Nr. 329 Ministerkonferenz, Wien, 1. März 1856 - Retrodigitalisat (PDF)
- ℹ️ anwesend:
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Marherr; VS.Vorsitz Bach; BdE.Bestätigung der Einsicht und anw.anwesend (Bach 1. 3.), Thun, K. Krauß, Toggenburg, Bruck; abw.abwesend Buol-Schauenstein.
MRZ. – KZ. 40 –
- I. Ausbau der Bahnstrecke von Szegedin nach Temesvár
- II. Dotation für die Vorstadtpfarren in Brünn
- III. Leopoldorden für den Dompropst Dr. Joseph Leeb
- IV. Rehabilitierung des verurteilten Pastors Mathias Haubner
- V. Gnadengabe für die Bezirksrichterswaise Caroline Leiter
- VI. Zulage für den Komitatsgerichtspräses Johann v. Nagy
- VII. Zulage für den Gerichtsadjunkten Franz Repeschitz
- VIII. Gnadenpension für den Archivar Balthasar Nagy
- IX. Pension für die Ministerialratswitwe Oettl
- X. Versetzung des Professors Hessler nach Prag mit Zulage
- XI. Rehabilitierung des verurteilten Zahnarztes Caspar Mons
- XII. Übertragung der lombardisch-venezianischen Staatsbahnen an eine Privatgesellschaft
Protokoll der zu Wien am 1. März 1856 abgehaltenen Ministerkonferenz unter dem Vorsitze des Ministers des Inneren Freiherrn v. Bach.
I. Ausbau der Bahnstrecke von Szegedin nach Temesvár
Der Handelsminister referierte in betreff der Unterhandlung mit der privilegierten österreichischen Staatseisenbahngesellschaft wegen Übertragung des Ausbaues || S. 231 PDF || der Bahnstrecke von Szegedin nach Temesvár. Diese Bahnstrecke sollte vertragsmäßig vom Staate ausgebaut und am letzten Dezember 1856 vollendet, mit einer soliden Brücke der Gesellschaft übergeben werden. Teils die Unmöglichkeit dieser Leistung in dieser Zeit, teils andere Verwicklungen haben es dem Handelsund dem Finanzminister wünschenswert erscheinen lassen, den gedachten Bau der Gesellschaft zu übertragen. Sie erklärte sich dazu bereit, gegen eine Zahlung von 10 Millionen fr. aBankvaluta, welche entweder gleich bar ausgezahlt oder vom 1. Jänner 1857 verzinst werden sollten, in welch letzterem Falle aber die Gesellschaft sich ausbedingt, daß die 10 Millionen Bankvaluta nach dem Kurse des Tages des Vertragsabschlusses in Franken ausgedrückt werden sollen, um gegen eventuelle Schwankungen der Valuta gesichert zu seina . Der Finanzminister war hiermit einverstanden, nur die Stipulation, daß die Zahlung nach dem Kurse des Tages des Abschlusses geleistet werde, glaubte er nicht zugestehen zu können.
Unter diesen Umständen und da die Gesellschaft von dieser Forderung nicht abging, hielt der Handelsminister seine Verhandlung für geschlossen und sich für verpflichtet, um den wichtigeren Zweck nicht einer Schwierigkeit von minderem Belange zu opfern, bei Sr. Majestät um die Ah. Ermächtigung zu bitten, mit der Gesellschaft auf Grundlage ihrer Propositionen das Übereinkommen wegen Ausbaus jener Bahnstrecke abzuschließen. Der Finanzminister , welcher die Forderung der Zahlung in Silber, nachdem die Summe zu einem Bau im Inlande bestimmt, auch nur in der Landesvaluta verausgabt werden soll, bangemessen findetb, erbot sich zu dem Versuche, den Bevollmächtigten der Gesellschaft, Maniel, im vertraulichen Wege zur Aufgebung dieser lästigen Bedingung zu bestimmen; gelänge der Versuch nicht, so würde er in Berücksichtigung der anerkannten Untunlichkeit des Baues durch die Staatsverwaltung auch in [die] Annahme dieser Bedingung einwilligen.
Die Konferenz erklärte sich hiermit einverstanden, und es wird sonach von der Erklärung des an den Handelsminister zu weisenden Bevollmächtigten abhängen, ob und welche Modifikation des Antrags des ersteren eintreten kann1.
