Nr. 542 Ministerrat, Wien, 17. August 1851 - Retrodigitalisat (PDF)
- ℹ️ anwesend:
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Marherr; VS.Vorsitz Kaiser; BdE.Bestätigung der Einsicht und anw.anwesend (Schwarzenberg 18. 8.), P. Krauß 19. 8., Bach 19. 8., Thinnfeld, Thun 19. 8., Csorich; außerdem BdE.Bestätigung der Einsicht und anw.anwesend Kübeck; abw.abwesend K. Krauß, Baumgartner, Stadion, Kulmer. Druck: Redlich, Staats- und Reichsproblem 1/2, 127–131.
MRZ. 2846 – KZ. 3206 –
Protokoll der Sitzung des Ministerrates, gehalten in Wien am 17. August 1851 unter dem Vorsitze Ah. Sr. Majestät des Kaisers.
[I.] Maßnahmen zur angemessenen Stellung der Minister gegenüber dem Monarchen und dem Reichsrate
Se. Majestät geruhten der Versammlung als Gegenstand der heutigen Beratung diejenigen Maßregeln zu eröffnen, welche Allerhöchstdieselben für geeignet und dringend nötig erkennen, um, bei der von allen Einsichtsvollen und Gutgesinnten anerkannten Unanwendbarkeit des sogenannten englisch-französischen konstitutionellen Prinzips auf den österreichischen Kaiserstaat und sonach der Unausführbarkeit der Reichsverfassung vom 4. März 1849 1, die dem Zwecke der Einheit der Monarchie und den wahren Bedürfnissen ihrer Völker angemessenen Reformen vorzubereiten.
Die umständliche Auseinandersetzung und Begründung der zu diesem Ende gemachten Vorschläge ist in einem auf Ah. Befehl verfaßten Promemoria enthalten, welches der Ministerpräsident seinem ganzen Inhalte nach vortrug2.
Als erster Schritt zu den beabsichtigten Reformen wird darin die Herstellung der äußeren Autorität des Kaisers, d. i. eine veränderte Stellung der Minister gegenüber Sr. Majestät und dem Reichsrate bezeichnet, und wird insbesondere das Unbestimmte und Haltlose hervorgehoben, das in den gegenwärtigen Begriffen von der Verantwortlichkeit der Minister liegt. Aus diesen Begriffen würde folgen, daß die Minister außer dem Staatsoberhaupte noch einer anderen Autorität, der einer zur Zeit in Österreich nicht bestehenden Körperschaft, verantwortlich, also von ihr abhängig, der Kaiser in allen seinen Entschließungen an die Zustimmung seiner Minister gebunden, diese selbst aber unter den gegenwärtigen Verhältnissen, wo ihre Verantwortlichkeit erst durch ein künftiges Gesetz geregelt werden soll (§ 91 der Reichsverfassung) in der Tat ganz außer aller Verantwortung wären.
Um aus diesem Zustande des Schwankens und der Unbestimmtheit herauszutreten und den Völkern Österreichs, die in ihrem überwiegend größten und besten Teile in ihrem Kaiser die höchste Autorität anzuerkennen gewohnt sind, diesfalls die gewünschte Beruhigung zu gewähren, beabsichtigen Se. Majestät mittelst an den Ministerpräsidenten und an den Präsidenten des Reichsrates zu erlassender Kabinettsschreiben zu erklären:|| S. 171 PDF ||
A. was die Minister betrifft:
1. daß die Minister bloß dem Kaiser verantwortlich sind und sich ihm zum Gehorsam und zur Treue eidlich verpflichten; 2. daß sie, wie bisher, alle Gesetze, Verordnungen und Verwaltungsmaßregeln zu beraten und vorzuschlagen, aber auch die hierauf erfolgenden Ah. Entschließungen genau zu vollziehen haben; 3. alle Minister und jeder insbesondere in seinem Zweige sind Sr. Majestät für den genauen Vollzug der Gesetze und der erfolgenden Ah. Befehle verantwortlich; 4. die Gegenzeichnung der Ah. Entschließung hat sich bloß auf die Kundmachung der Gesetze zu beschränken, besteht in der Fertigung des Ministerpräsidenten, des Ministers des betreffenden Departements und des Kanzleidirektors mit der in den Patenten herkömmlichen Klausel „Auf Ah. Anordnung“ und hat bloß die Bestätigung zum Zwecke, daß alle Förmlichkeiten vollzogen worden sind; 5. bei den Kundmachungen der Gesetze haben die Vor- und Anträge der Minister wegzubleiben, und die Klausel „über Antrag Unseres Ministerrates“ wird dahin abgeändert: „nach Vernehmung Unseres Ministerrates“.
