Nr. 341 Ministerkonferenz, Wien, 24. Mai 1856 - Retrodigitalisat (PDF)
- ℹ️ anwesend:
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Marherr; VS.Vorsitz Buol-Schauenstein; Bd. und amw. (Buol 24. 5.), Bach 27. 5., Thun, K. Krauß, Toggenburg, Wellenthal; abw.abwesend Bruck.
MRZ. – KZ. 1821 –
- I. Entwurf einer Verordnung für die Forderungen und Streitigkeiten in Galizien, die durch die Grundentlastung nicht erledigt wurden
- II. Vorschrift über das Verfahren bei der Volkszählung
- III. Befreiung der Kandidaten des geistlichen Standes vom Militärdienst
- IV. Bootsmann für den Gouverneur von Dalmatien
- V. Gnadengabe für die Protokollistenwitwe Josephine Koller
- VI. Überlassung von Realitäten im Gairacher Schloß für die dortige Kuratie
- VII. Gnadengabe für die Bauelevenwitwe Antonia Prohaska
- VIII. Konzession für die galizischen Eisenbahnen
- IX. Entwurf über Landesvertretung, Heimatrecht und ausgeschiedenen Grundbesitz
Protokoll der zu Wien am 24. Mai 1856 abgehaltenen Ministerkonferenz unter dem Vorsitze des Ministers des Äußern und des kaiserlichen Hauses Grafen v. Buol-Schauenstein.
I. Entwurf einer Verordnung für die Forderungen und Streitigkeiten in Galizien, die durch die Grundentlastung nicht erledigt wurden
Der Minister des Inneren referierte über den im Einverständnisse mit dem Justizminister ausgearbeiteten Entwurf einer Verordnung für die Kronländer Galizien, Krakau und Bukowina über die Behandlung jener aus dem bestandenen grundherrlichen Verhältnisse herrührenden Anforderungen und Streitigkeiten, welche ihre Erledigung im Wege der Grundentlastung nicht gefunden haben1.
Die Konferenz fand hiergegen nichts zu erinnern.
II. Vorschrift über das Verfahren bei der Volkszählung
Der Minister des Inneren referierte über die Notwendigkeit der Wiederaufnahme der Volkszählung; die hierwegen bestandenen Vorschriften wurden einer genauen Revision unterzogen, und es ist aus einer von Abgeordneten aller Ministerien zusammengesetzten Kommission der einstimmig angenommene beiliegende Entwurf einer Vorschrift zur gleichmäßigen Regelung des Verfahrens bei der Volkszählung im Reiche samt || S. 51 PDF || dem Entwurfe der dieselbe einführenden kaiserlichen Verordnung hervorgegangen, welche nunmehr der Ah. Sanktion Sr. Majestät unterzogen wird2.
III. Befreiung der Kandidaten des geistlichen Standes vom Militärdienst
Wegen Befreiung der Kandidaten des geistlichen Standes von der Militärpflicht infolge des Konkordats ist zwischen den Ministern des Inneren und des Kultus der Entwurf einer Verordnung vereinbart worden, wornach den Kandidaten des geistlichen Standes der katholischen Kirche ohne Unterschied des Ritus, dann jenen der griechisch nichtunierten und der protestantischen Bekenntnisse, unter den im Entwurfe näher bezeichneten Bedingungen die zeitliche Befreiung vom Militär zugestanden werden soll3.
Der Minister des Inneren brachte den Gegenstand vor Einholung der Ah. Sanktion zum Vortrage in der Konferenz, welche nichts dagegen einzuwenden fand, nachdem, wie der erstere bemerkte, die diesfällige Bestimmung mit demjenigen in Einklang steht, was in den altösterreichischen Provinzen gesetzlich war. Für das lombardisch-venezianische Königreich bestand zwar bisher die Abweichung, daß die fragliche Befreiung nur für eine gewisse, in den einzelnen Diözesen auszumittelnde Anzahl der Kandidaten des katholischen Klerikats galt, und das Armeeoberkommando vermeinte, daß es dabei auch künftig zu verbleiben hätte. Allein diese Beschränkung – abgesehen davon, daß sie selbst bis jetzt von keinem praktischen Erfolge war – wäre im Widerspruche mit dem Konkordat und nur geeignet, die Zahl der Kandidaten des geistlichen Standes, an denen ohnehin kein Überfluß ist, noch mehr zu vermindern4.