II. Dotation für die Vorstadtpfarren in Brünn
Nach dem Vortrage des Kultusministers vom 6. Februar 1856, KZ. 516, MCZ. 492, handelt es sich darum, ob die Dotation bei den Vorstadtpfarren St. Thomas und St. Magdalena in Brünn auf 800 fr., oder, wie der Finanzminister || S. 232 PDF || erachtet, nur auf 700 fr. zu erhöhen sei. Die Mehrheit der Konferenz schloß sich dem Antrage des Kultusministers auf 800 fr. aus den im Vortrage entwickelten Gründen an, der Minister des Inneren noch mit der Bemerkung, daß in Fällen, wo eine Differenz nicht im Grundsatze, sondern bloß in der Ziffer besteht, die Ansicht desjenigen Ministers maßgebend erscheinen dürfte, zu dessen Wirksamkeit der Gegenstand der Verhandlung unmittelbar gehört.
III. Leopoldorden für den Dompropst Dr. Joseph Leeb
Gegen den Antrag des Kultusministers auf Erwirkung der Ag. Verleihung des Ritterkreuzes des Leopoldordens für den infulierten Dompropst und Stadtdechant Dr. Joseph Leeb in Budweis mit Rücksicht auf seine Verdienste und seinen höheren geistlichen Rang fand die Konferenz nichts zu erinnern2.
IV. Rehabilitierung des verurteilten Pastors Mathias Haubner
Der vormalige evangelische Prediger und Superintendent Mathias Haubner, wegen eines im Auftrage der revolutionären Regierung in Ungarn am 3. Dezember 1848 erlassenen Hirtenbriefs zu sechsjährigem Festungsarrest verurteilt und mit Ah. Entschließung vom 9. Juli 1850 begnadigt3, ist gegenwärtig von der Gemeinde Nagy-Geresd zum Pastor gewählt worden, und hat in einem Ah. signierten Gesuche zu diesem Behufe um seine Rehabilitierung gebeten.
Das ungarische Militär- und Zivilgouvernement trug auf die Abweisung an, weil Haubner in diesem Gesuche das Kriegsgerichtsurteil einen Akt des Parteihasses nannte und als Gerechtigkeit forderte, was er als Gnade zu erbitten hätte: gleichwohl erachtete der Kultusminister mit Rücksicht auf die Ah. Signatur4 des Gesuchs, auf die Wiederanstellung Haubners antragen zu sollen, weil sein Vergehen unter dem Drange der revolutionären Regierung begangen wurde und nicht den Charakter der Heftigkeit an sich trägt, der bei anderen bemerkbar war; weil ferner Haubners Vor- und Nachleben stets unbescholten war; weil endlich gerade in seiner Wiederanstellung das sicherste Mittel liegen dürfte, ihn nach Erlangung einer gesicherten Subsistenz vor Versuchungen zu bewahren. Der Justiz- und der Handelsminister waren mit Rücksicht auf die Äußerung des Gouvernements der Meinung, daß, solange Haubner sein Unrecht nicht selbst erkennt und um Gnade bittet, diesem Antrage nicht stattzugeben wäre.
Der Finanzminister aber und der Minister des Inneren erklärten sich für den Antrag des Kultusministers umsomehr, als es Sr. Majestät vorbehalten bleibt, hierüber noch das persönliche Gutachten Sr. k. k. Hoheit des Herrn Erzherzogs Generalgouverneurs einzuholen5.
V. Gnadengabe für die Bezirksrichterswaise Caroline Leiter
In der Meinungsdifferenz zwischen dem Justiz- und dem Finanzminister wegen Beteilung der Bezirksrichterswaise Caroline Leiter (Vortrag vom 6. Februar 1856, || S. 233 PDF || KZ. 483, MCZ. 456) mit einer Gnadengabe erklärten sich der Minister für Kultus und der Minister des Inneren für den ablehnenden Antrag des Finanzministers, weil die vorgekommene moralische Bemakelung der Bittstellerin durch keine besonders rücksichtswürdigen Umstände aufgewogen wird6.
