Nr. 257 Ministerkonferenz, Wien, 2. Jänner 1861 – Protokoll II - Retrodigitalisat (PDF)
- ℹ️ anwesend:
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Ransonnet (RS.Reinschrift Klaps); VS.Vorsitz Kaiser; BdE.Bestätigung der Einsicht und anw.anwesend Erzherzog Rainer, (Rechberg 4. 1.), Mecséry 4. 1., Schmerling, Degenfeld 5. 1., Vay 5. 1., Plener 5. 1., Lasser 6. 1., Szécsen vidit.
MRZ. – KZ. 92 –
Protokoll II der Ministerkonferenz am 2. Jänner 1861 unter dem Ah. Vorsitze Sr. Majestät des Kaisers.
I. Bescheid für die sogenannte Deputation aus Galizien
Se. Majestät der Kaiser geruhten der Konferenz zu eröffnen, daß Allerhöchstdieselben die soeben hier eingetroffenen, als Deputation sich gerierenden Galizianer auf keinen Fall zu empfangen geruhen werden. Da jedoch dieselben sich an die Minister wenden werden, so wünschen Se. Majestät, daß die Konferenz über die Art des Empfanges und den von allen Konferenzgliedern gleichlautend zu gebenden Bescheid berate1.
Der Staatsminister war des Erachtens, es werde ihnen nach Anhörung der Wünsche zu eröffnen sein, daß der galizische Landtag möglichst bald werde zusammenberufen werden und daß derselbe als das legale Organ für die Initiative in Landesangelegenheiten berufen sei, die Wünsche der Landes zum Ah. Thron zu bringen.
Die Konferenz war mit der Erteilung dieses Bescheides völlig einverstanden und einigte sich ferner zu dem von Sr. Majestät gleichfalls Ah. genehmigten Antrage, es sei den Petenten – um ihnen die Aussicht auf eine Effekt machende Demonstration zu nehmen – gleich von vornherein bestimmt zu erklären, daß sie nirgends als Deputation empfangen werden würden.
Der Ministerpräsident und der Kriegsminister waren der Meinung, daß, um dies noch klarer hervortreten zu lassen, diese Galizianer von den Ministern nur einzeln zu empfangen wären, wogegen der Staatsminister und Minister Graf Szécsen es praktischer fänden, auch kleine Partien von Petenten auf einmal vorzulassen, zumal es ja oft vorkommt, daß mehrere Interessenten, welche denselben Gegenstand anstreben, auch ohne Mandat als Deptutierte, ihre Bitten sowohl Allerhöchstenortes als bei den Ministern vortragen.
Se. Majestät der Kaiser geruhten die Frage über die Behandlung der galizischen Angelegenheiten der ernstesten Erwägung zu empfehlen, damit die Bewegung dort der Regierung nicht über den Kopf wachse. Die öffentliche Ordnung müsse strengstens aufrecht erhalten und den Demonstrationen bei Heimkehr der sogenannten Deputation entgegengetreten werden. Ein kluges und energisches Handeln der Behörden sei aber umso nötiger, nachdem die gegenwärtigen Verhältnisse es unmöglich machen, den Truppenstand in Galizien zu erhöhen2.
II. Politische Demonstrationen in Fiume
Der Kriegsminister ergriff diesen Anlaß, um die Aufmerksamkeit Sr. Majestät auf die in Fiume seit einiger Zeit fortdauernden politischen Demonstrationen zu lenken, und beantragte, den diesfalls zu treffenden Anordnungen eventuell durch Verhängung des Belagerungszustandes Nachdruck zu verleihen3.
Se. k. k. apost. Majestät geruhten zu eröffnen, daß Hofrat Baron Sternegg demnächst durch einen energischen Komitatschef werde ersetzt werden, und daß der Ban sofort die nötigen Ah. Weisungen und Vollmachten erhalten wird, um den Wühlereien an diesem wichtigen Punkte mit Erfolg entgegenzutreten4.
