Nr. 189 Ministerkonferenz, Wien, 10., 12. und 13. Juli 1860 - Retrodigitalisat (PDF)
- ℹ️ anwesend:
- Sammelprotokoll; RS.Reinschrift; P.Protokoll Ransonnet; VS.Vorsitz Kaiser; BdE.Bestätigung der Einsicht und anw.anwesend Erzherzog Karl Ludwig, (Rechberg 14./31. 7.), Thun 20. 7., Nádasdy 20. 7., Gołuchowski 24. 7., Wolkenstein-Trostburg. Druck: Granichstädten-Czerva , Die Entstehung der Tiroler Landesverfassung 64–81 .
MRZ. – KZ. 2484 –
Protokoll der am 10., 12. und 13. Juli 1860 unter dem Ah. Vorsitze Sr. k. k. apost. Majestät abgehaltenen Konferenz.
[I.] Landesverfassung für die gefürstete Grafschaft Tirol
Se. k. k. apost. Majestät geruhten das für Tirol zu erlassende Landesstatut zur Beratung zu bringen1. Der ministerielle Entwurf des Einführungspatentes und Statuts habe nämlich nach den Anträgen des ordentlichen Reichsrates einige Änderungen zu erfahren, und Se. k. k. Hoheit der durchlauchtigste Herr Erzherzog Statthalter von Tirol haben nach Überprüfung dieses Entwurfes mit Zuziehung des ao. Reichsrates Grafen v. Wolkenstein2 das vom verstärkten Tiroler Landesausschusse ursprünglich beantragte „Verfassungspatent“ samt Wahl- und Geschäftsordnung in Absicht auf die Form sowohl als auf das Wesen modifiziert3.
Se. k. k. Hoheit bemerkten, daß die Bestimmungen der Wahl- und Geschäftsordnung aus dem Patente ausgeschieden worden seien, weil dieselben in der Folge Veränderungen erleiden dürften, während die statutarischen Bestimmungen, welche in der feierlichen Form des Patentes erlassen werden, als unabänderlich zu gelten hätten. Der ao. Reichsrat Graf Wolkenstein erinnert, daß auch bei Wiederherstellung der Tiroler Landstände im Jahre 1816 die Form eines Patents gewählt worden sei und daß der Tiroler überhaupt viel darauf hält, daß sein Kaiser persönlich zu ihm spreche4. Der Minister des Inneren glaubte an der von der Konferenz au. beantragten Form festhalten zu sollen, um nicht so viele Detailvorschriften von Sr. Majestät Allerhöchstselbst aussprechen zu lassen. aEs sei daher lediglich erforderlich, ein Einführungspatent hinauszugeben, in betreff der Detailbestimmungen genüge es, ein Statut zu entwerfen, welches die Zusammenstellung des Landtages, den Wirkungskreis desselben und die Wahlordnung zu behandeln sowie auch die Umrisse der Geschäftsordnung zu präzisieren hätte, das Detail der letzteren auszuarbeiten bliebe dem ersten Landtage vorbehalten.a
|| S. 313 PDF || Se. k. k. apost. Majestät fanden, daß die von Sr. k. k. Hoheit vorgeschlagene Form keinem Bedenken unterliege, geruhten jedoch zu bestimmen, daß statt des Titels „Verfassungspatent“ zu setzen sei „Kaiserliches Patent über die Landesverfassung in Tirol“. Im Kontexte des Patents sei statt Landesvertretung der Ausdruck „Landtag“ zu gebrauchen5.
Infolge Ah. Auftrages begann sofort Graf Wolkenstein die Lesung des neuen Patententwurfes.
