Nr. 94 Ministerrat, Wien, 8. und 14. Juli 1861 - Retrodigitalisat (PDF)
- ℹ️ anwesend:
- Sammelprotokoll; RS.Reinschrift; P.Protokoll Marherr; VS.Vorsitz Erzherzog Rainer; BdE.Bestätigung der Einsicht (Erzherzog Rainer 14. 7.), Rechberg, Mecséry, Vay, Degenfeld, Schmerling, Lasser, Szécsen, Plener, Wickenburg, Pratobevera, Lichtenfels; BdR.Bestätigung des Rückempfangs Erzherzog Rainer 23. 7.
MRZ. 885 – KZ. 2327 –
Protokoll des zu Wien am 8. und 14. Juli 1861 abgehaltenen Ministerrates unter dem Vorsitze Sr. k. k. Hoheit des durchlauchtigsten Herrn Erzherzogs Rainer. [Sitzung vom 8. Juli] [anw. Erzherzog Rainer, Rechberg, Mecséry, Vay, Degenfeld, Schmerling, Lasser, Szécsen, Plener, Wickenburg, Pratobevera, Lichtenfels]
I Entwurf des königlichen Reskripts zur Beantwortung der Adresse des ungarischen Landtags
Gegenstand der Beratung war der Entwurf des königlichen Reskripts zur Beantwortung der Adresse des ungrischen Landtagsa, 1. Er wurde vorgelesen und sollte nach der Aufforderung Sr. k. k. Hoheit heute nur in seinen Prinzipien geprüft werden, indem die definitive Redaktion nach dem Wunsche der ungrischen Stimmführer selbst noch einer unter ihnen vorzunehmenden Beratung vorbehalten wird.
Graf Szécsen entwickelte hierauf die leitenden Ideen, welche dem Entwurfe zum Grunde liegen, und der ungrische Hofkanzler hob besonders hervor, wie notwendig es sei, sich dabei auf den praktischen Boden zu stellen, um von dem Landtage das zu erhalten, was in den Absichten der Regierung ist.
Der Staatsminister verbreitete sich über die im Entwurfe behandelten prinzipiellen Fragen. Sie betreffen: 1. Die Frage über die Personal- oder Realunion Ungerns mit den übrigen Staaten der Monarchie. In dieser Beziehung fand er sich mit den Ausführungen des Entwurfs befriedigt, und wenn er gleich eine so detaillierte Darstellung, wie sie darin enthalten ist, vielleicht für entbehrlich gehalten hätte, so glaubte er doch bei dem Umstande, daß die Adresse selbst sich || S. 198 PDF || über diese Frage so umständlich ausläßt, auch gegen diese Ausführlichkeit der Antwort nichts einwenden zu sollen. Sie ist eine Staatsschrift. 2. Die 1848er Gesetze. Hier sollte präziser, und zwar nach dem Texte der Bestimmungen vom 20. Oktober, bezeichnet werden, was Se. Majestät davon aufrechterhalten wissen wollen. Alles übrige soll als nicht rechtsbeständig erklärt und nur die Bereitwilligkeit erklärt werden, wegen Revision der nicht aufrechterhaltenen Gesetze, insofern sie nicht mit dem Diplom vom 20. Oktober im Widerspruche stehen, mit dem Landtage in Verhandlung zu treten. 3. Die Absendung einer Deputation des ungrischen Landtags an den in Wien tagenden Reichsrat. Wäre mit dem bezüglichen, nicht ganz klar gefaßten Passus gemeint, der Landtag habe aus seiner Mitte Abgeordnete zu wählen und diese an den Wiener Reichsrat zu senden, um an dessen Arbeiten in Vertretung des Königreiches im Sinne des § 10 des Grundgesetzes vom 26. Februar teilzunehmen, so würde dagegen nichts einzuwenden sein. Das Prinzip des 26. Februar wäre festgehalten, und es könnte sich über etwaige Modifikationen in der Zahl und Wahlart der Abgeordneten hinweggesetzt werden. Wäre es jedoch so gemeint, daß die ungrische Deputation etwa wieder mit einer Deputation des Wiener Reichsrates erst über den Modus der Teilnahme Ungerns an der Reichsvertretung in Unterhandlung zu treten hätte, so könnte er sich dieser Ansicht nicht anschließen, weil damit der Standpunkt des 26. Februar, an dem Se. Majestät unverbrüchlich festhalten zu wollen wiederholt und feierlich erklärt haben, aufgegeben sein und das Zustandekommen der wahrhaften Reichsvertretung in eine unberechenbare Ferne gerückt werden würde. Der Staatsminister müßte daher wünschen, daß die bezügliche Aufforderung zur Beschickung des Reichsrates in der Art abgefaßt werde, wie sie in dem mit dem Grundgesetze gleichzeitig an den ungrischen Hofkanzler erlassenen Ah. Kabinettsschreiben textiert ist2. Das Prinzip, daß