Nr. 102 Ministerkonferenz, Wien, 13. März 1853 - Retrodigitalisat (PDF)
- ℹ️ anwesend:
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Wacek; VS.Vorsitz Buol-Schauenstein; BdE.Bestätigung der Einsicht und anw.anwesend (Buol 13. 3.), Bach 14. 3., Thun, K. Krauß, Bamberg; abw.abwesend Baumgartner, Stadion.
MRZ. – KZ. 4211 –
Protokoll der am 13. März 1853 in Wien abgehaltenen Ministerkonferenz unter dem Vorsitze des Ministers der auswärtigen Angelegenheiten und des kaiserlichen Hauses Grafen v. Buol-Schauenstein.
I. Aufhebung des Belagerungszustandes in Wien, Prag und den böhmischen Festungen
Der Minister des Inneren brachte die Aufhebung des Belagerungszustandes in Wien, Prag und den drei böhmischen Festungen Theresienstadt, Königgrätz und Josefstadt zum Vortrag.
Er bemerkte, daß er infolge des Ah. Kabinettsschreibens vom 28. Oktober 1852, womit Se. Majestät anzuordnen geruht haben, daß in Absicht auf die teilweise und vollständige Aufhebung des Belagerungszustandes und die dabei zu treffenden Maßregeln von dem Ministerium des Inneren mit Intervenierung der Minister der Justiz, des Krieges und des Chefs der Obersten Polizeibehörde Verhandlungen zu pflegen seien1, nach vorläufiger Vernehmung der Landeschefs jener Provinzen, in welchen der Belagerungszustand eingeführt ist, mit Ausnahme von Wien, wo den intervenierenden Organen die Verhältnisse ohnedies bekannt sind, diese Verhandlungen gepflogen habe2. Das Resultat dieser Verhandlungen und Beratungen, welches nun vorliegt, umfaßt zwei Teile: a) das Gesetz über den Belagerungszustand und b) die Norm, wie bei der teilweisen Aufhebung des Belagerungszustandes vorgegangen werden soll und wie, insbesondere in den Städten, wo der Belagerungszustand besteht, und unter welchen Modalitäten mit der Aufhebung desselben vorzugehen wäre3. Ad a). Das ain der Beratung der gedachten Minister und des Chefs der Obersten Polizeibehörde vereinbartea Gesetz über den Belagerungszustand überhaupt wird der Minister des Inneren || S. 515 PDF || demnächst zum Vortrage bringen4. Ad b) einigte man sich bei den diesfälligen Beratungen, worüber das Protokoll vorliegt, dahin, daß in Galizien, Ungarn, Siebenbürgen und im lombardisch-venezianischen Königreich, so lange als die Behörden dort nicht gehörig organisiert sind5, in die Aufhebung des Belagerungszustandes nicht einzugehen wäre, dagegen in Wien und Prag, wo die Behörden gehörig bestellt sind, und in den drei böhmischen Festungen, wo der Belagerungszustand ohnehin keine politische Bedeutung habe, mit der Aufhebung desselben vorgegangen werden könne. Dieser Antrag wäre im gemeinschaftlichen Einverständnisse an Se. Majestät zu richten6. Zugleich wurde bemerkt, daß nach Aufhebung des Belagerungszustandes und nach Wegfallen der Militärgerichte den politischen und Polizeibehörden eine gewisse Wirksamkeit einzuräumen wäre, kleinere Fälle, welche nicht vor die Gerichte gehören, selbst im Disziplinarwege abzutun7.
