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Nr. 172 Ministerkonferenz, Wien, 7. Juni 1860 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Ransonnet; VS. Rechberg; BdE. und anw. (Rechberg 8./13. 6.), Thun 8. 6., Nádasdy 8. 6., Gołuchowski 9. 6., Thierry 10. 6., Plener 10. 6., FML. Schmerling 11. 6.

MRZ. – KZ. 1906 –

Protokoll vom 7. Juni 1860 unter dem Vorsitze des Ministerpräsidenten und Ministers des kaiserlichen Hauses und des Äußern Grafen Rechberg.

I. Vorberatungen des Reichsrates

Der Ministerpräsident referierte, daß in dem Versammlungslokal für die Reichsräte im Hotel Munsch1 förmliche Beratungen unter einem Präsidenten und mit Abstimmung stattgefunden haben. Dies fordere die volle Aufmerksamkeit der Regierung, welche nicht zugeben könne, daß sich dort ein förmlicher, am Ende auch von fremden Personen besuchter politischer Klub, eine Art Vorreichstag, allmählich organisiere, in welchem bindende Beschlüsse für die Reichsräte gefaßt und dergestalt Majoritätsbeschlüsse außerhalb des Reichsrates vorbereitet würden.

Bei der hierüber gepflogenen Beratung wurde anerkannt, daß Vorbesprechungen der ao. Reichsräte an sich nützlich seien und auch durch keine gesetzlichen Mittel gehindert werden könnten. Andererseits aber erscheine es bei den hie und da hervortretenden Velleitäten rätlich, schon jetzt im geeigneten gütlichen Wege dahin zu wirken, daß die außerämtlichen Versammlungen der Reichsräte nicht ausarten. aDer Kultusminister war übrigens des Erachtens, daß bisher nichts vorliege, was zu einer Erinnerung in dieser Angelegenheit Anlaß gebe.a Der Kultusminister war übrigens des Erachtens, daß bisher nichts vorliege, was zu einer Erinnerung in dieser Angelegenheit Anlaß gebe.

Gemäß einstimmigen Konferenzbeschlusses übernahm es der Ministerpräsident , Se. kaiserliche Hoheit den durchlauchtigsten Herrn Erzherzog Rainer zu bitten, daß Höchstderselbe durch die Reichsratsvizepräsidenten im gütlichen Wege dahin wirke, damit die in Rede stehenden Besprechungen innerhalb der gehörigen Grenzen gehalten werden.

II. Zahlung der Künstlerreisestipendien in Silber

Der Kultusminister referierte, daß die gegenwärtigen Valutaverhältnisse auf die im Rom befindlichen k. k. Pensionäre, welche, binsoferne sie Schüler der Wiener k. k. Kunstakademie waren,b ihre Reisestipendien in Papiergeld beziehen, sehr drückend wirken und ihre Bezüge um ein Drittel schmälern, während die in Silber bezahlten Pensionäre der Venediger Kunstakademie davon gar nicht berührt werden. Um nun diesem Übelstande zu steuern, gedenkt Minister Graf Thun aus Anlaß des Gesuchs eines Pensionärs namens Zítek2 darauf bei Sr. Majestät au. anzutragen, daß sowohl ihm als den in || S. 237 PDF || Zukunft noch mit Reisestipendien à 1260 fl. ö.W. zu beteilenden Kunstschülern ihre Bezüge bis zur Herstellung des Parikurses der Landesvaluta in Silber ausgezahlt würden, jedoch mit dem Vorbehalt, daß durch die zu bewilligenden Stipendien überhaupt die diesfällige Gesamtdotation jährlicher 5040 fl. ö.W. in Banknoten nicht überschritten cbzw., insoweit es hierzu erforderlich ist, die gleichzeitige Beteilung mehrerer Kunstzöglinge beschränktc werde.

Der Leiter des Finanzministeriums fand gegen diesen Antrag nichts zu erinnern3.