Ungern in den Gegenständen des Art. II des Diploms vom 20. Oktober im Reichsrate vertreten sein müsse, kann nicht mehr Gegenstand einer Unterhandlung sein. 4. Die Union mit Siebenbürgen. Der hierauf bezügliche Passus im Entwurfe scheint der Unionsfrage vorzugreifen. Im Diplom vom 20. Oktober ist über die Union nichts gesagt; vielmehr ist durch das gleichzeitige Ah. Kabinettsschreiben an Graf Rechberg3 die Wiederherstellung der abgesonderten Landesvertretung Siebenbürgens eingeleitet worden. Auf dieses wäre sich also zu beziehen. Wollen seinerzeit beide Landtage die Union, so wird dies Gegenstand einer weiteren Verhandlung sein. 5. Die staatsrechtliche Stellung Kroatiens und Slawoniens zu Ungern. Gegen die Ausführung dieses Punkts im Entwurfe sowie 6. wegen der Amnestie fand der Staatsminister nichts zu erinnern. Dagegen wünschte er 7. die Frage wegen Wiederholung der Abdikation umgangen zu sehen, nachdem Se. Majestät sich bereits auf das bestimmteste dagegen erklärt haben4. Im übrigen || S. 199 PDF || behielt er sich vor, später einige Modifikationen des Textes zu beantragen, insofern letzterer hier und da dem Ansehen Sr. Majestät zu nahe zu treten scheint.
Hierauf erwiderte der Minister Graf Szécsen : Ad 2. Präziser als im Entwurfe könne über die 1848er Gesetze kaum gesprochen werden. Im Handbillett vom 20. Oktober5 wurde aufgezählt, was davon zu bleiben habe. Hier wird ausdrücklich gesagt, daß das, was davon den Prinzipien des 20. Oktober widerstreitet, aufgehoben sei, eine Erklärung, die bisher noch nie gegeben worden und offenbar weiter geht als jene, welche der Staatsminister beantragt, indem es hier die Absicht ist, nicht einmal eine Revision derjenigen zuzulassen, welche Se. Majestät als von vornhinein verworfen bezeichnen. Ad 3. geht der Sinn der Aufforderung des Landtags zur Beschickung des jetzt in Wien tagenden Reichsrates allerdings dahin, daß die ungrische Deputation bsich an den Beratungen über die dem Reichsrat zugewiesenen und gegenwärtig zu verhandelnden gemeinsamenb Angelegenheiten des Reiches nach Art. II des Diploms wirklich beteilige. Es besteht sohin in diesem Punkte das Bedenken oder der Zweifel des Staatsministers nicht. Es wurde nur diese Form gewählt, weil man überzeugt ist, daß eine Beteiligung Ungerns an der Reichsvertretung nach dem Wortlaute des Grundgesetzes vom 26. Februar gewiß nicht angenommen werden wird, dagegen doch die Möglichkeit vorhanden ist, daß eine Beteiligung im Sinne des Art. II des Diploms stattfinde, wenn dem Landtage einige Freiheit in der Modalität derselben zugestanden wird. Man sagt den Ungern, setzte der Hofkanzler hinzu: „Wahrt die Rechte eures Landes im Wiener Reichsrate.“ Es liegt also in ihrem eigenen Interesse, dafür zu sorgen, daß sie gewahrt werden, und zwar um so mehr, als, wie nicht zu bestreiten ist, das Land durch den 20. Oktober wichtige konstitutionelle Rechte verloren hat. [ Minister Graf Szécsen :] Ad 4. Was über die Union von Siebenbürgen mit Ungern gesagt ist, widerspricht nicht nur dem Diplom vom 20. Oktober nicht (denn es stellt ja die Union auch nur als von der Vereinbarung der beiderseitigen Landtage abhängig dar), sondern es geht hier noch weiter, indem es ausdrücklich hervorhebt, daß eine Union nur dann als zulässig erkannt werden wird, wenn für die Gleichberechtigung aller Nationalitäten die volle Garantie gegeben ist. Sich einfach auf die Wiederherstellung der selbständigen Verfassung und Verwaltung Siebenbürgens zu beziehen, würde als eine Präokkupation gegen die Union, auch wenn sie von beiden Landtagen gewünscht werden sollte, angesehen werden müssen. Ad 7. sei die Frage wegen der Abdikation allerdings mit Vorsicht zu behandeln. Der Hofkanzler habe darum diesfalls keine bestimmte Zusage in den Entwurf aufgenommen. Welche Modifikationen des bezüglichen Textes noch für zulässig erkannt werden können, wird ohnehin bei der Beratung über die definitive Redaktion des Entwurfs zur Sprache kommen.
