeordnet, daß der fragliche Gegenstand einer Komiteeberatung durch den Staats- und Finanzminister, den jMinister Lasser und denj Präsidenten des Staatsrates und einen Abgeordneten des Justizministers vorläufig unterzogen werde. Se. k. k. Hoheit behielten Höchstsich vor, auf telegrafischem Wege Sr. Majestät anzuzeigen, daß und warum der Ministerrat sich über diese Sache noch nicht definitiv auszusprechen in der Lage sei.
Am 2. Jänner 1861 k .
Fortsetzung. Teilprotokoll des zu Wien am 3. Jänner 1862 abgehaltenen Ministerrates unter dem Vorsitze Sr. kaiserlichen Hoheit des durchlauchtigsten Herrn Erzherzogs Rainer.
[anw. Erzherzog Rainer, Rechberg, Mecséry, Schmerling, Lasser, Plener, Wickenburg, Lichtenfels, Esterházy, FML. Schmerling; abw. Nádasdy, Degenfeld, Pratobevera, Forgách]
Der Finanzminister referiert, daß die von Sr. kaiserlichen Hoheit dem durchlauchtigsten Herrn Erzherzoge Rainer angeordnete Ministerkomiteeberatung hinsichtlich der Verordnung über die Regelung der Ausübung des Fiskalprivilegiums im lombardisch-venezianischen Königreiche am 2. l. M. stattgefunden habe, daß man dabei übereingekommen sei, von der Form eines kaiserlichen Patentes abzugehen und dafür die vereinbarten Bestimmungen als Durchführungsvorschrift des Ah. Handschreibens vom 16. Juli 1858 durch eine Ministerialverordnung kundzumachen, || S. 155 PDF || daß einige Modifikationen im Texte vorgenommen, in der Hauptsache aber alle Übergriffe in die Justizsphäre sorgfältig vermieden wurden und demnach der § 6, welcher bestimmte, „daß der Pfändungsakt des esattore in seinen Wirkungen der gerichtlichen exekutiven Pfändung gleichgestellt sei“, sowie der § 18, welcher „von der Verjährung“ handelte, ganz gestrichen worden sei, im übrigen aber an diesen Übergangsbestimmungen eine Änderung nicht stattgefunden habe. Diese Komiteebeschlüsse seien mit Ausnahme des Staatsrates Ritter v. Holzgethan, der auf seiner im Ministerrate vom 31. Dezember 1861 ausgesprochenen Meinung verharrte, einstimmig lnach den vom Finanzminister in der Sitzung am 31. Dezember v. J. gestellten Anträgen und auf die Befürwortung der wesentlichen, im vorgelesenen Regolamento-Entwurfe enthaltenen Bestimmungen erfolgt, worauf die Fiskalexekution im vollen bisherigen Umfange nur bei der Realsteuer, dagegen bei der Personalsteuer nur bei der Realisierung aus dem Mobilar beibehalten und im übrigen die gewöhnliche gerichtliche Verhandlung an die Stelle träte und die Forderungen der Gemeinden, Fonds und Körperschaften jenen des Staatsschatzes gleichgestellt und behandelt werden sollenl . Der Finanzminister teilte sonach sein Vorhaben mit, den neu redigierten Verordnungsentwurf Sr. Majestät zur Ah. Genehmigung zu unterbreiten und demselben auch den Entwurf eines Ah. Handschreibens an den Statthalter Ritter v. Toggenburg anzuschließen, damit die Kundmachung dieser Verordnung noch während der Anwesenheit Sr. Majestät im lombardisch-venezianischen Königreiche in diesen Ländern erfolgen könne.
Der Staatsratspräsident erklärte, auf seiner früheren Meinung zu beharren, daher im Prinzipe mit dieser Verordnung nicht einverstanden zu sein, und zwar der Form nach nicht, weil hiezu verfassungsmäßig die Zustimmung des Reichsrates erforderlich sei, und dem Wesen nach nicht, weil darin die in dem Ah. Handschreiben vom 16. Juli 1858 angedeuteten Grenzen überschritten wurden und ein namhafter Ausfall für den Staatsschatz hiedurch eintreten wird.
Alle übrigen Stimmführer aber waren mit dem Antrage des Finanzministers einverstanden, der sonach zum Beschlusse erhoben worden ist14.
Wien, am 4. Jänner 1862. Erzherzog Rainer.
Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Venedig, 12. Jänner 1862. Empfangen 16. Jänner 1862. Erzherzog Rainer.