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Nr. 197 Ministerkonferenz, Wien, 3. August 1860 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Marherr; VS. Rechberg; BdE. und anw. (Rechberg 3./7. 8.), Thun 6. 8., Nádasdy 4. 8., Gołuchowski 5. 8., Thierry 8. 8., Plener 4. 8., FML. Schmerling 6. 8.

MRZ. – KZ. 2556 –

Protokoll der zu Wien am 3. August 1860 abgehaltenen Ministerkonferenz unter dem Vorsitze des Ministerpräsidenten, Ministers des kaiserlichen Hauses etc. Grafen v. Rechberg.

I. Vortrag über das 1861er Budget und Finanzlage für dieses und folgende Jahre

Der Leiter des Finanzministeriums las den Entwurf eines au. Vortrags, den er Sr. Majestät über die Ergebnisse des Staatsvoranschlags für das Jahr 1861 und über die wahrscheinliche finanzielle Lage in den folgenden Jahren zu erstatten beabsichtigt1.

Nach dem Inhalte dieses Vortrags ist, gestützt auf die bisherigen Ergebnisse der Gebarung im Jahre 1860, mit Zuhilfenahme der außerordentlichen Einnahmen dieses Jahrs ein Überschuß von 19 Millionen zu erwarten, der in das Jahr 1861 hinübergeht. Für das mit 34,800.000 f. veranschlagte Defizit dieses letzteren Jahrs kann aus eben diesen, noch in demselben Jahre fließenden außerordentlichen Einnahmsquellen die vollständige Bedeckung, sogar mit einem Überschusse von 735.000 f., beschafft werden, so daß nicht nur keine neue Steuer oder Steuererhöhung oder Kreditoperation erforderlich sein, sondern sogar der mit Ende 1860 berechnete Überschuß von 19 Millionen in das Jahr 1862 übertragen werden wird, alles in der Voraussetzung der Fortdauer der friedlichen Verhältnisse. Im Jahre 1862 hören aber die pro 1860 und 1861 berechneten außerordentlichen Zuflüsse auf, und es wird sich, nachdem die Zinsenlast für die öffentliche Schuld um vier Millionen sich erhöht, unter der Voraussetzung, daß sonstige Ausgaben und Einnahmen wie im Jahre 1861 bleiben, ein Defizit von 43, und da die Zinsenlast 1863 und folgende um weitere sechs Millionen wächst, für die Folge ein Defizit von 49 Millionen ergeben, wenn nicht in den Ausgaben weitere Reduktionen bewirkt werden können. Bei den Staatsschulden ist dies untunlich; bei der Zivilverwaltung läßt sich infolge der im Zuge befindlichen Reformen eine nicht unbeträchtliche Ersparung erwarten; gelänge es, auch den Militäraufwand (nach der Andeutung der Budgetkommission) auf 85 oder doch auf 90 Millionen, jenen der Marine auf fünf Millionen zu vermindern, so kämen im ganzen 27 Millionen in Ersparung, wodurch das Defizit pro 1862 auf 16, || S. 361 PDF || für die folgenden Jahre auf 22 Millionen herabgebracht würde, d. i. genau auf denjenigen Betrag, der für Zinsengarantien, Kapitalsanlagen und Rückzahlungen erforderlich und eben darum nicht Gegenstand der Bedeckung aus den laufenden Einkünften eines Jahres ist, vielmehr durch Vermehrung der schwebenden Schuld gedeckt werden soll und nach der bisherigen Gebarung in diesem Zweig auch gedeckt werden kann. Bezüglich der Einnahmen wird noch bemerkt, daß der Kriegszuschlag dermalen nicht aufgelassen werden kann; es stehe jedoch zu hoffen, daß durch Ah. Genehmigung der Reformanträge der Immediatkommission für direkte Steuern eine gleichmäßigere Verteilung der letzteren werde erzielt werden; und auch bei den indirekten Steuern seien Reformen im Zuge, die günstige Ergebnisse erwarten lassen. Schließlich bittet der Vortragerstatter, Se. Majestät geruhen diesen Vortrag an den verstärkten Reichsrat leiten zu lassen, ihn selbst aber zur Veröffentlichung dieses Vortrags zu ermächtigen.

