Nr. 107 Ministerkonferenz, Wien, 5. Februar 1860 - Retrodigitalisat (PDF)
- ℹ️ anwesend:
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Ransonnet; VS.Vorsitz Kaiser, BdE.Bestätigung der Einsicht und anw.anwesend Erzherzog Albrecht, Erzherzog Rainer, (Rechberg 7. 2.), Thun 10. 2., Bruck 11. 2., Nádasdy 11. 2., Gołuchowski 11. 2., Thierry 18. 2.
MRZ. – KZ. 577 –
Protokoll der Ministerkonferenz am 5. Februar 1860 unter dem Ah. Vorsitze Sr. Majestät des Kaisers.
I. Erlaß an die Superintendenzen und offiziöser Zeitungsartikel über die protestantischen Angelegenheiten in Ungarn
Der Kultusminister referierte über die Kundgebungen, die von der Regierung in der gegenwärtigen Phase der protestantischen Angelegenheiten in Ungarn auszugehen hätten, um dem durch Journalartikel verbreiteten Gerüchte von der Zurücknahme des Gesetzes de dato 1. September v. J. und der Ministerialverordnung entgegenzutreten und die Fortsetzung der angeordneten Koordination bei den Gemeinden zu fördern1. Die Vorschläge der Freiherrn v. Vay und Prónay2 agingen im wesentlichen dahin, daß den Synoden beider Bekenntnisse (welche, noch bevor zur Wahl von Superintendenten geschritten würde, von den Senioraten zu beschicken wären)a das Ah. Patent mittels einer von Sr. Majestät unterfertigten Vorlage mitgeteilt und dasselbe dann (vorbehaltlich der vorzuschlagenden Modifikationen) von den Synoden angenommen würde. Um die Annahme dieses Vorschlags von ihren Glaubensgenossen zu bewirken, bsollen die Obgenannten eine Frist von vier bis fünf Wochen für notwendig erklärt haben. Inzwischen hat sich bereits herausgestellt, daß die Abhaltung der Synoden ohne vorausgegangene Superintendentenwahlen unausführbar wäre. Der Vorschlag läuft demnachb in letzter Auflösung auf eine Restitutio in integrum hinaus. Allein, eine solche Restitutio ist von der Ministerkonferenz schon bei den Vorberatungen über das Patent in reifliche Erwägung gezogen und für unzulässig erkannt worden. Die Notwendigkeit einer neuen gesetzlichen Koordinierung wurde einstimmig anerkannt und zwar a) aus politischen Gründen, namentlich weil nur auf diesem Wege die Herrschaft der Pester lutherischen Superintendenz gebrochen und bewirkt werden kann, daß auf der Synode auch Männer erscheinen, welche nicht der Opposition angehören. Dadurch würden zugleich faits accomplis für die weitere politische Entwicklung einer Regierungspartei gebildet, und es würden die mitunter auch sehr radikalen Elemente bei den slawischen Gemeinden A. C. || S. 422 PDF || unter verläßliche Führer gestellt werden können; b) aus staatsrechtlichen Gründen, um nämlich [1.] auf der Basis des Art. 26/1791, die jura circa sacra des Landesfürsten unabhängig von Synodalbeschlüssen festzustellenc, was nicht hindert, daß von den Synoden Einwendungen gegen einzelne Bestimmungen des Patentes vorgebracht würden, und [2.] daß das durch die Ministerialverordnung vom 2. September geschaffene Provisorium dder Ordnung des Kirchenregimentesd durch vereinbarte definitive Canones im ordentlichen Wege ersetzt werde. Nimmt man die dermaligen Vorschläge der Evangelischen an, so gelangt die ungarischee Opposition zur Alleinherrschaft auf den Synoden, welche ohne Zweifel alle ihr mißliebigen Bestimmungen verwerfen wird, namentlich jene in Schul- und Stiftungssachen, die oberste Instanz in kirchlichen Gerichtsangelegenheitenf und die Beschränkungen der Inspektoren und Kuratoreng . Die Ministerialverordnung hvom 2. Septemberh aber würde von den Synoden völlig ignoriert iund mit ihr würde alles hinwegfallen, was der bisherigen Einmengung politischer Agitation in die Führung der Kirchenregimenter Schranken zu setzen bestimmt ist, und die protestantische Geistlichkeit samt dem loyalen Teile der Gemeinden wäre definitiv der Willkürherrschaft einflußreicher Laien völlig preisgegeben.i