B. Was den Reichsrat betrifft:
Der Reichsrat bleibt alleiniger Ratgeber des Kaisers, d. h. er erstattet bloß über Auftrag Sr. Majestät Gutachten, und zwar unmittelbar an Se. Majestät, daher sind alle Vorschläge zu Gesetzen etc. vom Ministerium an Se. Majestät vorzulegen, Allerhöchstwelche sodann den Reichsrat darüber vernehmen; die Übergabe von Gesetzentwürfen etc. vom Ministerrate selbst an den Reichsrat und deren Zurückleitung mit des letzteren Gutachten an den Ministerrat findet nicht mehr statt.
Schließlich beabsichtigen Se. Majestät, den Ministerpräsidenten und den Reichsratspräsidenten im Verfolge dieser Maßregeln aufzufordern, über die Frage wegen des Fortbestandes der Verfassung vom 4. März 1849 in gemeinsame Beratung zu treten und Sr. Majestät die geeigneten Vorschläge zur Aufrechthaltung der Monarchie und Einheit des Reiches zu erstatten.
Nachdem die hiernach abgefaßten Entwürfe zu den Ah. Kabinettschreiben an den Ministerpräsidenten und den Präsidenten des Reichsrates von dem ersteren waren vorgelesen worden, geruhten Se. Majestät nochmals Allerhöchstihre innerste Überzeugung von der Notwendigkeit, Zweckmäßigkeit und Zeitgemäßheit dieser Maßregeln angesichts der nimmer ruhenden Bestrebungen der Revolution und ihrer dem Jahre 1852 vorbehaltenen Unternehmungen auszusprechen und die Minister aufzufordern, Allerhöchstdenselben sowohl in dieser die reifste Erwägung verdienenden Angelegenheit als auch fernerhin mit ihrem Rate zur Seite zu bleiben.
Der zuerst um seine Meinung befragte Ministerpräsident erklärte seine unbedingte Zustimmung zu den vorgeschlagenen Maßregeln, welche auch seiner Überzeugung nach wegen der Unmöglichkeit, die Verfassung vom 4. März auszuführen oder selbst nur den Versuch dazu zu machen, notwendig erkannt und von allen Gutdenkenden erwartet werden.
Ebenso erklärte sich der Ministerpräsident bereit, Sr. Majestät in diesen und in den ferneren Maßnahmen, sofern Allerhöchstdieselben ihn Ihres gnädigsten Vertrauens wert zu halten geruhen, seine Dienste unbedingt widmen zu wollen.
Der Finanzminister glaubte vor allem seine eigentümliche Stellung im Ministerium berühren zu sollen. Im April 1848 zum Posten des Finanzministers berufen, habe er|| S. 172 PDF || den Eid als verantwortlicher Minister abgelegt und seither unter den schwierigsten Verhältnissen auf seinem Posten ausgeharrt, stets das Beste der Monarchie vor Augen habend.
Er halte sich durch diesen Eid in seinem Gewissen noch immer für gebunden, aund könne, selbst wenn man ihn davon entheben wollte, durchaus nicht zu der beabsichtigten Änderung raten, die er für höchst bedenklich und gefährlich hält; er müssea es bedenklich und seiner eingegangenen beschwornen Verpflichtung widersprechend erkennen, auf einem Posten zu bleiben, nachdem das ganze Regierungssystem und die Bedingungen seines Amtsantritts einer so wesentlichen Änderung entgegengehen.
Er ist zwar ebenfalls von der Unanwendbarkeit des konstitutionellen Prinzips für Österreich und von der Unausführbarkeit der Verfassung vom 4. März überzeugt. Aber sie ist gegeben, und zwar nicht im Drange bäußerer Gewaltb, sondern im Hinblick auf die eine Hälfte der Monarchie, die seit Jahrhunderten nach konstitutionellen Staatsformen regiert ward, und als Mittel zur Erzielung der Einheit des Reiches. Schon aus dieser Rücksicht dürfte der Versuch, sie durchzuführen, nicht unterlassen werden. Erweist sie sich dann als unzulänglich, macht sich der Reichstag, wie vorauszusehen, selbst unmöglich, so wird sich dann auch die Überzeugung von ihrer Unhaltbarkeit selbst im Volke geltend machen, und die Regierung wird ohne Vorwurf und ohne Hindernis die entsprechenden Reformen vornehmen können. Erklären jedoch Se. Majestät jetzt, wo kein äußerer Anlaß dazu drängt, das System für geändert, so besorgt er daraus die größten Gefahren für das Reich, weil eine solche Erklärung, weit entfernt, Anklang allgemein zu finden, von den Agitatoren im In- und Auslande als willkommener Anlaß zur Beunruhigung und Aufregung benützt werden würde. Auch in finanzieller Beziehung ergibt sich das Bedenken, daß bei der bevorstehenden Ankündigung des Anleihens3 nur eine sehr geringe Teilnahme daran zu erwarten sein werde, weil sowohl in- als ausländische Kapitalisten, zumal aus konstitutionellen Staaten, nicht minder die Subskribenten, bei einem so plötzlichen und unerwarteten Wechsel in den Regierungsmaximen in dem kaum befestigten Vertrauen auf die Beständigkeit der Verhältnisse in Österreich abermals erschüttert, sich nicht beeilen würden, ihre Gelder zu offerieren. Sie werden vielmehr abwarten wollen, ob und welche Garantien die neuen Zustände zu bieten vermögen. Wie groß die Verlegenheit für die Finanzverwaltung aus einem solchen Zurückhalten sein würde, bedarf bei den bekannten zur Regelung der Valutaverhältnisse in Antrag stehenden Maßregeln keiner weiteren Ausführung4.
