Nr. 156 Ministerkonferenz, Wien, 17. Mai 1860 – Protokoll II - Retrodigitalisat (PDF)
- ℹ️ anwesend:
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Ransonnet; VS.Vorsitz Kaiser; BdE.Bestätigung der Einsicht und anw.anwesend (Rechberg 19./25. 5.), Erzherzog Wilhelm, Erzherzog Rainer, Thun 20. 5., Nádasdy 20. 5., Gołuchowski 21. 5., Thierry 21. 5., Plener 23. 5., FML. Schmerling 24. 5.
MRZ. – KZ. 1675 –
Protokoll der Ministerkonferenz am 17. Mai 1860 unter dem Ah. Vorsitze Sr. Majestät des Kaisers.
I. Wiederbesetzung erledigter ao. Reichsratsstellen
Se. k. k. apost. Majestät geruhten der Konferenz Ag. zu eröffnen, daß die Grafen G. Apponyi und Barkóczy, dann Georg v. Mailáth erklärt haben, ihren Platz im verstärkten Reichsrate einnehmen zu wollen, zugleich aber die Bitte aussprachen, daß die durch Rekusationen erledigten ungarischen ao. Reichsratsstellen von Sr. Majestät wieder Ag. besetzt werden möchten1. Da nun auch durch den Rücktritt des v. Nikolics2 und des v. Kofler3 zwei Stellen erledigt werden, geruhten Se. Majestät die Frage zur Beratung zu bringen, ob und welche dieser sämtlichen ao. Reichsratsstellen wiederzubesetzen wären.
Nach längerer Beratung vereinigten sich sämtliche Stimmführer der Konferenz mit dem Antrage des Justizministers, daß dermal keine der erledigten Stellen Ah. zu besetzten wäre und eine diesfällige Ah. Ernennung erst nach der Eröffnung des verstärkten Reichsrates – wenn überhaupt – Platz greifen dürfte. Die Wiederbesetzung der aus politischen Gründen rekusierten Plätze habe ihre besonderen Schwierigkeiten: folgt man den Vorschlägen der Ungarn, welche angenommen haben, so dürften alle Gewählten derselben Partei angehören, was dem von Sr. Majestät angenommenen Prinzipe widerspräche; trifft die Ah. Wahl Männer aus anderen politischen Kreisen, so ist die Möglichkeit neuer Rekusationen vorhanden. Se. Majestät haben die besten Männer von verschiedenen Parteien gewählt; wenn dieselben die Wahl nicht annehmen, so ist es nur ihre Schuld, daß ihr Interesse im Reichsrat keinen speziellen Vertreter findet. Bezüglich der Posten, welche wegen Gesundheitsrücksichten der Ernannten erledigt werden, waltet zwar ein ganz anderes Verhältnis, und es erschiene namentlich bezüglich Südtirols wünschenswert, wenn für den tauben Kofler ein Ersatzmann einberufen würde, wie Se. kaiserliche Hoheit der Herr Erzherzog Statthalter beantragt aund wofür der Kultusminister sich aussprach, weil es sehr zu bedauern wäre, wenn namentlich in Tirol zu der Verdächtigung Anlaß gegeben würde, als habe die Regierung durch Absicht oder Unachtsamkeit die dem Lande versprochene Zahl der außerordentlichen Reichsräte reduziert.a und wofür der Kultusminister sich aussprach, weil es sehr zu bedauern wäre, wenn namentlich in Tirol zu der Verdächtigung Anlaß gegeben würde, als habe die Regierung durch Absicht oder || S. 171 PDF || Unachtsamkeit die dem Lande versprochene Zahl der außerordentlichen Reichsräte reduziert. Andererseits aber würde es im Publikum auffallen und als inkonsequent getadelt werden, wenn nur gewisse erledigte Stellen unbesetzt blieben, andere neu besetzt würden, zumal auch Rekusationen aus politischen Gründen durch den Vorwand von Gesundheitsrücksichten motiviert worden sind und noch werden motiviert werden. Bis zum 29. d. M. werde sich übrigens manches geklärt und auch deutlicher herausgestellt haben, ob es wünschenswert sei, mit Wiederbesetzungen vorzugehen4.
II. Strengere Handhabung der Preßpolizei
Aus Anlaß, daß der „Wanderer“ das von Baron Eötvös in einer Audienz angeblich ausgesprochene Motive seiner Rekusierung zur Publizität brachte5, geruhten Se. Majestät dem Polizeiminister die strenge Handhabung der Preßpolizei zur Pflicht zu machen, und der Justizminister sicherte zu, daß er die Staatsanwälte zur kräftigeren Unterstützung der Polizeibehörden anweisen werde.
III. Wahl der Vizepräsidenten für den verstärkten Reichsrat
Infolge Ah. Aufforderung beriet die Konferenz über die Wahl der zwei Vizepräsidenten für den verstärkten Reichsrat, wobei Graf Thun an seinen ursprünglichen Antrag erinnerte, diese Wahl dem Reichsrate selbst zu überlassen6. Der Ministerpräsident sprach sich dafür aus, daß ein Vizepräsident aus den ordentlichen, der andere aus den ao. Reichsräten zu wählen wäre, welcher Meinung auch der durchlauchtigste Herr Erzherzog Reichsratspräsident beitrat. Von den Grafen Nádasdy und Thun , dann vom Reichsrate v. Plener würde die Wahl eines Ungarn als sehr opportun betrachtet werden. Die Reichsräte Baron Krauß und Fürst Salm wurden von mehreren Stimmen wegen ihrer Übung in parlamentarischen Debatten, Reichsrat Lichtenfels wegen seiner scharfen Dialektik und v. Szőgyény als eine ausgezeichnete Kapazität in Antrag gebracht. Se. k. k. Hoheit der Herr Erzherzog Rainer erklärten, einen besonderen Wert darauf zu legen, daß einer der Vizepräsidenten dem Geschäft der Antragsformulierung und Fragestellung völlig gewachsen sei.
Schließlich geruhten Se. Majestät die Beratung dieser wichtigen Angelegenheit zu vertagen und zu empfehlen, daß mittlerweilen über andere Kandidaten wie auch über die Gesundheitsumstände des sich allerdings für eine Vizepräsidentenstelle eignenden Grafen Leopold Wolkenstein Erkundigungen eingezogen würden.
Der Justizminister bemerkte noch, daß bvielleicht vorderhand die Ah. Ernennung von Vizepräsidenten zu vertagen und die Wahl derselben nach der Eröffnungssitzung vorzunehmen wäreb, bis wohin man einige Persönlichkeiten etwas näher kennen wird7.