Nr. 34 Ministerkonferenz, Wien, 3. August 1852 I - Retrodigitalisat (PDF)
- ℹ️ anwesend:
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Wacek; VS.Vorsitz Buol-Schauenstein; BdE.Bestätigung der Einsicht und anw.anwesend (Buol 4. 8.), Bach 10. 8., Thun, Csorich, K. Krauß, Baumgartner; abw.abwesend Thinnfeld, Stadion.
MRZ. – KZ. 3243 – (Prot. Nr. 32/1852) –
- I. Strafmilderung für Joseph Osztrowsky
- II. Untersuchung gegen den Hofsekretär Baron Georg Neustädter
- III. Begnadigungsgesuch des Pfarrers Johann Melzer
- IV. Begnadigungsgesuch der Blutrichter Joseph Pilaszanovich, Joseph Milassin und Joseph Imrédy
- V. Begnadigung der Katharina Blasovits
- VI. Strafmilderung für Ignácz v. Kulterer
- VII. Strafmilderung für Stephan Fiáth
- VIII. Geschäftsordnung der Gerichte (= Sonderprotokoll Nr. 35)
Protokoll der am 3. August 1852 in Wien abgehaltenen Ministerkonferenz unter dem Vorsitze des Ministers der auswärtigen Angelegenheiten und des kaiserlichen Hauses Grafen v. Buol-Schauenstein. Der Justizminister Freiherr v. Krauß brachte folgende Begnadigungen zum Vortrage:
I. Strafmilderung für Joseph Osztrowsky
Joseph Osztrowsky aus Szegedin, 32 Jahre alt, Vater von zwei Kindern, Senator in Szegedin, ist, obwohl ihm das Ah. Manifest wegen Auflösung des ungarischen Landtages1 bekannt war, dem revolutionären Landtage nach Debreczin gefolgt und hat dort bis zum Auseinandergehen dieses Landtages verharrt. Er hat zum Widerstand gegen die kaiserlichen Truppen aufgemuntert, als Regierungskommissär fungiert, Anweisungen der öffentlichen Gelder für die Zwecke der Revolution besorgt, gedruckte Plakate verbreitet, das Volksfest wegen der Losreißungsakte gefeiert u. dgl. Er wurde im September 1850 zum Tode verurteilt, bei der Sichtung vom September 1851 aber zu sechs Jahren Festungsarrest mit Einrechnung seiner Untersuchungshaft begnadigt2. In dem der Ah. Bezeichnung gewürdigten Gesuche seiner Frau wird die unglückliche Lage seiner Familie dargestellt, welche eines Ernährers bedürfe, und es werden glaubwürdige Zeugnisse beigebracht, nach welchen derselbe durch sein rücksichtsvolles Benehmen in jener Zeit das Vermögen und das Leben vieler gerettet habe.
Der Justizminister trägt bei dem Umstande, daß die Tätigkeit des Osztrowsky im ganzen doch nur eine untergeordnete war, auf die Herabsetzung der Strafdauer desselben mit Einrechnung der Untersuchungshaft auf vier Jahre an, womit sich die Ministerkonferenz einverstanden erklärte3.
II. Untersuchung gegen den Hofsekretär Baron Georg Neustädter
Baron Neustädter, quieszierter Hofsekretär der gewesenen Vereinigten Hofkanzlei, war Mitglied des Sicherheitsausschusses in Wien, trug im Jahre 1848 fast beständig die Nationalgardeuniform, machte sich geschäftig bei dem Barrikadenbau || S. 199 PDF || und zeigte überhaupt viel Sympathie für die Wiener Oktobersache. Er befindet sich deshalb in Untersuchung, welche aber nicht vorwärtsschreiten kann, weil er an der Gehirnerweichung leidet.