Der Minister des Inneren würde einer einfacheren Stilisierung des Einganges den Vorzug geben bund sprach sich dahin aus, daß die in der Vorlage gewählten pomphaften Ausdrücke den beabsichtigten Zweck ganz gewiß verfehlen werden, zumal die Kritik [sich] derselben bemächtigen wird, um den Umfang des dem Lande gemachten kaiserlichen Geschenkes ins Lächerliche zu ziehenb . Se. Majestät der Kaiser fanden den Ausdruck „die verfassungsmäßige Vertretung des Landes wiederherzustellen“, abgesehen von der Frage, ob die Landesverfassung seit 1816 wieder aufgehoben worden sei, nicht unbedenklich, weil man daraus im Publikum (mit Unrecht) folgern würde, daß die Ah. Absicht dahin gehe, in allen Kronländern die vor 1848 bestandenen Verfassungen wiederherzustellen. Der Minister des Kultus bemerkte, es scheine ihm allerdings wünschenswert, die Kontiguität6 der Rechtsidee in diesem Landesstatute hervortreten zu lassen. Tatsächlich werde auch die 1849 abgeschaffte tirolische Landesverfassung mit einigen nötigen Änderungen und mit Erweiterung der ständischen Rechte wiederhergestellt.
Se. Majestät geruhten zu befehlen, es sei von Wiederherstellung nicht ausdrücklich zu sprechen, aber ein angemessener Ausdruck für den Gedanken zu suchen, daß sich bei Festsetzung dieses Statuts möglichst an das früher Bestandene gehalten worden sei7.
§ 1. Der Ausspruch, daß Tirol ein unteilbares Land bildet, wurde von den Ministern der Justiz und des Inneren mit Beziehung auf das Gutachten der Ministerkonferenz seiner Konsequenzen wegen bedenklich und zugleich deswegen entbehrlich gefunden, weil der geographische Begriff Tirols in seinen gegenwärtigen Begrenzungen vollkommen feststeht.
Se. k. k. Hoheit der durchlauchtigste Herr Erzherzog Karl Ludwig machte dagegen die Wichtigkeit eines solchen Ausspruches an dieser Stelle – den vorhandenen separatistischen Tendenzen cdes italienischen Landesteilsc gegenüber – geltend.
Se. Majestät der Kaiser geruhten Allerhöchstsich für die Beibehaltung des § 1 zu entscheiden.
|| S. 314 PDF || Zu § 5 wurde von Sr . k. k. Hoheit und dem Grafen Wolkenstein beantragt, das Erfordernis der Immatrikulierung für die Wählbarkeit zum Abgeordneten des Adelsstandes aufzugeben, indem der immatrikulierten, im Lande begüterten Adeligen jetzt nur bei 130 Individuen (beiderlei Geschlechts) vorhanden sind, wovon sehr viele, wegen zu niederen oder hohen Alters, Gebrechlichkeit oder aus andern Gründen zum Abgeordneten nicht geeignet sind, sodaß der Kreis der Personen, aus welchen die 14 Abgeordneten gewählt werden sollten, ein viel zu enger sein würde. Der Grund, warum sich jetzt so wenige Adelige immatrikulieren lassen, ist bei den Deutschen die hohe Taxe und bei den Italienern der Nationalitätsschwindel. Es erscheine daher angezeigt, alle im Lande begüterten Adeligen ohne Unterschied für wählbar zu erklären.d Der Ministerpräsident erklärte, es sei unter den dermaligen Verhältnissen keineswegs zu bedauern, wenn der italienische Adel sich von der Immatrikulation und somit vom Landtage ausschließt. Der Justizminister glaubte, daß, nachdem der verstärkte Landesausschuß auf die Matrikeleigenschaft einen Wert legt, dieselbe als Bedingung festzuhalten wäre. Se. k. k. Hoheit deuteten darauf hin, daß, wenn diese Bedingung festgehalten wird, die Aufnahme in die Matrikel für die Folgezeit vielleicht erleichtert werden dürfte.
Se. Majestät geruhten zu bestimmen, daß die Wählbarkeit auf den immatrikulierten begüterten Adel zu beschränken sei.
|| S. 315 PDF || Zu § 6 wurde auf Ah. Befehl statt „Organe der Handels und der Gewerbe“ gesetzt „Handels- und Gewerbekammern“. Der Ausdruck „im italienischen Landesteile“ konnte nicht beseitigt werden, weil der Ausdruck „Südtirol“ das ganze Land südlich vom Brenner begreift und man sich jetzt nicht mehr auf die Kreiseinteilung beziehen kann.
