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Nr. 10 Ministerrat, Wien, 17. Februar 1861 — Protokoll I - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Ransonnet (RS. Klaps); VS. Erzherzog Rainer; BdE. und anw. (Erzherzog Rainer 18. 2.), Rechberg, Mecséry, Schmerling, Plener, Wickenburg, Lasser, Szécsen 19. 2., Pratobevera 19. 2., FML. Schmerling 21. 2.; abw. Vay; BdR. Erzherzog Rainer 28. 2.

MRZ. – KZ. 627 –

Protokoll I der am 17. Februar 1861 abgehaltenen Ministerkonferenz unter dem höchsten Vorsitze Sr. k. k. Hoheit des durchlauchtigsten Herrn Erzherzogs Rainer.

I. Auflösung des ständigen und verstärkten Reichsrates und Statut für den Staatsrat

Der Staatsminister referierte über den Entwurf eines Ah. Patentes wegen Auflösung des ständigen und verstärkten Reichsrates und mit dem Statute für den Staatsrat1. Er zeigte, daß der verstärkte sowohl als der ständige Reichsrat mit den neuen politischen Einrichtungen nicht vereinbarlich seien, und wies nach, daß, wenn einerseits ein unabhängiges und unverantwortliches Gremium neben dem Ministerrate bei Prüfung von Gesetzesvorschlägen etc. die nützlichsten Dienste leisten könne, dieses Gremium dem Ministerrate keineswegs übergeordnet sein und gewissermaßen das letzte Wort bei dem Monarchen haben dürfe, sondern daß das Ministerium vielmehr in den Stand zu versetzen sei, die Anträge des Staatsrates bei deren au. Vorlage an Se. Majestät noch zu begutachten. Diese Idee, welche bereits während der Präsidentschaft des Fürsten Schwarzenberg zur Sprache kam2, sei der leitende Gedanke beim Entwurfe des vorliegenden Statuts gewesen. Sämtliche Minister waren mit diesen Grundsätzen einverstanden, und der Finanzminister bemerkte, der Staatsrat solle keine Kontrolle, kein Gegengewicht für das Ministerium, sondern nur ein unabhängiger Ratgeber Sr. Majestät sowohl als des kaiserlichen Ministeriums sein. Wenn die Minister verantwortlich sind, kann über sie kein unverantwortlicher Körper gestellt werden.

|| S. 78 PDF || Statut:

Gegen § 1 ergab sich keine Erinnerung.

Zum § 2, Absatz 1, bemerkte der Minister des Äußern , er besorge, daß, wenn der Staatsratspräsident Sitz und Stimme im Ministerrate erhält und somit dem Ministerpräsidenten untergeordnet wird, die Unabhängigkeit des Staatsrates auf nachteilige Weise beeinträchtigt werden würde. a[Er] sprach sich entschieden gegen die Unterordnung des Präsidenten des Staatsrates unter den Ministerpräsidenten aus. Die Bestimmung des Staatsrates bestehe in Prüfung und Kontrollierung der ihm zugewiesenen Arbeiten der Minister wie der Ministerkonferenz. Es ließe sich also eine Unterordnung des Staatsrates unter diesen nicht denken, ohne den Zweck, den er erreichen soll, zu gefährden.a Minister Ritter v. Lasser faßt erkennen vollkommen dieseSitz und Stimme im Ministerrate nicht als eine Unterordnung unter den Ministerpräsidenten auf, sondern erkennt darin vielmehr eine Einrichtung, welche folgende wesentlichen Vorteile gewährt: Der Präsident des Staatsrates wird zum lebendigen Verbindungsgliede seines Gremiums mit dem Ministerium. Er bleibt in fortlaufender Kenntnis der wichtigeren Administrativgeschäfte, kann dabei auch sein beratendes Wort mitreden und verhindert, daß der Staatsrat vom Gange der Geschäfte ganz isoliert wird. Der Präsident wird ferner schon von den Vorbereitungen zu einem ministeriellen Gesetzesvorschlag unterrichtet und ist auch schließlich in der Lage, bei Beratungen der staatsrätlichen Gutachten im Ministerrate dieselben noch zu erläutern und näher zu begründen. Überhaupt soll durch den Staatsrat und durch sein Organ im Ministerrate das Stabilitätsprinzip bin Gesetzgebung und Verwaltungb gewahrt werden. Seine k. k. Hoheit der durchlauchtigste Herr Erzherzog Rainer erkennen vollkommen diese Vorteile, welche aus der Gegenwart des Staatsratspräsidenten bei den Ministerkonferenzen hervorgehen, doch finden Höchstdieselben es nicht angezeigt, dem Staatsratspräsidenten eine entscheidende Stimme im Ministerrate zuzuerkennen, weil er dadurch an den Beschlüssen des Ministeriums teilnehmen und somit auch die Verantwortung teilen würde. Dies würde die Folge haben, daß der Präsident des Staatsrates bei einem Ministerwechsel ebenfalls austreten müßte, während gerade die Stabilität der Staatsräte und ihres Präsidenten eine Hauptbedingung der gedeihlichen Wirksamkeit dieser Institution bildet.