Andererseits könnten im Fall einer Restitutio, wie Minister Graf Thun bemerkt, jdurch die Anerkennung, daß das Patent nicht Gesetz sei, die Rechtsbegriffe der größten Verwirrung anheimgegeben und den bereits durchgeführten oder noch anhängigen Amtshandlungen der Strafgerichte ihre rechtliche Grundlage entzogen [werden], so daß die Regierung dem Vorwurfe rechtloser Verfolgung der Angeklagten ausgesetzt wäre. Eine vierwöchentliche Ungewißheit endlich über das, was fortan geschehen werde, würde die in einigen Superintendenzen in gutem Fortschritte befindliche Koordinierung suspendieren, und sie würde nachher kaum wieder in Gang gebracht werden können.j
Der Kultusminister erinnerte hierauf, er habe bereits bei einer am 2. l.M. unter dem Ah. Vorsitze gepflogenen engeren Beratung3 folgende au. Anträge gestellt: 1. Bei der ersten Nachricht, daß sich in Ungarn Gerüchte über eine Verhandlung mit den Evangelischen auf neuer Basis verbreiten, hätte die Regierung zu erklären, daß diesfalls gar kein Versprechen gegeben worden ist und daß die Ministerialverordnung vom 2. September 1859 wie auch die Vollziehungsvorschrift vom 10. Jänner d. J. in Kraft bleiben. 2. Es sei als feststehend anzuerkennen, daß keine Synode anders stattfinden könne als nach dem Zusammentreten und über Einschreiten der Generalkonferenz und nur, nachdem in den neuen lutherischen Superintendenzen die Wahlen der Superintendenten, Superintendentialvikare || S. 423 PDF || und Inspektoren stattgefunden haben. 3. Die Regierung möge sich es gefallen lassen, daß die Synoden über die Annahme des Patentes verhandeln, wenn sie des Erfolges sicher ist, daß sich die Synoden dafür entscheiden, aber sie selbst dürfe durchaus nichts aussprechen, was das Zugeständnis enthält, daß sie die Vorschriften vom 1. und 2. September nicht als schon geltendes Gesetz betrachte. An diesen drei Anträgen, kwelche Se. Majestät zu billigen geruht haben,k müsse Graf Thun festhalten und, da der zu 1. vorgesehene Fall durch die unrichtigen Zeitungsberichte über die Audienzen der obgenannten zwei Magnaten bereits eingetreten ist, dermal in Antrag bringen, daß die Regierung ohne Verzug Erklärungen in dem angedeuteten Sinne hinausgebe. Diese Erklärungen hätten zu bestehen a) in einem sofort auszufertigenden Erlasse an die Superintendenzen und b) in einem offiziösen Artikel der „Wiener Zeitung“. Nachdem der Kultusminister die dem Protokolle in Abschrift beigeschlossenen Entwürfel gelesen hatte, bemerkte er, es habe ihm bei deren Redaktion die Absicht vorgeschwebt, das Festhalten an den erlassenen Vorschriften in einer Weise auszusprechen, daß mden bevorstehenden vertraulichen Besprechungen nicht die Möglichkeit jeden Erfolges abgeschnitten werde.m Denn er halte es allerdings tunlich, über eine von den Kalvinern ndurch eine Generalkonferenz einzubringende Bitte Allerhöchstenorts gewisse Modifikationen des Patentes bezüglich der Einteilung der Superintendenzen noch vor der Synode eintreten zu lassen und auf diesem Wege eine Verständigung mit dieser Konfession anzubahnen. Was hingegen die Lutheraner anbelange, so sei ein solcher Ausweg kaum möglich, weil sie bekanntlich seit Jahren gar keine kirchlich berechtigten Superintendentialvorstände haben und daher vor Konstituierung der neuen Superintendenzen eine Generalkonferenz nicht ausführbar sei, andererseits Baron Prónay nur eine Partei seiner Glaubensgenossen vertrete, der eine andere, sehr entschiedene, auf dem Patente fußende Partei entgegenstehe.n