Zum § 7 beantragen Se. k. k. Hoheit und Graf Wolkenstein dermal zehn Abgeordnete des deutschen und nur vier des welschen Bauernstandes, während der Landesausschuß acht deutsche und sechs welsche in Antrag gebracht hatte. Dieser Antrag wird dadurch motiviert: 1. daß es in Welschtirol nur sehr wenig Bauern und größtenteils nur Coloni gibt, welche als solche keinen Anspruch auf Vertretung haben; 2. daß die welschen Bauern weil des Deutschen unkundig sich durch Personen höherer Stände werden vertreten lassen müssen, deren politische Gesinnung vielleicht nicht korrekt sein dürfte; 3. daß der deutsche Bauernstand als ein intelligentes konservatives Element gestärkt zu werden verdient; 4. daß durch die Vermehrung der deutschen Abgeordneten es auch möglich wird, das Puster- und Inntal angemessen zu berücksichtigen; 5. würde auf diese Weise die Stimmenzahl des eitalienisch-tirolischen Bauernstandes doch noch um das Doppelte mehr sein wie vor 1848e .
Der Justizminister machte darauf aufmerksam, daß durch diese Modifikation das Verhältnis der Deutschen zu den Welschen im Landtage sich auf 34: 22 stellt, während die Bevölkerungen sich nur wie 4 : 3 verhalten. Der Minister des Inneren würde an den früheren Anträgen des Ausschusses umso lieber festhalten, als ja seinerzeit der tirolische Landtag selbst eine Modifikation beantragen kann. fDagegen müßte es auf den italienischen Landesteil den allerschlechtesten Eindruck machen, wenn ohngeachtet der Anträge des verstärkten Ausschusses von hier aus die Zahl der welschen Abgeordneten aus dem Bauernstande gegenüber den Deutschen verringert werden wollte. Eine derartige Blöße sollte die Regierung sich nicht geben.f
Se. Majestät der Kaiser geruhten Allerhöchstsich die Entscheidung vorzubehalten8.
Zum § 8 geruhten Se. Majestät Ah. zu bestimmen, daß bei allen Ständen zugleich mit den Abgeordneten selbst auch deren Ersatzmänner zu wählen seien, welche nicht bloß bei einer zeitlichen, sondern auch bei bleibender Verhinderung der Abgeordneten sofort einzutreten haben. Auf diese Weise werde für die Vollzähligkeit des Landtages gesorgt und den Umtrieben und Agitationen bei Ersatzwahlen vorgebeugt (vide §§ 12 und 13).
Da im § 9 die katholische Religion als Bedingung der passiven Wahlfähigkeit bezeichnet wird, bemerkte Graf Rechberg , daß diese Bestimmung mit der durch den deutschen Bundesakt ausgesprochenen Gleichberechtigung der christlichen Konfessionen9 nicht in || S. 316 PDF || Einklang stehen und gewissermaßen auch die künftigen Beschlüsse des Tiroler Landtages über die Ansässigkeit der Akatholiken präjudizieren würde.
Se. Majestät der Kaiser geruhten Ah. anzuordnen, daß in diesem – so wie in den übrigen Landesstatuten – bloß das Erfordernis der christlichen Religion auszusprechen sei, vorbehaltlich der etwa weitergehenden Anträge des Landtages10.
Gemäß § 12 wäre der Landtag alle drei Jahre durch Wahlen zur Hälfte zu erneuern, was – wie der Ministerpräsident bemerkte – jedesmal eine Aufregung im Lande hervorbringen wird und daher nicht wünschenswert erscheint. Der ao. Reichsrat Graf Wolkenstein äußert, der Grund dieser Anordnung ist hauptsächlich der, weil auf diese Weise stets ein Teil geschäftserfahrener Landtagsabgeordneter im Amte bleibt; allein, nachdem die Wiederwahl gestattet ist, scheint es gar nicht zu besorgen, daß bei bloß einmaligen Wahlen alle sechs Jahre der ganze Landtag vollständig erneuert werden wird, und somit dürfte eine gewisse Stabilität dieses Körpers auch ohne jene häufigeren Wahlen gewahrt sein.
Se. Majestät der Kaiser geruhten Allerhöchstsich dafür zu entscheiden, daß bloß alle sechs Jahre Neuwahlen, und zwar für den ganzen Landtag, stattfinden sollen. Hiernach wurde der zweite, dritte und vierte Satz des § 12 gestrichen.
