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Nr. 352 Ministerrat, Wien, 17. Juni 1850 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Ransonnet; VS. Kaiser (I), Schwarzenberg; BdE. und anw. (Schwarzenberg 19. 6.), Krauß 24. 6., Bach 24. 6., Gyulai (ab II abw.) 23. 6., Schmerling, Bruck, Thinnfeld 19. 6., Thun, Kulmer 19. 6.; abw. Stadion.

MRZ. 2452 – KZ. 2060 –

Protokoll des am 17. Juni 1850 zu Wien in Ah. Anwesenheit Sr. Majestät abgehaltenen Ministerrates.

I. Jurisdiktionsnorm

Gegenstand der heutigen Beratung unter dem Vorsitze Sr. Majestät war der von dem Justizminister vorgelegte Entwurf einer Jurisdiktionsnorm für diejenigen Kronländer, in welchen die nach den Grundzügen der neuen Gerichtsverfassung vom 14. Juni 1849 bestellten Gerichte in Wirksamkeit zu treten haben.

Se. Majestät geruhten über mehrere Punkte dieser Jurisdiktionsnorm nähere Aufklärungen und Motive abzufordern, welche von dem Justizminister sofort erstattet wurden1. Modifikationen des Entwurfes wurden bei folgenden Bestimmungen beschlossen, anachdem der Justizminister wiederholt die Gründe für die Beibehaltung der von ihm beantragten Bestimmungen umständlich auseinandergesetzt hatte:a

a) Kompetenz des Hofmarschallamts (III. Artikel des Kundmachungspatents). Über die von Sr. Majestät gemachte Bemerkung, daß es angezeigt sei, die ausschließende Kompetenz des Obersthofmarschallamts zur Vornahme gerichtlicher Akte in den kaiserlichen Hofgebäuden oder Lustschlössern in Wien und Umgebung als ein auf uralten landesfürstlichen Anordnungen und Herkommen gegründetes und an sich unnachteiliges Privilegium aufrechtzuerhalten, vereinigte sich der Ministerrat zu dem Antrage, daß die Textierung des Absatzes III entsprechend modifiziert und nur den Gerichtsvollziehern der ordentlichen Gerichte von nun an die Befugnis eingeräumt werde, gerichtliche Erlässe in den gedachten Hofgebäuden zuzustellen, da die Zustellung eines Dekrets der eines Briefes gleichzuachten ist, selbe keinen eigentlichen gerichtlichen Akt begründet und gleichwohl an Zeit bedeutend gewonnen wird, wenn nicht auch dazu die Dazwischenkunft des Obersthofmarschallamts benötigt wird.

Se. Majestät geruhten diesen au. Antrag zu genehmigen und Allerhöchstsich vorzubehalten, dem Prinzen Wasa samt Familie, jedoch mit gänzlicher Ausschließung der Dienerschaft, die Extraterritorialität zuzuerkennen2.

b) Laut Absatz IV 7 würden der Militärgerichtsbarkeit in Streitsachen nur jene Dienstleute von Militärpersonen unterstehen, die bei ihrem, mit seinen Truppen im Felde oder im Auslande stehenden Dienstherren sich befinden. Über die von Sr. Majestät gemachte|| S. 85 PDF || Bemerkung, daß diese Anordnung den Einfluß der Militärgerichte zu sehr beschränken und auf dem Marsche oder bei häufigen Dislokations­veränderungen im Frieden selbst für die Jurisdiktion wesentliche Schwierigkeiten herbeiführe, wurde beschlossen, den Schluß dieses Satzes folgendermaßen zu textieren „sowie auch die zum Hausstande gehörigen Diener“, damit nicht alle zu einem Militär im Dienstverbande stehenden Diener zur Militärgerichtsbarkeit gezogen werden. Die Minister Baron Krauß und Graf Thun hätten auch gewünscht, diese exceptio fori der Dienstleute auf jene, welche bei aktiven Militärs dienen, beschränkt zu sehen. Der Kriegsminister war der Meinung, daß die Militärgerichtsbarkeit auch über die auf unbestimmte Zeit Beurlaubten auszudehnen wäre, bsowie auch, daß es am deutlichsten wäre, den IV. [Absatz] nach dem Wortlaute des von Seite des Kriegsministers dem Justizministerium seinerzeit mitgeteilten Entwurfe zu textierenb .

