Nr. 26 Ministerrat, Wien, 14. März 1861 — Protokoll I - Retrodigitalisat (PDF)
- ℹ️ anwesend:
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Ransonnet (RS.Reinschrift Klaps); VS.Vorsitz Kaiser; BdE.Bestätigung der Einsicht und anw.anwesend (Erzherzog Rainer 16. 3.), Rechberg, Mecséry, Degenfeld, Schmerling, Lasser, Szécsen 18. 3., Plener 18. 3., Wickenburg 19. 3., Pratobevera 19. 3., Lichtenfels; abw.abwesend Vay; BdR.Bestätigung des Rückempfangs Erzherzog Rainer 21. 3.
MRZ. – KZ. 891 –
Protokoll I der Ministerkonferenz am 14. März 1861 unter dem Ah. Vorsitze Sr. Majestät des Kaisers.
I. Wirkungskreis des Handelsministeriums
Se. k. k. apost. Majestät geruhten, die Anträge bezüglich der Organisierung des Handelsministeriums zur Beratung zu bringen, mit der Ah. Bemerkung, daß manche der vorgeschlagenen Bestimmungen über den Wirkungskreis eine bedeutende Vermehrung der Schreibgeschäfte zur Folge haben würden1.
Es wurden hierauf die einzelnen Bestimmungen des Wirkungskreises in Erörterung gezogen, welche sich auf folgende Geschäfte beziehen: 1. Die Mitwirkung bei Prüfung und Bestätigung der Statuten vom Vereine zur Beförderung der Landwirtschaft und Industrie. 2. Das Hausierwesen, wobei Minister Graf Szécsen für die ungarische Hofkanzlei die Entscheidung in oberster Instanz, soweit es sich um Ungarn handelt, vindizierte. 3. Das Marktwesen aund die Gewerbskonzessionena, wobei der Finanz - und der Polizeiminister die Ingerenz des Handelsministeriums auf die Bewilligung von Marktprivilegien und auf die Gesetzgebung in dieser Angelegenheit beschränkt wissen wollten. 4. Die ausschließenden Erfindungsprivilegien, welche dermal eine große Schreiberei verursachen, die der Handelsminister aber auf ein Minimum zu reduzieren gedenkt. 5. Das Hafen- und Seesanitätswesen. 6. Das Zimentierungswesen, Maß und Gewicht, wobei der Polizeiminister sich dafür erklärte, daß die Entscheidung über diesfällige Übertretungen in oberster Instanz dem Staatsministerium vorzubehalten wäre. 7. Der Österreichische Lloyd, wobei der Finanzminister die Notwendigkeit geltend machte, daß ihm der Einfluß auf die Gebarung dieses vom Staate subventionierten und durch große Darlehen unterstützten Institutes gewahrt bleibe. 8. Die Österreichische Donaudampfschiffahrtsgesellschaft, bezüglich welcher der Finanzminister den gleichen Vorbehalt einlegte. 9. Die Eisenbahnen und namentlich die Überwachung des ordnungsmäßigen Betriebes auf denselben, dessen handelspolitische Wichtigkeit Graf Wickenburg mit Hinweisung auf ihm zugekommene Beschwerden geltend machte und erinnerte, daß der Finanzminister, mit anderweitigen Geschäften überhäuft, dieser Angelegenheit || S. 144 PDF || kaum viel Aufmerksamkeit widmen könne. Der Finanzminister nahm für sich einen Einfluß auf die Gebarung der Eisenbahngesellschaften, insbesondere jener, in Anspruch, welche eine Staatsgarantie genießen. 10. Die Ackerbaukammern, wobei Graf Wickenburg bemerkte, daß die Angelegenheiten der Landeskultur zwar zunächst zum Wirkungskreise der Landtage gehören, aber der Handelsminister gleichwohl in der Lage sein werde, die Tätigkeit der Landtage in dieser Beziehung zu unterstützen und zu leiten. 11. Die Zerstückung und Zusammenlegung von Grundstücken — ein wegen der bestehenden kleinen Parzellierungen in volkswirtschaftlicher Beziehung sehr wichtiger Gegenstand, über dessen Regelung der Handelsminister ein Gesetz an den Reichsrat zu bringen gedenkt. Graf Szécsen bemerkte, daß die Kommassation, bSegregation und Regulationb der Grundstücke in Ungarn bereits gesetzlich geregelt seien, und der Finanzminister fände es nicht angezeigt, diese Angelegenheit durch ein allgemeines Gesetz zu regeln. Der Polizeiminister stimmte dagegen, daß die rein administrativen Geschäfte der Grundzerstückung aus dem Staatsministerium ausgeschieden werden. 12. Die Aufsicht über die Forst- und Feldpolizei mit Ausnahme der Straffälle, welche bei dem Staatsministerium behandelt werden. 13. Das Beschälwesen, gegen dessen Überweisung vom Staats- an das Handelsc -Ministerium vom FZM. Grafen Degenfeld keine Erinnerung erhoben wurde. 14. Die Regulierung der Wasserrechte. 15. Jagd und Fischerei. 16. Die oberste Leitung der Privatbergbauangelegenheiten. 17. Das Postwesen. Es wurden hierbei die bereits in der Konferenz am 2. März d. J. geltend gemachten Gründe neuerdings angeführt und insbesondere die Überweisung der Post ans Handelsministerium vom FZM. Grafen Degenfeld bevorwortet. 18. Die Sammlungen statistischer Daten.