Der Schluß dieses Paragraphen und der § 13 werden gemäß des oben zum § 9 wegen der Stellvertreter gefaßten Ah. Beschlusses zu modifizieren sein.
Eine längere Erörterung ergab sich zu den §§ 14, 15 und 16 über die Frage, ob der Statthalter zugleich Landeshauptmann oder bloß Präsident des Ausschusses sein solle; ob der Landeshauptmann bloß das erstemal oder stets von Sr. Majestät, und zwar auf wie viele Jahre, zu ernennen wäre und von wem die Ernennung seines Stellvertreters auszugehen hätte.
Schließlich geruhten Se. k. k. apost. Majestät Allerhöchstsich dafür zu entscheiden, daß bei der Schwierigkeit, eine unter den wechselnden politischen und Personalverhältnissen stets passende Norm für diese delikate Angelegenheit zu finden, im Patente sowohl in Absicht auf die Wahl des Landeshauptmannes als auf die Dauer seiner Funktion Sr. Majestät volle Freiheit vorzubehalten und über den Stellvertreter nichts festzusetzen wäre, weil derselbe sodann eintretendenfalls nach Maßgabe der jeweiligen Verhältnisse Allerhöchstenortes ganz frei ernannt werden wird. Hiernach werden diese drei Paragraphen durch einen neuen zu ersetzen sein.
Im § 17 wird der erste Absatz gemäß Ah. Anordnung eine einfachere Textierung zu erhalten haben. Die ausdrückliche Gestattung im Absatz 2, daß die Stände ihre Anträge nach eigenem Ermessen auch durch die lf. Behörden an Se. Majestät gelangen lassen dürfen, wurde beibehalten, da hierauf, nach Versicherung des ao. Reichsrates Grafen Wolkenstein, im Lande ein Wert gelegt werden wird.
Zum § 18a) wurde vom Ministerpräsidenten das Bedenken geltend gemacht, daß sich daraus ein Recht des Landtages folgern ließe, über die erst zu erlassenden allgemeinen Gesetze vernommen zu werden; es wäre daher diese den Ständen zuerkannte Antragstellung auf die bereits kundgegebenen allgemeinen Gesetze zu beschränken und || S. 317 PDF || das Wort „beraten“ zu streichen, damit die Stände nicht darin eine Aufforderung finden, alle Gesetze in den Kreis ihrer Beratungen zu ziehen. Se. Majestät geruhten diesen Antrag Ah. zu genehmigen. Zu d) kam die Frage in Anregung, ob hier den Ständen nicht auch die Gebarung mit dem Grundentlastungsfonds zuzuerkennen wäre; doch wurde über Antrag des Ministers des Inneren Ah. beschlossen, hievon Umgang zu nehmen, zumal der Landtag diesen Gegenstand in Beratung ziehen und bei Sr. Majestät in Antrag bringen kann11.
Fortsetzung am 12. Juli 1860
Der ao. Reichsrat Graf Wolkenstein motivierte den § 1912, insoweit er sich auf die Instruktion bezieht, durch die Hemmnisse, welche den Landtagsbeschlüssen durch bindende Instruktionen geschaffen werden können, insoweit er die Wünsche der Kommittenten berührt, aber durch die bestehende Übung.
In erster Beziehung wurde dagegen geltend gemacht, daß dieser Paragraph nicht bestimmt genug formuliert und dessen Inhalt überhaupt selbstverständlich sei.
Se. Majestät geruhten die Weglassung des ganzen Paragraphen anzuordnen.