Der Finanzminister könnte daher für die beabsichtigten Maßregelnc nicht stimmen.
Der Minister des Inneren bemerkte dagegen in voller Übereinstimmung mit der Ansicht des Ministerpräsidenten, daß eine Änderung der bisherigen unhaltbaren Zustände eintreten müsse. Die Verfassung vom 4. März war das Ergebnis der damaligen Zustände.|| S. 173 PDF || In dem einen Teile der Monarchie deliberierte ein seiner Aufgabe nicht gewachsener Reichstag, in dem anderen bestand die vorige Verfassung. Es blieb der Regierung kein Ausweg, wenn sie letztere nicht aufheben konnte, als das konstitutionelle Prinzip auf das ganze Reich auszudehnen. Die seither in Ungern und im lombardisch-venezianischen Königreiche gemachten Erfahrungen haben aber gelehrt, daß selbst der Versuch mit der Ausführung der Verfassung vom 4. März nicht zu wagen sei, weil ein Reichstag, nach ihren Prinzipien berufen, wegen der divergierenden Interessen der Länder unmöglich zusammengehalten werden könnte. Besser also, die Regierung gesteht ihren damaligen Irrtum ein und geht unter Darstellung der wesentlich geänderten Verhältnisse zu den Reformen über, welche den bisherigen zweifelhaften und unsicheren Zustand zu schließen geeignet sind.
In der Hauptsache, über die Unausführbarkeit oder Unangemessenheit der Verfassung, ist auch die Vorstimme nicht im Zweifel; es ist mehr die Frage der Opportunität, welche ihre Bedenken erregt hat. Aber der Minister des Inneren hält für die beabsichtigten Maßregeln gerade den jetzigen Zeitpunkt für den geeignetsten, wo im Auslande keiner der legislativen Körper mehr versammelt ist, eigentliche politische Windstille herrscht und die Häupter der ungrischen Emigration, für den Augenblick noch unter Aufsicht gehalten, noch nicht vermögen, ihre Umtriebe ungescheut und ungehindert zu entfalten. Im Innern mag es allerdings geschehen, daß ein Teil der Nationalgarden und des Volks wegen der beabsichtigten Änderungen in Gärung gesetzt wird; allein, wenn, wie nicht zu zweifeln, die Maßregeln der Frage von allen Gutgesinnten lebhaft gewünscht und erwartet werden, und wenn die Behörden, gehörig informiert, mit Umsicht und Kraft vorgehen, so ist nichts zu besorgen.
Der Minister des Inneren erklärte sich sonach nicht nur mit den beabsichtigten Erlässen vollkommen einverstanden, sondern stellte auch fernerhin, so lange Se. Majestät ihm das Ah. Vertrauen zu schenken geruhen, seine Dienste zu Allerhöchstdero Verfügung.
Der Kultusminister erklärte, nie ein Anhänger des konstitutionellen Systems und ebenso von der Unausführbarkeit der Reichsverfassung vom 4. März überzeugt gewesen zu sein. Doch würde er zu den beabsichtigten Reformen auf einem anderen als dem vorgeschlagenen Wege zu gelangen vermeinen.
Der Grundfehler unserer Zeit liegt in dem sogenannten doktrinären System, in dem Bestreben, eine Staatsform bloß aus Theorien zu bilden. Nach den Erfahrungen der letzten zwei Jahre ist man größtenteils davon abgekommen, man hat einsehen gelernt, daß das Wohl des Staats auf der Befriedigung praktischer Bedürfnisse beruhet. Hier nun wäre seines Erachtens der Punkt, die entsprechenden Reformen anzuknüpfen. Namentlich schiene ihm eine angemessene Umstaltung des Gemeindewesens, besonders bezüglich der Bezirksgemeinde, einem fühlbaren Bedürfnisse abzuhelfen und wahre Beruhigung zu verbreiten geeignet zu sein. Würde dagegen die Sache bloß prinzipiell angegriffen, so dürften die schon vom Finanzminister angedeuteten Bedenken wohl zu beachten sein.