Der Finanzminister glaubte in den neuesten Pester Vorschlägen, wie sie die Zeitungen bringen, noch nicht eine einfache Restitutio in integrum zu erkennen, und dieselben dürften daher nicht unbedingt zurückzuweisen sein. Die gegenwärtige politische Lage des In- und Auslands mache zu einer Notwendigkeit, die protestantische Agitation in Ungarn möglichst bald zu beheben4, und hiezu biete sich der von Baron Vay vorgeschlagene Weg dar, die Synoden aus dem gewissermaßen neutralen Boden der Seniorate hervorgehen zu lassen. Der Justizminister bemerkte hierauf, daß man auf der Basis der lutherischen Seniorate keine ogesetzliche Versammlung als Synode zustande bringen könne, da eine Synode ohne Superintendenten nicht denkbar sei.o gesetzliche Versammlung als Synode zustande bringen könne, || S. 424 PDF || da eine Synode ohne Superintendenten nicht denkbar sei. Er machte ferner darauf aufmerksam, daß man soeben in Pest beschlossen habe, die Zusammenberufung der aufgelösten ungesetzlichen Konvente zu begehren, um die Berichte der Deputierten entgegenzunehmen etc. Darauf könne die Regierung ohne große Inkonsequenz nicht eingehen. Der Finanzminister glaubte, daß diese (so wie andere unzulässige) Forderungen sich im Wege der Verständigung werden beseitigen lassen. Übrigens habe die Regierung nur bei den Lutheranern den vom Kultusminister angedeuteten politischen Grund, auf die Koordinierung zu dringen, weil nämlich bloß bei dieser Konfession ein Teil der Gemeinden bereits koordiniert ist. Dieser Grund falle bei den Kalvinern weg, und es sei daher vielleicht auch nicht streng notwendig, an beide Konfessionen den gleichen Auftrag zu erlassen. Gegen diese Verschiedenheit in der Behandlung der zwei Konfessionen erklärten sich jedoch die Minister des Inneren, des Kultus und der Justiz , letzterer mit dem Bemerken, es werde eben jetzt die Ministerialverordnung vom 10. Jänner wegen der Koordinierung in allen evangelischen Kirchen publiziert, und die Regierung dürfe die Wirkung dieser Anordnung durch Zeitungsartikel nicht untergraben lassen. Se. k. k. Hoheit der durchlauchtigste Herr Erzherzog Albrecht vereinigte sich mit den Anträgen des Kultusministers.
Se. Majestät der Kaiser geruhte die vorgelesenen Entwürfe Ag. zu genehmigen, mit den zwei Modifikationen, daß aus den Erlässen an die Superintendenzen die Berufung auf einen besonderen Ah. Auftrag wegbleibe und daß im Zeitungsartikel der Ausdruck „Lutheraner“ durch die Benennung „Evangelische A. C.“ ersetzt werde5.
Der Minister des Inneren wies auf die Zweckmäßigkeit hin, die Namen der sich koordinierenden evangelischen Gemeinden in den Regierungsblättern der bezüglichen Statthaltereigebiete des Beispiels wegen bekanntzumachen. Se. kaiserliche Hoheit der durchlauchtigste Herr Erzherzog Albrecht und der Justizminister traten dieser Meinung bei.
II. Untersuchung über die Quelle der im „Fortschritt“ und im „Pester Lloyd“ erschienenen unrichtigen Mitteilungen über die Audienzen der Barone Vay und Prónay bei Sr. Majestät
Nachdem Se. k. k. apost. Majestät die im „Fortschritt“ und im „Pester Lloyd“ erschienenen unrichtigen Berichte über Ah. Äußerungen in den Audienzen an Baron Vay und Baron Prónay6 rügend erwähnt hatten, brachte der Justizminister in Antrag, daß der Quelle dieser unrichtigen Mitteilungen mit Strenge nachgeforscht werde. Die bezüglichen Zeitungsredaktionen wären daher aufzufordern, ihre Gewährsmänner namhaft zu machen, widrigens sie eine Verwarnung zu gewärtigen hätten. Se. k. k. Hoheit der durchlauchtigste Herr Erzherzog Generalgouverneur , hiemit einverstanden, erwähnten, Höchstderselbe habe den Baronen Vay und Prónay nach ihrer Rückkehr von Wien im Ah. Auftrage bedeutet, daß während der Dauer der Besprechungen in den Zeitungen darüber kein Lärm zu machen sei, die Agitation aufhöre und der Koordination der Gemeinden, dort wo sie gewünscht wird, nichts in Weg gelegt werde. || S. 425 PDF || Dies seien die Bedingungen, unter welchen man die Besprechungen fortsetzen werde.
Se. Majestät geruhten diesen Antrag Ag. zu genehmigen, und es wird sofort das diesfalls Erforderliche durch Se. k. k. Hoheit und durch den Polizeiminister vorgekehrt werden7.
Wien, am 7. Februar 1860. Rechberg.
Ah. E. Ich nehme den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis. Franz Joseph. Wien, den 23. Februar 1860.