Die Konferenz fand gegen den Vortrag nichts einzuwenden, nur wünschte der Kultusminister , daß in der Stelle, wo der Untunlichkeit der sofortigen Auflassung des Kriegszuschlags erwähnt wird, die Idee schärfer ausgedrückt werde, dereinst ihn fallen zu lassen, wenn durch die Ausführung der Reformen derjenige Steuerertrag erzielt sein wird, der sich gegenwärtig mit dem Kriegszuschlage ergibt. Der Leiter des Finanzministeriums behielt sich vor, die dieser Andeutung entsprechende Textierung zu machen2.

II. Unterrichtssprache auf der Agramer Rechtsakademie

Der Unterrichtsminister referierte über den Antrag des Banus von Kroatien wegen Zulassung der kroatischen Sprache als Unterrichtssprache an der Agramer Rechtsakademie3.

Nach den neuesten über die Geschäftssprache bei den lf. Behörden erlassenen Bestimmungen4 erschien es dem Unterrichtsminister unzulässig, auf der Forderung des Vortrags in deutscher Sprache zu bestehen. Er würde also den Vortrag in kroatischer Sprache gestatten, ausgenommen in den Fächern, wo ein innerer Grund für die Beibehaltung der deutschen Sprache besteht, wie bei der Finanzgesetzkunde und beim römischen Rechte. Bezüglich des kanonischen, des Berg-, dann des materiellen Zivil- und Strafrechts wäre es der Erwägung des Lehrkörpers zu überlassen, wo der Vortrag in deutscher oder kroatischer Sprache zu halten sei, wobei jedoch der Minister des Inneren bemerkte, daß bei den zwei letztgenannten Materien jedenfalls der deutsche Text, als Urtext, zur Grundlage des Vortrags genommen werden müßte.

Bei den Staatsprüfungen wäre die Kenntnis der deutschen Sprache zu konstatieren, daher die Prüfung aus einigen Gegenständen jedenfalls deutsch vorzunehmen.

Auf die Bemerkung des Justizministers , daß es ihm bedenklich schiene, mit einer solchen Verfügung für Kroatien vorzugehen, bevor für die ungrische Universität und || S. 362 PDF || Akademien ähnliches festgesetzt ist, erwiderte der Unterrichtsminister , daß er für diese seine Anträge demnächst erstatten werde, daß er aber darum eine Verschiebung des Erlasses für Kroatien nicht für notwendig halte, weil dort nur ein einziger Volksstamm zu berücksichtigen ist, also nicht jene Schwierigkeit in der Sprachenfrage eintritt wie in Ungern, wo eine so gemischte Bevölkerung besteht5.

Im übrigen fand die Konferenz gegen die Anträge des Unterrichtsministers nichts zu erinnern6.

III. Über einen im Komitee des verstärkten Reichsrates vorbereiteten Konstitutionsantrag

Der Ministerpräsident teilte mit, daß in dem 21er Komitee des verstärkten Reichsrates der Antrag gestellt werden soll, den alten ungrischen Reichstag mit seiner Zusammensetzung und Kompetenz und die alte Komitatsverfassung wiederherzustellen, jedem der anderen Kronländer gleiche legislative und administrative Rechte einzuräumen und die Einheit auf die Kronrechte für Angelegenheiten des Äußern, des Kriegs, der Finanzen, des Handels und des Reichskom­munikationswesens zu beschränken7. Es sei notwendig, daß die Konferenz sich darüber einige, wie die Minister sich einem solchen Antrage gegenüber zu verhalten hätten.

Nach einer längeren Diskussion zwischen den Ministern für Kultus und Inneres wurde, über die Bemerkung des Justizministers , man müsse doch abwarten, ob und wie der Antrag im Komitee gestellt und ob er zum Vortrag in pleno zugelassen werde, die Deliberation abgebrochen8.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, den 9. August 1860.