Nr. 33 Ministerkonferenz, Wien, 24. u. 31. Juli 1852 - Retrodigitalisat (PDF)
- ℹ️ anwesend:
- Sammelprotokoll; RS.Reinschrift; P.Protokoll Marherr; VS.Vorsitz Buol-Schauenstein; BdE.Bestätigung der Einsicht auf dem gemeinsamen Mantelbogen (Buol 31. 7.), Bach, Thun, Csorich, K. Krauß, Baumgartner.
MRZ. – KZ. 4484 – (Prot. Nr. 29/1852 und 31/1852) –
Protokoll der zu Wien am 24. und 31. Juli 1852 abgehaltenen Ministerkonferenzen unter dem Vorsitze des Ministers des Äußern und des kaiserlichen Hauses Grafen v. Buol-Schauenstein.
I. Vereinsgesetz
Vereinsgesetz
[24. Juli 1852]
[anw. Buol, Bach, Thun, Csorich, K. Krauß; abw. Baumgartner, Thinnfeld, Stadion]
Der Minister des Inneren hat den Entwurf des Vereinsgesetzes nach den in den Sitzungen vom 24., 29. und 31. März d. J. gefaßten Beschlüssen des Ministerrates1 einer neuen Redaktion unterzogen2.
Bei der Abfassung desselben sind ihm jedoch einige Bedenken aufgestoßen, welche er gegenwärtig zur Sprache und zur nochmaligen Abstimmung zu bringen sich veranlaßt gefunden hat.
Bei § 2 war die Hinweglassung der Vereine für Beförderung der Künste und Wissenschaften, dann für Sparkassen und Pfandleihanstalten aus der Zahl derjenigen beschlossen worden, für welche eine besondere Bewilligung der Staatsverwaltung erforderlich ist. Nachdem jedoch für derlei Vereine immer eine besondere Bewilligung der Staatsverwaltung erforderlich war und bisher keine praktische Wahrnehmung gemacht wurde, welche eine Ausnahme hiervon rechtfertigen würde, nachdem insbesondere die erstgenannten Vereine wegen ihrer Ausdehnung und ihres Einflusses von Wichtigkeit sind, bei etwaigem Mißbrauche des letzteren leicht staatsgefährlich werden können, mithin die besondere Aufsicht der Staatsverwaltung in Anspruch nehmen, so beantragte der Minister des Inneren, diese Vereine wieder in den § 2 des Gesetzentwurfes aufzunehmen, womit sowohl der Kriegs- als der Justizminister einverstanden waren. Der Kultusminister trug jedoch Bedenken, sich über die angetragenen oder andere Änderungen einzelner aus dem Zusammenhange des Gesetzes gerissener Bestimmungen desselben zu äußern, ohne den ganzen Inhalt des Gesetzes, das überdies auch noch in Ansehung der kirchlichen aVereine (Bruderschaften)a wesentlich seine Agenda berührt, wiederaufzunehmen, zumal, da seit den ersten Beratungen desselben eine geraume Zeit verflossen und dem Votanten dessen ursprünglicher Text samt den damals besprochenen Anträgen nicht mehr so gegenwärtig ist, um mit Beruhigung über neue vereinzelte Anträge sich aussprechen zu können. Obwohl dies den übrigen Votanten bei einem bereits im || S. 195 PDF || ganzen angenommenen Gesetzentwurfe wohl tunlich zu sein schien und der Minister des Inneren sich insbesondere gegen die Zumutung verwahrte, einen bereits im Ministerrate in seinen Grundzügen sowohl als nach seinen einzelnen Paragraphen geprüften und angenommenen Gesetzentwurf aus Anlaß einiger bei der Endredaktion des Textes aufgestoßener Bedenken über einzelne Punkte abermals einer Revision im ganzen zu unterziehen und hiermit aufs neue in Frage zu stellen, so erklärte der Minister des Inneren nichtsdestoweniger sich bereit, den mit Rücksicht auf die Beschlüsse vom 24., 29. und 31. März neu redigierten Entwurf ganz zu dem Ende vortragen zu wollen, um zu zeigen, wie jenen Beschlüssen gemäß die neue Redaktion zu lauten haben werde, und behielt sich vor, die ihm bei einigen Punkten aufgestoßenen Bedenken dabei zur Sprache zu bringen.
Für heute mußte dieser Vortrag wegen vorgerückter Stunde aufgegeben werden.