Der Minister des Äußern bemerkte, er sehe aus dem Entwurfe und den darüber gegebenen Erläuterungen, daß über die Prinzipien selbst eine Differenz || S. 200 PDF || zwischen den ungrischen und deutschen Mitgliedern des Ministerrates bestehe. Jene geben den Standpunkt des 26. Februar und selbst des 20. Oktober auf, indem sie die Möglichkeit eines abgesonderten verantwortlichen ungrischen Ministeriums nach den 48er Gesetzen in Aussicht stellen, während die Bestimmungen vom 20. Oktober nur von der Wiederherstellung der vor 1848 bestandenen ungrischen Verfassung und Verwaltung sprechen. Sie setzen die Notwendigkeit eines versöhnlichen Vorganges voraus und geben dabei dem Reskript eine Fassung, die den Monarchen zu seinen Untertanen in eine Stellung bringt, als ob er mit ihnen als Gleichberechtigten zu unterhandeln hätte. Und doch ist alles, was Se. Majestät dem Lande gewährt haben, lediglich ein Ausfluß der Ah. Gnade, eine unter Bedingungen gewährte Gnade, über deren Grenzen noch weiter zu unterhandeln das Land kein Recht mehr hat. Der Moment ist gekommen, wo Se. Majestät sich klar und bestimmt über dasjenige auszusprechen haben, was Allerhöchstdieselben zu gewähren gedenken. Möge es also in einer jeden Zweifel und jede Zweideutigkeit ausschließenden Sprache geschehen, damit dem gegenwärtigen Landtage nicht Anlaß zu neuen Versuchen gegeben werde, sich über die in den Grundgesetzen bezeichneten Schranken hinwegzusetzen. Im wesentlichen die Ansicht des Staatsministers über die unklare Fassung des Entwurfs teilend, erklärte sich der Polizeiminister zwar durch die von den ungrischen Stimmführern gegebenen Erläuterungen in der Hauptsache für befriedigt, fand aber eben um jener Unklarheit willen, daß es notwendig sei, die Absichten der Regierung möglichst klar und bestimmt auszudrücken und sie so hinzustellen, daß man ihr Recht anzuerkennen genötigt ist, nicht so sehr von Seite des ungrischen Landtags — denn von diesem ist kaum ein günstiger Umschwung der Meinung zu erwarten —, als vielmehr von Seite der auswärtigen Staaten. Insbesondere aber hielt der Polizeiminister einen Zusatz am Schlusse des Reskripts für nötig, worin darauf hingewiesen wird, daß die bestehenden Gesetze, namentlich im Steuerwesen, so lange aufrechterhalten bleiben, bis sie nicht im verfassungsmäßigen Wege abgeändert oder aufgehoben worden sind. Der Kriegsminister nahm Anstand, sich über die hier in Rede stehenden wichtigen staatsrechtlichen Fragen eingehend und erschöpfend auszusprechen. Nur soviel glaubte er bemerken zu dürfen, daß er sich weder mit dem Eingang des Reskripts noch mit der Basis desselben einverstanden erklären könne. Nicht mit ersterem, weil es der Würde des Monarchen entgegen ist, sich vor den Untertanen wegen der bisherigen zehnjährigen Verwaltung zu entschuldigen. Nicht mit letzterer, weil der Monarch mit seinen Untertanen, denen er aus Gnade die Wiederherstellung der Verfassung, jedoch unter den im Diplom vom 20. Oktober festgesetzten unabänderlichen Bedingungen zugestanden hat, nicht paktieren kann und darf. Bezüglich der die Armee betreffenden Stelle teilte er die Ansicht des Ministers des Äußern, daß sich hierbei an die Fassung des Diploms vom 20. Oktober zu halten sei und daß insbesondere eine Vorsorge darüber werde getroffen werden müssen, die Freiheit der Komitate zu beschränken, welche die ihnen mißliebigen Truppen eigenmächtig wegschicken, ohne daß dagegen von Seite der oberen Verwaltungsbehörden eine Zurechtweisung erfolgte. Minister Ritter v. Lasser unterzog den Entwurf, soweit er ihn nach einmaliger Vorlesung || S. 201 PDF || aufzufassen vermochte, einer näheren Analyse und beschränkte sich unter Vorbehalt weiterer textueller Modifikationen vorderhand auf folgende Bemerkungen: Ad 2. sei bestimmt zu erklären, daß von den 1848er Gesetzen diejenigen nicht gelten können, die gegen die Bestimmungen des Diploms vom 20. Oktober verstoßen. Ad 3. Da die ungrische Verfassung nur aus Gnade und unter den die Reichseinheit wahrenden Bedingungen wiederhergestellt worden, so sei die positive Aufforderung des Landtags zur Teilnahme an der Reichsvertretung zu stellen, und