VI. Zulage für den Komitatsgerichtspräses Johann v. Nagy
Für den Antrag des Justizministers vom 10. Februar 1856 (KZ. 545, MCZ. 523) auf Verleihung einer Personalzulage von 500 fr. an den Komitatsgerichtspräses Johann v. Nagy stimmten aus den dafür angeführten Motiven der Kultus- und der Handelsminister; der Minister des Inneren trat dagegen wegen der hieraus zu besorgenden Konsequenzen der vom Finanzminister vertretenen Ansicht auf Nichtgewährung der Zulage bei7.
VII. Zulage für den Gerichtsadjunkten Franz Repeschitz
Die laut des Vortrags vom 16. Februar 1856 (KZ. 652, MCZ. 617) zwischen dem Justiz- und dem Finanzminister obwaltende Meinungsdifferenz wegen der für den Gerichtsadjunkten Franz Repetschitz beantragten Zulage hat sich durch den Beitritt des Finanzministers zu dem Antrage des Justizministers behoben.
VIII. Gnadenpension für den Archivar Balthasar Nagy
Bei der Einsprache des Finanzministers gegen den Antrag des Justizministers vom 17. Februar 1856 ([KZ.] 698, MCZ. 662) auf Verleihung einer Gnadenpension von 300 fr. für den Archivar des bestandenen Landesgerichts in Stuhlweißenburg, Balthasar Nagy, haben sich die mehreren Stimmen der Konferenz in dem vermittelnden Einraten des Ministers des Inneren auf 250 fr. geeinigt, wodurch jeder Schein einer auf normalmäßigen Anspruch sich gründenden Behandlung hinwegfiele.
IX. Pension für die Ministerialratswitwe Oettl
Der Minister des Inneren erwirkte die Zustimmung des Finanzministers und der übrigen Votanten der Konferenz zu dem bei Sr. Majestät zu stellenden Einraten auf Ag. Verleihung einer Pension von 1000 fr. für die Witwe des Ministerialrats Oettl, dessen langjährige aufopfernde und ausgezeichnete Dienstleistung überhaupt, insbesondere beim Ministerium des Inneren, wo er die Funktion eines Sektionschefs versah, die vermögenslose Witwe einer ganz besonderen Rücksichtnahme würdig macht8.
X. Versetzung des Professors Hessler nach Prag mit Zulage
Zur Besetzung der Lehrkanzel der Physik an der Prager Hochschule bietet sich dem Unterrichtsminister kein geeigneterer Mann dar, als der Professor desselben Fachs am Polytechnischen Institute, Hessler. Derselbe ist jedoch durch mehrere Zuschüsse in seinem dermaligen Posten so günstig gestellt, daß er denselben || S. 234 PDF || nur gegen eine Besoldung von 3500 fr. aufzugeben vermöchte. Um also diesen sehr tüchtigen Professor für Prag zu gewinnen und nicht einen Ausländer vorschlagen zu müssen, was beim Vorhandensein eines vorzüglich geeigneten Inländers einen ungünstigen Eindruck zu machen nicht verfehlen würde, gedächte der Unterrichtsminister Hessler für die Lehrkanzel in Prag mit dem den systemisierten Gehalt übersteigenden Bezuge von 3500 fr. vorzuschlagen.
Der Finanzminister war sowohl in seiner schriftlichen als nach seiner heutigen mündlichen Äußerung gegen eine so bedeutende Überschreitung des für die Prager Lehrkanzel systemisierten Gehalts. Die übrigen Stimmen der Konferenz traten aber unter den obwaltenden besonderen Verhältnissen dem Antrage des Unterrichtsministers bei9.
XI. Rehabilitierung des verurteilten Zahnarztes Caspar Mons
Der wegen Meineids verurteilte Zahnarzt Mons hat nach Verbüßung seiner Strafe die medizinischen Studien absolviert und gebeten, zur Erlangung der medizinischen Doktorwürde zugelassen zu werden. Das medizinische Professorenkollegium erklärte sich in Anbetracht der günstigen Prüfungsresultate für, das Doktorenkollegium gegen die Gesuchsgewährung; das Universitätskonsistorium stellte es dem höheren Ermessen anheim.
