Nr. 118 Ministerrat, Wien, 5. September 1861 — Protokoll I - Retrodigitalisat (PDF)
- ℹ️ anwesend:
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Marherr; VS.Vorsitz Erzherzog Rainer; BdE.Bestätigung der Einsicht und anw.anwesend (Erzherzog Rainer 5. 9.), Rechberg, Mecséry (ab V abw.abwesend), Schmerling (bei I und II abw.abwesend), Lasser (bei I und II abw.abwesend), Plener, Wickenburg, Lichtenfels, Forgách, Esterházy; abw.abwesend Degenfeld, Pratobevera; BdR.Bestätigung des Rückempfangs Erzherzog Rainer 15. 9.
MRZ. 912 – KZ. 2906 –
- I. Begünstigungsjahr für die ungarischen Schulräte
- II. Gesetzentwurf über die Aufhebung der Durchfuhrzölle
- III. Regierungsvorlage an den Reichsrat über die Tabakpreiserhöhung bei den Virginiazigarren
- IV. Wiedererrichtung aufgelöster Komitats- und Munizipalausschüsse in Ungarn
- V. Gesetzentwurf über die Aufhebung der Bergwerksfrone
- VI. Gesetzentwurf über die Änderung der Branntweinsteuer
- VII. Bestätigung der Preßburger Superintendenz; Anerkennung der Schulzeugnisse der evangelischen Lehranstalten in Ungarn
Protokoll I des zu Wien am 5. September 1861 abgehaltenen Ministerrates unter dem Vorsitze Sr. k. k. Hoheit des durchlauchtigsten Herrn Erzherzogs Rainer
I. Begünstigungsjahr für die ungarischen Schulräte
Der ungrische Hofkanzler referierte seinen Vortrag wegen Bewilligung des Begünstigungsjahres für die in Ungern und in der Woiwodina infolge der Konzentrierung der politischen Verwaltung und Einrichtung der Studienkommission || S. 347 PDF || bei der Statthalterei1 außer Verwendung gekommenen Schulräte, und zwar für die der bestandenen fünf Statthaltereiabteilungen in Ungern vom 1. Februar, für die aus Temesvár vom 1. März d. J. an, wogegen weder vom Finanzminister noch von den übrigen Stimmführern etwas eingewendet wurde. Nur sprach der Polizeiminister den Wunsch aus, daß die Schulräte ungrischer Nationalität gelegenheitlich der Organisierung der Schuldistrikte oder sonst nach Zulaß ihrer Qualifikation untergebracht werden mögen, was der ungrische Hofkanzler als ohnehin in seiner Absicht gelegen nach Tunlichkeit zu bewirken zusicherte2.
II. Gesetzentwurf über die Aufhebung der Durchfuhrzölle
Der Finanzminister referierte die bereits staatsrätlich zustimmend vergutachtete, für den Reichsrat vorbereitete Gesetzesvorlage wegen Aufhebung der Durchfuhrzölle, der als solche geltenden Ausfuhrzölle und der Kontumaztaxzuschläge in den Kronländern, für welche der allgemeine Zolltarif besteht, also mit Ausschluß Dalmatiens3. Er wies nach, daß diese Abgaben, welche durchschnittlich nicht mehr als 73.000 fr. eintragen, den Transitohandel benachteiligen und ihn auf andere Routen drängen, wo er davon frei ist.
Der Ministerrat war mit dem Antrage einverstanden und der Handelsminister noch insbesondere der Meinung, daß auch für Dalmatien sich die gleiche Ermächtigung zu erbitten wäre, damit nicht auch dort infolge der bevorstehenden Anlage einer neuen Militärstraße bei Klek auf türkischem Gebiete der Transit, wie man befürchtet, eine andere Richtung nehme. Die Verhandlung hierüber sei noch im Zuge, und es wäre daher der bezügliche Bericht des Statthalters abzuwarten4. Hiergegen bemerkte der Finanzminister , daß er sich die Frage wegen Dalmatiens gegenwärtig gehalten und die Überzeugung gewonnen habe, daß in diesem Lande, welches für sich ein abgesondertes Zollgebiet bildet, die Aufhebung der Durchfuhrzölle weder rätlich noch notwendig sei, weil sie zugleich ein Äquivalent für die dort nicht bestehende Wegmaut sind und weil die Besorgnis, der Transit werde eine andere Richtung nehmen, entfällt, nachdem laut einer erst vor kurzem || S. 348 PDF || geäußerten Ansicht des Statthalters die obenerwähnte Straße kaum zur Ausführung kommen und, wenn sie es sollte, doch bald — wie der Minister des Äußern hinzusetzte — wieder in Verfall geraten wird und überhaupt für den Handel von keiner Bedeutung sein kann, weil der einzige Weg für fremden Handel zur See durch die erst heuer wieder erfolgte Anerkennung des mare clausum versperrt ist. Es wurde sonach auf die Einbeziehung Dalmatiens nicht eingegangena, 5.