IV. Bootsmann für den Gouverneur von Dalmatien
Der Minister des Inneren referierte über die laut seines Vortrags vom 19. d. M., KZ. 1907, MCZ. 1752, zwischen ihm und dem Finanzministerium obwaltende Meinungsdifferenz wegen Aufnahme eines Bootsmanns auf Rechnung des Ärars für das zum Gebrauch des dalmatinischen Gouverneurs in Zara bestehende Boot.
Der Repräsentant des Finanzministerium s5 bemerkte: In die Frage, || S. 52 PDF || ob das Kommando der Seedivision in Zara ermächtigt war, dem Gouverneur ein Boot zur Verfügung zu stellen, glaube er nicht eingehen zu sollen. Auch gegen die Übernahme der jährlichen Auslage von 216 f. allein auf den Staatsschatz, welche mit der Bestellung eines Dieners der untersten Kategorie verbunden ist, würde er keine Einsprache erheben. Es handelt sich aber hier um eine Abweichung von dem bestehenden System, wornach keinem Statthalter eine Fahrgelegenheit vom Staate beigestellt wird. Bewilligt man die Anstellung des Bootsmanns auf Kosten des Ärars, so wird man dann auch die Bezahlung der Ruderer, die Instandhaltung, Reparatur und neue Herstellung der Barke in Anspruch zu nehmen nicht unterlassen, und die Folge wird sein, daß dem Statthalter auf Kosten der Finanzen ein armiertes Boot wird beigestellt werden müssen. Um sie gegen diesen und einen weiteren Anspruch von Seite der in ähnlicher Lage befindlichen Statthalter von Venedig und Triest zu verwahren, erklärte der Repräsentant des Finanzministeriums, von dem ablehnenden Einraten des letzteren nicht abgehen zu können6. Gleichwohl fand sich der Minister des Inneren aus den im Vortrage entwickelten Rücksichten des Dekorums und der Verschiedenheit der diesfälligen Verhältnisse in Venedig und Triest bestimmt, seinen Antrag der Ah. Genehmigung Sr. Majestät zu empfehlen, welchem sofort der Justizminister auch in Betracht der geringeren Funktionszulage des Zaraer Statthalters beitrat und gegen welchen die übrigen Votanten nichts erinnerten7.
V. Gnadengabe für die Protokollistenwitwe Josephine Koller
Die Differenz, welche zwischen dem Justizminister laut seines Vortrags vom 16. Mai 1856, KZ. 1874, MCZ. 1720, zwischen ihm und dem Finanzministerium über den Antrag auf Bewilligung einer Gnadenpension für die Protokollistenwitwe Josephine Koller obwaltete, wurde dadurch behoben, daß der Justizminister seinen Antrag in der Ziffer von 200 f. auf 100 f. restringierte und der Repräsentant des Finanzministeriums erklärte, diesem ermäßigten Antrage mit Rücksicht auf die obwaltenden Umstände nicht entgegentreten zu wollen8.
VI. Überlassung von Realitäten im Gairacher Schloß für die dortige Kuratie
In betreff der Überlassung der Kapelle und anderer Lokalitäten im Schlosse des Stiftungsgutes Gairach behufs der Errichtung einer selbständigen Lokalie (Vortrag des Kultusministers v. 13. Mai 1856, KZ. 1868, MCZ. 1713) besteht zwischen dem Kultusminister und dem Finanzministerium die Meinungsverschiedenheit, daß die gedachten Lokalitäten nach dem Antrage des ersteren diesem Zwecke bleibend und für immer, nach jenem des letzteren aber nur precario modo gegen Widerruf im Fall der Veräußerung des Gutes, gewidmet werden sollen. Der Repräsentant des Finanzministeriums beharrte auf dieser letzteren Modalität, weil die mit der förmlichen Abtretung verbundene Teilung des Eigentums in einem und demselben Gebäude zu Kollisionen zwischen der Gemeinde und der Gutsverwaltung Anlaß geben und das Kultusministerium selbst sowie das Finanzministerium in der freien Disposition || S. 53 PDF || mit der ganzen Realität, wenn sie in der Folge eine andere Bestimmung erhalten sollte, behindern würde, während mit dem Vorbehalt des Widerrufs beide freie Hand behielten und für die Seelsorge in anderer Weise vorgesehen werden könnte.