III. Beschränkung der Wahlagitation in den Provinzen
Se. Majestät der Kaiser geruhten hierauf zu befehlen, daß die Wahlagitationen in den Provinzen durch dieselben Mittel, welche dermal in Wien angeordnet wurden, in die gebührenden Schranken zu weisen seien5.
Der Polizeiminister wird sich diesfalls mit dem Staatsminister ins Einvernehmen setzen6.
IV. Erweiterung der passiven Wahlfähigkeit für die Landtage
Se. k. k. apost. Majestät geruhten der Konferenz Ag. zu eröffnen, daß von den beiden kontroversen Punkten über die Wahlfähigkeit7 der eine, nämlich die Ausdehnung der passiven Wahlfähigkeit auf alle aktiv Wahlfähigen, Allerhöchstenortes nach dem Antrage des Staatsministers entschieden, jedoch gleichzeitig werde Ah. bestimmt werden, daß die aktive Wahlfähigkeit in der zweiten Klasse auf die oberen zwei Dritteile der Kontribuenten dieser Klasse beschränkt bleibt. Allein, gegen den weiteren Antrag des Staatsministers auf Gestattung, daß die Wahlen auch auf nicht zum Bezirke gehörige Wähler fallen dürfen, tragen Se. Majestät vorerst das prinzipielle Bedenken, daß man dabei den Grundsatz der Interessenvertretung aufgebe, indem die Interessen des Bezirkes doch vor allem am besten von den Insassen desselben gekannt sein müssen und auch von ihnen am eifrigsten verfochten werden dürften, während beides von dem Insassen eines anderen entfernten Bezirkes, zumal in den großen Kronländern, bei weitem weniger zu erwarten ist. Vom Gesichtspunkte der Opportunität dieser Ausdehnung des passiven Wahlrechtes aber komme zu berücksichtigen, daß man dadurch den Intrigen revolutionärer commis || S. 228 PDF || voyageur die Tore öffne, welche eifrig bemüht sein werden, sich Mandate zu erschleichen. Se. Majestät wünschen hierüber die Meinung der Konferenz zu vernehmen.
Der Ministerpräsident machte ebenfalls die Ah. angedeuteten prinzipiellen und Opportunitätsgründe geltend. Er besorgt von dieser Ausdehnung, daß die Proletarier der Intelligenz ihre Wühlereien und das Gift der Revolution von Dorf zu Dorf verbreiten werden. Wenn die Landtage sich dafür aussprechen sollten, werde es noch immer Zeit sein, diese Maßregel zu ergreifen.
Der Staatsminister bemerkte, daß die Interessen des Bezirkes ihre Vertretung und Berücksichtigung vorzugsweise in den Bezirksgemeinden finden werden. In dem höher stehenden Landtage darf sich der Abgeordnete nicht einseitig von den Interessen seines Bezirkes leiten lassen. Tut er es aber, so ist dies der gedeihlichen Wirksamkeit des Landtages nicht förderlich. Unter diesen Umständen erscheint es angezeigt, den Bewohnern eines Bezirkes, der keine geeignete Kapazität enthält, zu gestatten, auch außerhalb desselben ihren Vertreter zu suchen. Dies wird aber doch immer nur Ausnahme bleiben, indem die Bezirksinsassen in der Regel am liebsten jemanden aus ihre Mitte wählen werden. Daß da und dort Agitatoren auftreten werden, ist vorauszusehen; aber auch der Einfluß der Regierungsorgane, der Guts- oder Fabriksbesitzer wird sich in guter Richtung geltend machen können. Der gute Ausschlag der Wahlen im allgemeinen hänge nicht von einer solchen Beschränkung des passiven Wahlrechtes, sondern von der Zusammensetzung der Wahlkörper ab. Endlich würde durch diese Bestimmung, welche auch mit dem ungarischen Wahlsysteme übereinstimmt, dem vorauszusehenden Antrage der Landtage entgegen gekommen. Der Hofkanzler Baron Vay bestätigt, daß in Ungarn die Wahl der Komitatsablegaten auch vor 1848 nicht auf Angehörige des bezüglichen Komitats beschränkt war; faktisch aber hat man, wenn nicht die Regierung einen auswärtigen Kandidaten besonders kräftig unterstützte, niemals außerhalb des Komitats gewählt. Übrigens könne eine starke Regierung durch die fragliche Erweiterung des passiven Wahlrechtes nur gewinnen.
