Nr. 268 Ministerrat, Wien, 31. Jänner 1850 - Retrodigitalisat (PDF)
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Marherr; VS.Vorsitz Schwarzenberg; BdE.Bestätigung der Einsicht und anw.anwesend (Schwarzenberg 1. 2.); anw.anwesend Krauß, Bach, Gyulai, Schmerling, Bruck, Thinnfeld, Thun, Kulmer; abw.abwesend Stadion.
MRZ. 465 – KZ. 403 –
Protokoll der Sitzung des Ministerrates gehalten zu Wien am 31. Jänner 1850 unter dem Vorsitze des Ministerpräsidenten, Ministers des Äußern und des Hauses FML. Fürsten v. Schwarzenberg.
I. Einführungspatent für das Tax- und Stempelgesetz
Der Finanzminister trug die Hauptpunkte des wegen Einführung des neuen Tax- und Stempelgesetzes zu erlassenden Patents rücksichtlich Verordnung im Sinne der hierüber in den früheren Beratungen gefaßten Beschlüsse vor1, auf die Andeutungen der Minister v. Thinnfeld und Baron Bruck wegen Gestattung einer Anmeldungsfrist für ungestempelte Urkunden, dann wegen Anwendung der Bestimmungen für Wechsel auf Sicht auch auf Wechsel a piacere eingehend und sich zur Beobachtung der Terminologie des neuen Wechselrechts auch im Stempelgesetze die Mitteilung des ersteren vom Justizminister erbittend2.
II. Rückstellung beschlagnahmter Kirchenglocken in Ungarn
Der Kriegsminister referierte über die Anfrage des ungrischen Generalkommandos, ob von den durch die ungrische Revolutionsregierung requirierten Kirchenglocken diejenigen gratis zurückgestellt werden dürfen, welche den betreffenden Kirchen zwangsweise und ohne Vergütung abgenommen worden sind3.
Der Ministerrat erklärte sich nach dem Antrage des Kriegsministers für die Bejahung der Frage, da es sich, wie der Finanzminister bemerkte, von selbst versteht, daß von Rückerstattung freiwillig dargebrachter oder bezahlter Glocken keine Rede sein könne4.
III. Freilassung der in Preßburg inhaftierten Juden
Über die vom Justizminister gestern berührte Beschwerde der Juden Ferdinand und Markus Ehrmann aus Teschen über ihre gesetzwidrige Verhaftung und Stellung vor das Kriegsgericht in Preßburg5 hat der Minister des Inneren aus der Einsicht der bei ihm hierwegen vorgekommenen Verhandlungsakten die Überzeugung geschöpft, daß|| S. 83 PDF || , nachdem die Verhaftung der Beschwerdeführer auf Verlangen des Grafen Zichy wegen von ihnen verübten Unterschleifs bei den Armeelieferungen erfolgt und der diesfällige Rechnungsprozeß noch lange nicht beendigt ist, gegen deren Stellung auf freien Fuß gegen Kaution kein Anstand obwalte, er daher hierwegen an den kaiserlichen Ministerialkommissär Grafen Attems in Preßburg die erforderliche Weisung hierwegen werde ergehen lassen, wobei der Justizminister hinzusetzte, daß selbst in dem Falle, wenn die Brüder Ehrmann wegen Komplizität mit anderen ihrem natürlichen Richter entzogen werden müßten, dies nur mittelst einer bei dem Obergerichte zu erwirkenden Delegation geschehen könnte6.
IV. Nachricht aus Berlin
Der Ministerpräsident las den neuesten Bericht aus Berlin vom 29. Jänner über den Eindruck und mutmaßliche Tragweite der letzten Kammerabstimmung über die königlichen Propositionen7.
V. Fenster für die Eisenbahnwaggons III. Klasse
Der Minister des Inneren äußerte seine Absicht, wegen Verwahrung der III. Klasse-Waggons auf den Eisenbahnen mit Fenstern einem lange und tief gefühlten Bedürfnisse die nötige Abhilfe verschaffen zu lassen und hierwegen an den Minister für öffentliche Bauten eine schriftliche Mitteilung machen zu wollen8.
VI. Gemeindeordnung für Wien
Fortsetzung und Schluß der Beratung der Gemeindeordnung der Stadt Wien nach dem mit den Änderungen und Zusätzen des Ministers des Inneren bereicherten Entwurfe9.
Zum § 87 wurde über Antrag des Finanzministers die zur Beschlußfassung nötige Mitgliederzahl auf ein Drittel der Stimmberechtigten (40 Individuen) herabgesetzt.
Zum § 88 wurde nach eben desselben Wunsch nach dem Worte „müssen“ der Zusatz „wenn es gefordert wird“ eingeschoben.
Zum § 90 wurde auf eben desselben Andeutung statt „Bürgermeister“ „Vorsitzender“ beliebt.
Zu § 93 wünschte der Finanzminister das ausdrückliche Verbot von Beifalls- oder Mißfallensäußerungen bei sonstiger Räumung aufgenommen. Der Minister des Inneren hielt dies aber durch die erweiterte Klausel erreicht: „Wenn Zuhörer etc. auf irgend eine Weise stören“.