Eine längere Erörterung entspann sich über den § 20: „Die Verhandlungen des Landtages sind öffentlich mit Rücksicht auf die Bestimmungen der Geschäftsordnung.“ Graf Wolkenstein bemerkte, daß er selbst sowie andere Ausschußmitglieder, insbesondere aber alle Abgeordnete aus dem Bauernstande, gegen die Öffentlichkeit seien, welche Einrichtung in Tirol, mit Ausnahme der Eröffnungs- und Schlußsitzung und der offenen Landtagssitzungen, auch früher nicht bestandg . Allein, der verstärkte Ausschuß habe doch schließlich geglaubt, daß die Öffentlichkeit unter den gegenwärtigen Verhältnissen nicht mehr ausgeschlossen werden könne. Der Minister des Inneren glaubte, daß bei den Landtagen bloß die ämtliche Veröffentlichung der Verhandlungen in der Zeitung, wie beim verstärkten Reichsrate, eintreten dürfte; geht man bei dem Landtage weiter, so wird man es auch bei dem verstärkten Reichsrate tun müssen. Der Kultusminister war der Meinung, daß nebst dieser Veröffentlichung auch eine beschränkte Öffentlichkeit der Beratungen dadurch einzuräumen wäre, daß den Zeitungsredakteuren, dann einigen anderen Personen Eintrittskarten vom Landeshauptmann erfolgt werden. Man könnte allenfalls auch die Frage offen lassen und dem ersten Landtage deren Entscheidung überlassen. Der Justizminister sprach für die Gestattung einer bedingten Öffentlichkeit der Sitzungen, namentlich durch die Zulassung der Wahlmänner. Ganz werde sich die Öffentlichkeit schwer und in Ungarn am wenigsten ausschließen lassen. || S. 318 PDF || Überhaupt könne Graf Nádasdy nur raten, daß kein Landesstatut erlassen werde, bevor man über das für Ungarn zu erlassende im reinen ist.
Se. Majestät erkennen den größten Nachteil der Öffentlichkeit darin, daß es den Rednern dann meistens nicht um die Sache, sondern nur um den momentanen Effekt, um den Beifall der Galerie zu tun ist und daß die Stimme der Mäßigung und Wahrheit einem ungeduldigen oder terrorisierenden Auditorium gegenüber sich oft gar nicht geltend machen kann. Aus diesem Grunde und da eine beschränkte Öffentlichkeit doch niemanden befriedigen dürfte, würden Se. Majestät es vorziehen, die Öffentlichkeit bei den Landtagssitzungen sowie beim verstärkten Reichsrate auszuschließen. Vorläufig wurde daher § 20 gestrichen.
Der § 21 wurde durch die Bestimmung ergänzt, daß der Landtag sich in der Regel einmal des Jahres zu versammeln habe13.
Der § 22 wurde vom ao. Reichsrate Grafen Wolkenstein bereits gemäß jenes Ah. Beschlusses modifiziert, daß kein Stellvertreter des Landeshauptmannes Ah. ernannt wird.
Der § 23, wonach die Landtagsmitglieder Entschädigungen zu erhalten haben, wurde von Sr. Majestät mit dem Beisatze genehmigt, daß die Bestimmung der Größe dieser Entschädigungen dem Landtage selbst zu überlassen sei. Se. k. k. Hoheit und Graf Wolkenstein hatten nämlich geltend gemacht, daß diese Entschädigungen landesüblich seien und nicht bloß der Bauernstand, sondern selbst die Abgeordneten aus dem größtenteils sehr armen Adel dieselbe nicht entbehren könnten. Es sei daher notwendig, dies im vorhinein auszusprechen, weil sonst viele Deputierte nicht erscheinen würden.
Zum § 25 hätte der Minister des Inneren gewünscht, das Ärar vor der Zahlung der Deputiertenentschädigung zu verwahren, allein, Se. Majestät geruhten dies nicht zu beanständen, nachdem in Tirol seit der Inkamerierung des ständischen Vermögens während der baierischen Regierungsperiode kein Landesfonds mehr vorhanden ist. Übrigens ist gemäß Ah. Anordnung der Umstand, daß diese Inkamerierung baierischerseits stattfand, nicht ausdrücklich zu erwähnen, zumal dies im Lande sattsam bekannt ist14.
Am Schlusse der Beratung über das Patent geruhten Se. Majestät der Kaiser zu bemerken, daß von der großen ständischen Versammlung, dem sogenannten „offenen Landtage“ darin keine Erwähnung geschehe. Der Minister des Inneren bevorwortete, daß des offenen Tiroler Landtages hier, ebenso wie im Statute für Steiermark des dortigen offenen Landtages, gedacht werde. Dies sei eine althergebrachte, ja die älteste ständische Versammlung in beiden Kronländern, sie sei die einzige Gelegenheit, wo der Landesfürst die Landeserbämter (welche beim gewöhnlichen Landtage keine Stimme haben) feierlich um sich versammelt und wo jeder Tiroler Landstand als solcher das Recht hat, sich seinem Herrscher zu nähern. Se. k. k. Hoheit der durchlauchtigste Herr Erzherzog Karl Ludwig erklärte, so wie Graf v. Wolkenstein, gegen diesen Antrag || S. 319 PDF || keine Erinnerung zu erheben, und Se. Majestät geruhten denselben Ah. zu genehmigen, mit dem Beisatze, daß dagegen von der ebenfalls zur Sprache gebrachten ständischen Uniform und der Bestätigung des Landeswappens keine Erwähnung im Patente geschehe15.