c) In Übereinstimmung mit dem obigen Beschlusse wurde auch die im § 12 festgesetzte Ausnahme bezüglich der Militärgerichte gestrichen. Da es nach den Bestimmungen des Absatzes IV noch immer zweifelhaft erscheinen könnte, ob die Feldgeistlichen den Militärgerichten unterstehen oder nicht, so wurde infolge einer Ah. Andeutung beschlossen, den Anfang des Punkts 4 folgendermaßen zu textieren: „Alle in den verschiedenen Militärverwaltungszweigen oder in der Seelsorge mit oder ohne Offizierstitel eingestellten Personen etc.“

d) Über die Bemerkung des Handelsministers , daß der § 17 die Kompetenz über jene Konsuln, welche keine Gerichtsbarkeit im Ausland üben, unentschieden lasse, wurde beschlossen, der Konsuln im zweiten Satze dieses Paragraphs gar keine Erwähnung zu tun und dagegen den Eingang folgendermaßen zu stilisieren: „Die bei auswärtigen Regierungen mit diplomatischem Charakter oder als Konsuln beglaubigten Personen.“3

Nachdem Se. Majestät der Kaiser die Sitzung aufzuheben geruht hatten, vereinigten sich die Minister, den FML. Grafen Gyulai ausgenommen, zu einer Beratung unter dem Vorsitze des Ministerpräsidenten.

II. „Tassa Marinovich“ und Einrichtungskosten des Johann Joseph Wenzel Graf Radetzky v. Radetz

Der Minister des Inneren eröffnete, daß er sich durch verschiedene Anzeigen veranlaßt gefunden habe, erheben zu lassen, was es mit der fortwährenden Umlage der sogenannten „Tassa Marinovich“ und der angeblichen Repartierung der Einrichtungskosten des Feldmarschalls Radetzky auf die Steuerpflichtigen des lombardisch-venezianischen Königreichs für eine Bewandtnis habe4.

III. Judenkontribution in Ungarn und Kategorisierung der ungarischen politisch Belasteten

Derselbe Minister besprach die unangenehme Wendung, welche der Judenkontributions­angelegenheit durch den FZM. Baron Haynau gegeben wurde. Die vom Ministerrat wiederholt verlangte Repartition habe er noch nicht eingesendet5. Auch das noch|| S. 86 PDF || immer fehlende Operat über die Kategorien der ungarischen Kompromittierten habe unterm 14. l.M. bei dem Feldzeugmeister betrieben werden müssen, da es wahrhaft dringend sei, mit den schwebenden Untersuchungen und den militärischen Purifikationskommissionen ein Ende zu machen6.

IV. Uniform der Staatsbeamten in Ungarn und Kroatien

Der Minister des Inneren besprach die Vorschläge des Banus in Absicht auf Uniformierung der kroatischen Staatsbeamten7.

Der Ministerrat neigte sich zur Ansicht, daß in Kroatien und Ungarn hinsichtlich des Schnittes des Rocks, dann des Gebrauchs von Kalpak und Säbel fakultativ eine gewisse Freiheit einzuräumen wäre, da nun einmal schon diese Kostümfrage von den Zeloten zu einer heiligen Nationalsache gestempelt wurde, auf die man dortlands das größte Gewicht legt.

Der definitive Beschluß wurde vorbehalten8.

V. Regelung der politischen Zustände Neapels

Der Ministerpräsident eröffnete, der König von Neapel habe auf vertraulichem Wege die Ansichten der österreichischen Regierung über die Mittel eingeholt, um in seinen Staaten einen in politischer Beziehung geregelten und gesicherten Zustand herbeizuführen. Es wurde dabei angedeutet, daß Neapel den Vorgang Österreichs bei der dermaligen Konstituierung des lombardisch-venezianischen Königreichs zum Anhaltspunkt zu nehmen gedächte9.

Man vereinigte sich dahin, daß dem König von Neapel unter Hinweisung auf die wesentlich verschiedenen Verhältnisse im lombardisch-venezianischen Königreiche zu empfehlen wäre, die Munizipalverfassungen auf eine den Lokalinteressen gedeihliche Weise zu entwickeln und überhaupt Verbesserungen in den verschiedenen Zweigen des öffentlichen Dienstes einzuführen.10

VI. Herabsetzung des von türkischen Schiffen zu zahlenden Tonnengeldes

Der Handelsminister erwirkte die Zustimmung des Ministerrates zur Herabsetzung des den türkischen Schiffen in den österreichischen Häfen den Traktaten, der Reziprozität und der Billigkeit zuwider auferlegten höheren Tonnengeldes11. Die Sache sei von keiner finanziellen Wichtigkeit und mache in der Türkei böses Blut12.

VII. Pensionierung Carl Conte Michiellis

Schließlich vereinigten sich die mehreren Stimmen mit dem Antrage des Barons Bruck, gegen den Finanzminister, daß dem Vizehafenkapitän de Michielli zu Rovigno bei der Pensionsbemessung drei nicht strenge anrechenbare Dienstjahre in die Gesamtdienstzeit aus Gnade miteingerechnet würden13.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Wissenschaft genommen. Franz Joseph. Schönbrunn, 28. Juni 1850.