zwar, da der gegenwärtige Reichsrat in Wien, wenn er nicht bald vervollständigt werden kann, nicht länger haltbar und zur Lösung der dringenden finanziellen Fragen nicht geeignet ist, in der Art, daß die vom ungrischen Landtage zu wählende Deputation für jetzt provisorisch in den zur Zeit in Wien tagenden Reichsrat gesendet werde, um die Interessen Ungerns darin zu wahren und zu vertreten, daß jedoch die definitive Regelung der Art der Vertretung des Landes auf dem Reichsrate einer weiteren landtäglichen Verhandlung vorbehalten bleibe. Auch müßte bestimmt werden, daß die provisorische Wahl für den gegenwärtig versammelten Reichsrat sogleich und praeferenter vorgenommen werde. Hiermit waren auch der ungrische Hofkanzler und Graf Szécsen einverstanden. Ad 4. müßte gesagt werden, daß die Union mit Siebenbürgen nicht eher zugegeben werden könne, bis nicht für die Gleichberechtigung der Nationalitäten und für die Teilnahme an der Gesamtreichsvertretung sowohl Ungerns als Siebenbürgens hinreichende Bürgschaft vorliegt. Bezüglich 6., der Amnestie endlich, könnte nicht gesagt werden, daß die Urteile, welche rechtmäßig gefällt worden, sondern nur, daß die Folgen der Verurteilung aufgehoben oder nachgesehen werden. Der Finanzminister teilte über die Notwendigkeit einer klaren und präzisen Fassung der Antwort, von der zur näheren Prüfung der Textierung jedem Mitglied des Ministerrates ein Exemplar zugefertigt werden sollte, im wesentlichen die Auffassung der Vorstimmen und schloß sich insbesondere ad 3. über die Beschickung des Reichsrates durch ungrische Abgeordnete der Ansicht des Ministers v. Lasser an. Außerdem aber beantragte er, dem Landtage die Einführung eines eigenen ungrischen Ministeriums für diejenigen Verwaltungszweige, welche nicht als Reichsangelegenheiten vor ein höheres Forum gehören, mit Bestimmtheit zuzusichern, weil die Gewährung dieses Wunsches gewiß Befriedigung im Lande geben [wird] und weil dieser Wunsch ein wirklich berechtigter ist, nachdem der Dualismus in Angelegenheiten, welche den Ländern der ungrischen Krone und welche den nichtungrischen Ländern gemeinsam sind, bereits im Diplom und im Grundgesetze zum Ausdruck gekommen und bezüglich der Vertretung in der Anerkennung des itzt in Wien tagenden Reichsrates als engerer Reichsrat wirklich in Anwendung gebracht worden ist; cweil endlich durch die Bestellung eines ungrischen Ministeriums als oberstes Exekutivorgan allein der leidigen Komitatswirtschaft ein Ziel gesetzt werden würdec . Vorsichtig jedoch und im Sinne des Diploms vom 20. Oktober müßte die bezügliche Stelle abgefaßt werden, damit von dem ungrischen Ministerium dasjenige ausgeschieden bleibe, was im Diplom als Reichsangelegenheit || S. 202 PDF || bezeichnet ist. Auf den Handelsminister hat die Vorlesung des Entwurfs in seiner Form und in seinem Inhalt einen peinlichen Eindruck gemacht. In ersterer Beziehung kann die Sr. Majestät ganz unwürdige Entschuldigung wegen der letzten zehnjährigen Regierung nicht beibehalten werden. In letzterer ist es der förmliche Ausspruch des Dualismus zwischen Ungern und den deutsch-slawischen Ländern, das Aufgeben des Handels-, Eisenbahn- und Bergwesens, kurz die Verlassung des Standpunkts des 20. Oktober und 26. Februar, was der Votant beanständen müsse, der sich im übrigen den Anträgen des Ministers v. Lasser anschloß. Minister Freiherr v. Pratobevera äußerte in formeller Beziehung, daß im Eingange des Reskripts die Stellen wegen des Schleiers über das Vergangene, der zehnjährigen Regierung etc. als der Majestät unwürdig und zweckwidrig wegfallen, dagegen erwähnt werden sollte, wienach die dem Lande gewährte Selbständigkeit nicht als ein altes konstitutionelles Recht in Anspruch genommen, sondern nur als ein Akt der freien Ah. Gnade angesehen werden könne, welche Se. Majestät nach dem gegebenen kaiserlichen Worte unter den darin festgesetzten Bedingungen aufrechterhalten wollen. In merito war der Votant für die schon von den Vorstimmen beantragte klarere Fassung, insbesondere für den Antrag v. Lassers bezüglich der Entsendung ungrischer Deputierter in den Reichsrat sowie für den