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Nr. 362 Ministerkonferenz, Wien, 17. September 1856 – Protokoll I - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Marherr; VS. Buol-Schauenstein; BdE. und anw. (Buol 17. 9./11. 10.), Bach, Thun, K. Krauß, Toggenburg, Kempen (mit dem Vermerk: Gesehen, und schließe ich mich dem gefaßten Konferenzbeschlusse an. Kempen FML.), Bruck; außerdem anw. Bamberg; Vermerk Marherrs: Als Abgeordneter des k. k. Armeeoberkommandos der Generaladjutant Sr. Majestät GM. Freiherr v. Bamberg.

MRZ. – KZ. 2968 –

Protokoll [I] der zu Wien am 17. September 1856 abgehaltenen Ministerkonferenz unter dem Vorsitze des Ministers des Äußern und des kaiserlichen Hauses Grafen v. Buol-Schauenstein.

I. Zinsvergütung für die im Jahre 1853 vom Militär besetzten Häuser Litta und Annoni in Mailand

Gegenstand der Beratung war der mit Ah. Kabmettschreiben vom 9. September 1856 an den tg. gefertigten Minister des Äußern und Präsidenten der Ministerkonferenz herabgelangte Vortrag des Finanzministers vom 11. August 1856, KZ. 3143, MCZ. 2872, betreffend die Zinsvergütung für die aus Anlaß der Ereignisse in Mailand im Februar 18531 eingetretene Benützung des Palazzo Litta und der Casa Annoni in Mailand zu Militärquartieren2.

Dem vorbelobten Ah. Kabinettschreiben zufolge hätte der Beratung – nebst dem Abgeordneten des Armeeoberkommandos3 auch der Chef der Obersten Polizeibehörde FML. Freiherr v. Kempen beiwohnen sollen. Er hat sich aber wegen Verhinderung entschuldigen lassen und sich die Einsicht des Protokolls vorbehalten.

Hiernach schritt der Finanzminister zum Vortrage des Gegenstandes. Nach demselben besteht die Differenz der Ansichten der Zentralstellen darin, daß nach jener des Finanzministers und des Armeeoberkommandos für die ganze Zeit der durch die Februarereignisse 18534 notwendig gewordenen Besetzung beziehungsweise außerordentlichen Belegung der Realitäten Litta und Annoni mit Militärmannschaft gar keine Zinsvergütung gebühre, während der Minister des Inneren erkennt, daß rücksichtlich des Palazzo Litta für das zweite Quartal 1853 (vom 18. Februar bis Ende April) zwar nur die Zinszahlung für die schon vor den Februarereignissen und unabhängig von denselben einquartierten Offiziere zu leisten, vom 1. Mai 1853 aber bis 5. Juni 1854 die Zinsbeträge nach der stattgehabten Benützung der Wohnungen pro rata temporis zu vergüten seien. Sowohl der Finanzminister als auch der Minister des Inneren beharrten auf ihren gegenteiligen Ansichten unter Berufung auf die im Vortrage umständlich auseinandergesetzten Gründe.