Der Justizminister sprach unter Mitteilung des Tatbestands an den Unterrichtsminister die Ansicht aus, daß mit Rücksicht auf den Ablauf der Zeit, das seither unbeanständete Benehmen des Bittstellers und den Umstand, daß die Ah. Bestimmung wegen Nichtzulassung abgeurteilter Verbrecher zu akademischen Graden erst nach Mons’ Verurteilung erflossen ist, dem Bittsteller die Zulassung zur Promotion im Wege der Gnade bewilligt werden dürfte. Hätte Mons wirklich einen Meineid mit vollem Bewußtsein der Tat abgelegt, so würde der Unterrichtsminister dessen Bitte einer Berücksichtigung nicht wert finden. Aus den Vorlagen scheint aber seine Schuld nicht so klar hervorzugehen; denn man legte ihm eine Eidesformel vor, worin mehrere Tatsachen, die er begangen haben sollte, aufgeführt waren, von denen er beschwören konnte, daß er sie nicht alle begangen habe. Wirklich fanden sich in allen drei Instanzen Stimmen, welche Mons lossprachen. In dieser Voraussetzung würde sich der Unterrichtsminister den Antrag erlauben, daß Se. Majestät dem Mons die Nachsicht der zivilrechtlichen Folgen seiner Verurteilung zu erteilen geruhen.
Der Justizminister beharrte auf seinem früheren beschränkteren Antrage bloß auf Zulassung zur Promotion. Die übrigen Stimmen aber vereinigten sich mit der Ansicht des Ministers des Inneren , daß diesem Gesuche keine Folge zu geben wäre, weil es überhaupt bedenklich erscheint, bloßen Empirikern das Eintreten in einen akademischen Grad zu erleichtern, die Zulassung eines abgestraften Verbrechers zum medizinischen Doktorgrade also ein neuer Schlag für die mit Doktoren so reich ausgestattete Fakultät wäre, das in drei Instanzen gefällte Strafurteil von der Regierung selbst gegenüber dem Publikum nicht angefochten werden kann, ohne das Ansehen der Gerichte preiszugeben, und Mons weder in Ansehung || S. 235 PDF || seines Charakters noch seines Erwerbes der durch Verweigerung des Doktorgrades so wenig als bisher beeinträchtigt ist, einer besonderen Rücksicht würdig ist10.
XII. Übertragung der lombardisch-venezianischen Staatsbahnen an eine Privatgesellschaft
Der Finanzminister brachte zur beistimmenden Kenntnis der Konferenz das Resultat der Unterhandlung wegen Abtretung der lombardisch-venezianischen Eisenbahnen an eine Gesellschaft, welche sich durch Vereinigung einer Gesellschaft Kapitalisten des Königreichs, der Herren Galliera und Duca Melzi, des Engländers Laing, Baron Rothschild in Paris und der Credit-Anstalt in Wien, gebildet hat. Diese Gesellschaft übernimmt die bestehenden lombardisch-venezianischen Staatsbahnen mit der Verpflichtung zum Ausbau der besonders bezeichneten Bahnstrecken, zur Legung eines zweiten Geleises, Herstellung einer Stein- oder Eisenbrücke über den Po etc. auf 90 Jahre, unter den sonst üblichen Bedingungen, um eine Ablösungssumme von 100 Millionen cLire austriachec, wovon 70 Millionen bar, 30 Millionen mittelst derselbend Überschüsse des 7% des Anlagekapitals übersteigenden Reinertrags sukzessive eingezahlt würden. Nachdem die bestehenden lombardisch-venezianischen Staatsbahnen bisher nicht mehr als 500.000 fr. jährlich ertragen haben, die Vollendung des projektierten Bahnnetzes wenigstens 100 Millionen fr. in Anspruch nehmen wird, so glaubte der Finanzminister einstimmig mit dem Handelsminister, den Abschluß dieses Vertrages aus finanziellen und nationalökonomischen Rücksichten umso mehr befürworten zu können, als hierdurch die Vollendung des Bahnnetzes binnen fünf Jahren gesichert und die Aussicht begründet ist, dem Verkehr binnen kurzem den größten Aufschwung zu verschaffen. Die Konferenz fand gegen den Antrag nichts zu erinnern11.
Wien, am 1. März 1856. Bach.
Ah. E. Ich nehme den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis. Franz Joseph. Wien, 5. März 1856.