III. Regierungsvorlage an den Reichsrat über die Tabakpreiserhöhung bei den Virginiazigarren
Mit Beziehung auf den im Ministerrate vom 26. v. M. ad IV gemachten Vorbehalt brachte der Finanzminister zufolge Ah. Befehls die Frage zur Beratung, ob wegen der verfügten Preiserhöhung der Virginiazigarren nach dem staatsrätlichen Antrage im Sinne des § 13 des Grundgesetzes dem Reichsrate eine Vorlage zu machen sei6. Er glaubte nicht, weil eine Preiserhöhung, die wie im vorliegenden Falle durch die Silberagioverhältnisse und die Preissteigerung des Rohmaterials bedingt ist, nicht als eine Erhöhung der Abgabe angesehen werden kann und weil es sich hier nicht um ein unentbehrliches Lebensbedürfnis wie etwa Salz, sondern um einen Luxusartikel handelt, dessen Bezug von dem Belieben der Konsumenten abhängt.
Zwar machte der Staatsratspräsident geltend, daß in der Verordnung vom 27. Dezember 1860 „Salz- und Tabakpreise“ ausdrücklich unter die „Abgaben und Gefälle“ gerechnet werden7, daher nach § 10, lit. c, des Grundgesetzes zur Wirksamkeit des Reichsrates gehören, wenn eine Erhöhung etc. derselben vorgenommen wird; daß ferner die Gesamtsumme der Erhöhung (700.000 fr.) sehr bedeutend sei und es auch vorsichtiger wäre, dem Reichsrate mit einer diesfälligen Vorlage zuvorzukommen als abzuwarten, daß seinerseits — wie fast mit Gewißheit || S. 349 PDF || anzunehmen — eine Interpellation oder Bemängelung gestellt werde. Über die Bemerkung des Ministers des Äußern jedoch, daß Tabak als Handelsund Luxusartikel — wenn es gleich im Interesse liegt, durch wohlfeilere Preise den Absatz zu vergrößern — doch den natürlichen Schwankungen des Rohmaterialpreises unterworfen ist; ferner des Polizeiministers , daß nicht der Verkaufspreis der Zigarren etc. im ganzen, sondern nur die Differenz zwischen dem Preise im freien Verkehr und jenem des Monopols die eigentliche „Abgabe“ bildet, mithin eine Erhöhung, welche durch Valuta- oder Materialpreisverhältnisse notwendig und nur für die Dauer dieser Verhältnisse, nicht aber für die Finanzperiode verfügt wird, als eine Erhöhung der „Abgabe“ nicht angesehen werden kann; endlich des Handelsministers , daß dem Reichsrate bei Vorlage des Budgets Gelegenheit zur Prüfung dieser Preiserhöhung gegeben sein wird, vereinigten sich alle übrigen Stimmen mit der Ansicht des Finanzministers.