[31. Juli 1852]
[anw. Buol, Bach, Thun, Csorich, K. Krauß, Baumgartner; abw. Thinnfeld, Stadion]
Inzwischen hatte der Minister des Inneren dem Kultusminister den nach den Beschlüssen vom 24., 29. und 31. März redigierten Entwurf zur Einsicht mitgeteilt, worauf der letztgenannte Minister des Kultus in der heute, am 31. Julius 1852, im Beisein auch des am 24. d. M. abwesend gewesenen Finanzministers abgehaltenen Konferenz seine Meinung dahin abgab: Er sei mit dem Hauptgrundsatze des Gesetzentwurfes nicht einverstanden, wornach (in § 1a) eigentlich für alle Vereine beine auf Grundlage ausgearbeiteter Statuten einzuholendeb Bewilligung der Staatsverwaltung erfordert und jeder Verein für verboten angesehen wird, der nicht diese Bewilligung eingeholt hat. Denn es gehört zum Wesen eines Vereins, daß er sich nach einer gewissen Regel bilde. Es fällt somit jeder Verein unter die Bestimmung des §1a, und die § 8-10 fordern umständliche Vorlagen. Eine csolche Beschränkung bei der ersten Bildung von Vereinen erscheint aber weder zweckmäßigc noch selbst in polizeilicher Hinsicht notwendig. dDas Prinzip, jede Regung für verboten zu erklären, die nicht von den Behörden ausdrücklich als zulässig bezeichnet werde, stehe auch mit den Grundsätzen, nach welchen Se. Majestät die kirchlichen Angelegenheiten zu regeln angeordnet haben, nicht im Einklange und müßte deshalb, auf alle Vereine angewendet, mit der Entwicklung des kirchlichen Lebens auf diesem Gebiet notwendig in Konflikte geraten.d Das Prinzip, jede Regung für verboten zu erklären, die nicht von den Behörden ausdrücklich als zulässig bezeichnet werde, stehe auch mit den Grundsätzen, nach welchen Se. Majestät die kirchlichen Angelegenheiten zu regeln angeordnet haben3, nicht im Einklange und müßte deshalb, auf alle Vereine angewendet, mit der Entwicklung des kirchlichen Lebens auf diesem Gebiet notwendig in Konflikte geraten. In neuerer Zeit haben sich nämlich, zumal unter dem Einflusse des Klerus und selbst mit || S. 196 PDF || päpstlicher Genehmigung, Vereine gebildet und werden sich noch deren bilden, deren vollständige Entwicklung zum besten der bürgerlichen Gesellschaft nur nach und nach zustande kommen kann und bei denen zwar eine Regel über Aufnahme der Mitglieder und über die allgemeinen Zwecke des Vereins vorläufig festgesetzt, die vollständige Verfassung aber erst der vollkommenen Entwicklung der Vereinstätigkeit vorbehalten bleiben muß. eEin solches Beispiel sei namentlich der kürzlich in Wien zusammengetretene Gesellenverein, welcher heilsam zu wirken beginne, mit gutem Grunde aber noch gar keine Statuten habe und daher - nach dem vorliegenden Entwurfeso wie er gegenwärtig entstanden ist, nicht hätte entstehen dürfen. Da nun die Forderungen des Entwurfes derlei Vereinen in ihrem Entstehen und ihrer Ausbildung hinderlich sein müßten und die bürgerliche Gesellschaft leicht um die Vorteile bringen dürftene Ein solches Beispiel sei namentlich der kürzlich in Wien zusammengetretene Gesellenverein4, welcher heilsam zu wirken beginne, mit gutem Grunde aber noch gar keine Statuten habe und daher - nach dem vorliegenden Entwurfeso wie er gegenwärtig entstanden ist, nicht hätte entstehen dürfen. Da nun die Forderungen des Entwurfes derlei Vereinen in ihrem Entstehen und ihrer Ausbildung hinderlich sein müßten und die bürgerliche Gesellschaft leicht um die Vorteile bringen dürften, welche man von ihnen zu erwarten berechtigt ist, so sollte von dieser allgemeinen Beschränkung um so mehr abgegangen werden, als es in polizeilicher Hinsicht genügt, wenn bestimmt wird, daß von jedem Vereine die Anzeige gemacht, der Regierung das Recht, zu den Versammlungen einen Kommissär abzuordnen und von den Verhandlungen, Rechnungen und Akten Kenntnis zu nehmen, endlich jeden als schädlich erkannten Verein zu unterdrücken, vorbehalten [wird], ferner keinem Vereine die Rechte einer juridischen Person eingeräumt werden fund ihnen dadurch die Möglichkeit der Erwerbung bleibenden Vermögens versagt bleibenf, wenn seine Statuten nicht die Genehmigung der Regierung erhalten haben. Außerdem wären nur jene Vereine an die Einholung einer besonderen Bewilligung zu binden, welche in den öffentlichen Verkehr eingreifen und zu Schwindeleien Anlaß geben können. Abgesehen von dieser prinzipiellen Differenz würde der Kultusminister zu dem nach den Beschlüssen vom März redigierten Gesetzentwurfe noch folgendes zu bemerken haben:
§ 2 schiene ihm eigentlich ganz entbehrlich, da bereits, wie schon bemerkt, der § 1, lit. a, alle Vereine umfaßt. Jedenfalls muß aber der § 4, die doppelte Anführung der Vereine sub lit. i (Versorgungs- und Rentenanstalten), berichtigt werden, da diese Vereine im Eingang des Paragraphes der Bewilligung Sr. Majestät vorbehalten und weiter unten wieder unter jenen aufgeführt werden, welche das Ministerium des Inneren bewilligen kann. Da diese doppelte Aufführung nur auf einem Versehen beruht, so wurde die lit. i im 4. Absatze des § 4 gestrichen und, als bloß der Ah. Bewilligung vorbehalten, im Eingang des Paragraphes belassen.