Der Minister des Inneren bemerkt, daß die Frage, wo und wann der Belagerungszustand aufzulassen sei, zugleich eine Opportunitätsfrage sei. Gegenwärtig sei ein vorzüglich geeigneter Moment, mit dieser Auflassung vorzugehen. Die dem Monarchen bewiesene Ehrfurcht, Liebe und Anhänglichkeit der Wiener Bevölkerung, das der Stadt von Sr. Majestät huldreichst gewährte Vertrauen und die dadurch für die Bevölkerung begründete Verpflichtung, diesem Vertrauen tatsächlich zu entsprechen und auf dem eingeschlagenen Wege fortzuwandeln, seien für diese Auflassung günstige Momente. Jetzt würde die Aufhebung des Belagerungszustandes von der Bevölkerung gewiß als ein zweiter tatsächlicher Beweis des Ah. Vertrauens, des wiederhergestellten herzlichen Verhältnisses zu dem durchlauchtigsten Kaiserhause mit tiefstem Danke entgegengenommen werden, während bei Verschiebung dieser an sich zeitgemäßen Maßregel auf einen anderen Zeitpunkt dieser günstige Eindruck verlorengehen würde. Die Auflassung des Belagerungszustandes in der gedachten Art kann übrigens nach der Ansicht des Ministers des Inneren unabhängig von dem Belagerungsgesetz verfügt werden, weil das Gesetz, zunächst für die Regelung rein polizeilicher Fälle des Belagerungszustandes bestimmt, dem Abschlusse nahe und überhaupt nicht von solcher Wichtigkeit ist, um davon die Frage der Aufhebung abhängig zu machen, indem bisher auch ohne ein solches Gesetz das Auslangen gefunden wurde.
Für die Aufhebung des Belagerungszustandes scheinen dem Minister des Inneren ferner noch folgende Momente zu sprechen: Einerseits sei es nämlich Aufgabe der Regierung, so bald als möglich zu einer regelmäßigen Funktion der verschiedenen Verwaltungsorgane || S. 516 PDF || zu gelangen und jeden arbiträren Charakter aus den Verhandlungen verschwinden zu machen. Die Tendenz aller legislativen und administrativen Maßregeln, namentlich seit dem 20. August 1851 8, ziele darauf hin, und es bestehen jetzt in dieser Beziehung keine solchen Lücken, weder in der Gesetzgebung noch in dem Verwaltungsorganismus mehr, welche hindern würden, die normalen Verhältnisse in den gedachten Städten zur vollen Geltung zu bringen. In Wien sei die Organisierung aller Behörden ausgeführt, die Verläßlichkeit dieser Behörden erprobt, und es lasse sich mit Grund erwarten, daß sie auch in Zukunft den an sie zu stellenden Anforderungen entsprechen werden. Sollte aber diese Erwartung in einzelnen Fällen getäuscht werden, so sei die Regierung mächtig genug, die geeignete Abhilfe zu schaffen. Daß noch schlechte Elemente vorhanden seien, sei wahr, könne aber keinen Grund gegen die vorhabende Aufhebung des Belagerungszustandes abgeben, da schlechte Elemente immer vorhanden waren und stets vorhanden sein werden. Das gänzliche Verschwinden derselben vor der Aufhebung des Belagerungszustandes erwarten zu wollen, hieße den Belagerungszustand verewigen. Der Minister des Inneren erklärte es überhaupt für bedenklich, unsere inneren Zustände schlimmer darzustellen, als sie seien, wie dies bei manchen in der letzten Zeit von den Kriegsgerichten ausgegangenen offiziellen Schilderungen vorgeschwebt zu haben scheine. Es sei allerdings nicht zu leugnen, daß Österreich in vielen Teilen seiner Länder mit sehr gefährlichen revolutionären Elementen zu kämpfen habe, allein die Regierung sei bisher überall Herr derselben geblieben, und es wäre geratener, diese Sache mehr als eine innere zu behandeln, um nicht durch fortwährende zum Teil auch miteinander nicht ganz im Einklang stehende offizielle Kundgebungen dem Ausland fortan neuen Stoff zu der Annahme zu bieten, als entbehrten die inneren Zustände dieses Reiches einer sicheren Grundlage und als könnte man für den Fall eines auswärtigen Konfliktes mit Sicherheit auf innere Ausbrüche rechnen. Die einer