Nr. 288 Ministerkonferenz, Wien, 29. Mai 1855 - Retrodigitalisat (PDF)
- ℹ️ anwesend:
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Marherr; VS.Vorsitz Buol-Schauenstein; BdE.Bestätigung der Einsicht und anw.anwesend (Buol 29. 5.), Bach (2. 6.), Thun, K. Krauß, Toggenburg, Bruck.
MRZ. – KZ. 1754 –
Protokoll der zu Wien am 29. Mai 1855 abgehaltenen Ministerkonferenz unter dem Vorsitze des Ministers des Äußern und des kaiserlichen Hauses Grafen v. Buol-Schauenstein.
I. Anleihe der österreichisch-französischen Staatseisenbahngesellschaft
Dem Finanzminister ist vor wenigen Tagen zuerst mündlich, dann unterm heutigen Tage mittelst einer schriftlichen Eingabe von Sina & Eskeles der Beschluß des Verwaltungsrates der privaten Staatseisenbahngesellschaft eröffnet worden, ein Anleihen von 82 Millionen Francs in Partialen à 275 Francs gegen Verzinsung || S. 73 PDF || mit 15 Francs jährlich und seinerzeitige Rückzahlung (nach 90 Jahren) mit 500 Francs und unter Verpfändung der Erträgnisse der Gesellschaft insbesondere von der k. k. Regierung garantierten 5%igen im Subskriptionswege auf den vornehmsten Handelsplätzen Europas aufzubringen1. Die Subskription hat am 30. Mai zu beginnen und am 10. Juni zu schließen; in dem bezüglichen Programm heißt es auch, daß die Zinsen der hinauszugebenden Obligationen von der k. k. Regierung garantiert seien (mittels des der Gesellschaft garantierten 5%igen Ertrages).
Aufgefordert, sich zu äußern, wie sich die Gesellschaftsdirektion für ermächtigt habe halten können, eine solche Operation ohne vorläufige Genehmigung der k. k. Regierung zu unternehmen, beriefen sich die genannten Abgeordneten derselben auf die §§ 7 und 26 der Statuten der Gesellschaft. Dort heißt es: § 7, daß der Gesellschaftsfonds von 200 Millionen Francs durch Aktien oder Obligationen um die gleiche Summe erhöht werden kann und daß die Bestimmung, ob dieses auf ein Mal oder nach und nach zu geschehen habe, der Gesellschaft überlassen bleibt – und § 26 h, daß der Verwaltungsrat ermächtigt ist, ausnahmsweise (d. i. ohne Anfrage bei der Generalversammlung) zur Vollendung der Arbeiten oder für andere Bedürfnisse Anleihen bis zum Betrage von 100 Millionen Francs aufzunehmen.
Nach der Ansicht des Finanzministers beweisen jedoch diese Bestimmungen nicht für die Berechtigung der Gesellschaft zu dem gegenwärtigen Vorgange. Denn § 7 setzt voraus, daß das ursprüngliche Aktienkapital bereits eingezahlt sein muß, weil sonst nicht von dessen Erhöhung die Rede sein könnte. Nun sind aber von dem Gesellschaftskapital erst 60 Millionen eingezahlt worden, es kann also nicht behauptet werden, daß die Gesellschaft jetzt schon und für sich allein berechtigt war, ein Anleihen aufzunehmen. Der § 26 aber hat nur Bezug auf die Vollmacht des Verwaltungsrates gegenüber der Generalversammlung, in gewissen Fällen ohne deren Zustimmung ein Anleihen bis 100 Millionen Francs aufzunehmen, schließt also nicht die Ermächtigung des Verwaltungsrats in sich, Anleihen zu kontrahieren, welche die Generalversammlung selbst aufzunehmen statutenmäßig nicht ermächtigt ist. Es liegt ferner überhaupt in den durch die Konzessionsurkunde festgestellten Beziehungen der Staatsverwaltung zur Gesellschaft, daß letztere einen so wichtigen Schritt nicht ohne Genehmigung der ersteren unternehme. Denn nach § 16 der Konzessionsurkunde bleiben bis zur vollständigen Bezahlung des Kaufschillings die der Gesellschaft überlassenen Objekte dem Staate verpfändet; letzterer hat ferner das Recht vorbehalten, die Bahnen nach Verlauf von 30 Jahren einzulösen. Die Gesellschaft konnte daher mit Recht weder die Bahnerträgnisse usw. vor Einzahlung des ganzen dem Staat gebührenden Kauf- bezüglich Pachtschillingsbetrag ihren Gläubigern verpfänden, noch die ihr zugesicherte || S. 74 PDF || Annuität auf 90 Jahre in die Verpfändung einbeziehen. Sowohl in dieser Hinsicht als auch mit Rücksicht auf den Umstand, daß die Emittierung eines neuen Spekulationspapiers nicht ohne Rückwirkung auf die Staatspapiere bleiben kann, hätte die Regierung Ursache, gegen das Vorhaben der Gesellschaft Einsprache zu tun. Wie indessen die Sache gegenwärtig steht, kann die in Paris bereits bekannt gemachte, am 30. d. M. beginnende Auflegung der Subskription zu dem Anleihen wenigstens dort nicht mehr rückgängig gemacht werden. Es geht demnach der Antrag des Finanzministers dahin:
1. für die Zukunft das Recht der Staatsverwaltung zu wahren, daß solche Operationen nicht ohne ihre Zustimmung unternommen werden, und
2. das Geschehene gegen das zu genehmigen, daß die Gesellschaft binnen Jahresfrist die Einzahlung des Aktien- bezüglich Ablösungskapitals auf die Höhe des Anleihens von 82 Millionen bringe, daß ferner die Stelle im Programm, welche der Garantie der Anleihenszinsen durch die k. k. Regierung erwähnt, gestrichen und daß das Anleihen nur in Paris, London und Amsterdam, mit Ausschluß Deutschlands und Österreichs, aufgelegt werde.