Hierauf wurde der Entwurf der Wahlordnung für die Stände der gefürsteten Grafschaft Tirol vorgelesen.
Zum § 2 gaben Se. k. k. Hoheit der Herr Erzherzog Statthalter über eine Ah. gestellte Frage die Auskunft, man habe zur Bedingung der passiven Wahlfähigkeit für den Bürger- und Bauernstand bloß die Eigenschaft eines Gemeindegliedes gefordert, nicht aber, daß der Gewählte Mitglied des Ausschusses sei, weil die Wähler dadurch einen größeren Kreis zur Auswahl haben und weil insbesondere die Ausschußmitglieder in den Städten und Märkten der sogenannten Intelligenz, mithin dem politisch gefährlicheren Elemente, angehören, das vom Landtage möglichst ferne zu halten wäre. Der Kultusminister fand, daß es dem Charakter einer Delegation mehr entsprechen würde, wenn bloß Gemeindeausschüsse gewählt würden, und der Justizminister bemerkte, daß auch in den ungarischen Städten hes zu wünschen wäre, wenn nur Männer aus dem großen Ausschusse gewählt werden könnten.h
Se. Majestät geruhten Ah. sich für die Anwendung dieses Grundsatzes auch in Tirol zu entscheiden.
Zum § 5 bemerkte der Minister des Inneren , es scheine ihm nicht angezeigt, die Zahl der Wahlmänner für die Städte nach der Volkszahl zu bemessen. Die Ziffer der Population gebe für sich allein keinen richtigen Maßstab für die Wichtigkeit einer Stadt, welche noch durch politische, merkantile und andere nationalökonomische Verhältnisse influenziert wird. Bei Annahme dieses Maßstabes würde ein sehr volkreicher, aber armer Ort allen Einfluß auf die Wahlen zum Nachteil der übrigen Städte monopolisieren. Graf Gołuchowski müsse daher übereinstimmend mit seinem früheren Antrage auch jetzt beantragen, daß jede Stadt ohne Unterschied drei Wahlmänner zu bestimmen habe.
Se. Majestät der Kaiser geruhten diesen Antrag zu genehmigen, woraus sich konsequent ergibt, daß auch auf jede Gemeinde des vierten Standes ohne Unterschied ein Wahlmann entfällt.
Allerhöchstdieselben geruhten die zweifach abgestufte indirekte Wahl der Landtagsmitglieder für den vierten Stand als allzu kompliziert zu bezeichnen16. Auch tritt hiebei der Umstand ein, daß das höhere Wahlkollegium der Abgeordneten oft nur aus fünf bis sechs Personen bestehen, somit zu klein sein würde. Der Minister des Inneren bemerkte, daß, wenn alle Wahlmänner des Bezirkes vereinigt werden wollten, es eine überzahlreiche Versammlung von etwa 400 Personen geben würde; auch müßte dann mancher einzelne eine große Reise bis zum Wahlort machen.
|| S. 320 PDF || Se. Majestät erklärten Allerhöchstsich für die Wahlmodalität, daß aus jeder Gemeinde der Vorstand samt ieinem Wahlmanne ausi dem Gemeindeausschusse sich an den Wahlort begebe und dort der Abgeordnete für den Landtag direkt gewählt werde.
Schluß am 13. Juli 1860
Die von Sr. k. k. Hoheit dem durchlauchtigsten Herrn Erzherzog Statthalter weiters in Antrag gebrachte „Geschäftsordnung für den Landtag der gefürsteten Grafschaft Tirol“ wurde ihrem ganzen Inhalte nach vorgelesen.