IV. Wiedererrichtung aufgelöster Komitats- und Munizipalausschüsse in Ungarn
Aus Anlaß der Auflösung der Pester Komitatsrepräsentation und der bevorstehenden einiger anderer, namentlich der Szabolcser und Heveser8, entwickelte der ungrische Hofkanzler seine Anträge über die Art und Weise der Restauration derselben. Nach der im Jänner d. J. hinausgegebenen Instruktion für die Obergespäne hatten sich diese behufs der Zusammensetzung der Komitatsausschüsse in der Zahl von 50 bis höchstens 400 mit den Notabeln des Komitats aus allen Klassen zu vereinbaren9. Da nicht bestimmt war, ob die Ausschüsse durch Ernennung oder Wahl zu bestellen seien, so ging man nach den 1848er Gesetzen vor, und so kam es, daß die Zahl der Ausschüsse 700 bis 2000 erreichte und Namen von bekannten Hochverrätern, Ausländern, selbst fremder Monarchen enthielt10. Auf solche Art kann nun nicht vorgegangen werden. Auch glaubte der ungrische Hofkanzler, daß weder eine Ernennung noch eine Wahl der Ausschüsse stattzufinden hätte. Nicht eine Ernennung, weil die Ernannten ablehnen, nicht eine Wahl, weil dann die früheren Individuen in den Ausschuß kommen würden. Er schlug daher vor, den königlichen Kommissär, der mit der Restauration betraut wird, dahin zu instruieren, daß die in gedachter Instruktion festgesetzte Zahl der Ausschüsse nicht als bindend anzusehen, vielmehr dahin zu wirken sei, daß selbe 200 nicht übersteige und daß nur die Höchstbesteuerten des Komitats bis zur Erfüllung der Gesamtzahl mit Einschluß einer angemessenen Zahl von Vertretern der Gemeinden in den Ausschuß einzutreten haben. Bei den Städten würde dasselbe Prinzip, jedoch mit Anwendung auf alle drei Kategorien der Höchstbesteuerten — Grundbesitzer, Handels- und Gewerbsleute (jedoch mit Ausschluß der Juden) — zur Geltung kommen. Der Hofkanzler verspricht sich von dieser den konstitutionellen Grundsätzen entsprechenden Maßregel einen günstigen Erfolg, indem sie diejenigen in die Repräsentanz beruft, welche das höchste Interesse an der geordneten Vertretung ihrer Kommunität || S. 350 PDF || haben, und die Bedenken behebt, welche der Ernennung oder Wahl entgegenstehen. Der Höchstbesteuerte wird, wenn er kraft dieser Eigenschaft in den Ausschuß berufen ist, sich um so weniger weigern, die Mission anzunehmen, sobald er weiß, daß im Falle seiner Weigerung seine Nachmänner in der Steuerquote eintreten können.
Der Ministerrat erklärte sich mit dem Antrage des Hofkanzlers einverstanden, welcher übrigens zur Behebung eines vom Handelsminister gegen die ausdrückliche Ausschließung der Juden geäußerten Bedenkens noch bemerkte, daß, nachdem die Juden in Ungern gesetzlich noch nicht emanzipiert sind und die öffentliche Meinung wider sie ist, das Prinzip der Teilnahme an der Vertretung nach dem Steuermaße schon darum auf sie nicht angewendet werden könnte, weil sie dann fast alle Christen ausschließen würden11.
V. Gesetzentwurf über die Aufhebung der Bergwerksfrone
b Der Finanzminister las den Entwurf einer Gesetzesvorlage an den Reichsrat wegen [der] von Sr. Majestät bereits im Prinzip genehmigten Aufhebung der Bergfrone von 5 bzw. 3% des Bruttoertrags der Werke und, statt deren, Besteuerung des Nettoertrags mit 5%12. Er begründete diesen Antrag mit der Ungerechtigkeit der bisherigen Besteuerungsart, welche einer Abgabe von 14% des Reinertrags gleichkommt und den Bergbau schwer belastet, sowie mit dem Beispiele anderer Staaten, in denen die bestandene Bergfrone abgeschafft worden ist. Den Ausfall für die Finanzen, der sich mit etwa einer halben Million berechnet, hofft der Finanzminister in anderem Wege, etwa durch eine Promessensteuer, zu decken13.