Belangend die Ah. Aufforderung zum ferneren Mitwirken im Ah. Dienste, dsei der Kultusminister bereit, seine Kräfte Sr. Majestät jederzeit zur beliebigen Verfügung zu stellen. Allein, er könne die Meinung nicht unterdrücken, daß es nicht rätlich und dienstbeförderlich sei, noch der Absicht Sr. Majestät auch bei der den Ministern nunmehr zugedachten Stellung entsprechen dürfte, daß ein Minister auch dann noch in diesem Amte bleibe, wenn seine Überzeugung mit wichtigen Maßnahmen der Regierung in Widerspruch gerate.d sei der Kultusminister bereit, seine Kräfte Sr. Majestät jederzeit zur beliebigen Verfügung zu stellen.|| S. 174 PDF || Allein, er könne die Meinung nicht unterdrücken, daß es nicht rätlich und dienstbeförderlich sei, noch der Absicht Sr. Majestät auch bei der den Ministern nunmehr zugedachten Stellung entsprechen dürfte, daß ein Minister auch dann noch in diesem Amte bleibe, wenn seine Überzeugung mit wichtigen Maßnahmen der Regierung in Widerspruch gerate. In dieser Beziehung erlaubte sich der Kultusminister, von Sr. Majestät die Ag. Gewährung einer Bedenkzeit für seinen endlichen Entschluß zu erbitten.
Der Minister für Landeskultur und der Kriegsminister teilten vollkommen die Überzeugung, Ansicht und Anträge des Ministerpräsidenten und des Ministers des Inneren.
Nachdem daher in Gemäßheit der vorstehenden Abstimmungen die Majorität des Ministerrates sich mit den proponierten Maßregeln einverstanden erklärt hat, beschränkte sich der nunmehr zur Abgabe seiner Äußerung eingeladene Präsident des Reichsrats auf einige Bemerkungen über die vom Finanzminister erhobenen Bedenken.
In Betreff des persönlichen, aus der früheren Eidesleistung geschöpften Bedenkens glaubte der Reichsratspräsident erinnern zu sollen, daß jener Eid nicht auf irgendeine Verfassung, sondern in die Hände des Kaiser abgelegt worden; dem Monarchen aber oder dessen Nachfolger stehe zuverlässig das Recht zu, den Verpflichteten des ihm, Souverän, geleisteten Eides zu entbinden.
Die Opportunitäts- oder Zeitfrage belangend, so ist zu bemerken, daß, wenn wirklich trotz aller damit verbundenen Gefahren der Reichstag nach den Bestimmungen der Verfassung vom 4. März berufen und sodann, wie vom Finanzminister selbst zugegeben und vorausgesetzt wird, aufgelöst werden sollte, die Regierung sich genau auf demselben Standpunkte wie jetzt, nämlich bei der Frage befinden würde, was an die Stelle der itzt schon von vornehinein für unausführbar erkannten Verfassung zu treten habe.
Was endlich in finanzieller Beziehung gegen die vorgeschlagene Maßregel eingewendet wird, kann wohl ebensogut auf die gegenwärtigen Zustände bezogen werden, die eben jetzt, wo eine Verfassung gegeben, aber nicht ausgeführt ist, den Geldgebern kaum mehr Sicherheit gewähren dürften, als die beabsichtigte, eine feste einige Staatsgewalt bezielende Änderung. Das Vertrauen aber, der Kredit, richtet sich – unabhängig von politischen Institutionen – in Geldsachen zunächst nach der Art und Weise, wie der Staat seinen Gläubigern gegenüber seine Verbindlichkeiten erfüllt. Solange in dieser Beziehung kein Anlaß zum Mißtrauen gegeben wird, dürfte es auch wohl nicht an zahlreichen Beteiligungen bei dem neuen Anlehen fehlen.
Der Reichsratspräsident fände daher keinen genügenden Grund, Sr. Majestät eine Aufschiebung der beantragten Maßregeln anzuraten.
Nach dieser Erörterung geruhten Se. Majestät die Beratung im Sinne der Majorität zu schließen, dem Finanzminister unter Ag. Anerkennung seiner jederzeit und besonders in den schwierigsten Verhältnissen ausgezeichneten Dienste das Bedauern über die|| S. 175 PDF || Nichtübereinstimmung seiner Ansicht mit den gemachten Propositionen auszudrücken, dem Kultusminister unter Ag. Zugestehung der angesuchten Bedenkzeit die reifliche Erwägung der Verhältnisse, allen endlich die strengste Geheimhaltung des Gegenstands der heutigen Verhandlung und ihres Ergebnisses anzuempfehlen5.
Wien, den 18. August 1851. Schwarzenberg.
Ah. E. Ich nehme den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis. Franz Joseph. Schönbrunn, 3. Oktober 1851.