Der Justizminister erklärte sich vom rechtlichen Standpunkte aus für die unbedingte Vergütung des für die ganze Dauer der außerordentlichen Belegung der beiden genannten Realitäten mit Militär an die Eigentümer derselben. War nämlich diese || S. 171 PDF || außerordentliche Einquartierung durch militärische und sonstige öffentliche Rücksichten notwendig geworden – wie allerseits anerkannt wird – so nahm die Beschlagnahme der Privatwohnungen für Staatszwecke den Charakter einer zeitweiligen Expropriation an, welcher der Untertan sich zwar unweigerlich zu fügen, dagegen aber nach § 365 ABGB.5 die Entschädigung dafür anzusprechen hat. Der Anspruch auf Entschädigung wird durch die Veranlassung der Maßregel nicht berührt, insofern nicht der Betroffene selbst die Schuld daran trägt und daher auch für die Folgen derselben einstehen muß. Da nun dieses weder bei Litta noch bei Annoni der Fall gewesen, so kann die Zinsvergütung für die belegten Wohnungen in ihren Häusern rechtmäßig nicht verweigert werden. Es wird zwar eingewendet, daß das Vermögen beider damals (jenes des Annoni noch jetzt) unter Sequester war und daß nach Aufhebung desselben der Begnadigte nur das Recht habe, es ohne Rechnungslegung in dem zur Zeit der Übergabe befindlichen Stande anzusprechen. aAllein dies kann nur so ausgelegt werden, daß die Partei die Verwaltungsart des sequestrierten Gutes nicht bemängeln oder einen Schadenersatz für schlechte Verwaltung nicht fordern könne; keineswegs aber kann der Partei das Recht benommen werden, die fälligen und noch ausstehenden Früchte des sequestrierten Vermögens zu fordern und zu beziehena . Der Sequester führt – wie schon der Minister des Inneren bemerkt hat – nur die Verwaltung des Vermögens bim Namen des Eigentümers dieses Vermögensb, trägt die damit verbundenen Lasten, kann sich aber von den eingehenden Erträgnissen nichts zueignen coder auf Rechte, welche der in Sequestration verfallenen Partei zustehen, Verzicht leistenc, weil sonst die Sequestration – gegen die ausdrücklich erklärte Absicht Sr. Majestät – eine Vermögenskonfiskation sein würde. Zu den Früchten und Erträgnissen eines Hauses gehört aber der Zins für von anderen benützte Wohnungen; er ist mit Recht vom Sequester selbst für Litta und Annoni angesprochen worden und geht sonach nach Aufhebung der Sequestration mit dem Stammvermögen allen dessen sonstigen Erträgnissen und Aktivresten sowie mit allen Lasten auf den wieder in den Besitz eingesetzten Eigentümer über. Ferner wurde eingewendet, daß infolge der bedrohten Sicherheit des Lebens der vor dem Aufstande einquartiert gewesenen Offiziere die Möglichkeit der ferneren Benützung ihrer Wohnungen aufgehoben war, also das Mietobjekt nicht mehr bestand. Allein auch diese Einwendung könnte der Justizminister nicht gelten lassen, weil die Offiziere, welche auch anderwärts hätten untergebracht werden können, wirklich dort geblieben sind, und nur zu ihrer Sicherheit, also aus öffentlichen Rücksichten, militärische Verstärkung erhalten haben. Wenn endlich eingewendet wird, daß das Militärkommando unterm 1. Mai 1853 die mit Sequester belegten Gebäude von den Bequartierungsnormen ausgenommen habe, so kann daraus nicht gefolgert werden, daß es die rechtlichen Verhältnisse habe ändern dürfen oder wollen, dsondern nur, daß niemand sich über eine größere Einquartierung beschweren dürfed sondern nur, daß niemand sich über eine größere || S. 172 PDF || Einquartierung beschweren dürfe. Hiernach glaubte der Justizminister, daß für die Benützung der fraglichen Realitäten die volle Zinsvergütung für die ganze Zeit der Besetzung eund ohne alle Unterscheidung der Zeitepochen vom Ärar gebühre. Auch könne nach dem Ermessen des Justizministers rücksichtlich der Stadtkommune die ganze und volle Entschädigung nicht bestritten werden, weil nach der Äußerung des Herrn Ministers des Inneren nachgewiesen wurde, daß die Stadt Mailand an den Ereignissen des 6. Februar [1853] keine Schuld tragee .

Nachdem nun auch der Abgeordnete des Armeeoberkommandos GM. Freiherr v. Bamberg bemerkt hatte, daß für alle übrigen während der gedachten Periode vom Militär benützten Häuser, mit Ausnahme der unter Sequester gestandenen Realitäten Litta und Annoni, die Zinsvergütung geleistet worden ist, so glaubte die Mehrheit der Konferenz, daß zu einer abweichenden Behandlung der letzteren weder aus dem Titel der Sequestration noch sonst ein rechtlicher Grund bestehe, und schloß sich sohin der Meinung des Ministers des Inneren an, gemäß welcher rücksichtlich des Palazzo Litta für das zweite Quartal 1853, da dessen Besetzung am 18. Februar im Requisitionswege stattfand, zwar keine andere Zinsvergütung vom Ärar zu leisten sei, als worauf die Stadt Anspruch gehabt hätte, wenn die Februarereignisse nicht eingetreten wären, nämlich nur für die schon früher dort bequartierten Offiziere, vom 1. Mai 1853 bis 5. Juli 1854 aber, als dem Tage der Sequesteraufhebung die Zinsbeträge nach der stattgehabten Benützung der Wohnungen und der damaligen Verrechnungsart pro rata temporis zu vergüten wären, und in gleicher Weise auch die Zinsvergütung für die Einquartierung in dem unter militärischem Sequester stehenden Hause Annoni vom Militärärar der Stadtgemeinde zu erfolgen sei, damit diese die Bezugsberechtigten, nämlich den Duca Litta im ersten Falle und die Verwaltung der sequestrierten Masse Annoni im zweiten befriedigen könne.

Der tg. gefertigte Vorsitzende trat dieser Meinung umso mehr bei, als die Verweigerung einer an sich nicht bedeutenden Summe aus dem Titel der Sequestration der Ag. Absicht Sr. Majestät, die Begnädigten mit kaiserlicher Großmut zu behandeln, nicht entsprechen dürfte. Der Chef der Obersten Polizeibehörde hat sich, laut seiner auf dem Umschlagbogen angesetzten Bemerkung dem gefaßten Konferenzbeschlusse angeschlossen6.

Ah. E. Ich nehme den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis. Franz Joseph. Wien, 8. November 1856.