Zum § 15 schien dem Kultusminister die Bestimmung sub c überflüssig und bedenklich, weil bei der Prüfung der Statuten ohnehin Rücksicht genommen werden muß, ob der Verein keine gemeinschädlichen Tendenzen verfolgt und weil, was die Prüfung der Erreichbarkeit || S. 197 PDF || des Vereinszwecks anbelangt, eine solche Bestimmung den Behörden nur Anlaß geben würde, in Dinge einzugehen, die auf die von Staats wegen bei Vereinen zu beachtendenden Verhältnisse keinen Bezug haben. In letzterer Hinsicht nahm der Minister des Inneren keinen Anstand, in der lit. c die Worte „und erreichbar“ zu streichen, um so mehr als im § 21 gesagt wird, daß der Staat mit der Erteilung der Bewilligung keinerlei Garantie für die Erreichung des Vereinszwecks übernimmt. Was dagegen die Bestimmung der lit. c betrifft, daß der Zweck des Vereins erlaubt sein müsse, so hielten der Minister des Inneren und mit ihm die übrigen Stimmen diese Bestimmung, wenn auch nicht für unbedingt notwendig, doch gewiß für unbedenklich und ratsam.
Endlich glaubte der Kultusminister , daß hinsichtlich der bisher ohne besondere Bewilligung bereits entstandenen Vereine eine Bestimmung in das Gesetz aufgenommen werden sollte, um jeden Zweifel über ihren Bestand oder Nichtbestand zu beheben. Der Minister des Inneren bemerkte, daß nach der Regel: „Gesetze wirken nicht zurück“, es sich von selbst verstehe, daß bereits bestehende Vereine einer Konzession nach diesem Gesetze nicht bedürfen. Auch der Finanzminister teilte diese Ansicht. Der Justizminister war dagegen der Meinung, daß es doch gut wäre, hiervon ausdrücklich im Gesetze zu erwähnen, mit dem Beisatze, daß es der Regierung vorbehalten bleibe, derlei Vereine, wenn sie sie bedenklich fände, zu unterdrücken.
In Beziehung auf die prinzipielle Differenz zwischen der Ansicht des Kultusministers und der Majorität bemerkte übrigens der Minister des Inneren übereinstimmend mit dem Justizminister , daß es bei der Schwierigkeit, die Grenzlinie zu finden, für die Fälle, wo sich mit der bloßen Anzeige der Vereinsbildung begnügt und wo in die Prüfung der Statuten eingegangen werden soll, jedenfalls vorzuziehen sein dürfte, für alle Vereine das letztere, also die Einholung der besonderen Bewilligung, vorzuschreiben; daß ferner das Argument, die Forderung der Einholung der Bewilligung werde die freie Entwicklung manches nützlichen Vereines hemmen, eben auch auf die Forderung der Anzeige und Zulassung des Regierungskommissärs Anwendung finden kann; daß endlich Vereine, deren Zwecke und Statuten noch nicht klar festgestellt sind, sondern erst im Laufe der Zeit aus der Vereinstätigkeit sich entwickeln sollen, nur um so gefährlicher werden können, also der Aufsicht und Kontrolle von Seite des Staats noch um so mehr bedürfen. Insofern dabei auch geistliche Autoritäten beteiligt sind, müssen auch sie, wenn anders nicht die Kirche einen Staat im Staate bilden soll, den allgemeinen Staatsgesetzen unterworfen bleiben.
Wien, am 31. Juli 1852. Gr[af] Buol.
Ah. E. Ich nehme den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis. Franz Joseph. Wien, den 26. November 1853 g .