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Nr. 284 Ministerkonferenz, Wien, 5. Mai 1855 – Protokoll II - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Marherr; VS. Buol-Schauenstein; BdE. und anw. (Buol 5. 5.), Bach (7. 5.), Thun (7. 5.), K. Krauß, Toggenburg, Bruck; außerdem anw. Wilczek, Kempen.

MRZ. – KZ. 1005 –

Protokoll II der zu Wien am 5. Mai 1855 abgehaltenen Ministerkonferenz unter dem Vorsitze des Ministers des Äußern und des kaiserlichen Hauses Grafen v. Buol-Schauenstein.

I. Der Arrest als Disziplinarstrafe gegen Beamte gewisser Kategorien

Gegenstand der Beratung war die mit dem Ah. Kabinettsschreiben vom 23. April 1855 (MCZ. 1177) gestellte Frage, ob aus Anlaß des Antrages des Chefs der || S. 63 PDF || Obersten Polizeibehörde1 vom 15. April l. J. wegen Einführung des Arrestes als Disziplinarstrafe gegen Staatsbeamte gewisser Kategorien die diesfalls infolge Ah. Kabinettsschreibens vom 3. Jänner 1807 bestehende Vorschrift noch ferner und mit welchen Modifikationen unter den dermaligen Verhältnissen sich als anwendbar darstelle oder ob dieselbe gänzlich außer Kraft zu setzen wäre2.

Der Chefder Obersten Polizeibehörde bemerkte, er sei zu seinem Antrage vom 15. April l. J. durch den Fall des Kanzlisten der venetianischen Polizeidirektion, Napoleon Rosati, veranlaßt worden, welcher wegen eines Dienstvergehens bei einer Gepäckrevision im Disziplinarwege behandelt und dem seine mehrmonatliche Suspension vom Amte und Gehalte als Strafe dafür angerechnet wurde3. Hierdurch sei demselben, einem unbemittelten Familienvater, ein größeres Übel zugefügt worden, als ihm durch eine Arreststrafe widerfahren wäre. Aus Rücksicht für ähnliche Verhältnisse der Beamten minderer Kategorie, habe er daher den Antrag bei Sr. Majestät gestellt, die Arreststrafe als subsidiarisches Strafmittel gegen Beamte im Grundsatze zu genehmigen und die Bedingungen, Vorsichten und Beschränkungen der Anwendung desselben einer weiteren Verhandlung vorzubehalten. Von dem Inhalte des Ah. Kabinettsschreibens vom 3. Jänner 1807 habe er keine Kenntnis gehabt, da selbes dem Polizeipräsidium nicht mitgeteilt, auch von den Chefs der Hofstellen, an die es erging, nicht weiter veröffentlicht wurde. Nachdem dasselbe eine Erweiterung seines eigenen Antrags in der Art enthält, daß der Arrest nicht bloß subsidiarisch, sondern als selbständige Strafe zur Aufrechterhaltung der Disziplin verhängt werden kann, so würde er seines Orts keinen Anstand nehmen, für die Beibehaltung auch der diesfälligen Bestimmung zu stimmen, zumal da auch gegen Militärbeamte mit Arreststrafen normalmäßig vorgegangen werden kann. Die Mehrheit der Konferenz erachtete mit Rücksicht auf den Inhalt des Ah. Befehls vom 23. April 1855 bei der Beratung von dem Antrage des Chefs der Obersten Polizeibehörde vom 15. v. M.4 abgesehen und sich bloß auf die Frage beschränken zu dürfen, ob sich die Ah. Vorschrift vom 3. Jänner 1807 unter den itzigen Verhältnissen noch als anwendbar darstelle oder ob sie gänzlich außer Kraft zu setzen wäre, weil der Konferenz mit dem gedachten Ah. Befehle keine andere Aufgabe gesetzt worden ist und weil zwischen dieser Vorschrift und dem Antrage vom 15. v. M. der wesentliche Unterschied besteht, daß dort der Arrest bloß gegen gröbere Subordinationsvergehen verhängt werden kann, hier aber überhaupt und als subsidiarische Strafe angewendet werden will. Hiernach käme es, wie der Minister des Inneren bemerkte, zunächst auf die Frage an, welche Anwendung jene Vorschrift seither gefunden habe und ob ein Bedürfnis des Dienstes für deren Fortbestand bestehe. In ersterer Beziehung ergab sich aus || S. 64 PDF || der Umfrage, daß die Vorschrift von 1807 bei der bestandenen Vereinigten Hofkanzlei nur einmal – gegen einen Amtsdiener – und beim Generalrechnungsdirektorium ebenfalls nur in einem einzigen Falle wider einen Beamten der Kameral-Hauptbuchhaltung, in Anwendung gekommen ist. Dieses Resultat in 47 Jahren und der seither wesentlich gehobene Geist des Beamtentums überhaupt scheinen ein Bedürfnis dieses Strafmittels wirklich nicht zu begründen.