III. Rabbinatsschule und israelitischer Schulfonds in Galizien

Der Kultusminister referierte, daß er bei Sr. Majestät dem Kaiser folgende au. Anträge zu stellen gedenke: 1. daß der bestehenden orthodoxen Rabbinatsschule in Preßburg zu ihrer Konsolidierung und Verbesserung aus dem ungarisch-israelitischen Schulfonds Unterstützungen gewährt werden; 2. daß die Errichtung einer gleichartigen altorthodoxen Rabbinatsschule für Galizien in Lemberg oder an einem anderen passenden Orte dieses Kronlands im Prinzip Ag. genehmigt und die Bewilligung zur Bestreitung des Kostenaufwands für diese Schule, inwiefern er nicht aus andern Quellen gedeckt werden kann, aus dem dermal mit dem katholischen vereinigten israelitischen Schuldfonds Ah. ausgesprochen werde; 3. daß die förmliche Ausscheidung dieses israelitischen Schulfondsanteils aus dem katholischen Schulfonds mit dem zur Zeit seiner Einverleibung (1807) bestandenen Kapitalsbetrage (132.460 fl. in Barem und 123.014 fl. in Obligationen), wenn auch nur in 5%igen Obligationen im Nominalwert stattfinde und derselbe der Verwendung für israelitische Schul- und Unterrichtszwecke zurückgegeben werde, und 4. daß von der bisherigen Forderung von Gymnasial- und philosophischen Studien für die Rabbinatskandidaten in Galizien abgestanden und sich mit dem Beweise der Bildung, welche man im Untergymnasium erhält, begnügt werde. Minister Graf Thun bemerkte, der Punkt 3, die Ausscheidung des israelitischen Schulfonds, sei der Gegenstand einer Rücksprache mit dem Finanzministerium gewesen, aber dasselbe habe sich mit Hinweisung auf die gegenwärtige Finanzlage des Staates dfür jetztd gegen diese Ausscheidung erklärt. Graf Thun könne indes darin keinen hinreichenden Grund finden, den israelitischen Schulfonds noch länger gegen alle Gerechtigkeit seiner einzigen wahren Bestimmung zu entziehen. Das Opfer, welches von den Finanzen gefordert wird, sei nicht so groß und mit keiner plötzlichen Kapitalszahlung verbunden. Andererseits seien diese kleinen Zuflüsse das einzige Mittel, um die galizische Rabbinatsschule zu dotieren und den vielen armen galizischen Judengemeinden beizustehen, um besondere israelitische Schulen zu gründen, was im wohlverstandenen Interesse der Schul- und der religiösen Bildung bei beiden Konfessionen gelegen sei. Das Aufgeben der philosophischen Vorbildung bei den galizischen Rabbinatskandidaten (ad 4) motiviert der Kultusminister durch die Tatsache, daß dieses Erfordernis großen || S. 238 PDF || Anteil habe an dem bisherigen fühlbaren Mangel an solchen Kandidaten. Überdies sei es nicht einmal wünschenswert, für Galizien modern gebildete Rabbiner zu gewinnen, da dieselben einerseits zu revolutionären Tendenzen nur zu geneigt sind und andererseits dem im finstersten Aberglauben begrabenen gemeinen Juden zu fern stehen, um ihm Zutrauen einzuflößen. Für Galizien tue es Not, vor allem dem krassen Chassidismus durch Bildung von altorthodoxen Rabbinern nach dem in Preßburg eingeführten Lehrplan, und zwar in entsprechender Anzahl, entgegenzuwirken. Eine höhere Vorbildung der galizischen Rabbiner werde nicht von Staats wegen verboten, sondern nur nicht mehr als Bedingnis gefordert.

Der Minister des Inneren , in allen Punkten mit dem Referenten einverstanden, bemerkte, daß die bisherigen zu hoch gespannten Anforderungen an die Rabbinatskandidaten den Mangel an Rabbinern in Galizien herbeigeführt haben. Für Gründung eigener israelitischer Trivial- und Hauptschulen sei schon manches von Seite einiger Gemeinden geschehen, und die Mittel des israelitischen Schulfonds würden auf diesem weiten Felde noch viel nützen können. Der Reichsrat v. Plener bemerkte, daß der Betrag des fraglichen Schulfonds noch der skalamäßigen Reduktion unterzogen werden müsse und daß er der beantragten Erfolgung desselben enach Ablaufe des Verwaltungsjahres 1861 bei den dafür geltend gemachten Gründen nicht entgegentreten wolle. Übrigens scheine es ihm angezeigt, die Mittel des ungarischen israelitischen Schulfonds für die Förderung einer höheren Bildung unter den Juden zur verwenden, findem alle zweckmäßigen Mittel anzuwenden seien, welche dahin führen, daß das orthodoxe Judentum sich von seinen Vorurteilen und Gewohnheiten reinige und eine Reform erreiche, welche zur Anbahnung aufgeklärter und vernünftiger Ansichten leitet, in welchen der Gefertigte keine politische Gefahr zu erblicken vermag.e