Die im § 3 enthaltene Bestimmung über die Beschlußfähigkeit wird gemäß Ah. Anordnung wegzulassen sein. Einesteils ist dies ein Detail, dessen Entscheidung dem Takte des Landeshauptmannes überlassen bleiben kann, andererseits dürfte die erwähnte Bestimmung unter gewissen Verhältnissen die Abhaltung des Landtages vereiteln können.
Der § 4 wird mit den Worten zu schließen sein: „des Saales aufrecht zu erhalten“.
Der § 5 veranlaßte eine neuerliche Beratung über die Frage der Öffentlichkeit der Landtagssitzungen, wobei die bereits früher dafür und dawider geltend gemachten Gründe erwogen wurden und Minister Graf Thun schließlich seine Meinung dahin aussprach, daß diese Frage in Tirol füglich abgesehen von den in anderen Kronländern zu treffenden Einrichtungen behandelt werden könnte. Insofern dürfte es keinem Bedenken unterliegen, wenn dem Landtage Ah. überlassen würde, diese Angelegenheit selbst zu regeln.
Se. Majestät geruhten diesen Antrag Ag. zu genehmigen und zugleich zu bestimmen, daß der Landtag auch über die Art der Veröffentlichung der Verhandlungen zu entscheiden habe. Die Vorsorge, damit die Ruhe und Ordnung in den Versammlungen nicht gestört werde, sei aber die Sache des Landeshauptmannes.
Der Minister des Inneren bemerkte, es ergebe sich aus dem 3. Absatze dieses Paragraphen, daß die Verleihung von Stipendien dem gesamten Landtage vorbehalten wird, während dies in anderen Kronländern zur Kompetenz des Landesausschusses gehört. Reichsrat Graf Wolkenstein erwiderte, daß diese vorgeschlagene Bestimmung der in Tirol stets beobachteten Übung entspreche.
Se. Majestät geruhten zu bemerken, daß es Sache des Tiroler Landtages wäre, die Kompetenz seines Ausschusses auch in dieser Beziehung abzugrenzen, und Reichsrat Graf Wolkenstein erinnerte, daß es dem Landtage nach § 23 des Patententwurfes überhaupt vorbehalten bleibt, dem ständigen Ausschusse die Instruktionen und somit auch seine Kompetenzsphäre vorzuzeichnen.
Hierauf wurde ein in die Geschäftsordnung nach dem Antrage Sr . k. k. Hoheit einzuschaltender neuer Paragraph vorgelesen, in welchem die Regierung sich vorbehält, nach ihrem Ermessen einen Kommissär zu den Landtagssitzungen abzusenden, und der Landeshauptmann sich auch die Absendung eines Regierungskommissärs erbitten kann. Die Gegenwart eines Regierungskommissärs dürfte nämlich bei Verhandlung gewisser Gegenstände bald im Interesse der Regierung, bald in dem des Landtages wünschenswert werden.
|| S. 321 PDF || Bei dem Umstande jedoch, daß die Regierung durch den von ihr ernannten Landeshauptmann das Ansuchen um Absendung eines jRegierungsorganes behufs der abzugebenden Aufklärungen und Erläuterungenj, wo es nützlich ist, provozieren kann, geruhten Se. Majestät zu bestimmen, es wäre gehörigen Ortes, allenfalls auch im Patente, nur festzusetzen, daß der Landeshauptmann sich die Absendung eines Regierungsorganesk zu Landtagssitzungen lin der angedeuteten Absichtl erbitten könne.
Der § 6, wornach wichtige Gegenstände der Vorberatung durch hierzu gebildete Ausschüsse unterzogen werden sollen, veranlaßte den Minister des Inneren zur Bemerkung, es werde genügen, wenn alle Beratungsgegenstände der Vorberatung durch den ständigen Ausschuß unterzogen werden, der sich ja erforderlichenfalls durch Beiziehung von Fachmännern verstärken kann. Die Vermehrung der Komiteeberatungen sei der Einfachheit und Schnelligkeit des Geschäftsganges keineswegs günstig, und der ständige Ausschuß, aus der Wahl des Landtages hervorgegangen, müsse doch auch dessen Vertrauen besitzen! Selbst Beschwerden gegen den Ausschuß wären zuerst dem Ausschusse selbst zu seiner Rechtfertigung zuzuweisen. Findet der Landtag aber nötig, einen Antrag des Ausschusses überprüfen zu lassen, so mag er ad hoc ein Komitee zusammensetzen. Reichsrat Graf Wolkenstein bemerkte, daß diese Einrichtung in Tirol eine neue sein würde, indem der ständige Ausschuß dort während der Dauer des Landtages gar nicht fungierte. Der Justizminister schlug vor, statt „Wichtige Gegenstände sollen“ zu setzen „Wichtige Gegenstände können“. Dadurch würde die Zusammensetzung von besonderen Komitees nicht mehr zur Regel gemacht.