Nachdem das Bedürfnis einer eigenen Kuratie für Gairach ein bleibendes ist, für welches bei der Unvermögenheit der Gemeinde jedenfalls auf Kosten des Religionsfonds gesorgt werden muß, schien es dem Kultusminister angemessener zu sein, daß die Widmung jener Lokalitäten eines Gutes, das niemals für weltliche Staatszwecke in Anspruch genommen werden darf, ebenfalls bleibend sei. Während der Justizminister sich der Ansicht des Finanzministeriums anschloß, trat der Handelsminister dem Antrage des Kultusministers bei, und der Minister des Inneren erachtete, daß jedenfalls die bleibende Verpflichtung zur Gewährung einer angemessenen Unterkunft für Kirche, Pfarre und Schule ausgesprochen werden sollte9.
VII. Gnadengabe für die Bauelevenwitwe Antonia Prohaska
Die Meinungsdifferenz zwischen dem Handelsminister und dem Finanzministerium (Vortrag vom 13. Mai 1856, KZ. 1855, MCZ. 1700) wegen einer Gnadengabe für die Bauelevenswitwe Antonia Prohaska behob sich durch die Erklärung des Repräsentanten des Finanzministerium s, daß er in Berücksichtigung der Notlage der Bittstellerin dem ermäßigten Antrage des Handelsministers auf Bewilligung von 80 fr. jährlich nicht entgegentreten wolle.
VIII. Konzession für die galizischen Eisenbahnen
Nachträglich zu seinem Vortrage in der Konferenz vom 26. v. M. sub VI10 referierte der Handelsminister über den weiteren Verlauf der Unterhandlung wegen Übernahme und Ausbau der galizischen Eisenbahnen.
Die Nordbahn-Gesellschaft ist bereit, alles zu übernehmen, was man ihr gibt; die Gesellschaft der galizischen Adeligen wünscht das Ganze zu übernehmen, begnügt sich aber auch damit, wenn ihr die Bahn von Przemyśl aus über Lemberg nach Brody und Czernowitz überlassen wird, und rechnet dabei auf die Mitwirkung fremder Kapitalisten, der Credit-Anstalt und selbst der Nordbahn-Gesellschaft, welche jedoch erklärt hat, dem Unternehmen alsdann fern bleiben zu wollen, wenn ihr selbst gar kein Teil zur eigenen alleinigen Ausführung überlassen werden sollte.
Wären bei der Wahl zwischen den Bewerbern bloß kommerzielle und finanzielle Rücksichten zu beachten, so würde der Handelsminister für die Zuweisung des ganzen an die Nordbahn-Gesellschaft stimmen, denn diese vollbrächte das Unternehmen bloß durch Aufteilung des erforderlichen Kapitals auf ihre Aktionäre, ohne Bildung einer neuen Gesellschaft, ohne Beihilfe fremden Kredits, ohne Störung des Geldmarkts, da von ihr kein neues Kreditpapier auf die Börse gebracht wird. Sie verzichtet ferner auf die sonst übliche Garantie der Zinsen des Anlagekapitals, ein Vorgang, der – bisher ohne Beispiel – den Kredit der österreichischen Eisenbahnen im Auslande zu heben geeignet ist11; sie verbürgt endlich durch ihre bisher bewährte Solidität und Intelligenz den möglichst vollkommenen und baldigen Ausbau der Bahn. Alles dieses ist bei den anderen Konzessionswerbern nicht der Fall; sie sind wesentlich auf fremde Geldbeihilfe angewiesen, || S. 54 PDF || und es liegt die Vermutung nicht fern, daß es ihnen weniger um das Zustandekommen der Bahn, als um den Gewinn zu tun sein möchte, den sie aus dem Verkaufe der Promessen und aus der Übernahme einträglicher Stellen in der Verwaltung sowie aus deren Verleihung an ihre Klienten für ihre Person zu ziehen hoffen.