Das Gewicht dieser Gründe wurde von der Konferenz einstimmig anerkannt und nach längerer Erörterung beschlossen, daß im § 2 ausgesprochen werde: Der Präsident des Staatsrates habe den Rang eines Ministers und wohne den Beratungen des Ministerrates bei, jedoch ohne an den Beschlüssen teilzunehmen3.

Der Absatz 2 über den Rang der Staatsräte wurde gestrichen, und es wird die Bestimmung des Ranges gleich wie der Zahl derselben im § 12 einem besonderen || S. 79 PDF || Ah. Erlasse vorzubehalten sein4. Der Finanzminister bemerkte hierbei, daß seinerzeit den Staatsräten — gleich wie den Reichsräten — Rang und Diätenklasse der Statthalter zu verleihen wäre.

Bei § 3 bemerkte der Staatsminister , daß die Vorschläge zur Ah. Ernennung der Staatsräte selbstverständlich im Einvernehmen mit dem Ministerrate zu erstatten sein würden. Überhaupt sei es selbstverständlich, daß die Vorträge des Staatsrates — so wie die aller Behörden und ihrer Chefs — im Wege des Ministerpräsidenten an Se. Majestät zu gelangen haben, cwie es in der Ah. Instruktion angeordnet istc . Die Konferenz war hiermit einverstanden.

Im § 4 wurde die Rücksichtnahme auf „bewährten Charakter“ als ein allgemeines Erfordernis zu höheren Würden gestrichen und über Antrag des Grafen Szécsen beschlossen, auch die Berücksichtigung der Nationalitäten des Reiches zu beseitigen, weil man darauf den Anspruch würde stützen wollen, sämtliche Nationalitäten im Staatsrate repräsentiert zu sehen.

§ 5, Absatz 1: Minister Graf Szécsen bemerkte, man könne aus der Fassung desselben folgern, daß der Ministerrat bei der Wahl und Annahme politischer Grundsätze durch die Beratung des Staatsrates zu unterstützen wäre, was doch außerhalb seiner Aufgabe liegt. Wenn man aber hier bloß administrative Grundsätze im Auge hat, so wäre dies auch klar auszusprechen. Der Staatsminister erwiderte, daß er bei dieser Bestimmung allerdings bloß an Grundsätze der Administration gedacht habe.

Bei Beratung des Absatzes 2 erinnerte Minister Graf Szécsen an den Antrag des verstärkten Reichsrates, daß auch für die oberste Entscheidung über die zum sogenannten contentieux administratif gehörigen Angelegenheiten eine ganz unabhängige Behörde zu schaffen wäre5. Hierzu dürfte sich der Staatsrat vorzüglich eignen. Minister Baron Pratobevera , hiermit einverstanden, glaubte, daß mit dieser Kompetenz auch die Entscheidung über Kompetenzstreitigkeiten zwischen der Justiz und der Administration in innigem Zusammenhang stehe. Minister v. Lasser — und mit ihm alle Minister — teilte diese Meinung und erkannte es als ein längst gefühltes Bedürfnis, ein eigenes Forum für solche dKompetenzfragen zwischen gerichtlicher und administrativer Linie und für jene Fälle der administrativen Justizd zu schaffen, wo das öffentliche mit dem Privatinteresse kollidiert. Indessen sei diese Kompetenz des Staatsrates allerdings schwer mit wenigen Worten zu textieren. Der Staatsminister wird suchen, dafür den entsprechenden Ausdruck zu finden.