Der Justizminister beabsichtigt, den au. Antrag an Se. Majestät zu stellen, Allerhächstdieselben wollen aus Ah. Gnade die Untersuchung gegen Neustädter niederschlagen zu lassen und ihm zu gestatten geruhen, sein vielleicht nur noch kurzes Leben auf seinem Gute in Ungarn zu verbringen. Gegen diesen Antrag fand bei den dargestellten Verhältnissen die Ministerkonferenz nichts zu erinnern4.
III. Begnadigungsgesuch des Pfarrers Johann Melzer
Johann Melzer, 50 Jahre alt, evangelischer Pfarrer zu Rakos-Keresztur, hat die Proklamation der Rebellenregierung von der Kanzel kundgemacht, aufregende Reden gehalten, das Volk zum Aufstande aufgemuntert, überhaupt zugunsten der Revolution auf seine Gemeinde verderblich eingewirkt. Er wurde wegen Hochverrates nebst Vermägenskonfiskation zum Tode verurteilt, diese Strafe wurde aber aus Gnade auf sechsjährigen Festungsarrest gemildert, welchen er am 5. Mai 1852 auf der Festung Josefstadt angetreten hat5.
Da Melzer erst kurze Zeit sich in der Strafe befindet und nichts Besonderes zu seinen Gunsten spricht, glaubt der Justizminister für ihn derzeit noch auf keine Gnade antragen zu sollen, womit sich die Ministerkonferenz einverstanden erklärte6
IV. Begnadigungsgesuch der Blutrichter Joseph Pilaszanovich, Joseph Milassin und Joseph Imrédy
Die Ministerkonferenz erklärte sich ferner einverstanden mit dem weiteren Antrage des Justizministers für die Blutrichter Pilaszanovich, Milassin und Imrédy, unter denen 48 Individuen, welche der rechtmäßigen Regierung anhänglich waren, hingerichtet worden sind, die Gnade Sr. Majestät nicht in Anspruch zu nehmen, da kein Grund aufgefunden werden kann, welcher zugunsten dieser Individuen und für die Verkürzung ihrer zehnjährigen Kerkerstrafe, wozu sie verurteilt worden sind, geltend gemacht werden kännte7.
V. Begnadigung der Katharina Blasovits
Katharina Blasovits, geborene Fekete, wurde wegen Mißhandlung eines Knaben von dem Raaber Komitatsgerichte im November 1848 in Untersuchung gezogen, aber wegen erwiesener Schwangerschaft und damit verbundener Kränklichkeit einstweilen auf freiem Fuße belassen. Später wurde sie für diese Mißhandlung zu einjähriger Kerkerstrafe verurteilt, und dieses Urteil wurde ihr am 5. Mai 1850 kundgemacht, jedoch aus Anlaß ihrer wiederholten Schwangerschaft und wegen ihres ärztlich erwiesenen schwachen Gesundheitszustandes bis 8. Juli 1851 unvollzogen gelassen. Am 8. Juli 1851 wurde sie zur Abbüßung || S. 200 PDF || ihrer Strafe eingezogen, aber schon am 1. Oktober 1851 wegen ihrer bevorstehenden Entbindung wieder in Freiheit gesetzt, in welcher sie sich, nachdem sie von ihrer einjährigen Kerkerstrafe erst drei Monate ausgestanden hat, noch befindet. Mit Ah. Entschließung vom 1. Juli 1852 geruhten Se. Majestät der Katharina Blasovits über den Antrag des Justizministers die Hälfte der einjährigen Strafzeit aus Gnade nachzusehen8. Als diese Ah. Entschließung dem Obersten Gerichtshofe mitgeteilt wurde, brachte derselbe zur Kenntnis des Justizministeriums, daß Se. Majestät die Blasovits nach einem Ah. Erlasse aus Ungarn ganz zu begnadigen geruht haben9.
Der Justizminister wird unter diesen Umständen nur sicherstellen, ob sich diese beiden Gnadenbezeugungen auf eine und dieselbe Person beziehen, worauf, wenn sich dieses bestätigt, die Blasovits als von jeder weiteren Strafe befreit anzusehen sein wird.