Nachdem jedoch – wie der Handelsminister mit Bedauern anerkennen muß – politische Rücksichten es notwendig machen, den galizischen Adel an die Spitze des Unternehmens zu stellen, so kann der Handelsminister wohl nicht anders, als auf die Erteilung der Konzession an die Gesellschaft der galizischen Adeligen für die Strecken von Przemyśl über Lemberg nach Brody und Czernowitz gegen dem anzutragen, daß der Nordbahn-Gesellschaft die Strecke bis Przemyśl jedenfalls überlassen werde. Mit diesem Antrage war die Konferenz in merito ganz einverstanden.
Über die gegen die Proponenten aus dem galizischen Adel erhobenen Bedenken12 aber äußerte der Minister des Innere n, daß er dieselben nicht teile. Kann auch, was bei keinem Unternehmen dieser Art möglich war, das Spiel mit Promessen nicht gehindert werden, so liegt doch kein Grund zur Annahme vor, daß es den Proponenten nur um dieses und nicht um eine solide Beteiligung zu tun sei. Es liegt ja im Interesse des grundbesitzenden galizischen Adels, daß die Eisenbahnen im Lande baldmöglichst und in größtmöglicher Ausdehnung zustande kommen; warum sollte er also seine Tätigkeit und Kapitalien einem solchen Unternehmen für die Zukunft entziehen wollen? Man hat ihm Hoffnung darauf gemacht; eine Täuschung derselben würde den übelsten Eindruck im Lande machen und es würde der schlimmsten Deutung unterliegen, falls die Staatsverwaltung das Anerbieten des galizischen Adels ganz von der Hand wiese. Die politischen Rücksichten für die Beteiligung des galizischen Adels an den dortigen Eisenbahnen erscheinen also dem Minister des Inneren so wichtig, daß er den Antrag des Handelsminister nur unbedingt und mit aller Wärme unterstützen kann. Was die Besorgnisse über einen bedenklichen Einfluß auf die Verwaltung der Bahnen betrifft, so steht der Regierung bevor, daß auch sie sich den nötigen Einfluß im Verwaltungsrate sichere.
Der Kultusminister bemerkte: Wäre bloß die Agiotage13 Zweck der Beteiligung des galizischen Adels bei diesen Bahnen, so würde freilich eine politische Rücksicht zugunsten desselben nicht eintreten. Allein, aer glaube, doch voraussetzen zu dürfen, daß dieses Unternehmen einen bedeutenden Teil des Vermögens dieses Adels für eine geraume Zeit in Anspruch nehmen und dadurch den Interessen des Landes nutzbringend machen werdena . Andererseits ist es sehr zweifelhaft, ob die Nordbahn-Gesellschaft imstande wäre, das ganze große Kapital, das für so bedeutende Eisenbahnstrekken erfordert wird, ohne fremde Beteiligung bloß durch ihre eigenen Aktionäre zu decken. Sie selbst hat sich anfänglich nur zum Bau bis Brodyb angeboten. Ist nun aber || S. 55 PDF || außer ihr noch eine andere Gesellschaft zur Unternehmung und Ausführung des ganzen Bahnnetzes notwendig, so cerscheine es wohl zweckmäßig, dem galizischen Adel die Beteiligung daran zu ermöglichenc, welcher, nach der Versicherung des Handelsministers selbst die Mittel dazu zuverlässig aufbringen wird.
Es wäre übrigens auch – wie der tg. gefertigte Minister des Äußern hinzusetzte – bedenklich, das ganze Unternehmen in eine Hand, in jene der Nordbahn-Gesellschaft, zu legen und ihr hiermit ein so bedeutendes Übergewicht über andere Gesellschaften zu verschaffen. Der Repräsentant des Finanzministeriums endlich erklärte, sich der Abgabe einer eigenen Meinung in dieser Angelegenheit enthalten und hierüber dem heute von seiner Reise zurückerwarteten Finanzminister referieren zu müssen, welcher diese Sache sich selbst vorbehalten und seine allfälligen Bemerkungen nachträglich mitteilen wird14.
IX. Entwurf über Landesvertretung, Heimatrecht und ausgeschiedenen Grundbesitz
Der Minister des Inneren übergab den Mitgliedern der Konferenz die gedruckten Entwürfe über die Landesvertretung, Heimatrecht und ausgeschiedenen Grundbesitz zur vorläufigen Einsicht und Prüfung15.
Wien, am 24. Mai 1856. Gr[af] Buol.
Ah. E. Ich nehme den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis. Franz Joseph. Laxenburg, 2. Juni 1856.