Antrag des Finanzministers rücksichtlich des ungrischen Ministeriums, weil derselbe sich als die Konsequenz der Entwicklung der Zustände darstellt, welche für Ungern eine eigene Verwaltung für innere, Kultus-, Unterrichts-, Justiz- etc. Angelegenheiten herbeigeführt haben, also naturgemäß auch auf die Oberleitung derselben in Ungern durch eigene Fachminister, wie sie dafür für die Gesamtheit der nichtungrischen Länder bestehen, hinweisen. Der Staatsratspräsident erklärte sich in Ansehung des Eingangs des Reskripts mit den Ansichten des Ministers des Äußern und des Kriegsministers einverstanden. Er fand den ganzen Ton desselben der Würde des Throns und der Haltung der Regierung unangemessen und glaubte, daß damit nur dem Landtage die Waffen gegen die Regierung in die Hand gegeben werden. Nicht der Landtag, sondern die Regierung hat den Schleier über das Vergangene zu ziehen, und zwar nur unter der Bedingung, daß ersterer sich den Bestimmungen des 26. Februar füge. Er war nicht einverstanden damit, daß über Steuern und Rekrutierung, an denen nichts geändert werden kann, noch daß über das Wahlrecht der Stände im Falle des Erlöschens der Ah. Dynastie etwas erwähnt werde. Ebensowenig sei eine Anerkennung der formellen Gültigkeit der 1848er Gesetze auszusprechen. Die alte Landesverfassung wurde aus Ah. Gnade unter den im Diplom vom 20. Oktober festgesetzten Einschränkungen wiederhergestellt, sie ist also kein Gegenstand der Unterhandlung mit dem Landtage mehr. Es muß daher auch das Reskript, welches die Adresse beantwortet, nicht in einer elastischen, sondern in klarer und bestimmter Sprache als ein Ultimatum abgefaßt sein, damit der Landtag wisse, woran er sich zu halten und was er zu tun habe. Im Prinzip erklärte sich der Staatsratspräsident mit der Ansicht des Staatsministers und, soweit es die Beschickung des Reichsrates betrifft, mit jener des Ministers v. Lasser insbesondere einverstanden. Nicht so mit dem Antrage des Finanzministers und Baron || S. 203 PDF || Pratobeveras für Zulassung eines eigenen verantwortlichen Ministeriums für Ungern, weil hiermit die Einheit des Reiches zerstört werden würde. Auch von der Aufhebung der wider die politischen Verbrecher gefällten Urteile kann keine Rede sein, weil sie von den während des Ausnahmszustandes rechtmäßig eingesetzten Gerichten nach den Gesetzen gefällt worden sind und ihre Folgen nur aus Ah. Gnade nachgesehen werden können.
Der ungrische Hofkanzler verwahrte sich gegen die Auslassungen über den Ton und die versöhnliche Sprache des Entwurfs, versichernd, daß unter den obwaltenden, ihm genauer bekannten Verhältnissen nur eine ruhige Haltung Aussicht auf einen Erfolg habe. Eine gereizte Sprache in diesem Moment würde unfehlbar zum offenen Bruche führen, den die Regierung, soweit es ihr zusteht, doch vermeiden sollte.
Belangend die Einwendungen gegen ein eigenes ungrisches Ministerium, führten sowohl er als auch Minister Graf Szécsen aus, daß dessen Bestellung nur eine Konsequenz der in der Organisierung der obersten Verwaltungsbehörden selbst vorgegangenen Veränderungen sein würde. Am 20. Oktober wurden die Ministerien des Inneren, des Kultus und Unterrichts und der Justiz, welche bis dahin ihren Wirkungskreis über die ganze Monarchie ausgedehnt hatten, als solche aufgelöst und für die Länder der ungrischen Krone rücksichtlich der jenen Ministerien zugewiesenen Verwaltungsgegenstände eigene Hofstellen eingesetzt. Indessen bestehen dim Gegensatze mit der ursprünglichen Idee des 20. Oktoberd für die nichtungrischen Länder die Ministerien des Inneren, Kultus und Unterrichts unter dem Titel „Staatsministerium“ mit zwei Ministern und das Justizministerium tatsächlich noch fort. Es ist daher das Begehren nach gleichartigen eigenen Ministerien für Ungern um so begründeter, je notwendiger es für die Regierung ist, sich durch eigene Organe im Landtage vertreten zu lassen. Der ungrische Hofkanzler ist hierzu nicht berufen, und nur eigenee Minister könnten die Regierung im ungrischen Landtage so vertreten, wie dies mit den deutschen im Wiener Reichsrate der Fall ist. Auch die Minister Edler v. Plener und