Der Absatz 3 wurde über Antrag des Ministers des Äußern folgendermaßen textiert: „Der Kaiser behält sich vor, das Gutachten des Staatsrates auch in anderen Angelegenheiten einzuholen.“

|| S. 80 PDF || § 6, Absatz 1: Auf die Frage des Ministers Grafen Rechberg , ob es nicht angemessen wäre, daß dem Staatsrate alle Aufträge zur Begutachtung bloß durch Se. Majestät erteilt würden, äußerte der Staatsminister , daß die vom Ministerrate benötigten Gutachten ohne Belästigung Sr. Majestät und mit wesentlicher Zeitersparung direkt durch den Ministerpräsidenten eingeholt werden können. Übrigens bestand dieser direkte Verkehr bereits infolge des ursprünglichen Reichsratsstatuts und wurde erst 1851 abgeändert6. Die Konferenz war mit der Fassung dieses Absatzes einverstanden. Den Absatz 2 motivierte der Staatsminister durch die Notwendigkeit festzusetzen, daß nicht alle Angelegenheiten im Plenum des Staatsrates zu beraten sind, sondern auch bloß von der bezüglichen Sektion begutachtet werden können. Letzteres sei dort, wo es ausschließend auf Fachkenntnisse ankommt, am nützlichsten. Der Finanzminister , mit der Bestimmung einverstanden, glaubte nur, daß sie im § 7 angemessener ihren Platz finden würde, womit der Staatsminister sich einverstanden erklärte. Absatz 3 blieb ohne Erinnerung.

§ 7, vide Zusatz des § 6, Absatz 2.

Im § 8 wurden die Worte „als Ganzes“ gestrichen. FML. Ritter v. Schmerling und Graf Szécsen würden auch die ausdrückliche „Verpflichtung zu männlichem Freimut“ entbehrlich gefunden haben, doch wurde der bezügliche Satz von den mehreren Stimmen beibehalten, da er sich auch im Reichsratsstatute befindet.

Bei den §§ 9, 10 und 11 ergab sich keine Erinnerung.

Im § 12 wird auch die Bestimmung des Ranges der Staatsräte (aus § 2) einzuschalten sein. Minister v. Lasser würde statt des zu umfassenden Ausdruckes „und andere Normen“ lieber „die Geschäftsordnung“ ausdrücklich bezeichnen, um welche es sich doch vorzugsweise handelt.

Schließlich erinnerte der Finanzminister , daß das Amt eines ständigen Reichsrates für nicht vereinbarlich mit einer anderen Staatsbedienstung oder den Funktionen in einem repräsentativene Wahlkörper erklärt war, und fragte, ob nicht etwas Ähnliches bezüglich der Staatsräte zu bestimmen wäre? Der Minister des Äußern bemerkte, daß die Bestimmungen wegen der Reichsräte auf ganz anderen Verhältnissen beruhten, und der Staatsminister sah nicht ab, warum ein Staatsrat nicht zugleich erblicher Reichsrat oder Landtagsmitglied sein oder mit einer administrativen Spezialmission betraut werden könnte.

Über den Text des Einführungspatentes zum Statute für den Staatsrat ergab sich im wesentlichen keine Erinnerung, nur wurde für den Absatz 1 — über Antrag des Ministers v. Lasser — folgende Fassung beschlossen: „Der ständige und verstärkte Reichsrat wird aufgelöset, und die bezüglichen Patente vom 13. April || S. 81 PDF || 1851 und 5.f März 18607 sind außer Wirksamkeit gesetzt“, da dieser letztere Ah. Ausspruch hier nötig erscheint8.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, den 24. Februar 1861. Empfangen 28. Februar 1861. Erzherzog Rainer.