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Nr. 69a Besondere Meinung des Ministers Graf Leo Thun den Entwurf des Ah. Patentes über die Aufhebung der sogenannten Oktava betreffend, Wien, o. D. (Beilage zu: MRP-1-3-01-0-18521204-P-0069.xml) - Retrodigitalisat (PDF)

  • Konzept in der Handschrift Thuns als Beilage zum MKProt. v. 4. 12. 1852; die zahlreichen, den Sinn nicht ändernden Korrekturen werden nicht nachgewiesen.

MRZ. – KZ. –

Die Maßregel wird im Interesse der Gutsbesitzer vorgeschlagen, welche dadurch von der Haftung aus dem aufgehobenen obrigkeitlichen Verhältnisse befreit werden sollen. Diesem Zwecke würde es meines Erachtens genügend entsprechen, wenn den Gutsbesitzern nur die Möglichkeit verschafft würde, diejenigen, welche aus jenem Verhältnisse Forderungen gegen sie geltend machen zu können glauben, hierzu unter Festsetzung eines für das gesetzliche Pfandrecht entscheidenden Präklusivtermins aufzufordern, wenn also der in 3 hinsichtlich der Haftung aus der geführten Gerichtsbarkeit gewählte Vorgang auch auf die im § 1 behandelten Forderungen der gewesenen Untertanen eingehalten würde. Weiter zu gehen und eine Provokation von Amts wegen eintreten zu lassen, scheint mir weder notwendig noch rätlich.

Bei der Beratung ist allseits anerkannt worden, es sei höchst unwahrscheinlich, daß nach den Ereignissen der letzten Jahre und mit Rücksicht auf die Verhandlungen der Grundentlastungs­kommissionen noch gegründete Ansprüche ex nexu subditela vorhanden seien, die nicht schon zur ordnungsmäßigen Verhandlung gelangten. Wird gleichwohl eine Provokation von Amts wegen infolge Ah. Patentes eingeleitet, so muß die Maßregel den gewesenen Untertanen den Eindruck machen, als handle es sich jetzt erst um eine für sie sehr wichtige Sache, als sei das der entscheidende Moment, und es wird nicht an Einflüssen fehlen, um diesen Eindruck auszubeuten. Das dürfte an sich nicht wünschenswert sein, widerstrebt aber überdies auch dem eingangs erwähnten Zwecke. Ein Gutsherr, welcher seine Untertanen immer gerecht und wohlwollend behandelte, hat keinen Anspruch von denselben zu besorgen und die solchen eventuellen Ansprüchen zugesicherte Hypothek belastet ihn gar nicht, zumal in jenen Ländern, in welchen die Oktava nicht ausgesprochen und nicht landtäflich vorgeschrieben ist. Sie hat auch bei Gutsverkäufen solchen Gutsherren, die eben ihren Ruf als Obrigkeiten unbefleckt zu erhalten wußten, bisher nicht die mindeste Schwierigkeit bereitet. Es dürfte daher in dem wohlverstandenen Interesse solcher Gutsherren liegen, sich um einen gerichtlichen Ausspruch, daß ihr Gut von keiner gesetzlichen Hypothek mehr belastet sei, gar nicht zu bewerben. Wem aber daran gelegen ist, dem möge es gestattet werden, seine Gläubiger selbst aufzurufen. Ein solcher Aufruf wird weit weniger mißdeutet werden können als ein Aufruf, den die Regierung von Amts wegen verfügt. Ein solcher dürfte viele ganz grundlose Klagen hervorrufen. \,(!ird er aber erlassen, so kann er doch nicht als bloße Formalität behandelt werden. Über die Klagen, die er hervorruft, muß nach den bestehenden Vorschriften entschieden werden, und den Rechten, welche ihnen etwa zugrunde liegen, kann nicht der in den allgemeinen Gesetzen enthaltene Schutz verkürzt werden. In dieser Beziehung dürfte die kurze Frist (§ 1) und das in § 2 ausnahmslos angeordnete summarische Verfahren Bedenken erregen. || S. 355 PDF || Nimmt man die Sache aber ernstlich, so liegt die Gefahr nahe, durch die Provokation von Amts wegen die Lage vieler Gutsherren, zumal aller derjenigen, die recht wohl wissen, daß sie ohne Provokation keine Prozesse zu besorgen haben, zu verschlimmern, statt sie zu verbessern. Denn erstens wird jedenfalls ihr Realkredit während des Provokationstermines suspendiert, und zweitens können durch die gegen ihren Willen veranlaßte Provokation Klagen hervorgerufen werden, die, wenn auch ungegründet, sie in Prozesse verwickeln, die jedenfalls Kosten und andere Unannehmlichkeiten verursachen und deren Dauer nicht mit Bestimmtheit vorhergesehen werden kann.

Auch in der vorliegenden Angelegenheit scheint sich mir also die Richtigkeit des allgemeinen Grundsatzes zu erweisen, daß es immer mißlich ist, von Amts wegen in Rechtsverhältnisse der Parteien – insofern es sich eben nur um ihre Interessen handelt – einzugreifen, und ich glaube nicht, daß es einer besonderen Schwierigkeit unterliegt, in den Ländern, in welchen die Oktava nicht in der Landtafel vorgeschrieben ist, die Abwicklung der aus der Aufhebung des Untertänig­keitsverhältnisses sich ergebenden Rechtsansprüche in das Ermessen der Parteien zu legen. In hohem Grade wünschenswert erscheint es mir, hierzu auch in jenen Ländern den Weg zu finden, in welchen die Oktava in die Landtafel eingetragen ist, jedoch sind mir die Verhältnisse derselben nicht hinlänglich bekannt, um in dieser Beziehung sogleich einen Gegenantrag stellen zu können.

Thun