Freiherr v. Pratobevera rechtfertigten ihren hierauf bezüglichen Antrag mit der Bemerkung, daß sie darin keine Beeinträchtigung der Reichseinheit, die ihnen nicht minder als dem Staatsratspräsidenten am Herzen liege, zu erblicken vermöchten, nachdem der 20. Oktober selbst die Trennung der Reichs- von den gemeinsamen Angelegenheiten der ungrischen Länder einerseits und der nichtungrischen andererseits anerkannt, für die Gesetzgebung jener den ungrischen Landtag, dieser den engeren Reichsrat berufen und für die Verwaltung jener die ungrische Hofkanzlei, dieser die auf das Gebiet der deutsch-slawisch-italienischen Lande beschränkten Ministerien eingesetzt hat. Wie sollte also durch Einführung eines ungrischen Ministeriums für die in Rede stehenden Verwaltungszweige, welches die Regierung auf dem Landtage ebenso zu vertreten hätte wie die einschlägigen deutschen Minister auf dem engeren Reichsrate, eine Gefährdung der Reichseinheit erwachsen, nachdem dieselbe in den eben || S. 204 PDF || gedachten Verwaltungszweigen seit dem 20. Oktober bereits aufgegeben ist? Bloß im Namen „ungrische Hofkanzlei“ oder „ungrisches Ministerium“ würde der Unterschied liegen. Hiergegen erinnerte der Staatsratspräsident nur, daß für Ungern niemals eine unabhängige Zentralverwaltung im Lande bestand, sondern diese außer der Hofkanzlei noch auf dem bis 1848 bestandenen Staatsrate und der Staatskonferenz beruhte, und daß, was insbesondere ein „verantwortliches“ ungrisches Ministerium betrifft, ein solches derzeit auch für die Länder diesseits der Leitha noch nicht besteht.
Se. k. k. Hoheit geruhten, sich hinsichtlich der Fassung des Reskripts dahin auszusprechen, daß die Stelle, wo vom Schleier der Vergessenheit über das Vergangene die Rede ist, weggelassen und jene hinsichtlich der Abdikation jedenfalls sehr vorsichtig abgefaßt werden müsse.
Wien, am 8. Juli 1861.
Fortsetzung am 14. Juli 1861. Vorsitz und Gegenwärtige wie am 8. Juli 1861.
Es wurde der mit Berücksichtigung der vorstehenden Abstimmungen von dem ungrischen Hofkanzler im Einvernehmen mit dem Minister Grafen Szécsen umgearbeitete Entwurf des königlichen Reskripts vorgelesenf, 6.
Graf Szécsen schickte einige einleitende Bemerkungen voraus über die Grundzüge des Entwurfs, aus welchen zu entnehmen, daß die beanständeten Stellen über den Schleier der Vergessenheit bezüglich des Vergangenen, die Anerkennung der formellen Giltigkeit der 1848er [Gesetze] und die detaillierte prozessualische Ausführung über den Sinn der Pragmatischen Sanktion ausgelassen worden seien, und der ungrische Hofkanzler bat, bei Beurteilung dieses Entwurfs zu berücksichtigen, daß derselbe als Antwort auf eine ausführliche Adresse sowie als ein Aktenstück, welches königliche Propositionen an den Landtag enthält, einer gewissen Ausführlichkeit um so weniger entbehren durfte, als die Regierung zur Zeit im Landtage nicht vertreten ist.
Der Minister des Äußern bemerkte, es seien wohl in der Sprache des Entwurfs einige der in der früheren Sitzung angeregten Änderungen vorgenommen worden. Sie erscheine jedoch nichtsdestoweniger nicht angemessen der Würde des Monarchen, der dem Lande trotz dessen Verirrungen solche Zugeständnisse gemacht hat, wie sie die Bestimmungen vom 20. Oktober enthielten. Sie erscheine aber auch als so unbestimmt und zweideutig, daß Mißverständnisse darüber entstehen müßten und nicht einmal der Regierungspartei im Lande klar werden dürfte, woran sich zu halten sei. Insbesondere könne er sich mit der Grundlage des Entwurfs in Ansehung der 1848er Gesetze nicht einverstanden erklären, weil er die Giltigkeit derselben überhaupt bestreite und sich auf eine || S. 205 PDF || landtägliche Verhandlung über deren Modifikation um so weniger einlassen könnte, je weniger man sich davon einen günstigen Erfolg von dem gegenwärtigen Landtage zu versprechen habe. Auch in allen übrigen Punkten sei der Entwurf noch allgemeiner und unbestimmter gehalten als der früher vorgetragene, daher er beantrage, von demselben abzusehen und den früheren Entwurf mit den in der Sitzung vom 8. d. M. besprochenen Änderungen zur Grundlage der Beratung zu nehmen.