einheitlichen Leitung entbehrenden politischen Untersuchungen in den verschiedenen Teilen der Monarchie und die demnach ohne höhere Richtung erfolgenden Kundmachungen der Einzelnstehenden dienen dieser Auffassung des Auslandes fortan zum Belege, und es sei daher auch in dieser Rücksicht sehr angezeigt, durch einen Akt des Vertrauens in die eigene Kraft den Beweis zu liefern, daß die fraglichen Vorkommnisse eben nur isolierte, von der großen Masse der Bevölkerung nicht geteilte Unternehmungen seien, daß aber die Regierung überall stark genug sei, die schändlichen Machinationen der revolutionären Partei zu vereiteln und unschädlich zu machen. In dieser Hinsicht würde sich daher insbesondere jetzt die Aufhebung des Belagerungszustandes in der Haupt- und Residenzstadt als ein Akt hohen Selbstvertrauens und als ein Beleg einer wesentlich zum Besseren geänderten Stimmung der Hauptstadt sehr empfehlen. Der Minister des Inneren bezog sich übrigens || S. 517 PDF || in betreff der näheren Darstellung der Gründe, welche er für die Aufhebung des Belagerungszustandes habe, auf seine dem Beratungsprotokolle vom 19. Jänner 1853 beiliegende umständliche Darstellung9. Derselbe bemerkte ferner, daß in Anerkennung der dargestellten Gründe bei den oberwähnten Beratungen sich alle Mitglieder, nämlich der frühere Minister des Krieges FML. Freiherr v. Csorich10, der Justizminister und der Chef der Obersten Polizeibehörde, mit ihm darin geeinigt haben, bei Sr. Majestät auf die Aufhebung des Belagerungszustandes anzutragen, Freiherr v. Kempen insbesondere mit der Bemerkung, daß der Belagerungszustand ohnehin nur bezüglich der Strafgerichtspflege für einige Handlungen, sonst aber virtuell nicht mehr bestehe. Der Minister des Inneren hat das diesfällige Protokoll dem Chef der Obersten Polizeibehörde zur Unterschrift zugefertigt, von diesem aber heute, dem 13. März, nebst Rückstellung der Akten eine Note erhalten, worin er eröffnet, daß die letzten Ereignisse hier, in Mailand und Mantua bezüglich der Aufhebung des Belagerungszustandes in Wien eine wesentliche Änderung seiner Ansicht darüber hervorgebracht haben11. Der Mantuaner Hochverratsprozeß etc., die wahrgenommene Rückwirkung auf andere Länder, namentlich Ungarn, das Attentat gegen Se. Majestät12 und die nachgefolgten Beobachtungen, daß in Wien und auf dem Lande noch mancherlei schlechte Elemente vorhanden seien, lassen es dem Chef der Obersten Polizeibehörde nicht rätlich erscheinen, die Aufhebung des Belagerungszustandes schon itzt in Antrag zu bringen. Es wäre damit für itzt und so lange auszusetzen, bis die Behörden völlig organisiert sind und die obwaltenden Verhältnisse sich weiterentwickelt haben werden. In diesem Sinne habe er daher seine frühere Ansicht berichtigen zu sollen geglaubt13. Der Minister des Inneren kann sich mit den in der Note des Chefs der Obersten Polizeibehörde entwickelten Ansichten nicht vereinigen. Was nämlich die allgemeinen Betrachtungen des FML. v. Kempen betrifft, daß die Propaganda noch fortan in den schändlichsten Tendenzen sich ergehe und daher für gewisse Verbrechen der militärische Nachdruck aufrechterhalten werden müsse, so glaube er nur bemerken zu sollen, daß er diese Verhältnisse keineswegs unterschätze. Allein er halte gerade gegenüber den Umsturzunternehmungen der europäischen Propaganda die Herstellung einer gesicherten und regelmäßigen Verwaltung für das wirksamste Mittel, indem es die Gegner der Regierung teile, die Bessergesinnten zum engeren Anschluß an dieselbe stimme und das Vertrauen in den Bestand der Verhältnisse befestige, während die fortdauernden Ausnahmsmaßregeln nur das Gefühl der Unsicherheit nähren und andererseits doch nicht ausreichen, das Vorkommen solcher Ereignisse wie jene vom 6. und 18. Februar d. J. zu verhindern. Untersuche