Nr. 324 Ministerrat, Wien, 19. April 1850 - Retrodigitalisat (PDF)
- ℹ️ anwesend:
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Ransonnet; VS.Vorsitz Kaiser; BdE.Bestätigung der Einsicht und anw.anwesend (Schwarzenberg 22. 4.), Krauß 22. 4., Bach 22. 4., Schmerling (BdE.Bestätigung der Einsicht fehlt), Bruck, Thinnfeld 22. 4., Thun, Kulmer, Degenfeld; abw.abwesend Stadion, Gyulai.
MRZ. 1590 – KZ. 1286 –
Protokoll der am 19. April 1850 zu Wien in Ah. Anwesenheit Sr. Majestät abgehaltenen Ministerratssitzung.
I. Gemeindeordnungen für Prag und Graz
Der Gegenstand der heutigen Beratung waren die in Ah. Händen befindlichen Entwürfe der Gemeindeordnungen für Prag und Graz1. Se. Majestät geruhten einige Paragraphen zu bezeichnen, deren Bestimmungen sofort von dem Minister des Inneren erläutert und umständlich motiviert wurden.
Modifikationen der vorgelegten Entwürfe wurden beschlossen,
a) beim § 39 des Entwurfs für Prag statt des zu niedrigen Zensus von 50 fl. für die aktive Wahlberechtigung der Personen, die weder Gemeindeangehörige noch Bürger sind, denjenigen direkten Steuerbetrag festzusetzen, welcher zur Einreihung in den ersten Wahlkörper berechtigt. Dies ist laut § 43 ein Betrag von wenigstens 100 fl. CM.
b) Im § 14 der Gemeindeordnung für Graz wird festgesetzt, daß auch Frauenspersonen das Bürgerrecht erwerben und das Wahlrecht durch einen Mandatar üben können. Über Ah. Andeutung von Sr. Majestät wurde diese Bestimmung, welche eine Ausnahme sowohl von den allgemeinen Gemeindegesetzen als von den bisher erlassenen Städteordnungen begründen würde, ohne daß hiezu eine vorhandene Notwendigkeit eintritt, modifiziert und mit dem § 15 der Gemeindeordnung für Wien in Einklang gebracht.
Der § 35 der Grazer Gemeindeordnung gab zu einer längeren Erörterung Anlaß, ob den Korporationen als moralischen Personen eine Stimme in den Gemeindewahlen einzuräumen sei. In Wien und Prag sind dieselben bis jetzt nicht wahlfähig und im allgemeinen gilt der Grundsatz, daß das Wahlrecht in der Gemeinde ein persönliches Recht sei, wodurch die Vereine, Gesellschaften und Korporationen als solche vom Wahlrecht ausgeschlossen sind. Allein nachdem die Stadt Graz es wünscht, die dortigen geistlichen Korporationen mit dem Wahlrecht in Gemeindeangelegenheiten ausgestattet zu sehen, nachdem diese moralische Personen wegen ihres Grundbesitzes bei den Gemeindegeschäften wesentlich beteiligt sind und die Mitglieder derselben nicht gleich den Aktionären oder Mitgliedern weltlicher Vereine individuell ihr Wahlrecht ausüben können, wurde beschlossen a) diese für die Stadt Graz vorgeschlagene Bestimmung des § 35 nicht zu beanständen, und b) eine analoge Bestimmung in die Prager Gemeindeordnung § 39 bezüglich der Korporationen, welche dort ihren Wohnsitz haben, aufzunehmen2.
II. Kriegsrechtliche Bestrafung der Verleitung des Militärs zum Treubruche
Der Stellvertreter des Kriegsministers eröffnete, daß im Vorarlbergschen öfter Fälle vorkommen, daß schweizerische Emissäre die dort liegende k.k. Militärmannschaft zum Treubruche zu verleiten suchen3. Bis jetzt scheiterten diese Versuche an der Treue unserer Truppen, allein, es wäre doch rätlich, den Wiederholungsfällen durch strenge Bestrafung der Emissäre zu begegnen. Hier tritt nun der Umstand im Wege, daß die Schuldigen den Zivilbehörden zur Aburteilung abgeliefert werden müssen, weil nach den Kriegsartikeln nur die Falschwerber, nicht aber jene vor die Kriegsgerichte gehören, welche ohne auf Anwerbung gerichtete Absicht bloß versuchen, einen Mann zur Desertion zu verleiten4. Die gelinderen Strafen der Zivilgerichte wirken nicht abhaltend genug. Die Zusicherung einer Prämie von 25 fl. für die Aufgreifung derjenigen, die sich eines Versuchs der Verleitung zum Treubruch schuldig machen, hat manche gewichtige Bedenken gegen sich. Es wäre daher nach der Meinung des FML. Grafen Degenfeld nötig, die kriegs- und standrechtliche Behandlung auch für derlei Übertretungen vorzuschreiben, welche dermal häufig und gefährlich geworden sind und im Militärstrafgesetze bloß deswegen nicht erwähnt wurden, weil selbe in jener Zeit noch gar nicht vorkamen.
Der Ministerrat erkannte einstimmig die Notwendigkeit an, daß in dieser Beziehung etwas geschehe, und man vereinigte sich schließlich zu dem von Sr. Majestät sofort Ag. genehmigten Antrage, daß mittelst einer zu erlassenden allgemeinen Vorschrift den Statthaltern im Vernehmen mit den Armeekommandanten und Oberlandesgerichtspräsidenten die Macht einzuräumen wäre, erforderlichenfalls die Verleitung von Soldaten zum Treubruche der kriegsrechtlichen Behandlung zuzuweisen.
Der Kriegsministersstellvertreter und der Justizminister werden ohne Verzug zur Redaktion der diesfälligen Vorschrift schreiten und selbe der Ah. Genehmigung unterziehen5.
Wien, 22. April 1850. Schwarzenberg.
Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Wissenschaft genommen. Franz Joseph. Wien, den 24. April 1850.