In der Hauptsache waren hiermit alle deutschen Mitglieder des Ministerrates einverstanden. Von einzelnen derselben wurden insbesondere die Punkte hervorgehoben, die einer bestimmten, unzweideutigen Erklärung bedürfen. Als solche bezeichnete der Staatsminister die schon oben unter 2., 3. und 4. erwähnten Stellen und bemerkte nur bezüglich 1., die Pragmatische Sanktion betreffend, daß ihm die umständlichere Fassung dieses Punkts nach dem früheren Entwurfe mehr zusage, weil sich auch die Adresse darüber umständlicher verbreitet und weil es sich in der darauf zu erteilenden Antwort nicht nur um die Aufklärung Ungerns über die Auffassung der Pragmatischen Sanktion, sondern auch des Auslandes handelt. Minister v. Lasser hob hervor, daß die neue Fassung ad 3. über die Beschickung des gegenwärtig in Wien tagenden Reichsrates den in der Sitzung vom 8. d. M. entwickelten Ansichten nicht entspreche, daß ferner die bloße Festhaltung der äußern und Heeresangelegenheiten mit Umgehung der Finanzen und des Handels den Bestimmungen vom 20. Oktober zuwider sei und daß auch über die staatsrechtliche Stellung der vormals zur ungrischen Krone gehörigen Lande sowie über die Stellung der verschiedenen Nationalitäten, insbesondere der Serben, gar nicht oder nicht eingehend genug sich ausgelassen werde. Der Finanzminister erklärte mit Bezug auf sein früheres Votum, daß der neue Entwurf seinen Anträgen bezüglich eines eigenen ungrischen Ministeriums nicht entspreche, weil Finanzen und Handel nicht, wie [sie] sollten, dem Reichsministerium ausdrücklich vorbehalten werden, wornach zu dem Mißverständnis Anlaß gegeben werden dürfte, daß auch diese Gegenstand einer abgesonderten ungrischen Landesverwaltung sein könnten. Wie das Heer, so müssen auch die Finanzen im Zentrum des Reiches geführt werden. Von dem Augenblicke an, wo letztere Gegenstand einer gesonderten Landesverwaltung wären, würden Se. Majestät aufhören, Kaiser von Österreich zu sein. Der Handelsminister fand im gegenwärtigen Moment die Einsetzung eines eigenen ungrischen Ministeriums unausführbar, weil dann die ganze gegenwärtige Komitatsverfassung umgestoßen werden müßte, die sich mit jener Einrichtung nicht vertrüge. Der Staatsratspräsident endlich erklärte es für unbegreiflich, wie nach den Bestimmungen vom 20. Oktober, nach den von Sr. Majestät in den ungrischen Angelegenheiten wiederholt ausgesprochenen Ah. Absichten und nach den Anträgen des Ministerrates vom 8. d. M. ein Entwurf eingebracht werden konnte, der über die in der Adresse berührten Fragen nur mit unbestimmten Phrasen antwortet, welche nicht eine Entscheidung, sondern nur neue Verhandlungen ohne feste Grundlage zur Folge haben würden.
Der ungrische Hofkanzler und Minister Graf Szécsen wiesen den Einwand gegen die Fassung des neuen Entwurfs zurück, bemerkend, daß sie sich || S. 206 PDF || bei derselben die Konferenzanträge gegenwärtig gehalten haben. Nachdem der Eingang des Reskripts nach dem früheren Entwurfe nicht beliebt worden, mußte ein anderer an dessen Stelle gesetzt werden. Was den meritorischen Teil des Entwurfs betrifft, so sei ad 1. die prozessualische Ausführung über die Auffassung der Pragmatischen Sanktion weggelassen und sich auf die Zitierung der betreffenden Gesetzartikel beschränkt worden, weil man aus dem früheren Votum des Staatsministers dessen Wunsch einer kürzeren Fassung zu entnehmen glaubte. Die sub 2. erwähnten 1848er Gesetze wurden im neuen Entwurfe eben nach den Anträgen des Ministerrates vom 8. d. M. formell nicht anerkannt, vielmehr wird deren Revision auf Grundlage der Pragmatischen Sanktion und des Diploms vom 20. Oktober vorbehalten. Die Absendung einer Deputation des ungrischen Landtags an den gegenwärtigen Reichsrat (ad 3.) zur Teilnahme an den Verhandlungen des letzteren über die allgemeinen Reichsangelegenheiten ist, wenn man die vorhergehenden Stellen: „Nachdem die Bedeckung der Erfordernisse Unseres Reiches keinen weiteren Aufschub mehr erleidet etc.