man aber die gedachten Ereignisse näher, so lasse sich nicht leugnen, daß sie zugleich den Anlaß zu manchen wohltuenden Wahrnehmungen geboten. Das Ereignis in Mailand blieb || S. 518 PDF || – so viel stehe itzt fest – ohne Teilnahme in der Masse der Bevölkerung. Alle Provinzen und Städte waren einstimmig in der Abwehr jeder auch noch so entfernten Billigung desselben. Auch in jenem Teil der Bevölkerung, welcher bisher keine Sympathie für die österreichische Regierung an den Tag legte, tritt seit jener Zeit das Streben bestimmt hervor, sich von der Emigrationspartei auch äußerlich zu trennen und sich der Regierung zu nähern14. Noch mehr sei dies in Italien seit dem Attentate vom 18. Februar hervorgetreten. In den venezianischen Provinzen ist der Umschlag der Meinung ein entschiedener, und auch in der Lombardie scheine sich ein solcher Umschlag vorzubereiten, und es lasse sich erwarten, daß, wie diese Stimmung weise benützt wird, sich vielleicht eine nachhaltige Annäherung an die Regierung werde erzielen lassen. Was aber das unglückselige Attentat vom 18. Februar insbesondere betrifft, so hat dessen Vorkommen wohl die Unzulänglichkeit des Belagerungszustandes für die Verhinderung eines solchen Falles schlagend an den Tag gelegt, allein die Tat selbst stellt sich doch mehr als eine isolierte, von der ganzen Bevölkerung verabscheute dar. Die Rückwirkung derselben und der Eindruck der glücklichen Rettung Sr. Majestät war eine tiefgehende und wird gewiß auch eine nachhaltige sein. Es sei eine nicht genug anzuschlagende moralische Umkehr in allen Provinzen eingetreten, und es sei daher gerade jetzt der Augenblick, Vertrauen zu zeigen und die Herrschaft der normalen Zustände wiederherzustellen. Was aber die speziellen Gründe anbelangt, nämlich die noch vorkommenden unehrerbietigen Äußerungen, Wachbeleidigungen etc., so glaube er, daß dagegen auch die allgemeinen Gesetze und die gewöhnlichen Gerichtsbehörden ausreichen. Solche Erscheinungen könnten in unserer Zeit in großen Städten nicht überraschen. Sie können nicht Maß und Ziel über den Geist der Bevölkerung im allgemeinen geben. Derlei Fälle seien auch in anderen Provinzen und Städten vorgekommen, allein die Bevölkerung selbst habe die Schuldigen aufgegriffen und der verdienten Ahndung zugeführt. Diese Wahrnehmung dürfte daher gegenüber dem in jüngster Zeit unzweifelhaft erprobten guten Geiste der Hauptstadt15 – nicht als entscheidend in die Waagschale fallen. Übrigens bemerkte der Minister des Inneren, daß er für die Aufhebung des Belagerungszustandes außer den von der Kommission16 angetragenen Modalitäten – keine weiteren Übergangsmaßregeln für notwendig erkenne, was auch von der Kommission anerkannt worden sei, indem die bestehenden Gesetze ausreichen und eine beschränkte Aufhebung des Belagerungszustandes nur eine halbe Maßregel wäre, für welche die Bevölkerung keinen Dank wissen würde.
Der Minister des Inneren stellte demnach den Antrag: a) die Aufhebung des Belagerungszustandes für Wien bei Sr. Majestät zu bevorworten (unter den von der Kommission beschlossenen Bedingungen ohne weitere Übergangsmaßregel) und b) den jetzigen Moment als den dazu geeignetsten zu bezeichnen. || S. 519 PDF || Der GM. und Generaladjutant Sr. Majestät v. Bamberg17 erklärte sich mit diesem Antrage in beiden Beziehungen vollkommen einverstanden. Er bemerkte, daß die Stimmung seit dem 19. Jänner 1853, dem Tage der Aufnahme des Kommissionsprotokolls über diesen Gegenstand, nicht bloß hier, sondern in ganz Europa sich günstiger gestaltet habe18, daher kein Grund vorhanden sei, mit der Aufhebung des Belagerungszustandes in Wien noch weiter zu zögern, und daß auch vom militärischen Standpunkt aus nur gewünscht werden müsse, aus diesem Verhältnisse, nämlich dem Belagerungszustand, herauszukommen.