Der Staatsrat hat bereits dem Antrage zugestimmt14, nicht minder erklärte sich der Handelsminister aus volkswirtschaftlichen Rücksichten vollkommen damit einverstanden. Nur der Minister der Äußern erklärte sich gegen das Prinzip der Besteuerung des Reinertrags. Unsere Bergwerke sind darum so zurück, weil sie die Fortschritte der Wissenschaft und Technik nicht benützen. Besteuert man nun ihren Reinertrag, so schreckt das von etwaigen Verbesserungen ab, weil der Betriebsame davon härter getroffen wird als der Nachlässige. Es wäre dies gewissermaßen eine Prämie für den Schlendrian. Der ungrische Hofkanzler erkannte die Richtigkeit der Bemerkungen des Ministers des Äußern an, trat jedoch || S. 351 PDF || dem Antrage des Finanzministers aus der Rücksicht bei, weil ihm aus seiner früheren Anstellung in Böhmen die Klagen bekannt sind, die sich gegen die bisherige Besteuerungsart so laut erhoben haben. Auch alle übrigen Stimmführer vereinigten sich mit dem Antrage des Finanzministers, nachdem der Staatsratspräsident bemerkt hatte, daß unsere Bergwerke nicht aus Mangel industriellen Geistes und Verständnisses, sondern anderer ungünstiger Verhältnisse wegen zurückbleiben, daß das Bedenken des Grafen Rechberg auf jede Besteuerung Anwendung fände und daß, was die Bruttoertragsbesteuerung betrifft, dieselbe noch insbesondere die Unzukömmlichkeit mit sich brachte, daß zahllose Verhandlungen wegen Abschreibung und Nachsicht derselben gepflogen werden mußten15.
VI. Gesetzentwurf über die Änderung der Branntweinsteuer
Der Finanzminister las den Entwurf einer Gesetzesvorlage an den Reichsrat über die Änderung der Branntweinbesteuerung, daß nämlich dieselbe nicht nach dem Maischraum, sondern, wie allgemein als gerechter und zweckmäßiger anerkannt und verlangt wird, nach dem Produkte bemessen werden soll16. Der Staatsrat, in der Hauptsache einverstanden, hat nur einige Modifikationen beantragt17, und zwar, daß in der Aufschrift gesagt werde: „gültig für alle Kronländer, für welche die Besteuerung des Branntweins bei der Erzeugung eingeführt ist18“, daß für das lombardisch-venezianische Königreich nicht die soma metrica, sondern der niederösterreichische Eimer beibehalten werde, indem sich die Umrechnung von selbst ergibt19, daß mit dem Vollzug nur der Finanz-, nicht auch der Kriegsminister mit Rücksicht auf die schwebende Grenzvertretungsfrage beauftragt, daß endlich die Durchführungsverordnung nicht vor den Reichsrat gebracht werde20. Nachdem sich der Finanzminister in allen diesen Punkten der Ansicht des Staatsrates konformiert hatte, ergab sich von Seite der übrigen Stimmen || S. 352 PDF || weder gegen das Meritum noch gegen den Text des Entwurfs eine Erinnerung21.
VII. Bestätigung der Preßburger Superintendenz; Anerkennung der Schulzeugnisse der evangelischen Lehranstalten in Ungarn
Der ungrische Hofkanzler brachte die seinem Vorgänger im Amte zum Vortrage in der Konferenz zurückgestellte Vorstellung gegen die Ah. Entschließung zur Beratung, wodurch anbefohlen worden, die in einem früheren Vortrage wegen Bestätigung der ungrischen Superintendenten vermißte Erwähnung der Preßburger Superintendenz nachzutragen und wegen der Zeugnisse der protestantischen Lehranstalten in Ungern mit dem bestandenen Unterrichtsministerium in Rücksprache zu treten22. Graf Forgách teilte die Ansicht des Barons Vay, daß eine Erwähnung der Preßburger Superintendenz nicht nötig sei, weil der Intendent die Ah. Bestätigung früher schon erhalten hat23 und die Intendenz ihrer Auflösung entgegensieht, daß ferner bezüglich der Schulzeugnisse sich lediglich an dasjenige zu halten sei, was diesfalls im [Ges.] Art. 26 von 1791 vorgeschrieben ist24.
Nachdem jedoch vom Staatsminister sowie von mehreren anderen Stimmen bemerkt worden war, daß hierüber mit mehr Beruhigung abgesprochen werden könnte, wenn der bezügliche Antrag und Resolutionsentwurf gehörig formuliert zur Einsicht und Prüfung vorläge, so luden Se. k. k. Hoheit den ungrischen Hofkanzler ein, hierwegen vorläufig mit dem Staatsminister das schriftliche Einvernehmen zu pflegen25.
Wien, am 5. September 1861. Erzherzog Rainer.
Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, den 13. September 1861. Empfangen 15. September 1861. Erzherzog Rainer.