Die übrigen Stimmen vereinigten sich in allen Punkten mit dem Antrage des referierenden Ministers, gwelcher nicht entgegen war, daß die Ausscheidung des Fonds, deren Durchführung ohnehin noch amtliche Verhandlungen erheische, erst mit Ende des Verwaltungsjahres 1861 stattfindef .4

IV. Voranschlag für das Verwaltungsjahr 1861 (4. Beratung); Detailvoranschläge (direkte und indirekte Steuern)

Der provisorische Leiter des Finanzministeriums berichtete, daß die Voranschläge der direkten sowohl als der indirekten Steuern für 1861 vollendet seien, dieselben böten keinen Gegenstand einer Diskussion in der Konferenz und könnten daher auch dem Reichsrate bereits vorgelegt werden5.

Reichsrat v. Plener teilte hierauf der Konferenz den Inhalt einer vorläufig zusammengestellten Hauptübersicht des Budgets für 1861 mit, wonach die Einnahmen 299, || S. 239 PDF || die Ausgaben aber 332 Millionen betragen würden, so daß noch ein Defizit von 33 Millionen erübrigen würde. Diese approximative Übersicht könnte in Druck gelegt und unter die Mitglieder des reichsrätlichen Budgetkomitees als Anhaltspunkt bei ihren Arbeiten mitgeteilt werden6.

Der Kultusminister erwiderte, es scheine ihm angezeigt, noch vor dieser Mitteilung in der Konferenz reiflich zu überlegen, ob denn nicht eine weitere Moderierung des noch immer so hohen Defizits möglich wäre. hJedenfalls müsse die Konferenz zu einem Beschlusse gelangen, was, nachdem das Gleichgewicht für 1861 noch nicht hergestellt werden könne, fernerhin zu tun sei.g Reichsrat v. Plener erwiderte, daß, nachdem mittlerweile auch die Budgets der Polizei7 und des Kultus8 definitiv richtiggestellt worden sind, eine ergiebige Moderierung nur durch Reduktionen im Militärvoranschlage zu erzielen wäre, welcher ein Gesamterfordernis von 102 Millionen nachweist, während sich das Ordinarium auf 93 Millionen belauft. Für die Finanzen sei es am Ende gleichgültig, ob sie eine Dotation für Rechnung des Ordinariums oder des Extraordinariums bezahlen.

Der Ministerpräsident bemerkte, daß diese Unterscheidung zwar nicht für die Beschaffung des Geldes, aber doch für die Würdigung der Finanzlage von Wichtigkeit sei, indem nur das Ordinarium als eine bleibende Last unter gewöhnlichen Verhältnisse zu gelten hat. Es wäre daher in der Hauptübersicht des Staatsvoranschlages das Erfordernis für die Armee im Friedensstande abgesondert ersichtlich zu machen, und die durch außerordentliche Verhältnisse notwendig gewordenen Ausgaben auf Befestigungen, Standesvermehrungen etc. wären als außerordentliche Nachforderung auszuweisen. Auf diese Art würde sich das Defizit des Jahres 1861 in einem minder bedenklichen Lichte darstellen. Der FML. Ritter v. Schmerling fügte bei, daß das Extraordinarium aber nur für Festungsbauten, außerordentliche Ergänzung der Monturvorräte und ähnliche Objekte gefordert werde, welche nicht in die stehenden Rubriken des Armeeaufwandes gehören. Andererseits ifände beiläufigh dieses Extraordinarium seine Bedeckung in den heuer zu ersparenden 20 Millionen, jwenn dasselbe als solches belassen würde.i Der Reichsrat v. Plener erwiderte hierauf, er könne diese 20 Millionen nicht als eine eigentliche Ersparnis betrachten, da diese Summe ja nirgends vorhanden sei, sondern nur als eine Minderauslage gegenüber der ursprünglichen Dotationsanforderung.

Schließlich wurde noch in Erwägung gezogen, ob denn keine Erhöhung der Einnahmen an Steuern und Gebühren tunlich sei. In dieser Beziehung wurde vom Kultusminister auf die Gewerbesteuer hingewiesen.

Reichsrat v. Plener erhielt vom Justizminister die Zusicherung, er werde sein möglichstes tun, um auf Verminderung der Rückstände an Gebühren von Rechtsgeschäften per zwölf Millionen hinzuwirken9.

Am 8./13. Juni 1860. Rechberg. Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Laxenburg, den 17. Juni 1860.