Derselben Ansicht war auch der Justizminister Freiherr v. Krauß , welcher sich schon früher bei der Kommission dafür ausgesprochen hatte und der es unter den gegenwärtigen Verhältnissen für eine Gewissenspflicht hält, diesen Antrag zu erneuern. Er bemerkte, bdaß die beste Bürgschaft für die Zukunft in der allgemeinen tief wurzelnden Anhänglichkeit aller Schichten der Bevölkerung an das Ah. Kaiserhaus und in der innigen Verehrung, von der jedermann für Se. Majestät begeistert ist, mit Zuversicht gesucht werden kann. Er führte anb, daß die Behörden in Wien (Gerichte, Statthalterei etc.) zur gehörigen Wahrung des normalen Zustandes bereits organisiert sind und er für die entsprechende Amtsführung der Gerichte gutstehen zu können glaube.
Der Minister Graf Thun bemerkte, daß die Aufhebung des Belagerungszustandes, selbst für die künftige Wirksamkeit desselben in anderen Fällen, als wünschenswert erscheine, weil eine so lange Dauer und so mäßige Handhabung desselben, daß er, wie angeführt wurde, beinahe nicht wahrgenommen wird, offenbar seine Wirksamkeit schwächen muß. Ein solcher Belagerungszustand sei allerdings aufzuheben, um denselben nicht für andere, ernstere Fälle zu schwächen. Der vorsitzende Minister der auswärtigen Angelegenheiten Graf v. Buol-Schauenstein faßte bei der Abgabe seiner Meinung von seinem Standpunkte aus hauptsächlich den Eindruck ins Gesicht, den die Aufhebung des Belagerungszustandes auf das Ausland hervorbringen würde und den er in allen Beziehungen als günstig bezeichnen müßte. Er habe diese Maßregel schon lange gewünscht und nur die Betrachtung, daß solche von den inneren und den Militärbehörden ausgehen solle, habe ihm Schweigen aufgelegt. Die Aufhebung des Belagerungszustandes würde ein Zeugnis von unserer moralischen Stärke und von dem Vertrauen sein, welches wir in unsere Lage setzen und welches im Ausland bezweifelt wird. Der gegenwärtige Moment, bemerkte dieser Minister weiter, sei außerordentlich günstig, mit einer solchen Maßregel vorzugehen, wenn sie für das Land den gewünschten Eindruck hervorbringen soll. Bezüglich der Vergleichsstellung zwischen Mailand und Wien bemerkte derselbe, daß Wien an dem letzten Flecken, welcher auf ihm schwer lastet, || S. 520 PDF || ganz schuldlos sei und daß es angedeutet scheine, dieser Stadt Trost und für die Sr. Majestät bewiesene Ehrfurcht und Liebe einen Lohn zu gewähren, während in Mailand noch immer die Notwendigkeit vorhanden ist, die Zügel strenger anzuziehen und in einer festen Hand zu behalten. Was die Bemerkung des Chefs der Obersten Polizeibehörde anbelangt, daß der Belagerungszustand nicht mehr, d. i. nur dem Namen nach, existiert, fügte der Minister Graf v. BuolSchauenstein bei, daß es unter solchen Umständen sehr zu wünschen sei, auch den Namen verschwinden zu machen. Namen von Sachen, die nicht mehr bestehen, fortdauern lassen sei unzweckmäßig und geeignet, nachteilige Folgen hervorzubringen. Unzufriedene, welche immer da sein werden, würden selbst den nominellen Bestand des Belagerungszustandes dazu benützen, um Abneigung gegen die Regierung zu vermehren. Aus allen diesen Gründen stimmte der Minister Graf v. Buol für die schleunige Aufhebung des Belagerungszustandes in Wien, weil dessen Bestand an sich nicht weiter notwendig erscheint und zu dessen Aufhebung es keinen geeigneteren Moment gibt als den gegenwärtigen. Hiernach wurde von der Konferenz der Beschluß gefaßt, bei Sr. Majestät ohne Verzug auf die Aufhebung des Belagerungszustandes in Wien und darauf au. anzutragen, die Aufhebung dieses Belagerungszustandes nicht von der gleichzeitigen Erlassung des neuen Belagerungsgesetzes abhängig zu machen. Die Erlassung dieses letzteren Gesetzes, welches seiner Natur nach sehr strenge Normen umfassen muß, wäre jetzt nicht opportun und dürfte einem