Der Staatsratspräsident glaubt sich einer Äußerung über das Detail der Kompetenz des Handelsministeriums enthalten und nur über das dabei zum Grund zu legende Prinzip aussprechen zu sollen,d da er keine Gelegenheit hatte, den diesfälligen Entwurf einzusehend . In dieser Beziehung müsse er erklären, daß ihm ein Handelsministerium ohne administrativen Wirkungskreis den Zweck einer solchen Zentralbehörde nicht zu erfüllen scheine. Um entsprechende Gesetzentwürfe oder administrative Vorschriften verfassen zu können, müsse man in die diesfälligen Verhältnisse aufs genaueste eingeweiht sein und praktische Kenntnisse besitzen, die man sich aber nur durch die Leitung der bezüglichen administrativen Geschäfte erwerben kann. Dadurch lernt man das Bedürfnis kennen und die Mittel zur Abhilfe auswählen. Man kann allerdings im Staatsministerium sowie im Finanz- und im Handelsministerium administrieren und Geschäfte erledigen. Aber es fragt sich, in welchem Geiste es geschieht. Es ist klar, daß im Finanzministerium in der Regel der fiskalische, im Staatsministerium der sogenannte politische Standpunkt festgehalten wird, während das Handelsministerium vorzugsweise den volkswirtschaftlichen Gesichtspunkt berücksichtigen würde, der auch bei vielen der soeben zur Sprache gebrachten Angelegenheiten vorwaltend, ja ausschließlich von Wichtigkeit || S. 145 PDF || ist. Soll das Handelsministerium für die Volkswirtschaft wesentlich nützen, so ist es kaum zu umgehen, daß demselben auch ein praktischer Wirkungskreis zugewiesen werde. Minister Graf Szécsen erinnerte, die Ah. Willensmeinung habe sich am 20. Oktober ausdrücklich nur für die Ernennung eines Handelsministers, nicht für die Bildung eines Handelsministeriums ausgesprochen2. Dieser Handelsminister hätte „ohne eigentlichen administrativen Wirkungskreis“ die volkswirtschaftlichen Interessen im Ministerrate zu vertreten. Graf Wickenburg wies darauf hin, daß beinahe in allen europäischen Staaten Handelsministerien bestehen und denselben überall gewisse Administrativgeschäfte naturgemäß zur eigenen Verwaltung und Entscheidung zugewiesen seien. Die Erfahrung hat die Zweckmäßigkeit dieser Einrichtung bewährt, und es wäre wohl nicht rätlich, die Tätigkeit des Handelsministers in Österreich bloß auf legislative Arbeiten zu beschränken. Seine Wirksamkeit im Interesse der Nationalökonomie würde dabei wesentlich gelähmt sein. Minister v. Lasser bemerkte, daß man sich bei der gegenwärtigen Abgrenzung des Wirkungskreises großenteils an die Kompetenz des bestandenen Handelsministeriums und das früher übliche Einvernehmen der Zentralbehörden gehalten habe. Se. k. k. apost. Majestät geruhten hierauf zu erwidern, daß dies keineswegs absolut nötig sei, zumal wenn es nur mit einer unfruchtbaren Geschäftsvermehrung erzielt werden kann. Damit das Handelsministerium nicht wieder zu einem so großen und kostspieligen Körper anwachse wie früher, müssen vielmehr die administrativen Geschäfte soviel möglich dem Staats- und Finanzministerium vorbehalten bleiben. Für die Geschäfte ist es überhaupt am besten, wenn die Unterbehörden nicht von verschiedenene Seiten Befehle erhalten.
Mit Berücksichtigung dieser Ah. Absichten sei der Wirkungskreis des Handelsministeriums durch die Minister v. Lasser, v. Plener und Graf Wickenburg neuerdings in kommissionelle Beratung zu ziehen, wobei jedoch namentlich alle Angelegenheiten der Zentralseebehörde, dann die Überwachung der Eisenbahnen und die mit den ausschließlichen Privilegien verbundenen Administrativgeschäfte in die Kompetenz des Handelsministeriums aufzunehmen sind3.