“ damit zusammenhält, wohl unzweifelhaft in dem Sinne gehalten und zu verstehen, wie es der Staatsminister und Ritter v. Lasser gewünscht haben. Neu ist nur die Verhandlung einer Deputation mit den königlichen Kommissären über die definitive Regelung der Modalitäten der Teilnahme Ungerns an der Reichsvertretung. Werden dieser Punkt und die Zusicherung eines ungrischen Ministeriums für die in der vorigen Sitzung von den Ministern v. Plener und Baron Pratobevera bezeichneten Verwaltungszweige zugestanden, so wird das [die] Lösung der hier in Verhandlung stehenden Aufgabe wesentlich erleichtern, und [es] stimmen sowohl der Hofkanzler als Minister Graf Szécsen dem Antrage bei, daß nebst den äußern und Heeresangelegenheiten auch Finanzen und Handel als dem Reichsministerium allein vorbehalten ausdrücklich bezeichnet und bezüglich der übrigen Zweige die Erstattung von Vorschlägen durch den Landtag selbst abgefordert werde. Belangend die Fragen 4. und 5. wegen der Union mit Siebenbürgen und der staatsrechtlichen Stellung Kroatiens zu Ungern habe man, weil eben gegen den früheren Entwurf der Einwand gemacht worden, daß durch die damalige Textierung diesen Fragen im ungrischen Sinne vorgegriffen werde, im neuen Entwurfe davon nichts erwähnt und sich auf die Aufforderung beschränkt, für die Sicherstellung der Gleichberechtigung aller Nationalitäten Sorge zu tragen. Sonach glaubten diese beiden Votanten, den Ansichten der Konferenz in dem neuen Entwurfe nach Tunlichkeit Rechnung getragen zu haben, und erklärten sich bereit, in einer zwischen ihnen und dem Staats- und Finanzminister anzustellenden engeren Beratung sich über einen neuen Entwurf des Reskripts zu vereinbaren, der dann zur Schlußberatung vor den Ministerrat zu bringen wäre.
Als jedoch der Staatsminister den mit seinen deutschen Kollegen auf Grundlage des ersten Entwurfs und mit Berücksichtigung der Abstimmung vom 8. d. M. vereinbarten neuen Entwurfg vorgelesen hatte, erklärten sowohl der || S. 207 PDF || ungrische Hofkanzler als auch Minister Graf Szécsen , diesem Entwurfe, der beiläufig auch das staatsrechtlich bisher unerhörte Prinzip aufstellth, daß ein Monarch den Gesetzen seine Zustimmung nur für sich allein und nicht auch für seine Nachfolger erteilt habe, unmöglich beitreten zu können, weil er Ausführungen enthält, welche beide Votanten vom rechtlichen wie vom politischen Standpunkte entschieden zurückweisen müssen. Feigheit oder Verrat wäre es, sagte der Hofkanzler, wenn er solche Prinzipien unterschriebe, und falls Se. Majestät das Reskript in dieser Fassung zu genehmigen fänden, müßten er und Graf Szécsen — letzterer selbst, wenn er nicht Ungar wäre — auf die ihnen von Sr. Majestät anvertrauten Posten verzichten7.
iDer Polizeiminister bemerkte hierauf, daß auch er den oben erwähnten Grundsatz, als sei der Monarch nur für seine Person an die Einhaltung sanktionierter Gesetze gebunden, nicht billige und daher für die Weglassung dieses Argumentes stimmei Der Polizeiminister bemerkte hierauf, daß auch er den oben erwähnten Grundsatz, als sei der Monarch nur für seine Person an die Einhaltung sanktionierter Gesetze gebunden, nicht billige und daher für die Weglassung dieses Argumentes stimme, jwelcher Ansicht auch der Kriegsministerund die übrigen Mitglieder der Konferenz beitrat [en]j welcher Ansicht auch der Kriegsminister kund die übrigen Mitglieder der Konferenzk beitrat [en].
Nach dieser Erklärung behielten sich Se. k. k. Hoheit vor, hierwegen die Ah. Befehle Sr. Majestät einzuholen8.
II. Bewilligung von Diäten für Abgeordnete aus der Militärgrenze
Am Schlusse der Sitzung vom 8. d. M. hatte der Kriegsminister die Frage zur Sprache gebracht, ob einem zum kroatischen Landtage abgeordneten Deputierten der Militärgrenze, der auf die ihm vom Regiment angewiesenen Diäten Verzicht geleistet, jedoch wegen eigener Unvermögenheit zur längeren Bestreitung der Kosten seines Aufenthalts in Agram um Anweisung der Diäten aus dem Grenzproventenfonds9 gebeten hat, dieses zu bewilligen und ob nicht daraus || S. 208 PDF || eine Exemplifikation zu besorgen sei. Der Finanzminister erklärte sich in diesem besonderen Falle und für die Person des Bittstellers, also ohne Konsequenz für die Zukunft, für die Gewährung dieser Bitte, wogegen nichts erinnert wurde10.
Wien, am 14. Juli 1861. Erzherzog Rainer.
Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, 21. Juli 1861. Empfangen 23. Juli 1861. Erzherzog Rainer.