Der Ministerpräsident machte hiebei aufmerksam, daß der Munizipalgeist, der in den Komitaten so kräftig ist, in den Wahlbezirken der deutschen Länder sich erst allmählig bilden muß. Der Polizeiminister erklärt sich gegen die Ausdehnung des Wahlrechtes, da er im Landtage lieber praktische Landmänner als politische Agitatoren zu sehen wünscht. Namentlich sei dies für den ersten Landtag wichtig, der das Gepräge des ganzen Landes tragen solle. Begehrt dieser Landtag die Ausdehnung des Wahlrechtes, so sei es noch immer Zeit, dem Wunsche zu willfahren.
Der Kriegsminister stimmte mit dem Staatsminister; ebenso der Leiter des Justizministeriums , welcher letztere unter anderem auch zeigte, daß, wenn es im Bezirke an einem Manne des öffentlichen Vertrauens fehlt und die schlechten Elemente vorwalten, alle papiernen Schranken nicht hindern werden, daß ein schlechtes Subjekt gewählt werde. Man werde ihm die passive Wahlfähigkeit schon durch Verleihung des Ehrenbürgerrechtes, durch Zuschreibung eines Grundbesitzes oder in anderer Weise zu verschaffen wissen! In Bayern bestehe dasselbe Prinzip, und die Landgemeinden wählen doch dort mit Vorliebe Bräuer etc. aus ihrer Mitte zu Abgeordneten. Der Finanzminister ist mit dem Staatsminister einverstanden, zumal es sich auf dem Landtage nicht bloß um Vertretung der kleinen Lokalinteressen handelt, und auch auf Gewinnung geeigneter Elemente für den Reichsrat vorgedacht werden muß.
|| S. 229 PDF || Der Minister Graf Szécsen erörterte, warum ihm das Votieren in dieser Sache schwer falle, ada ihm der ganze Komplex der Maßregeln des Staatsministers nicht bekannt ist und einzelne Maßregeln, aus dem Komplexe gerissen, nicht entsprechend beurteilt werden können. In Ungarn ist die Magnatentafel ein wenn auch ungenügendes Korrektiv des mangelhaften Wahlsystemsa, welches Korrektiv jenseits der Leitha fehlt. Übrigens unterordne er seine Ansicht der Meinung des Staatsministers, namentlich auch mit Hinblick auf den Umstand, daß der Wahlbezirk nicht als eine korporative Einheit gelten könne.
Se. Majestät der Kaiser geruhten Allerhöchstsich dahin auszusprechen, daß die bisher für die Ausdehnung des passiven Wahlrechtes geltend gemachten Gründe vorzugsweise auf Opportunitätsrücksichten beruhen und nicht aus der Sache selbst hervorgehen. Es handle sich hier nicht um eine Konzession, sondern um das teilweise Aufgeben eines Prinzips. Man würde nämlich bei dieser Bestimmung den sonst geltenden obersten Grundsatz der Interessenvertretung verlassen und sich durch diese Inkonsequenz überdies auch manchen Nachteilen aussetzen; denn die Regierung und die „Gutgesinnten“ eines Bezirkes dürften bei den Wahlen den Intrigen der auswärtigen Kandidaten gegenüber gar oft den kürzeren ziehen7.
Wien, 4. Jänner 1861. Rechberg.
Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, den 9. Jänner 1861.