II. Wahl von Ministern zu Landtags- und Reichsratsabgeordneten
Der Polizeiminister erbat sich eine Ah. Entscheidung, ob er, im Falle auf ihn die Wahl zum Mitgliede des böhmischen Landtages fiele, eine solche Wahl auch annehmen dürfe? Er selbst würde glauben, daß sich die Geschäfte eines Ministers mit den Obliegenheiten eines Landtagsabgeordneten außer Niederösterreich nicht vereinigen lassen, weil des Ministers Platz im Landtage fast immer unbesetzt wäre und daher eine Stimme für die Regierung in der Landesvertretung verlorenginge. || S. 146 PDF || Minister v. Plener teilte diese Ansicht. Der Staatsminister war dagegen der Meinung, daß es sehr wünschenswert wäre, wenn in mehrere Landtage Minister gewählt würden, da sie dort während einer kurzen Abwesenheit von Wien vor allem auf die hochwichtigen Reichsratswahlen Einfluß nehmen fund auch selbst in das Haus der Abgeordneten gewählt werdenf können. Dieses letztere sei von Wert für die Stellung eines Ministers und wird deswegen auch in allen Staaten mit Repräsentativverfassungen von den Ministern angestrebt. Laut Reichsratsstatut § 19 ist dieser Fall auch vorausgesehen. Durch die Abwesenheit des Ministers von dem Landtage sei die Tätigkeit des letzteren nicht gehemmt, und bei wichtigen Verhandlungen könne ja der Minister mit Ah. Genehmigung seinen Platz temporär dort einnehmen, gleichwie englische Diplomaten von ihren Posten zur Abstimmung über große Fragen im englischen Parlamente mit Urlaub nach London zurückkehren. Minister v. Lasser trat dieser Meinung bei und bemerkte, daß, wenn auch der Sitz eines Ministers im Landtage meist leer bleibt, dies jedenfalls besser ist, als wenn er durch einen regierungsfeindlichen Abgeordneten besetzt würde. Der Handelsminister sprach sich in demselben Sinne aus. Die Minister Freiherr v. Pratobevera und Graf Szécsen äußerten, daß die Ah. Beschlüsse in dieser Angelegenheit auch für sie maßgebend sein würden, nachdem an dieselben Anfragen von Wählern ergangen sind.
Se. Majestät der Kaiser geruhten, den Ministern die Annahme von Wahlen zu Landtagsabgeordneten Ag. zu gestatten.
III. Gebrauch der ungarischen Sprache im Amtsverkehr mit Behörden und anderen Kronländern und im Ausland
Der Minister des Äußern referierte, der württembergische Gesandte habe ihm im Auftrage seiner Regierung die in ungarischer Sprache lautende Antwort eines Stuhlrichters auf das Requisitionsschreiben eines württembergischen Gerichtes zurückgestellt4. gDer direkte Verkehr zwischen den in- und ausländischen Gerichten sei durch Verträge geregelt, die den Parteien im In- wie im Auslande große Vorteile bieten. Durch das Vorgehen des ungarischen Stuhlrichters würden die Bestimmungen dieser Verträge und die durch dieselben erzielten Vorteile rein illusorisch.g Er weiset auf die Notwendigkeit hin, der Wiederkehr solcher Vorgänge vorzubeugen. Ferner drückt der Minister sein Befremden darüber aus, daß die ungarische Hof kanzlei ihm eine in ungarischer Sprache geführte Verhandlung zur Beförderung an das k. k. Generalkonsulat in Bukarest übergeben und die hierauf an die Hofkanzlei gerichtete Aufforderung um Mitteilung einer deutschen Übersetzung abgelehnt hat.
Minister Graf Szécsen findet das Vorgehen des Stuhlrichters vom praktischen Standpunkte aus sehr ungeeignet, kann jedoch darin keinen Widerspruch mit der Württemberg gegenüber eingegangenen Vertragspflicht erblicken, weil der Kaiserstaat || S. 147 PDF || Österreich nur bezüglich der landesfürstlichen, nicht aber der autonomen Behörden, wozu Komitate und Stuhlrichter gehören, eine Verpflichtung eingegangen habe. Ein absolutes Verbot werde hier nichts nützen. Der Minister werde aber darüber mit dem ungarischen Hofkanzler Rücksprache pflegen und ihn bestimmen, die Einleitung zu treffen, daß derlei ungarische Korrespondenzen autonomer Organe mit dem Auslande an das Ministerium des Äußern im Wege der ungarischen Hofkanzlei geleitet werden, welche dann für die Übersetzung Sorge tragen wird5. Se. Majestät geruhten, die Anwendung dieses Auskunftsmittels Ag. zu genehmigen. Minister Baron Pratobevera bemerkte, es sei sehr häufig vorgekommen, daß Schreiben und Geldpakete deutscher Gerichte an die bestandenen lf. Justizbehörden von den an ihre Stelle getretenen ungarischen Organen uneröffnet zurückgesendet wurden. Jetzt sei diesen Übelständen — freilich mit Zeitverlust — dadurch abgeholfen worden, daß die Behörden sich an die Obergespäne wenden.
Minister Graf Szécsen wird auch über diesen Gegenstand mit dem ungarischen Hofkanzler Rücksprache pflegen.
Wien, den 16. März 1861. Erzherzog Rainer.
Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, den 21. März 1861. Empfangen 21. März 1861. Erzherzog Rainer.