Wird die Genesis der Vorschrift von 1807 ins Auge gefaßt, so stellt sich dieselbe dem Minister des Inneren als eine bloß transitorische Maßregel dar. In dem organischen Statut von 1806 für die Hofstellen5, welches in dem Handbillet vom 3. Jänner 1807 berufen wird, ist den Chefs der Hofstellen die Aufrechterhaltung der Disziplin bei ihren Beamten besonders empfohlen, und es sind darin die Mittel zu deren Herstellung und Erhaltung angegeben. Die Arreststrafe erschien nicht darunter; wenige Tage darnach erschien jenes Handbillet, womit zur Verhängung der letzteren wider gröbere Subordinationsvergehen die Chefs der Hofstellen mit Beiziehung zweier Räte berechtigt wurden. Es scheint demnach diese Maßregel lediglich auf den damaligen Zustand der Disziplin unter den Beamten berechnet gewesen zu sein – eine Annahme, die umso begründeter sein dürfte, als die Berechtigung zur Arrestverhängung persönlich auf die Chefs der Hofstellen beschränkt und ihr von diesen selbst keinerlei weitere Ausdehnung gegeben wurde, indem keine Spur vorliegt, daß hiervon die untergeordneten Branchen, nicht einmal die Chefs der Länderstellen verständigt worden wären. Unter diesen Umständen betrachtete der Minister des Inneren die Vorschrift von 1807 nicht nur als faktisch, sondern auch rechtlich erloschen und war des Erachtens, „daß Se. Majestät die Sache auf sich beruhen lassen dürften“, indem weder eine Erneuerung derselben, wozu kein Bedürfnis besteht, noch ein Widerruf ratsam erscheint, welcher für eine bereits außer Wirksamkeit gekommene, nicht einmal allen Behörden bekannte Maßregel auffallend sein würde.

Die Minister des Handels und der Justiz und der Präsident der Obersten Rechnungskontrollbehörde 6 sprachen sich unbedingt gegen den Fortbestand der Vorschrift von 1807 aus, weil die bestehenden progressiven Ahndungsmittel: Verweis, protokollarischer Verweis, Gehaltsabzug, Degradierung in der gleichen Kategorie, Degradierung zu einer minderen Kategorie und Entlassung zur Erhaltung der Disziplin unter den Beamten ausreichend sind, die Arreststrafe als ein fremdes Element in das in Übung stehende Strafsystem nicht passen und in der allgemeinen Meinung als entehrend angesehen, statt bessernd vielmehr demoralisierend auf den Beamten wirken würde, auch der Mangel geeigneter Lokalitäten der Ausführung der Maßregel einiges Hindernis bereiten dürfte. || S. 65 PDF || Der Justizminister hielt insbesondere, soweit es die zu seinem Ressort gehörigen Beamten betrifft, die Vorschrift vom 3. Jänner 1807 durch die im Patente vom 3. Mai 1853, VII. Hauptstück, enthaltenen Bestimmungen über die Ausübung der Disziplinargewalt7 bereits für behoben, in welchen nach Berücksichtigung des Bedürfnisses des Dienstes und des Zustandes der Beamten die Arreststrafe als Mittel zur Erhaltung der Subordination nicht aufgenommen worden ist. Der Kultus- und der Finanzminister waren gegen die Erneuerung oder Ausdehnung der Vorschrift, doch glaubte letzterer, daß dieselbe, da sie besteht und der Arrest in manchen Fällen eine zweckmäßige Mittelstufe zwischen der Degradierung und Entlassung abgeben dürfte, in dieser Beschränkung beibehalten werden könnte. Auch der Minister des Äußern , obwohl das Handbillet von 1807 an die Hof- und Staatskanzlei nicht erging und er seines Orts keine Ursache hätte, dessen Ausdehnung auf sein Ministerium zu beantragen, konnte nicht verkennen, daß dessen Beibehaltung dort, wo es besteht, in einzelnen Fällen möglicherweise fakultativ in Ausübung zu bringen angemessen sein könnte. Er glaubte daher, daß es den Chefs überlassen bleiben sollte, nach ihrem Gutbefinden davon Gebrauch zu machen.

Insofern nun der Antrag des Ministers des Inneren dahin ging, Sr. Majestät zu raten, die Sache auf sich beruhen zu lassen, scheine derselbe dem tg. Gefertigten den meisten Stimmen zu entsprechen. Nur der Handelsminister glaubte, die Aufhebung der Vorschrift vom 3. Jänner 1807 (wobei übrigens eine Verlautbarung nicht nötig, sondern bloß die Verständigung der beteiligten Chefs erforderlich wäre) ausdrücklich in Antrag bringen zu sollen, weil in dem Ah. Kabinettsschreiben vom 23. April 1855 angeordnet ist, sich darüber auszusprechen, ob sie sich noch als anwendbar darstelle oder gänzlich außer Kraft zu setzen sei8.

A[h]. E. Ich nehme den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis. Franz Joseph. Wien, 4. Juni 1855.