Dem § 94 ward die Bestimmung angehängt, daß über ao. Sitzungen dem Statthalter die Anzeige zu machen sei.|| S. 84 PDF ||
Im § 97 hätte der Finanzminister die Vermeidung des Ausdrucks „der Magistrat steht im Dienste der Gemeinde“ gewünscht.
§ 101, dritter Absatz, wurde nach Antrag des Finanzministers der Rekurs statt „dem Minister des Inneren“ dem „Ministerium“ überhaupt vorbehalten, nämlich je nach dem Gegenstande dem einschlägigen Departement.
Zu § 112 beanständete der Minister für Landeskultur die Stellung der Bezirksvorsteher; seines Erachtens sollten sie als Exekutivorgane des Gemeinderates auch aus der Wahl desselben hervorgehen, weil sich nur dann von ihnen ein wirksames Eingreifen erwarten ließe. Da indessen auch bisher schon eine ähnliche Einrichtung bestand, so glaubte man hierauf nicht näher eingehen zu sollen.
Im § 115 wurde auf Antrag des Finanzministers die Stelle „und dem Landtage“ hinweggelassen.
§ 117 ward statt „hat die Gemeinde“ gesetzt „sind etc. zu besorgen“, um den Bestimmungen über Schul-, Kirchen- und Gewerbewesen in keiner Weise vorzugreifen.
Nun ward die Beratung über einige in suspenso gebliebene Punkte wieder aufgenommen. Selbe betreffen:
1. zu § 9 (früher 6) die Forderung einer Aufnahmstaxe in den Gemeindeverband mit der Hälfte der Bürgerrechtstaxe. Der Minister des Inneren hätte nämlich der Gemeindekasse gern diese Zubuße gegönnt. Da indessen die Sache wenig praktischen Wert haben dürfte und der Ministerrat sich nicht dafür erklärte, so nahm der Minister des Inneren seinen diesfälligen Antrag zurück.
2. Zur Erlangung des aktiven Wahlrechts wird insgemein ein Zensus 10 fr. jährlicher Steuer erfordert. Es fragt sich, soll rücksichtlich der Beamten diese Bestimmung festgehalten werden? Der Minister des Inneren hätte dies nicht gewünscht, weil dadurch die ganze Kategorie der Beamten unter 1000 fr. Besoldung, welche, wenn sie nicht etwa anders besteuert sind, nicht 10 fr. Einkommensteuer bezahlen, vom aktiven Wahlrechte ausgeschlossen sein und der Gemeinde hiermit der, wie es scheint, wünschenswerte Einfluß einer großen Zahl von Beamten entzogen werden würde. Andrerseits ward vom Finanzminister hervorgehoben, daß, wenn andre einem Zensus unterliegen, dies auch auf die große Zahl der Beamten anzuwenden angemessen sei; daß ferner das Interesse der nicht besitzenden Beamten an den Gemeindeangelegenheiten in der Regel nur ein untergeordnetes und deren Teilnahme dabei überhaupt nicht wünschenswert sei.
Es ward sich demnach in dem Antrage, den gedachten Zensus auch für Beamte gelten zu lassen, vereinigt.
3. Was die Frage betrifft, ob nicht der Staatsverwaltung ausdrücklich das Recht vorbehalten werden soll, den Gemeinderat aufzulösen, so wurde dieselbe mit Rücksicht auf die Bestimmung, daß Wien den Charakter der Kreisvertretung annimmt, in Gemäßheit des § 164 des Gemeindegesetzes bejahend, also dahin entschieden, daß der Vorbehalt der Auflösung ausdrücklich aufgenommen werde10.|| S. 85 PDF ||
4. In betreff der Wirksamkeit des Gemeinderates bei Veräußerungen des Gemeindevermögens und Aufnahme von Darleihen (§ 83) ward sich mit Rücksicht auf die Bestimmungen des allgemeinen Gemeindegesetzes, §§ 74 und 8011, dahin vereinigt, a) daß bei Veräußerung unbeweglichen Gemeindevermögens die Aktivität des Gemeinderats auf einen Wert von 10.000 fr. (der Minister v. Thinnfeld erachtete 25.000) beschränkt sein, das mehrere dem Landtage vorbehalten werden soll, und b) bei Darleihen dem Gemeinderate die Aufnahme solcher bis zu dem das Jahreseinkommen der Stadt nicht übersteigenden Betrage eingeräumt werde.
5. In betreff der Verteilung der Lokalpolizeiauslagen zwischen Staat und Stadt (§ 59) ward sich mit dem Antrage des Ministers des Inneren vereinigt, selbe einstweilen prinzipiell nach dem bisherigen Maßstabe auszusprechen. Die Ausmittlung der Ziffer, da hierüber variierende Berechnungen vorliegen, würde später erfolgen und hiebei streng geschieden werden, was rein städtische und rein Staatsanstalten betrifft.
Endlich erklärte der Minister des Inneren bezüglich der Form des Abschlusses der ganzen Verhandlung, daß er hierwegen an Se. Majestät Vortrag erstatten, darin die Hauptpunkte des Entwurfs, der Modifikationen und deren Begründung auseinandersetzen und auf die Ah. Genehmigung der sonach zustandegebrachten Gemeindeordnung Wiens als eines provisorischen Gesetzes antragen werde12.