Se. Majestät geruhten diese Textierung zu genehmigen mit dem weiteren Ah. Beisatze, es sei deutlich auszusprechen, daß alle Beratungsgegenstände, Vorlagen und Anträge einer Vorberatung durch den Ausschuß zu unterziehen seien, und der Kultusminister bemerkte hiebei nur noch, es dürfte bei der Textierung dafür Sorge zu tragen sein, daß man nicht auch alle Inzidenzanträge bei den Sitzungen darunter subsumieren könne, was die Verhandlungen äußerst schleppend machen würde.
Im § 8 wurde der Absatz d) „als schriftliche Eingaben in Form von Petitionen“ auf Ah. Anordnung beseitigt und zum § 9 ein Zusatz Ah. beschlossen, wonach der Landeshauptmann die außer der Kompetenz des Landtages liegenden Angelegenheiten bei demselben nicht zur Beratung zu bringen hat. Der Satz: „Anonyme Schriften werden nie angenommen“ ist zu streichen.
Der § 11, welcher indirekte der Aufstellung einer Rednerbühne vorbeugen soll, wurde gleichfalls auf Ah. Anordnung gestrichen, und wird es Sache des Landtages sein, dieses Internum zu regeln.
Se. Majestät geruhten zu befehlen, daß statt des Schlußsatzes im § 16 die präzisere Textierung nach dem Antrage der Ministerkonferenz gesetzt werde17.
|| S. 322 PDF || Der § 18 wegen der landtäglichen Deputation an das Ah. Hoflager wurde schließlich mit Rücksicht auf die allgemeine Vorschrift, die faktisch auch stets bei den ungarischen Landtagen befolgt worden ist, Ah. genehmigt.
Über Ah. Aufforderung las der ao. Reichsrat Graf Wolkenstein den gemäß der Ah. Weisungen neu redigierten Eingang des Patentes. Der Schluß des ersten Satzes dürfte hiernach folgendermaßen lauten: „finden Wir Uns bewogen, über die bestehende Vertretung des Landes mit Rücksicht auf die veränderten Verhältnisse nachfolgende Bestimmungen zu erlassen.“ Der Minister des Inneren hielte es für sehr angezeigt, hier auf das Patent vom Jahre 1816 ausdrücklich hinzuweisen, welches einen Anknüpfungspunkt für das neue Statut gewährt.
Se. Majestät geruhten diesen Zusatz sowie die Einschaltung des Wortes „fortan“ in den § 2, wodurch die Kontinuität der ständischen Gliederung ihren Ausdruck erhält, Ag. zu genehmigen und zugleich Ah. zu befehlen, sofort nach Publizierung des Patents in einer Tiroler Zeitung die nunmehr gegen die frühere Landesverfassung eintretenden Änderungen durch eine geschickte Hand beleuchten zu lassen.
Der Minister des Inneren erhielt den Ah. Auftrag, sich die im Laufe dieser Beratungen über das Tiroler Statut Ah. gefaßten Beschlüsse über folgende Punkte gegenwärtig zu halten, damit die analogen Bestimmungen auch in die Statuten der übrigen Kronländer aufgenommen werden: 1. Die Ausdehnung des Wirkungskreises auf die Beratung über die zu erlassenden Landesgesetze und über die bereits kundgemachten allgemeinen gesetzlichen Anordnungen (Patent § 18); 2. den Ah. Vorbehalt, den Landtag jederzeit zu schließen oder unter Anordnung neuer Wahlen gänzlich aufzulösen (Patent § 21); 3. Die Vereinfachung des Wahlmodus18.
Wien, am 14./31. Juli 1860. Rechberg.
Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Laxenburg, den 7. August 1860.