VI. Strafmilderung für Ignácz v. Kulterer
Ignácz v. Kulterer, alias Murányi, hat an den revolutionären Verteidigungsausschuß über den Stand der kaiserlichen Armee Berichte erstattet, die Konfiskation des Vermögens der Gutgesinnten betrieben, Munitionstransporte für die Rebellenarmee besorgt, die Herstellung der Brüder Brücke überwacht und überhaupt als Regierungskommissär für die Sache der Rebellen gewirkt. Er wurde wegen der von ihm entwickelten Tätigkeit in der ersten Zeit nach Besitznahme des Landes zu 16 Jahren Festungsarrest verurteilt10. In dem Ah. bezeichneten Gesuche seiner Frau, Magdalena v. Kulterer, werden glaubwürdige Zeugnisse beigebracht, daß er viele gerettet und mehr als 100 Serbianer befreit und daß er den Konventsbeschluß vom 14. April 1849 11 sehr gemißbilligt hat. Se. kaiserliche Hoheit der Herr Erzherzog Militär- und Zivilgouverneur von Ungarn äußern sich darüber, daß mit Rücksicht auf die von Kulterer entwickelte Tätigkeit und die Verurteilungen anderer in ähnlicher Lage Befindlichen 16 Jahre Festungsarrest zu viel seien und daß ihm von dieser Strafdauer die Hälfte nachgesehen werden dürfte, welcher Ansicht der Kriegsminister Freiherr v. Csorich beigetreten ist12.
Der Justizminister ist der Meinung, daß v. Kulterer in Ansehung des Strafausmaßes ebenso behandelt werden sollte, wie bei der Sichtung der Operate die mit ihm in gleicher Lage befindlichen Regierungskommissäre behandelt worden sind. Demgemäß würde der Justizminister auf die Herabsetzung der Strafzeit für v. Kulterer auf vier Jahre antragen, womit sich die Stimmenmehrheit der Ministerkonferenz vereinigte13.
VII. Strafmilderung für Stephan Fiáth
Stephan Fiáth von Stuhlweißenburg, 37 Jahre alt, katholisch, verheiratet, ist geständig und rechtlich überwiesen, die Sache der Revolution unterstützt zu haben. Er begab sich nach Debreczin, hat da den Sitzungen bis 26. April [1849] beigewohnt, ohne jedoch zu stimmen, wurde von der revolutionären Regierung zum Tolnaer Komitatsregierungskommissär ernannt, in welcher Eigenschaft er für die Revolution wirkte. Er wurde wegen Hochverrats zum Tode und aus Gnade mit Einrechnung des Untersuchungsarrestes unter Aufrechterhaltung des Vermögensverfalles auf sechs Jahre Festungsarrest verurteilt, welche Strafzeit mit dem 2. März 1857 zu Ende ginge14. Als mildernde Umstände werden geltend gemacht, daß er die Grenzen der Humanität nicht überschritten hat, daß sein Geist durch den langen Untersuchungsarrest sehr niedergedrückt wurde und daß die Familie Fiáth ihre Treue gegen das Ah. Kaiserhaus früher vielfältig an den Tag gelegt habe, indem mehrere Glieder derselben auf dem Schlachtfelde ihr Leben endeten.
Der Justizminister erachtet für Stephan Fiáth, wie es bei v. Kulterer der Fall war, auf die Herabsetzung seiner Strafdauer auf vier Jahre bei Sr. Majestät au. anzutragen, womit sich die Ministerkonferenz gleichfalls einverstanden erklärte15.
VIII. Geschäftsordnung der Gerichte (= Sonderprotokoll Nr. 35)
Über den von dem Justizminister Freiherrn v. Krauß weiter noch zum Vortrage gebrachten Entwurf eines Gesetzes über die innere Einrichtung und die Geschäftsordnung der Gerichtsstellen wurde ein besonderes Protokoll aufgenommen16.
Wien, am 4. August 1852. Gr[af] Buol.
Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Ischl, 26. August 1852.