geeigneteren Zeitpunkte vorbehalten bleiben, als welcher die in Aussicht stehende baldige Erlassung des Militärstrafgesetzbuches bezeichnet wurde19. Die Ah. ausgesprochene Zufriedenheit und die gleichzeitige Erlassung des Belagerungsgesetzes würden sich nicht gut nebeneinander ausnehmen. Der Minister des Inneren bemerkte hier, daß er das Gesetz über den Belagerungszustand im Entwurfe bereits fertig habe und es nächstens in der Ministerkonferenz vorbringen werde, worauf es dann gleichzeitig mit dem Militärstrafgesetzbuch erlassen werden könnte20. Was die Form der Kundmachung über die Aufhebung des Belagerungszustandes anbelangt, wurde sich für die einfachste Art der Publizierung, etwa in der Art ausgesprochen: „Se. Majestät haben mit der Ah. Entschließung vom ... den Belagerungszustand in Wien aufzuheben geruht.“
Hierauf kam die zweite Frage in Erörterung, ob nicht auch in Prag und in den drei böhmischen Festungen der Belagerungszustand aufgehoben werden solle. Die Konferenz hat sich auch für diese Aufhebung ausgesprochen, weil in Ansehung Prags im wesentlichen dieselben Gründe bestehen wie für Wien und in den Festungen der Belagerungszustand ohnehin keine Bedeutung hat. Diese Aufhebung hätte für Prag wie für Wien unter den in dem Protokoll vom 19. Jänner 1853 angeführten Modalitäten hinsichtlich der Waffen etc. zu geschehen. Es wurde bemerkt, daß auch in Prag sich eine so lebhafte, spontane Teilnahme und eine solche Anschließung an die Regierung geoffenbart habe, daß die Aufhebung des Belagerungszustandes daselbst vollkommen unbedenklich erscheine. || S. 521 PDF || Die Behörden daselbst (Kriminalgerichte, Kreisämter, Statthalterei) bestehen bereits, und es sei auch in dieser Beziehung kein Anstand gegen die Aufhebung des dortigen Belagerungszustandes.
Die Aufhebung des Belagerungszustandes in den anderen Ländern, insbesondere in Galizien, wo für dessen Fortdauer die wenigsten Gründe sprechen, wird abgesondert und - was Galizien betrifft, mit der größten Beschleunigung zur Verhandlung kommen21.
II. Erlassung einer Ergänzungsverordnung über den Wirkungskreis der politischen und der Polizeibehörden
Der Minister des Inneren las weiter den Entwurf einer Verordnung vor, welche als Anhang und Ergänzung der Verordnung vom 10. Mai 1851 über die Wirksamkeit der Behörden22 zu erlassen wäre und gemäß welcher, im Einverständnisse der Minister des Inneren und der Justiz und des Chefs der Obersten Polizeibehörde, die politischen und die Polizeibehörden zu ermächtigen wären, kleinere Fälle, sofern sie nicht vor die Gerichte zu kommen haben und nicht unter die nach dem Strafgesetz strafbaren Handlungen fallen, im Disziplinarwege abzutun.
Gegen den Inhalt dieser Verordnung ergab sich cin der Mehrheitc keine Erinnerung, dnur wünschte der Minister Graf Thun, daß in derselben von Vergehen in den Kirchen keine besondere Erwähnung geschehe, weil es nicht notwendig erscheine und hingegen leicht wieder zu ärgerlichem Erscheinen von Gensdarmen oder Polizeidienern in den Kirchen Veranlassung geben könne, was eben erst nach längerer Verhandlung abgestellt worden seid nur wünschte der Minister Graf Thun , daß in derselben von Vergehen in den Kirchen keine besondere Erwähnung geschehe, weil es nicht notwendig erscheine und hingegen leicht wieder zu ärgerlichem Erscheinen von Gensdarmen oder Polizeidienern in den Kirchen Veranlassung geben könne, was eben erst nach längerer Verhandlung abgestellt worden sei. Der Minister des Inneren , emit dieser Bemerkung einverstandene, wird sich die Ah. Ermächtigung erbitten, diese Ergänzungsverordnung zu erlassen23, von welcher jedoch die Aufhebung des Belagerungszustandes in Wien etc. nicht abhängig zu machen wäre.
Wien, am 13. März 1853. Gr[af] Buol.
Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, am 8. Oktober 1853 24.