Bei der Abstimmung trat die Mehrheit der Konferenz dem Antrage ad 1) nur mit einiger Beschränkung bei. Sie war nämlich mit dem Minister des Inneren der Ansicht, daß die Gesellschaft zur Aufnahme eines Anleihens überhaupt nur dann einer Genehmigung von Seite der Regierung bedürfe, wenn solche nach den Statuten oder nach den allgemeinen Gesetzen erforderlich ist. In den Statuten kommt hierwegen nichts vor. Dieselben ermächtigen vielmehr die Gesellschaft schon in vorhinein zur Aufnahme eines Anleihens bis 200 Millionen Francs und den Verwaltungsrat bis 100 Millionen, und diese Ermächtigung beruht auf der Erwägung, daß das ursprüngliche Aktienkapital von 200 Millionen zur Bezahlung des Kaufschillings an die Staatsverwaltung bestimmt ist, mithin zur Erfüllung der der Gesellschaft weiters für den Betrieb und Ausbau der Bahnen usw. obliegenden Verpflichtungen jedenfalls weitere und bedeutende Geldmittel beschafft werden müssen. Die vom Finanzminister vorausgesagte Bedingung, daß das Aktienkapital vollständig eingezahlt sein müsse, bevor zu einem Anleihen geschritten werden könne, ist in den Statuten nicht enthalten. Nach den allgemeinen Gesetzen endlich bedarf es zur Aufnahme eines Anleihens im allgemeinen keiner Regierungsbewilligung. Diese ist nur dann erforderlich, wenn die Obligationen auf Überbringer lauten sollen oder wenn die Tilgung mittelst Lotterie erfolgt. Insofern nun ersteres bei dem hier in Rede stehenden Anleihen unzweifelhaft der Fall ist, war auch die Mehrheit der Konferenz der Meinung, daß die Gesellschaft zur Aufnahme des Anleihens – wenigstens für die österreichischen Staaten – dieser Modalität wegen der Zustimmung der Regierung bedurft hätte.
Nur der Justizminister teilte unbedingt die Ansicht des Finanzministers, teils weil schon nach den Statuten (§ 7 und 26) die Ermächtigung zur Aufnahme von Anleihen an die – itzt nicht eingetretene – Bedingung des „Bedarfes“ und „zur Vollendung der Arbeiten“ gebunden ist, teils weil die Regierung, indem sie einen gewissen reinen Ertrag der Gesellschaft garantierte, durch eine Kreditoperation, die so wesentlich auf diesen Ertrag zurückwirkt, unmittelbar betroffen wird, also doch das Recht haben muß, hierbei mit zu intervenieren.
|| S. 75 PDF || Gegen die Anträge ad 2) wurde nichts erinnert. Da übrigens der besprochene Vorgang des Verwaltungsrats – wie der Kultusminister bemerkte – nicht hätte stattfinden können, wenn der für Gesellschaften dieser Art bestimmte lf. Kommissär bestellt gewesen wäre, so kam auch die Rede auf die hierwegen bisher stattgefundene Verhandlung. Der Minister des Inneren hatte, im Sinne des § 22 des Vereinsgesetzes2, wornach das Ministerium des Inneren als alleinige Vereinsoberbehörde eingesetzt ist, den lf. Kommissär in der Person des Ministerialrats Reich bereits ernannt. Dagegen hatte der Finanzminister mit Rücksicht auf die speziellen Interessen, welche bei dieser Gesellschaft zu vertreten sind, die Einflußnahme auf die Wahl des lf. Kommissärs beanspruchen zu müssen geglaubt. Hierdurch fand sich der Minister des Inneren veranlaßt, die Ernennung Reichs einstweilen zu sistieren und mit dem Finanzminister über die prinzipielle Frage in Verhandlung zu treten.
Nachdem nun der mittlerweile eingetretene Vorgang die Bestellung des landesfürstlichen Kommissärs als dringend erscheinen läßt, damit sich nicht etwas Ähnliches ereigne, so erklärte sich der Minister des Inneren bereit, mit einstweiliger Beiseitelassung der prinzipiellen Frage für diesen Fall auf den Vorschlag des Finanzministers sich über die Person des zu bestellenden lf. Kommissärs zu vereinbaren3.
Wien, am 29. Mai 1855. Gr[af] Buol.
A[h]. E. Ich nehme den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis. Franz Joseph. Wien, den 3. Juni 1855.